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Aiden McDane. Mutig. Loyal. Attraktiver als es für einen einzelnen Mann erlaubt sein sollte. Der ehemalige Special-Forces-Agent Aiden McDane hat reichlich Gründe, die Bombenexpertin Tara Northpoint zu hassen. Das Problem ist, dass er sich an keinen einzigen erinnern kann – und das nicht nur wegen der Art, wie sie ihn mit ihren großen Augen und vollen Lippen ansieht. Vor Jahren wurde Aiden vom Feind gefangen genommen, gefoltert und verhört – einem Feind, für den Tara gearbeitet hat. Sie erkennt ihn sofort wieder, aber er hat keine Ahnung, wer sie ist. Obwohl sie von Schuldgefühlen geplagt wird, kann Tara der Anziehungskraft, die sie für ihn empfindet, nicht widerstehen. Leider bringt die Liebe zu Aiden sie beide in das Fadenkreuz von Taras ehemaligem Arbeitgeber. Plötzlich bedeutet gegenseitiges Vertrauen den Unterschied zwischen Überleben und einem Ende in einem namenlosen Grab … Was passiert also, wenn Aiden beginnt, sich an das zu erinnern, was vor so langer Zeit zwischen ihnen geschehen ist? ★★★★★ Die Amazon-Top-100-Autorin Alex Lidell liefert einen in sich abgeschlossenen Enemy-to-Lovers-Liebesroman mit einer cleveren Heldin, einem starken Navy SEAL und einer herzzerreißenden PTBS, die nur die Liebe heilen kann. „Feindliche Verfolgung“ ist das fünfte Buch der „Trident Rescue and Security“-Reihe, die die Geschichte einer Gruppe von Navy SEALs erzählt, die nach Denton Valley, Colorado, zurückkehren und dort ein Such- und Rettungsteam namens „Trident Rescue“ gründen. Hier lesen Sie über ehemalige Militärhelden, Intimität und persönliche Traumata, die sie bewältigen müssen, um ihr Happy End zu finden.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
TRIDENT RESCUE
Copyright © 2024 by Alex Lidell
Alle Rechte vorbehalten. Abgesehen von den im U. S. Copyright Act von 1976 vorgesehenen Ausnahmen darf diese Publikation weder als Ganzes noch in Auszügen in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Herausgebers vervielfältig, verbreitet, übertragen oder in einer Datenbank oder einem System zur Informationsrückgewinnung (Retrieval-System) gespeichert werden.
Bearbeitet von Linda Ingmanson
Aus dem Englischen von Sophie Hartmann
Lektoriert von Jenny Cravens
Umschlaggestaltung: Deranged Doctor Design
Dieses Buch ist ein fiktives Werk. Namen, Personen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten entstammen der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder verstorbenen Personen oder tatsächlichen Ereignissen ist rein zufällig.
Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise vervielfältigt oder in einem System zur Informationsrückgewinnung (Retrieval-System) gespeichert werden, sei es elektronisch, mechanisch, durch Fotokopie, Aufzeichnung oder auf andere Weise.
Alex Lidell
Massachusetts, United States of America
www.alexlidell.com
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
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Über den Autor
Aiden
Aiden beschleunigte seine Harley aus der Kurve heraus, und das Motorrad raste über den Freeway. Die Autos rauschten an ihm vorbei, der Wind schlug ihm ins Gesicht und strich durch sein Haar. Der Geruch des Waldes, der den Highway von Denton Valley, Colorado, säumte, erfüllte Aidens Sinne.
Es fühlte sich gut an. Die Geschwindigkeit, die Straße, die Kraft des Motorrads unter ihm. Aiden fixierte die nächste Kurve und nahm sie, ohne abzubremsen. Die schwere Maschine neigte sich unter ihm zur Seite, während er dahinraste und das Adrenalin genoss, das durch seine Adern strömte. Er brachte das Motorrad wieder in eine aufrechte Position und schlängelte sich zwischen zwei Autos hindurch, die nur wenige Kilometer pro Stunde über dem Tempolimit dahindümpelten.
Blaue Lichter blitzten in Aidens Seitenspiegel auf.
Scheiße. Aiden lenkte das Motorrad an den Straßenrand und versuchte ruhig zu bleiben. Wenn er nicht aufpasste, würde er seinen Führerschein verlieren … wieder einmal. Und das wäre in vielerlei Hinsicht ein Problem. Aiden schaltete den Motor ab und hielt seine Hände sichtbar auf dem Lenker, während der Beamte den Streifenwagen hinter ihm parkte und auf ihn zukam.
„Führerschein und Zulassung.“ Der Mann in Uniform sah unbeeindruckt von der Harley aus.
Aiden stieg von seinem Motorrad und griff in die Innentasche seiner Lederjacke, um die Dokumente zu übergeben.
„Wissen Sie, wie schnell Sie gefahren sind, Mr. … McDane?“
Aiden kratzte sich am Hinterkopf. Die Frage ergab für ihn keinen rechten Sinn. War es in den Augen der Polizei besser, unwissentlich zu schnell zu fahren oder sich der Überschreitung des Tempolimits voll bewusst zu sein? Aiden neigte den Kopf und blickte den Polizisten an. „Welche Antwort würde mich eher aus dem Schlamassel retten?“
Der Beamte starrte ihn über seine Sonnenbrille hinweg an.
Aidens Blick schoss plötzlich über die Schulter des Mannes in Richtung der kurvigen Straße, die er gerade entlanggefahren war. Er wusste nicht, was genau ihn dazu veranlasst hatte, sei es das Geräusch oder einfach nur sein sechster Sinn, den die Spezialeinheiten ihm eingeimpft hatten. Aber was auch immer es war, es lenkte seine ganze Aufmerksamkeit auf eine Corvette, die um die gleiche Kurve raste, wie er es gerade getan hatte. Mit der gleichen Geschwindigkeit. Und direkt auf den Offizier zusteuerte, der Aiden angehalten hatte.
Aiden stürzte sich nach vorne und umarmte den Beamten wie ein Bär.
Wie zu erwarten war, griff der Mann nach seiner Waffe. Mitten in der Bewegung legte Aiden seine Hand auf die des Polizisten und sorgte dafür, dass er die Waffe nicht ziehen konnte, während Aiden sie beide vom Straßenrand wegstieß, nur Sekunden bevor die Corvette Spuren an der Stelle hinterließ, an der der Beamte gestanden hatte.
Mit einem leisen Fluch ließ Aiden den anderen Mann los, trat einen Schritt zurück und hielt die Hände in die Luft. Das Gesicht des Polizisten hatte jegliche Farbe verloren und Aiden konnte den heftig schlagenden Puls an der Seite seines Halses sehen. Das war nicht gut. Aiden wusste besser als die meisten anderen, welche Impulse ein ‚Angriff‘ auslösen konnte. „Alles in Ordnung, Kumpel?“
Der Beamte blickte in Richtung der davonrasenden Corvette, sein Brustkorb hob sich unter heftigen Atemzügen, während er seinen Rücken durchdrückte und die Details der Corvette an einen Kollegen funkte. „Der Typ wird noch jemanden umbringen.“
„Dem kann ich nur zustimmen“, meinte Aiden. „Aber wenigstens waren es nicht Sie.“
Der Polizist blinzelte und konzentrierte sich wieder auf Aiden. „Wer zum Teufel sind Sie?“
Aiden deutete auf den Führerschein und die Zulassung, die der Polizist noch immer in der Hand hielt. „Aiden McDane. Auch bekannt als der Idiot, der schnell genug gefahren ist, um aufzufallen, und langsam genug, um erwischt zu werden.“
„Sie wissen, was ich meine“, brummte der Polizist.
