Liebe kann man (nicht) kaufen - Jennifer Lillian - E-Book

Liebe kann man (nicht) kaufen E-Book

Jennifer Lillian

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Beschreibung

Emily hat ihren Job als Kellnerin endgültig satt. Könnte sie doch auf das Geld verzichten und ihren Traum von einem Medizinstudium endlich wahrwerden lassen. Da kommt ihr John mit einer außergewöhnlichen Idee wie gerufen. Er bittet Emily sich als seine Freundin auszugeben, damit er endlich das Ansehen seines Vaters und auch dessen Firma erlangt, da er alles andere als bereit ist, seinen exzessiven Lebensstil aufzugeben. Eine "Freundin" käme ihm da recht. Nachdem er ihr eine beachtliche Summe anbietet, sieht Emily nur noch ihre bevorstehende Freiheit. Weg von der Kellnerei, weg von der Stadt … aber gelingt es ihr, auch wieder weg von ihm zu kommen?

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Kurzbeschreibung:

Emily hat ihren Job als Kellnerin endgültig satt. Könnte sie doch auf das Geld verzichten und ihren Traum von einem Medizinstudium endlich wahrwerden lassen. Da kommt ihr John mit einer außergewöhnlichen Idee wie gerufen. Er bittet Emily sich als seine Freundin auszugeben, damit er endlich das Ansehen seines Vaters und auch dessen Firma erlangt, da er alles andere als bereit ist, seinen exzessiven Lebensstil aufzugeben. Eine „Freundin“ käme ihm da recht. Nachdem er ihr eine beachtliche Summe anbietet, sieht Emily nur noch ihre bevorstehende Freiheit. Weg von der Kellnerei, weg von der Stadt … aber gelingt es ihr, auch wieder weg von ihm zu kommen?

Über die Autorin:

Jennifer Eilitz wurde 1991 in der Kleinstadt Soltau geboren und lebt heute, gemeinsam mit ihrem Freund, noch immer in der Lüneburger Heide. Nachdem sie ihre Ausbildung als Einzelhandelskauffrau abgeschlossen hat, holte sie ihr Abitur nach, um anschließend das Studium Bibliotheks- und Informationsmanagement in Hamburg anzutreten. Nach einem erfolgreichen Abschluss, arbeitet sie jetzt als Social Media Managerin und Redakteurin in einem Hamburger Online-Magazin.

Auch in ihrer Freizeit beschäftigt sie sich gerne mit Worten, indem sie in den verschiedensten Büchern versinkt, oder aber selber Romane schreibt. Ihr erster Debütroman erschien im Juli 2017, unter dem Pseudonym Jennifer Lillian, im bookshouse-Verlag.

Weitere Titel der Autorin bei Edel Elements:

Verliebt in deinen Freund

Verliebt in seinen Freund

Verliebt in meinen Freund

Jennifer Lillian

Liebe kann man (nicht) kaufen

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2018 by Jennifer Lillian

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart

Lektorat: Birgit Bramlage

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-152-2

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Für Alena

Inhalt

Prolog

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechszehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

Einunddreißig

Zweiunddreißig

Vierunddreißig

Fünfunddreißig

Sechsunddreißig

Siebenunddreißig

Achtunddreißig

Neununddreißig

Vierzig

Einundvierzig

Zweiundvierzig

Epilog

Anmerkung

Prolog

Viele Menschen sprechen von Liebe auf dem ersten Blick und reden viel über Romantik. Für mich ist das einfach nur kitschig. Und ich glaube, dass die Menschen, die hoffnungslos auf der Suche nach dem einen Moment, dem einen ersten Blick, der einen ersten Begegnung sind, zu viele Liebesfilme geschaut haben, denn Liebe auf den ersten Blick gibt es meiner Meinung nach nicht. Ich habe nicht immer so gedacht. Ich war tatsächlich auch einmal der Meinung gewesen, die Liebe auf den ersten Blick gefunden zu haben, aber wie sich herausstellte, war sie es nicht. Auch nicht auf dem zweiten oder dritten Blick. Ich dachte, ich sei hoffnungslos verliebt, aber Jugendlieben erscheinen mir im Nachhinein nichts mehr als eine Phase zu sein, die man durchlebt oder sogar durchleben muss, um erwachsen zu werden. Das klingt vielleicht etwas verbittert, und ich entschuldige mich schon jetzt dafür, wenn meine Verbitterung in diesem Moment die Illusion von vielen hoffnungslos Verliebten gänzlich zerstört.

Aber jetzt bin ich erwachsen und habe die große Liebe immer noch nicht gefunden. Wenn dieser Aspekt zum Erwachsenwerden wirklich dazu gehört, dann habe ich ihn mit Sicherheit übersprungen. Vielleicht war ich auch nie wirklich auf der Suche.

Aber irgendwo ganz tief in meinem Herzen hoffte ich, wenigstens die Liebe auf den fünften oder sechsten, meinetwegen auch auf dem einhundertsten Blick zu finden.

Allem Anschein nach brauchte ich aber mindestens zweihundert Blicke, ehe ich begriffen hatte, was Lieben wirklich heißt …

Eins

Dieser Job trieb mich irgendwann mit Sicherheit in den Wahnsinn! Es war wieder einer dieser völlig chaotischen Abende, an denen sich die Gäste noch hochnäsiger verhielten, als sonst. Ich war der Meinung, dass ich schon einiges mitgemacht habe, angefangen bei schreienden Kindern, die ihre Teller quer durch das Lokal warfen, bis hin zu pöbelnden Senioren, die mit ihren stumpfen Messern die Kellner bedrohten. Aber dass es noch schlimmer kommen würde, wurde mir an diesem Abend bewusst.

„Nicky fällt heute Abend aus“, brabbelte mein Chef vor sich hin, während er an mir hoch beschäftigt vorbeieilte und sich in sein Büro begab, in das er sich öfter einschloss und seinen Angestellten die Arbeit überließ. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute ich ihm nach und wandte mich dann an den Gästebereich. Ich war noch gar nicht richtig angekommen und brauchte einen kleinen Moment, um zu realisieren, dass der Weltuntergang kurz bevorstand. Das Restaurant war brechend voll und für uns drei Kellner vom Arbeitsaufwand her kaum zu bewältigen. Richard rotierte wild hinter der Theke. Paula hetzte von Tisch zu Tisch, um Bestellungen aufzunehmen. Schon jetzt verging mir jegliche Lust, hier auch nur einen Finger krumm zu machen, aber ich brauchte das Geld – und zwar dringend. Der Laden florierte und das Trinkgeld konnte ich bestens sparen. So ein Medizinstudium war eben teuer und reiche Eltern hatte ich auch nicht. Deswegen sparte ich jeden einzelnen Cent, um wenigstens die Aufnahmegebühren bezahlen zu können und mich im Laufe der Zeit für ein Stipendium zu bewerben. Bisher waren meine Noten gut gewesen, aber nicht so gut, als dass ich mich direkt für eines bewerben konnte. Deshalb wollte ich es auf der Uni nach dem ersten Semester erneut versuchen. Allerdings hatte ich noch nicht genug gespart. Gerade einmal 2 000 Dollar hatte ich auf der hohen Kante.

Mit schnellen Schritten eilte ich in den Personalraum, warf meine Sachen achtlos in meinem Spind und band mir die schwarze Schürze um die Hüften. Auf in den Kampf!

„Nicky ist schon wieder krank?“, hakte ich bei Richard nach, der mit seinem panischen Blick einem wilden Kaninchen glich, was eine Schlange erblickt hatte. Ich musste immer lachen, wenn ich Richard mit seinen weit aufgerissenen Augen bei der Arbeit beobachtete, aber an diesem Abend tat er mir wirklich sehr leid. Daher verkniff ich mir jegliche Aufheiterungsversuche und hoffte, dass wir die Herausforderungen irgendwie gewuppt bekämen.

„Was soll man dazu noch sagen? Ein Wunder, dass Pete sie noch nicht entlassen hat“, fluchte Richard, während er verschiedene Getränke in einem Shaker goss.

