Lasst uns Paradiese pflanzen! - Timm Koch - E-Book

Lasst uns Paradiese pflanzen! E-Book

Timm Koch

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Beschreibung

Die Welt steht vor enormen Umwälzungen. Rücksichtslose Abholzungen, pestizidgetränkte Monokulturen und Antibiotikamast in Großställen sind nicht mehr zeitgemäß. Die Bilanz nach hundert Jahren: Die industrialisierte Land- und Forstwirtschaft ist krachend gescheitert. Timm Koch erklärt anschaulich und mit vielen Beispielen, warum das Motto der Zukunft heißen muss: reich werden mit dem Reichtum der Natur anstelle von arm werden durch ihre Zerstörung.

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Ebook Edition

Timm Koch

Lasst uns Paradiese pflanzen!

Reich werden mit der Vielfalt der Natur – statt arm durch ihre Zerstörung

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www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-815-0

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2020

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Titel
Inhalt
Her mit dem Garten Eden!
Apfelbäume
Vision 2038
Faktencheck 2021
Den Wurm im Apfel lieben lernen
Efeuranken
Biodiversitätszertifikate – Sag einfach Bidi
Klimathriller – Abstecher auf einen Nebenkriegsschauplatz
Mangobäume
Aufforstung brutal – Förster als Feinde der Biodiversität
Obstwälder
Weinreben
Feld-Wald-Wirtschaft – Kulturlandschaften neu gedacht
Waldgartensysteme – Mimikry der Natur
Wildobsthecken und Obstalleen – nahrhafte Lebensräume für alle!
Ölpalmen und Wunderbeeren
Mit Dschungelaufwaldung den Eisbären retten – grüner Ablasshandel und grüne Rendite
Trüffelplantagen – Altersvorsorge für Mensch und Baum
Multifunktionslandschaften – Beginnen wir mit lebendigen Zäunen!
Kakaobäume
Permakultur – Besser wirtschaften durch den Wandel im Kopf!
Anmerkungen
Her mit dem Garten Eden!
Faktencheck 2021
Den Wurm im Apfel lieben lernen
Biodiversitätszertifikate – Sag einfach Bidi
Klimathriller – Abstecher auf einen Nebenkriegsschauplatz
Aufforstung brutal – Förster als Feinde der Biodiversität
Feld-Wald-Wirtschaft – Kulturlandschaften neu gedacht
Waldgartensysteme – Mimikry der Natur
Wildobsthecken und Obstalleen – nahrhafte Lebensräume für alle!
Mit Dschungelaufwaldung den Eisbären retten – grüner Ablasshandel und grüne Rendite
Trüffelplantagen – Altersvorsorge für Mensch und Baum
Multifunktionslandschaften – Beginnen wir mit lebendigen Zäunen!
Fotos

Einige nützliche Gewächse:

Apfelbäume (S. 16), Efeuranken (S. 59), Mangobäume (S. 85), Wein­reben (S. 115), Ölpalmen und Wunderbeeren (S. 163), Kakaobäume (S. 216)

Häufig findet man aber noch Baumgüter in vielen Gegenden, welche von Bäumen so unregelmäßig bestanden sind, dass sie mehr einer Wildnis oder einem Walde gleichen, als einem geordneten Obstbaumgarten.

– Johann Adam Schlipf (1796–1861), Handbuch der Landwirtschaft

Her mit dem Garten Eden!

Das Paradies ist ein Ort, wo Früchte in Hülle und Fülle wachsen, wo Milch und Honig fließen, wo Vögel singen, Blumen blühen und Grillen zirpen. Im Paradies gibt es Fisch und Wild im Überfluss. Das Wasser ist klar, und die Luft ist rein. Im Paradies wird unser Vieh nicht gequält und die Menschen sind glücklich. Paradies bedeutet die Abwesenheit von Hölle. Zum Paradies gehören Bäume. Viele Bäume. Viele unterschiedliche Bäume. Die wichtigsten Bäume sind jene, die Früchte tragen, die nahrhaft sind und die wir gut verwerten können. Wenn wir uns von den Bäumen unserer Paradiese nähren, wird die Mühsal des Ackerns mehr und mehr überflüssig werden. Die Arbeit der Landwirte wird in der Hauptsache aus Ernte bestehen.

Wem das zu sehr nach Utopie klingt, dem kann ich versichern: Die Natur und die menschliche Tatkraft machen solche Paradiese möglich. Schlaue Konzepte für ihre Umsetzung sind vorhanden und im Gegensatz zur industrialisierten Landwirtschaft meist seit alters her sehr bewährt. Im weiteren Verlauf dieses Buches werde ich die Permakultur, den Waldgarten, einige Agroforstsysteme und die Feld-Baum-Wirtschaft vorstellen und ausgiebig auf sie eingehen. Egal ob Mensch, Pflanze, Tier oder unbelebter Stein, unsere gemeinsame Reise durch das Meer der Zeit kennt nur eine Richtung: die Zukunft. Dennoch tun wir gut daran zu versuchen, aus vergangenen Zeiten zu lernen und das Erlernte mit der Gegenwart in Verbindung zu setzen. Nur so können wir die Zukunft mit all ihren Ungewissheiten so gestalten, dass sie irgendwann tatsächlich unseren Ideen und Wünschen entspricht.

