Lennox und die Macht des Sehers: Das Zeitalter des Kometen #40 - Jo Zybell - E-Book

Lennox und die Macht des Sehers: Das Zeitalter des Kometen #40 E-Book

Jo Zybell

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Beschreibung

von Jo Zybell Der Umfang dieses Buchs entspricht 110 Taschenbuchseiten. Eine kosmische Katastrophe hat die Erde heimgesucht. Die Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Die Überlebenden müssen um ihre Existenz kämpfen, bizarre Geschöpfe sind durch die Launen der Evolution entstanden oder von den Sternen gekommen, und das dunkle Zeitalter hat begonnen. In dieser finsteren Zukunft bricht Timothy Lennox zu einer Odyssee auf … Tim Lennox muss auf der Suche nach Marrela mit dem Franzosen-Kaiser, der ebenfalls durch die Zeit geschleudert ist, zurechtkommen. Der hat ein feudalistisches Imperium aufgebaut und verspricht Hilfe, aber kann er dieses Versprechen einhalten? Es sieht so aus, als verfolge er eigene Ziele. Außerdem bleiben ihm nur noch wenige Tage Lebenszeit.

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Seitenzahl: 113

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Jo Zybell

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Inhaltsverzeichnis

Lennox und die Macht des Sehers: Das Zeitalter des Kometen #40

Copyright

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Lennox und die Macht des Sehers: Das Zeitalter des Kometen #40

von Jo Zybell

Der Umfang dieses Buchs entspricht 110 Taschenbuchseiten.

Eine kosmische Katastrophe hat die Erde heimgesucht. Die Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Die Überlebenden müssen um ihre Existenz kämpfen, bizarre Geschöpfe sind durch die Launen der Evolution entstanden oder von den Sternen gekommen, und das dunkle Zeitalter hat begonnen.

In dieser finsteren Zukunft bricht Timothy Lennox zu einer Odyssee auf …

Tim Lennox muss auf der Suche nach Marrela mit dem Franzosen-Kaiser, der ebenfalls durch die Zeit geschleudert ist, zurechtkommen. Der hat ein feudalistisches Imperium aufgebaut und verspricht Hilfe, aber kann er dieses Versprechen einhalten? Es sieht so aus, als verfolge er eigene Ziele. Außerdem bleiben ihm nur noch wenige Tage Lebenszeit.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /COVER LUDGER OTTEN

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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1

12. März 2524, vor Wimereux-à-l‘Hauteur

Da stand er nun an der Bugreling seiner kaiserlichen Roziere, presste seine Stirn gegen das Glas, hielt die Augen geschlossen und sagte nichts. Hinter ihm beobachtete Timothy Lennox den Autokraten im hellblauen Frack, mit den Pumphosen, den weißen Kniestrümpfen, den schwarzen Lackschuhen und der altertümlichen weißen Perücke.

Vor wenigen Minuten erst hatte der Mann aus der Vergangenheit Kaiser Pilatre de Rozier eröffnet, dass er vermutlich nicht mehr lange zu leben hatte. Jetzt wartete er auf eine Reaktion; aber da kam nichts, kein Wort. »Haben Sie verstanden, was ich eben gesagt habe?«, fragte Lennox ungläubig.

»Aber ja, mon cher ami, aber ja!« Der Kaiser drehte sich um und lächelte. »Alle Menschen müssen einmal sterben, vielleicht sogar ich.«

Wahrhaftig: Er lächelte!

Vielleicht sogar? Tim konnte es nicht fassen: Der Kaiser schien seine Warnung gar nicht ernst zu nehmen!

Er hatte nachgerechnet: Wenn seine Geschichte stimmte, war de Rozier am 5. April 2474 in diese Zeit gelangt. Der Zeitsprung lag also fast fünfzig Jahre zurück! In nicht ganz einem Monat würde es vorbei sein mit dem Schein der ewigen Jugend. Dann würde der barocke Autokrat sich innerhalb weniger Stunden in eine zerfallende Mumie verwandeln.