Natürlich wusste er, was er meinte. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um einen Lebenslauf über seine Zeit bei den schottischen Spezialkräften herunterzubeten oder zu erklären, was ihn in die Staaten gebracht hatte. Also entschied er sich für die schnellste Antwort, die jedem in Denton Valley, Colorado, alles sagen würde, was er wissen musste. „Ich arbeite für Trident Security.“
Aiden parkte sein Motorrad direkt vor dem Café Italia, einer Eisdiele und Konditorei, die selbst jemand, der so anspruchsvoll war wie Dani Mason, was das Essen anging, zu schätzen wusste. Es war ihre unausgesprochene Abmachung: Solange Aiden neue Cafés fand, würde Dani sich dort mit ihm treffen – und Aiden konnte weiterhin so tun, als würde er nicht wirklich einen Psychologen aufsuchen. Es war hilfreich, dass Dani mit einem seiner besten Freunde verheiratet war und somit quasi zur Familie gehörte.
Aiden wählte einen Tisch im hinteren Teil des Lokals und bestellte für beide einen Eisbecher, zudem einen Milchkaffee für sich und für Dani ‚irgendein grünes Getränk, das als gesund gilt‘. Die Bestellung wurde gerade gebracht, als Dani das Lokal betrat.
Aiden stand auf und rückte den Stuhl für sie zurecht. „Ich habe etwas Grünes für dich bestellt. Es riecht nach Spinat, also wirst du es wahrscheinlich lieben.“
„Köstlich“, meinte Dani, nachdem sie sich gesetzt und einen Schluck getrunken hatte. „Und wie hast du dieses Café gefunden? Ein Produkt deiner Schlaflosigkeit?“
„Ich schlafe wie ein Baby.“
„Mit anderen Worten, du wachst alle paar Stunden in Tränen aufgelöst auf?“ Dani und Eli hatten zwei kleine Kinder zu Hause. Ihr Lächeln verblasste. „Ich meine es ernst, Aiden. Du hast eine einmonatige Gedächtnislücke, und obwohl man argumentieren könnte, dass es besser ist, sich nicht an die Details eines feindlichen Verhörs zu erinnern, haben wir es nicht mit einer chirurgischen Art von Amnesie zu tun. Dein Unterbewusstsein weiß sehr wohl, was passiert ist. Daher die nächtlichen Angstzustände. Die Angstattacken am Tag. Man muss in der Lage sein, sich langsam mit solchen Tatsachen auseinanderzusetzen, um sie hinter sich lassen zu können.“
Aiden hatte dem Ganzen nichts entgegenzusetzen, obwohl er sich aus einem anderen Grund erinnern wollte. Die Männer, die in gefangen gehalten haben, waren nie gefasst worden. Sobald er herausgefunden hatte, wer sie waren, würde er die Bastarde jagen und töten. „Zu schade, dass es nicht eine Art Elektroschock gibt, der alles aus dem Gleichgewicht bringt“, murmelte er. Er hob rasch kapitulierend die Hände, als Dani diesen gewissen Blick aufsetzte. „Ja, ja. Ein paar Paracetamol helfen, ein ganzes Fläschchen hingegen zerstört die Leber. Ich kenne die Analogie.“
„Ein alter Hut, aber gut.“ Sie nahm trank weiteren Schluck von ihrem grünen Smoothie. „Genug geplaudert. Zurück zum Thema. Sprich.“
„Ich erinnere mich an die Details des Einsatzes. Meine Einheit ist normalerweise nicht im afghanischen Raum aktiv, aber wir wurden zu Trainingszwecken entsandt. Ich war zur Aufklärung unterwegs.“
„Allein?“
„Ja.“ Aidens Hand schloss sich um seinen Kaffee. Sie waren das alles schon einmal durchgegangen und hatten sich der Erinnerung aus verschiedenen Blickwinkeln genähert. Es fiel ihm jedes Mal ein wenig leichter, die Worte auszusprechen. „Es war mehr ein Kartierungseinsatz als etwas anderes. Es gab keine bekannten Feinde in diesem Sektor. Überhaupt keine einheimischen Gruppen. Zumindest sollte es so sein. Ich geriet in einen Hinterhalt. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ein Team kam, um mich rauszuholen.“
„Erinnerst du dich an irgendwelche Einzelheiten der Rettung? Versuch dich daran zu erinnern, ob du das Team hast sprechen hören. Hatten sie einen amerikanischen Akzent? Einen schottischen? War es deine Einheit?“
Aiden schloss die Augen, aber er sah nur Dunkelheit. Er hörte nur Stille. „Ich weiß es nicht“, gab er zu. „Ich weiß, dass es nicht meine Einheit war, weil sie es mir gesagt hätten, geheim oder nicht. Aber das, was nach der Rettung geschah, bis ich im Krankenhaus eintraf, ist ebenfalls nur verschwommen in meinem Kopf. Die Ärzte sagten, meine Wunden stimmten mit denen eines Verhörs überein.“ Sie sagten auch, dass er eigentlich schon längst hätte tot sein müssen, wenn da nicht die Antibiotika gewesen wären, die man ihm verabreicht hatte. „Die Bastarde hatten mir Medikamente gespritzt, um sicherzustellen, dass ich länger überlebe.“ Zorn breitete sich in Aiden aus, seine Knöchel traten weiß hervor, als er sich an die Tischplatte klammerte.
Dani blickte auf seine Hände hinunter. „Du bist wütender, wenn du über den Arzt deiner Entführer sprichst, als über denjenigen, der dich verhört hat. Woran denkst du liegt das?“
„Wenn es jemanden gäbe, dessen Aufgabe es wäre, deinen Körper bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit zu treiben, wärst du dann nicht auch wütend auf ihn?“
Dani zeigte mit ihrem Löffel auf ihn. „Versuch nicht, den Spieß umzudrehen. Du bist nicht mein erster oder letzter Freund bei den Special Forces. Wenn mich jemand zwingen würde, ein paar Kilometer zu laufen, wäre ich auch ziemlich sauer, aber ihr Jungs nehmt jeden Morgen eine gewisse Menge Schmerz mit eurem Kaffee zu euch. Also. Beantworte die Frage.“
Aiden rutschte auf seinem Platz hin und her, das Café kam ihm plötzlich zu klein vor. Zu heiß. „Ich weiß es nicht. Es ist einfach so. Ich weiß nicht, warum. Ich weiß nicht mehr, warum. Ich erinnere mich nicht einmal …“ Er brach ab, die Muskeln an seinem Kiefer spannten sich an.
Dani berührte seine Hand. „Sag es mir.“
Aiden stieß einen irritierten Atemzug aus. „Du hast mich eben nach Akzenten gefragt. Gelegentlich gibt es in meinen Träumen Stimmen. Aber sie sprechen alle perfekt Englisch. Amerikanisches Englisch.“
„Was für eine Rolle spielt das für dich?“
„Weil es bedeutet, dass mein Verstand verdammte Spielchen spielt. Die SEALs haben mich ganz sicher nicht entführt und gefoltert, Dani. Es bedeutet, dass all diese Versuche, meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, alles, was wir tun, verdammt nutzlos ist.“ Er legte die Hände flach auf den Tisch und atmete tief ein, als er versuchte seine Stimme zu beruhigen und seine Haltung zu entspannen. Mit Dani zu reden war nicht nutzlos. Es war nur verdammt schwierig. „Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anschnauzen.“
„Doch, das wolltest du. Aber Wut und Zweifel sind Teil des Prozesses.“ Sie löffelte genüsslich ihr Eis. Diesen Trick wandte sie oft an, wenn sie der Meinung war, dass Aiden ein paar Momente der Ruhe brauchte. Dann setzte sie zum nächsten Angriff an. „Apropos Prozesse, wie läuft es mit deinen Cousins? Ich habe gehört, dass Cassey das North Vault für Liam leiten wird.“
Aiden lehnte sich in seinem Stuhl zurück und stöhnte. „Das wird er. Es war für den Mistkerl nicht schwer gewesen, Liam davon zu überzeugen. Zwischen Jaz’ Schwangerschaft und der bevorstehenden Hochzeit ist Liam mit seinen Gedanken ganz woanders. Briar überlegt noch, was er machen will, aber er wird keine großen Probleme haben, einen Job zu finden.“
Die Zwillinge, Cassey und Briar, waren gerade aus der Delta Force ausgeschieden. Nachdem sich die Nachricht von Trident Security wie ein Lauffeuer in den Special Forces verbreitete und Aiden hier war, hatten die beiden beschlossen, Denton Valley eine Chance zu geben.
