Leni Behrendt Staffel 5 – Liebesroman - Leni Behrendt - E-Book
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Leni Behrendt Staffel 5 – Liebesroman E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. E-Book 41: Ein Schicksalsweg durch Dornen E-Book 42: Die barmherzige Lüge E-Book 43: Durch Gewitter und Sturm E-Book 44: Der Dreizehnte E-Book 45: Es ist das Herz ein trotzig Ding E-Book 46: Aus Vernunft gefreit E-Book 47: Törichte Herzen E-Book 48: Das Schicksal mischt die Karten E-Book 49: Zwischen hüben und drüben E-Book 50: Weil es mein Herz verlangt

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Inhalt

Ein Schicksalsweg durch Dornen

Die barmherzige Lüge

Durch Gewitter und Sturm

Der Dreizehnte

Es ist das Herz ein trotzig Ding

Aus Vernunft gefreit

Törichte Herzen

Das Schicksal mischt die Karten

Zwischen hüben und drüben

Weil es mein Herz verlangt

Leni Behrendt –5–

Staffel

Leni Behrendt

Ein Schicksalsweg durch Dornen

Die unermeßlichen Leiden einer jungen Mutter

Roman von Leni Behrendt

Ein Lied vergnügt vor sich hin trällernd, hastete ein junges Mädchen die Treppen eines großen Mietshauses zum zweiten Stockwerk empor und klingelte an der linken Etagentür Sturm, worauf diese schleunigst geöffnet wurde.

»Tag, Mutti!«

»Guten Tag, mein Kind. Nun, bist du versetzt?«

»Wie man’s nimmt.«

Die Büchertasche flog mit kühnem Schwung auf einen Haken in der Flurgarderobe, Mantel nebst Mütze folgten nach; und dann wurden vor dem Spiegel die hellen Locken sorgfältig geordnet. So wenig Zeit sich die hübsche Kleine genommen hatte, Mappe sowie Kleidungsstücke an Ort und Stelle zu bringen, um so mehr verschwendete sie auf ihre kecke Frisur. Erst als jedes Löckchen gefällig lag, gab sie sich zufrieden.

Währenddessen tat die Mutter den Mantel über einen

Bügel und sah dann ungeduldig zu dem eitlen Töchterlein hinüber.

»Laß schon ab, Ebba, das ist doch jetzt nicht so wichtig. Gib mir lieber dein Zeugnis.«

»Nimm es doch«, war die patzige Antwort. »Oben in der Tasche liegt es.«

Einen Seufzer unterdrückend, griff die Mutter nach dem weißen Blatt und trat damit aus dem dämmerigen Korridor in das Wohnzimmer, das von der Frühlingssonne überflutet war. Dort faltete sie den nachlässig geknickten Bogen auseinander und sah dann betroffen auf die fettgedruckten Lettern.

»Ebba, komm doch einmal her.«

Die Gerufene geruhte zu erscheinen, warf sich in einen Sessel und sah die Mutter kampfbereit an.

»Ich lese hier Abgangszeugnis – was hat das zu bedeuten?«

»Daß ich der abscheulichen Schule Valet gesagt habe«, wurde schnippisch erwidert.

»Ohne mich vorher gefragt zu haben?«

»Natürlich. «

»So natürlich ist das durchaus nicht, mein Kind. Es ist doch nie die Rede gewesen, daß du jetzt schon die Schule verlassen solltest. Wie kannst du nun so eigenmächtig handeln und ohne meine Erlaubnis einfach abgehen?«

»Weil ich sonst zum zweiten Male sitzengeblieben wäre«, eröffnete die Tochter, von dem ernsten Ton der Mutter ungerührt.

»Trotz der Nachhilfestunden, Ebba?«

»Jawohl – trotzdem. Mach bitte ein anderes Gesicht, Mutti. Mit dieser Trauermiene fällst du mir ganz gehörig auf die Nerven. Freue dich lieber mit mir, daß ich der Zwangsanstalt entronnen bin. Nicht mehr auszuhalten war es mit den Paukern! Was willst du überhaupt? Ich habe doch eine abgeschlossene Schulbildung. Das Abgangszeugnis ist gar nicht so schlecht.«

»Es ist gerade genügend. Willst du nicht doch versuchen, mein Kind, bis zum Abitur weiterzulernen?«

»Auf keinen Fall!« wehrte sich das Mädchen entschieden. »Das würde noch drei bis vier Jahre dauern. Bis dahin bin ich einundzwanzig. Wozu brauche ich überhaupt das Abitur? Studieren könnte ich sowieso nicht, weil wir das Geld dazu nicht haben. Weißt du, was ich am liebsten werden möchte?«

»Nun?«

»Schauspielerin oder Mannequin. Paßt dir das etwa nicht, weil du ein Gesicht machst, als hättest du in eine Zitrone gebissen«, schloß sie ironisch. »Geht das deinen altmodischen Ansichten zuwider?«

»Ich wüßt nicht, daß ich solche hätte«, entgegnete die Mutter trocken. »Wäre dir das Zeug zu einem der Berufe gegeben, dann würde ich deinen Entschluß gewiß billigen.«

»Wieso soll ich das nicht haben! Bin ich nicht etwa hübsch genug?«

»Mit dem Hübschsein allein ist es nicht getan, Ebba, obgleich es in den Berufen eine gute Chance gibt. Aber nebenbei gehört dazu noch Ernst, mühsame Arbeit und große Ausdauer, daß du die nicht besitzt, hast du leider oft genug bewiesen. Daß eine Schülerin zwei Jahre in einer Klasse bleiben muß, das kommt vor. Wenn sie jedoch im zweiten Jahr dasselbe Pensum durchnimmt, außerdem Nachhilfestunden erhält und dennoch sitzenbleibt – dann ist sie entweder dumm oder faul. Da ersteres nicht der Fall ist, steht das andere fest. Deshalb hat es keinen Zweck, daß du weiter zur Schule gehst. Komme mir aber später nicht mit Vorwürfen, wenn du bei der Berufswahl auf Schwierigkeiten stoßen solltest. Mit dem Abitur stände dir jeder Beruf offen, mit diesem Abschluß nur bedingt.«

»Wenn du bloß nicht immer so unken wolltest, Mutti! Anstatt daß du mir Mut zusprichst, wie es sich für eine Mutter gehört, malst du schwarz auf schwarz. Sei doch froh, daß ich dir von der Tasche komme. Täglich stöhnst du mir vor, wie knapp das Geld bei uns ist. Das habe ich nun satt bis zum Halse. Am besten ist, ich heirate, damit ich endlich aus dieser Misere herauskomme.«

»Heiraten – mit siebzehn Jahren?« fragte die Mutter recht ironisch.

»Warum denn nicht? Du warst ja auch erst knapp achtzehn, als du es tatest«, wurde ihr keck vorgehalten, dem die Frau denn auch nicht entgegentreten konnte. Schweigend faltete sie das Zeugnis zusammen, legte es auf den Tisch und ging dann nach der Küche, um das Mittagessen zu bereiten.

Ebba griff nach einem Apfel, warf sich auf die Couch und verzehrte die Frucht mit Behagen. Endlich hatte sie es geschafft, endlich war sie der verhaßten Schule entronnen! Bei dieser überraschenden Eröffnung hatte sich die Alte vernünftiger angestellt, als zu befürchten war. Keine Tränen, keine Klagen, nur mäßige Vorwürfe. Bloß ein misepetriges Gesicht und wehleidige Seufzer. Na ja, daran war sie gewöhnt, das machte ihr absolut nichts aus.

Nachdem der Apfel verspeist war, ging Ebba nach ihrem Stübchen, das mit seinen Schleiflackmöbeln und buntseidenen Polstern einen allerliebsten Eindruck machte. Vor den geöffneten Fenstern, durch die die Sonne hineinlachte, blähten sich duftige Gardinen. Der zartfarbene Teppich ergänzte das Bild trauter Behaglichkeit.

Das alles jedoch sah Ebba nicht, daran war sie gewöhnt.

»Wie gern möcht ich heute abend zu der Feier gehen, die für die Schulentlassenen veranstaltet wird. Doch die Freude ist mir wieder einmal nicht vergönnt«, seufzte das Mädchen bei Tisch herzzerbrechend.

»Warum denn?« fragte die Mutter erstaunt.

»Weil ich nichts Passendes anzuziehen habe.«

»Du hast doch das neue Kleid.«

»Das armselige Fähnchen, das du mir zuammengeschneidert hast? Damit würde ich von den eleganten Toiletten gut abstechen. Ach, wenn ich doch das entzückende Festkleidchen haben könnte, das ich heute im Schaufester eines Modenhauses sah! Ich konnte mich von dem duftigen Anblick kaum losreißen, das Herz hat mir armen Aschenbrödel ordentlich weh getan. Das ist aber auch etwas ganz Bezauberndes. Und gar nicht teuer, nur siebzig Mark. Einfach wie geschenkt. Was meinst du, Muttilein, kann ich das Kleid wohl haben?«

»Ebba, mein liebes Kind, sei doch vernünftig!« bat die Mutter eindringlich. »Du weißt doch, daß wir sparen müssen und …«

»Sparen – nur immer sparen«, brauste das Mädchen auf. »Wenn ich das schon höre! Du hast doch Geld zurückgelegt.«

»Das unantastbar ist, Ebba. Du mußt bedenken, daß deine Berufsausbildung viel Geld kosten wird. Außerdem mußt du einen neuen Wintermantel haben und manches andere mehr.«

»Daß ihr alten Leute das ewige Vorsorgen nicht lassen könnt! Zuerst haben wir einmal Frühling. Bis zum Winter kann ich längst tot sein. Mutti, gib deinem Herzen einen Stoß – ja?«

Schmeichelnd wurde Mechthild umhalst. Und die Frau, die ihrem geliebten Kinde nur schwer einen Wunsch abschlagen konnte, wurde wankend.