Pete war unser arbeitsscheuer Chef, denn Arbeiten gehörte nicht gerade zu seinen Stärken. Was traurig ist, wenn man bedenkt, dass er einen Laden zu führen hat, der ganz gutes Geld abwarf. Ich fragte mich, wie das funktionierte. Arbeitsscheu und gleichzeitig erfolgreich. Sobald es ging verschanzte er sich in seinem Büro und war glücklich, wenn er niemanden von uns sehen musste. Was er hinter verschlossenen Türen tat, konnte man nur erahnen. Da ihn sowieso kaum einer in seinem Büro besuchte, konnte er in Ruhe tun und lassen, was er wollte. Verließ er seine Räumlichkeiten, dann tippte er eifrig auf seinem Smartphone, oder tat so, als hätte er ein wichtiges Gespräch am anderen Ende der Leitung zu führen. Vermutlich war es ohnehin nur seine Mutter oder Frau, die wegen unwichtigen Kram bei ihm anriefen, um ihn noch mehr von der eigentlichen Arbeit fernzuhalten. Wir machten heimlich unsere Späße über ihn, denn so hatten wir immerhin was zu lachen, was in diesem Restaurant leider nicht sehr oft vorkam.

„Wenn sie sich nicht ständig so kurzfristig krankmelden würde, wäre das ja alles nicht so schlimm, aber ich glaube Pete hat einfach nur keine Lust auf Schreibkram“, scherzte ich und entlockte Richard ein zustimmendes Lachen. Seine wirren Haare standen ihm bereits zu Berge, dabei hatte seine Schicht noch nicht einmal den Höhepunkt erreicht.

„Jede Bewegung ist für ihn zu viel. Aber Hauptsache, wir spuren.“ Ich nickte zustimmend und mit jeder Sekunde sank meine Laune in Richtung Nullpunkt. Der Laden war gerammelt voll und die Gäste kaum zu bändigen. Immerhin hielten wir unter Kollegen gut zusammen, was das Ganze etwas erträglicher machte. Ich mochte Richard und Paula sehr gerne und war wirklich sehr froh darüber, dass ich sie als Kollegen hatte.

Seufzend verschaffte ich mir einen Überblick und schnaufte kurz, ehe ich mich ins Chaos stürzte. Paula kam mir aufgeregt entgegen. „Gut, dass du da bist. Nicky hat wie immer abgesagt, jetzt müssen wir uns alleine hier durchkämpfen. Die ersten Gäste musste ich wieder wegschicken, da kein Platz mehr frei ist. Vorerst habe ich alle Getränke aufgenommen und helfe Richard hinter der Theke. Kannst du dich kurz alleine um die Gäste kümmern und die Getränke verteilen? Ich glaube Richard bricht sonst gleich zusammen.“ Ich konnte ihr kaum folgen, so schnell sprach Paula und ihre Haare wippten dabei hin und her. Nickend machte ich mich an die Arbeit, während Paula hinter die Theke hüpfte.

Die ersten beiden Stunden waren schlimm. Chaos pur! Die Gäste wurden mit jeder Sekunde unfreundlicher, aber ein paar hatten wir immerhin schon abgearbeitet und konnten diese endlich verabschieden. Aber dennoch strömten immer wieder neue Gäste ins Restaurant.

„Hier bitte. Einmal die Pizza Diavolo“, sagte ich höflich, während ich der wohl eingebildetsten Frau der Welt ihre Pizza vor die Nase schob, „und einmal Penne Al Forno. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit.“ Mit freundlichem Gesicht wandte ich mich vom Tisch ab und hörte hinter mir plötzlich, wie die Dame fluchte. „Also, die Pizza hatte ich nicht bestellt. Ich hatte die Nudeln.“

Mit errötetem Gesicht schaute ich sie an und griff zu den beiden Tellern, um sie zu tauschen. „Entschuldigen Sie bitte, heute ist eine ganze Menge los. Da habe ich das wohl vertauscht.“

„Das interessiert mich nicht, was hier los ist. Ich möchte nur mein bestelltes Essen haben.“

Entgeistert schaute ich zwischen ihr und ihrem Mann – der in dieser Beziehung definitiv nichts zu melden hatte – hin und her. Schnell verzerrte ich das Gesicht zu einem Lächeln. „Dann ist ja jetzt alles an seinem Platz. Ich wünsche guten Appetit.“ Eilig wandte ich mich um, während ich von ihrer Stimme – die noch heute in meinen Ohren klingelt, wie ein Tinnitus – wieder an den Tisch zitiert wurde. Die Farbe ihrer Stimme glich der einer Nebelkrähe, unvergesslich. Etwas zu schnell drehte ich mich wieder zu ihr um. „Ja, bitte?“

„Also, ich erinnere mich, dass ich Ihnen bei meiner Bestellung gesagt habe, dass ich keine Erbsen in meiner Penne Al Forno wünsche.“ Sie deutete mit angewiderter Miene auf ihren Teller und stocherte mit ihrer Gabel in den Nudeln, um mir eine Erbse zu präsentieren.

Innerlich verschnaufte ich kurz, um meinen freundlichen Blick zu behalten. Aber Kundenfreundlichkeit war nun einmal das Wichtigste, das war mir durchaus bewusst. Ich wusste auch, dass ich meinen Job immer gewissenhaft und stets freundlich erledigte, aber an diesem Abend fiel mir das wirklich sehr schwer. Sie blickte durch ihre kleinen Augen streng zu mir herauf. Ihre Haare waren zu einem ebenso strengen Dutt gebunden und der Mund missbilligend gekräuselt. Ich betete einfach nur, dass sie den Mund nicht mehr aufmachen würde. „Das tut mir sehr leid. Ich lasse das Essen sofort zurückgehen und bringe Ihnen dann ein neues“, entschuldigte ich mich und wollte nach dem Teller greifen, als sie mich forsch von der Seite ansprach.

„Und wie regeln wir das jetzt? Immerhin kann mein Mann schon mit dem Essen beginnen und wird fertig sein, ehe ich mein Essen bekomme.“

Ist das mein Problem?

„Wenn es Ihrem Mann nichts ausmacht, dann halten wir selbstverständlich seine Pizza warm und servieren dann beide Portionen zur gleichen Zeit.“

Der Mann nickte zögerlich, sichtlich enttäuscht, dass er sein Essen wieder hergeben musste. Vielleicht war er auch nur enttäuscht an der Seite dieser Frau leben zu müssen. Ich tippte auf Letzteres.

„Das will ich auch hoffen. Und das nächste Mal bitte ohne irgendwelche Komplikationen“, wetterte sie weiter. Ich schluckte schwer, um sie nicht anzuschreien oder ihr die Pizza frontal ins Gesicht zu werfen. „Natürlich nicht.“ Ich wandte mich mit beiden Tellern ab und flüchtete in die Küche, bevor sie noch irgendetwas sagen konnte. „Für den Erbsen-Feind da draußen bitte noch einmal Penne Al Forno ohne Erbsen. Sonst läuft sie Amok“, rief ich genervt und warf den Teller auf den Servierwagen. Jeremy, der Koch, blickte ebenso genervt wie ich. „Sonst noch was?“

Ich nickte. „Allerdings. Diese Pizza hier“, ich hob die Pizza demonstrativ in die Höhe, „bitte warmhalten, damit die Nebelkrähe nicht sehnsüchtig ihren armen Mann beim Essen beobachten muss. Oder ihn im Notfall noch selbst verspeist.“

„Du bist so gut zu den Gästen“, witzelte Jeremy, ehe er sich wieder seinem Pizzateig widmete, den er gerade ordentlich durchknetete.

„Wenn ich eines kann …“, flötete ich und verschwand wieder hinaus in die Hölle, wo mich schon der nächste Gast sehnsüchtig in Grund und Boden schmettern wollte.

„Junge Dame“, rief ein Mann im mittleren Alter und schnippte energisch mit den Fingern, als wäre ich ein Hund, den man auf seinen Platz zitiert.

Atemlos erschien ich an seinem Tisch und zog ein fragendes Gesicht.

„Vor einer halben Ewigkeit habe ich ein neues Bier bestellt.“ Mehr sagte er nicht und setzte voraus, dass ich seine Botschaft verstanden hatte. „Ja, und?“, platze es aus mir heraus.