Timothy trat näher an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr; die Worte waren nicht für den Rest der Besatzung bestimmt.

»Hören Sie, Majestät – ich weiß, wovon ich rede! Die Tachyonen des Zeitstrahls halten den Alterungsprozess nur fünfzig Jahre lang auf!«

»Naturellement!« Der Kaiser öffnete die Augen, holte ein Teleskopfernrohr aus der Fracktasche und zog es auseinander. »Doch jetzt wollen wir uns auf die Landung auf Wimereux-à-l‘Hauteur konzentrieren, nicht wahr?« Er richtete sein Fernrohr auf die näher rückende Wolkenstadt.

Tim konnte nur hoffen, dass der einzige Grund für de Roziers Verschlossenheit darin bestand, dass sich nun auch die restlichen Insassen des Luftschiffs um sie versammelt hatten: Neben den beiden Piloten waren das sein Sohn Prinz Akfat, zwei Leibwächter, eine Ärztin aus Orleans-à-l‘Hauteur, die das Anti-Serum gegen die Gruh-Seuche mit sich führte, ein Hauptmann namens Lysambwe und Pierre de Fouché, ein hochrangiger Militär. Sie alle – nicht einmal der Sohn des Kaisers – wussten nicht um seine wahre Geschichte, sein früheres Leben und wie er in diese Zeit und nach Afrika gelangt war.

Ihm dagegen, Timothy Lennox, hatte der barocke Mann auf dem viertägigen Flug sein Geheimnis offenbart, so wie ihm Tim zuvor seine Geschichte erzählt hatte. Das gemeinsame Schicksal hatte den Kaiser schließlich Vertrauen fassen lassen.

So wie Tim selbst als amerikanischer Luftwaffenpilot in den Zeitstrahl der Fischartigen geraten und auf einer postapokalyptischen Erde des 26. Jahrhunderts gestrandet war, so hatte es Pilatre de Rozier, den französischen Flugpionier und Ingenieur, aus dem späten 18. Jahrhundert hierher verschlagen.

Sie beide hatten lernen müssen, in einer völlig veränderten, gefährlichen Umwelt zu überleben. De Rozier hatte in dieser Zeit wahre Wunderwerke geschaffen; auf eines flogen sie gerade zu.

Die Wolkenstadt kam langsam näher und der Pilot drosselte die Dampfmaschine der Roziere, um die Landung einzuleiten.

Die Szene erinnerte Tim wie ein déjà vu an ihre Ankunft bei Orleans-à-l‘Hauteur vor über einer Woche. Damals waren sie von der Großen Grube gekommen, wo eine Schlacht stattgefunden hatte zwischen den kaiserlichen Truppen und bizarren Wesen, die aus der Tiefe hervor gekrochen waren: Tim hätte sie als Zombies bezeichnet, bei den Einheimischen hießen sie »Gruh«.

Während das Luftschiff nun eine leichte Kurve beschrieb und seine Flughöhe an die der Wolkenstadt anglich, wanderten Tims Gedanken zurück zu seiner Ankunft auf Orleans, bei der eine Frau an seiner Seite gestanden hatte, mit der zusammen er den Kaiser aus höchster Not gerettet und die ihn über die Maßen beeindruckt hatte …

2

8. März 2524, vor Orleans-à-l‘Hauteur

Die schokoladenfarbene Schönheit stand neben dem Kaiser – ihrem Vater – an der Reling und blickte zu der näher kommenden Wolkenstadt: Prinzessin Marie. In dem Moment, da Tim an das Bugfenster trat, drehte sie ihren Kopf nach ihm um und lächelte ihr charmantes Schokoladenlächeln. Timothy Lennox nickte ihr zu, sie hakte sich bei ihrem Vater unter.

Etwa vierhundert Meter vor und zweihundert Meter unter ihnen lag ein großes pyramidenförmiges Bauwerk – die Versorgungsstation. Darüber schwebte Orleans-à-l‘Hauteur.