An selbst gepflanzten Bäumen können wir den Wahrheitsgehalt dieser Binsenweisheit besonders gut erkennen. Als meine Frau und ich vor rund zwanzig Jahren in das Fachwerkhaus einzogen, das unser Zuhause werden sollte, war unser Innenhof an heißen Sommertagen ein unangenehmer Ort ohne Schatten. In den ersten Jahren nach unserem Einzug pflanzte ich dort drei exotische Bäume, die eigentlich im Mittelmeerraum, beziehungsweise in China beheimatet sind: eine Feige, eine Schwarze Maulbeere und eine Kaki. Im klimatisch begünstigten Rheintal gedeihen sie ohne Probleme. Heute ist der Hof während der heißen Sommer der vergangenen Jahre, als die Temperaturen teilweise auf über vierzig Grad Celsius stiegen, eine kühle Stätte mit köstlichem Schatten, der die Temperaturen im ganzen Haus bis in den ersten Stock hinein positiv beeinflusst und im erträglichen Rahmen hält. Zusätzlich erhalten wir leckere Südfrüchte in rauen Mengen frei Haus, und sogar ein wenig Brennholz haben die braven Bäume schon geliefert. Ich stutze immer mal wieder an ihnen herum, damit sie nicht alles überwuchern. Vor zwanzig Jahren habe ich mir die Menschheitserfahrung zunutze gemacht, dass das Pflanzen von Obstbäumen eine positive Wette auf die Zukunft ist, und bin mit dieser Wette sehr gut gefahren.

Wer an Bäume denkt, dessen Gedanken landen schnell beim Wald. Dummerweise kommen Obstbäume in unserem gängigen Konzept von einem mitteleuropäischen Wald nicht wirklich vor. Wir kennen entweder die Nadelholzmonokultur oder den sogenannten »gesunden Mischwald« mit vielen Laubbäumen und vielleicht auch noch den Auwald entlang unserer Bäche und Flüsse. Von Letzterem sind in ganz Mitteleuropa noch ganze 300 Quadratkilometer vorhanden, von denen wiederum lediglich sechzig Quadratkilometer als naturnah bezeichnet werden können. Wer sich ein wenig besser in der Materie auskennt, dem fällt auch noch der Niederwald, der Hutewald und der Lohwald ein. Im Niederwald, der bei uns im Rheintal durchaus noch anzutreffen ist, werden meist Rotbuchen in fünfzehn- bis zwanzigjährigem Umtrieb auf den Stock zurückgeschnitten, um ihr Holz als Brennmaterial nutzen zu können. Im Lohwald tat man dasselbe mit Eichen, um an ihre Rinde, die Lohe, zu kommen, die man zum Gerben benötigte. An diese Wirtschaftsweise erinnern heute meist nur noch Ortsnamen, wie etwa Lohmühle oder Lohfeld. Der Hutewald oder Hütewald schließlich wurde als Weide für das Vieh genutzt. Rinder, Schafe, Ziegen, Pferde, Esel, Schweine – sie alle fanden, je nach Jahreszeit und örtlicher Gegebenheit, im Hutewald ihr Futter. Wer sich hingegen für Apfel- oder Walnusswälder interessiert, der muss bis nach Zentralasien reisen, wo es in Kirgisistan oder Kasachstan noch Restbestände davon gibt.

Heutzutage sehen wir in einem Wald im Wesentlichen einen Lieferanten des begehrten Rohstoffs Holz. Man pflanzt Bäume mit wirtschaftlich attraktivem Holz, wartet eine Weile, bis sie halbwegs ausgewachsen sind und sägt sie dann wieder ab. Dieser Prozess dauert bei Buchen oder Eichen 150 bis 200 Jahre. Bei Kiefern oder Fichten geht es schneller. Sie sind schon nach rund siebzig Jahren reif für den Hieb. Zeit ist bekanntlich Geld, und daher haben wir massenweise Nadelbäume gepflanzt. Dem untergeordnet ist der Wald auch Erholungsort für gestresste Städter, Tummelplatz für Waidmänner (zu denen ich mich selber zähle) und Waidfrauen, Revier für Steinpilz, Pfifferling und Co., Touristenmagnet und so weiter. Hauptsächlich geht es bei den heutigen Wäldern aber um Holz, also um tote Bäume. In unseren Paradiesen hingegen richten wir den Blick zuerst auf den Wert lebendiger Bäume und erst dann auf die Holznutzung. Ein Walnussbaum liefert hundert Jahre lang wertvolle Nüsse, die wir selbst essen oder auch zu Geld machen können. Wenn man ihn am Ende seines Lebens schließlich umhackt, ist sein Holz wesentlich wertvoller als jenes von Fichte, Kiefer oder Lärche. Gleiches gilt für den Apfelbaum, den Birnbaum, die Esskastanie, oder die Eberesche.

Doch nicht nur die Wahl der Baumarten, sondern auch die Form unserer zukünftigen Wälder ist von entscheidender Bedeutung. Um die richtige Bepflanzung für unser Paradies zu finden, müssen wir unseren Blick weit in die Vergangenheit richten.

