Lassiter Sammelband 1883 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1883 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2530, 2531 und 2532.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 407

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1883

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2021 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2025 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Boada/Norma

ISBN: 978-3-7517-8227-2

https://www.bastei.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1883

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2530

Lassiter und die falsche Nonne

Lassiter 2531

Babylons Töchter

Lassiter 2532

Lassiter und der heilige Tod

Guide

Start Reading

Contents

Lassiter und die falsche Nonne

Der Dreiviertelmond hing wie ein angenagter Silberdollar am Himmel und verschwand immer wieder hinter bleiernen Wolken. Während der Zug der Northern Pacific Railroad westwärts stampfte, war der Yellowstone River kaum mehr als eine Ahnung – verborgen hinter dicht stehenden Gelbkiefern und Nebelschwaden.

Das gleichmäßige Rumpeln der Räder lullte die Reisenden ein. Auch Lassiter streckte seine Beine von sich und wollte sich gerade den Stetson über das Gesicht ziehen, als er vor dem Fenster plötzlich eine Bewegung ausmachte. Wie von einer Hornisse gestochen fuhr er hoch. Da draußen braute sich Ärger zusammen. Gewaltiger Ärger sogar!

Im Wagen hatte sich friedliches Schweigen ausgebreitet.

Die beiden Farmer, die in Glendive zugestiegen waren und sich ausgiebig über die Heuschreckenplage im Sommer ausgelassen hatten, waren vor einer Weile eingenickt. Schräg gegenüber hielt eine rotwangige Frau jeweils einen Arm um ein Kind geschlungen, keines älter als fünf oder sechs Jahre. Während die Kinder fest schliefen, war der Blick der Frau starr auf die Füße des Oldtimers gerichtet, der auf der anderen Seite des Gangs saß und seine mit löchrigen Socken bekleideten Füße auf den Sitz gelegt hatte. Ein Netz aus roten Äderchen spannte sich über sein Gesicht. Er gab Geräusche von sich, die an ein Sägewerk erinnerten.

Neben ihm kritzelte ein junger Mann etwas in ein Notizbuch. In dem spärlichen Licht musste er sich so weit vorbeugen, dass seine Nase fast ebenso über das Papier schabte wie sein Bleistiftstummel. Seine Kleidung war abgewetzt, aber sauber. Die Löcher in seinem Hut hatte er mit Flicken repariert.

Der letzte Fahrgast saß schräg vor Lassiter. Eine Frau war es, von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt. Gesicht und Haar waren unter einem Schleier verborgen. Sie trug schwarze Handschuhe, die aus schimmernder Seide gefertigt waren. Eine Witwe. Unter dem schwarzen Tüll war unmöglich zu erkennen, ob sie wach war oder schlief. Da sie sich nicht rührte, war wohl von Letzterem auszugehen.

Lassiters Blick suchte nachdenklich den Wagen ab.

Welcher der Reisenden würde wissen, wie man sich zur Wehr setzte?

Der Oldtimer und der Schreiberling, vielleicht. Die beiden Farmer? Möglicherweise. Die Ladys hingegen machten nicht den Eindruck, als hätten sie schon jemals in ihrem Leben eine Waffe abgefeuert. Der Hauptteil würde wohl an ihm liegen... Lassiter straffte sich. Hinter ihm lagen anstrengende Tage. Sein voriger Auftrag hatte ihn fast das Leben gekostet und ihm eine weitere Narbe beschert. Eine von vielen. Er hatte sich auf eine ruhige Fahrt mit der Eisenbahn gefreut.

An eine Atempause war allerdings nicht zu denken, denn dieser Zug würde sein Ziel nicht ungeschoren erreichen.

Wenn überhaupt...

Lassiter knirschte mit den Zähnen.

Er war auf dem Weg nach Billings. In seiner Tasche steckte ein Telegramm mit der Adresse von Sam Earhart. Der Anwalt war ein neuer Mittelsmann der Brigade sieben. Von ihm würde er seinen nächsten Auftrag bekommen.

Erst galt es jedoch, die Stadt lebend zu erreichen!

Wieder rissen die Wolken über den Hügeln auf und ließen die Umrisse von Reitern erkennen, die ihre Pferde zum äußersten Tempo antrieben. Sie preschten hinter dem Zug her und taten alles, um ihn einzuholen. Weiter vorn musste eine Brücke oder eine Kurve kommen, denn der Zug drosselte sein Tempo spürbar. Damit hatten die Reiter offenbar gerechnet.

Und sie holten auf!

Ihre Gesichter waren unter Halstüchern verborgen. Revolver blitzten in ihren Fäusten. Den Fahrschein wollten sich diese Kerle bestimmt nicht sparen, nein, die hatten es nicht auf eine Mitfahrgelegenheit abgesehen, sondern auf die Geldbörsen der Fahrgäste!

Lassiter sprang auf die Füße, machte sich bereit.

Im selben Augenblick kreischte die Lady mit den Kindern: »Ein Überfall!« Offenbar war sie doch nicht so entrückt, wie es den Anschein gehabt hatte. Ihre Apfelwangen verloren alle Farbe.

Auf ihren Ruf brach im Wagen Tumult aus.

Der Oldtimer fuhr fluchend in die Höhe, zerrte sein Schießeisen aus dem Holster und warf wilde Blicke um sich. Der Schreiberling schmiss seinen Stummel im hohen Bogen von sich und duckte sich unter seinem Sitz ab. Die beiden Farmer sprangen auf, warfen die Arme hoch in die Luft und brüllten aufgeregt durcheinander. Die Kinder begannen zu weinen. Ob aus Angst oder weil ihre Mutter sie so fest an sich drückte, war schwer zu sagen.

Die Einzige, die sich nicht rührte, war die Witwe.

Vorn stieß die Dampflokomotive kurz hintereinander mehrere Warnpfiffe aus. Anscheinend war der Mannschaft die nahende Gefahr inzwischen aufgefallen.

Die ersten Schüsse krachten.

Es hatte begonnen!

Im nächsten Augenblick ging ein scharfer Ruck durch den Zug. Er riss einen der Farmer von den Füßen. Hart prallte er rücklings auf den Boden. Sein Begleiter streckte ihm die Hand hin, wollte ihm aufhelfen, aber er schlug sie zur Seite und rappelte sich fluchend aus eigener Kraft wieder auf.

Lassiter lud seine Winchester durch, wappnete sich gegen das, was da gleich kommen würde.

Unvermittelt rührte sich die schwarz gekleidete Witwe. Mit einer schwungvollen Bewegung warf sie ihren Schleier zurück. Darunter wurde ein ebenmäßiges Gesicht sichtbar, das von sinnlich geschwungenen roten Lippen dominiert wurde. Kühle blaue Augen blickten unter weißblonden Haaren, die am Hinterkopf aufgetürmt waren. Sie war nicht mehr ganz jung, aber viel jünger, als Lassiter angenommen hatte. Sie bückte sich, tastete unter ihren Sitz – und als sie sich wieder aufrichtete, hielt sie eine Schrotflinte in ihren Händen! Sie lud einmal durch, dann deutete sie nach vorn zu der Tür, die aus dem Wagen auf die metallene Plattform führte.

»Wie ist es?«, fragte sie mit einer warmen, ein wenig rauchigen Stimme, »helfen Sie mir oder muss ich alles alleine machen?« Ihr Blick war der einer Berglöwin, die ihre Jungen verteidigt.

Sekundenlang war Lassiter zu verblüfft, um zu antworten.

Schließlich griente er.

»Es wird mir ein Vergnügen sein, Ma'am.«

Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht, als hätte sie nichts anderes erwartet.