Ankertaue und ein dicker Gasschlauch verbanden sie mit der Pyramide. Der linsenförmige Unterbau der Flugstadt tankte vulkanische Gase nach. Im Süden – schon weit über der Savanne – erkannte Tim den Vogelschwarm, der die Landung verzögert hatte: Marabus.

Etwa dreihundert Vögel waren es gewesen, jeder einzelne so groß und so schwer wie ein vor-apokalyptischer Schwan. Und jeder war mit einem Schnabel ausgestattet, gegen den sich das Kurzschwert eines römischen Legionärs wie ein Spielzeug ausnahm.

Um den Ballonkörper seines Luftschiffes zu schützen, hatte de Rozier befohlen, das Fluggerät in eine Höhe zu manövrieren, die Marabus gewöhnlich nicht erreichen. Hier oben hatten sie gewartet, bis die Besatzung der Wolkenstadt den Vogelschwarm vertrieben hatte. Fast drei Stunden lang.

In diesen Stunden – und auf dem Flug hierher – hatte Tim dem Kaiser seine Geschichte erzählt, die nicht fünfzig, sondern nur acht Jahre umfasste.

Mein Gott – acht Jahre schon! Mir kommt es vor, als wäre ich erst letztes Jahr aus der Zeit gefallen und hier gelandet.

Jetzt trat er neben Marie an die Reling und blickte hinab.

Unter ihnen, auf dem Landeplatz der Wolkenstadt, blinkten Lichter. Die Männer der Schutztruppe signalisierten die Landeerlaubnis. Die Wolkenstadt sah aus wie eine gigantische, kreisrunde Luftmatratze voller Häuser, Straßen und Menschen.

Eine atemberaubende Konstruktion! Stabiler als die Wolkenstadt der alten Bauweise, die Tim und Fanlur vor wenigen Wochen kennengelernt hatten. Statt Dutzender loser Plattformen mit Trägerballons darüber würde man auf Orleans ausgedehnte Spaziergänge unternehmen können, ohne dauernd über Brücken und Leitern zu klettern. Und auch die Menschen dort unterschieden sich – hoffentlich – von denen auf Toulouse-à-l‘Hauteur, wo sie einer verrückten Herrscherin mit knapper Not entkommen waren.

Wieder lächelte Marie den Mann aus der Vergangenheit an.

Verdächtig oft tat sie das, oder? Er erwiderte das Lächeln so unverbindlich er konnte und blickte dann an der dunklen Schönheit vorbei zu deren Vater. In de Roziers Gesichtszügen arbeitete es. War er mit seinen Gedanken schon bei den Regierungsgeschäften, oder rekapitulierte er Tims Erzählung und zog Vergleiche mit seiner eigenen Vergangenheit? Auf dem Weg nach Wimereux, seiner Residenz, wollte er Tim davon berichten, das hatte er ihm versprochen.

Die kaiserliche Roziere landete. Männer der Schutztruppe packten die Ankertaue und liefen nach vier Seiten davon, um sie an ebenhölzernen Säulen zu befestigen. Hauptmann Lysambwe öffnete den Ausstieg. Hinter dem Kaiser und seiner schönen Tochter verließ Tim Lennox an Prinz Akfats Seite das Luftschiff.

Eine Menge Leute liefen zusammen: Soldaten, Diener, Höflinge. Stimmengewirr erhob sich, von allen Seiten begrüßte man den Kaiser, die Prinzessin und den Prinzen. Dabei ging es ziemlich lautstark und temperamentvoll zu.

Ein Offizier, dem die militärische Ausbildung aus jeder Pore zu strömen schien – Tim erfuhr später, dass es sich um den neuen Kriegsminister Pierre de Fouché handelte – erkundigte sich besorgt nach den Ereignissen an der Großen Grube und nach dem Ergehen Ihrer Majestät. Er vermeldete, dass eine zweite Tochter des Kaisers nicht hatte warten wollen und bereits mit einer Roziere in ihre eigene Stadt – Avignon-à-l‘Hauteur – aufgebrochen sei.