Aufschluss kann die Form der Urwälder nach dem Ende der letzten Eiszeit geben und die Frage nach den stabilsten Waldsystemen im Verlauf der Jahrtausende. Forscher sind sich heute einig, dass insbesondere eine große Artenvielfalt der entscheidende Faktor für die Stabilität von Ökosystemen ist. Bei dieser Diskussion prallen bei uns in Mitteleuropa zwei verschiedene ökologische Sichtweisen aufeinander. Die erste nennt sich »Klimaxvegetationstheorie«, die andere »Megaherbivorenhypothese«. Die Verfechter der Theorie einer Klimaxvegetation gehen davon aus, dass die Rotbuche, die höchste heimische Baumart, mit ihrem dichten Laubwerk im Laufe der Zeit alle anderen Bäume überragt, ihnen das Licht wegnimmt und sie absterben lässt. Am Ende entstehen dann geschlossene Buchenurwälder. Abiotische Faktoren, wie etwa Feuer oder Stürme, reißen immer wieder Lücken in den dichten Buchenbestand. In diesen Lücken können sich zunächst andere Baumarten ausbreiten, bis sie am Ende wieder von den Buchen totgewuchert werden.1

Vertreter der Megaherbivorenhypothese, wie etwa der Holländer Frans Vera halten dem entgegen, dass die großen Pflanzenfresser, wie etwa Wisent, Wildpferd, Mammut, Hirsch und Auerochse durch ihr Fressverhalten dafür gesorgt haben, dass sich die dichten Buchenwälder gar nicht erst bilden konnten. Man habe es damals vielmehr mit offenen Wäldern zu tun gehabt, in denen Eichen und Hainbuchen die dominanten Baumarten darstellten. Pollenanalysen der Zeit vor etwa 500 Jahren zeigen allerdings, dass damals nur wenige Gräser geblüht haben. Was auf den ersten Blick die Theorie von der Klimaxvegetation zu stärken scheint, wird von Frans Vera mit dem Argument gekontert, dass die damaligen Herden der Megaherbivoren so groß waren, dass das meiste Gras bereits abgeweidet wurde, ehe es in die Blüte gehen konnte. Erst die Ausbreitung des Menschen habe die Größe der Herden durch Jagd und Lebensraumkonkurrenz dermaßen reduziert, dass sich ein dichter Teppich von licht- und artenarmen Buchenwäldern bilden konnte.2 Buchenurwälder, die wir heute etwa in den Karpaten und – in winzigen Gebieten – selbst in Deutschland noch vorfinden, wären demnach also bereits Ausdruck einer vom Menschen verursachten Überformung unserer Landschaften. Im Mittelalter traten erneut große Herden von Megaherbivoren auf. Diese Grasfresser waren zwar vom Menschen domestiziert, gaben der Landschaft aber in etwa ihre ursprüngliche vielgestaltige Form und damit auch ihren Artenreichtum zurück.

Welche Waldform als »echter Urwald« zu bezeichnen wäre, ist abseits der wissenschaftlichen Diskussion erst einmal egal. Solange man unter einem Wald etwas anderes versteht, als reine Baumplantagen, haben alle Waldformen ihren Reiz und Sinn und ihre Schönheit. Die wunderbaren Buchenhochwälder abzuholzen, nur um an deren Stelle hochprofitable Obstwälder anzulegen, wäre ganz bestimmt der falsche Weg. Bei Nadelholzmonokulturen sollte man die Sache allerdings schon etwas differenzierter sehen. Sicherlich haben beispielsweise auch die lichten Kiefernforste Brandenburgs ihre ökologische Berechtigung. Die Kiefer gilt unter Forstmenschen nach wie vor als Brot- und Butterbaum. Heute sind sie dort allerdings übertrieben großflächig angelegt und sollten wenigstens zum Teil umgenutzt werden. In Brandenburg machen sie mit 750 000 Hektar insgesamt rund siebzig Prozent der Waldflächen aus. Im Frühjahr 2020 besuchte ich zusammen mit meiner Frau und unserem Hund ein befreundetes Pärchen, das sich vor Jahren irgendwo in den Weiten des niederen Fläming im südlichen Brandenburg niedergelassen hatte. Die Region ist ein Gebiet von deprimierender Eintönigkeit.

Neben Kiefernmonokulturen sieht man bis zum Horizont nur Getreidefelder, Maisschläge und Windparks. Immerhin gibt es entlang der Straßen schöne Alleen und auch entlang der Feldsäume entdeckt der Reisende eine Menge noch recht junger Baumreihen, die ein wenig Struktur in die Monotonie bringen. Auch hören wir den Kuckuck rufen. Im heimischen Siebengebirge ist der Brutparasit seit etwa zehn Jahren, wie so viele andere Vogelarten, verstummt, obwohl unsere Landschaft entlang der Rheinschiene viel reicher strukturiert ist. Trotz Kuckucksruf ist die dünnbesiedelte, brandenburgische Wildnis aber eine agrarische und forstliche Wüstenei. Das Anwesen unserer Freunde gleicht daher einer kleinen Oase, in der die Kinder zwischen Hühnern, Bienenstöcken, Obstbäumen und Gemüsekulturen herumtollen dürfen. Mit dem Auto unternehmen wir Streifzüge durch den Fläming und bekommen sehr eindringlich einen der ökologischen Schwachpunkte der Kiefernforste vor Augen geführt: Sie brennen sehr gut. In der Nähe von Jüterborg sind 2019, im zweiten Jahr der großen Dürre, rund 750 Hektar Kiefernforst den Flammen zum Opfer gefallen. Verkohlte Stümpfe, wohin das Auge blickt. Die meisten Stämme sind mit schwerem Gerät bereits entfernt worden. Ich frage mich, was aus ihnen geworden ist und stoße bei meinen Recherchen zu dem Thema auf ein Dokument der Deutschen Energie-Agentur (dena):