Der Mann mit den wohl schlimmsten Augenbrauen, die ich jemals gesehen habe, blickte suchend auf den Tisch und machte mit den Armen eine ausladende Geste. „Nun, ich sehe kein neues Bier.“

„Ich werde das sofort ändern“, gab ich knapp von mir und versuchte meinen freundlichen Ton beizubehalten, aber so gut gelang mir dies nicht. Meine Freundlichkeit schwand sekündlich, so wie bei all meinen anderen Kollegen auch. Ob hinter der Theke, in der Küche oder hier im Gästebereich, jeder war innerlich am implodieren. Gerade wollte ich noch fragen, ob es an dem Tisch noch etwas sein dürfte, da blaffte der Augenbrauenmann schon los. „Also, heute Abend bin ich absolut nicht zufrieden mit diesem Service. Überhaupt scheint hier heute nichts zu funktionieren. Unser Essen hat eine halbe Ewigkeit gedauert, von den Getränken ganz zu schweigen. Wirklich warm waren die Gerichte auch nicht und jetzt noch Ihre patzige Art. Ich würde gerne mit dem Chef sprechen!“

Ich musste mich zwingen nicht laut los zu lachen. Mit Sicherheit hatte Pete keine Lust auf dieses Gespräch und ich malte mir aus, wie er dem Gast in den Hintern kriechen würde, nur, um nicht irgendwelche Unannehmlichkeiten zu haben und schnell wieder verschwinden zu können.

„Dann schlage ich vor, dass ich meinen Chef hole. Darf es bis auf das Bier und den Chef sonst noch was sein?“, witzelte ich und merkte schnell, wie schlecht der Scherz beim Gast ankam. „Also, das ist doch …“, zeterte er los und warf seine Servierte auf seinen halbvollen Teller.

Schlagartig flappte mein Mund auf und zu und ehe ich noch etwas Falsches sagen konnte, machte ich auf dem Absatz kehrt, um Pete zu holen. Sollte er sich doch damit auseinandersetzen.

Zwei

„Wie kannst du nur so unhöflich zu den Gästen sein?“, herrschte Pete mich an. Scheinbar hatte ich ihn an diesem Abend falsch eingeschätzt, und so durfte ich mir eine Standpauke vom Feinsten anhören. Wir hatten uns in den Personalraum zurückgezogen, während draußen die langsam abflauende Welle von Gästen von Paula und Richard gebändigt wurde.

Pete hatte sich müde auf einen Stuhl neben mir fallen lassen und rieb sich nachdenklich die Augen. „Die Gäste werden nicht so schnell wiederkommen.“

Ich beobachtete ihn und seine Plauze, die bei jedem Wiedersehen um mindestens fünf Zentimeter Umfang wuchs. Sein Schnauzbart schaukelte von links nach rechts, während er so tat, als würde er über ernsthafte Konsequenzen nachdenken. Aber Pete würde mich nicht feuern. Er war zu sehr auf mich und die anderen angewiesen. Zudem konnte ich mir nun wirklich nichts vorwerfen, bis auf diesen einen Ausrutscher heute Abend.

„Es tut mir leid.“ Ich seufzte sichtlich erschöpft von dem chaotischen Abend. Ich fragte mich allerdings, wovon Pete so müde war. „Aber der Abend heute ist kaum zu ertragen. Nicht nur, dass sich Nicky krankgemeldet hat, sondern die Gäste sind heute einfach unausstehlich.“

Pete nickte wissend. „Dennoch müssen wir uns zusammenreißen.“

Ich versuchte nicht zu lachen, als er von uns sprach. Er tat ja kaum einen Finger krumm.

Ich seufzte erneut und rieb mir über meine müden Augen. „Es kommt nicht wieder vor. Es tut mir wirklich sehr leid. Ich bin sonst die Freundlichkeit in Person, aber wie gesagt, es war heute Ausnahmezustand. Wenn Sie möchten, dann entschuldige ich mich beim Gast noch einmal persönlich.“ Und krieche ihm selbstverständlich ganz tief in den Allerwertesten … Wäre ich nicht so dringend auf diesen Job angewiesen gewesen, hätte ich weitaus schlimmere Dinge mit den Gästen angestellt, als nur patzig zu werden.

„Das ist nicht nötig. Ich schlage vor“, sagte Pete, als er sich von seinem Stuhl erhob, „dass du Feierabend machst.“

„Aber es ist doch gerade erst 21 Uhr“, protestierte ich und schnellte ebenfalls von meinem Stuhl hoch.

„Die Gäste werden weniger und in zwei Stunden schließen wir sowieso fast. Das schaffen Paula und Richard auch alleine. Du solltest heute den Gästen am besten nicht mehr unter die Augen treten, denn Tisch vier hat ausdrücklich gewünscht, nicht mehr von dir bedient zu werden.“

Das war ja wohl die Höhe!

„Es ist besser, du gehst nach Hause oder gönnst dir einen Drink. Wir sehen uns morgen“, brachte er im versöhnlichen Ton hervor. Selbst wenn er sauer war, wirkte er freundlich und desinteressiert. Ich hätte lachen können, wäre meine Laune nicht dermaßen im Keller gewesen. Und schon stand ich alleine im Personalraum. Dass Paula und Richard nun alleine weitermachen mussten, tat mir wirklich leid, allerdings war es vielleicht besser, mich heute nicht mehr auf die Menschheit loszulassen. Am liebsten wäre ich auf die Knie gefallen und hätte Pete angefleht, mich nicht weg zu schicken, aber so viel Stolz besaß ich dann doch noch. Jede Stunde, die ich hier verbrachte, verhalf mir meinen Traum zu verwirklichen. Da konnte ich mir so einen Ausrutscher nun wirklich nicht erlauben. Ich schwor mir, dass das niemals wieder vorkommen würde.

Erschöpft griff ich nach meiner Tasche, die ich vor Arbeitsbeginn aus lauter Eile in den Spind geworfen hatte und wühlte nach meinem Smartphone.

Gleich. Was trinken gehen. Bitte! Emily

Ich ließ mich auf meinen Platz fallen, um den angesammelten Stress noch einmal auszuatmen und zu warten, bis mir meine beste Freundin Lindsey antwortete. In der Regel dauerte es nicht länger als dreißig Sekunden, da sie ihr Leben vor dem Smartphone verbrachte.

Mache mich auf den Weg. Schon Feierabend? L.

Ich lächelte, als ich feststellte, dass ich mit der dreißig Sekunden-Regel tatsächlich Recht hatte.

Ja, will lieber nicht drüber reden. Hasse diesen Job! Treffen in 20 Minuten beim Harrys?

Dieses Mal dauerte es lediglich zehn Sekunden.

Bin schon fast da!

Ich betrat unser geliebtes Harrys und setzte mich an einen der freien Tische. Mir hingen die wenigen Stunden, die ich am Abend gearbeitet hatte in den Knochen und sofort übermannte mich mein schlechtes Gewissen, denn es fühlte sich an, als hätte ich Paula und Richard im Stich gelassen. Auch jetzt noch tat mir mein patziger Umgang mit den Gästen leid, denn so war ich eigentlich nicht. So sehr ich diesen Job auch hasste, so wichtig war es mir dennoch, professionell zu sein. Ich ließ mich auf der Sitzbank zurück sinken und sah mich um. Unsere Lieblingskneipe war ebenso gut besucht, wie das Rondas in dem ich unglücklicherweise arbeitete. Wenn ich mir die Kellner hier ansah, schien Stress bei ihnen an der Tagesordnung zu stehen. Aber kein Gast würde hier vermutlich den Mund aufmachen. Die Leute waren um einiges lockerer und ich dachte mir, wie viel besser es wäre hier zu arbeiten. Doch das Geld, was ich jetzt verdiente, würde ich vermutlich nirgendwo sonst verdienen. Wenn ich doch bloß nicht an diesen dämlichen Job gefesselt wäre, dachte ich, während ich mich suchend nach meiner Freundin umblickte. Musik im Hintergrund und leises Gelächter an den einzelnen Tischen. Alleine die Atmosphäre war so viel gemütlicher. Keine sterilen weißen Farben mit lila Aktzenten an den Wänden und auf den Tischen. Hier herrschte viel weniger Disziplin. Knarzige Bodendielen, dunkle Möbel aus Holz, spärliche Dekoration bestehend aus einer Blume in einer roten Vase und einem Teelicht, dessen Docht längst im Wachs ertränkt wurde. Ja, hier fühlte ich mich wohl.