Die Kleine hatte ja recht; sie mußte wirklich auf vieles verzichten, was ihren Freundinnen, die durchweg gutsituierte Eltern hatten, selbstverständlich war.

»Ist gut«, entschied sie rasch. »Du kannst dir das Kleid holen.«

»Na also, Mutti, das ist doch ein Wort! Solltest mal sehen, wie schön deine Tochter heute sein wird. Ach, was werde ich tanzen! Das tue ich doch für mein Leben gern! Am liebsten möchte ich ja Tänzerin werden, aber dazu hätte ich schon längst mit der Ausbildung beginnen müssen. Aber macht nichts, ich werde auch so auf meine Kosten kommen. Nun ich die greuliche Schule hinter mir habe, fängt für mich das Leben an. Und das werde ich genießen, darauf kannst du dich verlassen.«

O ja, davon war die Mutter überzeugt. Oftmals wurde ihr bange um ihr Kind, in dem ein so gieriger Lebenshunger steckte.

Von ihr hatte sie den bestimmt nicht. Sie war in dem Alter ganz anders gewesen.

»Nun rück raus mit dem Mammon«, unterbrach die Tochter ihre Betrachtungen. »Ich will mich jetzt in Trab setzen. Bis das Geschäft geöffnet wird, bummele ich noch ein wenig durch die Frühlingssonne. Ich will den ersten Tag meiner Freiheit nach Herzenslust genießen.«

Gleich darauf hielt sie einen Hunderter in der Hand, den sie nonchalant, als ob sie über Millionen verfügte, in die Manteltasche steckte.

»Verliere das Geld nur nicht«, mahnte die Mutter ängstlich. »Dreißig Mark bekomme ich davon wieder.«

»Wird gemacht, Mutsch. Gehab dich wohl.«

Die Korridortür krachte hinter ihr zu, und ebenso vergnügt vor sich hin trällernd, wie sie vor einigen Stunden die Treppe hinaufgestürmt war, so sprang sie diese jetzt hinunter, während die Mutter sich daran machte, das Mittagsgeschirr abzuwaschen und die kleine Küche blitzblank zu kriegen. Daß dieses eigentlich der Tochter zukam, daran dachte sie nicht, weil sie nicht daran gewöhnt war, daß diese ihr im Haushalt half.

Daß die Tochter ihr für so viel rührende Liebe und Nachsicht keinen Dank wußte, nahm Mechthild als selbstverständlich hin. Auch für deren freche, rücksichtslose Art hatte sie erstens eine Entschuldigung. Lieber Himmel, das siebzehnjährige Kind war eben noch unbedacht, das durfte man als Mutter nicht tragisch nehmen.

*

Es war schon um die Abendbrotzeit, als Ebba endlich von ihrem Einkauf zurückkehrte.

»Denk mal, Mutti, ich habe das Kleid für sechzig Mark bekommen«, sprudelte sie, kaum daß sie das Zimmer betreten hatte, hervor. »Dafür bin ich gleich beim Friseur gewesen und habe mir Dauerwellen legen lassen; denn zu einem Kleid gehört auch ein gutfrisierter Kopf, nicht wahr? – Und schau mal die süßen Schuhchen. Die habe ich mir auch gekauft. Schick, was?«

»Dann hast du mir kein Geld mehr zurückgebracht?« fragte die Mutter erschrocken.

»Woher denn?« Das Mädchen warf die Lippen trotzig auf. »Ich habe sowieso schon alles halb geschenkt gekriegt, sonst hätte der lumpige Hunderter bestimmt nicht gereicht.«

Diese Unverfrorenheit war denn doch selbst dieser nachsichtigen Mutter zuviel. Es klang recht willig, als sie sagte: »Ich habe dir nur siebzig Mark bewilligt, Ebba. Du weißt ganz genau, wie schwer es mir fiel, dir diese zu

geben. Ich muß mich sowieso schon

einrichten an allen Ecken und Enden…«

»Um Himmels willen, fang bloß nicht wieder an zu jaulen!« Ebba hielt sich ungezogen die Ohren zu. »Es ist fürchterlich, daß du mir jede Freude verderben mußt!«

Damit ergriff sie die gekauften Sachen und rannte nach ihrem Zimmer, um sich für das Fest zu schmücken.

Als sie das getan, drehte sie sich vor dem Spiegel und berauschte sich an ihrem Anblick. Sie war sehr mit sich zufrieden und konnte es auch.

Die lichte Seide des Kleides umbauschte den schmiegsamen Körper. Blütenzart hoben sich Hals und Arme aus dem Spitzengeriesel. Die Augen blitzten in dem bildhübschen, kecken Gesicht, das die hellen Locken kokett umrahmte. Die Friseuse, die diese hervorgezaubert, hatte außerdem für geschminkte Lippen und rotlackierte Fingernägel gesorgt.

Nachdem sie sich genügend an ihrem Anblick berauscht, ging sie in das Wohnzimmer, wo die Mutter mit dem Abendessen auf sie wartete. Doch dafür hatte Ebba jetzt keinen Sinn.

»Nun, Mutti, bin ich schön?« Sie drehte sich wie ein geübtes Mannequin und sah mit Genugtuung, wie es in den Mutteraugen stolz aufleuchtete. »Du mußt doch wohl sagen, daß dieses Gewand mit den Fähnchen, die du mir zum Teil zurechtgeschneidert hast, nicht zu vergleichen ist. Endlich habe ich mal etwas Fesches auf dem Leibe. Und schau mal die Schuhe…«.

Die Mutter kam zu keiner Antwort, denn die Flurglocke schlug an. Neugierig lugte Ebba durch den Türspalt und sah einen hochgewachsenen Herrn, der sich soeben über die Hand ihrer »alten Dame« neigte. Hörte eine sonore Stimme sagen: »So sehr überrascht Sie mein Anblick, Mechthild, daß Sie völlig verstummt sind?«

»Ist das ein Wunder, wenn ich Sie irgendwo in der Weltgeschichte glaubte und Sie plötzlich vor mir stehen? Kommen Sie bitte weiter.«

Mit großen Augen sah das Mädchen auf den Herrn, der sich vor ihr verbeugte und dann Mechthild fragend ansah. – »Ist das etwa die kleine Ebba?«

»Ganz recht.«

»Potz Blitz, Mädchen, wie hast du dich verändert! Ich glaubte einen ungelenken Backfisch vorzufinden und stehe statt dessen einer entzückenden jungen Dame gegenüber. Kennst du mich noch?«

»Natürlich.« Die Augen blitzten ihn kokett an.

»Muß ich noch Onkel sagen, Holger?«

»Darauf lege ich keinen Wert«, schmunzelte der Mann.

»Ich bin wie manches eitle Fräulein, das sein Alter ängstlich verschweigt. Doch wo willst du hin, daß du dich so in Gala geworfen hast?«

»Zum Fest.«

»Ohne Mutti?«

»Natürlich. Alte Damen haben da nichts zu suchen.«

»So – deine Mutter ist eine alte Dame?« fragte er amüsiert, worauf sie ihn erstaunt ansah.

»Was denn sonst? Mütter von erwachsenen Töchtern sind immer alt. Doch schau mich mal an – bin ich nicht schön?« Sie drehte sich kokett vor ihm, in dessen Mundwinkeln es verräterisch zuckte, während seine Augen todernst blieben.

»Sehr schön. Da werden die Herren wohl ihr Herz festhalten müssen, damit sie es nicht an so viel Schönheit verlieren.«

»Dann halte das deine nur auch fest.« Sie lächelte vielsagend. »Du kommst mir nämlich ganz wie ein Feinschmecker vor. So jung habe ich dich übrigens gar nicht in Erinnerung. Siehst fabelhaft aus. Der Mann mit den grauen Schläfen. So was wirkt verheerend auf Mädchenherzen.«

»Ebba!« rief die Mutter entsetzt. »Was führst du für eine Sprache?«

Die Tochter sah sie mitleidig an und meinte dann mit nachsichtigem Lächeln: »Arme Glucke, die es nicht begreifen kann, daß ihr Küken flügge geworden ist. Aber was ich fragen wollte, Holger: Du bist doch mit deinem Auto hier?«

»Ja.«

»Herrlich! Dann kannst du mich zum Festsaal fahren, ja? Kinder, das wird heute ganz groß! Meine Freundinnen werden Augen machen, wenn ich per Auto anbrause. Es ist doch passabel?«

»Ich nehme an.«

»Natürlich, du bist ja auch reich. Das sieht man schon an deiner ganzen Aufmachung. Fabelhaft elegant! Ganz große Klasse. Da kann ich aber mit dir angeben. Gnädig werde ich dich meinen Freundinnen vorführen – aber tanzen mußt du mit mir allein.«

»Du willst mich in den Ballsaal schleifen?« fragte er lachend.

»Ehrensache! Die Bande, die immer so großartig tut, soll vor Neid zerspringen. Halt, bald hätte ich es vergessen! Du mußt mir deine Kette geben, Mutti, und das süße Armband dazu. Fabelhaft wird sich der kostbare Schmuck bei meiner eleganten Toilette ausnehmen. – Nun gib schon!« Sie stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf, als die Mutter zögerte. Schweigend entfernte diese sich und brachte das gewünschte Geschmeide, nach dem Ebba gierig griff.

Die kostbaren Steine des Anhängers an der Platinkette blitzten an dem weißen Hals der Trägerin, schwer hing das goldene Armband an dem zarten Gelenk.