Lassiter strebte der Tür zu, schob sie schwungvoll auf und trat auf die Plattform. Der kühle Nachtwind fuhr ihm ins Gesicht, trieb ihm den Dampf aus der Lokomotive entgegen, raubte ihm sekundenlang Atem und Sicht. Er fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen und beugte sich vor.

Der Zug bestand aus der Lokomotive, einem Fracht- und Gepäckwagen sowie zwei Pullmannwagen. Ein Dutzend Reiter jagte ihm nach und holte immer weiter auf! Drei von ihnen nahmen die Mannschaft vorn im Zug unter Beschuss. Ihre Kugeln zischten wie wütende Bienen durch die Nacht.

Schmerzensschreie gellten.

Verdammt! Das klang überhaupt nicht gut!

Lassiter wartete nicht ab. Er stellte die Stiefel zwei Fußbreit auseinander, um auf dem schwankenden Boden einen halbwegs sicheren Stand zu haben, nahm sein Gewehr hoch und richtete es auf einen der drei vorderen Angreifer.

Er krümmte den Zeigefinger, und seine Winchester spie heißes Blei.

Sein Geschoss zackte dem Angreifer in die Brust und riss ihn aus dem Sattel. Die Arme in die Luft werfend, kippte er von seinem Pferd und blieb in der Dunkelheit zurück.

Seine beiden Kumpane ließen sich nicht beirren, hielten weiter auf die Dampflok zu. Einer kniete sich, einem Artisten gleich, auf seinen Sattel, dann richtete er sich hoch auf und sprang mit einem gewagten Satz auf die stählerne Lady!

Im selben Augenblick wurde sein Kumpan von einem Schrothagel aus dem Sattel geschossen.

Die Witwe hatte ihre Flinte sprechen lassen!

Wütendes Gebrüll der übrigen Reiter beantwortete den Treffer. Sie nahmen nun Lassiter und die schwarze Lady unter Beschuss. Ein Hagel aus Kugeln raste über sie hinweg, verfehlte sie jedoch, denn Lassiter hatte die Frau blitzschnell mit sich hinter die Verkleidung der Plattform gezogen, wo sie sich nun abduckten und den Bleiregen abwarteten.

Splitter und Kugeln flogen ihnen um die Köpfe.

Die Frau presste die Hände auf die Ohren, gab jedoch keinen Mucks von sich.

Dafür krachten nun plötzlich weiter hinten Schüsse.

In den übrigen Wagen hatten sich Reisende und Wachleute gefunden, die den Banditen Paroli gaben!

Hin und her flogen die Kugeln.

Lassiter lud nach und richtete sich wieder auf, um einen weiteren Angreifer ins Visier zu nehmen. Er schoss... Volltreffer! Sein Bleistück ließ den Getroffenen vom Pferd kippen. Sein linker Stiefel hing jedoch im Steigbügel fest, und so wurde er von seinem Reittier mitgezerrt.

Sieben Angreifer zählte Lassiter noch, den Halunken im Führerstand mitgerechnet. Und der ließ den Zug nun anhalten!

Mit quietschenden Bremsen kamen sie zum Stehen.

In den Wagen gellten entsetzte Schreie. Die Reisenden wussten, dass nichts Gutes auf sie wartete, wenn die Banditen sie in die Finger bekamen.

Die schwarz gekleidete Lady richtete sich aus der Deckung auf und zuckte mit keiner Wimper, als ihr eine Kugel den Schleier vom Kopf riss. Stattdessen zielte sie konzentriert und holte einen weiteren Angreifer aus seinem Sattel.

Mit so viel Gegenwehr schienen die Kerle nicht gerechnet zu haben. Vermutlich hatten sie einen Zug mit friedlichen Farmern und Frauen erwartet. Keine Kämpfer, die ihre Zahl auf die Hälfte reduzierte. Die Reiter nahmen ihre Pferde auf und ballerten blind drauflos. Unter ihren Kugeln gingen Fensterscheiben zu Bruch, Holz splitterte. Reisende schrien.

Von einem der hinteren Wagen kamen weitere Kugeln. Eine fuhr einem der Pferde in den Hals. Mitsamt seinem Reiter stürzte es in den Staub, überschlug sich und blieb reglos liegen.

Von vorn aus dem Führerstand kam kein Lebenszeichen mehr. Keine Rufe, keine Schüsse, gar nichts.

Was war mit der Mannschaft des Zuges?

Hatten sie überhaupt noch eine?

»Bleiben Sie in Deckung!«, rief Lassiter der Lady zu. Mit einem langen Satz sprang er von der Plattform und stürmte geduckt nach vorn zu der Dampflokomotive.

Als er durch die Türöffnung in den Führerstand spähte, bot sich ihm ein blutiges Bild: Der Heizer lag niedergestreckt da, sein rußgeschwärztes, verschwitztes Gesicht war völlig verwüstet. Eine Kugel hatte ihm einen Teil des Unterkiefers weggerissen. Seine gebrochenen Augen starrten ins Leere.

Neben ihm hing der Lokführer verkrümmt über den Hebeln und Rädern, mit denen die stählerne Lady gesteuert wurde. Ein Blick verriet, dass auch in seiner massigen Gestalt kein Leben mehr war. Der Bandit, der einem Puma gleich von seinem Pferd auf die Lokomotive gesprungen war, krümmte sich nun auf dem Boden. Eine Klinge ragte aus seiner Brust. Gurgelnd spuckte er Blut. Offenbar war er auf mehr Widerstand getroffen, als er erwartet hatte.

Drei Tote. Und niemand mehr übrig, der die Lokomotive bedienen konnte. Lassiter fluchte in sich hinein. Als er sich umwandte, verschwanden die Reiter in der Nacht wie ein Spuk. Wie es aussah, hatten sie sich entschieden, den Angriff abzubrechen, ehe noch mehr von ihnen fielen.

Nach und nach wagten sich die Reisenden ins Freie.

Nun, wo nicht mehr geschossen wurde, legte sich eine dröhnende Stille über die Umgebung.

Lange währte sie jedoch nicht.

Bald schüttelten die Reisenden die Benommenheit ab und fanden ihre Stimme wieder. Sie sprachen durcheinander, schimpften sich ihren Schrecken von der Seele und beratschlagten, was nun zu tun sei. Ihr Zug stand irgendwo im Nirgendwo. Weit und breit war kein Licht, kein anderer Mensch zu sehen. Sie waren auf sich gestellt!

»Der Lokführer und sein Heizer sind tot«, wandte sich Lassiter an die anderen Fahrgäste. Er sprach nicht laut, aber seine Stimme hatte Gewicht. Sogleich kehrte Ruhe ein. Die Reisenden richteten ihren Blick auf ihn, deshalb fuhr er fort: »Es wird einige Zeit dauern, bis die Eisenbahn eine Ersatzmannschaft herschicken kann. Es sei denn, wir können den Zug selbst wieder in Gang bringen. Versteht sich jemand von Ihnen darauf, einen Zug zu führen?«

Er schaute in ratlose Gesichter.

»Dann werde ich mich aufmachen und versuchen, die nächste Stadt zu erreichen. Dort alarmiere ich den Marshal und sende ein Telegramm an die Eisenbahngesellschaft, damit sie Hilfe schicken. Wer sich anschließen will, kann gern mitkommen.«

»Wie weit ist es bis in die nächste Stadt?«, fragte ein kränklich aussehender Mann und spähte sorgenvoll umher, als erwartete er, dass die Banditen noch hinter den dürren Büschen lauerten und sogleich wieder hervorsprangen.

