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Die Talonswood-Reformakademie steht unter neuer Leitung – eine im Vampirstil. Und der neue Dekan will, dass Reese, der dunkle, grüblerische Stellvertreter der Akademie, mir vampirischen Gehorsam beibringt. Am liebsten würde ich Reese sagen, wo er sich seine Verbeugungen und Speichelleckereien hinschieben kann. Nachdem ich mein ganzes Leben auf mich allein gestellt war, bin ich genauso wenig bereit, vor dem Arschloch zu katzbuckeln, wie ihm zu vertrauen. Aber es kommt noch schlimmer, der Zauber einer längst verstorbenen Hexe hat mich vielleicht an Reese und drei andere Männer gebunden. Es ist nicht nur so, dass wir einander nicht entkommen können, sondern die Verbindung wächst auf eine Art und Weise, die mir Angst macht und alle meine Sinne in Brand setzt. Die Macht in mir ruft, und sie wird einen Weg finden, um sich zu befreien … LAST CHANCE REFORM ist ein paranormaler Reverse-Harem-Liebesroman in voller Länge. Dies ist das zweite von vier Büchern der UNSTERBLICHEN VON TALONSWOOD-Reihe, der neuen Serie von Amazons Top-100-Autor Alex Lidell. Mit heißen Wandler-Fae, atemberaubenden Vampiren und einer einsamen Hexe ist Talonswood alles andere als eine normale Verbesserungsanstalt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
DIE UNSTERBLICHEN VON TALONSWOOD
BUCH ZWEI
Copyright © 2024 by Alex Lidell
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Alex Lidell, Massachusetts, United States of America, www.alexlidell.com, [email protected]
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1. Reese
2. Sam
3. Reese
4. Reese
5. Sam
6. Sam
7. Asher
8. Sam
9. Reese
10. Sam
11. Reese
12. Sam
13. Reese
14. Sam
15. Sam
16. Sam
17. Sam
18. Sam
19. Sam
20. Reese
21. Sam
22. Sam
23. Sam
24. Sam
25. Sam
26. Sam
27. Reese
28. Sam
29. Sam
30. Ellis
31. Bryant
32. Sam
33. Ellis
34. Sam
35. Sam
36. Sam
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About the author
Reese zog den zweiten Satz blutverschmierter Latexhandschuhe aus und entsorgte sie, bevor er sich neue anzog. Früher hätte der Geruch von so viel frischem Fae-Blut seinen Magen vor Hunger knurren lassen. Jetzt verursachte er nur noch ein unangenehmes Grollen. Oder vielleicht lag es an diesem speziellen Geruch.
Während er über Ellis gebeugt stand, dessen ausgepeitschter Rücken eine einzige blutige Masse zu sein schien, dachte Reese darüber nach, wie er ihn behandeln sollte. Asher war mit den Peitschenhieben so sparsam wie möglich umgegangen und er hatte auch die Nierengegend ausgelassen, aber dadurch hatte sich die Strafe auf Ellis’ Schultern konzentriert. Hundert Peitschenhiebe richteten Schaden an, ganz gleich, mit wie wenig Enthusiasmus sie ausgeführt wurden.
Als Graf Victor es anordnete, war ihm das genau bewusst gewesen. Quinn mochte ein sadistischer Bastard gewesen sein, aber er war auch Victors verhätschelter Schützling, daher konnte sein Tod nicht ungestraft bleiben.
„Bewunderst du die Aussicht?“ Ellis drehte den Kopf und blickte zu Reese. Sein Gesicht war für ein Warmblut anormal blass, seine Hand umklammerte die Tischkante so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Aber seine Stimme war ruhig. Er konnte eine Unterhaltung führen. Ellis war zu gut ausgebildet und zu verletzt, als dass er den Schmerz in seine Worte hätte einfließen lassen können, wenn er ihn geheim halten wollte.
„Die Peitsche hatte Eisenspitzen. Deine Magie wird die Verletzungen nicht so schnell heilen können wie sonst, und ich kann nur wenig tun, um das Eisen herauszuspülen.“
„Sag mir etwas, das ich nicht weiß, Doc.“
Reese überging seine spöttische Anrede. In den letzten paar Jahrhunderten war er alles gewesen, was die Spezialeinheiten brauchten. Zerstörer. Aufklärer. Jemand für verdeckte Missionen. Sanitäter. Ellis war immer noch auf der Suche nach dem Titel, der Reese am meisten unter die Haut gehen würde, und Doc war sein derzeitiger Favorit. Es war ein besonders wirkungsvoller Schlag, da Reese’ Versetzung in die Krankenstation eine von Graf Victors Änderungen gewesen war, seit er vor einer Woche die Leitung von Talonswood übernommen hatte.
Zu den anderen amüsanten Neuerungen gehörten die Installation eines Hightech-Schließsystems, das dafür sorgte, dass die Kadetten ihre Zimmer nicht verlassen konnten, die Entmachtung Ashers als Kommandant der Akademie und natürlich die Demonstration seiner neuen ‚Niemand-steht-über-den-Regeln‘-Routine, indem er Ellis vor der ganzen Schule auspeitschen ließ.
Zehn Kadetten waren am Ende dieser kleinen Demonstration ohnmächtig geworden, und ein weiteres Dutzend hatte sich übergeben müssen.
Abgesehen vom äußeren Erscheinungsbild war Victor das Gegenteil von Asher, wenn es darum ging, Dinge zu regeln. Victor genoss es, den Vorsitz über ein Gericht zu führen, während Asher durch das Kommando über Armeen zu seinem Recht kam. Um Ashers strenger militärischer Disziplin ins Gesicht zu spucken, sagte Victor kurzerhand die Morgenübungen ab, erlaubte den Kadetten, den Campus während ihrer freien Tage zu verlassen, bevorzugte denjenigen, der sich am wenigsten verbeugte, und drückte generell ein Auge zu, wenn es um die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Spezies ging. Unter Victors neuem Regime fielen die Kadetten erschreckend schnell in ihre Impulsivität zurück.