»Zusammenfassend bietet die Mitverbrennung holzartiger Biomasse in Kohlekraftwerken eine Option, relativ schnell den Anteil erneuerbarer Energien im Energiesystem zu erhöhen, international nachhaltige Biomassemärkte und dafür erforderliche Infrastrukturen zu etablieren sowie einen zusätzlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.«3

Im November 2016 titelte die Süddeutsche Zeitung zum Thema Erneuerbare Energie: »Kohlekraftwerke gieren nach Holz.« Mir wird klar, dass der mühsam gelöschte Waldbrand von Jüterborg höchstwahrscheinlich in den Feuerräumen der Lausitzer Braunkohlekraftwerke zu Ende gebracht wurde und man den Menschen diesen Wahnsinn auch noch als »Klimaschutz« verkauft. – Zynismus pur, der die Forstleute aber nicht anficht. Sie haben bereits begonnen, munter neue Kiefern auf die abgefackelten Gebiete zu pflanzen. Zurück auf dem Anwesen unserer Freunde, sind wir uns einig in unserem Entsetzen über die deutsche Forstwirtschaft, die ideenarmer kaum sein könnte. Das Problem der artenarmen Fichtenmonokulturen hingegen, die bis vor Kurzem noch rund ein Viertel unserer gesamtdeutschen Waldfläche bedeckten, erledigt sich dank Dürre und Borkenkäfer ja gerade von selbst.

Auch der Paradiesgarten unserer Freunde war, als sie ihn übernahmen, in Teilen ein finsterer Tann. Zu DDR-Zeiten – »Ostzeiten«, wie man hier sagt – schien der Vorbesitzer des Grundstücks billig oder umsonst an eine größere Anzahl von Fichtensetzlingen gekommen zu sein, die er allesamt dicht an dicht rund um sein Haus auspflanzte. Mit der Motorsäge hatten unsere Freunde bereits für ein wenig Licht gesorgt. Dennoch standen die meisten der Bäume noch immer dicht an dicht, als ich sie 2018 besuchte. Jetzt, zwei Jahre später, stehen die etwa fünf oder sechs Meter hohen Stämmchen zwar immer noch an Ort und Stelle, sind aber samt und sonders abgestorben. Apfelbäume, die vorher von den aufrecht gestorbenen Soldaten der Fichtenarmee um ein Haar erdrückt worden wären, stehen hingegen, kaum dass sie wieder Licht bekommen, in schönster Blüte.

Diese Obstblüte inmitten dürrer Stämme, die nur noch für den Kamin taugen, empfand ich als Sinnbild der Hoffnung: Genau so etwas brauchen wir, und zwar flächendeckend. Durch den Tod der Nadelholzmonokulturen bietet sich die einmalige Chance, die ersten offenen, reichstrukturierten Wälder anzulegen. In denen soll eine Weidehaltung wieder stattfinden können, und dort sollten vor allem viele hochwertige Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen, Beeren, Kastanien und Nüsse gedeihen, als Nahrungsgrundlage für Mensch, Vieh und Wildtier. Die Flächen dafür, den Anfang zu wagen, liegen öd und leer vor uns. Wir müssen nur zugreifen. Dann können wir die Paradiese der Zukunft Wirklichkeit werden lassen. Viel von dem, was heute ein leergeräumter Kahlschlag ist, befindet sich in öffentlicher Hand und ist augenscheinlich erbärmlich verwaltet. Denn tatsächlich verlieren wir Steuerzahler viel Geld durch diese Rodungen. Die Preise für Fichtenholz sind derart im Keller, dass der Einschlag mehr kostet, als der Verkauf der Holzmassen an Ertrag abwirft. Es liegt also an jedem Einzelnen von uns, bei Politik und Verwaltung ein vielfältigeres Verständnis einzufordern, von dem was Wald ist und was Wald für uns und unsere Mitgeschöpfe leisten soll. In einem zweiten Schritt muss es darum gehen, die extrem artenarmen Agrarsteppen umzunutzen. Wir benötigen Lebensmittel aus stabilen Ökosystemen, die zuverlässig funktionieren und Pestizide oder Antibiotika einfach nicht nötig haben.

In der Schöpfungsgeschichte vertreibt Gott Eva und Adam, die ersten Menschen aus dem Paradies, weil Eva – von der Schlange verleitet – in die Frucht der Erkenntnis beißt. Theologen gehen heute davon aus, dass der entsprechende Text aus der Genesis bereits um 600 vor unserer Zeitrechnung entstanden sein könnte. Gut 2 500 Jahre später brauchen wir die Schlange wieder, um dazu verleitet zu werden, ein zweites Mal herzhaft in diesen besonderen Apfel zu beißen. Wir werden die Erkenntnis erlangen, dass eine Rückkehr ins Paradies möglich ist.