Lassiter überschlug im Kopf die Zeit, die sie von der letzten Bahnstation hierher gefahren waren. »Die nächste Station dürfte schätzungsweise noch acht oder zehn Meilen entfernt sein. Wenn wir den Schienen folgen, sollten wir vor dem Morgen dort sein. Sie können jedoch auch hier warten, bis Hilfe kommt.«

»Die ganze Nacht hier warten? Und wer weiß wie viele Stunden noch? Während wir hier wie auf dem Präsentierteller sitzen, falls sich diese Halunken entscheiden, noch einen Versuch zu unternehmen?« Der Oldtimer trat vor und schüttelte das ergraute Haupt. »Also, ich für mein Teil versuche mein Glück lieber zu Fuß. Ich komme mit Ihnen.«

»Ich auch!«

»Ich auch!«

Etliche Reisende schlossen sich an. Unter ihnen die Lady mit den beiden Kindern, die Farmer und ein junges Paar, das sich fest bei den Händen hielt. Der Schreiberling entschied sich, mit den restlichen Fahrgästen im Zug zu bleiben und auf eine neue Mannschaft zu warten, um ihre Fahrt fortzusetzen.

Es zeigte sich, dass zwei Reisende von Kugeln getroffen und ums Leben gekommen waren. Drei weitere waren verletzt und entschieden sich, im Zug zu bleiben. Sie wurden von ihren Mitreisenden verbunden. Lassiter vergewisserte sich, dass die Verwundeten gut versorgt wurden und dass Wachen aufgestellt wurden für den Fall, dass die Angreifer zurückkehrten.

Die Aufbrechenden holten ihr Gepäck und machten sich bereit. Es fanden sich auch einige Laternen, aber nach kurzer Beratung vereinbarten sie, darauf zu verzichten. Das Licht würde ihre Anwesenheit über viele Meilen hinweg verraten. Das war zu gefährlich. Immerhin waren die Banditen noch in der Nähe. Und den Gleisen konnten sie auch im Dunkeln folgen.

So geschah es dann auch.

In einer Kolonne marschierten sie los.

Lassiter behielt seine Winchester schussbereit in der Faust. Sie mussten jederzeit damit rechnen, dass die Banditen zurückkamen und sich ihre Beute doch noch holten. Aus diesem Grund blieb er auf der Hut. Falls es einen zweiten Angriff gab, würde er bereit sein.

Die Lady in Schwarz lief neben ihm. Gepäck hatte sie keines, wenn man von einem bestickten Lederbeutel absah, den sie quer über ihrer Brust trug. Sie hielt ihre Schrotflinte in den Händen und schritt energisch aus. Ihr schwarzer Rock bauschte sich hinter ihr. Sie hielt den Kopf oben und die Augen offen. Eine Frau, die wusste, worauf es ankam.

Die Reisenden marschierten schweigend. Nach dem ausgestandenen Schrecken war niemandem nach Reden zumute. Nach ein paar Meilen bemerkte Lassiter, dass die Schritte vieler kürzer wurden. Sie stolperten hin und wieder über einen Stein oder eine Schwelle.

»Wir sollten eine Rast machen«, schlug er vor.

»Nein«, wehrte die Lady für die anderen ab. »Je länger wir hier draußen sind, umso größer ist die Gefahr, den Banditen noch einmal zu begegnen. Es ist besser, wenn wir weitergehen.«

»Die Reisenden brauchen eine Pause. Sie auch, nicht wahr?«

»Nicht mehr und nicht weniger als die anderen auch.« Sie hielt das Kinn hoch. »Wobei ich hoffe, dass niemand von dermaßen unbequemem Schuhwerk geplagt wird wie ich. Die Stiefel sind nagelneu. Ich hatte nicht mit einem Spaziergang im Mondschein gerechnet, sondern darauf gezählt, bequem von der Eisenbahn an mein Ziel gebracht zu werden.« Ein Lächeln schwang in ihrer Stimme mit.

»Sagen Sie es mir, wenn Sie rasten möchten, Mrs....«

»Earhart«, stellte sie sich vor.

»Earhart?« Bei diesem Namen merkte er auf. »Ist Ihr Mann zufällig Sam Earhart, der Anwalt?«

»Keineswegs. Ich selbst bin Samantha Earhart.«

»Sie...« Lassiter stutzte. Dann ging ihm ein ganzer Kronleuchter auf. Sam, der neue Mittelsmann der Brigade Sieben, war eine Frau! Und was für eine!

Sie musste bemerken, dass ihre Aufmachung ihn überraschte, denn sie strich über ihren Rock und erklärte: »Ganz in Schwarz bleibt man unterwegs unbehelligt. Die Menschen sehen durch Witwen hindurch. Man reist ruhiger, wissen Sie?« Ihr Lächeln vertiefte sich, als sie ergänzte: »Es sei denn natürlich, der Zug wird überfallen...«

Sie hatte kaum ausgesprochen, als neben ihnen ein Warnruf gellte.

»Vorsicht, Leute! Da vorn! Neben dem Gleis! Da lauert etwas!«

Die Kolonne machte Halt, als wäre sie gegen eine unsichtbare Barriere gelaufen.

Niemand wagte es, tief Luft zu holen oder gar ein Wort zu sagen. Dafür klickten die Waffen, die schussbereit gemacht wurden.

Rechts von ihnen glitzerte das silbrige Wasser des Yellowstone River im Mondlicht. An dieser Stelle plätscherte er gemächlich dahin, umspülte Findlinge und Kiesbänke. Ein träges Wispern begleitete das Wasser, als würde es eine uralte Geschichte erzählen. Die Wolken rissen auf und ließen genug Licht durch, um eine Bewegung am Ufer erkennen zu lassen.

Dort rührte sich tatsächlich etwas... oder jemand?

Lassiter spähte auf den dunklen, massigen Umriss – und entspannte sich.

Ein Elchbulle stand dort am Ufer und trank. Er senkte sein von mächtigen Schaufeln gekröntes Haupt zum Wasser, hob es wieder und blickte sich sichernd um. Wasser troff von seinem Kinnbart. Über dem Murmeln des Flusses hatte er die nahenden Menschen wohl noch nicht bemerkt. Nun jedoch schienen ihn seine Instinkte vor ihrer Anwesenheit zu warnen. Er fuhr herum und sprang mit langen Sätzen davon.

Dumpf knackte es im Unterholz.

Dann hatte die Dunkelheit den Waldbewohner verschlungen.

»Gehen wir weiter«, schlug Lassiter vor, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Dann stellte er sich seiner Begleiterin vor. »Mein Name ist Lassiter.«

Samantha Earhart nickte bedächtig.

»Ich hatte Sie nicht so schnell erwartet.«

»Nachdem ich das Telegramm aus Washington erhalten hatte, habe ich mich sofort auf den Weg gemacht. Und ich hatte Glück, den nächsten Zug noch zu erwischen.«

»Wir haben einiges zu besprechen.« Sie hüllte sich wieder in Schweigen, hielt dies hier offenbar weder für den richtigen Zeitpunkt noch für den richtigen Ort, um ihm seine nächste Mission zu offenbaren.

Das sah er ähnlich.

Schweigend stapfte er weiter, konzentrierte seine Sinne auf die Umgebung. Ihre Angreifer waren noch irgendwo hier draußen und sicherlich nicht erfreut darüber, dass ihre Reihen dezimiert worden waren. Falls sich ihre Wege noch einmal kreuzten, würde den Reisenden gewiss nichts Gutes blühen. Sie taten gut daran, sich vor der Rache der Banditen zu hüten.

Die Zeit tröpfelte dahin, und sie kamen immer langsamer voran. Erschöpfung machte sich breit. Niemand sprach. Jeder Schritt schien anstrengender als der vorherige zu sein. Nur die Blicke blieben wachsam und argwöhnisch.

Sie blieben jedoch unbehelligt.

Endlich tauchten vor ihnen einzelne Lichter auf. Eine Siedlung!

Ein Aufatmen ging durch die erschöpften Reisenden. Die Aussicht auf ein Dach über dem Kopf und ein Lager zum Ruhen mobilisierte ihre letzten Kräfte.