»Welch ein herrlicher Schmuck«, flüsterte der Mann. »Wohl ein Erbstück, Mechthild?«

»Ja, es stammt von meiner Mutter. Gib nur acht, Ebba, damit du ihn nicht verlierst.«

Sie ging nach dem Korridor und holte den Mantel, in den das Mädchen maulend schlüpfte.

»Schäbig genug. Aber was soll man machen, wenn man nichts anderes hat? Wie gräßlich ist es doch, arm zu sein! Nun komm, Holger, es ist allerhöchste Zeit.«

Damit schob sie ihren Arm unter den seinen und zog ihn mit sich fort. Sie hatte keinen Blick für die Mutter, die ihr traurig nachsah.

*

Während Mechthild die Küche aufräumte, umspielte ein bitteres Lächeln ihren Mund. Ebba hatte ja so recht! Sie war mit ihren sechsunddreißig Jahren bereits eine alte Frau – alt und müde. Sie war immer ein braves Haushuhn gewesen und würde es bleiben bis an ihr Lebensende…

Ihr waren alle Jugendfreuden verschlossen gewesen. Während andere Mädchen ihres Alters sich unbeschwert vergnügten bei Flirt und Sport, mußte sie den Rollstuhl der Mutter schieben. Wenn sie am Abend Tanzkurse besuchten, mußte sie am Bett der verbitterten Frau sitzen, ihr Wehklagen und Jammern geduldig mit anhören.

Als die Mutter dann starb, war sie gerade achtzehn Jahre alt geworden und von Herzen froh, als kurz darauf Doktor Runard, ein höherer Gerichtsbeamter, sie zur Frau begehrte. Wohl war er dreißig Jahre älter als sie, aber immer noch ein lebenslustiger Mann, der es mit jedem Jungen aufnehmen konnte. Dazu besaß er eine gut eingerichtete Wohnung – seine Frau war vor einem Jahr gestorben und ein auskömmliches Gehalt. Also war sie, die nach dem Tode der Mutter allein stand bei ihm gut aufgehoben.

Sie wurde sogar nach einjähriger

Ehe Mutter, was sie unsagbar beglückte.

Ihr Mann liebte sie so, wie ein Ichmensch seine Frau lieben kann. Verwöhnte sie sogar auf seine Art, hielt es jedoch für selbstverständlich, daß sie sich seinem herrischen Willen fügte und seine Launen ohne Murren ertrug genauso, wie es ihre Mutter als selbstverständlich angesehen hatte.

Arg wurde es, als sich ein Gallenleiden bei Runard einstellte, das ihn zwang, sich frühzeitig pensionieren zu lassen. Ohne Beschäftigung, sich selbst und anderen zur Last, lebte er unzufrieden dahin.

Und gerade in dieser Zeit gebar Mechthild ihr zweites Töchterchen, ein sehr schwächliches Geschöpf, das ihr vom ersten Schrei an nur Sorge machte. Der verdrießliche Vater beachtete sein zweites Kind überhaupt nicht, sein Vorzug blieb Ebba, die ihm ganz und gar ähnlich sah. Er verwöhnte das ohnehin schon egoistische Mädchen maßlos, erfüllte ihm jeden Willen.

So konnte es kommen, daß die kleine Tyrannin das Haus beherrschte. Dem Vater gehorchte sie widerwillig, der Mutter überhaupt nicht.

Das alles machte Mechthild das Leben bitter schwer. Dazu noch das ungemein zarte zweitgeborene Töchterchen, dessen kleines Leben jeden Tag verlöschen konnte. Es gab Stunden, wo sie schier verzweifeln wollte. So ging es zwei Jahre, dann starb das Kind – und wenige Wochen darauf erlag der Kranke seinem Leiden.

Nun stand Mechthild mit ihrer Ältesten allein da, die sich über den Tod des Vaters wie toll gebärdete. Von der anstrengenden Pflege der Dahingeschiedenen zermürbt, hätte die zarte Frau der sorgfältigsten Pflege bedürft. Statt dessen mußte sie ihr bisheriges Leben in eine ganz andere Bahn lenken, mußte die große Wohnung auflösen und eine kleinere dafür mieten, die sie auch jetzt noch innehatte.

Und dann kam noch etwas, dem sie zuerst ratlos gegenüberstand. Es stellten sich Gläubiger ein, von denen ihr Mann Geld geliehen hatte. Und da sie mit ihm in Gütergemeinschaft gelebt, mußte sie für die Schulden aufkommen, deren es nicht wenige waren.

Also lieh sie sich von einer wohlhabenden Freundin zu hohen Zinsen Geld, um nur die rücksichtslosen Gläubiger abzufinden, verkaufte alle überflüssigen Möbel und richtete sich eine Dreizimmerwohnung, allerdings recht behaglich, ein. Nun zahlte sie schon seit Jahren monatlich hundert Mark von ihrer Witwenpension ab und mußte sich daher sehr einschränken. Fünf Jahre zahlte sie nun schon daran. Nun noch einige Monate, dann hatte sie es geschafft. Gott sei Dank!

Jetzt blieb »nur« das Problem Ebba. Die Schule war bei ihr ein Kapitel für sich. Obwohl Ebba das Lernen nicht schwerfiel, kam sie immer nur mit knapper Not durch die Klassen. Mußte recht oft sogar Nachhilfestunden nehmen. Daß sie diese mehr als einmal schwänzte, das wußte die Mutter natürlich nicht. Sie wußte überhaupt vieles nicht, was die Tochter tat.

Einfluß hatte Mechthild auf die selbstherrliche kleine Person ja nie besessen, weil der Gatte ihrer Erziehung ständig entgegengearbeitet. Und als ihr diese bei der damals Zwölfjährigen allein zufiel, konnte sie noch kaum etwas nachholen, was solang versäumt worden war. Eine straffere Hand als die der gütigen Mutter hätte da vielleicht noch etwas ausrichten können. Daher trug sich Mechthild eine Zeitlang ernstlich mit dem Gedanken, ihrem eigenwilligen Kinde einen zweiten Vater zu geben, und zwar den Großkaufmann Holger Hadebrandt, den sie durch Zufall kennenlernte. Als sie nämlich vor ungefähr drei Jahren an einem Wintertag das Haus, in dem sie wohnte, betreten wollte, sah sie eine Dame aus dem Geschäft, das nebenan lag, kommen und auf dem glatten Weg ausgleiten. Gefällig, wie Mechthild stets war, eilte sie hinzu, um der Unbekannten aufzuhelfen. Dabei stöhnte diese vor Schmerzen, weil sie sich den Fuß verletzt hatte.

»Um Gott, gnädige Frau, das ist ja furchtbar«, sagte Mechthild erschrocken. »Vielleicht können wir ganz langsam in den Laden nebenan gehen, von dem aus ich fernmündlich ein Auto bestellen werde, das Sie nach Hause bringt. Stützen Sie sich nur tüchtig auf mich, ich halte es aus.«

»Danke, liebes Kind, Sie sind sehr gütig. Wenn ich mich an Ihnen festhalten kann, ist der Schmerz erträglich. Mein Auto muß nämlich jeden Augenblick hier sein. Der Chauffeur ist nur zum Tanken gefahren, während ich meine Einkäufe machte.«

Und tatsächlich kam der Wagen schon wenige Minuten später. Der Chauffeur brachte seine Herrin mit Mechthilds Hilfe so unauffällig und geschickt im Auto unter, daß die Straßenpassanten nichts davon merkten, sondern achtlos vorübergingen. Mechthild wollte sich verabschieden, doch die Dame hielt sie zurück.

»Machen Sie das Maß Ihrer Güte voll, mein liebes Kind. Steigen Sie bitte mit ein, damit ich mich an Sie lehnen kann.«

Dazu war die junge Frau gern bereit. Sie leistete der Verletzten Hilfestellung. So gut es gehen wollte. Bald war eine Villa erreicht, die ein wenig außerhalb der Stadt lag. Der Chauffeur eilte in das schmucke Gebäude und kam gleich darauf mit einem Herrn wieder, der hastig den Schlag aufriß.

»Muttchen, was machst du bloß für Sachen!« sagte er erschrocken. »Komm, leg deine Arme um meinen Hals, dann werde ich dich tragen, so behutsam ich nur kann.«

Während die Dame der Aufforderung ihres Sohnes nachkam, schlüpfte Mechthild von der anderen Seite aus dem Auto und eilte auf schnellstem Wege nach Hause. Sie hatte am anderen Tage den Vorfall bereits vergessen und war überrascht, als sie auf ein Klingelzeichen die Korridortür öffnete und der Sohn der Verletzten, der sie gestern Hilfe geleistet, vor ihr stand und sich höflich verneigte.

»Verzeihung«, sagte eine

dunkle, klangvolle Stimme, die sich sofort in ihr Ohr schmeichelte. »Sind Sie die Dame, die meine Mutter gestern so gütigst betreut hat?«

»Ja. Es geschah von Herzen gern.«

»Darf ich mich bei Ihnen bedanken?«

»Wenn es sein muß«, lächelte sie ihr anmutiges Lächeln, das ihr rasch viele Herzen gewann. »Wollen Sie bitte nähertreten.«

»Wenn ich darf, mit Vergnügen.«

Bevor er im Zimmer den ihm angewiesenen Platz nahm, stellte er sich vor:

»Holger Hadebrandt.«

»Und ich heiße Mechthild Runard. Wie geht’s Ihrer Frau Mutter?«

»Danke – besser, als zu befürchten war. Sie ist nur recht unzufrieden, daß ihre gütige Helferin sich davongeschlichen hat, ohne ihren Dank entgegenzunehmen. Daher beschwor sie mich, Sie unter allen Umständen ausfindig zu machen, gnädige Frau. Allein, das schien nicht so einfach. Wohl konnte meine Mutter Ihr Aussehen beschreiben, doch das war sehr wenig, um Sie in dieser nicht so kleine Stadt zu finden. Zum Glück hatte Mutter bemerkt, welches Haus Sie betreten wollten. Also bin ich nach dem Geschäft gegangen, vor dem der kleinen Unfall geschah, beschrieb dort Ihr Äußeres, man wies mich hierher – und da bin ich«, schloß er mit seinem warmen Lachen.