Tim Lennox registrierte es, wie man Dinge registriert, die man zufällig hinter einer Glaswand sieht. Zu viele neue Eindrücke strömten auf ihn ein. Und einer dieser Eindrücke war Prinzessin Marie, die ihm nach wie vor Blicke zuwarf. Sie schien wirklich an ihm interessiert. Oder faszinierte sie nur seine Hautfarbe Und sein blondes Haar? Vielleicht war er ja – neben ihrem Vater – der erste und einzige Weiße, den sie je gesehen hatte.

Nun, hoffentlich machte sie sich keine falschen Hoffnungen.

Er war nach Afra gekommen, um seine Marrela zu suchen und aus der Gewalt ihres gemeinsamen Sohnes zu befreien. Nach einem amourösen Abenteuer stand ihm wirklich nicht der Sinn.

3

Madagaskar, Anfang März 2524

Sie trat auf die erste Stufe der Treppe, die vom Bootsheck aus hinunter zwischen die Baobabs führte. Mindestens dreißig Männer, Frauen und Kinder hockten oder lagen im Schatten der riesigen Bäume. Einige begannen bereits Unterschlüpfe in unmittelbarer Nähe des Hausbootes zu errichten. Andere lehnten Bretter und Äste gegen die fast acht Meter durchmessenden Stämme der Baobabs, um sich auf diese Weise eine Behausung zu improvisieren.

»Raus aus meinem Garten!« Keetje stemmte die Fäuste in die Hüften und blitzte ein grauhaariges Paar an, das im Begriff stand, ein paar in den Boden gerammte Stöcke mit einer Lederdecke zu bespannen. Ein kranker Greis lag auf Fellen zwischen den Stöcken. Die beiden Efrantenvögel der Leute hackten auf einer Baobabfrucht herum. »Was fällt euch ein? Seht ihr nicht, dass ich hier Kräuter angepflanzt habe?«

Das Paar entschuldigte sich wortreich, baute den unvollendeten Unterschlupf wieder ab und trieb seine drei Meter hohen Reitvögel vom Hausboot weg.

»Zum Schaitan mit euch!«, zeterte Keetje. Sie wandte sich an die Schar der anderen Wartenden, die in respektvollem Abstand unter den Baobabs warteten. »Wer meinen Garten betritt, denn lass ich gar nicht erst bis zum Meister vor, ist das klar?« Das Mädchen drohte mit der Faust. »Und keiner frisst mir die Baobabfrüchte weg, die gehören mir und dem Meister!« Die Menschen machten betretene Gesichter und nickten scheu. In der Ferne sah Keetje jetzt eine Staubwolke.

Motorengeräusch näherte sich. »Und das sagt ihr gefälligst auch denen, die noch hier aufkreuzen!« Sie deutete zu einem Baobab, der dreißig Schritte vom Hausboot entfernt in den Himmel ragte. Dort hockten die meisten Wartenden. »Da ist die Grenze, da wo ihr sitzt!« Wieder nickten sie unterwürfig.

Keetjes Ruf hatte sich genauso schnell über den Nordteil der Insel verbreitet wie der des Meisters. Während Yann Haggard jedoch als gutherziger Seher, ja manchen gar als Halbgott galt, sprach man von Keetje hinter vorgehaltener Hand als Biest, Kratzbürste oder gar als Hexe. Offiziell hielt man sie für seine Tochter.

Sie spuckte den Leuten hinterher, die ihren kranken Großvater davontrugen. Bei einem Blick in das, was sie »Garten« nannte, verdüsterte sich ihre Miene erst recht – ein Teil der Küchenkräuter war plattgedrückt. Freilich war das Stück Wildnis, das sie seit einem halben Jahr zu kultivieren versuchte, kaum als Kräutergarten zu erkennen.

Das Motorengeräusch wurde lauter, die Staubwolke am Horizont wuchs. Keetje runzelte die Stirn. Inbrünstig hoffte sie, dass es der Heiler war, der sich dort näherte. Der Meister hatte nach dem alten Yessus schicken lassen. Doch seit wann benutzte der bucklige Greis einen Motorwagen?