Apfelbäume

Zu Beginn der 1980er-Jahre erwarb mein Vater in seinem Sehnsuchtsland Irland ein Stück Land, das direkt an der rauen Atlantikküste liegt. Dort grast eine kleine Herde Rinder, und außerdem kann man hier sehr gut fischen. Vor einiger Zeit habe ich begonnen, dort Apfelbäume zu pflanzen. Der Ort ist sehr windig. Windgeschwindigkeiten der Stärke sechs bis sieben auf der Beaufortskala sind alltäglich, Orkanstärken keine Seltenheit. Bäume sind selten und haben es hier schwer. In der Nachbarschaft steht die Ruine eines steinernen Hauses, in deren Nähe eine alte Ulme wegen des ewigen Sturms komplett horizontal gewachsen ist. Windschur nennt man das. Auch meine Apfelbäume haben ein schweres Leben. Durch die Nähe zum Meer hat die Luft einen hohen Salzgehalt. Der lässt nicht nur sämtliches Metall schnell korrodieren, sondern sorgt auch dafür, dass die Blätter und jungen Triebspitzen austrocknen und absterben. Auch der Apfelkrebs macht den Bäumen zu schaffen. Das ist eine Pilzkrankheit, die im feuchten Seeklima besonders leichtes Spiel hat. Anfangs brachte ich Apfelbäume aus Deutschland nach Irland. Später setzte ich auf irische Sorten, die besser an das Klima angepasst sind. Ich kaufte die Bäumchen entweder auf dem Wochenmarkt, der jeden Samstagmorgen im nächsten Städtchen stattfindet, oder fuhr den langen Weg nach Kealkill zu einer Baumschule mit dem schönen Namen »Future Forests«, die von enthusiastischen Hippies geführt wird und sich durch eine der größten Sammlungen verschiedener Apfelbaumsorten Irlands auszeichnet – ein Pfund, mit dem sie wuchern kann. Sie haben lustige Namen, wie »Irish Peach« (Irischer Pfirsich) oder »Bloody Butcher« (Blutiger Schlächter).

Der Boden auf unserem Land ist karg und felsig. Für mich ist es mühsam, dort Pflanzlöcher zu graben und für die Apfelbäume dort Wurzeln zu schlagen. Ohne den Windschutz von Felsen, Hecken oder dem Farmhaus haben die Bäume keine Chance. In manchen Jahren erfriert die Blüte, dann wieder reißt ein Orkan die unreifen Früchte von den Trieben. Wenn es das nicht ist, sind es die Krähen, die sich über die Früchte hermachen und manchmal wohl auch liebe Mitmenschen, die sich selbst zur Ernte einladen, wenn die Farm verlassen daliegt, weil gerade keiner aus unserer Familie dort Urlaub macht. Dennoch, manchmal komme ich in den Genuss, in einen dieser Äpfel zu beißen, und dann ist das für mich der leckerste Apfel der Welt.

Der Apfelbaum zählt zu den Rosengewächsen und stammt ursprünglich aus dem Tian-Shan-Gebirge in Zentralasien. In Kasachstan etwa existieren noch rund 11 000 Hektar Apfelurwälder. Die Wildäpfel finden in dieser Gegend auf einer Höhe zwischen 700 und 1 500 Metern über dem Meeresspiegel ideale Wachstumsbedingungen und weisen die weltweit höchste genetische Vielfalt auf. Almaty, mit rund zwei Millionen Einwohnern die größte Stadt Kasachstans, hieß früher Alma-Ata, was aus dem Kasachischen übersetzt »Vater der Äpfel« bedeutet. Die unglaublich artenreichen Obsturwälder, in denen auch wilde Pflaumen, Kirschen, Birnen, Aprikosen und Walnüsse wachsen, sind in ihrem Bestand bedroht. Während der Ära der Sowjetunion ließ Stalin bereits die Axt an die wilden Apfelbäume legen, um die Wälder durch Plantagen zu ersetzen. Heute ist Überweidung ein Problem. Durch die chronischen Versorgungsengpässe zu Sowjetzeiten begünstigt, hat sich in der ländlichen Bevölkerung eine subsistente Nutzung der Obstwälder etabliert. Zur Erntezeit nimmt man das Vieh mit auf die Waldweide, was zur Folge hat, dass es die jungen Apfelsetzlinge frisst und damit die natürliche Verjüngung der Wälder behindert. Hieraus lässt sich die Lehre ziehen, dass man den Obstwald nur zyklisch als Weide nutzen sollte, wenn man auf Naturverjüngung setzen will. Die wilden Apfelbäume können ein Alter von bis zu dreihundert Jahren erreichen und bis zu dreißig Meter hoch werden. Amerikanische Wissenschaftler fanden in den 1990er-Jahren heraus, dass alle unsere Kultursorten auf die wilden Äpfel des Tian-Shan-Gebirges zurückgehen. Da Äpfel nicht selbstfruchtend sind, sondern immer einen Partner brauchen, um sich zu vermehren, sind sie genetisch äußerst vielseitig. Der sehr heterogene Apfelurwald, in dem kein Apfelgewächs dem anderen gleicht, spiegelt sich hierzulande in der Sortenvielfalt.: Allein für Deutschland gehen Pomologen von über 800 verschiedenen Sorten aus. Für Europa rechnet man mit bis zu 20 000 Sorten. Für die Verbreitung der wilden Äpfel spielen Bären eine wichtige Rolle, denn die Apfelsamen passieren das Verdauungssystem der gefräßigen Raubtiere, ohne Schaden zu nehmen. Am liebsten fressen sie leckere, reife Früchte, was eine positive Auslese zur Folge hat. Auf Wanderschaft nehmen sie die Samen mit auf die Reise und scheiden sie dann stets mit einer ordentlichen Startdüngung wieder aus. Die größte Verbreitung erfuhr der Apfelbaum natürlich durch uns Menschen. Anfangs gelangten die Früchte des Tian-Shan über die Seidenstraße nach Europa und wurden hier weitergezüchtet.4 Von Europa aus gelangte der Apfelbaum auf dem Seeweg in die neue Welt und nach Australien. Bei modernen Züchtungen wird, außer auf den Geschmack und gute Lagerfähigkeit, vor allem Wert auf Resistenz gegen Krankheiten gelegt, wie etwa dem Apfelschorf, der von einem Pilz mit dem Namen Venturia inaequalis verursacht wird. Die Weltapfelproduktion lag im Jahr 2018 bei rund 86 Millionen Tonnen.5 Mit rund vierzig Millionen Tonnen jährlicher Ernte ist China der größte Produzent, gefolgt von den USA mit rund fünf Millionen Tonnen und Polen, das im Jahr 2019 auf vier Millionen Tonnen kam. Aufgrund von Spätfrösten, Dürren und anderen meist klimatisch bedingten Faktoren, unterliegen die Erntemengen großen Schwankungen.