Sie erreichten Huntsley eine halbe Stunde später.

Der Ort bestand aus einer Handvoll Häusern, welche die Hauptstraße säumten, und einigen Farmen, die über die nähere Umgebung verstreut waren. Eine spärlich beleuchtete Gasse führte von der Mainstreet zu einer Brücke über den Yellowstone River. Hier standen der Saloon, eine Schmiede und ein Badehaus. Nächtliche Stille lag über der Stadt. Die meisten Einwohner schliefen. Nur aus dem Saloon drang noch Licht.

Einen Bahnhof besaß Huntsley nicht, lediglich ein Gleis mit einem Bahnwärterhäuschen fand sich. Auch ein Hotel suchte man vergebens, dafür pries ein Aufsteller die Gästezimmer über dem Saloon an.

Aufatmend steuerten die Reisenden das Lokal an. Sie verließen sich darauf, dass Lassiter sich um die Bergung der Toten und des Zuges kümmern würde.

Das Marshals Office war nicht schwer zu finden. Ein schmaler Anbau mit vergitterten Fenstern verriet, wo das Gesetz in Huntsley vertreten wurde. Das Büro des Town Marshals lag noch im Dunkeln. Bis zum Morgengrauen waren es noch einige Stunden hin, deshalb musste Lassiter den örtlichen Sternträger aus dem Schlaf klopfen. Das missfiel diesem hörbar.

»Wer stört?«, knurrte eine dunkle Stimme, während die Tür zum Office einen Spalt weit aufgezogen wurde. Das Holz knarrte hörbar.

»Guten Abend. Sind Sie der Marshal von Huntsley?«

»Erst in drei Stunden wieder«, kam es grimmig zurück.

»Es tut mir leid, Sie zu um diese Uhrzeit zu stören, aber es hat einen Überfall auf die Eisenbahn gegeben. Nur ein paar Meilen von hier.«

»Was sagen Sie da?« Die Tür schwang ganz auf und ließ einen sehnigen Mann sehen, der das Hemd offen über einer anscheinend hastig übergestreiften dunklen Hose trug. Er war barfuß. Aus weiten, prüfenden Augen musterte er Lassiter.

»Mein Name ist Lassiter. Ich war mit der Eisenbahn unterwegs nach Billings, als wir von einem Dutzend Reitern überfallen wurden.« Er schilderte dem Town-Marshal, was geschehen war und wo er den Zug samt der verletzten Reisenden und der niedergestreckten Banditen finden würde.

Das Gesicht des Marshals wurde mit jedem Wort finsterer.

Als Lassiter erwähnte, dass noch Reisende im Zug auf Hilfe warteten, rieb sein Gegenüber den graumelierten Bart und fluchte verhalten.

»Dann haben wir keine Zeit zu verlieren. Ich muss das weitergeben und Verstärkung anfordern. Wir werden diese Halunken schon aufspüren. Ich gebe auch durch, dass die Eisenbahngesellschaft jemanden schicken muss, der den Zug übernehmen und die Reisenden an ihr Ziel bringen kann.«

»So bald wie möglich wäre nicht zu früh.«

»Das sehe ich ebenso.«

»In Ordnung.« Lassiter zupfte an seiner Hutkrempe. »Falls Sie mich noch brauchen, finden Sie mich im Saloon. Ich werde mir für den Rest der Nacht ein Zimmer nehmen.«

»Das werde ich mir merken.«

»Gute Nacht, Marshal.« Lassiter fing einen grimmigen Blick seines Gegenübers auf, der vermutlich dem Umstand galt, dass dessen Nacht etliche Stunden vor der Zeit ein jähes Ende genommen hatte. Ein kurzes Nicken, dann marschierte Lassiter zum Saloon hinüber und erkundigte sich bei dem gähnenden Wirt nach einem Zimmer.

»Tut mir leid, Sir, wir haben nicht einmal mehr eine Besenkammer zu vermieten. Alles vergeben. Zu viele unerwartete Gäste, Sie verstehen?« Sein Gegenüber kratzte sich den beachtlichen Bauch. Dabei legte sich seine Stirn in zahlreiche Falten. Er schien zu überlegen, wo er einen weiteren Mann unterbringen konnte, aber sein Schweigen verhieß keinen Einfall.

»Gibt es einen Mietstall im Ort?« Lassiter hatte schon schlechter geschlafen als zwischen warmen Pferden und duftendem Stroh.

»Sicher, aber da werden Sie wohl auch kein Glück haben. Der Stallbursche schläft so tief, den könnten Sie an seinen Ohren wegtragen, er würde nicht aufwachen.«

Wie es aussah, würde Lassiter die Nacht also unter freiem Himmel verbringen. Nun, das störte ihn nicht. Allerdings sehnte er sich nach dem langen Weg nach einem Bad, doch auch das würde wohl noch warten müssen. Es sei denn, er war bereit, in den unberechenbaren Yellowstone River zu steigen...

Mit einem Mal legte sich eine sanfte Hand auf seinen Oberarm. Ein zarter, blumiger Duft stieg ihm in die Nase.

»Ist schon gut, Mr. Wakefield. Er gehört zu mir.« Samantha Earhart trat neben Lassiter und blickte zu ihm hoch. »Ich habe schon auf dich gewartet.« Ihr Lächeln war geheimnisvoll wie das der Sphinx. »Kommst du?«

Wenn sie ihn so ansah, unter halb gesenkten Lidern und mit einem Blick, der ihm alles versprach? Verdammt, ja! Seine Begeisterung wuchs. Sie war bildschön und schien genau zu wissen, was sie wollte. Und er hatte nichts dagegen, ihre Bekanntschaft zu vertiefen. Ein paar Stunden, in denen sie hier festsaßen und zur Untätigkeit verurteilt waren. Warum sollten sie die nicht nutzen?

Lassiter senkte zustimmend das Kinn.

Sie raffte ihren langen Rock und führte ihn die Treppe nach oben. Die Stufen knarrten unter ihren Stiefeln. Gleich hinter der ersten Tür befand sich ihr Zimmer. Dominiert wurde es von einem breiten Bett, das schon aufgeschlagen war. Neben dem Fenster standen eine Truhe und ein Waschtisch mit einer Schüssel und einem Schwamm. Es roch nach Holz und Staub. Und... Weiter kam der große Mann mit seiner Musterung nicht, denn Samantha schloss die Tür hinter ihnen und trat vor ihn hin. Prüfend blickte sie ihn an. Was sie sah, schien ihr zu gefallen, denn sie trat näher an ihn heran. Ihr schwellender Busen hob und senkte sich rasch unter ihrem Kleid. Aus der Nähe schmiegte sich die schwarze Spitze um reizvolle Rundungen, die den Agenten keineswegs kalt ließen.

Ganz und gar nicht.

»Bist du hungrig?«, fragte sie ihn.

Ihr Blick war Sehnsucht und Herausforderung zugleich.

Lassiter schwenkte das Kinn nach links und rechts.

»Später vielleicht.«

»Gute Antwort.« Ihre Stimme war sanft und ein wenig rauchig, verriet Geheimnisse, von denen nicht viele Menschen wussten. »Du bist verletzt.« Ihr Blick richtete sich auf seinen linken Oberarm. Dort brannte eine Wunde, verursacht von einer Kugel. Ganz ohne Verletzung war er den Zugräubern doch nicht entkommen.

»Halb so wild«, wehrte Lassiter ab. »Das ist nur ein Streifschuss.«

»Wir müssen die Wunde trotzdem saubermachen, sonst könnte sie sich entzünden. Setz dich ruhig schon. Ich werde mich gleich darum kümmern.« Sie deutete auf das Bett. Während er sein Hemd abstreifte, holte sie die Waschschüssel. Dann tauchte sie den Schwamm hinein und säuberte seine Verletzung. Ihre Berührungen waren wie eine Liebkosung. Sanft ging sie ans Werk. Dies war gewiss nicht die erste Wunde, die sie versorgte.