Die Zeit verging, ich hatte meine Cola schon zur Hälfte geleert, aber Lindsey war noch immer nicht da. Prüfend warf ich einen Blick auf mein Smartphone und bemerkte erst jetzt den verpassten Anruf und eine Nachricht von meiner Freundin.

Sorry, Ems! Mir ist etwas dazwischen gekommen. Ruf mich bitte mal an!

Hastig wählte ich ihre Nummer und schon nach dem ersten Klingeln, nahm sie ab. „Ems?“

Im Hintergrund rauschte es und ich wusste, dass sie im Auto saß.

„Was ist los?“

„Marvin hat mich angerufen“, erzählte sie schnaubend.

Ich pustete laut aus. „Und? Was hat Marvin schon wieder für Probleme?“

„Ich muss ihn zum Flughafen fahren. Er fliegt doch nach Brasilien und hat vergessen mir zu sagen, dass sein verdammtes Auto schrott ist.“

Allmählich kam ich mir vor, wie in einem schlechten Film. „Ernsthaft jetzt? Wann zum Teufel wird dein Bruder endlich mal erwachsen?“, presste ich murrend hervor und starrte auf mein halbleeres Glas, in der Hoffnung, es würde sich von alleine füllen.

„Was soll ich dazu sagen, Ems? Es tut mir leid.“ Lindsey klang ebenso wenig begeistert, wie ich und ich konnte noch nicht einmal sauer auf sie sein. Immerhin konnte sie nichts für die Blödheit ihres Bruders.

„Kein Problem. Ich trinke noch meine Cola aus und mache mich dann auf den Heimweg. Stoß einfach nachher dazu“, schlug ich bemüht freundlich vor. Schlimmer konnte der Tag kaum werden.

Nachdem ich das Smartphone hoffnungslos auf den Tisch fallen ließ und meinen Kopf seufzend auf meinen Händen stützte, bemerkte ich einen großen, dunklen Schatten auf mich zu kommen. Mühevoll blickte ich auf und schaute in die Augen eines Mannes, der mich freundlich anfunkelte. Um nicht unfreundlich zu sein, nickte ich knapp und griff wieder zu meinem Smartphone, damit ich beschäftigt wirkte. Aber der Typ kam trotzdem mit zwei Gläsern Bier an meinen Tisch und blieb vor mir stehen. Wieder schaute ich zu ihm hinauf und sah vermutlich total verwirrt aus, denn sein Lächeln wurde beinahe zu einem Lachen. „Entschuldigen Sie, wenn ich mich hier so an Sie heranschleiche, aber ich habe gesehen, dass Sie irgendwie ein wenig deprimiert wirken, und ich dachte mir“, er hob beide Gläser etwas in die Höhe, „vielleicht könnten Sie ja ein Bier vertragen? Oder trinken Sie lieber Sekt, aber wie eine Sekttrinkerin sehen Sie ehrlich gesagt nicht aus.“

Ich schluckte schwer, völlig hin und weg von seinem guten Aussehen, wusste aber nicht, wie ich antworten sollte. Normalerweise ließ ich mich nicht einfach so ansprechen. Zudem war dieser Typ – dieser Mann – nicht unbedingt meine Altersklasse. Aber er schaute so freundlich aus. So gut! Und seine Geste war irgendwie niedlich.

„Tut mir wirklich leid, wenn ich Sie so überrumple, das war nicht meine Absicht. Oder doch, war es eigentlich schon, aber ich kann auch gerne die beiden Gläser hier alleine vernichten, mein Tag scheint nämlich nicht viel besser als Ihrer zu sein“, sagte er jetzt schulterzuckend und lachte unsicher. Nachdenklich kaute ich auf der Innenseite meiner Lippe und deutete ihm schließlich mit einem Nicken an, sich auf den Stuhl gegenüber von mir niederzulassen. Dankend setzte er sich und platzierte eines der Gläser direkt vor mir auf den Tisch.

„Das muss wirklich ein bisschen komisch auf Sie wirken“, begann er vorsichtig und rückte sich auf dem Stuhl zurecht. Erst da fiel mir auf, dass ich noch kein Wort gesprochen hatte.

„Schon okay, ein Bier wird mir schon nicht schaden“, murmelte ich grinsend. „Entschuldigung, normalerweise bin ich gesprächiger.“ Verdammt noch eins, was rede ich denn da? Noch immer verstand ich diese Situation nicht, aber was war bei einem Bier schon dabei. Immerhin war der Laden hier voll, vom Fleck weg konnte er mich also nicht entführen. Und wenn es mir zu komisch werden würde, könnte ich mich immer noch vom Acker machen. Außerdem hatte ich einen miesen Tag und könnte wenigstens ein bisschen Gesellschaft gut gebrauchen.

„Ich wollte Sie nicht beobachten, aber Sie wirkten so verzweifelt“, stellte er fest und musterte mich eingehend, was in mir ein merkwürdiges Gefühl hervorrief. Er musste etwa Anfang 30 oder älter sein, sofern seine kleinen Falten unter den Augen das verrieten. Über sein markantes Kinn zeichnete sich ein Bartschatten ab und seine nussbraunen Augen leuchteten. Alles an ihm schien so makellos zu sein, dass er beinahe unecht wirkte. Braune, fast schwarze Haare, die er galant mit Gel zur Seite gekämmt hatte und eine perfekte Nase. Breite Schultern und ein – soweit ich es erahnen konnte – gut gebauten Oberkörper. Er trug einen grauen Kapuzenpullover und darunter ein schwarzes Shirt. Vermutlich nicht eines seiner besten Outfits. Und trotzdem saß er hier, direkt vor mir mit einem liebevollen Lächeln, in das ich sogar etwas Verzweiflung hinein interpretieren würde.

„Ja“, gab ich schließlich zu, „heute war tatsächlich nicht so mein Tag. Und jetzt wurde ich auch noch versetzt. Ich bin eigentlich gar nicht so mürrisch. Aber wie Sie schon richtig erkannt haben: Mein Tag war wirklich mies. Wie sieht es mit Ihnen aus?“

„Auch nicht viel besser“, meinte er und verzog etwas das Gesicht, „familiäre Probleme.“

„Wer hat die nicht?“, scherzte ich, und bemerkte bereits das zweite Mal an diesem Abend, dass meine Scherze nicht sonderlich gut bei den Leuten ankamen, denn er brachte nur ein gekünsteltes Grinsen hervor.

Eilig griff ich zu meinem Glas. „Na dann, Prost!“

Er stieß mit seinem Glas gegen meines und trank einen kräftigen Schluck. Ich wusste, dass ich ungeschickt im Umgang mit fremden Männern war. Ich bekam, vor allem wenn sie attraktiv waren, nur selten einen anständigen Satz heraus und musste mich konzentrieren, nicht zu stottern oder mich im schlimmsten Fall an meinem Getränk zu verschlucken. Eine feste Beziehung lag bereits hinter mir, die mir damals quasi zugeflogen war. Christopher war einfach da gewesen. Wir waren Freunde und irgendwann wurden wir ein Paar. Ein Kennenlernen in einer Bar war mir bislang fremd.

Ich beobachtete mein Gegenüber, während er von seinem Bier trank und sich danach mit dem Handrücken über die Lippen wischte.

„Darf ich nach Ihrem Namen fragen?“, platze es dann aus mir heraus.

„Ich bin John. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Emily.“ Ich lächelte schüchtern.

„Emily“, wiederholte er und sprach meinen Namen ganz langsam aus, so als würde er die Wirkung meines Namens auf sich spüren. „Und Emily? Was muss passieren, damit Sie einen so schrecklichen Abend durchleben und mit einem fremden Typen ein Bier trinken?“ Er bedachte mich mit einem fragenden Blick und immer wieder konnte ich dieses Funkeln in seinen Augen erkennen. Neugierde.

Ich zuckte mit den Schultern und ließ mich auf meiner Sitzbank etwas zurückfallen. „Auf der Arbeit lief es nicht so, wie ich es gerne gehabt hätte. Es war nur schrecklich. Manchmal möchte ich einfach das Handtuch werfen und nie wieder dort hingehen. Mich von Gästen herumschubsen und beleidigen lassen macht auf Dauer keinen Spaß. Aber“, seufzte ich, „was tut man nicht alles für das liebe Geld.“

Er nickte wissend. „Allerdings. Immer wieder das gleiche, leidige Thema.“

Seine Stimme klang wie Musik in meinen Ohren. So warm, so freundlich. Ein so interessanter Mann ist mir noch nie begegnet und ich fragte mich in diesem Augenblick, wieso so jemand wie er mit jemanden wie mir an einem Tisch saß und Bier trank. Immerhin sah ich seit der Arbeit wie ein gerupftes Huhn mit zotteligen Haaren aus. Augenblicklich wünschte ich mir einen Spiegel herbei, um mein Aussehen zu überprüfen. Und einen Kamm!