Apfelbäume sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Wie jeder weiß, spielen Bienen eine wichtige Rolle in der Bestäubung ihrer Blüten. Es gibt Imker, die kommerzielle Bestäuberdienste in Apfelplantagen anbieten. Apfelbauern zahlen fünfzig Euro und mehr pro Bienenvolk, das während der Blüte in ihren Pflanzungen aufgestellt wird. Auch das Holz des Apfelbaums ist von außerordentlicher Güte. Es ist rötlich braun und weist viele verschiedene Nuancen und Spielarten in seiner Maserung auf. Zugleich ist es sehr hart. Von Pilzen kann es rasch zersetzt werden und sollte deshalb nicht im Außenbereich verwendet werden, gegen Insekten hingegen ist es fast immun. Wegen seiner geringen Verfügbarkeit ist Apfelholz sehr teuer, ein Kubikmeter Schnittholz wird mit bis zu 2 500 Euro gehandelt.6 Während es heute vor allem beim Bau edler Möbel Verwendung findet, nahm man es früher auch für Weinpressen oder Werkzeugstiele. Auf Streuobstwiesen werden Apfelbäume meist etwa achtzig bis hundert Jahre alt. In dieser Zeit entwickeln sie Stämme mit einem Durchmesser von fünfzig Zentimetern und mehr.

In der Nähe von Oberpleis, auf der dem Rhein abgewandten Seite des Siebengebirges, gibt es die Baumschule Neuenfels, wo ich schon so manchen Apfelbaum für meine verschiedenen Pflanzprojekte gekauft habe. Der Inhaber Wolfgang Neuenfels ist ein sehr freundlicher Mensch mit großem Fachwissen. Er war es auch, der mich eines Nachmittags im frühen März mitnahm auf seinen lehmigen Acker und mir die Technik zeigte, mit der man ein Edelreis auf eine Unterlage pfropft. Edelreiser nennt man kurze, vitale Zweige, die im Januar vom Mutterbaum der jeweiligen Sorte geschnitten und bis zu ihrem Einsatz im März in einem Eimer voll Sand aufbewahrt werden. Es gibt verschiedene Methoden der Veredelung. Bei der sogenannten Geißfußveredelung etwa spitzt man den Edelreis ein wenig an, schiebt die Stelle unter die aufgeschlitzte Rinde der sogenannten Unterlage, bindet das Ganze mit einem Gummiband fest zusammen, versiegelt es mit Baumwachs, damit die Feuchtigkeit nicht entweichen kann und hofft, dass es anwächst.

Apfelbäume werden also in der Regel vegetativ durch Transplan­tation, also eine Art Klonung, vermehrt. Ausgangspunkt ist in der Regel ein Baum, der durch freie Abblüte, also eine dem Zufall überlassene Bestäubung, entstanden ist und dessen Früchte und Wuchseigenschaften den Züchter überzeugt haben. Dieses Exemplar bekommt einen Sortennamen verpasst – zum Beispiel Boskop – und wird dann der Urvater aller Apfelbäume dieser Sorte. Ein Sortenzulassungsverfahren dauert heute etwa zwanzig Jahre.

Mich beschäftigt zudem, dass das teure und edle Apfelholz als Motiv bei Pflanzungen so gut wie keine Rolle spielt. Die schnellwüchsige Fichte gilt, wie bereits erwähnt, ab einem Alter von siebzig Jahren als reif für den Hieb. Sie »produziert« in dieser Zeit zwar mehr Holz als der Apfelbaum. Dafür ist ihr Holz billig und sie wirft im Gegensatz zum Apfelbaum während ihres gesamten Wachstums keinen Ertrag ab. Besitzer von Streuobstwiesen sind meistens allein auf das Obst fixiert. Große Mengen edlen Apfelholzes landen eher als Brennholz im Ofen anstatt in der Werkstatt eines Möbeltischlers. Der Heizwert ist zwar auch nicht zu verachten, aber das Holz ist zum Verbrennen natürlich viel zu schade. Ich frage Wolfgang Neuenfels, ob er Apfelhochstämme mit einem Kronenansatz von etwa fünf Metern für möglich hält. »Ja«, antwortet er. »Das ginge bestimmt. Danach wird die Sache aber wahrscheinlich etwas instabil.« Fünf Meter astreines, teures Stammholz von edelster Qualität klingen für mich nach einer lohnenswerten Überlegung, wenn es darum geht, in Europa Obstkulturwälder anzupflanzen. Der Fachmann spricht hier von »Superhochstämmen«. Man bräuchte für die Ernte dann einfach höhere Leitern, beziehungsweise Hebebühnen, oder ganz einfach schwindelfreie Spezialisten, die gut klettern können. Ob der Wert des Holzes den Mehraufwand lohnt, ist erst einmal nebensächlich, weil derjenige, der den Superhochstamm pflanzt, die Holzernte sowieso nicht mehr erleben dürfte. Bäume zu pflanzen bedeutet ja fast immer, Werte zu schaffen, von denen auch die Nachwelt etwas hat. Bei der Geschwindigkeit, mit der das Land heutzutage unter den Füßen der Ungeborenen verscherbelt wird, ist das ein nicht zu vernachlässigender Faktor.