Während er sprach, hatte Mechthild ihn unauffällig betrachtet. Keine alltägliche Erscheinung. Ziemlich hochgewachsen und recht schlank, mit einem rassigen Gesicht. Augen blaugrau und seine Haare von einem satten Blond. Dazu mit der unauffälligen Eleganz eines gutsituierten Menschen gekleidet.

Aber auch er hatte ihr Bild diskret in sich aufgenommen. Ergebnis: Die Gestalt über mittelgroß, Gesicht fein geschnitten, Augen groß, von einem leuchtenden Blau, Haare kastanienbraun, mit einem metallischen Glanz. Über allem lag ein Hauch von Vornehmheit, trotz der sehr einfachen Kleidung. Und das Lächeln – ja, das war einfach bezaubernd. Es umschmeichelte Kopf und Herz.

»Aber ich bitte Sie, Herr Hadebrandt«, lächelte sie ihn an. »Die Mühe, die mein Auffinden Ihnen gemacht hat, war doch unnötig. Was ich gestern getan habe, war einfachste Menschenpflicht.«

»Gewiß, gnädige Frau. Aber wird Sie dieser Pflicht genügen, das ist ausschlaggebend. Deshalb müssen Sie sich auch meiner Mutter und meinen Dank gefallen lassen. Darf ich Sie bitten, ihr den Gefallen zu tun und sie heute zu besuchen? Oder wäre Ihr Gatte dagegen?«

»Ich bin seit zwei Jahren Witwe, Herr Hadebrandt. Habe nur eine vierzehnjährige Tochter.«

»Wie ist denn das möglich, gnädige Frau?« fragte er verblüfft. »Wann haben Sie denn geheiratet?«

»Mit achtzehn Jahren«, lächelte sie amüsiert. »Mit neunzehn war ich bereits Mutter.«

»Immer noch erstaunlich, gnädige Frau. Sie sehen so jung aus, daß ich Sie ohne weiteres für ein junges Mädchen gehalten hätte, wenn der Geschäftsinhaber nebenan Sie nicht als Frau Runard bezeichnete.«

»Machen Sie oft solche Komplimente«, fragte sie leicht errötend, und er lachte.

»Bewahre! Ich mache Ihnen ja auch kein Kompliment, ich stelle nur ganz sachlich eine Tatsache fest. – Doch wie ist es, gnädige Frau, darf meine Mutter Sie heute nachmittag zu einer Tasse Kaffee erwarten? Die Ärmste, die nun an den Diwan gefesselt ist, langweilt sich sträflich. Daher täte ein gemütlicher Plausch ihr gut.«

»Wenn es nicht unbescheiden ist, dann komme ich gern«, entgegnete Mechthild einfach.

»Herzlichen Dank! Und bringen Sie auch Ihr Töchterlein mit.«

*

Mit dem Tage begann für Mechthild die glücklichste Zeit ihres Lebens. Als sie das Hadebrandt-Haus betrat, fühlte sie sich sofort darin heimisch. Seine feudale Umgebung, die vornehme Art seiner Bewohner nahmen sie immer mehr gefangen. Es verging kaum ein Tag, wo sie und Ebba dieses traute Heim nicht aufsuchten und es sich darin gut sein ließen. Auch dann, als Frau Hadebrandt schon längst wieder munter einherging.

Sie und ihr Sohn kannten nun die Vergangenheit Mechthilds. Die ihr karge Freude, doch um so mehr Trübsal

und Sorge gebracht. Frau Hadebrandt machte kein Hehl daraus, daß dieses feine, bescheidene Menschenkind ihr Herz besaß vom ersten Sehen an. Sie zeigte es ihr durch mütterliche Herzlichkeit.

Die menschenkundige Frau hat auch Ebba sofort durchschaut. Versuchte in feinfühliger Art, erzieherisch auf das eigenwillige Mädchen einzuwirken. Allein, viel Erfolg hatte sie nicht zu verzeichnen. Die verkehrte Erziehung von seiten des Vaters machte sich immer mehr bemerkbar.

Mechthild zuliebe ertrug sie deren hochfahrende, rücksichtslose Tochter mit Geduld. Denn sie hatte schon längst gemerkt, daß die sonst so vernünftig denkende Frau in bezug auf ihr geliebtes Kind außerordentlich empfindlich war. Und kränken wollte sie das ihr so liebe Menschenkind gewiß nicht.

Mit Rührung sah sie, wie dieses förmlich auflebte. Wie es von Tag zu Tag immer glücklicher und froher wurde. Wie ein jungfrohes Lachen sich immer mehr hervorwagte. Damit schmeichelte es sich von Tag zu Tag mehr und mehr in ihr mütterliches Herz.

Und noch einem gefiel die jetzt so jung gewordene, zur vollen Schönheit erblühte Mechthild: Holger Hadebrandt. Doch er hütete sich, das dieser sensiblen Frau offen zu zeigen, bevor seine Zeit gekommen war. Langsam und behutsam ging er bei seinem Werben um sie vor, Schritt um Schritt.

Nach einigen Wochen war er dann soweit, daß sie ihn beim Vornamen nannte und ihm für ihre Person das gleiche Recht einräumte. Frau Hadebrandt wurde für sie die geliebte Tante Anne.

Ebbas Gunst zu gewinnen war für Holger schon schwerer. Zwar ließ sie sich gnädig seine onkelhafte Herzlichkeit, seine kleinen Geschenke gefallen, stand ihm dabei jedoch ablehnend gegenüber. Denn zum ersten Mal im Leben mußte dieses egoistische Geschöpf erfahren, daß es nicht Hauptperson war, daß die Mutter hier an erster Stelle stand. Und das war etwas, das es absolut nicht vertragen konnte.

So ging es ein Vierteljahr, dann glaubte Holger Mechthilds Liebe sicher zu sein. Also bat er sie eines Tages, seine Frau zu werden, wozu sie mit glücklicher Freude bereit war.

Allein, Ebba sträubte sich mit leidenschaftlicher Heftigkeit dagegen, einen Stiefvater zu bekommen. Sie wollte keinen haben – nein – nein – nein! Damit sie das fünfte Rad am Wagen würde. Überhaupt dann, wenn sich später Kinder einstellten. Auf keinen Fall dürfe die Mutter heiraten – sonst ginge sie ins Wasser!

Kein flehendes Bitten, kein gütiges Zureden Mechthilds half – sie beharrte auf ihrem Starrsinn. Und als diese dann unwillig wurde, rannte sie in ihr Zimmer und schloß sich ein.

Die Mutter ließ sie gewähren. Vielleicht kam das vertrotzte Kind so eher zur Vernunft. Sie machte ihre Einkäufe, und als sie wiederkam – war Ebba fort.

Eine bebende Angst packte sie. Hatte das unglückselige Kind nicht gedroht, ins Wasser zu gehen? Wenn es diese Drohung, die sie nicht ernst genommen, nun wahr gemacht hätte?

In ihrer furchtbaren Not lief Mechthild von einer Freundin Ebbas zur anderen, hoffend, daß diese dort vorgesprochen hätte. Stieß jedoch bei drei Stellen auf verneinenden Bescheid, was ihre Verzweiflung ins Grenzenlose steigerte.

Doch Doritt Wentruck konnte ihr Bescheid geben. Ja, Ebba wäre bei ihr gewesen, vollständig aufgelöst in Jammern. Sie könnte es nicht ertragen, durch einen Stiefvater die geliebte Mutter zu verlieren. In den Schloßteich wollte sie gehen, das hatte sie immer wieder versichert.

Gejagt vor Angst, rannte die Mutter davon. Achtete nicht darauf, daß der Regen sie völlig durchnäßte. Dazu begann es bereits zu dunkeln.

»Barmherziger Gott, gib mir mein Kind wieder betete sie in ihrer Not. »Auf alles persönliche Glück will ich verzichten – gib mir nur mein geliebtes Kind wieder! «

Endlich fand sie dann Ebba an einer entlegenen Stelle des Teiches. Zusammengekauert hockte sie im Ufergebüsch. Ebenso naß wie die Mutter, mit vom Weinen verschwollenem Gesicht, in den Augen ein aufsässiges Funkeln.

»Geh doch – geh nur zu deinem Holger!« schrie sie der Mutter entgegen. »Was gehe ich dich noch an? Du hast ja ihn! Ach, wenn mein geliebter Papa wüßte, wie man sein Goldkind zurückstößt.«

Die Mutter kniete bei ihrem Kind. Versprach ihm in ihrer Herzensnot alles, worauf dieses egoistische Geschöpf lauerte. Und erst als die Mutter ihm hoch und heilig versprach, Holger Hadebrandt nicht zu heiraten, ließ es sich gnädig dazu herab, mit nach Hause zu gehen. War froh über Schnupfen und Halsschmerzen, die der Regen gebracht, und sah mit Genugtuung, wie dieses Unwohlsein die Sorge der Mutter noch vermehrte.

Die Nacht verbrachte Mechthild fast schlaflos. Sie schlich immer wieder an das Bett der Tochter, die wohl leicht fieberte, dabei jedoch friedlich schlief.

Am nächsten Morgen erklärte sie Holger Hadebrandt in einem langen Brief, warum sie seine Werbung nicht annehmen konnte. Sie hoffte dabei auf sein volles Verständnis – das jedoch ausblieb. Tagelang wartete sie auf sein Kommen oder doch wenigstens auf einen Brief doch nichts, alles blieb stumm. Später erfuhr sie dann duch Zufall, daß er ins Ausland gereist wäre, wo er geschäftliche Beziehungen hatte.