„Und warum sind Sie so alleine hier?“, hakte ich stattdessen nach.

„Wie gesagt, ich habe familiäre Probleme und brauchte mal meine Ruhe. Mein Vater kann manchmal ein ziemlicher Tyrann sein.“ Er überspielte seinen Satz grinsend und schob sein Bierglas zwischen den Fingern hin und her. Nur wusste ich sofort, dass hinter seiner Aussage viel mehr steckte, als er es zugeben wollte.

„Sie sehen nicht gerade aus, als würden Sie noch Zuhause bei Ihrem Vater wohnen. Wie kann er Sie denn tyrannisieren, wenn nicht mit Taschengeldentzug oder Hausarrest?“, fragte ich und entlockte ihm ein Schmunzeln.

„Nein, ich wohne ganz sicher nicht mehr Zuhause“, pflichtete er mir bei. „Aber das mit dem Taschengeld ist gar nicht so falsch gedacht.“

„Und inwiefern, wenn ich fragen darf?“

„Indem wir in ein und derselben Firma arbeiten. Er ist der Inhaber von Wickam Pharmacy. Und ich bin sein Angestellter.“ Er schien gar nicht glücklich über diese Tatsache zu sein, denn es wirkte beinahe so, als hätte er eine grausame Erkenntnis gemacht.

„Wickam Pharmacy? Das ist der größte Pharma-Konzern hier in Oregon“, gab ich von mir und staunte laut. „George Wickam ist Ihr Vater?“

Er nickte schwer, sichtlich nicht erfreut darüber.

„Und jetzt dreht er Ihnen den Geldhahn zu?“ Gott, ich musste wirklich etwas an meinem losen Mundwerk tun.

Wieder nickte er und versuchte seinen Frust hinter seinem Glas zu verbergen.

„Entschuldigen Sie, ich wollte nicht so direkt sein. Ich war nur sehr erstaunt darüber, dass er Ihr Vater ist. Immerhin hört man in den Medien eine ganze Menge über ihn“, entschuldigte ich mich rasch wegen meines dummen Kommentars.

„Schon gut. Die meisten Menschen reagieren so“, bestätigte er wehmütig und schlagartig tat er mir leid. Ein so großer und gestandener Mann, der bei diesem Thema so sehr mit sich haderte.

„Ich denke, wir sollten das Thema wechseln“, sagte ich schließlich höflich.

„Gute Idee.“

Drei

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich Zuhause ankam, sondern nur, dass ich einen tollen Abend mit John hatte. Unglaublich, dass ausgerechnet er mir den Rest des vergangenen Abends gegenüber gesessen hatte. Wir unterhielten uns sehr angeregt. Ich erzählte ihm von meinen Plänen, Medizin studieren zu wollen und dass ich dafür jeden Cent sparte, um endlich meinen eigenen Weg zu gehen und Ärztin zu werden. Außerdem sprach ich über meine Praktika, die ich bereits in Krankenhäusern absolviert hatte und meinen Wunsch, unbedingt selber Menschen zu helfen. Immer wieder nickte er zustimmend, als wüsste er, wovon ich sprach, als könne er mich verstehen. Dennoch fragte ich mich im Nachhinein, wieso ich ihm so viel von mir anvertraute. Irgendwie tat es aber gut einem Fremden zu erzählen, was ich mit meinem Leben vorhatte. Vielleicht, weil ich eine Bestätigung brauchte oder gerne die Meinung von jemandem hören wollte, der mich nicht so gut kannte wie beispielsweise meine Eltern.

Er wiederum sprach von seinem Vater, der manchmal ziemlich anstrengend sein konnte, aber verlor kaum ein weiteres Wort über ihn. Doch je länger wir im Gespräch vertieft waren, desto wohler fühlte ich mich. Der Abend nahm eine ganz erstaunliche Wendung.

„Sie sprechen nicht gerne über Ihren Vater, habe ich Recht?“

„Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. In letzter Zeit treibt er mich mit seinen Ansichten und Vorstellungen fast in den Wahnsinn. Dann bin ich froh, wenn ich mich mal nicht mit dem Thema auseinandersetzen muss“, gestand er und betrachtete mich durch seine vollen Wimpern hindurch.

Als ich irgendwann einen Blick auf meine Uhr warf, verschluckte ich mich beinahe. Schon so spät! Lindsey würde sich riesige Sorgen machen.

„Es ist schon ziemlich spät. Ich muss mich langsam auf den Weg machen.“ Lächelnd erhob ich mich von meinem Platz und suchte nach einem Kellner.

„Oh, lassen Sie nur“, wandte er hastig ein, „die Biere gehen auf mich. Als Dank dafür, dass Sie ein so guter Zuhörer sind und vielleicht auch als Dank dafür, dass Sie an diesem Abend ebenso unglücklich waren, wie ich.“ Amüsiert erhob er sich ebenfalls und reichte mir seine Hand. Zögernd griff ich nach ihr und spürte dieses Kribbeln in meinem Bauch. Herrje, war dieser Mann schön!

„Ich fasse das mal als Kompliment“, entgegnete ich und lachte leise, während ich meine Tasche über meine Schulter schwang.

„Vielleicht hört sich das jetzt ein bisschen blöd an, aber ich werde auch morgen Abend noch dieselben Probleme haben und wieder hier sitzen. Eventuell sind Sie ja auch wieder hier?“ Schüchtern wartete er auf meine Antwort und unverwandt musste ich kichern. Die Röte schoss mir ins Gesicht.

„Ich muss morgen arbeiten. So ungern ich auch möchte.“

„Aber irgendwann haben Sie doch Feierabend.“

„Hm“, machte ich und presste schüchtern die Lippen aufeinander. „Irgendwann schon. Aber ich kann nichts versprechen. Wenn ich wieder so einen miesen Abend wie heute habe, dann werde ich schneller Feierabend haben, als mir lieb ist und vermutlich keinen Job mehr.“ Ich lachte traurig bei dem Gedanken, dass mein Leben einem Teufelskreis glich. „Es war aber wirklich sehr nett mit Ihnen. Sie haben den Abend um einiges erträglicher gemacht. Vielen Dank dafür“, pflichtete ich ihm bei und drehte mich auf dem Absatz um. „Bis dann!“

„Bis dann!“, antwortete er.

Jetzt lag ich im Bett und spürte noch immer die Blicke in meinem Rücken, wie Laserstrahlen, die sich in meine Haut bohrten. Ich war mir sicher, dass ich so einem schönen Mann bisher noch nicht begegnet war. Dagegen konnte Christopher echt einpacken!

„Es tut mir so leid wegen gestern“, sagte meine Freundin unentwegt den ganzen Morgen. „Dieser verdammte Marvin … am liebsten wäre ich mit dir ins Harrys gegangen, aber das holen wir auf jeden Fall nach.“ Sie stellte uns zwei Becher Kaffee auf den Tisch und setzte sich vor mich. Mit zusammengekniffenen Augen schaute sie mich an, und musterte mich. „Hm…, irgendwie siehst du aber ganz und gar nicht traurig aus. Was ist passiert? Wie heißt er?“

„Wie heißt wer?“, fragte ich erschrocken über ihre Scharfsinnigkeit.

„Na der Typ! Du hast jemanden kennengelernt.“ Es war weniger eine Frage als eine Feststellung. Lindsey entging einfach gar nichts!

„John Wickam“, antwortete ich knapp, und biss genussvoll in mein Brötchen. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie aufschrie und mich ungläubig fragte, ob ich den John Wickam meinte.

Innerlich zählte ich von drei herunter. Als ich bei eins angelangt war, kreischte sie wie erwartet auf, nachdem sie die Stirn kurz zuvor gekräuselt hatte. Bei eins konnte man beinahe ein lautes Klingeln hören, denn da war bei ihr der Groschen gefallen. „Der John Wickam?“

Ich lachte. „Er hat mich auf ein Bier eingeladen und nach ein wenig Gesellschaft gesucht.“ Ich tat, als wäre das keine große Sache. Lindsey würde eh noch eine draus machen.