„Wie war das Wiedersehen?“
„Unangenehm. Sie wissen, was mit mir passiert ist, also ist es ein ziemlich heißes Eisen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie anfangen, mich damit zu löchern.“ Er rieb sich das Gesicht. Er hatte Schottland verlassen, um den bohrenden Fragen seiner Familie zu entgehen, und nun war ihm seine Familie bis hierher gefolgt.
„Vielleicht sollten wir ihnen etwas Anerkennung entgegenbringen, bevor wir sie als Wichtigtuer verurteilen? Vielleicht leiden sie nach Delta an Depressionen.“
„Vielleicht“, stimmte Aiden zu. „Vielleicht erlaubst du Eli auch, Ella ein Schlagzeug zu schenken. Es ist nur verdammt unwahrscheinlich.“
„Ich habe einen neuen Auftrag für dich“, sagte Liam und betrat Aidens Büro bei Trident Security and Rescue. „Und nein, die Tatsache, dass du mir heute im Training in den Hintern getreten hast, hat nichts damit zu tun.“
Trotz der Vorrede wurde Aiden hellhörig. Trident Security war eine erstklassige Firma, deren Geschäft sich auf den Schutz von Personen in Risikosituationen konzentrierte. In den letzten sechs Monaten hatte Aiden die Freilassung einer Geisel in Mexiko ausgehandelt, war mit einem Kunden nach Mittelamerika gereist, um sicherzustellen, dass der Mann nicht entführt wurde, und hatte für eine Polizeieinheit in Colorado einen Kurs über Waffen und Taktik geleitet. Das alles hielt ihn auf Trab. Und es gefiel ihm, viel zu tun zu haben.
„Tara Northpoint.“ Liam reichte Aiden eine Akte mit einem Foto einer attraktiven Rothaarigen Mitte zwanzig, das auf der Vorderseite angeheftet war. „Wir müssen sie finden.“
Aiden blätterte um und fand ein weiteres Foto. Dieses sah aus wie ein Überwachungsfoto und zeigte Tara in einer Art taktischer Ausrüstung, obwohl keine Abzeichen auf der Uniform zu sehen waren. Seine Hand verharrte auf dem Foto der jungen Frau, die konzentriert nach links schaute. Obwohl er sie noch nie zuvor gesehen hatte, hatte die Kraft ihres Blicks etwas Elektrisierendes an sich, etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte.
„Weiß Tara, dass man nach ihr fahndet?“, fragte Aiden. Trident übernahm die Fälle vermisster Erwachsener, da die Polizei sie zu ignorieren schien. Dennoch kam es vor, dass eine Person aus freien Stücken verschwand, und nicht weil sie in Gefahr war. In diesen Fällen würde Trident keine Rückkehr erzwingen.
„Oh, sie weiß es“, antwortete Liam grimmig. „Da gegen sie ein Haftbefehl vorliegt. Wegen Mordes.“
Aiden riss seine Aufmerksamkeit von der Akte los. „Sind wir jetzt zu Kopfgeldjägern geworden?“
„Nein, aber Tara Northpoint ist eine Agentin von Obsidian Ops. Oder besser gesagt war sie es.“
Obsidian Ops war nicht nur der böse Zwilling von Trident Security, sondern hatte auch Liams Verlobte fast umgebracht. Das war etwas Persönliches.
„Letzten Monat war Tara Teil eines Zwei-Mann-Teams bei einem Job in Denver. Irgendetwas ging schief, und sie sprengten den Sicherheitskontrollpunkt der Denver Research Group in die Luft – zusammen mit den Wachen, die sich darin befanden.“
„Scheiße.“ Der konzentrierte Blick auf dem Foto bekam eine neue Bedeutung. „Was ist mit ihrem Partner passiert?“
„Er starb bei der Explosion. Das nenne ich mal Karma. Tara hingegen ist auf und davon. Laut den Leuten vom Geheimdienst ist sie in Las Vegas.“
Aiden blickte wieder auf die Akte. „Sie ist jetzt eine Bürde für Obsidian. Sie werden ebenfalls hinter ihr her sein.“
Liam nickte. „Deshalb ist es deine Aufgabe, sie zuerst zu finden und hierher zurückbringen. Tara Northpoint wird ins Gefängnis gehen – und sie wird Obsidian mit in den Abgrund reißen. Sie weiß es nur noch nicht.“
Tara
Tara Northpoints ölverschmierte Finger glitten über den kräftigen, behaarten Rücken von Big Nose Rolex Wrist, dessen richtiger Name eigentlich Harvey – oder vielleicht Pauly – war, und konzentrierte sich auf die Musik, die sie aufgelegt hatte, um das genüssliche Stöhnen zu übertönen, das der Mann von sich gab, während sie ihn massierte. Harvey – oder Pauly – war dumm, reich und mehr als nur ein bisschen betrunken von dem kostenlosen Alkohol, den ihm das Casino unten immer wieder gebracht hatte. Genau die Art von Mann, nach der Tara den ganzen Tag über gesucht hatte.
„Machst du das öfter?“ Harveys Worte wurden vom Kopfkissen gedämpft. Selbst diese Bruchbude von einem Hotel in Las Vegas hatte kein Problem damit, Massagetische in die Zimmer zu bringen. „Du hast sehr geschickte Hände. Finger … Fingerfertig. Wie war nochmal dein Name?“
„Bunny.“
„Das ist nicht dein Name.“ Er klang stolz auf sich, weil er sich so viel zusammengereimt hatte.
„In Las Vegas aber schon.“ Tara ließ ihre Hände über seine Schultern gleiten. „Ich mag ihn. Ich finde, er passt zu mir. Findest du nicht auch, dass Bunny zu mir passt?“ Angesichts der Tatsache, dass sie gerade wie ein Hase vor einem Rudel Wölfe davonlief, passte der Name besser, als Big Nose sich vorstellen konnte.
Tara war sich nicht ganz sicher, wann sich ihr Leben in die jetzige Version der Hölle verwandelt hatte. Obwohl es eine philosophische Debatte war, ob die Situation auf einen einzigen Auslöser zurückgeführt werden konnte. Es gab den offensichtlichsten: als Obsidian Ops sie von der Straße aufgelesen und ihr Essen und Unterkunft angeboten hatte. Mit acht Jahren verstand sie nicht, was Schuldknechtschaft bedeutet und worauf sie sich einließ. Dann gab es das große Aha-Erlebnis vor sechs Jahren, als Obsidian sie zur Unterstützung eines Verhörungsteams nach Afghanistan schickte. Und dann war da natürlich noch die letzte Katastrophe, als Ray Brushings beschlossen hatte, in der Denver-Forschungsanlage Gott zu spielen und ihre Berechnungen der explosiven Materialien zu ignorieren. Unschuldige Menschen waren gestorben. Von da an gab es kein Zurück mehr. Nicht einmal zurück zu Obsidian Ops. Zumindest nicht für sie.
Ray war anderer Meinung gewesen und eilte zurück, um seine lebenslange Loyalität im Austausch für Obsidians Schutz zu versprechen. Soweit es die Behörden betraf, war Ray Brushings bei der Explosion ums Leben gekommen, seine Überreste konnten nur anhand von DNA-Spuren identifiziert werden. Obsidian stellte normalerweise sicher, dass die DNA seiner Mitarbeiter nicht im nationalen Register gespeichert war. Dennoch hatten sie vorsichthalber einen alten Datensatz in das System eingespeist, um sicherzustellen, dass die Ermittler einen Abgleich vornehmen konnten.
Tara, die nach dieser letzten Aktion nicht mehr zu Obsidian zurückkehren wollte, war eine vom Staat Colorado wegen Mordes gesuchte Flüchtige.