Und so endete ihr Traum vom Glück, der ja auch viel zu köstlich gewesen war, um Wahrheit werden zu können. Nach wie vor lebte sie nur für ihr Kind, sich immer wieder einredend, daß dieses nur allein das wahre Glück einer Mutter ausmachte.

Länger als ein Jahr hörte sie nichts mehr von Holger Hadebrandt. Und gerade als sie mit einer Grippe zu Bett lag, wollte er sie besuchen. Ebba, die ihm die Tür öffnete, erklärte kurz, daß die Mutter hohes Fieber hätte – und so ging er denn wieder. Schickte der Kranken einen Strauß rosa Nelken und wünschte auf einem beiliegenden Kärtchen gute Besserung. Und als Mechthild dann wieder aufstehen konnte, hatte er bereits wieder eine Geschäftsreise angetreten.

Auch über seinem zweiten Kommen, das nach geraumer Zeit erfolgte, schwebte ein Unglücksstern. Da war Mechthild mit Ebba während der Schulferien verreist. Als sie nach Hause zurückkehrte, fand sie im Briefkasten seine Visitenkarte mit einem Gruß.

Drei Jahre waren nun vergangen, seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen. Zum dritten Male war er gekommen.

Und nun?

Nun hatte die eigene Tochter ihr den noch immer geliebten Mann entführt. Warum auch nicht? Ebba war ein lachendes, lebenssprühendes Geschöpf und sie eine alte, müde Frau, trotz ihrer sechsunddreißig Jahre.

*

Mechthild schrak zusammen, als die Flurglocke anschlug. Als sie die Tür öffnete, stand der Ersehnte vor ihr. Und bei seinem Anblick fühlte die eben noch so müde Frau, wie jung ihr Herz doch war – jung und heiß.

»Sind Sie nicht auf dem Fest geblieben?« fragte sie, ängstlich bemüht, die jubelnde Freude in der Stimme nicht hören zu lassen. Beglückt horchte sie dann auf sein warmes, frohes Lachen.

»Bei dem Grünzeug? Ich bitte Sie, Mechthild, das ist doch nichts für einen Mann von achtunddreißig Jahren! Wohl habe ich der darauf erpichten Ebba den Gefallen getan, mich ihren Freundinnen zu zeigen, aber bei der ersten besten Gelegenheit bin ich auf und davon. Darf ich noch ein Stündchen bei Ihnen bleiben?«

»Wenn meine Gesellschaft Ihnen nicht zu trist ist, von Herzen gern.«

»Welch sonderbare Annahme! Sie ist direkt eine Beleidigung für Sie und auch für mich. Darf ich mir erlauben?«

Er überreichte ihr einige auserlesene schöne Frühlingsblüten und eine papierumhüllte Schachtel, welche die Bonbonniere ahnen ließ. Verlegen nahm sie beides in Empfang und bat ihn ins Wohnzimmer, wo er in der gemütlichen Sesselecke Platz nahm. Während sie die Blumen in eine Vase tat und sie mit Wasser versorgte, sah er sich mit frohen Augen in dem traulichen Gemach um.

»Wie schön es hier ist. So traute Behaglichkeit versteht nur ein Mensch wie Sie zu schaffen, Mechthild.«

»Das sagt der Mann einer so feudalen Behausung«, lachte sie herzlich. »Aber so trocken können wir unmöglich sitzen. Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?«

»Wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht, dann gern.«

»So müssen Sie mich ein Weilchen entschuldigen.«

Damit verließ sie das Zimmer und kam nach erstaunlich kurzer Zeit mit der Teekanne und einem Teller voll belegter Brotschnitten wieder. Rasch breitete sie eine gestickte Decke über den niederen Tisch, stellte ihr bestes Porzellan darauf und goß den duftenden Trank in die hauchfeinen Schalen. Schweigend schaute er dabei auf ihre geschickt hantierenden Hände, die trotz aller Hausfrauenarbeit so peinlich gepflegt waren.

»Ich bitte, tüchtig zuzulangen«, forderte sie ihn auf, indem sie ihm gegenüber Platz nahm. »Wenn ich gewußt hätte, daß Sie zurückkommen würden, hätte ich für einen festlicheren Imbiß gesorgt.«

»So haben Sie tatsächlich angenommen, daß ich auf dem Fest bleiben würde?«

»Warum nicht. Das ist ganz bestimmt viel amüsanter, als hier bei einer alten Frau zu sitzen.«

»Geschmacksache«, entgegnete er trocken. »Übrigens – alte Frau. Wollen Sie mich mit dieser unerhörten Bezeichnung herausfordern, das Gegenteil zu versichern?«

»Bewahre!« Sie hob abwehrend die Hände. »Sehen Sie mich genau an – dann werden Sie mir recht geben.«

»Habe ich bereits getan und wollte Sie schon fragen, wie Sie es eigentlich anfangen, so fabelhaft jung auszusehen. Es will mir sogar scheinen, als wären Sie in den drei Jahren, da wir uns nicht sahen, jünger statt älter geworden.«

»Ist das ein galanter Mann!« lachte sie hellauf. »Doch lassen wir das! Erzählen Sie lieber, wo überall Sie sich in den verflossenen drei Jahren herumgetrieben haben. «

»Herumgetrieben ist gut: Mit kurzen Unterbrechungen war ich im Ausland, wo es für mich viel zu tun gab. Aber es hat sich glänzend gelohnt. Auf der letzten Reise begleitete mich sogar mein Mutterchen, und wir wären noch nicht nach Hause zurückgekehrt, wenn ein trauriger Anlaß uns nicht dazu gezwungen hätte. Mein Bruder, der vor zwei Jahren starb, hinterließ eine Witwe mit zwei kleinen Kindern. Nun ist auch die Frau ihrem Herzleiden erlegen, so daß die Kleinen jetzt völlig verwaist sind. Als die erschütternde Todesnachricht meine Mutter und mich erreichte, traten wir sofort die Heimreise an, kamen jedoch zur Beisetzung zu spät. Eine Schwester der Verstorbenen hatte sich indes der verlassenen Kinder angenommen, wo sie unter deren eigenen Kindern das sozusagen fünfte Rad am Wagen waren. Meine Mutter nahm Ihre Enkelchen sofort zu sich. Sie betreut sie in rührender Weise. Sie kann ihnen trotz aller Liebe jedoch nicht die Mutter ersetzen, nach der sie noch immer jammern. Ist das nicht traurig, Mechthild?«

»Ja«, entgegnete sie leise. »Es ist immer traurig, wenn Kinder die Mutter verlieren. Ich wüßte nicht, was Ebba ohne mich anfangen sollte. Darum fürchte ich mich vor dem Sterben.«

»Nun, das dürfte doch wohl noch eine Weile Zeit haben. Oder sind Sie krank, daß Sie solche Gedanken hegen müssen?«

»Gottlob nicht. Aber wenn man in ständiger Sorge lebt wie ich, dann zählen die Jahre doppelt.

Nein. Ich komme mit dem, was mir zur Verfügung steht, ganz gut aus. Nur um Ebba sorge ich mich, daß sie so ganz anders ist, als ich mir meine Tochter immer gewünscht habe, damit habe ich mich längst abgefunden wie der Herrgott sie mir gab, damit muß ich zufrieden sein. Ich liebe mein Kind so, wie es ist; denn ich bin ja auch nicht ohne Fehler. Auch daß man junge Menschenkinder nicht immer nur bevormunden, sondern ihnen eine Freiheit lassen muß, damit sie sich individuell entwickeln können, habe ich mir zur Richtschnur gemacht.

Sehen Sie, Holger, es war immer mein Wunsch, daß Ebba ihr Abitur machen sollte, damit sie jeden Beruf ergreifen kann. Sie war auch damit einverstanden. Wenn sie in der Schule nicht ganz mitkam, nahm sie Nachhilfestunden. – Und heute kam sie nun ganz unerwartet mit dem Abgangszeugnis von Untersekunda nach Hause. Damit hat sie meine ganzen Hoffnungen zunichte gemacht. Ich weiß nicht, was ich mit ihr machen soll.«

Nachdenklich war der Mann ihren Worten gefolgt. Nun fragte er sachlich: »Hat Ebba sich das Abgangszeugnis ausstellen lassen, ohne vorher Ihre Einwilligung einzuholen?«

»Ja.«

»Und das dulden Sie, Mechthild?«

»Es bleibt mir ja nichts anderes übrig«, sagte die Frau leise. »Wenn ich sie zwinge, die Schule weiter zu besuchen, dann würde sie aus Opposition nicht lernen und letzten Endes doch abgehen müssen.«

»Da haben Sie recht. Zwingen können Sie Ebba natürlich nicht. Aber ihr gründlich ins Gewissen reden.«

»Habe ich bereits getan, doch sie blieb allen Vernunftsgründen unzugänglich. Augenblicklich hat sie den Wunsch, Schauspielerin oder Mannequin zu werden. Eignen würde sie sich schon dazu. Nur weiß ich nicht, ob sie die Ausdauer hat, sich in einem der schwierigen Berufe durchzusetzen. Ach, Holger, wie schwer ist es doch, bei seinem Kinde immer allein entscheiden zu müssen!«

Er wollte schon antworten, daß sie es ja hätte besser haben können, schwieg jedoch, durch Erfahrung klug geworden. Nach dem, was sich vor drei Jahren zugetragen, mußte er äußerste Vorsicht walten lassen.