„Hatte die Hexe es nicht geschafft, die Wirkung der Eisenfesseln zu mildern, als du im Käfig warst?“, fragte Reese und versuchte, die verletzte Haut irgendwie zu flicken. Es war wie ein blutiges Mosaik.
„Fang gar nicht erst an.“ Ein harter Klang hatte sich in Ellis’ Stimme gemischt, eine Härte die nicht durch die Tatsache gemindert wurde, dass er auf Reese’ Krankenbett lag, völlig ungeschützt gegenüber allem, was der Vampir tun könnte. Um ehrlich zu sein, wusste Reese nicht, wie er das machte. „Halt Samantha da raus.“
„Die Verletzungen würden mit ihrer Hilfe schneller heilen“, betonte Reese, obwohl er sich bemühte, seine Stimme ruhig zu bewahren. Er selbst würde niemals die Hilfe einer Hexe annehmen, aber die Professionalität drängte ihn dazu, seinem Patienten diese Möglichkeit anzubieten. Ellis ging es schlecht, egal wie vehement der Krieger das Gegenteil behauptete.
„Die Hexe ist meine Gefährtin“, schnappte Ellis, der sich nun in eine sitzende Position hochstemmte. Seine gelben Augen blitzten auf. Sein weißblondes Haar klebte in schweißnassen Strähnen an seiner Stirn. „Und du wirst sie ganz gewiss nicht darum bitten, etwas zu tun, das ihr Qualen bereiten wird und es ihr als eine gute Idee verkaufen.“
Oh, darum ging es.
„Wie wäre es dann, wenn ich dir sage, dass du aus Talonswood verschwinden sollst?“, schnauzte Reese. „Damit würdest du uns allen einen Gefallen tun. Was zum Teufel hält dich jetzt noch hier? Angst vor Daddy?“
„Du weißt genau, was mich hier hält“, knurrte Ellis, dessen rollender Highland-Akzent in diesem Moment stärker als sonst zum Vorschein kam. „Und falls du es noch nicht bemerkt hast, Samantha Devinee ist höchstwahrscheinlich nicht nur meine Gefährtin, sondern auch deine. Und die von Asher und Cassis. Es ist fast vierhundert Jahre her, dass wir vier an diesem Punkt standen. Glaubst du, das ist alles bloß ein Zufall?“
„Ich nehme mir keine Gefährtin“, sagte Reese, wobei sich seine Hände zu Fäusten ballten und kurz darauf wieder lockerten. Er nahm sich keine Gefährtinnen. Er nahm sich nicht einmal Frauen für mehr als eine Nacht, und normalerweise auch nur, wenn er für ihre Dienste bezahlte. Er hatte auf die harte Tour gelernt, was es hieß, einer Frau ein Stück seiner Seele zu geben. Cassis’ Geliebte, eine mächtige Hexe namens Sienna, hatte ihnen allen in den zehn Jahren, in denen sie sie gefangen hielt, Schmerzen zugefügt. Aber am schlimmsten war es gewesen, als sie herausfand, wie viel körperliche Gewalt Reese ertragen konnte, und ihre Taktik geändert hatte. Als sie seine Frau in das Versteck gezerrt und vor Reese’ Augen abgeschlachtet hatte, während er sich gegen die Magie wehrte, die ihn gefangen hielt, war etwas in ihm zusammengebrochen. Keine Frau – keine einzige – war dieses Risiko wert. Diesen Schmerz. Asher, der ebenfalls eine Geliebte durch Siennas Machenschaften verloren hatte, würde es vielleicht verstehen, aber Reese bezweifelte, dass Ellis das jemals könnte.
Reese schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Vor vierhundert Jahren hatten die Schreie seiner Frau Reese zerstört. Aber das gehörte der Vergangenheit an. Er war jetzt stärker, das Narbengewebe über seiner Seele hielt alles fern, was ihn verletzen konnte. Das war es, was ihn tödlich machte. Und effizient. Und es war der Grund, warum er Ellis’ Spiel nicht mitspielen wollte.
„Weiß Sam überhaupt etwas von deiner brillanten Theorie?“, fragte Reese. „Glaubt sie, dass sie deine Gefährtin ist?“
„Natürlich nicht.“ Ellis’ Augen verengten sich. „Ich bin mir sicher, dass die Verbindung auf Siennas Machenschaften zurückzuführen ist, und Sam verdient etwas Besseres als das. Ihr eigenes Leben. Ihre eigenen Entscheidungen.“
„Hades, hast du seit der Tat überhaupt noch mit ihr gesprochen? Du hast mit der Hexe geschlafen, Ellis. Meiner Erfahrung nach brauchen Frauen nach solchen Dingen etwas Konversation.“
„Nein. Und das habe ich auch nicht vor. Mit Devinee zu schlafen, war ein Fehler, den ich nicht wiederholen will. Sie ist ohne mich besser dran. Und das weißt du sehr gut.“
„Und jetzt wirst du einfach … Was? In den Schatten lauern und sie vor unbekannten Bedrohungen beschützen?“ In Reese’ Stimme war keine Freundlichkeit vorhanden. Er wollte Ellis mit seinen Worten verletzen. Reese legte seine Hände auf die Kante des Behandlungstisches, auf dem der Mann saß, und beugte sich über ihn. „Fürs Protokoll: Das klingt genau nach der Art von Selbstgeißelung, die dir so sehr gefällt, Ellis. Du wirst mir verzeihen müssen, wenn ich deinem verdammten Masochismus nicht applaudiere. Und ich werde ganz sicher nicht in dein sinkendes Boot springen.“
„Warum bist du hier, Reese?“, fragte Ellis, der den Spieß mit einer hochgezogenen Augenbraue umdrehte und sein Temperament besser im Griff hatte, als Reese dem Mann zugetraut hätte. „In Talonswood.“
Reese gluckste humorlos. „Weil ich tot bin.“ Er musste sich ein paar Jahre lang bedeckt halten, während die Menschen seine vergangene Identität vergaßen – diesmal war er ein amerikanischer SEAL gewesen, der in Afghanistan getötet worden war. Es war das Risiko, ein Unsterblicher in der Welt der Sterblichen zu sein. Den eigenen Tod vortäuschen und alle paar Jahre neu anfangen. Manchmal in demselben Land, aber das geschah eher selten. Aber vielleicht hatte Ellis recht. Drei Jahre waren lang genug. Es war Zeit zu gehen. Reese nahm ein durchsichtiges Fläschchen in die Hand. „Leg dich verdammt noch mal hin, damit ich wenigstens etwas tun kann – obwohl du für ein oder zwei Wochen unbrauchbar sein wirst, egal was ich mache. Mit dem Eisen in deinem Blut kann ich nicht einmal ein Schmerzmittel verabreichen. Ich muss mich auf Salben und Antibiotika beschränken.“
„Ich brauche keine Antibiotika, um mich gegen die Keime dieser Welt zu schützen. Ich bin schließlich kein Welpe mehr.“ Der finstere Blick, mit dem Ellis die Spritze betrachtete, die Reese aufzuziehen begann, ließ ihn schnauben. Für jemanden, der eine furchtbare Auspeitschung ohne jegliche Angst über sich ergehen lassen konnte, war Ellis’ Abneigung gegen Nadeln eine Absurdität, die Reese nicht verstehen konnte.