Auf dem Tisch stand eine Flasche Whiskey. Davon schüttete Samantha etwas über die Verletzung. Es brannte wie das Höllenfeuer, aber die Nähe der bildschönen Frau ließ ihn nichts als wachsendes Verlangen spüren. Ihr süßer Duft und ihre weichen Hände setzten seine ganze Haut in Brand, nicht nur die Schramme.

Samantha legte den Schwamm fort, nahm einen Streifen Stoff aus ihrem Lederbeutel und verband Lassiter damit. Als sie fertig war, richtete sie sich nicht wieder auf, nein, sie strich über seine breite Brust und seinen flachen Bauch und glitt dann langsam tiefer. Dabei sah sie ihm tief in die Augen. Sein Körper reagierte sofort. Welcher Mann sollte bei einer so sinnlichen Frau kalt bleiben? Hart und pulsierend drängte sich sein Schaft gegen die lederne Hose. Er wollte sie spüren, wollte in sie tauchen und sie vor Lust zum Schreien bringen...

Ihre kleine rosige Zungenspitze lugte zwischen ihren roten Lippen hervor, als sie seine Hose öffnete und seinen Pint befreite. Hart wie ein Felsen im Yellowstone River ragte er auf.

»Du hast uns heute alle gerettet, Lassiter«, sagte sie heiser.

»Das haben wir zusammen getan.« Er konnte nichts weiter sagen, nur mit den Zähnen knirschen, denn sie streichelte seine harte Länge, senkte den Kopf und küsste seinen Schaft. Sacht ließ sie ihn ihre Zähne spüren, nur um ihn kurz darauf wieder mit ihren weichen Lippen zu verwöhnen. Der Wechsel zwischen leichtem Schmerz und Wonne war... mörderisch! Ihre heiße Zunge neckte, leckte und reizte ihn, bis sich sein Blut heiß und pochend in seinem Unterleib sammelte und das Begehren schier unerträglich wurde.

»So groß«, hauchte sie voller Vorfreude und stöhnte kehlig. »O Lassiter...« Als sich ihr warmer feuchter Mund um seinen Schaft schloss und ihn tief aufnahm, wäre er beinahe auf der Stelle gekommen. Lassiter vergrub die Hände in ihrem Haar, schloss die Augen und ließ sie gewähren.

Samantha fuhr an ihn auf und nieder, trieb seine Lust höher und höher.

Was für wunderbare Augenblicke!

Als sich die Spannung schließlich in einem wilden, nicht enden wollenden Strom entlud, waren die Blessuren dieses Tages wie weggeblasen...

Viel Schlaf fanden sie beide nicht in dieser Nacht.

Samantha war eine Frau, die ebenso gern gab, wie sie nahm. Lassiter genoss es, ihre Leidenschaft anzuheizen und den Brand zu löschen, den er immer wieder neu entfachte.

Sie liebten sich, bis der Morgen heraufdämmerte und sich das Leben in Huntsley allmählich wieder regte. Rufe wurden vor dem Fenster laut, und in das Rattern von Kutschenrädern mischte sich das Schlagen eines Schmiedehammers.

Lassiter war schon früh auf den Beinen. Er wusch sich und zog sich an, während Samantha noch schlief.

Sein erster Weg führte ihn zum Marshals Office, wo er sich vergewisserte, dass den Reisenden, die noch in dem gestrandeten Zug festsaßen, geholfen wurde. Der Marshal hatte mehrere seiner Gehilfen geschickt, um sie zu beschützen, bis eine neue Mannschaft für den Zug eintraf und die Fahrt weiterging.

Solcherart beruhigt, kehrte der Agent zum Saloon zurück und bestellte Frühstück für Samantha und sich selbst. Sie hatten das Abendessen versäumt und konnten beide eine Stärkung vertragen. Der Wirt versprach, ihnen die Mahlzeit zu bringen.

Als Lassiter in das Zimmer der Anwältin zurückkehrte, war sie bereits vollständig angezogen. Diesmal trug sie ein schlichtes blaues Musselinkleid. Es war hochgeschlossen, aber jede ihrer Bewegungen verriet, dass sich unter dem Stoff eine feurige Frau verbarg, die genau wusste, was sie wollte.

»Lassiter! Guten Morgen!« Ihr Lächeln hätte ihn beinahe veranlasst, sie auf der Stelle zu packen, zum Bett zu tragen und erneut zu lieben, bis sie beide vor Erschöpfung nicht mehr stehen konnten. Es gab jedoch einige Dinge, die besprochen werden mussten, deshalb schloss er die Tür hinter sich und blieb eine Armlänge entfernt von Samantha stehen.

»Ich habe uns Frühstück aufs Zimmer bestellt.«

»Wunderbar. Ich sterbe vor Hunger.« Sie schloss ihren Lederbeutel und nahm in dem roten Sessel am Fenster Platz. »Heute trennen sich unsere Wege wieder, nicht wahr?«

»Davon gehe ich auch aus. Mir wurde telegrafiert, dass du eine neue Mission für mich hast.«

»Das ist richtig. Früher hat mein Mann die Aufträge weitergeleitet. Er war auch Anwalt, aber er ist vor knapp einem Jahr verschwunden. Seitdem ist das meine Aufgabe.«

»Er ist verschwunden? Wie ist das passiert?«

»Das weiß niemand so genau. Man fand nur eine große Lache Blut in seinem Arbeitszimmer. Von ihm selbst fehlt seitdem jede Spur. Ich habe nichts wieder von ihm gehört, und ich glaube, das werde ich auch nicht mehr. Er ist tot, ganz gewiss.«

»Aber du weißt nicht, was mit ihm passiert ist?«

»Nein. Ich habe damals Männer engagiert, um sein Verschwinden aufzuklären, aber sie konnten nichts herausfinden. Es war, als hätten sich die Berge aufgetan und ihn verschluckt. Manche glauben, er hätte mich verlassen, aber wir waren glücklich. Warum hätte er das tun sollen?«

»Das weiß ich nicht.« Lassiter rieb sich das Kinn. »Hatte dein Mann denn Feinde?«

»Ja, viele sogar. Als Anwalt wollte er die Welt ein bisschen gerechter machen. Das hat einigen sehr mächtigen Männern nicht gefallen. Ich glaube, einer von ihnen hat William umbringen lassen.« Ein Schatten flog über ihr hübsches Gesicht. »Ich habe seine Arbeit übernommen, auch den Kontakt zu Washington. Niemand sonst weiß in meiner Stadt davon.«

»Worum geht es bei meinem neuen Auftrag? Soll ich das Verschwinden deines Mannes aufklären?«

»Ich glaube nicht, dass das nach all der Zeit noch möglich ist. Deswegen wurdest du auch nicht zu mir geschickt.« Sie schüttelte den Kopf. »Es geht um einen Transport, der auf dem Weg von New York in den Westen verschwunden ist. Es ist schon der dritte binnen zweier Jahre.«

»Ein Transport also. Und was wurde transportiert? Gold? Oder Waffen?«

»Nein, nichts dergleichen. Es waren Kinder.«

»Kinder?« Mit dieser Antwort hatte Lassiter nicht gerechnet. Die verblüffte ihn. Er wartete schweigend, um mehr zu erfahren.