Wohl konnte er ihr den Rat geben, die widerspenstige Tochter energischer anzufassen, allein, der würde kein Gehör finden. Würde höchstens Mechthilds Mutterstolz verletzen. Denn anscheinend war diese in ihre Ebba immer noch vernarrt, woraus diese berechnende kleine Person rücksichtslos ihren Nutzen zog.

Er hatte das Mädchen, das er drei Jahre aus den Augen verloren, heute nur eine Stunde lang beobachten können. Was er feststellen mußte, war Frühreife, hochgradige Eitelkeit und prahlerische Überschätzung des eigenen Ichs. Daher der Hang, sich rücksichtslos überall in den Vordergrund zu drängen und niemand neben sich gelten zu lassen.

Arme Mechthild, vielleicht ist die Sorge, die du dir jetzt um dein Kind machst, eine Nichtigkeit gegen die, die es dir noch machen würde!

Ja, was sollte er sagen? Es ist immer ein ziemlich undankbares Beginnen, sich in die Angelegenheiten anderer zu mischen – und hier schon ganz besonders, weil die Mutter nur tat, was die Tochter wollte, und daher seine Ratschläge nicht befolgen würde.

»Sie sind ja so schweigsam, Holger«, riß Mechthilds weiche Stimme ihn aus seiner Nachdenklichkeit. »Ist es Ihnen lästig, daß ich Sie mit meinen Sorgen behellige?«

»Durchaus nicht«, beeilte er sich zu versichern. »Es ist nur schwer für mich, Ihnen einen Rat zu geben, da ich Ebba seit drei Jahren aus den Augen verloren habe. Und gerade in dem Alter verändern sich junge Menschenkinder ungemein.«

»Welchen Eindruck machte denn Ebba auf Sie?«

»Oh – keinen ungünstigen. – Vielleicht ein wenig frühreif«, drückte er sich vorsichtig aus – und doch war es schon zuviel gesagt. Denn Mechthild wurde ablehnend. Daher setzte er hastig hinzu:

»Es kann aber auch Täuschung sein.«

»Das ist es bestimmt«, entgegnete sie indigniert – und er war froh, daß er mit seiner offenen Meinung zurückgehalten hatte. Wenn schon diese eine Bemerkung sie kampfbereit werden ließ, dann war höchste Vorsicht geboten. Schade, daß diese sonst so kluge, scharfsichtige Frau eine so überempfindliche Mutter war, die mimosenhaft ihr Inneres verschloß, sofern man an diese Überempfindlichkeit rührte. Sie mußte ihm doch so viel Vertrauen entgegenbringen, daß er es gut mit Ebba meinte.

»Gewiß«, – sprach Mechthild nun kühl. »Ebba hat wohl ab und zu eine Äußerung getan, die mir zu denken gab. Wie zum Beispiel, die sie heute über Ihre Person machte, Holger. Doch damit wollte sie sich nur wichtig tun. Plapperte gedankenlos nach, was sie mal irgendwo aufschnappte. Schließlich muß ich mein Kind doch am besten kennen, da ich es immer unter Augen hatte. Mag es sonst sein, wie es will, aber frühreif ist es nicht. Sonst hätte dieses Dummchen heute nicht freimütg erklärt, daß es am liebsten heiraten möchte.«

»Kein übler Gedanke«, lachte der Mann. »Dann wären Sie mit einem Schlage die Berufssorge um Ebba los. Doch nun muß ich zusehen, daß ich nach Hause komme. Mein Muttchen wird schon denken, ich bin verschütt gegangen.«

Als er ihre Hand an die Lippen zog, fragte sie leise: »Werden Sie wiederkommen, Holger?«

»Wenn ich darf, gern, Mechthild.«

Damit ging er, und sie kehrte langsam ins Wohnzimmer zurück – so recht enttäuscht, ehrlich genug, um sich einzugestehen, daß sie von seinem Besuch mehr erwartet hatte. Mit keinem Wort war er auf das, was vor drei Jahren geschah, zurückgekommen.

*

Es war schon nach ein Uhr, als Ebba endlich nach Hause kam. Sie hatte fest damit gerechnet, daß die Mutter nicht auf sie warten, sondern schlafen gegangen sein würde. Hatte die Schlüssel eingesteckt um sich leise in die Wohnung schleichen zu können. Als sie jedoch von der Straße aus die beiden hellen Fenster des Wohnzimmers sah, begehrte sie unten vor der

Haustür Einlaß. Frech sah sie der Mutter ins Gesicht, die ihr die Tür öffnete. Während sie die Treppen emporstiegen, sagte diese nichts. Doch im Zimmer machte sie ihrem Unwillen Luft:

»So spät kommst du, Ebba? Du solltest dich schämen!«

»Warum?« fragte das Mädchen keck. »Dann müssen sich ja alle Mädchen schämen, die mit mir auf dem Fest waren. Denn sie sind so lange geblieben wie ich. Ich glaube nicht, daß ihre Mütter solch Lamento darüber machen. Wenn du doch endlich begreifen wolltest, daß ich jetzt erwachsen bin und dir daher nicht mehr am Rockzipfel hängen kann.«

Die Mutter antwortete nicht, weil sie etwas entdeckt hatte, was ihr augenblicklich die Sprache verschlug – und zwar Ebbas kahlen Hals.

»Wo hast du die Kette?«

»Verloren«, entgegnete das Mädchen gleichmütig. »Fang um Himmels willen nicht an zu jammern, du wirst dein geliebtes Erbstück schon wieder bekommen. Es kann nur im Tanzsaal verloren gegangen sein. Die Ober sind verständigt. Mehr konnte ich nicht tun.«

»Ebba, wirklich, deine Gleichgültigkeit ist einfach haarsträubend!« brauste Mechthild nun auf. »Hast du denn keine Ahnung, wie wertvoll die Kette ist?«

»Herrgott, ja!« überschrie Ebba sie schrill. »Was kann ich dafür, daß du das Schloß nicht besser gesichert hast, als du mir den Schmuck umlegtest! Hier hast du das Armband.«

Das landete vor Mechthilds Füßen und die Tür knallte hinter Ebba zu.

Mechthild sank auf den nächsten Stuhl und weinte vor Ratlosigkeit und um noch anderes mehr, das ihr das Herz zusammenpreßte in dumpfem Schmerz. Dann suchte sie ihr Bett auf, um sich darin schlaflos herumzuwälzen in

Not und Pein – während Ebba, von süßen Träumen umgaukelt, prachtvoll schlief.

Es war spät, als sie am nächsten Morgen erschien, sich an den Tisch setzte, um ausgiebig zu frühstücken. Blühend und frisch sah sie aus, plauderte vergnügt drauflos, als wäre nichts geschehen.

*

»Herrlich war es gestern. Ach, was habe ich getanzt. Nicht einen Tanz habe ich gesessen, was man von anderen Mädchen nicht behaupten kann. Na ja, es waren ja auch Schleiereulen genug darunter – Mutti, mach bloß ein anderes Gesicht.« Sie wurde ernstlich böse. »Du wirst deine Kette schon wieder kriegen. Diese ewige Duldermiene kann einen ja verrückt machen.«

Ehe Mechthild etwas erwidern konnte, war sie hinausgestürmt, lief die Treppen hinab und schlenderte dann die Straße entlang. Jedoch nicht nach dem Lokal, in dem das Fest stattgefunden, lenkte sie ihre Schritte, sondern nach dem großen Gebäude, in dem sich die Hadebrandtschen Büroräume befanden. Dort fragte sie nach dem Chef und stand nach einigen Schwierigkeiten in »seinem Allerheiligsten«, wie sie es spöttisch betitelte.

»Tag, Holger«, grüßte sie ihn lachend, der am Schreibtisch saß und erstaunt den Kopf hob.

»Guten Tag, Ebba, wo kommst du denn her? Es ist sonst nämlich nicht so einfach, formlos bei mir einzudringen.«

»Siehst du, ich bekomme alles fertig. Wozu habe ich denn meine schönen Augen und meine einschmeichelnde Stimme, wenn ich die strengen Türwächter damit nicht betören sollte? Männer sind immer bestechlich, sofern man es nur richtig anfängt.«

Immer noch lachend, ließ sie sich in den schweren Klubsessel neben dem Schreibtisch sinken, griff sich aus dem Etui, das offen da lag, eine Zigarette und sah den Mann herausfordernd an.

»Du rauchst, Ebba?«

»Warum nicht. Ist das etwa etwas Besonderes?«

»Bei einem so jungen Mädchen allerdings.«

»Na, einmal muß man doch damit anfangen. Sieh mich nicht so mißbilligend an, reich’ mir lieber Feuer.«

Schweigend kam er ihrem Wunsch nach, und an der Art, wie sie rauchte, merkte er, daß es nicht ihre erste Zigarette war. Sie sah sich neugierig in dem behaglichen Raum um, bis sie anerkennend bemerkte:

»Schön hast du es hier. Gar nicht so kahl und nüchtern, wie Büroräume sonst sind. Arbeitest du auch hier?«

»Ich nehme es an«, gab er amüsiert zurück. Er steckte seine Zigarette in Brand, legte sich im Stuhl zurück und betrachtete das Mädchen schweigend, das unter dem halb ironischen, halb nachsichtigen Blick dieser klaren Augen nun doch ein wenig verlegen wurde.

»Hm – ja – ich bin nämlich gekommen – um dich zu bitten, Holger…«

»Da bin ich aber gespannt.«

»Ich sitze in einer scheußlichen Klemme.« Jetzt hatte sie ihre Keckheit bereits wiedererlangt.