„Dann hör auf, dich wie einer zu benehmen. Beruhig dich und schau einfach weg.“ Reese hielt die Spritze direkt vor Ellis’ Gesicht und ließ ein wenig des Antibiotikum aus der Nadel spritzen. „Oder noch besser: Sieh mir genau zu. Ich genieße es, dich erbleichen zu sehen.“
Quinn zerrt mich über die Bettkante, seine Hände sind grausam. Mächtig. Seine Hand schlingt sich um meinen Hals, seine raue Zunge leckt an meinem Angstschweiß. Ich wehre mich. Ich versuche zu kämpfen. Aber ich kann nicht. Nicht gegen einen Vampir, der doppelt so groß ist wie ich. Hilflosigkeit durchfährt mich, zerreißt meine Seele, bis ich schreie.
Mein Schrei vermischt sich mit dem eines anderen. Cassis liegt gefesselt auf einem Arbeitstisch und brüllt vor Schmerzen, während eine Hexe namens Sienna in sein Fleisch schneidet. Ich versuche, mich zu bewegen, um zu ihm zu gelangen. Aber ich schaffe es nicht. Hilflosigkeit durchdringt mich wieder. Ich versuche, meine Schmerzensschreie zu unterdrücken, als ob Schweigen dem Ganzen ein Ende setzen könnte.
Ich bleibe still, als sich die Szene erneut ändert. Das Knallen einer Peitsche mit Eisenspitzen auf Fleisch ist das einzige Geräusch, das auf dem Trainingsplatz der Akademie zu hören ist,Ellis’ Blut tränkt seine Hose und tropft auf die kalte Erde. Nein, nicht! – Ich öffne den Mund, um Asher etwas zuzurufen, aber ich bringe keinen einzigen Ton hervor. Ellis sackt stumm gegen den Pfahl. Asher holt erneut aus. Ich kann ihn nicht aufhalten.
Ich setze mich kerzengerade auf und stoße mit den Knien gegen die Unterseite meines Schreibtisches, während die Reste des Albtraums in der Stille des Schlafsaals nachklingen. Mein aufgeschlagenes Notizbuch, in dem ich einen Aufsatz über die Geschichte der Fae-Vampir-Kriege geschrieben habe, ist mit Schweißtropfen übersät.
Verdammt!
Da ich nachts kaum schlafen kann, sollte es mich nicht wundern, dass mir die Fae-Vampir-Kriege den Rest geben. Ich reibe meine schmerzenden Knie und gehe ins Badezimmer, um zu duschen, wobei ich das Duschbad aufmerksam mustere, bevor ich es wage, die Seifenflasche zu berühren. Vor zwei Tagen haben meine Nachbarn – zwei schmächtige Halbvampire, die zufällig in der gleichen vornehmen Straße in London aufgewachsen sind und mindestens einmal am Tag davon schwärmen – irgendwo Peroxid gefunden und es in mein Shampoo geschüttet. Am Tag davor haben sie es irgendwie geschafft, Nesselextrakt auf das Toilettenpapier aufzutragen.
Ich stütze meinen Kopf gegen die kühlen Fliesen und lasse zu, dass das heiße Wasser den kalten Schweiß und den Rest der Erinnerung wegspült. Quinn ist tot. Ebenso Sienna. Ellis ist am Leben und heilt. Zumindest hoffe ich das. Abgesehen von der gestrigen Bestrafung habe ich ihn nicht mehr gesehen, seit er Quinn getötet hat, um mich zu retten. Er tötete Quinn, damit nicht ich diejenige war, die von Ashers Peitsche dauerhaft auf meiner sterblichen Haut gezeichnet wurde. Erneut sehe ich das Blut vor meinem inneren Auge, das bei jedem Schlag aus Ellis’ Haut fließt.
Mit jedem Tag, der vergeht, ohne dass ich ihn zu sehen bekomme, kommt mir der Käfig mehr und mehr wie ein Traum vor. Wie sich unsere Narben verbinden, ihm seinen Schmerz nehmen, und ich seine Bewegungen in mir spüre. Aber im Moment schaffe ich es nicht, auch nur für ein paar Minuten in denselben Raum wie er zu kommen, und das liegt nicht daran, dass ich es nicht versucht hätte.
Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen und ich kämpfe gegen die heiße, feuchte Luft an. Am Morgen nach Quinns Angriff ging ich in Ashers Büro und flehte den Kommandanten an, mich in die Arrestzelle zu lassen. Das Einzige, was ich erreicht habe, war, dass er mich rausschmiss. Am nächsten und übernächsten Tag ging ich erneut hin, und schließlich – wahrscheinlich aus Angst, er würde mich aus lauter Verärgerung selbst umbringen – ging Asher hin, um zu fragen, ob Ellis einen Besucher empfangen könne.
Ashers Worte hallen immer noch in meinem Kopf wider und lässt mein Herz sich schmerzhaft zusammenziehen. Er will dich nicht sehen.
