Liebe im Klimawandel - Francesco Micieli - E-Book

Liebe im Klimawandel E-Book

Francesco Micieli

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Beschreibung

«Wenn ich an dieses Buch denke, glaube ich an eine Art Vorsehung, die mich dorthin geführt hat, die das Manuskript auf den Tisch gelegt hat. Drum herum verbrannte Bücher, einige in der Feuerstelle, halb verkohlt. ‹Über Gewissheit›, las ich auf einem Titelblatt. Sonst war nichts zu finden in diesem Raum. Nicht einmal ein Brief. Das Manuskript hat zwei Handschriften: eine weibliche und eine männliche. Die jeweiligen Eintragungen sind mit ‹er› oder ‹sie› übertitelt, haben aber keine Datumsangabe. Die Seiten waren nicht nummeriert. Die vorliegende Reihenfolge entspricht also nicht unbedingt der Wahrheit. Die Sätze, die ich nicht zuordnen konnte, liess ich frei. Sie sind irgendwo im Text. Viele Passagen scheinen mir Zitate. Da sie ohne Angabe waren, beliess ich sie so. Welche Begebenheit dahinter steckt und was sich wirklich ereignet hat, ist mir nicht klar. War es ein Projekt, eine Tragödie, eine seltsame Geschichte, oder gar ein Scherz? In den Medien dieser Zeit konnte ich keine Meldung finden, die mich weitergeführt hätte. Die Zeit der Ereignisse lässt sich auch nicht genau bestimmen. Ich weiss es nicht.» Francesco Micieli

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FRANCESCO MICIELI

LIEBE IM KLIMAWANDEL

Francesco Micieli

Liebe im Klimawandel

EIN PROTOKOLL

Alle Rechte vorbehalten

Copyright Zytglogge Verlag, 2010

Lektorat: Bettina Kaelin

Korrektorat: Monika Künzi, Jakob Salzmann

Umschlagsbild: Margrit Lang, ‹Flusstuch›

ISBN 978-3-7296-0812-2

eISBN (ePUB) 978-3-7296-2159-6

eISBN (mobi) 978-3-7296-2160-2

 

E-Book: Schwabe AG, www.schwabe.ch

 

Zytglogge Verlag, Steinentorstrasse 11, CH-4010 Basel

[email protected], www.zytglogge.ch

«Wenn die utopischen Oasen austrocknen,

breitet sich eine Wüste von Banalität und Ratlosigkeit aus.»

Jürgen Habermas

INHALT

An die Lesenden

IErste Tage Erinnerung an wie es geschah

IIErste Tage Hoffnung

IIIMittlere Tage

IVZeugung

VGötter

VILetzte Tage

VIIDas Boot

VIIIListe der Bücher und Zeitungen, die uns Wärme gaben und uns ermöglichten weiterzuleben

Über das Buch

Über den Autor

AN DIE LESENDEN

GENEIGTE LESERIN, GENEIGTER LESER

Dass ich in diese Berghütte gekommen bin, ist ein Zufall. «Es gibt keinen Zufall!», werden Sie einwenden. Kann sein, ich will nicht über den Zufall streiten, jedenfalls habe ich dort das Manuskript gefunden, das Sie jetzt als Buch in den Händen halten oder ins Büchergestell eingeordnet haben oder unter Ihren Kleidern verstecken. Wenn ich an dieses Buch denke, glaube auch ich an eine Art Vorsehung, die mich dorthin geführt und mir das Manuskript mit dem Titel ‹Liebe im Klimawandel. Ein Protokoll.› auf den Tisch gelegt hat. Darum herum verbrannte Bücher, einige in der Feuerstelle, halb verkohlt. «Über Gewissheit», las ich auf einem Titelblatt. Sonst war nichts zu finden in diesem Raum. Nicht einmal ein Brief.