Auf dem Massagetisch murmelte Big Nose etwas Unanständiges. Tara nahm den Gesprächsfaden auf und lenkte ihn entschlossen von seinen Andeutungen ab, was sie sonst noch mit ihren Händen tun könnte. Die dreihundertzwanzig Dollar, die Harvey in seiner Brieftasche gehabt hatte, als sie das erste Mal auf sein Zimmer gekommen waren, hatte sie bereits in der Tasche, aber das war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sie brauchte dreißigtausend, um das Land verlassen zu können. Wenn sie es so lange schaffte.
Apropos Zeit … Tara entfernte sich vom Tisch. „Die Zeit ist um, Großer.“
„Jetzt schon? Aber zum guten Teil bist du noch gar nicht gekommen.“ Harvey drehte sich auf den Rücken, wobei das straffe Laken, das seine Taille bedeckte, wenig Zweifel daran ließ, an welchen Teil er gerade dachte. „Ich habe dir nicht fünfzig Dollar bezahlt, nur um meinen Rücken zu kitzeln.“
Stimmt. Eigentlich hatte er dreihundertzwanzig bezahlt, er wusste es nur noch nicht. Tara schnalzte mit der Zunge. „Wir haben uns auf hundert geeinigt, heißer Feger.“
Harvey grinste und zeigte ein Paar Goldzähne, die in ihrer gelben Farbe fast zum Rest seines Mundes passten. „Ich wollte dich nur testen.“ Er ließ das Laken auf den Boden fallen, watschelte mit nacktem Hintern dorthin, wo er seine Kleidung abgelegt hatte, und griff nach seiner Brieftasche. Er öffnete das feine Leder und zog einen Geldschein heraus.
Tara trat mit einem Lächeln vor, das sich in Bestürzung verwandelte. „Was ist das?“
„Der andere Hunderter …“ Harvey runzelte die Stirn über den Ein-Dollar-Schein, den er in der Hand hielt. Das war ein Trick, den Tara schon früh gelernt hatte. Wenn jemand seine Brieftasche leer vorfand, suchte er nach einem Dieb. Wenn er feststellte, dass die Scheine nicht dem entsprechen, was er annahm, geben sie sich selbst die Schuld. Harvey zog den Schein zurück und kramte in seinem restlichen Bargeld. Ein paar weitere Ein-Dollar-Scheine und ein schmuddeliger Fünfer, wenn Tara sich richtig erinnerte.
„Was zum Teufel?“, murmelte der Mann.
„Kein Problem, das kommt vor“, rief Tara hinter Harvey, dann verschwand sie im Badezimmer. „In der Lobby gibt es einen Geldautomaten. Ich warte hier und mache mich ein bisschen frisch, während du das klärst.“
An diesem Punkt gab es für ihre Zielpersonen nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie machten sich aus dem Staub oder sie besorgten mehr Geld. Für beides mussten sie ihre Hose anziehen und das Zimmer verlassen, also war es Tara egal, was Harvey gerade im Sinn hatte. Sie hatte ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache, und sobald er das Zimmer verlassen hatte, würde sie es ebenfalls tun.
Tara ging ins Bad, wo sie ihre Sachen abgestellt hatte, und schlüpfte von einem nuttigen Kleid in eine dehnbare Bootcut-Hose und ein Crop-Top. Sie setzte ihren Rucksack auf und lauschte an der Tür, als Harvey herumstolperte und versuchte, seine Hose hochzuziehen.
Doch dann änderten die Geräusche abrupt ihr Muster. Wo normalerweise das Herumhüpfen, das Geräusch des Reißverschlusses und Flüche zu hören waren, wenn der Mann versuchte, seine Schuhe anzuziehen, waren jetzt schwere Schritte zu hören. Anstatt zur Eingangstür zu gehen, schlenderte Harvey auf das Badezimmer zu. Einen Moment später stieß er gegen die geschlossene Tür.
Sie knarrte, und jeder Muskel in Taras Körper spannte sich an.
„So willst du es also? Du magst es, ein bisschen gejagt zu werden?“ Ein widerliches Lachen ertönte auf der anderen Seite der Tür. „Na gut. Mit solchen Spielchen kenne ich mich aus.“ Er schlug mit der Faust zu, seine Stimme war tief und bedrohlich. „Mach auf, Schlampe. Zwing mich nicht, dich zu holen.“
„Ich spiele keine Spielchen, Harvey“, sagte Tara. „Weder ‚schwer zu haben‘ oder ‚jagen‘ oder sonst was. Unsere Sitzung ist vorbei. Wenn du freundlicherweise den Rest des Geldes holen könntest …“
Rums!
Harvey stieß mit der Schulter so fest gegen die Tür, dass die Scharniere ächzten. Einmal. Zweimal. Beim dritten Schlag gab das altersschwache Schloss nach.
Tara sprang von der Tür weg, als Harvey in seiner ganzen nackten Pracht auf der Schwelle erschien. Da er den Kampf mit seiner Hose offenbar aufgegeben hatte, stand der Mann nun in Schuhen und sonst nichts da, und der Geruch von Alkohol, Schweiß und Lavendel-Massageöl erfüllte das geflieste Badezimmer.
„Also, wo haben wir aufgehört?“ Harvey griff nach Taras Oberarm und zog sie zu sich heran, seine freie Hand packte ihre linke Brust und drückte sie schmerzhaft zusammen. Obwohl er nicht bewaffnet war, erschien die schiere Masse des Mannes mit seinen einhundertzwanzig Kilo gefährlich.
Mit einem geübten Ruck befreite sich Tara aus dem festen Griff des Arschlochs und presste dann beide Hände gegen seine. Ihr Herz pochte. Der Gestank, der sich mit der Verlangsamung der Zeit noch zu verstärken schien, schnürte ihr die Kehle zu. Mit angehaltenem Atem verlagerte Tara ihr Gewicht, um Harveys Handgelenk zu verdrehen, und stemmte ihr gesamtes Gewicht dagegen.
Das Geräusch von brechenden Knochen erfüllte das Badezimmer. Harvey krümmte sich und heulte auf. Tara schnappte sich ein Handtuch vom Regal und presste es ihm auf den Mund, dann stieß sie ihn mit dem Fuß rückwärts zu Boden.
„Jetzt hör mir mal genau zu.“ Ihre Stimme war ruhig, obwohl ihr Herz raste, während sie ihm den Knebel in den Mund stopfte. „Entweder bist du ein Freier, der von einer kleinen Masseuse, die du vergewaltigen wolltest, den Hintern versohlt bekam, oder du bist auf den Fliesen des Hotels ausgerutscht und hast dir die Hand gebrochen. Solltest du dir dich für Option A entscheiden, wirst du wahrscheinlich verhaftet, im Falle von Option B bekommst du vielleicht ein kostenloses Zimmer. Verstehst du, worauf ich hinauswill?“
Harvey nickte, seine Augen waren weit aufgerissen und ein stechender Geruch rieselte an seinem dicken Oberschenkel entlang.
Tara musste würgen, obwohl sie an viel Schlimmeres gewöhnt war als an eine schwache Blase.
„Gut“, sagte sie schließlich. „Du bist also hingefallen, nicht wahr?“
Er nickte erneut.
Sie stand auf, schnappte sich ihren Rucksack und ging rückwärts zur Tür. „Wenn du hörst, wie sich die Tür hinter mir schließt, zählst du bis hundert und dann kannst du aufstehen.“
Es kostete Tara all ihre Willenskraft, nicht loszusprinten, als sie in den Flur und durch die Hintertür hinausschlüpfte. Sie war hier fertig. Morgen würde sie sich einen neuen Ort zum Auskundschaften suchen müssen. Vielleicht würde sie eine Pause von den Casinos einlegen und sich etwas anderes suchen. Weniger Geld, aber sicherer. Der Gedanke daran war nicht unbedingt aufbauend, aber sie hatte keine andere Wahl. Sie würde keine Wahl haben, bis sie das Geld hatte, das sie brauchte. Als Tara an einem Müllcontainer vorbeikam, erlaubte sie sich einen Moment der Schwäche und lehnte sich dagegen, bevor sie zu dem Gebrauchtwagen lief, der momentan ihr Zuhause war.
Das war Karma. Sie bekam, was sie verdiente. Aber verdammt noch mal, sie war noch nicht bereit, aufzugeben. Irgendwie würde Tara einen Weg finden, zu überleben.