Nachdem ich mir ein Handtuch um den Körper geschlungen habe, kehre ich ins Zimmer zurück und schaue auf die Uhr. Nur noch zwanzig Minuten bis zum Mittagessen. Ich hole mein Skizzenbuch vom Schreibtisch und lasse meinem Bleistift freien Lauf, um die Albträume zu Papier zu bringen, als ob das helfen könnte, sie hier im Zimmer zu lassen. Es ist an der Zeit, mich zusammenzureißen. Ein sauberer blauer Uniformrock. Eine gebügelte weiße Bluse. Der Anschein von Gelassenheit und Ruhe.
Ich kann vielleicht nichts gegen das tun, was Sienna vor Jahrhunderten getan hat, aber ich bin es leid, hilflos zu sein. Ich habe es satt, ein Opfer zu sein, bei dem andere zu meiner Hilfe eilen müssen, um mich zu retten und dann den Preis dafür zahlen. Das krankhaft Amüsante daran ist, dass es bis zu Ellis nie jemanden gab, der mirgeholfen hätte. Und einen dummen Moment lang dachte ich, diese Veränderung sei positiv.
Bis ich gesehen habe, wie das Blut des Mannes das Gras auf der Wiese färbte und sein eigener Bruder die Peitsche schwang, die das tat.
Wenn das der Preis dafür ist, mich zu beschützen, werde ich mich selbst beschützen, besten Dank auch. So wie ich es immer getan habe – sowohl für mich als auch für meine Pflegeschwester, Janie. Ich bin vielleicht eine Million Jahre von meinem alten Leben entfernt, aber Janie ist immer noch da, und sie braucht mich, um zu überleben und dort rauszukommen. Ich muss mich einfach an das neue Programm gewöhnen. An die neuen Regeln.
Als ich vor dem Spiegel stehe, binde ich mein Haar zu einem Pferdeschwanz, dann überlege ich es mir anders und löse es wieder, sodass die rebellischen, rotbraunen Strähnen das Sonnenlicht einfangen können. Ich bin Samantha Devinee, und ich habe das Pflegesystem in New Jersey überlebt. Ich habe ein verdammt gutes Geschäft mit Einbrüchen gemacht. Ich bin eine Hexe, die in der Lage ist, einen Sturm heraufzubeschwören – rein zufällig und instinktiv, aber immerhin.
Ich atme tief ein, strecke den Rücken durch und ziehe meine Schultern zurück, bis das Mädchen, das mir aus dem Spiegel entgegenblickt, so aussieht, wie ich es wünsche. Täusche es vor, bis du es geschafft hast. Und ich werde es schaffen.
Ich werde stark sein. Eine Ein-Mann-Armee, ohne all die Uniformen und Befehle. Ich werde eine Hexe sein, die vor niemandem in die Knie geht. Die von niemandem Hilfe braucht.
Ich nicke meinem Spiegelbild zu und gehe auf die Tür zu. Das Licht über dem neu installierten Schloss blinkt grün – eine von mehreren Änderungen, die Victor als neuer Dekan vorgenommen hat. So sehr ich es auch hasse, nachts wie ein Sträfling eingesperrt zu sein, kann ich nicht behaupten, dass ich die nächtliche Feuerwache und das morgendliche körperliche Training vermisse. Der Graf verfolgt, wie er selbst sagt, einen moderneren Ansatz in der Erziehung, da er Ashers militärische Strenge als ‚zu unzivilisiert für die heutige Zeit‘ bezeichnet.
Nicht, dass jemand, der halbwegs bei Verstand ist, jemals auf die Idee käme, die Worte modern und Graf Victor in einem Satz zu verwenden, aber ich werde mich nicht beschweren. Wenn ich dadurch an den Wochenenden diesen klaustrophobischen Ort verlassen kann, bin ich dafür.
Leider wurde das nachmittägliche Kampftraining nicht aus dem Programm gestrichen, sodass ich dafür sorgen muss, dass ich heute Nachmittag nicht den Hintern versohlt bekomme.
Als ich das Gebäude verlasse, wirkt das Grün ekelhaft, die große Rasenfläche und der Trainingsplatz, sind aufgeweicht nach einem Morgen mit nichts als Regen. Ein kalter Wind, der den verbliebenen leichten Nieselregen mit sich trägt, schneidet in meine Haut.
Ich trete vorsichtig auf den matschigen Boden und gehe langsam über die Wiese in Richtung Speisesaal. Wenigstens erinnert mich die Aufmerksamkeit auf meine Füße daran, keinen Blickkontakt mit irgendjemandem aufzunehmen. Fae und Vampire, sogar Halbblüter, sind in dieser Hinsicht seltsam. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie, wenn sie die Möglichkeit hätten, an Bäume pissen, um ihr Revier zu markieren, und bei vermeintlichen Herausforderungen die Zähne fletschen würden.
„Geh weiter, Schlampe.“ Ein Stoß erwischt mich von hinten, aber ich bin inzwischen mit Christians Taktik vertraut genug, um das Gleichgewicht zu halten. Seine Freundin Leanne lacht leise, als würden hier eine Show laufen, die nur für sie bestimmt ist.
Ich trete zur Seite, lasse die perfekt frisierten Halbvampire in einer Wolke aus Kölnisch Wasser vorbeigehen und hebe mir den Kampf für einen anderen Tag auf. Einen, an dem ich nicht nass und vollkommen dreckig werde, nur um mir die Nase brechen zu lassen. Selbst mit gesenktem Blick kann ich das süffisante Lächeln auf Christians schönem, olivfarbenem Gesicht sehen.
„Verdammte Scheiße, Christian. Schick den Abschaum nicht hierher“, sagt eine raue Stimme. Die Hände in die Hüften gestemmt, versperrt eine Gruppe von vier Halbblut-Kadetten den Weg, den ich um Christian und seine Leute herum nehmen wollte. Der Anführer dieser Gruppe, ein älterer Kadett mit dunklen Koteletten und Haaren, die so unordentlich sind wie die von Wolverine, knurrt mich an und entblößt seine verlängerten Eckzähne. Er hat blassgelbe Augen wie Ellis, allerdings haben die von dem hier einen grünlichen Schimmer. Wolverine starrt auf die Schlammspritzer auf seinen Stiefeln, die dort erschienen sind, nachdem ich dem Halbvampir ausweichen musste, und schubst mich zurück ins Christians Richtung.