Das Manuskript hat zwei Handschriften: eine weibliche und eine männliche. Die jeweiligen Eintragungen sind mit ‹er› oder ‹sie› übertitelt, haben aber keine Datumsangabe. Die Seiten sind nicht nummeriert. Die vorliegende Reihenfolge entspricht also nicht unbedingt der ursprünglichen Ordnung. Die Sätze, die ich nicht zuordnen konnte, lasse ich frei schweben. Sie sind irgendwo im Text. Viele Passagen scheinen mir Zitate. Da sie ohne Quellenangabe sind, belasse ich sie so, wie ich sie gefunden habe. Ich bitte deswegen die Copyright-Halter um Nachsicht. Danke für die grosszügige Gewährung der Rechte. Ich habe mir nicht erlaubt, in den Text einzugreifen. Ich entschied ich mich für das Authentische. Literarische und dramaturgische Aspekte sollen in den Hintergrund rücken. Welche Begebenheit dahintersteckt und was sich wirklich ereignet hat, ist mir nicht klar. War es ein Projekt, eine Tragödie, eine seltsame Geschichte oder gar ein Scherz? In den Medien konnte ich keine Meldung finden, die mich weitergeführt hätte. Die Zeit der Ereignisse lässt sich auch nicht genau bestimmen.

Was wirklich passiert ist, ist für immer verloren.

Ich weiss nicht mehr, als hier steht.

Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre.

Francesco Micieli

LIEBE IM KLIMAWANDEL EIN PROTOKOLL

I ERSTE TAGEERINNERUNG AN WIE ES GESCHAH

ER

Ich wusste es nicht. So sehr ich mich bemühte, nichts. Keine Erinnerung. Keinen Grund.

Eines Tages war es da. Wahrscheinlich hatte sich alles über Nacht ereignet. Ich habe lange nicht gewagt, ans Fenster zu gehen. Ich kannte dieses Geräusch. Meine Eltern hatten eine Wohnung am See gehabt. Ich habe mir lange vorgemacht, es sei ein Traum. Ich sei zurückgekehrt in das Haus meiner Kindheit.

Schläfst du noch nicht, mein Kind?

Nein, ich höre dem Bauch des Sees zu.

Er erzählt mir Geschichten.

Du solltest jetzt schlafen.

Die Stimmen kamen von ganz weit weg, nur das Geräusch, dieses kurze, verhaltene Klatschen war da, neben meinem Ohr. Als ich zum Fenster hinausschaute, wurde mir alles klar. Ich war erstaunt, dass ich keine Angst hatte. Ich dachte nur, zum Glück bin ich allein.

Zum Glück habe ich niemanden mehr auf dieser Welt. Ich musste um niemanden trauern, mir keine Sorgen oder Vorwürfe machen. Ich schloss das Fenster, spürte Tränen in meiner Nase und wollte duschen.

Das Wasser war kalt, das Badzimmer dunkel. Draussen war auch dunkel. So weit ich sehen konnte Wasser, die Welt war verschwunden.

SIE

Ich war noch im Bett, als ich hörte, dass überall an Türen geklopft wurde. Ich liebe diesen Zustand:

zu hören, dass überall das Leben erwacht und ich noch geschützt vom Schlaf im Bett bleiben kann. Da klopfte es auch an meiner Türe.

Die Welt ist überschwemmt, sagte eine männliche Stimme. Und ich hatte geglaubt, man wolle mir Kaffee bringen! Ich hielt ganz still, stellte mich tot.

Ich bin in einem Irrenhaus gelandet, sagte ich mir, besser, ich bleibe ruhig und schleich mich davon, wenn niemand mehr im Flur ist.

Als ich später zum Fenster ging und hinausschaute, empfand ich nichts. Es war leer in mir. Ich war leer. Ich schrie, einfach so, und lachte danach.

Ich kam mir vor wie ein Tier. Ich besass das tierische Glück, von dem ich bei Nietzsche gelesen hatte.

Vergessen, jeden Augenblick vergessen.