„Und? Habt ihr die Nummern ausgetauscht? Oder Körperflüssigkeiten?“

Angeekelt ließ ich von meinem Brötchen ab und legte es auf den Teller vor mir. „Nein, soweit ist es nicht gekommen. Wir haben uns nur nett unterhalten und dann bin ich gegangen. Mehr nicht.“

Lindsey stutzte. „Mehr nicht?“

Ich schüttelte den Kopf und nahm meinen Kaffeebecher zur Hand.

„Gott, Ems. Du bist so schlecht im Flirten, hat dir das schon mal jemand gesagt?“

„Also, John hat nichts dergleichen erwähnt“, sagte ich und erinnerte mich daran, wie er mir durch die Blume mitgeteilt hat, dass er auch heute da sein würde. Wenn ich bloß nicht arbeiten müsste …

„Ich glaub es nicht“, Lindsey schüttelte den Kopf, „werdet ihr euch wenigstens wiedersehen? Immerhin ist er der Sohn von …“

„Ja, ich weiß wessen Sohn er ist. Na und? Er ist ein ganz normaler Mensch. Und reich ist er auch nicht, jedenfalls hat er mir erzählt, dass sein Vater ihm den Geldhahn zudreht und sich im Moment querstellt. Er ist bloß ein Angestellter in der Firma und verdient wie jeder andere Mensch ein normales Gehalt.“ Irgendwie hatte ich das Gefühl ihn verteidigen zu müssen. Aber nachdem ich ihr einen kleinen Einblick in seine finanzielle Welt gewährte, sackten ihre Schultern enttäuscht hinab. „Hm … es hätte auch zu schön sein können.“

„Was bitte hättest du davon?“, fragte ich amüsiert und griff erneut nach meinem Brötchen.

„Eine reiche beste Freundin, was denkst du denn? Aber das erklärt wenigstens, warum du so spät nach Hause gekommen bist. Hatte mich schon gewundert.“

„Ich hätte schreiben sollen, du hast recht“, pflichtete ich ihr schuldbewusst bei und kaute nachdenklich weiter.

„Macht nichts, dann sind wir wenigstens quitt“, erklärte sie gewinnend und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Die Sonne fiel durch das kleine Küchenfenster und strahlte direkt meine Freundin an. Dadurch glänzten ihre roten Haare beinahe wie eine Diskokugel. „Was sind deine Pläne für heute? Vielleicht ein heißes Date mit Johnny-Boy?“, fragte sie dann mit geneigtem Kopf und grinste dabei breit.

„Da muss ich dich enttäuschen.“ Ich blickte mich in unserem Chaos von Wohnung um. Überall lagen Sachen verstreut und die Küche, in der wir gerade saßen, glich einem Saustall. „Ich schätze mal das Chaos beseitigen, dass auf komische Art und Weise von selbst entstanden ist.“ Mit Argusaugen beobachtete ich meine Freundin, die rot anlief. Mit der Ordnung hatte sie es noch nie wirklich gehabt.

„Eine gute Entscheidung“, sagte sie strahlend, als hätte ich in einer Gameshow das richtige Türchen erwischt. Voller Elan erhob sie sich vom Stuhl. „Ich muss leider zur Arbeit. Der Laden macht in einer halben Stunde auf.“

„Viel Spaß!“

„Musst du heute Abend arbeiten?“, fragte sie, während sie sich ihre rote Löwenmähne zu einem Pferdeschwanz band.

Schwerfällig nickte ich. „Sieht ganz danach aus.“

„Schade, sonst hätte ich mit dir den Abend von gestern nachgeholt. Aber eigentlich gibt es ja nichts nachzuholen“, stellte sie fest und grinste verschwörerisch. „Immerhin hast du den Mann deiner Träume kennengelernt.“

„Er ist weder der Mann meiner Träume noch meiner schlaflosen Nächte. Ich habe mit ihm ein Bier getrunken und mehr auch nicht. Wir haben nicht einmal die Nummern ausgetauscht“, rechtfertigte ich mich lauthals. Von seiner indirekten Einladung erzählte ich besser nichts, sonst würde Lindsey noch vorschlagen, mich zu vertreten. Darauf hatte ich irgendwie auch keine Lust.

„Wie dem auch sei, wenn ich mich nicht beeile, komme ich noch zu spät. Also wir sehen uns mein kleiner, wilder Tiger.“ Sie lachte laut, während sie unsere Wohnung verließ.

Ich verbrachte den Tag damit, eine Grundreinigung in unsere Wohnung hinzubekommen. Um Lindseys Zimmer machte ich allerdings einen riesigen Bogen. In den Schweinestall wäre nicht einmal ein Schwein freiwillig eingezogen. Ich wischte, schrubbte und fluchte über all das Zeug, was hier herumlag. Die Wohnung war ohnehin nicht wirklich groß, ganz zu schweigen von der Küche und dem Badezimmer. Die Zimmer spärlich eingerichtet mit den billigsten Möbeln, die wir mühevoll aus den verschiedensten Ausverkäufen zusammengekratzt hatten. Immerhin konnten wir einen Tisch mit zwei Stühlen in der Küche unterbringen, aber das war es auch schon. Das Wohnzimmer bestand aus einer grauen Couch, einem Fernsehtisch mit Fernseher und einem Bücherregal mit integriertem Schrank, in dem wir noch die eine oder andere Sache verstauen konnten.

Ich schleppte gerade einen Berg voller Wäsche in mein Zimmer, die ich noch zusammenlegen wollte, doch als ich einen Blick auf die Uhr warf, stellte ich mit Entsetzen fest, dass ich mich langsam auf den Weg zur Arbeit machen musste. Alleine bei dem Gedanken sank meine Laune wieder gen Nullpunkt.

Vier

Leicht außer Atem gelangte ich an die Straße, die ich überqueren musste, um das Rondas zu erreichen. Das Auto ließ ich meistens stehen, damit ich nicht unnötige Spritkosten hatte. Mittlerweile hatte ich mich ganz gut an das zu Fuß gehen gewöhnt. Aber als ich so dastand und auf dieses verdammte Gebäude, was mir so sehr zum Halse raushing, starrte, drehte sich mir der Magen um. Ich wollte in diesen Laden nicht rein. Von Leuten herumgeschubst zu werden und immer am Limit zu arbeiten, nur weil sich andere gerne ein entspanntes Leben machten, machte einfach keinen Spaß. Einer der wenigen Gründe, warum ich hier überhaupt noch auftauchte waren Richard und Paula und natürlich das liebe Geld.

Das Rondas war ein Lokal für Spießer und die konnten mir immer mehr gestohlen bleiben. Was anfangs noch spannend und aufregend war, war jetzt nur noch nerv tötend. Dieses langweilige Gebäude war direkt zwischen einem Kiosk und einem Buchladen gequetscht. Und der Pflanzenkübel am Eingang machte das Portal zur Hölle auch nicht besser. Lediglich die beiden Mitarbeiter, die inzwischen gute Freunde von mir waren, spornten mich an. Zögernd stand ich da und knabberte nachdenklich an meiner Lippe. Frust stieg in mir auf und verwandelte sich immer mehr in Verzweiflung. Es musste doch etwas anderes für mich geben. Wenn ich doch einmal den Mut hätte, einfach mal eine Krankmeldung ins Haus flattern zu lassen. Ich könnte mich krankmelden und auf ein Getränk ins Harrys gehen und vielleicht sogar erneut einen schönen Abend mit John verbringen. Hin- und hergerissen trat ich von einem Bein auf das andere. Nur einmal im Leben aus der Reihe tanzen…

Wie von der Tarantel gestochen, kramte ich mein Smartphone aus der Tasche und tippte eilig eine Nachricht:

Hallo Pete, entschuldige die späte Nachricht, aber ich bin heute leider komplett ohne Stimme. Daher schreibe ich dir auch, anstatt anzurufen. Du würdest mich nicht hören können. Ich hatte den ganzen Tag gehofft, dass es noch besser wird, aber es wird immer schlimmer. Hoffe ihr schafft das ohne mich! Melde mich, wenn es mir bessergeht. Gruß Emily

Senden.