„Die Schlampe ist ein Warmblut“, protestiert Leanne. „Wenn du den Überblick über deinen Mist nicht behalten kannst, Wayne …“
Ja, genau.
„Wisst ihr was? Ihr könnt mich alle mal“, sage ich zu den beiden Anführern der Mini-Gang, Christian und Wayne the Wolverine. „Ich werde jetzt essen gehen. Aber bitte, ich müsst euren Schwanzvergleich meinetwegen nicht beenden.“
Ich nehme die Tür zum Speisesaal ins Visier und mache einen entschlossenen Schritt nach vorne.
Waynes haariger Arm schlingt sich um meine Taille, reißt mich von den Füßen und stößt mich direkt zu den Vampiren.
Scheiße.
Ich pralle gegen Christians Brust und zwinge ihn, einen Schritt zurück zu machen, um das Gleichgewicht zu halten. Er rutscht fast im aufgeweichten Gras aus, flucht und stößt mich zurück in Richtung der Fae. Ich stolpere und lande hart, schlage mit dem Kopf auf dem Boden auf. Die Welt dreht sich für einen Moment, und ein warmes Rinnsal von Blut rinnt mir die Schläfe hinunter. Schnell gehe ich auf die Knie und wische das Blut weg, allerdings nicht schnell genug, denn die Halbvampire lecken sich bereits über die Lippen. Eines hat mich die Arbeit im Dusk gelehrt: fließendes Blut erregt immer Aufmerksamkeit. Mein Herz beginnt zu rasen, mein Atem geht schneller, als die Halbvampire und -Fae sich voreinander aufbauen – und ich direkt zwischen ihnen kauere. Gefangen. Zwischen zwei Wänden aus geballtem Testosteron und tierischem Instinkt.
„Ihr toten Scheißer seid die nächste aussterbende Rasse“, knurrt Wayne, und seine Haut kräuselt sich, als könnten sich seine Muskeln nicht entscheiden, ob sie sich verwandeln sollen oder nicht. Einige Halbblüter können es, die meisten jedoch nicht. Ich hoffe, er gehört zu Letzteren. Aber nach seinem Geruch nach rohem Fleisch nach zu urteilen, glaube ich nicht, dass ich so viel Glück haben werde. „Vielleicht solltest du … Scheiße!“ Er wird unterbrochen, als eine Faust auf seiner Nase landet und Blut auf sein weißes Uniformhemd spritzt.
Die Halbvampire knurren, wahrscheinlich macht der intensive Geruch nach Blut sie nervös.
Ich nutze die Aufregung und bewege mich rückwärts aus der Gefahrenzone, ohne meine Augen von der Schlägerei abzuwenden. Die Halbblüter schlagen hart zu und heilen schnell. Ich nicht.
Wayne fährt sich mit dem Unterarm über das Gesicht, seine gelben Augen funkeln Christian wütend an. Der Halbblut-Fae holt mit einer massiven, haarigen Faust aus.
Ich entferne mich immer weiter und werde von jemandem geschubst – möglicherweise Leanne –, was mir allerdings hilft, mich schneller zu entfernen. Mein Fuß rutscht aus und ich stürze nach hinten, wahrscheinlich direkt in den Schlamm. Ich mache mich auf eine kalte, nasse Landung gefasst – und treffe stattdessen auf eine harte Wand aus Muskeln.
„Genug“, ruft eine kalte, kultivierte Stimme, eine starke Hand packt meinen Ellbogen, um mich aufrecht zu halten.
Keiner rührt auch nur einen Muskel. Niemand wagt es auch nur zu atmen.
Als ich meinen Blick an den langen, manikürten Fingern an meinem Ellbogen entlangwandern lasse, blicke ich in Graf Victors kühle, dunkle Augen und schlucke einen Fluch hinunter. Einen Schritt hinter dem neuen Dekan steht Reese, die Arme vor der Brust verschränkt, einen harten Ausdruck in seinem blassen, schönen Gesicht. Es ist vollkommen unleserlich. Er trägt seine übliche schwarze Uniform und ein T-Shirt, sein dunkles, unordentliches Haar ist das Einzige, was an ihm der perfekten militärischen Ordnung widerspricht.
Victor lässt meinen Ellbogen los und tritt zur Seite, um uns alle zu betrachten. Christian und die anderen Halbvampire fallen vor dem Grafen auf die Knie, der kalte Schlamm dringt augenblicklich durch den Stoff der Uniformen ein. Die Halbblut-Fae und ich stehen stramm. Die Luft um uns herum scheint vor Spannung zu vibrieren, die Aufmerksamkeit aller auf der Rasenfläche richtet sich auf uns.
Ein Vogel singt in seinem Versteck in einem nahen Ahornbaum, das einzige Geräusch, das die Stille durchbricht.
Mit langen, bedächtigen Schritten geht Victor an uns entlang, sein schwarzer Anzug hebt sich furchterregend vom grauen Himmel ab. Groß, dunkelhaarig und muskulös, könnte er gut aussehen, wäre da nicht die unnatürliche Blässe seiner Haut und die eisige Kälte in seinem Blick.
Als er in eine Pfütze tritt und damit Christian Schlamm ins Gesicht spritzt, hält der Halbvampir still, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er wagt es nicht, sich das Gesicht abzuwischen. Verdammt, wahrscheinlich ist ihm der Schlamm von Victors Stiefel sogar heilig. Wie auf meinen Gedanken hin beugt sich Leanne, die der Stelle, an der Victor stehen geblieben ist, am nächsten ist, herunter, um seinen Stiefel zu küssen, wobei ihr dichtes schwarzes Haar den Boden streift.