Sie wandte sich wieder an die Wartenden. »Also zuhören! Ihr müsst noch ein paar Tage durchhalten, der Meister hat jetzt keine Zeit!«

Sofort erhob sich Gemurre, Gejammer und Geheule. »Wir warten schon so lang!« – »Ich hab solche Schmerzen!« – »Ich zahle den doppelten Preis!« – »Wie lange dauert es denn noch?« – so und ähnlich tönte es aus der Menge.

»Er hat einen schwierigen Fall zu behandeln!«, behauptete Keetje. »Weiß der Kukumotz, wie lange das noch dauert!« Sie taxierte den Mann, der den doppelten Preis geboten hatte. Er war klapperdürr und hatte gelbe Haut. An der Maschine, mit der er von weiß Gott woher angereist war, hing eine Art Schutzbrille. »Du siehst ja aus, als wärst du schon tot!«, rief Keetje ihm zu. Der Mann nickte so eifrig wie traurig. »Komm halt her und bring das Ding mit, das da am Dampfrouler hängt!«

Wieder wurden Flüche, Proteste und Gejammer laut.

Natürlich fühlten die Leute sich benachteiligt. Der Mann aber hängte sich die Schutzbrille um den Hals und hinkte zum Schiff. Keetje wartete, bis er sich die Holztreppe heraufgequält hatte. Dann wandte sie sich um und lief vor ihm her zum Eingang.

Dort blieb sie stehen und taxierte den Schwerkranken. Der rieb die knochigen Hände aneinander und sagte: »Danke, danke, schönes Mädchen! Ich wäre gestorben, wenn ich noch länger hätte warten müssen.«

»Genau so siehst du aus.« Keetje neigte den Kopf auf die Schulter. »Du zahlst also den doppelten Preis?«

»Ja doch, ja!«

»Also gut.« Sie deutete auf den Dolch mit dem Elfenbeingriff in seinem Gurt und auf die Schutzbrille. »Und ich bekomme diese beiden hübschen Dinge dafür, dass ich dich gegen das Gebot des Meisters vorgezogen habe.«

»Ja doch, ja!« Hastig zog er sich die Brille über den Kopf und den Dolch aus der Scheide und gab dem Mädchen beides.

»Warte hier.« Keetje schlüpfte in den Deckaufbau des Schiffes und stieg ins Unterdeck hinunter. Das Gemurmel des Meisters raunte aus dem Halbdunkeln.

Seit etwa sechs Monden lebten sie gemeinsam in diesem einst von einer Sturmflut aufs Land geworfenen Boot an der Nordküste von Madagaskar. Keetje und Yann. Die Besatzung der SCHELM hatte den verletzten Seher hierher gebracht und in Keetjes Obhut und Pflege zurückgelassen. Auf ihre raubeinige Weise liebte sie ihn, wie sonst nur eine Tochter ihren Vater lieben konnte.

Yann Haggards komplizierter Beinbruch war längst verheilt.

Seit zwei Monden lief er wieder ohne zu humpeln. Nur seine Kopfschmerzen wollten nicht besser werden.

Gleich nachdem sie sich in dem gestrandeten Boot häuslich eingerichtet hatten, kamen auch schon die ersten Eingeborenen, um zu sehen, wer hier wohnte. Zufällig waren einige von ihnen krank gewesen, und durch seine Gabe konnte Yann Haggard ihnen sagen, worunter sie konkret litten.

Diese Fähigkeit – nicht einmal Keetje verstand sie wirklich – hatte sich schnell herumgesprochen, wie gesagt. Inzwischen klopften täglich sechs bis neun Kranke an die Tür des Hausbootes. Yann untersuchte die energetischen Körperströme der Leute und spürte so die Krankheitsherde auf. Wenn die »Kunden« – so nannte Keetje die Hilfesuchenden – nicht mit Silber und Gold zahlen konnten, dann entlohnten sie Yann mit Speisen, Fellen, Werkzeugen, Früchten und ähnlichem.