Tara
Tara zog ihre Beine an sich und starrte auf das Prepaid-Handy, das sie im Walmart gegen Bargeld gekauft hatte. Ihre Finger schwebten über den Tasten. Draußen umhüllte die unerbittliche Hitze Nevadas das Auto, und der Schweiß durchnässte Taras Kleidung. Alles in ihr sträubte sich dagegen, den Anruf zu tätigen, aber das eine hartnäckige Fünkchen Hoffnung hatte sie das Telefon wieder in die Hand nehmen lassen. Sie schluckte hart und wählte eine auswendig gelernte Nummer.
„Ralfs Pizza“, sagte eine vertraute tiefe Stimme am anderen Ende. Lucius. Der Kommandant von Obsidian Ops, die einzige Person in Taras Leben, die jemals so etwas wie eine Vaterfigur dargestellt hatte. Nachdem sie nach der Explosion in Denver verschwunden war, hatte sie mit niemandem mehr von Obsidian gesprochen, und es war durchaus möglich, dass dieser Anruf ein Selbstmord war. Aber sie war so allein, dass selbst das sie nicht aufhalten konnte. Am anderen Ende der Leitung räusperte sich Lucius verärgert und wiederholte die Forderung nach einem Password. „Hallo? Kann ich Ihre Bestellung aufnehmen?“
„Drei große mit einer streunenden Ratte“, antwortete Tara. Hier ist Tara Northpoint. Ich stecke in Schwierigkeiten.
„Verdammt“, fluchte Lucius. „Hast du deinen gottverdammten Verstand verloren?“
„Ich … ich brauche Hilfe. Ich habe sonst niemanden, den ich anrufen kann.“
„Und deswegen hast du beschlossen, mich anzurufen? Das ist selbst für deine Maßstäbe dumm. Hör gut zu, denn ich werde es nur einmal sagen. Verschwinde aus diesem Land. Wirf das verdammte Telefon weg, und ich werde meines zerstören. Ich bin nicht für die Aufräumarbeiten in Denver zuständig, aber wenn ich das nächste Mal auch nur deine Fährte aufnehme, werde ich den verdammten Anruf persönlich zurückverfolgen und dir eine Kugel in den Kopf jagen. Hast du mich verstanden?“
Tränen brannten in Taras Augen, dennoch hielt sie sie eisern zurück, als sie die Verbindung beendete. Natürlich würde Lucius ihr nicht helfen. Die anderen Mitglieder, die Obsidian Ops rekrutierte, waren ehemalige hochqualifizierte Militärspezialisten, die meistens eine unehrenhafte Entlassung hinter sich hatten. Lucius hatte sie als Streunerin auf der Straße aufgelesen. Ein Fall von Wohltätigkeit. Sie war immer zweitklassig gewesen. Eine Dienerin der Kämpfer und Profis. Zu glauben, dass Lucius ihr irgendwie helfen würde, jetzt wo sie nichts weiter als eine Belastung war, war dumm gewesen.
Sie riss sich zusammen, stieg aus dem Auto und bückte sich, um der streunenden Katze, die auf dem verlassenen Parkplatz lebte, eine Scheibe Speck von ihrem Sandwich zu geben. Sie konnte auch ohne überleben, und für die Katze wäre es eine gute Mahlzeit.
Der orangefarbene Kater – den Tara Overlord getauft hatte, obwohl sie es besser wusste, Streunern keine Namen zu geben – lugte lange genug hinter einem dürren Busch hervor, um sich das Fleisch zu schnappen und sofort damit davonzuhuschen. Er war ein kluger Kerl und wusste, dass man einem Menschen nur bis zu einem gewissen Punkt vertrauen sollte. Sie sollte sich von ihm etwas abschauen.
Zwei Stunden später, nachdem sie sich auf einer McDonalds-Toilette eine Katzenwäsche gegönnt hatte, trat Tara ihre Schicht im Rural Minnesota an – einem Restaurant abseits der Hauptstraße, wo sie als Aushilfe eingestellt worden war. Nach dem Vorfall mit Harvey letzte Woche hatte sie beschlossen, sich für eine Weile von Casinos fernzuhalten. Die Bezahlung im Rural war nicht die beste, aber der Besitzer stellte nur wenige Fragen und erlaubte ihr, die nicht aufgegessenen Mahlzeiten der Gäste selbst zu verspeisen. Es war bezeichnend, dass der Besitzer die halb aufgegessenen Mahlzeiten als Vergünstigung anbot.
Tara setzte ein fades Lächeln auf und stellte einen Teller mit Kartoffelpüree und Hähnchenkeulen vor einer besorgt dreinblickenden Mutter und ihrem Jungen im Vorschulalter ab, der sich hungrig darauf stürzte. Die Mutter sah zu, wie das Kind jeden Bissen verschlang, nahm aber selbst nichts von dem Essen zu sich. Tara erkannte den Gesichtsausdruck der Frau, genauso wie sie wusste, was die fingerabdruckähnlichen blauen Flecken am Handgelenk der Frau verursachte.
Um den Blick nicht so lange auf Mutter und Kind richten zu müssen, brachte Tara die nächste Mahlzeit, einen großen Burger, zu einem Mann, der an einem Tisch gegenüber saß und stellte ihn neben seinem Bier ab. Sie schnappte sich den Bestellschein unter dem Teller, machte schnell ein paar Striche darauf und winkte mit dem Papier, um die Aufmerksamkeit des Kochs zu erregen.
„Hey, Henry, Tisch vier war ein Burger-Special.“ Der Unterschied betrug nur ein paar Dollar, und angesichts der Mengen an Alkohol, die der Mann konsumierte, war sie sich sicher, dass er es sowieso nicht bemerken würde. „Hast du den Beilagensalat, die Pommes und das Getränk für Tisch vier?“
Der Koch runzelte die Stirn. „Shit. Das habe ich übersehen.“
„Kein Problem, ich kann den Teller schnell zusammenstellen.“ Sie schnappte sich das Essen – zusammen mit einer Extraportion Brot und Butter – und kehrte zu der Mutter und dem kleinen Jungen zurück. „Das gehört zum Essen dazu“, sagte Tara zu der Frau, die den Mund zum Protest geöffnet hatte. „Es kostet nichts extra. Sie können es genauso gut behalten.“
Tara wandte sich ab, bevor sie mit ansehen musste, wie sich die Emotionen auf dem Gesicht der Mutter ausbreiteten, und ging zum hinteren Tisch, an dem ein Mann mit einem breiten Rücken Platz genommen hatte. „Willkommen in Rural Minnesota. Mein Name ist Delaney“, sagte Tara mit dem Hauch des Südstaatenakzents, den sie sich angewöhnt hatte, und holte Stift und Block aus ihrer Tasche. „Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?“
Der Mann wandte sich ihr zu.
Er sah mehr als gut aus, er war verdammt attraktiv. Die schwarze Motorradjacke, die er über einem weißen T-Shirt trug, war abgenutzt und verdeckte kaum die geschliffene Tödlichkeit seines Körpers, während er die laminierte Speisekarte unter die Lupe nahm. Sein Gesicht war ebenso fesselnd. Kurz geschnittenes rotes Haar, ein paar Bartstoppeln, die sein kantiges Kinn umrissen, und ein paar Sommersprossen, die bei jemand anderem albern aussehen würden, ihn aber irgendwie männlich wirken ließen. Durchdringend blaue Augen, die trotz des düsteren Raumes zu funkeln schienen.
Taras Magen drehte sich bei der Vertrautheit um. Diese Augen. Dieser Körper. Die verdammten Sommersprossen. Es war natürlich unmöglich, dass sie diesen Mann schon einmal getroffen hatte. Quartz – sie hatte den richtigen Namen des rothaarigen, blauäugigen Gefangenen, den Obsidian Ops in Afghanistan gefangen genommen hatten, nie erfahren – hatte wahrscheinlich nicht überlebt, in Anbetracht der Tatsache, was sie ihm angetan hatten. Außerdem stammte der Mann aus Schottland. Noch wichtiger war, dass dieser Restaurantgast nicht versuchte, Tara die Kehle durchzuschneiden, was Quartz sicherlich tun würde, sollte er sie jemals in die Finger bekommen.