Victor ignoriert sie und studiert erst die knienden Vampire, dann den Rest von uns. Die Halbblut-Fae starren militärisch geradeaus, keine einzige Regung geht über ihre Gesichter. Sie haben keinen Respekt vor dem Grafen, aber jede Menge Angst. Wäre Asher hier, würde er uns auf dem Trainingsgelände die Hölle heiß machen. Aber jetzt, mit Victor … Es gibt kein Muster für das, was er tun könnte, von einer leichten Ermahnung bis hin zu einer Auspeitschung wie es bei Ellis der Fall gewesen war, ist alles dabei. Angst macht sich in meinem Inneren breit.
„Samantha“, spricht mich der Vampir an und dreht sich zu mir um, seine höfliche Stimme klingt erwartungsvoll. Als ich aufschaue und in seine dunklen Augen blicke, zieht er eine Braue hoch.
Ich räuspere mich und verbeuge mich halb vor dem neuen Dekan. „Danke, dass Ihr mir geholfen haben, das Gleichgewicht zu halten, Sir“, sage ich.
Hinter ihm verlagert Reese sein Gewicht, von einem Fuß auf den anderen.
Victor lächelt kühl, und zwischen seinen Lippen blitzen die Spitzen seiner Eckzähne auf. „Ich bin immer gerne zu Diensten, Samantha. Aber die aktuelle Situation scheint etwas komplexer zu sein, nicht wahr?“
Offensichtlich.
„Du wolltest mich von den Füßen reißen“, fährt Victor fort.
Die Spannung aller Anwesenden steigt, die knienden Halbvampire schrumpfen irgendwie in sich zusammen, ohne einen Muskel zu bewegen. Mein Herz beginnt zu rasen, mein Körper scheint etwas zu wissen, bevor ich es weiß.
„Ich wurde geschubst, Sir“, antworte ich, obwohl sich mein Innerstes schmerzhaft anspannte. Zwischen zwei wütende Hunde zu geraten, sollte man vermeiden, oder man kann sich in Hundescheiße legen. In letzterem war ich noch nie gut. „Ich danke Euch, dass Ihr mich abgestützt habt. Ich bin mir sicher, dass ich ansonsten jetzt im Schlamm liegen würde.“
Jemand keucht zu meiner Linken – es klingt wie Christian, eine Tatsache, die mir gefallen würde, wenn die Umstände nicht so … mörderisch wären. Hinter Victor reibt sich Reese müde die Augen. Der Graf betrachtet mich lediglich mit der Neugierde eines Kindes, das einen Käfer unter der Lupe betrachtet. Ein Augenblick lang geschieht gar nichts. „Erwartest du etwa, dass ich dir sage: Gern geschehen?“ Einer seiner Mundwinkel zuckt. „Oder vielleicht: Es war mir ein Vergnügen?“
Ich weiß, dass die Frage rein rhetorisch ist, aber anscheinend bin ich selbstmordgefährdet. Außerdem habe ich keine Ahnung, was ich sonst darauf erwidern soll. „Ich denke, beides sind gute Optionen, Sir.“
Ein Muskel in Victors Kiefer zuckt, und für einen kurzen Moment sehe ich den kaltherzigen, tausendjährigen Adligen hinter der gelassenen Erscheinung des Dekans. Als würde der Zauber aufgehoben, blitzt in Victors dunklen Augen die grausame, mächtige, machiavellistische Wahrheit auf. Aber genauso schnell, wie sie erschienen ist, ist sie auch schon wieder verschwunden, und sein Gesicht ist wieder vollkommen ausdruckslos, kaum ein Hauch von Interesse zeichnet sich auf ihm ab. Er wendet sich an Reese. „Ist es das, was Asher den Kadetten in den letzten Jahren beigebracht hat?“
„Die Akademie hat sich an das militärische Protokoll gehalten, nicht an das vampirische, Eure Exzellenz“, antwortet Reese ruhig, und in seiner tiefen, kontrollierten Stimme liegt die ganze tödliche Kraft seines Seins. Mein Magen verkrampft sich, als er sich mir zuwendet, seine stille Missbilligung ist irgendwie stärker als hundert von Victors Spielchen. „Davon abgesehen, hätte Devinee es trotzdem besser wissen müssen.“
„Ich verstehe.“ Victor richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf uns und wendet sich Christian zu, der gebeugt und zitternd im Dreck kniet. „Die Fae können ihre niederen Instinkte nicht kontrollieren, aber von jemandem wie Dir hätte ich mehr erwartet. Hast Du etwas dazu zu sagen?“
Christian legte seine bereits mit Schlamm bespritzte Stirn auf den feuchten Boden. „Ja, Eure Exzellenz. Ich bitte um Verzeihung für meine Unaufmerksamkeit. Es hätte nie einen Moment geben dürfen, in dem ich mir Eurer Anwesenheit nicht bewusst bin. Ich hätte alles in meiner Macht Stehende tun müssen, um sicherzustellen, dass nichts Euren Weg unterbricht. Stattdessen habe ich mich in ein Handgemenge mit einem anderen Kadetten verwickeln lassen. Ich bin eine Schande für mich. Für die Akademie. Und vor allem für Euch. Ich bitte um Vergebung, die ich nicht verdient habe, und überlasse mich ganz Eurem Urteil.“
Das soll wohl ein Witz sein.
Zum Glück behalte ich diesen Gedanken für mich – gerade noch so –, denn die anderen knienden Vampire wiederholen abwechselnd irgendeine Variante dieses Schwachsinns, wobei jede kriecherische Entschuldigung mit einer Erklärung über unverdiente Vergebung und uneingeschränkte Unterwerfung endet.
Die Halbblut-Fae stehen stattdessen nur stramm, ohne sich zu bewegen.