Sprach man in den Nachrichten darüber? Ich drehte das Radio an. Es funktionierte nicht. Ich ging duschen. Das Wasser war nur kalt. Dunkel und kalt war es überall.

ER

Ich protokolliere:

Wir sind nur noch eine Frau und ein Mann. Das Wasser ist so weit angestiegen, dass es keine Rettung geben wird. Wir sind die letzten Menschen in den letzten Tagen.

ER

Ein Jahr reiche für einen dramatischen Klimaumsturz, hatte ich in einer Zeitung gelesen.

War ich jetzt an diesem Punkt angelangt? Klimaumsturz.

ER

Ich hatte eine kindliche Vorstellung von Gott. Ich betete zu ihm, wenn ich etwas wollte.

Er solle meine Mutter nicht sterben lassen, meinen Vater nicht, er solle machen, dass meine Bücher gut werden, dass mich jemand liebt, dass ich vielleicht im Lotto gewinne.

Aber in jener Situation betete ich nicht zu ihm. Ich verlangte nicht, gerettet zu werden oder dass das Wasser verschwinden möge. Ich sagte nur ab und zu «oh Gott».

SIE

In dieser Berghütte hatte ich Ruhe gesucht. Meine Eltern waren in der U-Bahn in Madrid gestorben. Sie waren vor einigen Jahren nach Spanien zurückgekehrt. Ich fühlte mich schuldig, denn ich war im Augenblick des Todes nicht bei ihnen gewesen.

Lange machte mich der Gedanke traurig, dass, wenn ich verschwinde, sich niemand an meine Welt erinnern wird. Nicht an mich, nicht an meine Eltern, nicht an die faltige Haut meiner Grossmutter, nicht an ihre Art, Geschichten zu erzählen. Später kam diese Leere, diese Gleichgültigkeit, sie wuchsen in mir wie eine unheimliche Kletterpflanze, die jeden Ort meines Körpers erreichte.

Ich wurde absolut cool, kalt und unempfindlich.

ER

Trage ich eine Schuld?

Welche Sünde setzt mich so einer Strafe aus?

Das Schreiben war meine grosse Frage.

Ich wollte herausfinden, ob ich wirklich diese Stimme habe, die mich schreiben macht. Als Autor gehörte ich der zweiten Liga an. ‹Minori› hiessen sie in den italienischen Literaturgeschichten. Ich hatte auch meine Diplomarbeit über einen ‹Minore› geschrieben: Vincenzo Padula.

In dieser Kategorie ist es nicht immer leicht, sich zu motivieren, sich die Schreibberechtigung zu geben. Man stellte mich in die Ecke der Emigrantenliteratur. Das gab einen nicht ernst zu nehmenden Bonus-Effekt. (Prof. Dr. Ross hatte dieses Rezeptionsproblem in einem Seminar an der Universität Bern behandelt und ich wurde dazu – als lebendes Studienobjekt – eingeladen. Mir gefielen nicht einmal die Studentinnen.)

Ich war tief gesunken. Häufig ging ich in mein Schreibzimmer, legte mich auf den Boden und schlief. Nicht weil ich müde war. Ich wollte mich verstecken, auslöschen. Im Schlaf träumte ich die Bücher, die ich schreiben wollte.

Nachdem meine Eltern gestorben waren, hielt mich nichts mehr. Ich war so verdammt allein. Freunde hatte ich keine. Ich wünschte auch keine, denn ich wollte niemandem zumuten, meine Bücher zu lesen und davon enttäuscht zu sein. Freunde hätten ja Lesepflicht gehabt.

Ich frage mich, weshalb gerade ich der Auserwählte sein soll. Bin ich das wirklich?

Soll das Protokoll siegen?

Soll das Protokoll die letzte Fiktion sein?

SIE

Die Gegenwartsform soll siegen.

ER

Ich habe Interviews von anderen Autoren auswendig gelernt.