Taras Verstand spielte mit ihr, so wie er es manchmal tat.
„Eine Tasse Kaffee wäre super, danke.“ Der schottische Akzent des Mannes jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Was empfehlen Sie zum Mittagessen?“
„Der, ähm, Burger ist gut.“ Sie verstärkte ihren Südstaaten-Akzent zurück. Ihr Puls beschleunigte sich.
Der Kunde sah auf und musterte sie, sein großer, muskulöser Körper schien auf dem wackeligen Stuhl fehl am Platz zu sein. „Sehr gut. Dann nehme ich das.“
Tara schenkte ihm ein kurzes Lächeln und wollte sich gerade zum Gehen wenden.
„Warten Sie.“ Er streckte eine Hand aus, sein Finger berührte ihr Handgelenk.
Jeder einzelne Nerv in Taras Körper erwachte, ihr Herz schlug bei seiner Berührung schneller. Er ist es nicht. Er kann es nicht sein.
Sie entzog ihre Hand aus seiner Reichweite, trat einen Schritt zurück und stieß gegen den Tisch hinter ihr. Die Ketchupflasche kippte um. Zum Glück saß dort niemand, und Tara konnte schnell auf die andere Seite des Tisches gehen, um die Flasche zurechtzurücken – und ein zusätzliches Hindernis zwischen den Mann und sich zu bringen.
„Haben Sie auch Taramisu?“, fragte der Mann.
Bittere Galle stieg ihr in die Kehle. Hatte er Tiramisu gesagt? Oder Taramisu?
„Tut mir leid, so etwas haben wir nicht im Angebot. Aber ich empfehle den Schokoladenkuchen.“ Eigentlich würde sie den niemanden empfehlen. Das Ding war fünf Tage alt.
Der Mann steckte die Hand in seine Jackentasche. „Das ist bedauerlich. Ich werde über den Kuchen nachdenken.“
„Gerne.“ Sie entfernte sich so schnell wie möglich von dem Mann, in der Hoffnung, nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen. Die blauen Augen und die Sommersprossen. Der Geist von einem anderen Kontinent.
„Alles in Ordnung, Delaney?“, fragte der kleine Koch von der anderen Seite des Servierfensters, wo Hitze und der Gestank von Öl schwer in der Luft hingen.
Tara bemerkte, dass sie mit ihrem Bestellblock in der Hand stehen geblieben war und in Erinnerungen versunken vor sich hin starrte. „Tut mir leid, Henry. Ich habe ein bisschen Kopfschmerzen.“
„Das Omelett für Tisch zwölf ist fertig.“
Tara zwang sich wieder in die Gegenwart zurückzukehren. „Kannst du Mary-Ann bitten, es zu bringen? Ich gehe mir das Gesicht waschen. Außerdem hat der Mann an Tisch fünfzehn einen Burger bestellt.“
„Klar doch.“
Tara eilte in den Korridor auf der anderen Seite des Küchenfensters und machte sich auf den Weg zu den Toiletten. Sie mochte die Toiletten. Schließlich gab es ein Fenster zur hinteren Gasse.
Taramisu. Vielleicht – wahrscheinlich – ganz sicher – war es ein Trick seines Akzents. Ihre eigene Einbildung. Geister gab es genauso wenig wie Zufälle. Aber dennoch bestand die Möglichkeit. Und eines hatte Tara bei Obsidian Ops gelernt: Möglichkeiten durfte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Nicht, wenn sie überleben wollte.
Tara klappte das Badezimmerschloss zu. Da das Ding nicht einmal ein entschlossenes Kleinkind aufhalten würde, schob sie zusätzlich einen Keil unter die Tür, bevor sie auf die Toilette kletterte. Tara holte das Multitool heraus, das sie immer bei sich trug, wählte einen Schraubenzieher und machte kurzen Prozess mit dem Fensterschloss.
Selbst wenn dieser Mann Quartz war, war Tara nicht mehr dieselbe verängstigte, nutzlose Achtzehnjährige, die sie vor sechs Jahren gewesen war. Seitdem hatte sie gelernt, ihre Hände und ihren Körper zu benutzen. Zum Schlösserknacken. Zum Kämpfen. Und für andere Dinge.
Das Fenster löste sich leise. Nachdem sie den Rahmen niedergelegt hatte, hievte sich Tara hindurch, klammerte sich an den Rahmen und ließ sich leicht in die Gasse fallen. In Gedanken verabschiedete sie sich von Rural Minnesota und dem Gehaltsscheck, den sie jetzt nicht bekommen würde, und sprintete durch die Schatten zum Ende der Gasse. Rechts und links von ihr zogen Müllcontainer und hohe Rückwände von Steingebäuden vorbei. Aber es waren keine Menschen zu sehen. Allein der Gestank hielt Menschen fern von diesem Ort.
Sie hatte gerade die Ecke erreicht, als ihr etwas Großes und Metallisches den Weg versperrte. Als sie ruckartig zum Stehen kam, erkannte Tara, dass es sich um ein Harley-Motorrad handelte. Und darauf saß der Mann aus dem Restaurant.
Scheiße.
Aiden
Aiden war froh, dass seine Leber eine gute Alkoholresistenz und er ein noch besseres Auge für Billard hatte, denn nach fast einer Woche, in der er dreimal täglich eine Bar besuchte, hatte er beide Fähigkeiten strapaziert. Ehrlich gesagt hatte er langsam genug von Liams Katz-und-Maus-Spiel. Die Kombination aus gut platzierten Bestechungsgeldern, Polizeiberichten und Kontakten zum Casino-Sicherheitsnetz, die Trident Security gepflegt hatte, erbrachte alle die gleichen Informationen: eine Frau, auf die die Beschreibung von Tara Northpoint passte, hielt sich irgendwo in Las Vegas auf. Allerdings hielt sie sich nicht lange an einem Ort auf. Laut den besten Informationen hatte sie vor Kurzem im Hooligan Hotel und Casino Chaos angerichtet und war seitdem nicht mehr zurückgekehrt. Weniger zuverlässige Informanten hatten sie angeblich an einem Dutzend anderer Orte gesehen, darunter mindestens einer in Alaska.
Aiden hatte zunächst ein Profil der Hooligan-Kundschaft erstellt und die Runde in ähnlichen Etablissements gemacht. Ein Drink, etwas Billard, ein Gespräch mit den Barkeepern. Aber nichts. Vor zwei Tagen hatte er schließlich einen Hinweis auf ihr Auto bekommen, was ihn zu einem heruntergekommenen Lokal mit dem absurden Namen Rural Minnesota führte. Am hinteren Tisch sitzend, beobachtete Aiden über einen kleinen Spiegel zwei junge Frauen in Kellnerinnen-Uniform. Mary-Ann und Delaney, so stand es auf den Namensschildern.
Delaneys kurz geschnittenes schwarzes Haar passte nicht zu Taras Profil, ebenso wenig wie ihr Südstaaten-Akzent, aber beides konnte man vortäuschen. Die Art und Weise, wie sie einer hungrigen Mutter eine Mahlzeit unterschob, war jedoch ein seltsamer Zug für eine kaltblütige Mörderin. Falls sie es war.
Als er sah, wie die Kellnerin sich seinem Tisch näherte, legte Aiden den Spiegel weg. Es war an der Zeit, sich ein Bild zu machen.
„Willkommen in Rural Minnesota. Mein Name ist Delaney.“ Als die Frau einen Notizblock aus der Tasche holte, konnte Aiden ein Stück verfärbte Haut in der Nähe des Haaransatzes sehen. Haarfarbe. Sie hatte sich die Haare gefärbt. „Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?“
Er blickte auf, um sie besser ansehen zu können, und aus irgendeinem Grund verkrampfte sich sein Magen. Obwohl er Tara bisher nur auf Fotos gesehen hatte, durchfuhr ihn beim Anblick ihrer durchdringenden Augen ein Gefühl der Vertrautheit. Vielleicht lag es an der Woche, die er damit verbracht hatte, die kleine Katze zu jagen, oder daran, dass sie die Art von schönem, wachem Gesicht hatte, die ein Feuer in der Seele eines Mannes entfachte. Die schiere Präsenz dieser Frau überspülte ihn wie eine Flutwelle aus Adrenalin. Von Elektrizität.