Victor wartet einen Moment, bis der letzte der Halbvampir seine Entschuldigung hervorgebracht hat, und vergewissert sich, dass niemand mehr etwas hinzuzufügen hat, bevor er uns alle mit demselben wütenden Blick bedenkt. „Ihr habt heute alle Schande über Euch gebracht“, sagt er und geht auf die Fae zu. „Ihr vier. Begebt Euch zu Kommandant Asher und berichtet ihm, was passiert ist. Zwei Peitschenhiebe für jeden, plus alles, was er zusätzlich für angemessen hält.“
Angst zeichnet sich auf Waynes Gesicht ab. Die Erinnerung an Ellis’ letzte Bestrafung ist uns allen noch frisch im Gedächtnis, und die Halbblüter stolpern plötzlich über ihre eigenen Füße, als sie „Ja, Sir“ rufen, bevor sie mit eingezogenen Schwänzen davoneilen.
Mit angespanntem Magen und rasendem Puls warte ich darauf, was Victor für den Rest geplant hat.
Die Aufmerksamkeit des Grafen richtet sich auf mich, obwohl er zu der Gruppe spricht. „Alle Entschuldigungen wurden angenommen, und Vergebung wurde gewährt“, sagt er, und wieder huscht ein kaltes Lächeln über sein Gesicht. „Samantha. Es war … ein Vergnügen, Dich wiederzusehen. Ich freue mich darauf, zu sehen, wie Du während Deiner weiteren Ausbildung aufblühst.“ Er macht mit einer perfekt manikürten Hand, deren lange Nägel mir eine Gänsehaut verursachen, eine einladende Geste. „Und jetzt schlage ich vor, Du gehst auf die Krankenstation und sorgst dafür, dass sich jemand um diese unschöne Kopfverletzung kümmert. Und zieht Euch alle vorzeigbare Kleider an. Dies ist eine Akademie, kein Schweinestall.“
Die Halbvampire machen sich aus dem Staub, und ich bin klug genug, mich ihnen anzuschließen – obwohl ich mir nicht sicher bin, ob es Victors oder Reese’ harter Blick ist, vor dem ich wirklich fliehen will.
Nun, das war eine verdammte Sauerei. Reese spürte, wie ein Muskel an seinem Kiefer zuckte, als er Victor über die Wiese folgte, aber er unterdrückte es schnell wieder. Nach tausend Jahren Erdenleben sah Victor zu viel – wenn man ihn ließ.
Die hübsche kleine Hexe hatte eine große Klappe, aber ein großer Teil dieser Unverschämtheit beruhte auf bloßer Unwissenheit. Sie war bei dem Satz der Habblut-Fae-Kadetten errötet – und hatte keine Ahnung, dass sie weit Schlimmeres riskierte, als sie Victor in die Augen sah. Als sie ihm so kühn antwortete. Hätte sie ihre Zunge im Zaum gehalten, wenn sie es gewusst hätte? Reese hoffte es, obwohl ihm etwas in seinem Inneren zuflüsterte, dass er es besser wissen sollte.
Und er hasste es, wie sehr ihn das störte.
Seine Hände verschränkten sich hinter seinem Rücken, aber der Ausdruck in seinem Gesicht blieb ruhig. Offiziell hatte Victor das Problem mit Respekt vor dem vampirischen Protokoll gehandhabt – er berücksichtigte formelle Entschuldigungen, bevor er die Strafen verteilte –, aber die Nuancen waren den Kadetten entgangen. Die Fae wurden bestraft, die Vampire aber nicht.
Ganz zu schweigen davon, dass sich beide Spezies nach einer Woche unter Victors Leitung bereits prügelten. Ashers Ansatz, alle zu sehr zu beschäftigen, als dass ihnen noch Zeit bleiben würde, um sich zu prügeln, stammte aus seiner Zeit bei der Marine, und es gab keinen besseren Beweis für sein Konzept, als zu sehen, was passierte, wenn die Zügel gelockert wurden.
Nur dass Victor die Zügel nicht bloß lockerte, sondern den Halbblütern gerade genug Spielraum gab, um sich daran aufzuhängen. Es war kalkuliert. Alles, was der Graf tat, war es.
„Reesand.“ Victor drehte sich zu ihm um, und Reese senkte seinen Blick höflich zu Boden. Das vampirische Äquivalent eines Salutierens vor einem vorgesetzten Offizier.
„Ja, Eure Exzellenz?“ Was auch immer Victor dazu bewogen hatte, darauf zu bestehen, dass Reese ihn auf diesem Spaziergang begleitete, Reese hoffte, dass der Graf ohne Weiteres fortfahren würde.
„Ah, du hast dich also an deine Manieren erinnert.“ Victor schnippte mit den Fingern und gab Reese damit die Erlaubnis, aufzublicken. „Sag mir, stören dich die Traditionen der Vampire, Reesand?“
„Nein.“ Reese zuckte mit einer Schulter. Das tat es wirklich nicht.
„Viele mächtige Familien würden dich gerne in ihren Reihen willkommen heißen, doch du scheinst dich bei den Sterblichen wohler zu fühlen“, sagte Victor sanft, seine scharfen Gesichtszüge zu väterlicher Besorgnis verzogen – eine neue Nummer, die der Graf offenbar ausprobieren wollte. „Ich dachte, du hättest unsere Traditionen abgelehnt. Das kommt vor.“
„Ich habe keine Meinung bezüglich Traditionen, weder für sie noch gegen sie, Eure Exzellenz.“ Heutzutage hatte Reese zu den meisten Dingen keine Meinung. Und das war auch gut so. „Meine Familie wurde während der Fae-Vampir-Kriege getötet. Ich bin einfach nicht bereit, einer anderen Familie beizutreten – oder eine neue zu gründen. Alle paar Jahre eine sterbliche Persönlichkeit abzulegen, kommt mir entgegen.“
„Keine Wurzeln. Keine Verantwortung. Kein Ort, den man Heimat nennen kann.“ Victor blickte ihn an und schnalzte leise missbilligend mit der Zunge. „Die meisten würden das als ungesund bezeichnen.“
Reese entgegnete nichts daraufhin. Es gab nichts zu gewinnen, wenn man den Grafen herausforderte. Manchmal konnte man am besten gewinnen, wenn man sich nicht zur falschen Zeit in den falschen Kampf einmischte.