Ich atmete laut aus und verstaute mein Handy eilig in meiner Tasche. Jetzt musste ich hier verschwinden, bevor mich noch jemand sah, denn bald begann meine Schicht. Mit einem unsicheren Grinsen und einem innerlichen Triumphgefühl über meine rebellische Art, machte ich auf dem Absatz kehrt und ging die Straße zurück, von der ich gekommen war. Mein Herz pochte und ich fühlte mich einerseits so gut, dass ich mich selbst kaum verstand, andererseits taten mir Richard und Paula sehr leid. Aber es war nur ein Abend. Einen Abend, an dem ich das tat, was ich wollte. Irgendwie wollte ich jetzt auf Johns Angebot, mich bei ihm auszuheulen, zurückkommen. Immerhin hatte mir das Gespräch gestern ziemlich gutgetan. Und mein Herz schlug bei dem Gedanken daran, ihn wiederzusehen einfach zu schnell, als dass ich das ignorieren konnte.

Nachdem sich mein Puls allmählich wieder normalisiert hatte, erreichte ich das Harrys. Ich war gespannt, ob ich John wohl dort vorfinden würde. Doch was, wenn nicht? Erst jetzt kam mir in den Sinn, dass er vielleicht gar nicht da sein würde? Wollte ich wieder alleine in einer Ecke sitzen und über mein langweiliges Leben nachdenken und dabei mitleidige Blicke auf mich ziehen? Mist! Ich hatte gar nicht ausgiebig darüber nachgedacht, sondern zu vorschnell gehandelt. Aber nun stand ich direkt vor dem Eingang und haderte mit mir, ob ich hineingehen sollte oder nicht. Meine Neugierde war zu groß und mit der Krankmeldung war ich so oder so schon zu weit gegangen. Ich machte einen festen Schritt und ging durch die Eingangstür meiner Lieblingsbar.

Da es gerade erst 18 Uhr war, erwartete ich noch nicht allzu viele Gäste. Es war relativ ruhig und nur wenige Menschen hatte es hier her verschlagen. Mit vorsichtigen Schritten schaute ich mich um und plötzlich machte mein Herz einen Satz. Da saß er. Weiter hinten in einer Ecke und starrte auf sein Smartphone. Entschieden trat ich auf seinen Tisch zu und blieb vor ihm stehen, so wie er es am Abend zuvor bei mir getan hatte.

„Bin ich hier richtig bei der Seelsorge?“, scherzte ich. Erschrocken blickte er auf. Er hatte mich gar nicht kommen sehen. Dann lockerte sich sein Gesicht und er lachte überrascht. „Allerdings, da sind Sie hier genau richtig.“ Er deutete mit einer Hand auf den Platz vor ihm und ich ließ mich langsam sacken. „Dann habe ich ja Glück.“ „Sagten Sie nicht gestern, dass Sie arbeiten müssten?“

Schulterzuckend lächelte ich. „Sagte ich nicht auch gestern, dass ich meinen Job hasse? Und was halten Sie eigentlich vom Du? Ich fühle mich so alt, wenn mich jemand siezt“, gab ich verlegen zu. Ich versuchte nicht allzu rot zu werden im Gesicht.

„Was soll ich denn erst sagen? Mit meinen 33 Jahren fühle ich mich nicht nur alt, wenn mich jemand siezt.“

Ich lachte und versuchte sein Alter zu ignorieren. 33 Jahre. Er war ganze neun Jahre älter als ich. Da musste ich ein paarmal schlucken. Neun Jahre! Lindsay würde ganz schön dumm aus der Wäsche gucken, wenn ich ihr erzählte, was ich hier tat. Aber vermutlich würde sie den Altersunterschied spannend und prickelnd finden, so wie ich sie kannte. Ich lächelte bei dem Gedanken. Instinktiv schaute ich auf seine Hände, die er gefaltet auf dem Tisch liegen hatte. Kein Ehering. Dann schaute ich ihn wieder an und lächelte noch breiter. Was nicht heißen musste, dass er keine Freundin hatte, aber immerhin war er alleine hier. Ich würde ihn im richtigen Moment danach fragen.

„Gut, dann sind wir uns ja einig“, strahlte ich dann und machte der Kellnerin ein Zeichen, dass ich ein Wasser bestellen wollte.

„Nun, wo Sie … du da bist … ich wollte dich gerne etwas fragen“, begann John vorsichtig und kam ein kleines Stückchen näher über den Tisch. Fragend schaute ich ihn an. „Und das wäre?“

„Ich weiß, dass wir uns kaum kennen und das macht es vielleicht ein bisschen einfacher, aber schon gestern, als ich dich gesehen habe, hatte ich so eine Idee.“ Er schaute auf sein Glas und wich jedem meiner skeptischen Blicke aus. Aber jetzt war ich erstrecht neugierig. Ich bedeutete ihm, weiter zu sprechen.

„Okay“, zögerte er, „das wird jetzt ziemlich verrückt klingen, aber vielleicht auch nicht. Das wirst du ganz alleine entscheiden müssen.“

„Nun los, spanne mich nicht so auf die Folter. Was kann so schlimm sein?“, fragte ich.

Nachdenklich nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Nachdem er es etwas zu sehr mit Nachdruck auf den Tisch gestellt hatte, wischte er sich nervös über den Mund.

„Wie spontan und verrückt bist du?“

Die Frage kam mir vor wie in einem Bewerbungsgespräch und völlig unerwartet. Grübelnd zupfte ich am Kerzendocht des kleinen Teelichts vor mir. „Verrückt sicherlich ziemlich. Spontan gar nicht. Aber man kann ja über alles reden.“ Ich lachte wieder, aber dieses Mal ziemlich unsicher. Nervös strich ich mir meine welligen Haare hinter die Ohren, die immer wieder drohten ins Gesicht zu fallen.

„Ich habe dir doch gestern von meinem Vater erzählt. Über seine Ansichten von einem gesitteten Leben.“

Ich nickte, nachdem ich mir das Gespräch von gestern Abend in Erinnerung rief.

„Nun ja, das Ding ist, dass er mit meiner Art zu leben nicht wirklich zurechtkommt. Er ist oft der Meinung, dass ich nicht das Leben führe, was er sich für mich wünschen würde. Mit Frau, mit Kind, in einem eigenen Haus und mit besten Absichten ein ruhiges Leben zu führen. Allerdings kann ich ihm das nicht immer so ganz erfüllen. Höchstens die Sache mit dem Haus. Aber selbst an dem findet er etwas auszusetzen.“ Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und ich legte die Stirn in Falten. Warum erzählte er mir das jetzt und vor allem, was hatte das mit mir zu tun? Na, immerhin beantwortete er mir so meine unausgesprochene Frage nach einer Freundin.

„Um es kurz zu machen, er möchte, dass ich weniger Party mache, weniger trinke und mich mehr auf eine Freundin konzentriere und mir ein Familienleben aufbaue. Sonst wird er mich nämlich nicht zum Nachfolger seiner Firma machen.“

Ich schluckte überrascht. „Verstehe ich das richtig? Wenn du nicht angemessener lebst, oder vielmehr so lebst, wie dein Vater es sich wünscht, überschreibt er dir die Firma nicht?“

Er nickte mutlos und starrte auf sein Glas. Ich überlegte, was ich darauf erwidern sollte. Natürlich war das eine schwierige Situation, in der er sich befand, aber unangenehm war es dennoch, dass er es mir so offen erzählte. Daher schaute ich betroffen und hoffte, dass wir das Thema bald wechselten. „Sagen wir mal so: Ich lebe eher von einem Tag in den nächsten und genieße mein Leben in vollen Zügen. Manchmal vielleicht auch ein bisschen zu exzessiv. Das gefällt meinem Dad gar nicht. Und wenn das so weitergeht, dann wird er Douglas die Firma überschreiben.“

„Und Douglas hat das Unternehmen nicht verdient“, beendete ich seinen Satz. Zustimmend hob und senkte er seinen Kopf wieder und wirkte mit einem Mal nicht mehr so strahlend und heiter wie gestern Abend. Es gefiel mir gar nicht.

„Das tut mir wirklich sehr leid für dich“, gestand ich und rutschte nervös auf meinem Stuhl hin und her, „aber, warum genau erzählst du mir das?“

John schnaubte kurz und schien sich seine Worte im Kopf zurechtzulegen. Langsam wurde mir etwas unwohl. Von der lockeren Atmosphäre zwischen uns war mittlerweile nichts mehr zu spüren.