Delaneys – Taras – Augen weiteten sich und ihr Gesicht verlor jegliche Farbe. Als ob sie irgendwie gespürt hätte, dass er der Jäger war, der sie verfolgte.
„Eine Tasse Kaffee wäre super, danke“, sagte Aiden. „Was empfehlen Sie zum Mittagessen?“
Tara vertiefte ihren Südstaaten-Akzent. „Der, ähm, Burger ist gut.“
„Sehr gut. Dann nehme ich das.“ Zusammen mit dir in Handschellen.
Sie trat einen Schritt zurück, und Aiden wusste, dass es das Klügste war, sie jetzt gehen zu lassen und sie sich, ohne eine große Show zu veranstalten, zu schnappen, wenn sie das Restaurant verließ. Aber er konnte sich nicht zurückhalten. „Warten Sie.“ Aiden berührte ihr Handgelenk, das Gefühl ihrer warmen Haut schickte einen neuen, unerklärlichen Schauer durch sein Blut. „Haben Sie auch Taramisu?“
Sie erstarrte und überspielte es mit einem Gestammel über Kuchen. Ja, mit dieser einen kleinen Andeutung hatte sie sich verraten. Und wenn sie klug wäre, würde sie jetzt von hier verschwinden.
Tara enttäuschte ihn nicht.
Aiden sah, wie sie im Badezimmer verschwand, dann ging er nach draußen, um sein Motorrad zu holen und den wahrscheinlichsten Weg abzusperren, den das Mädchen zurück zu ihrem Auto nehmen würde. In seinem Hinterkopf schimpfte eine kleine Stimme über seinen Mangel an Geduld, aber er sagte ihr, sie solle still sein und lauschte auf Schritte. Fünf. Vier. Drei.
Aiden rollte sein Motorrad vorwärts, um das andere Ende der Gasse zu blockieren, gerade als Tara erschien. Ihre Blicke trafen sich, und Aiden überkam wieder dieses urwüchsige Pochen. Als ob sein Körper etwas wusste, was er nicht wusste. Nicht, dass es wichtig gewesen wäre. Aus welchem Grund auch immer etwas in ihm so auf die Frau reagierte, Aiden war nur aus einem einzigen Grund hier.
„Tara Northpoint“, verkündete er, während er die Handschellen aus seinem Gürtel zog. „Du bist verhaftet aufgrund eines Haftbefehls des Staates Colorado. Dreh dich um und leg die Hände auf den Rücken.“
Tara ging in die Hocke, die weiße Schürze ihrer Kellnerinnenuniform bewegte sich im Wind. Ihr Blick schweifte umher, aber in diesem Teil der Gasse gab es keinen Ausweg. „Ich bin Delaney“, beharrte sie. „Ich weiß nicht, wer Tara ist. Bitte lassen Sie mich in Ruhe.“
Aiden machte einen Schritt auf sie zu.
„Kommen Sie noch einen Schritt näher und ich schreie.“
„Irgendwie glaube ich nicht, dass du das tun wirst“, sagte Aiden.
Tara drehte sich auf den Fersen und sprintete los, ihre Stiefel stampften auf dem Bürgersteig. Aiden rannte ihr hinterher. Sie war schnell, aber das hatte Aiden von einer Obsidian-Agentin auch nicht anders erwartet. Bei einem Marathon hätte sie ihn vielleicht abhängen können, aber bei einem Sprint hatte Tara keine Chance.
Aiden hatte in Sekundenschnelle aufgeholt und griff nach ihr.
Tara drehte sich, die Klinge in ihrer Hand fing das Licht ein, als sie Aiden quer über die Brust schlug. Da die lederne Motorradjacke die meiste Wucht des Hiebes abfederte, griff Aiden nach ihrer Hand, in der sie das Messer hielt. Sie hatte ein verdammtes Multitool herausgezogen. Aiden verdrehte ihr Handgelenk, bis die Klinge zu Boden fiel.
Sie stöhnte auf.
Aiden verdrehte ihr Handgelenk noch weiter, bis sie auf die Knie sank.
Anstatt sich zu wehren, rollte sich Tara über ihre Schulter, um dem Druck zu entgehen. Dann sprang sie wieder auf die Beine und nahm eine Kampfhaltung ein, ihre Augen blitzten mörderisch. Aidens Brust zog sich zusammen, als er den einzigen Vorteil erkannte, den Tara ihm gegenüber hatte. Sie war bereit, ihn zu töten, um zu entkommen.
Jetzt ohne Waffe, trat Tara gegen sein Knie. Aiden drehte sich rechtzeitig, um den Tritt, der auf seinen Oberschenkel gerichtet war, abzufangen, anstatt sich vom Absatz ihres Stiefels die Kniescheibe zerschmettern zu lassen. Unbeirrt verringerte sie den Abstand und griff nach seiner Leiste. Seinen Fingern. Seinen Augen.
Aiden duckte sich unter ihrem Schwung, schaffte es, ihren Oberarm zu packen und zog sie wie eine Ringerin über seinen Rücken. Als er hinter sie trat, schob er seine Hand unter ihre Achselhöhle und umklammerte ihren Nacken. Das Blut pulsierte durch seine Adern, obwohl der Kampf selbst nicht lang genug gewesen war, um ihn außer Atem kommen zu lassen. Es fühlte sich an, als wäre Tara Northpoint sein Ende.
Bevor das Handgemenge weiter ausarten konnte, trat Aiden gegen Taras Kniekehlen und fiel hart zu Boden. Er schnappte sich erneut seine Handschellen und fixierte die Arme der Frau mit ein paar geübten Handgriffen hinter ihrem Rücken.
Dann, Tara immer noch auf den Knien, beugte er sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr, ihr frischer Apfelduft weckte eine Erinnerung, die er nicht zuordnen konnte. Nicht, dass es wichtig gewesen wäre. Die Zeit für Spielchen war vorbei. „Also, es läuft folgendermaßen, Kleine. Mein Name ist Aiden McDane, ich arbeite für Trident Security, und mein Job ist es, dich zurück nach Denver zu bringen. Was ich auch tun werde. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder du stehst brav auf und kommst artig mit, oder ich schlage dich nieder und trage dich. Nun, es besteht noch die Option, dass du dir die Seele aus dem Leib schreist, bis jemand die Bullen ruft – aber wenn du glaubst, dass die Jungs aus Vegas dich vor Obsidian Ops beschützen werden, dann leidest du wahrscheinlich an Wahnvorstellungen.“
„Woher soll ich wissen, dass du mich nicht umbringen wirst?“
Aiden schnaubte und drückte seine Hüfte in Taras Rücken, sodass sie das Metall seiner Waffe im Halfter spüren konnte. „Wenn es in meinem Interesse wäre, dich umzubringen, hätte ich es schon längst getan.“
Tara
Tara saß in einem heruntergekommenen Hotelzimmer auf einem Stuhl, ihre Hände waren an die Armlehnen gefesselt und ihre Füße an den Holzbeinen befestigt. Die Anzahl der Fesseln, die Aiden für nötig hielt, um Tara festzuhalten, war ein zweideutiges Kompliment. Aiden. Tara schluckte. Vor sechs Jahren in Afghanistan hatte der Mann seinen Namen trotz einmonatiger Verhöre nicht verraten – und heute hatte er ihn einfach genannt. Als ob es nichts von Bedeutung wäre.
Wenn es in meinem Interesse wäre, dich umzubringen, hätte ich es schon längst getan.
Ja, aber warum zum Teufel wollte er das nicht? Das ergab keinen Sinn. Überhaupt keinen. Genauso wie die Preisgabe seines Namens keinen Sinn ergab und die Vorsicht, die er in der Gasse walten ließ, um sie nicht mehr zu verletzen, als er es musste.