Vision 2038

Der Tag ist ganz nach meinem Geschmack. Schäfchenwolken tummeln sich watteweiß im Himmelblau, Frau Sonne lächelt mir zu, es ist angenehm warm, die Vögel zwitschern und eine gehörnte Mauerbiene, frisch dem Wildbienenhotel entschlüpft, umkreist summend meinen Kopf. Mit gespitzten Lippen pfeife ich ein lustig schiefes »Brüder zur Sonne zur Freiheit«, während ich gleichzeitig am Wasserstofftank in unserem Hinterhof ein halbes Pfund H2 in mein Brennstoffzellenfahrrad tanke. Die Sonne bringt die Solarzellen auf dem Dach auf Hochtouren. Im Keller läuft leise surrend der Elektrolyseur.

Nach einer Minute ist der Tankvorgang beendet. Ich schwinge mich auf das Rad und radele los, hinein ins saftige Sommergrün des Naturparks Rhein-Westerwald. Unterstützt von den beiden E-Motoren in Vorder- und Hinterrad ist die 18-prozentige Steigung von Rheinbreitbach nach Bruchhausen trotz meiner bald siebzig Lenze ein Klacks. Im trockenen Laub am Wegesrand rascheln flinke Eidechsen. Ich drücke auf einen Knopf am Lenker und der Bordcomputer des Fahrrads schickt mir dezentes Latinogedudel auf die beiden Knöpfe in meinen Ohren. Als der Shuffle »Que pasarà mañana« von Joan Soriano anspielt, denke ich wehmütig an den denkwürdigen Bachata, den ich vor vielen Jahren mit meiner Tanzlehrerin Clara darauf getanzt habe und will die Musik gerade ein wenig lauter stellen, als ein lautes Krachen im Unterholz den Sound in meinem Ohr übertönt. Ich halte an und stoppe die Playlist. Das Krachen wird lauter und dann kommen sie. Als erstes bricht die Leitkuh durch das Gebüsch. Hinter ihr her trabt die Herde mit den Kälbern. Als Nachzügler zotteln drei Jungbullen über den Waldweg. Insgesamt sind es wohl mehr als dreißig Tiere.

»Auerochsen sind doch immer wieder ein Erlebnis«, denke ich mir und trete wieder in die Pedale. Der Musik überdrüssig wechsle ich auf einen Nachrichtensender. Es läuft ein Interview mit Georg Huter, seines Zeichens CEO von »Waldweide«, Europas größtem Hirtenkonzern.

Frager: … lange Zeit galt Waldweide als entschiedener Gegner von Wolf, Bär und Luchs. Ihre Vorgänger haben sogar eine erneute Ausrottung der drei großen Beutegreifer außerhalb von Nationalparks gefordert, obwohl dies einen klaren Verstoß gegen unsere Biodiversitätsrichtlinien bedeutet hätte. Nun fordern Sie ein komplettes Verbot der Abschüsse. Woher kommt dieser Richtungswechsel um 180 Grad?

Huter

Faktencheck 2021

Dass mein somalischer Kumpel Yonis und ich in 17 Jahren tatsächlich ein platonisches Gespräch solchen Inhalts werden führen können, sei dahingestellt. Fakt jedenfalls ist, dass die Welt zu Beginn der zwanziger Jahre des neuen Jahrtausends inmitten von Weltuntergangsängsten steckt. Zur Corona-Epidemie und den Folgen der Erderwärmung gesellen sich Kriege, Flüchtlingsströme, Plastikverseuchung, Korallensterben, Waldbrände und eine noch nie dagewesene Konzentration von Reichtum auf die berüchtigten 0,1 Prozent der Erdbevölkerung. Die größte Katastrophe jedoch ist die rasant fortschreitende Vernichtung der Artenvielfalt und der Kollaps unserer Ökosysteme.