„Du sagtest, du hasst deinen Job, richtig?“

Zögernd nickte ich. „Hassen ist ein schlimmes Wort. Ich mag ihn nicht, sagen wir es mal lieber so.“

„Vielleicht hätte ich einen besseren für dich“, sagte er dann ein wenig euphorischer.

„Ach ja?“

„Was würdest du sagen, wenn ich dir eine Menge Geld bezahlen würde, damit du … sozusagen… also … wenn du vor meinem Vater meine Freundin spielen würdest?“

Ungläubig schaute ich ihn an. „Das ist ja wohl ein Witz.“

Im selben Augenblick musste ich so laut lachen, dass sich die Menschen in der Bar zu mir umdrehten. Tränen rannten mir über die Wangen und mein Bauch zog sich schmerzhaft zusammen. Mein Lachen war beinahe hysterisch. Ungläubig. Ich wusste kaum anders darauf zu reagieren. Als ich fertig gelacht hatte, griff ich hastig nach dem Glas das mir die Kellnerin stirnrunzelnd vor die Nase stellte und trank einen tiefen Schluck.

Ich blickte direkt in Johns ernste Augen und da war mir klar, dass es sich hier nicht um einen Scherz handelte. „Du meinst das ernst.“

„Sehr sogar.“

„Das ist das Dümmste, was ich jemals gehört habe. Entschuldige aber, nein … Nein wirklich nicht.“ Ich schaute von links nach rechts, um sicher zu gehen, dass niemand diese merkwürdige Unterhaltung mitbekam. Ich konnte sie ja selbst kaum verstehen.

„So dumm ist es gar nicht. Ich bezahle dich und du spielst einfach ein bisschen meine Freundin“, verteidigte er sich , als wäre es das Normalste der Welt.

„Du hast sie nicht alle. Ich glaube, du hast ein bisschen zu oft Pretty Woman geguckt“, stellte ich lachend fest, „so viel könntest du mir gar nicht bezahlen. Außerdem bin ich doch keine …“

„Ich habe noch eine ganze Menge Gespartes. Und wenn Dad mir die Firma überschreibt, dann habe ich mehr als genug“, unterbrach er mich. Sein Gesicht war ernst, was mir schlagartig ein ganz anderes Bild von ihm vermittelte. Alles, was ich gestern Abend noch über ihn gedacht hatte, war mit einem Mal wie weggeblasen. Die Fahrtrichtung hatte sich geändert und ich fühlte mich nicht mehr so wohl in seiner Gegenwart.

„Ich sollte gehen“, sagte ich lediglich und wollte mich gerade vom Stuhl erheben, als er mich schnell am Arm packte. „Emily, bitte. Höre es dir nur einmal an. Dann kannst du immer noch gehen.“ Seine nussbraunen Augen, die mir gestern noch so positiv aufgefallen waren, wirkten jetzt beinahe flehentlich.

„Ich habe genug gehört“, antwortete ich und blickte zornig auf seine Hand an meinem Arm, die er eilig wieder wegzog.

„Bitte“, wiederholte er mit Nachdruck. Das Ganze war so lächerlich. Ich stöhnte genervt und blickte mich noch einmal um, dann ließ ich mich langsam auf den Stuhl zurückfallen. Vor meiner Brust verschränkte ich die Arme. „Na los, rede! Aber schnell. Das ist ja die reinste Freakshow. Wäre ich bloß arbeiten gegangen …“

„Mein Vater wird in ein paar Monaten die Firma abgeben und sich zurückziehen. Er ist jetzt 65 und möchte die Firma in vertrauensvollen Händen wissen. Ich bin sein einziges Kind, sodass ich dachte, dass er mir die Firma eines Tages so oder so überschreiben würde. Ich habe mich wirklich bemüht, aber er ist niemals zufrieden mit mir. Und Douglas, dieser verdammte Schleimer, hat sich beim meinem Vater so tief in den Arsch …“

„Überspring das bitte!“

„Also, er hat … mein Dad möchte lieber ihm die Firma geben, als mir, wenn ich mich nicht langsam mal ändere, eine Freundin finde und so weiter.“

„Und deswegen willst du dir eine kaufen?“, schnitt ich ihm das Wort ab.

„Nicht unbedingt kaufen, eher meinem Glück auf die Sprünge helfen“, stammelte er und versuchte ein aufmunterndes Gesicht zu machen.

„Du willst, dass ich mich verkaufe?“, hakte ich ungläubig nach. „Das kannst du echt nicht ernst meinen. Was glaubst du denn, was ich bin? Ein Escort-Girl?“ Kopfschüttelnd erhob ich mich wieder. „Tut mir leid, da musst du dir jemand anderes suchen. Die Straße runter zum Beispiel, da stehen samstags Nacht immer mehr als genug, wenn du verstehst, was ich meine. Die freuen sich vermutlich über jeden Hunderter mehr in der Tasche. Aber ich verdiene mir mein Geld lieber ehrlich. Und wegen dir verdiene ich heute Abend gar nichts, denn ich bin einfach nicht zur Arbeit gegangen. Wie konnte ich nur so naiv sein und glauben, dass wir hier einen schönen Abend erleben.“

Ich wollte gerade vom Tisch verschwinden, da rief er leise hinter mir her. „Du wolltest doch Medizin studieren, oder?“

Mit dem Rücken zu ihm gewandt, blieb ich stehen und starrte auf den Ausgang, den ich in wenigen Schritten erreichen würde. Mein Herz pochte wie wild.

„Ich könnte dir helfen das Geld dafür schneller zusammenzukriegen, als du das in dem Restaurant schaffen würdest“, fuhr er fort. Langsam drehte ich mich zu ihm um und trat einen Schritt näher an ihn heran. Ich beugte mich über den Tisch und stützte die Hände darauf ab. „Über wie viel sprechen wir hier? Nur, dass ich das mal verstehe.“

„Etwa zehn Riesen könnte ich von meinen Ersparnissen lockermachen. Weitere zehn Riesen bekommst du, wenn ich die Firma überschrieben bekomme.“

Ich blinzelte mehrmals. Vermutlich viel zu oft. Ich musste diese Summe in meinem Kopf, der ohnehin schon schwirrte, erst einmal verarbeiten. 20.000 Dollar!

John deutete mit seinem Blick auf den Stuhl und vorsichtig setzte ich mich. „Das ist eine ganze Menge Geld. Wieso sollte ich dir glauben?“, sprach ich betont leise, da das Gespräch mittlerweile für keine fremden Ohren mehr bestimmt war.

„Meinem Vater gehört Wickam Pharmacy. Das alleine spricht doch schon für sich, oder? Wenn der Laden erst einmal mir gehört, gehört mir auch das Geld was dahintersteckt.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete mich eingehend. Ich kaute auf meiner Lippe und rief mir immer wieder diese beachtliche Summe vor Augen. Damit könnte ich schon die ersten Studiengebühren wuppen und anschließend auf ein Stipendium hinarbeiten. Es würde aber noch nicht für einen Umzug reichen. Immerhin wollte ich aus dieser Stadt raus, um zu studieren. Mein Ziel war New York. Schön weit weg von hier. Von meinem alten Leben. Ich atmete betont laut aus, während ich seine fordernden Blicke auf mir spürte. „Wie konnte ich auch nur einen Moment glauben, dass das hier ein normales Date werden könnte?“, sagte ich murrend.

„Es tut mir leid, ich hätte es nicht angefangen, wenn ich nicht so verzweifelt wäre. Aber für uns beide springt doch letzten Endes was dabei raus. Du könntest studieren gehen und deinen Job hinschmeißen, denn du ohnehin nicht machen möchtest und ich könnte meinen Vater dazu bringen, mir die Firma zu übertragen. Allen wäre damit geholfen.“

Sein lockerer Ton machte die Lage nicht gerade besser.

„Schlagartig bist du mir wirklich weniger sympathisch“, knurrte ich ihn an und schüttelte unbeholfen den Kopf. Die Situation war so verworren, dass sie fast schon unecht schien. Die Spannung zwischen uns konnte man beinahe greifen.

„Du hast ein ganz schön loses Mundwerk“, pflichtete John mir prostend bei.