Verliebt in meinen Freund - Jennifer Lillian - E-Book

Verliebt in meinen Freund E-Book

Jennifer Lillian

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Beschreibung

Neue Freundschaft – neues Glück? Sally und Brad sind endlich wieder beste Freunde, es könnte eigentlich nicht besser laufen und sie genießen die gemeinsame Zeit. Doch das Knistern zwischen ihnen will nicht vergehen. Obwohl beiden doch eigentlich klar ist, dass eine Beziehung nicht funktionieren wird, müssen sie sich bald entscheiden: Herz oder Verstand?

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Kurzbeschreibung:

Neue Freundschaft – neues Glück? Sally und Brad sind endlich wieder beste Freunde, es könnte eigentlich nicht besser laufen und sie genießen die gemeinsame Zeit. Doch das Knistern zwischen ihnen will nicht vergehen. Obwohl beiden doch eigentlich klar ist, dass eine Beziehung nicht funktionieren wird, müssen sie sich bald entscheiden: Herz oder Verstand?

Jennifer Lillian

Verliebt in meinen Freund

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2018 by Jennifer Lillian

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Lektorat: Birgit Bramlage

Covergestaltung: Marie Wöl, Wolkenart 

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-065-5

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Cover

Kurzbeschreibung

Titelseite

Impressum

Prolog

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechszehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

Einunddreißig

Zweiunddreißig

Siebenundzwanzig

Dreiunddreißig

Vierunddreißig

Fünfunddreißig

Sechsunddreißig

Siebenunddreißig

Achtunddreißig

Neununddreißig

Vierzig

Einundvierzig

Zweiundvierzig

Dreiundvierzig

Vierundvierzig

Epilog

 Widmung 

Oma Rosi, Opa Manni – ihr seid für immer in meinem Herzen!

Prolog

Gefühle. Man kann in den verschiedensten Arten fühlen. Jeder Mensch nimmt sie anders war. Die einen durchleben sie intensiver, während andere wiederum ein Gefühl schwächer wahrnehmen. Nehmen wir mal das Gefühl von Angst. Manche Menschen empfinden dieses Gefühl eher selten und nur in ganz bestimmten Situationen. Andere wiederum empfinden dieses Gefühl tagtäglich und unterschiedlich intensiv. Andere fürchten sich vor schlimmen Krankheiten oder Krieg. Andere haben Angst vor den Dingen, die um sie herum passieren. Angst, dass durch Kleinigkeiten ein Streit entsteht. Angst, dass sich Freunde von ihnen abwenden könnten, wenn man einmal nein sagt. Was das alles mit mir zu tun hat? Nun ja, obwohl ich in vielen Dingen so unsagbares Glück hatte, war die Angst in meinen Gedanken stets präsent. Angst, dass alles, was ich mir aufgebaut und beinahe wieder verloren hatte, einfach so zugrunde gehen könnte. Angst, dass nur eine meiner oft nicht durchdachten Handlungen, die Menschen, die ich liebte, von mir wegtreiben könnte. Dieses Gefühl war ebenso präsent wie das Glück. Und beides im Einklang konnte meiner Ansicht nach ein großes Chaos hervorrufen.

Eins

„Du musst noch mehr lächeln!“, rief mir meine Freundin Daph entgegen, die angestrengt durch die Linse ihrer Kamera schaute, um eine perfekte Momentaufnahme von mir zu schießen.

„Wenn ich noch breiter grinse, dann bekommen meine Ohren Besuch“, sagte ich etwas verbissen und sah dabei bestimmt ziemlich lächerlich aus.

„Also komm schon, Sall. Streng dich mal ein bisschen an. So ein Foto macht man schließlich nicht alle Tage.“ Daphs Stimme nahm beinahe einen flehenden Ton an. Noch schlimmer war, dass die Augen all meiner Freunde auf mich gerichtet waren und mich aufmunternd anstarrten. Mehr im Mittelpunkt konnte man kaum stehen.

„Da hast du Recht. So ein Bild hat man wirklich nicht in seinem Album. Bitte Daph, lass mich doch so grinsen, wie ich es am besten kann.“

„Dann solltest du besser ganz drauf verzichten“, sagte Mitch, der sich über seinen eigenen Witz kaputtlachte. Von mir erntete er dafür einen wütenden Blick, der ihn sofort verstummen ließ.