»Vielleicht hast du schon in der Zeitung davon gelesen, dass die Waisenhäuser im Osten überquellen. Es gibt viel mehr elternlose Kinder als Platz in den Heimen. Und der Krieg hat das Problem noch verschärft. Es wurde nach einer Lösung gesucht und der Plan gefasst, einige dieser Waisenkinder in den Westen zu bringen. Dort sollen sie die Siedler bei der Arbeit unterstützen und mithelfen, das Land zu bestellen. Dafür erhalten sie eine gute Erziehung und ein Zuhause.«

»Ein guter Plan«, fand Lassiter. »Davon profitieren alle.«

»Richtig. Allerdings sind schon mehrmals Kinder auf dem Weg in den Westen verschwunden. Zuletzt war es eine Gruppe, die in Begleitung von zwei Wachmännern und einer Nonne gereist ist. Ihr Name ist Schwester Mary. Sie wird ebenfalls vermisst.«

»Wie lange ist das her?«

»Drei Wochen. Die Agentur, welche die Reisen der Kinder organisiert, hat sich mit der Bitte um Hilfe an Washington gewandt. Man hat dich ausgewählt, um aufzuklären, was diesen Kindern und ihrem Begleitschutz zugestoßen ist.« Samantha zupfte an ihrer Brosche. »Nach dem Verschwinden der ersten Transporte wurden zahlreiche Männer ausgesandt, um sie aufzuspüren. Niemand fand den allerkleinsten Hinweis.«

»Wurden die ersten Kinder auch von Nonnen begleitet?«

»Nein. Bei den ersten Transporten waren lediglich Wachleute dabei. Alle gelten als vermisst. Diesmal hat Schwester Mary darauf bestanden, mit den Kindern zu reisen. Sie wollte ihre Schützlinge selbst ans Ziel bringen, ist nun aber genauso verschwunden wie die übrigen Begleiter und die Kinder selbst.«

»Von wie vielen Kindern sprechen wir hier?«

»Mit jedem der drei Transporte waren vierundzwanzig Kinder unterwegs.«

Lassiter fluchte in sich hinein. Also waren insgesamt zweiundsiebzig Kinder, eine Nonne und etliche Revolverträger, verschwunden. Das war kein gutes Zeichen. Überhaupt nicht.

»Finde diese Kinder«, bat Samantha ihn leise. Ihr Blick war getrübt. Sie schien nicht davon auszugehen, dass er die Verschwundenen lebend aufspüren würde.

»Hatten die Kinder etwas Wertvolles bei sich?«

»Nein. Nur ein paar wenige Habseligkeiten, die ihnen den Start in ihr Leben im Westen erleichtern sollten. Nichts von großem Wert. Ein Raubüberfall wäre sinnlos gewesen.«

»Warum sollte jemand so viele Kinder entführen?«

»Das kann ich dir leider auch nicht sagen. Womöglich werden bald noch mehr Kinder verschwinden. Demnächst soll ein weiterer Zug in den Westen starten. Die Kinder werden von den Siedlern sehnlichst erwartet.«

»Lässt sich dieser Transport denn nicht aufhalten? Es wäre mehr als leichtsinnig, den nächsten Trupp in eine Gefahr zu schicken, über die wir noch nichts wissen.«

»Die Agentur besteht darauf, ihre Verträge einzuhalten. Sie werden den nächsten Transport in zwei Wochen losschicken. Komme, was da wolle. Wenn du bis dahin nichts herausgefunden hast, könnten die nächsten Kinder verlorengehen. Weiß der Himmel, was ihnen dann bevorsteht.«

»Das wird nicht passieren.« Entschlossen richtete sich Lassiter auf. Er würde alles daransetzen, um das Verschwinden der elternlosen Kinder aufzuklären. »Welche Route hat die Gruppe mit dieser Schwester Mary genommen?«

Samantha erklärte es ihm. »Niemand weiß, wo sie vom Weg abgewichen sind«, ergänzte sie, »aber sie hätten durch Billings kommen müssen – und das sind sie nicht.«

»Also sind sie irgendwo in dieser Gegend verschwunden?«

»So sieht es aus. Du hast zwei Wochen Zeit, Lassiter. Höchstens. Dann geht der nächste Transport ab.«

»Diese Zeit muss genügen.« In Gedanken plante er bereits seine nächsten Schritte. Er würde sich ein Pferd kaufen, mit Munition und Vorräten ausrüsten und unverzüglich aufbrechen.

Vor ihm lag ein langer Ritt ins Ungewisse.

Hoffentlich war es nicht längst zu spät, die Kinder zu finden!

»Muss ist ein bitteres Kraut, nicht wahr?« Ein breites Grinsen kerbte das Gesicht des Schwarzbarts, der Betty gegenübersaß. Er ließ zwei Reihen vom Kautabak verfärbte Pferdezähne sehen. »Rück die Bucks raus, Süße, oder ich nehme dein Kleid in Zahlung.«

Betty umklammerte ihre Spielkarten und überlegte fieberhaft hin und her. Warum hatte sie sich bloß auf ein Pokerspiel mit diesem Haufen Raufbolde eingelassen? Nun, die Erklärung war ebenso einfach wie deprimierend: Weil sie dankbar war für die Gelegenheit, sich im Saloon aufzuwärmen.

Sie hatte keine Ahnung, wie das Kaff hieß, in dem ihre Truppe und sie gestrandet waren. Eines stand jedenfalls fest: Niemand hier interessierte sich für ihre Interpretation von Hamlet. Nicht ein einziger Zuschauer war in ihre Vorstellung gekommen, dabei hatte Shorty extra eine Plane aufgehängt, welche die Bänke vor dem ärgsten Regen schützen sollte.

Banausen. Alle miteinander.

Betty biss sich auf die Lippen.

Draußen trommelte der Regen gegen die Fenster des Saloons als würde er Einlass begehren. Ein bitterkalter Wind fegte jedes Mal herein, wenn neue Gäste kamen. Und wenn sich Betty nicht stark täuschte, grollte sogar ein ferner Donner.

Ein Wetter zum Fürchten war das!

Und ihr schöner Plan löste sich auch gerade in Luft auf.

Der Schwarzbart zog ihnen allen das Geld aus den Taschen. Ein Stapel Münzen und Geldscheine häufte sich vor ihm auf dem Tisch.

Und er würde noch größer werden, denn Betty hatte soeben ihre eiserne Reserve an ihn verloren.

Dabei war sie sicher gewesen, dass er nur bluffte.

Das hatte er aber nicht.

Sie ließ ihm das Geld und vermied es tunlichst, allzu offensichtlich auf sein Whiskeyglas zu schauen. Warum trank denn er nicht endlich? Dann konnten sie es hinter sich bringen...

»Dein Kleid wäre mir lieber gewesen.« Sein Grinsen reichte fast von einem Ohr zum anderen, als er das Geld in seine Tasche stopfte.

Die übrigen Mitspieler starrten mürrisch vor sich hin. Der Schwarzbart hatte ihnen allen reichlich Geld abgeknöpft. So betrunken, wie es den Anschein hatte, war er offenbar nicht. Er wusste genau, was er tat. Und sein letztes Glas rührte er nicht an. Verflixt noch mal! Betty schimpfte leise in sich hinein.

Wobei... Endlich streckte er die Hand nach dem Glas aus. Damit kam ihr Plan ins Rollen. Er setzte es an die Lippen, trank – und spuckte die bräunliche Flüssigkeit im hohen Bogen wieder aus!

Ein derber Fluch entfuhr ihm.

Und Betty schoss der Schreck in alle Glieder.

Wie um alles in der Welt hatte er es herausgefunden?

Ihr kurzes Zucken musste sie verraten haben.

Die Pranke des Schwarzbarts schnellte vor und packte sie. So fest, dass ihr Arm morgen vermutlich grün und blau sein würde. Seine schwarzen Augen bohrten sich in ihre und verrieten, dass ein Bluterguss allerdings ihre kleinste Sorge war.

Sie konnte froh sein, wenn sie morgen noch lebte!