»Arg schlimm?«

»Sehr schlimm. Ich brauche Geld.«

»So – so.«

»Werde bitte nicht ironisch.« Sie warf den Kopf in den Nacken. »Es fällt mir ohnehin nicht leicht, dich anzupumpen aber was soll ich machen? Ich habe nämlich auf dem Fest Muttis Kette verloren, die ein Ober gefunden hat und nun fünfzig Mark Finderlohn verlangt. Glaubst du mir etwa nicht? Dann kannst du ja meine Mutter fragen. Die wird dir bestätigen, daß ich ohne Kette nach Hause kam. Wie gewöhnlich hat sie sich künstlich aufgeregt, obgleich ich beteuerte, daß der Schmuck gefunden werden wird, was ja nun auch tatsächlich der Fall ist. Aber wenn ich der alten Dame nun noch mit den fünfzig Mark komme, dann schnappt sie bestimmt über.«

»Ist die Art nicht etwas sonderbar, in der du über deine Mutter sprichst?«

»Sonderbar? Wieso?« entgegnete sie verblüfft. »Eine Mutter ist doch keine Respektsperson, vor der man in Ehrfurcht versinken muß. Und meine schon gar nicht. Die ist so altmodisch und unselbständig, daß ich sie oft bevormunden muß. Das habe ich schon getan, als mein Vater noch lebte, der das sehr richtig fand. Ein Segen, daß er mich zwölf Jahre lang erzog, ohne sich von seiner Frau in der Erziehung dreinreden zu lassen. Sonst hätte ein gutes Gänschen aus mir werden können.«

»So – so«, sagte der Mann wieder weiter nichts. Er entnahm seiner Brieftasche einen Fünfzigmarkschein, legte ihn vor Ebba hin, die gierig danach griff.

»Danke«, sagte sie mit einer Miene, als käme ihr das Geld zu. »Höchst anständig von dir, Holger. Ich habe ja gewußt, daß du mir, ohne viel Worte zu machen, aus der Patsche helfen wirst. Wenn du wirklich einmal in Not bist, wende dich nur an mich«, tat sie großartig – und da mußte der Mann – denn doch lachen.

»Äußerst beruhigend für mich, meine Dame. Doch du hast mir noch gar nicht erzählt, wie es dir auf dem Fest gefallen hat.«

»Einfach fabelhaft war es. Getanzt habe ich – olala! Eigentlich bin ich dir böse, daß du so schnell verschwandest. Warum denn nur?«

»Weil ich mich unter euch Grünzeug reichlich sonderbar ausgenommen hätte.«

»Grünzeug?« empörte sie sich. »Es gab Abiturientinnen darunter, die zweiundzwanzig Jahre zählen.«

»Immer noch zu jung für meine achtunddreißig, mein Fräulein.«

»Ansichtssache«, meinte sie wegwerfend. »Eine neunzehnjährige Bekannte von mir hat kürzlich einen Fünfzigjährigen geheiratet. Und mein Vater war auch dreißig Jahre älter als meine Mutter. Trotzdem haben sie gut zueinander gepaßt.«

»Das mußt du ja wissen, du Küken«, amüsierte er sich – und da war sie beleidigt.

»Küken – wenn ich so was schon höre. Doch jeder, wie er kann, mein würdiger Herr.«

Sie griff zur zweiten Zigarette. Während er ihr Feuer reichte, stellte er die Frage: »Wieviel der schädlichen Dinger rauchst du eigentlich so am Tag, Ebba?«

»Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde eine stattliche Anzahl zusammenkommen. Aber bei meinem ärmlichen Taschengeld muß ich mich leider bescheiden; denn zum Naschen soll ja auch noch etwas übrigbleiben.«

»Was entschieden bekömmlicher

für dich ist. Frauen, die viel rauchen, werden vor der Zeit alt, meine Kleine.«

»Da frage ich viel danach«, schürzte sie verächtlich die Lippen. »Ich tue, was mir gefällt.«

»Wohl dir, daß du es kannst. Ich jedenfalls kann selten das tun, was ich gern möchte.«

»Du sprichst genauso wie meine Mutter. Gräßlich! Wenn ich du wäre, dann wüßte ich, was ich täte.«

»Was denn zum Beispiel?«

»Och, da gibt es so vieles«, wippte sie mit den schlanken Beinen, deren Knie der Rock freigab. Die Augen blitzten ihn kokett an. »Schöne Reisen machen, mich amüsieren, alles mitnehmen, was so ein mondänes Reiseleben bietet.«

»Und arbeiten?« fragte er sarkastisch dazwischen. »Wenn man nämlich nicht arbeitet, dann hat man auch nichts. Denn Menschen, die ohne einen Finger zu rühren so viel Geld besitzen, um unbekümmert ihrem Vergnügen nachgehen zu können, gibt es nur vereinzelt. Und da du zu denen nicht gehörst, wirst du ja wohl oder übel arbeiten müssen, um leben zu können…«

»Hör schon auf«, winkte sie verdrießlich ab. »Ich weiß selbst, daß ich leider arbeiten muß – wenn ich nur wüßte, was. – Halt, ich hab’s!« fuhr sie lebhaft auf.

»Gib mir in deinem Büro einen Posten, ja? Warum lachst du denn?«

»Weil mich deine Forderung erheitert. Welcher Art soll die Stellung denn sein? Primadonnenposten habe ich nämlich nicht zu vergeben.«

»Frecher Mensch!« funkelte sie ihr, empört an. »Ich bin dir ernstlich böse, verstehst du?«

Die Tür knallte hinter ihr zu. Was der Mensch sich erlaubte, sich über sie lustig zu machen! Na warte, mein Herr, du sollst noch ganz zahm werden!

*

Ebba Runard begab sich jetzt in das reiche Haus der Wentrucks.

Sie traf diese Freundin in ihrem Zimmer an. Brüsk legte sie vierzig Mark auf den zierlichen Schreibtisch, an dem Doritt saß.

»Nun gib mir die Kette. Hast mir Unannehmlichkeit genug gemacht, mit deiner unverschämten Forderung. Meine alte Dame hat nicht wenig gejault, als sie meinen kahlen Hals bemerkte.«

»Du hast ja eine nette Art, von deiner Mutter zu sprechen«, entgegnete das dunkelhaarige, sehr hübsche Mädchen kopfschüttelnd. »Ich werde es nie begreifen, wie diese vornehme, sensible Frau zu einer solch minderwertigen Tochter kommt! Mag der Armen schwer genug gefallen sein, dir auf den Hunderter noch vierzig Mark draufzugeben. Hat sie dir das Märchen mit dem Finderlohn geglaubt?«

»Natürlich, meine Mutter glaubt mir alles«, prahlte Ebba, das sorgfältig verpackte Schmuckstück, das Doritt ihr reichte, nachlässig in die Handtasche schiebend.

»Tu man nicht so, du lügst deiner Mutter auch oft etwas vor.«

»Man immer langsam«, lachte Doritt. »Meine Mutter und sich was vorlügen lassen! Ich habe es wohl ab und zu versucht, erlebte jedoch jedesmal eine große Pleite. Von mir aus hätte ich dir ja das Geld geschenkt. Aber da ich über meine Ausgaben Buch führen muß, in das meine liebe alte Dame jeden Ersten einsieht, so wäre sie hinter das Geschenk gekommen und hätte mir mein Taschengeld auf einige Zeit entzogen oder es zum mindesten erheblich gekürzt, so daß ich nichts mehr an leichtsinnige Freundinnen verschenken könnte. Bei uns herrscht nämlich Ordnung und Sparsamkeit, mein Kind.«

»Spießig – bei dem Reichtum«, meinte Ebba wegwerfend. »Was hast du davon, wenn dir jede Mark eingezählt wird?«

»Daß ich den Wert des Geldes frühzeitig schätzen lerne«, entgegnete das kluge Mädchen gelassen. »Wir lassen uns gewiß nichts entgehen, wie du bemerkt haben wirst, aber wir verprassen unser Geld auch nicht unsinnig. Mein Vater pflegt zu sagen: Was der Mensch braucht, das soll er haben und noch etwas darüber hinaus. Alles weitere ist ein Laster. Danach richten wir uns, wobei wir noch nie zu kurz gekommen sind.«

»Ach du Salbadertopp«, schüttelte Ebba sich. »Ich weiß gar nicht, warum ich dich meine Freundin nenne. Wir passen doch überhaupt nicht zusammen.«

»Stimmt«, gab Doritt lachend zu. »Ich laufe dir ja auch nicht nach, sondern du mir, weil du allerlei Vorteile dadurch hast. Denn aus Liebe zu mir tust du das ganz bestimmt nicht. Also bleibe ruhig weg, wenn ich dir zu salbaderig bin. Ich werde darüber ganz gewiß nicht sterben.«

Das Gespräch wurde durch Frau Wentrucks Eintritt unterbrochen. Ebba, die diese stattliche Dame mit den durchdringenden Augen unausstehlich fand, wurde unbehaglich zumute. Daher mußte sie zusehen, daß sie sich schnell drückte.

»Ah, die Ebba«, begrüßte sie das Mädchen mit leichter Ironie. »Wie geht es der Mutter?«

»Danke, gnädige Frau, gut. Entschuldigen Sie bitte, daß ich mich verabschiede. Ich möchte zum Mittagessen pünktlich zu Hause sein.«

»Löblicher Vorsatz. Grüßen Sie die Mutter.«

Damit verschwand sie, und Frau Wentruck sah ihr lachend nach.

»Ist doch nur gut, daß es jemand gibt, der diesem unverfrorenen Persönchen ein wenig Respekt einflößt. Schade, daß ich es nicht unter meiner Fuchtel habe. Vielleicht könnte dann noch etwas daraus werden. Hat sie dir die vierzig Mark tatsächlich gebracht?«

Sie zeigte auf das Geld, das noch immer auf dem Schreibtisch lag. Doritt senkte verlegen den Kopf unter den forschenden Mutteraugen.