„Wir stehen hier schon gefühlt seit ein paar Stunden, nur um ein Foto von Sally und ihrem verdammten Abschlusszeugnis zu machen“, seufzte Thomas , der die Arme vor der Brust verschränkte. Ich konnte es ihm nicht einmal übelnehmen, denn ich wäre auch lieber nicht in einen peinlichen Talar gekleidet gewesen und hätte auch lieber nicht diesen lächerlichen Doktorhut auf. Doch mein Jahrgang bestand darauf, dass wir diese Tradition an der Uni aufrechterhielten. Ein paar andere und aus meinem Jahrgang hatten sich für schickere Kleidung in Form von schönen Kleidern und Anzügen ausgesprochen. Aber die anderen hatten sich durchgesetzt. Ich war froh, wenn ich die Sachen endlich von mir reißen konnte.

„Nun krieg dich mal wieder ein, Thomas. Nur weil du nicht so einen schönen Abschluss gefeiert hast, musst du das den anderen nicht madig machen“, schaltete sich meine Schwester ein. Ich nickte ihr dankbar zu.

„Ich hatte eine tolle Abschlussfeier“, verteidigte sich Thomas und wuschelte sich dabei durch seine lockigen, dunklen Haare.

„Du hast am Abend vorher so viel gesoffen, dass du deinen eigenen Abschluss beinahe verpennt hättest. Als du aufgerufen wurdest, um dein Zeugnis abzuholen, hast du dem Professor fast vor die Füße gekotzt“, rief ihm meine Schwester in Erinnerung. Als ich an den Tag dachte, musste ich laut auflachen. In den Moment blitzte es kurz auf und ich schaute erschrocken zu Daph, die triumphierend auf die Kamera linste. „Perfekt!“, sagte sie und strahlte mich an.

„Haben wir es geschafft?“, fragte Thomas nach und rückte von Maria ab, die im Begriff war, ihm noch mehr Details seines katastrophalen Entlassungstages aufzuzählen.

„Ja, haben wir. Sally, das ist ein wirklich schönes Bild geworden“, erklärte mir Daph.

Ich machte einen großen Schritt auf sie zu. „Zeig mal her.“

Sie zog die Kamera beiseite. „Nein! Das soll eine Überraschung werden. Am Ende magst du es nicht leiden und dann stehen wir hier ein paar Stunden rum, weil du es nicht schaffst, deine Mundwinkel so nach oben zu ziehen, sodass es auch authentisch wirkt.“

„Autsch!“, sagte ich leise. „Das war gemein.“

„Ach komm, das war nicht böse gemeint.“ Sie legte einen Arm um meine Schultern. „Du hast andere Qualitäten.“

„Da bin ich aber beruhigt.“

„Wo soll es jetzt hingehen?“, fragte Tara, die sich über die Stirn wischte, als würde sie schwitzen. Wir hatten einen warmen Frühlingstag, aber eben noch keinen Hochsommer. Der Frühling war bisher angenehm warm und gleichmäßig vom Klima her gewesen, aber so warm wie heute, war es schon lange nicht mehr.

„Lass uns erst mal aus der Sonne gehen“, schlug Daph vor und alle machten auf den Absatz kehrt und liefen nach Schatten suchend auf das Unigebäude zu. Auf dem ganzen Gelände hatten sich Absolventen in kleinen Grüppchen zusammengefunden, ließen sich fotografieren und beglückwünschen. Es war ein ganz besonderer Tag. Die letzten Wochen hatten wir Studenten darauf hin gefiebert, endlich unser Zeugnis in den Händen zu halten und ein neues Leben zu beginnen. Und heute war es soweit. Ich hatte meinen Abschluss geschafft und war bereit ins Arbeitsleben einzutauchen. Ein neues Leben kennenzulernen. Mich weiterzuentwickeln. In mir spielte alles verrückt, denn so aufgeregt über das, was mir jetzt bevorstand, war ich das letzte Mal vor Antritt des Studiums gewesen. Und jetzt stand ich hier, bereit den nächsten Schritt zu machen. Am Abend fand zur Krönung eine Abschlussparty statt, die die Absolventen organisiert hatten. Wir sammelten uns unter einer großen Eiche, die genügend Schatten spendete, und bildeten einen Kreis.