»Du elende Schlampe!«, zischte er. »Was hast du mir in den Whiskey gemixt?«

Betty wusste, dass jegliche Beteuerung ihrer Unschuld nichts nur sinnlos, sondern auch eine Lüge gewesen wäre. Sie hatte ihm ja etwas untergemischt, aber wie zum Kuckuck hatte er das gemerkt? Der scharfe Fusel sollte den Geschmack überdecken. Brechwurz war es gewesen. Genauer gesagt, eine Essenz aus der Wurzel dieser Pflanze. Sie führte rasch und zuverlässig zu schwallartigem Erbrechen. Das Kraut warf auch den stärksten Mann aus den Stiefeln. Eine bessere Ablenkung gab es nicht.

Als einer der Gäste dem Pianisten den Hut vom Schädel schoss und brüllte: »Uns fallen noch die Ohren ab, wenn du weiter so falsch in die Tasten haust!«, hatte niemand mehr auf den Tisch geachtet. Blitzschnell hatte Betty das Fläschchen hervorgeholt und dem Schwarzbart einige Tropfen Brechwurz ins Glas gemischt. Die Mixtur sollte ihn außer Gefecht setzen, damit sie ihm seine Geldbörse abluchsen konnte.

Ein sicherer Plan.

Warum war er schiefgegangen? Hatte sie in der Eile zu viel von der Essenz erwischt? Unter ihren Röcken hatte sie einen Derringer versteckt, aber die beste Waffe einer Frau waren ihrer Ansicht nach immer noch giftige Kräuter.

Nur in diesem Fall offenbar nicht.

Er musste das Kraut eben doch herausgeschmeckt haben.

Die anderen Spieler starrten ratlos zwischen ihnen hin und her, hatten keine Ahnung, was vorging. Der Schwarzbart jedoch beugte sich zu Betty, sodass sie seinen stinkenden Atem im Gesicht hatte, und seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihren Arm. Er wollte sie leiden sehen. Das war offensichtlich.

Betty wusste sich keinen anderen Rat.

Anstelle einer Erwiderung packte sie die Tischlampe und schleuderte sie ihm geradewegs entgegen! Öl lief aus, verteilte sich auf ihm und entzündete sein Hemd! Er brüllte. Noch vor Schrecken, aber einen Atemzug später bereits vor Schmerz.

Unwillkürlich lockerte sich sein Griff.

Jetzt oder nie!

Betty riss sich los, raffte ihre Röcke und rannte so schnell sie nur konnte aus dem Saloon. Regen und Sturm peitschten ihr ins Gesicht, aber sie wurde nicht langsamer. Hinter sich hörte sie das Gebrüll des Schwarzbarts. Andere Gäste riefen etwas, das sie nicht verstehen konnte. Gewiss würden sie ihm helfen und die Flammen löschen. Ihr blieb nur ein kurzer Vorsprung, ehe er ihr folgen und den Hals umdrehen würde.

In ihrer Eile schlitterte sie auf dem schlammigen Boden, verlor das Gleichgewicht und klammerte sich an den Holm neben einer Pferdetränke, um nicht rücklings in den Dreck zu stürzen. Sie fing sich wieder, hastete weiter.

Die Überraschung hatte ihr Zeit verschafft.

Jedoch nicht viel.

Sie musste hier weg. Und zwar schnell!

Das war ein Fehler!, hämmerte es hinter ihrer Stirn. Zu spät dämmerte ihr, dass sie sich mit dem falschen Mann angelegt hatte. Der betrunkene Raufbold war ihr wie ein leichtes Opfer erschienen, obendrein eines, das vermutlich falsch gespielt hatte. Wie sonst war sein unverschämtes Glück zu erklären? Sie wollte ihm die prall gefüllte Börse abnehmen, die er beim Pokern gewonnen hatte, aber er hatte ihren Plan durchschaut.

Und nun... Oh! Verdammt! Etwas krachte hinter ihr. Eine Kugel zischte dicht genug an ihr vorbei, um ihr eine brennende Schramme am linken Ohr zu bescheren.

Ihr Herz tat einen schmerzhaften Satz.

Er war hinter ihr her!

Betty rannte schneller. Die Gewissheit ihres sicheren Endes, wenn es ihrem Verfolger gelang, sie einzuholen, verlieh ihr beinahe Flügel. Sie floh weiter, rannte, stolperte und rutschte. Schlamm spritzte unter ihren Stiefeln hoch, und der Regen prasselte wie winzige Fäuste auf sie herein. Sie wagte nicht, sich umzublicken, weil sie unweigerlich langsamer geworden wäre. Mit fatalen Folgen! Noch immer flogen ihr die Kugeln wie wütende Hornissen um die Ohren.

Mit dem Raufbold hatte sie sich einen gefährlichen Feind geschaffen. Wer war dieser Kerl nur?

Links und rechts gingen Seitengassen von der Mainstreet ab. Dunkel waren sie. Hier gab es keine Laternen, und auch aus den Häusern fiel um diese späte Stunde kein Licht.

Eine Chance, zu verschwinden!

Kurzentschlossen stürmte Betty nach links, tauchte ein in die Dunkelheit und gelangte an eine weitere Kreuzung. Eine kleinere Gasse führte hier ab. Im spärlichen Mondlicht waren Umrisse von etwas Großem zu erkennen. Fässer standen hier aufgereiht. Es war die Rückseite des General Stores.

Kurzentschlossen huschte Betty hinter die Fässer und wagte kaum, tief Luft zu holen. Sie duckte sich ab, tastete nach dem Derringer unter ihrem Rock und schloss die Finger darum. Wenigstens war sie nicht völlig wehrlos.

Trotzdem hoffte sie, die Waffe nicht zu brauchen.

Sie würde hier abwarten, dass der Fremde vorbeilief, und sich später zum Wagen ihrer Truppe zurückschleichen und die Stadt verlassen. Ohne das Geld des Schwarzbarts und leider auch ohne die Dollars, die sie an ihn verloren hatte.

Diese Nacht war ein einziger Verlust gewesen.

Bedauern machte sich in ihr breit.

Wenn es ihr gelungen wäre, dem Raufbold seinen Gewinn abzunehmen, wäre sie ihrem Traum von einem neuen Leben ein Stück näher gekommen. Seit Jahren tingelte sie nun als Schauspielerin durch den Westen, aber es war ein mühsames Geschäft. Immerzu unterwegs, Auftritte bei Regen und Schnee, Überfälle und Übergriffe. Dazu die stete Ungewissheit, ob sie in der nächsten Stadt überhaupt Zuschauer hatten und etwas einnehmen würden... Nein, dieses Leben wollte Betty nicht mehr. Sie träumte davon, sich irgendwo niederzulassen, am liebsten an einem Ort, an dem das Klima mild und die Menschen freundlich waren. Sie wünschte sich eine kleine Farm. Ein sicheres Zuhause.

Doch dafür brauchte sie Geld.

Mehr Geld, als sie sich als Lady Macbeth oder Julia zusammensparen konnte.

Aus diesem Grund hatte sie sich darauf verlegt, sich zusätzliche Einkünfte mit Trickbetrügereien zu ergaunern und zu sparen. Sie bewahrte ihr Geld im Wagen auf, trug stets nur das bei sich, was sie für ihre Vorhaben brauchte.

An diesem Abend war es der Pokereinsatz gewesen.

Und der war nun futsch. Fast zweihundert Doller.

In ihrem Magen grummelte es.

Da! Plötzlich schmatzten Schritte auf dem schlammigen Boden. Jemand kam!

Und sie konnte sich schon denken, wer sich da näherte...

Unwillkürlich hielt Betty die Luft an und duckte sich noch tiefer hinter den Fässern ab. Ihr Herz wummerte so wild und schmerzhaft gegen ihre Rippen, dass sie schon fürchtete, er könnte es hören.