»Woher weißt du denn das schon wieder, Mutti?« murmelte sie. »Dir entgeht doch auch wirklich nichts.«

»Wohl dir, mein Kind«, war die trockene Erwiderung. »Wenn man eine heranwachsende Tochter hat, muß man die Augen offen behalten. Nun erzähle schon, den Kopf wird’s nicht kosten.«

»Ach, Mutti, wenn du bereits alles weißt…«

»Alles nicht. Rück heraus mit der Sprache.«

Zärtlich strich sie über den dunklen Scheitel ihres Kindes. Das war die Art, wie sie mit ihrer eigenwilligen Jüngsten umzugehen pflegte, wenn diese ihr die kleinen Heimlichkeiten beichten sollte.

So hatte sie es auch mit ihren beiden älteren Kindern, die bereits verheiratet waren, gehalten. Hat ihnen für die meist harmlosen Vergehen nie Vorwürfe gemacht, sondern sie gütig ermahnt und an ihr Gewissen appeliert.

Die Folge davon war, daß sie mit allem, was sie bedrückte, auch jetzt noch zuerst zur Mutter kamen, die stets Rat wußte. Das Elternhaus war für sie immer noch der sicherste Hafen, den man unbesorgt anlaufen konnte, um dort das Lebensschifflein wieder flott zu kriegen.

Doritts Schifflein, das ja in diesem Hafen noch fest verankert lag, wurde betreut von der festen Hand des Kapitäns, der es sturmsicher machte, indem er Faules ausrottete und nur Blitzblankes duldete, damit auch dieses Schiff später getrost ins Leben hineinsegeln konnte, ohne Bruch zu erleiden.

»Muttchen, du witterst doch sicher wer weiß was«, lachte Doritt sie nun fröhlich an. »Dabei ist es gar nicht so schlimm wenigstens nicht für mich. Gestern nachmittag, als du ausgegangen warst, rückte Ebba bei mir an und zeigte mir ein soeben gekauftes Kleid nebst Schuhen. Erzählt, daß die Sachen mehr Geld gekostet hätten, als sie bei sich gehabt. Daß ihre Mutter nicht zu Hause gewesen wäre, als sie den Rest holen wollte.

Na, kurz und gut, ich sollte mit vierzig Mark aushelfen, da sie dem Inhaber des Schuhgeschäftes fest versprochen hätte, das fehlende Geld sofort zu bringen. Außerdem wollte sie sich Dauerwellen legen lassen, wozu sie die Erlaubnis der Mutter bereits habe…«

»Und das hast du alles geglaubt«, unterbrach Frau Wentruck sie kopfschüttelnd.

»Nein, Mutti, nicht unbedingt. Aber wenn ich ihr das Geld nicht gegeben, so hätte sie es sich bei einer ihrer leichtfertigen Freundinnen besorgt, und die Geprellte wäre ohne weiteres zu Frau Runard gegangen, um von ihr die Summe zu kassieren. Und das wollte ich vermeiden. Nicht wegen Ebba, sondern um deren Mutter willen, die mit ihrer unnützen Tochter schon gerade genug geplagt ist.

Ich gab Edda also das Geld unter der Bedingung, daß ich es abends zurückerwartete, worauf sie einen Eid schwor.«

»Und den natürlich brach«, fiel die Mutter lakonisch ein.

»Leider, als sie auf dem Fest mit allerlei Ausreden kam, verlangte ich die Kette als Pfand. War das richtig, Mutti?«

»Bei Ebba unbedingt. Es geht hier nicht um das Geld, das du gewiß verschmerzen könntest, mein Kind, sondern darum, daß man den Leichtsinn des Mädchens nicht noch unterstützt. Der Mutter mag es schwer genug gefallen sein, zu der Summe, die sie der Tochter schon schweren Herzens gab, auch noch die vierzig Mark draufzulegen. Ich verstehe nicht, daß sie nicht mit zu dem Einkauf ging.«

»Das wird sich Ebba verbeten haben, Mutti.«

»Schlimm genug, wenn eine Mutter sich das von einem siebzehnjährigen Ding gefallen läßt. Die wird ihre Nachsicht noch einmal bitter bereuen. Es tut mir leid um die feine, sympathische Frau, die einen solchen Teufel zur Tochter haben muß. Für den hätte zum täglichen Brot eine Tracht Prügel von kleinauf gehört.«

»Aber Mutti!« lachte Doritt hellauf. »Du wirst ja ordentlich rabiat.«

»Ist doch auch klar«, erboste sich die Dame immer mehr. »Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Kein Silberstäbchen, geklirrt von zarter Hand, wie sie Frau Runard eigen. Sie hätte auf keinen Fall zugeben dürfen, daß Ebba jetzt schon von der Schule abging. Was will die nun eigentlich anfangen?«

»Schauspielerin oder Mannequin will sie werden«, lachte Doritt amüsiert über der Mutter verblüfftes Gesicht.

»Ach du lieber Gott – das fehlt gerade noch! Das wäre so der richtige Beruf für den Flattergeist. Und Frau Runard ist damit einverstanden?«

»Wenn auch momentan nicht, so bekommt Ebba sie mit der Zeit bestimmt dahin, wo sie will. Sie hat bisher immer ihren Willen durchgesetzt. Manchmal habe ich sie darum beneidet.«

»Kann ich mir denken«, meinte Frau Wentruck trocken. »Aber laß nur. Je fester die Kandare ist, die ein Füllen angelegt bekommt, um so weniger spürt

es diese später. Sag mal, wie hat Ebba sich auf dem gestrigen Fest benommen?«

»Auffallend wie gewöhnlich. Sie hat natürlich viel getanzt, hauptsächlich mit Egolf Dietsch. Das ist nämlich ihr neuster Schwarm«, erklärte sie ernsthaft, und die Mutter mußte lachen.

»Wieviel Schwärme hat das siebzehnjährige Balg denn schon gehabt?«

»Immerhin einige. Sie ist aber auch wirklich hübsch. Überhaupt gestern in dem entzückenden Kleid! Richtig Aufsehen hat sie erregt. Egolf ist auch mächtig in sie verschossen.«

»Der paßt ja auch vorzüglich zu dem Firlefanz. Und wie war es mit dir?« forschte sie vorsichtig. »Hast du etwa nicht getanzt?«

»O ja, wenn auch nicht so viel wie Ebba.«

Frau Wentruck freute sich über ihr Kind, das der Freundin so selbstlos den Vorrang zusprach. Ob es denn nicht wußte, wie schön es selber war, mit der feingliedrigen Gestalt, den tiefblauen Augen zu dem dunklen Haar und dem rassigen Gesicht? Wohl kaum, sonst wäre es nicht so bescheiden.

Doritt fuhr lebhaft auf. »Wußtest du, Mutti, daß Onkel Holger schon wieder von seiner Reise zurück ist?«

»Nein.«

»Aber ich weiß es. Er erschien nämlich mit Ebba zum Fest. Ganz fabelhaft sah er aus. So richtig wie ein Mann von Welt.«

»Nanu, Kleines, du bist ja ordentlich begeistert«, lachte die Mutter, während sie der Tochter prüfend in das Gesicht sah, das jedoch ganz harmlos blieb.

»Wie kam er denn zu Ebba?« fragte sie

»Er besuchte ihre Mutter und kam dann mit Ebba zum Fest, die ganz entsetzlich mit ihm angab. Er tanzte jedoch nur einmal mit ihr und dann mit mir, worauf er verschwand. Wie er lachend behauptete, kam er sich unter dem Grünzeug recht deplaciert vor.«

»So, so«, sagte die Mutter versonnen. »Es wäre besser gewesen…«

Was sie damit meinte, blieb unausgesprochen, weil der Gong zur Mittagstafel rief. Somit war es Zeit, seinen äußeren Menschen ein wenig aufzufrischen.

*

Zur selben Zeit nahm man auch im Hadebrandthause das Mittagsmahl ein. An der Tafel saßen außer Mutter und Sohn auch die beiden kleinen Mädchen, die jetzt Heimatrecht hier hatten. Allerliebste Dingelein von fünf und zweieinhalb Jahren.

Obgleich die Kleinste noch nicht an den gemeinsamen Tisch gehörte, hielt die Großmutter es jedoch für richtig, sie wenigstens an dem Mittagessen teilnehmen zu lassen. Sie saß auch recht manierlich auf ihrem durch Kissen erhöhten Stuhl und kam sich sehr wichtig dabei vor.

Die Schwesterchen sahen sich sehr ähnlich, mit ihren blonden Löckchen und den großen blauen Träumeraugen. Brigit, die ältere, war schon recht verständig und bemutterte die kleine Ann-Magret, was diese sich gutwillig gefallen ließ. Tröstete sie auch, wenn sie noch immer nach der Mutter jammerte, obgleich ihr selber das Herzchen weh tat. Die Omi war ja sehr lieb und Onkel Holger auch, aber die Mutti! Ja, wenn diese auch hier wäre, wie schön!

»Birgit, mein Liebling, du mußt jetzt aber essen«, mahnte Frau Hadebrandt gütig, als sie das Kind lustlos im Teller herumstochern sah. »Schau mal, wenn du nicht ißt, tut Ann-Magret es auch nicht. Und das geht doch nicht an, nicht wahr?«

»Nein, Omi«, entgegnete das Dinglein ernsthaft. »Darum esse ich jetzt wirklich.«

»Iß auch«, echote das Schwesterchen, einen allerliebsten Schalk in den Augen. »Sonst bekomme is von Onkel Holger nis die Sßoklade.«

»Na, du materielles Persönchen!« drohte der Onkel lachend zu dem kleinen Schelm hin. »Aber recht hast du. Wer seinen Teller nicht leer ißt, bekommt vor dem Schläfchen keine Leckerei. Darum hurtig, meine kleinen Damen!«