„Ich schlage vor, wir fahren erst einmal zu uns“, sagte ich. „Ich habe ein paar Snacks vorbereitet und Getränke kaltgestellt, bevor es dann heute Abend zur Party geht. Wer von euch Lust hat, kann gerne mitkommen.“

„Hört sich super an“, sagte Tara lächelnd.

Thomas räusperte sich. „Bei Snacks und Getränken kann ich schlecht nein sagen. Außerdem bist du uns das schuldig, immerhin haben wir Stunden hier verbracht und brav zugehört, als die Reden von Studenten und Professoren gehalten wurden. Und dann noch die ewiglange Zeugnisvergabe.“ Er seufzte theatralisch.

Ich schaute ihn ausdruckslos an. „Entschuldige bitte, dass ich dir deinen Tag ruiniert habe, Thomas.“

Er hob abwehrend die Hände und verkniff sich ein Lächeln. „Ich mache doch nur Spaß.“ Die anderen um uns herum kicherten.

„Also gut, dann lasst uns losgehen“, wiederholte ich. „Aber erst möchte ich aus diesem Harry Potter-Umhang raus.“

„Das kannst du auch gleich Zuhause machen. Ich fahre uns nach Hause“, sagte Daph. Derweil fragte ich mich, warum alle irgendwie glücklicher zu sein schienen, als ich es selbst war. Klar, es war mein großer Tag und ich war überglücklich, dass ein neuer Abschnitt in meinem Leben begann, aber eine Sache schwebte die ganze Zeit wie eine dunkle Wolke über mir.

„Wir treffen uns dann bei euch.“ Thomas legte den Arm um Tara und ging mit ihr zum Auto. Mitch und Maria begleiteten die beiden. Daph und ich liefen mit ein wenig Abstand hinter ihnen her.

„Und jetzt sagst du mir bitte, warum du nicht lächeln kannst“, sprach Daph bedrohlich leise auf mich ein. Ich schaute sie fragend von der Seite an. „Was meinst du? Ich lächle doch. Sogar auf Kommando. Das Problem ist nur, dass es dich nicht zufrieden stellt.“

„Da hast du vollkommen Recht. Es stellt mich nicht zufrieden, weil es nicht authentisch ist.“

„Ich weiß noch immer nicht, was du meinst.“

„Sag schon, was ist los?“

Wir schlenderten über die wunderschön hergerichtete Grünanlage der Uni in Richtung Parkplatz. Die Blumen und Pflanzen waren perfekt zurechtgestutzt und bildeten eine wunderbare Kulisse für Erinnerungsfotos. Der Rasen war so gemäht, dass man beinahe glauben konnte, dass der Gärtner mit einer Nagelschere am Werk gewesen war und jeden Grashalm persönlich geschnitten hatte.

„Es ist alles gut, Daph. Ich bin nur ein bisschen traurig, dass Brad nicht hier ist“, sagte ich bedauernd.

„Wusste ich’s doch.“

„Na dann frag doch nicht, wenn du schon alles weißt.“ Ich lächelte sie wehmütig von der Seite an.

„Ich wollte es nur noch einmal aus deinem Mund hören. Außerdem hat er einen guten Grund, dass er nicht da ist.“ Daph zog mich an sich ran und drückte mich, während wir die Straße zum Auto überquerten.

„Sei einfach froh, wie alles gekommen ist. So wie ihr das geregelt habt, seid ihr einer ganzen Menge Ärger aus dem Weg gegangen. Und es geht euch doch besser, so wie es jetzt ist. Keine Beziehung, keine Streitereien.“

„Ja, da hast du wirklich recht“, pflichtete ich ihr bei. Gleichzeitig dachte ich noch einmal daran, wie es war, als ich Brad damals die Tür geöffnet hatte, nachdem wir vorher heftig gestritten hatten und ich mir sicher war, ihn endgültig verloren zu haben.