„Ich dachte, Cassis sei deine Familie?“, fragte Victor leichthin und richtete die Manschette seines perfekt sitzenden Jacketts. „Ich hatte den Eindruck, dass eure Eltern miteinander verwandt waren.“
„Sie waren Geschwister. Die Menschen würden uns als Cousins bezeichnen.“
„Ich würde euch Brüder nennen.“ Victors Stimme wurde härter. „Brüder oder gar nichts. Das sind unsere Wege.“
Wieder hielt Reese seine Zunge im Zaum. Zwischen Victors und seinen Vorstellungen von Wegen lagen Welten.
Der leichte Nieselregen ging in einen Dauerregen über, doch Victor schien sich wohlzufühlen. Die Nässe ließ sein dunkles Haar schimmern und seine schwarzen, bodenlosen Augen noch heller leuchten. Die Rasenfläche um sie herum hatte sich geleert, und alle Kadetten hatten sich zum Mittagessen in der Mensa versammelt.
„Und die Hexe?“ Victors beiläufiger Ton jagte Reese einen Schauer über den Rücken. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass sie gerade zum Kern des Gesprächs gekommen waren. In diesem Moment gab es keinen Ort, an dem er weniger sein wollte. „Was hältst du von Miss Samantha Devinee?“
„Sie war heute zwischen zwei unfreundlichen Fronten gefangen, Eure Exzellenz“, sagte Reese.
„Stimmt. Im Kreuzfeuer zwischen Vampiren und Fae gefangen zu sein, ist kein guter Weg für ein junges Mädchen, um zu wachsen und zu gedeihen. Doch genau das ist der Haken. Alle Kreaturen sind mächtig, jede auf ihre eigene Art. Und mit dieser Macht kommt die Notwendigkeit von Disziplin. Wir Vampire haben unser Protokoll, das von unseren Clans durchgesetzt wird. Die Fae haben ihr eigenes, das die Rudelführer lehren und unter den ihren durchsetzen. Aber es gibt keine Hexenzirkel, die Ms. Devinee ihren Platz lehren, nicht mehr. Verstehst du, worauf ich hinauswill, Reesand?“
„Nein, Sir.“
Victors Augen blitzten auf, aber die Unmutsbekundung war bei Reese reine Verschwendung. Die Macht des Grafen bedeutete, dass nur wenige Dinge in der Vampirgesellschaft ohne seinen Segen geschahen – aber Reese brauchte nichts aus dieser Welt. Victor war sein derzeitiger Vorgesetzter als Dekan der Talonswood-Reformakademie, aber mehr auch nicht. Ein flüchtiges Arrangement in der Lebensspanne eines Unsterblichen.
„Dann werde ich geradeheraus sein“, sagte Victor trocken. „Ich habe beschlossen, dass Samantha, solange sie unter meinem Kommando als Dekan steht, gut daran tut, das vampirische Protokoll zu erlernen. Und es ist mein Wunsch, dass du sie darin unterrichtest.“
Reese blieb wie erstarrt stehen. „Hexen haben sich nie an unsere Protokolle gehalten, Sir.“
Im Gegensatz zu den Vampiren, die ihre Hierarchie über die Abstammung definierten, oder zu den Fae, die gegenseitig um die Rolle des Alphas konkurrierten, wählten die Hexenzirkel ihre Führung. Ein langsamer, schwerfälliger Prozess, der viel mehr Demokratie beinhaltete, als Reese für praktisch hielt, doch er konnte nicht leugnen, dass ein Hexenzirkel, wenn er eine Entscheidung traf, eine Kraft war, die man nicht unterschätzen durfte.
„Das ist korrekt“, sagte Victor. „Und das hat sie umgebracht und uns alle fast mitgerissen. Samantha ist die erste Hexe, die wir seit Langem gefunden haben, und ich weigere mich, zuzulassen, dass so etwas erneut geschieht. Sie braucht eine strengere Hand. Ihr magischer Wutanfall von letzter Woche hätte nie zugelassen werden dürfen.“
Das stimmte. Es wäre viel besser gewesen, wenn Quinn dem Mädchen eine Lektion erteilt hätte. Und die Tatsache, dass sie eines Tages einen der drei freien Sitze im Hexenrat einnehmen würde, hatte sicher nichts mit Victors Kalkül zu tun.
König Bryant hatte seinen Anspruch deutlich gemacht, als er seinen Bastardsohn nach Talonswood schickte, um die Hexe im Auge zu behalten. Graf Victor machte jetzt lediglich seinen eigenen Anspruch geltend – und Reese konnte sich nicht vorstellen, dass Bryant diese Herausforderung einfach so hinnehmen würde. Für sie war das Mädchen eine Figur auf dem Schachbrett. Ein Bauer, von dem sie beide insgeheim befürchteten, dass er in Wirklichkeit die Königin war.
Männer an der Macht waren so vorhersehbar – Reese hatte es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erlebt, hatte für diese Männer in einem Krieg nach dem anderen gekämpft. Es war mittlerweile fast schon langweilig.
Seine Stimme wurde strenger. „Damit ich das richtig verstehe. Ihr befehlt mir, Samantha zu zwingen, sich den vampirischen Protokollen zu unterwerfen?“ Ich wüsste zu gern, was der Rat dazu sagen wird.
„Ich befehle dir gar nichts, Reesand.“ Victor lächelte, seine weißen Eckzähne blitzten im Nachmittagslicht auf. „Ich informiere dich lediglich über meine Wünsche.“
„Ja, Sir“, entgegnete Reese und verbeugte sich, als Victor ihn mit einer Handbewegung entließ. So schwer es für Victor auch zu glauben war, Reese brauchte wirklich nichts von dem verdammten Grafen. Und schon gar nichts, was Reese näher an Samantha Devinee heranbringen würde, als es der Aufenthalt auf einer Insel erforderte. Besonders nach Ellis und seinem Gerede von Gefährten.
Als er eine halbe Stunde später in die Krankenstation zurückkehrte, blieb Reese in der Tür stehen, und das Regenwasser, das aus seinem Haar und seiner Kleidung tropfte, bildete eine Pfütze auf dem Boden.
„Was machst du hier?“, fragte er.