Zuerst dachte Tara, dass ihr Gedächtnis ihr einen Streich spielte. Dass Aidens blaugraue Augen und sein markantes Gesicht nicht die des Mannes waren, den ihr Team in den afghanischen Höhlen gefangen gehalten hatte. Aber jetzt, wo er seine Lederjacke ausgezogen hatte, waren alle Zweifel verflogen. Trotz einer Tätowierung, die jetzt seinen linken Oberarm umspielte, konnte Tara die sternförmige Narbe der Verbrennung sehen, die sie ihm höchstpersönlich zugefügt hatte. Dennoch … Dennoch schien er sich nicht an sie zu erinnern. Oder, was wahrscheinlicher war, er erkannte sie nicht. Und doch.
Zu Aidens Verteidigung: Durch die Drogen und die Folter war er damals in einer miserablen Verfassung gewesen. Und auch Tara war anders gewesen. Nicht nur oberflächliche Unterschiede wie das Make-up und die gefärbten Haare oder sogar die natürlichen körperlichen Veränderungen, die zwischen achtzehn und vierundzwanzig Jahren auftraten, sondern wirklich anders. Das Mädchen, das Aiden kennengelernt – und in gewisser Weise gerettet – hatte, war eine achtzehnjährige Rotznase, die weinte und seine Vorgesetzten um Gnade anflehte. Die Frau, die sie jetzt war, kümmerte sich nicht um die Meinung anderer. Sie war eine Chemikerin. Ein Profi. Und vor allem wusste sie, dass sie sich niemandem gegenüber verletzlich geben durfte. Vor allem nicht vor Männern.
Tara betrachtete ihre Gefangenschaft und ihren Entführer mittlerweile mit nüchternen Augen. Aiden hatte sie in das Eckzimmer eines Motels gebracht, das etwa eine Stunde Motorradfahrt vom Rural Minnesota entfernt lag. Die Fahrt selbst war eine furchterregende Erfahrung gewesen, als sie mit gefesselten Händen vor Aiden saß und nur ihr Gleichgewicht und der eiserne Käfig seines Körpers sie an Ort und Stelle hielten.
Das Motel war ein Ort mit Rissen in den Wänden, Wanzen in den Ecken und Personal, das wahrscheinlich daran gewöhnt war, Stöhnen und Schreie aller Art zu hören. Zeitungsausschnitte über den Bombenanschlag in Denver, lagen verstreut auf dem Schreibtisch, während der Mann selbst aus dem Fenster starrte.
Tara konnte nicht sagen, in welche Richtung die Gedanken des Mannes gingen, aber im Moment hatte sie den Vorteil, mehr zu wissen als er. Leider machte Wissen die Dinge nicht immer einfacher. Auch diese Lektion hatte sie vor sechs Jahren gelernt.
Am Tag nach ihrem achtzehnten Geburtstag saß Tara Northpoint im hinteren Kriegsraum des Obsidian Ops-Geländes in New Jersey, und Aufregung jagte durch ihre Adern wie Alkohol. Sie versuchte, kühl und gefasst zu wirken, während sie sich in dem Raum umschaute und die echten Obsidian-Agenten betrachtete, die sich dort versammelt hatten – die meisten von ihnen ehemalige Männer der Spezialeinheiten. Der hintere Kriegsraum war der Ort, an dem echte Einsätze besprochen wurden, nicht die läppischen Dinge, bei denen sie bisher geholfen hatte, indem sie in den sozialen Medien recherchierte und Twitter-Kommentare über mehrere Konten schrieb. Echte Einsätze, zu denen Tara bis heute keinen Zugang gehabt hatte.
„Unser Kunde benötigt Informationen über die Arbeit der schottischen Black-Watch-Einheiten.“ Colonel Lucius stand am Kopfende eines Konferenztisches und deutete auf eine PowerPoint-Folie, die das Emblem der Eliteeinheit einblendete. Die Männer am Tisch nickten zustimmend, und Tara machte es ihnen nach. Lucius ging zur nächsten Folie über. „Wir haben mehrere operative Modelle durchgespielt und sind zu dem Schluss gekommen, dass das Erlangen von Informationen direkt von einem Agenten das beste Risiko-Ertrags-Verhältnis aufweist.“
Einem Agenten Informationen entlocken? Tara runzelte die Stirn. Das klang wie eine hochtrabende Umschreibung für …
„Wir sollen uns also einfach einen Kerl schnappen und ihn zum Reden bringen.“ Gio Welch grinste und zeigte ein paar vergilbte Zähne, während er die Worte mit seinem texanischen Akzent in die Länge zog. Der Stetson-Cowboyhut, den er immer trug, wenn er nicht in Kampfausrüstung unterwegs war, bedeckte einen Teil seines Gesichts. „Meine Spezialität. Ich dachte, wir durften uns in Europa und Nordamerika nichts zu Schulden kommen lassen? Ist die Beschränkung endlich aufgehoben?“
Tara biss sich auf die Unterlippe, während ihr langsam die Galle in die Kehle kroch. Nachdem sie sich jahrelang gefragt hatte, was sie in diesem abgeschotteten Konferenzraum besprachen, übte der Gedanke an Social-Media-Suchen und Twitter plötzlich einen großen Reiz aus.
„Negativ.“ Lucius hielt inne, als er Taras Blick bemerkte, der auf die Tür gerichtet war. Er schaute finster drein und wartete, bis ihr Blick sich wieder auf die PowerPoint-Präsentation richtete, bevor er fortfuhr. „Aber eine Einheit der Black Watch soll nächsten Monat mit den Amerikanern in Afghanistan trainieren. Sie werden den Einsatz dort leiten.“
Welch grinste. „Ja, Sir.“
Taras Blick glitt erneut zur Tür.
Dieses Mal ignorierte Lucius sie und richtete seine Aufmerksamkeit auf Welch. „Der Einsatz wurde nur deshalb genehmigt, weil der afghanische Schauplatz eine gute Tarnmöglichkeit bietet. Nichts davon fällt auf uns oder den Auftraggeber zurück. Ist das klar?“
„Ja, Sir.“ Welch tippte sich an den Stetson und deutete mit dem Kinn auf Tara. „Soll die Streunerin bei der Gelegenheit auch entjungfert werden?“
„Pass auf, was du sagst, Welch“, schnauzte Lucius. „Aber ja, Ms. Northpoint ist achtzehn geworden und wird das Team begleiten, um ihre Pflichten zu erfüllen. Ich verlasse mich darauf, dass sie gut eingewiesen wird.“
„Warte!“ Tara hob ihre Hand. Sie wusste, dass es keine gute Idee war, sie zu unterbrechen, aber das konnten sie doch nicht ernsthaft andeuten. „Was genau verstehen wir unter Pflichten?“
Lucius warf ihr einen scharfen Blick zu. „Genau das, was du denkst, was es bedeutet.“
„Aber ... ich will doch niemanden verletzen. Ich wäre nicht gut darin.“ Das war eine Untertreibung. Das letzte Mal, als Tara Blut gesehen hatte, war sie in Ohnmacht gefallen.
Welch und die anderen am Tisch lachten.
Lucius tat es nicht. „Ich erwarte nicht, dass es dir gefällt, Northpoint. Ich erwarte, dass du es tust. Sich die Hände schmutzig zu machen, ist eine Sicherheitsmaßnahme. Du bist zu alt und zu sehr mit uns verbunden, um das noch länger aufzuschieben.“ Er nickte, als wäre die Sache damit erledigt. „Sei dankbar, dass ich dich zur Informationsgewinnung schicke und nicht zum Abschuss.“
Taras Kiefer spannte sich an. „Dankbar? Ich soll dankbar sein, dass …“
Das Geräusch einer Waffe, die entsichert wurde, schnitt ihr das Wort ab. Als Tara ihren Kopf langsam drehte, sah sie direkt auf den Lauf von Randys Beretta, dessen Mündung auf ihre Stirn gerichtet war.
Sie erstarrte.