Zwei

Es war an dem Tag, als ich gerade dabei war, Daph ihren Lieblingskuchen zu backen, nachdem ich sie so dermaßen auf die Palme gebracht hatte. Dieses ewige Hin und Her mit Brad, brachte beinahe noch meine Freundschaft zu Daph ins Wanken. Nachdem sie aus der Wohnung gerauscht war, hatte ich vor, es wieder mit ihrem Lieblingskuchen gut zu machen. Es klingelte an der Tür. Hatte Daph etwa ihren Schlüssel vergessen? Aber anstelle von Daph stand Brad vor der Tür und starrte mich an. Sein Blick von damals versetzte mir noch heute einen ordentlichen Stich. Er kam ein paar Schritte in meine Richtung. Die Hände in den Hosentaschen seiner locker sitzenden Jeans. Er trug seine braune Lederjacke, die ich so gerne an ihm mochte. Sein Lächeln wurde langsam breiter, war aber gleichzeitig auch etwas schmerzverzerrter und wirkte unsicher. Wie versteinert blieb ich stehen und rührte mich nicht vom Fleck. Ich wusste nicht, warum er überhaupt hier war. Keiner von uns Beiden wusste so recht, was er sagen sollte. Ich wich einen Schritt zurück und bedeutete ihm, einzutreten. Etwa einen halben Meter vor mir blieb er stehen und schaute auf den Boden, während er tief durchatmete.

„Wie geht es dir?“, fragte er dann leise.

„Du bist sicherlich nicht hierher gekommen, um mich zu fragen, wie es mir geht“, sagte ich leise. Meine Stimme war zittrig und ich hatte Mühe, dass sie nicht brach.

Brad schnaubte. „Nein, natürlich nicht. Jetzt habe ich mir so viele Wörter zurechtgelegt und bekomme vor dir nicht eines davon raus.“

Erwartungsvoll schaute ich ihm in die Augen. Ich konnte noch immer nicht begreifen, dass er in diesem Moment vor mir stand. Noch bei meinem letzten Versöhnungsversuch hatte ich geglaubt, ihn für immer verloren zu haben. Jetzt stand er hier, zwar mit bedrücktem Gesichtsausdruck, aber er war hier.

Ich schluckte schwer.

„Ach egal“, sagte er dann und kurz darauf kam er einen Schritt auf mich zu, schlang seine Arme um mich und zog mich ganz dicht an sich heran. Alles um mich herum schien sich im Kreis zu drehen. Sein Duft, seine Berührung, seine Arme, die sich um mich schlangen. Sein Atem, sein Herzschlag. Alles war so unwirklich. Mein Herz schoss aus meiner Brust und setzte gleichzeitig fast aus. Mein Atem ging rasend und flach zugleich. Meine Tränen flossen. War das wirklich real, was gerade passierte? Ich schloss meine Augen, legte meine Arme vorsichtig um seine Taille und begann leise zu weinen. Tränen quollen aus meinen Augen und landeten auf seiner Schulter. Als ich verstand, dass Brad wirklich da war, krallte ich meine Hände in seinen Rücken und presste meine Stirn auf seine Schulter und weinte lauthals vor Freude und vor Verwirrung. Ich sog seinen Duft ein. Aber so, wie ich ihn vor einigen Monaten gefühlt habe. Nicht als Partner, sondern als besten Freund. In diesem Moment hatte ich meinen Brad wieder. Ich betete jedenfalls, dass es so war. Dass niemand da sein würde, der mich wachrüttelte und ich feststellen musste, dass alles nur ein Traum gewesen war. Niemand, der ihn mir wieder wegnehmen konnte. Sein Griff wurde immer fester, lockerte sich aber wieder, als er begriff, dass er mir mittlerweile wehtat. Erst dann ließ er langsam von mir ab, hielt mich an den Schultern auf Abstand und musterte mich, als wolle er prüfen, ob ich ebenfalls echt war. Meine Schultern bebten unter seiner Berührung und meine Tränen liefen immer weiter. Er legte mir vorsichtig eine Hand auf die Wange und wischte meine Tränen beiseite. Er versuchte zu schmunzeln, war aber eigentlich genauso aufgelöst wie ich.