Nur keinen Mucks!, ermahnte sie sich selbst. Wenn er mich findet, bin ich tot!

Herrje!

Betty blinzelte in das fahle Licht des Morgens.

Ihr tat jeder einzelne Knochen im Leib weh. Es fühlte sich an, als hätte sie mit einem Grizzly gerungen – und verloren.

Sie schluckte und zuckte zusammen, weil ihre Kehle staubtrocken war. Von ihrem Kleid konnte man das leider nicht behaupten. Das klebte ihr klatschnass am Körper. Frierend stemmte sie sich auf ihre Füße hoch und schlang die Arme um sich selbst.

Sie musste eingeschlafen sein.

Irgendwann, nachdem die Schritte des Schwarzbarts vorbeigestampft waren und sie sich noch nicht aus ihrer Deckung hervorgewagt hatte.

Nun strich sie über ihren Rock, in dem vergeblichen Versuch, ihn etwas weniger... nun ja... verwahrlost aussehen zu lassen. Er war schlammig, nass und an der linken Seite sogar zerrissen. Dort musste sie auf ihrer Flucht irgendwo hängen geblieben sein. Aber immerhin: Sie war noch am Leben.

Betty blickte sich prüfend um.

In der Gasse war kein Mensch zu sehen, dafür kam von der Mainstreet der übliche Lärm, der auf reges morgendliches Treiben hindeutete. Falls sie dem Pokerspieler dort über den Weg lief, hatte sie eine, wenn auch geringe, Chance, dass er sie nicht vor so vielen Zeugen erschießen würde.

Betty straffte sich und machte sich auf den Weg.

Sie brachte die Gasse hinter sich, bog auf die Mainstreet ein und strebte mit langen Schritten weiter. Ihr Ziel war der Wagen ihrer Schauspiel-Truppe, der am Rand der Stadt stand. Dort würde sie sich etwas Trockenes anziehen und vor den Blicken ihres Verfolgers verbergen können. Eine halbe Meile war es bis dorthin, aber es fühlte sich schier endlos an...

Moment mal! Am Marshals Office waren mehrere Steckbriefe ausgehängt. Das Papier wellte sich nach der regennassen Nacht, aber eines der Gesichter kam ihr bekannt vor. Betty näherte sich dem Office, um sich die Zeichnung genauer anzusehen. Sie strich das Papier glatt und schluckte.

Tatsächlich! Der Schwarzbart blickte ihr finster entgegen!

Zane Burkholder. Gesucht wegen Mordes und mehrerer Überfälle. Belohnung: 4500 Dollar.

Auf den Kerl war ein Kopfgeld ausgesetzt? Noch eines, das nicht gerade gering war. Und trotzdem setzte er sich in aller Ruhe in den Saloon und pokerte? Dieser Mann hatte Nerven!

In einem Schaukelstuhl saß ein braunhaariger Mann vor dem Office und schnitzte an einem Holzscheit herum. Der goldene Stern an seiner Weste wies ihn als Town-Marshal aus.

»Guten Morgen, Miss«, sagte er freundlich. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

»Der Mann hier auf dem Steckbrief...«

»Zane Burkholder?« Die Miene des Marshals verdüsterte sich. »Vor dem sollten Sie sich besser in Acht nehmen, Miss. Das ist ein Killer, wie er im Buche steht. Schon viele haben versucht, ihn zu schnappen und zur Rechenschaft zu ziehen. Nicht einer hat dieses Vorhaben überlebt.«

Betty schnappte nach Luft.

Tatsächlich... es war ein großer Fehler gewesen, sich mit diesem Mann anzulegen...

»Mit einem Gewissen belastet er sich nicht«, fuhr der Marshal fort. »Es heißt, er könnte sturzbetrunken und im Dunkeln einer Klapperschlange das Auge ausschießen. Wenn auch nur die Hälfte der Gerüchte stimmt, die man über ihn hört, bringt er dieses Kunststück tatsächlich fertig. Er soll eine ganze Bande hinter sich haben. Halunken, einer wie der andere.«

Eine ganze Bande? Das wurde ja immer besser und besser...

»Wenn Sie einen Rat von mir wollen, Miss, halten Sie sich fern von ihm.«

»Wenn das nur so leicht wäre. Gestern Abend habe ich ihn in der Stadt gesehen...«

»Was sagen Sie da? Er ist hier? In meiner Stadt?« Der Marshal sprang aus seinem Schaukelstuhl, als hätte ihn besagte Klapperschlange in den Allerwertesten gebissen. »Wo hält er sich auf? Wo haben Sie ihn gesehen?«

»Gestern Abend war er im Saloon. Er hat dort gepokert. Es waren noch andere Männer da. Und ich.«

Der Marshal fluchte.

Ohne noch ein Wort zu sagen, stapfte er in sein Office und kam kurz darauf mit einem Gewehr in der Faust wieder heraus. Er nickte Betty zu und stiefelte davon. Zum Saloon hinüber.

Betty bezweifelte, dass er den Gesuchten finden würde. Der Bandit war gewiss kein Anfänger. Er schien seinen Häschern immer einen Schritt voraus zu sein. Es war wohl besser, sie ließ sich nicht auf der Hauptstraße blicken, sondern nahm einen Umweg zum Lagerplatz ihrer Truppe.

Einen, auf dem sie möglichst niemandem begegnete...

Ihr Magen rumorte und erinnerte sie daran, dass sie seit dem vergangenen Mittag keinen Bissen gegessen hatte. Ein Frühstück wäre jetzt hochwillkommen gewesen, aber in einem Lokal ließ sie sich lieber nicht blicken. Wenn der Bandit dreist genug war, um einen Saloon aufzusuchen, würde er womöglich auch in aller Öffentlichkeit frühstücken? War es optimistisch zu hoffen, dass er die Stadt längst verlassen hatte?

Betty eilte zu einer Gasse, die zwischen Wohnhäusern und einem Eisenwarenladen durchführte. Eine Ratte huschte vor ihr über den Weg und verschwand blitzschnell in einer Ritze auf der Rückseite des Wohnhauses.

Betty setzte ihren Weg fort. Mit etwas Glück war sie in wenigen Minuten bei ihrem Wagen und konnte...

Bevor sie den Gedanken zu Ende brachte, taumelte ihr eine Gestalt entgegen. Im schwarzen Habit einer Nonne! Die Unbekannte schien Schwierigkeiten zu haben, auf einen festen Punkt zu schauen, ihre Augen irrlichterten haltlos umher. Sie wankte, und ihr Skapulier war mit dunklen Flecken gesprenkelt. Herr im Himmel! War das etwa Blut?

Die Nonne war bleich wie der Tod. Als sie Betty Hilfe suchend die Hände entgegenreckte, verrutschte der Ärmel ihrer Tunika und entblößte blutige Striemen an ihren Handgelenken. Sie musste vor kurzer Zeit noch gefesselt gewesen sein!

»Helfen... Sie... mir... bitte«, flehte sie mit leiser Stimme, während sie Betty geradewegs vor die Füße stolperte.

»Was ist Ihnen denn zugestoßen?« Betty bückte sich, fasste den Arm der Nonne und half ihr beim Aufstehen.

»Ich bin... ihm entkommen.«

»Sie sind auf der Flucht?«

»Er darf mich nicht finden. Bitte...« Die Nonne taumelte plötzlich. »... muss mich verstecken.«

Verstecken? Wo denn? Bis zu ihrem Lager war es noch ein ganzes Stück zu laufen. Zu weit... zu weit... Betty schaute sich suchend um. Dabei fiel ihr Blick auf den Mietstall. Ja! Das sollte gehen! Dort würden sie sich eine Weile verbergen können.