Während im dritten Jahr der Dürre im heimischen Siebengebirge der Harvester die abgestorbenen Fichtenmonokulturen zu riesigen, geradezu obszönen Haufen aufpoltert und im Zuge dessen unermüdlich immense Flächen ratzekahl abrasiert hat, wird von vielen die Wirkung von Corona auf die Welt wie eine Katharsis wahrgenommen, eine innere Reinigung durch Schmerz. Beim Weltwirtschaftsforum 2020 wird dafür die Bezeichnung »Great Reset«ins Spiel gebracht. Gleichzeitig klagen von der Trockenheit betroffene Bauern über gigantische Ernteausfälle, die sie anschließend vom Steuerzahler kompensiert bekommen. Einige warten schon mit der Idee auf, ihre gigantischen Getreidefelder mit Grundwasser am Leben zu halten. Die industrialisierte Land- und Forstwirtschaft in ihrer heutigen Form gilt weltweit als die größte Gefahr für die Vielfalt unserer terrestrischen Tier- und Pflanzenwelt. Natürlich bleiben auch die aquatischen Lebensräume nicht unberührt. Vor allem Süßwassersysteme sind von Überdüngung, Pestizideintrag und Plastikverseuchung betroffen. Von der PVC-Folie auf dem Spargelbeet über Folientunnel, die allerorts die guten alten Gewächshäuser aus Glas ersetzen, bis hin zur Gemüseverpackung produziert vor allem die Landwirtschaft jede Menge Plastik. Schätzungen gehen von 6,5 Millionen Tonnen jährlich aus, die weltweit durch die Landwirtschaft in unsere Umwelt gelangen. Land- und Forstwirte sind letztlich verantwortlich für einen schleichenden Ökozid, der sich vor unser aller Augen abspielt. In ihrer Täterrolle fühlen sie sich dennoch alles andere als wohl. Sie werfen den »Städtern« (oftmals durchaus zu Recht) vor, keine Ahnung zu haben von der Landwirtschaft, und so walzen sie regelmäßig in ihren Agrarpanzern zu Demonstrationen, auf denen gegen (!) Insekten- und Artenschutz agitiert wird. Diese Menschen in ihren kolossalen Maschinen – deren meterhohe Reifen auf dem Acker übrigens zu Verdichtungen im Boden führen, die das Leben unter der Erde empfindlich stören – haben Angst um ihre wirtschaftliche Existenz. Viele von ihnen entstammen Familien, die seit vielen Generationen Bauern sind. Sie sehen sich als letzte Bastion in einem immerwährenden Kampf gegen Banken, Molkereien, gierige Zwischenhändler und gnadenlose Discounter, und nun werden ausgerechnet sie, die Ernährer, von der Öffentlichkeit zu Parias erklärt. Neben ökologischen und sozialen Problemen hat die Landwirtschaft mit massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Immer mehr geben auf. Das Sterben der Höfe findet ungebrochen seine Fortsetzung – sehr zur Freude der Agrarkonzerne, die damit ihre Marktmacht immer weiter ausbauen. Im Übrigen landen auch sie regelmäßig in der Insolvenz, nur um dann von noch Größeren geschluckt zu werden. Wer diesen Wahnsinn verstehen will, für den lohnt sich ein Blick auf die heutigen ökonomischen Aspekte hinter den Geschehnissen auf Forst, Acker und in den Mastbetrieben und deren Geschichte.

Ein Bauernhof ist traditionell sehr divers aufgestellt gewesen. Die Bauern zogen verschiedenes Gemüse an, kultivierten Blumen, Getreide und unterschiedlichste Arten von Obst, und hielten zusätzlich eine bunte Vielfalt an Vieh. Schweine, Rinder und Hühner teilten sich eine Welt mit Pferden, Eseln, Tauben, Gänsen, Honigbienen und Stallhasen. Außerdem mussten die Bauern und Bäuerinnen geschickte Händler sein, um ihre Waren auf dem Markt gewinnbringend zu veräußern. Obendrein existierte eine ganze Reihe handwerklicher Fähigkeiten, die eng an die Landwirtschaft angegliedert waren, wie etwa das Spinnen von Garn, die Korbflechterei, oder die Nahrungsmittelveredelung. Man wusste, wie geschlachtet wird, wie man mit Pökelsalz und Rauch die Hinterläufe eines Schweins in leckeren Schinken verwandelt, wie man aus Milch Käse gewinnt und wie man aus Stachelbeeren Marmelade macht. All dies gab den Höfen Nahrung und Einkommen und damit Resilienz gegen fast alle Unbilden der Zeitenläufe.

Mit der in den 1960er-Jahren einsetzenden sogenannten grünen Revolution wurde aus dem Bauernhof ein landwirtschaftlicher Betrieb und damit ein Fall für die Lehre der Betriebswirtschaft.

Die Rolle der Diversifikation in der Betriebswirtschaftslehre sieht folgendermaßen aus: Es gibt eine vertikale und eine horizontale Variante. Bei der horizontalen erweitert etwa ein Kaffeeröster, der vorher nur eine Sorte Bohnenkaffee im Angebot hatte, seine Produktpalette um Espresso, Crema, Mokka etcetera. Bei der vertikalen Variante hingegen verkauft derselbe Kaffeeröster auch noch Schlafanzüge, Dosenöffner und Damenslips. Übertragen auf die Landwirtschaft hieße das, dass ein Bauer, der ursprünglich nur Kühe gehalten hat, seine Produktpalette horizontal um anderes Vieh erweitern kann und auch noch Schafe, Ziegen und Schweine hält, oder sich vertikal diversifiziert und daneben Kartoffeln, Äpfel und Kohlgemüse in sein Verkaufssortiment aufnimmt. In der Betriebswirtschaftslehre wird im Spannungsfeld zwischen Spezialisierung und Arbeitsvereinigung bei Unternehmensgründungen erst einmal zur Fokussierung geraten, während gewachsene Unternehmen durchaus zur Diversifizierung ermuntert werden. In der Agrarökonomie hat man es also genau verkehrt herum gemacht. Hier wurde gewachsenen Betriebsstrukturen eine Spezialisierung geradezu aufgezwungen. Im Extremfall produziert der ehemalige, biodivers aufgestellte Bauernhof mithin nur noch Hühnerküken, von denen die weiblichen Tiere nach dem Schlüpfen an einen anderen Spezialisten geliefert werden, der sich dann um die Eierproduktion kümmert, während man die männlichen Küken kurzerhand in den Schredder wirft.