Ich schüttelte kaum merklich den Kopf, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich nicht verstand, was wir hier taten. „Immer schön weiter atmen“, sagte er leise und setzte jetzt sein schiefes Lächeln auf. „Komm mit mir.“ Er nahm mich beim Arm und zog mich mit auf die Couch, wo er sich dicht neben mich setzte. Brad ließ mich nicht aus den Augen. Allmählich konnten wir wieder etwas ruhiger atmen, aber mein Körper zitterte noch immer. Er reichte mir eine Packung Taschentücher, die auf dem Couchtisch lag und dankbar von mir entgegengenommen wurde.

„Du fragst dich sicherlich, was ich hier mache“, fing er dann leise an und schaute auf meine Hände, die sich verkrampft in meinem Schoß befanden.

Ich nickte heftig.

„Ich habe es nicht mehr ausgehalten, Sall.“ Er suchte meinen Blick, damit ich ihn erwiderte. Seine Augen wirkten müde und erschöpft.

„Aber ich dachte, du wolltest mich nicht mehr sehen …“, stammelte ich vor mich hin und spürte wieder dieses Ziehen in meinem Magen, wenn ich an unseren Streit dachte.

„Ja, ich habe ziemlich viel Unsinn gesagt, weil ich so verdammt wütend auf dich war“, gab er schließlich zu.

Ich schüttelte den Kopf. „Gerade stehe ich ein bisschen neben mir. Du solltest am besten ganz von vorne anfangen.“

„Daph war bei mir.“

„Oh!“

„Sie hat auf mich eingeredet. Wie blöd wir beide wären und wie schlecht es dir geht. Sie hat mir eine ganze Menge an den Kopf geworfen und sich tierisch über dich aufgeregt, aber sich auch gleichzeitig so viel Sorgen gemacht, dass ich kaum wusste, ob sie mehr sauer oder verzweifelt war. Wir haben eine ganze Weile geredet und irgendwie hat sie mir die Augen geöffnet. Ich halte es keinen Tag länger ohne dich aus, Sall. So zu tun, als ob es dieses Sally-Brad-Ding nie gegeben hätte, liegt mir einfach nicht.“

Ich biss mir auf die Unterlippe, damit sie endlich aufhörte zu zittern. „Das ist alles …“, presste ich hervor, schüttelte aber resigniert den Kopf. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

„Ich kann mir vorstellen, dass du verwirrt bist, aber ich vermisse dich. Ich kann nichts dagegen machen. Und durch Daphs Besuch ist mir das noch einmal klargeworden.“

„Aber du hast doch selbst gesagt, dass es bei uns keine Freundschaft mehr geben kann, weil so viel passiert ist.“

„Das weiß ich. Es ist auch echt viel passiert, aber wenn man mal länger drüber nachdenkt, ist es nicht unmöglich, dass man es nicht wieder hinbiegen könnte, oder? Auch wenn ich bis vor kurzem noch anderer Meinung war.“

„Und was ist mit der Sache mit Alex?“

Er zuckte mit den Achseln. „Ja, ich war wirklich sauer auf euch beide. Immerhin waren wir ein Paar und so verarscht von meiner Freundin sowie einem engen Kumpel zu werden, ist echt scheiße. Aber du hattest Recht, unsere Beziehung war bereits am Ende. Am Anfang war ich wirklich verliebt in dich, bis über beide Ohren sogar. Aber mit der Zeit habe ich einfach gemerkt, wie sehr du mir als beste Freundin fehlst. Als wir zusammen waren, war alles so verkrampft. Irgendwie war alles so regelkonform und überhaupt nicht spontan. Ich mag sowas nicht. Ich mag es vor allem nicht, ständig mit dir über jede Kleinigkeit zu streiten und das ging mir auch gehörig auf den Keks. Vielleicht habe ich mich auch deshalb mehr und mehr zurückgezogen. Auch wenn es blöd von mir war. Ich hätte es ansprechen müssen, aber irgendwie habe ich darin keinen Sinn mehr gesehen. Jetzt weiß ich was passiert, wenn man seinen Mund nicht aufmacht.“

Ich senkte den Blick auf meine Finger. „Wir waren ein mieses Pärchen“, murmelte ich und hörte ein leichtes Lachen neben mir. „Das kannst du laut sagen.“ Dann schaute er mich direkt an und ich erwiderte seinen Blick. „Aber als Freunde waren wir ein ziemlich gutes Team, oder?“

Ich nickte zustimmend. „Das mit Alex war nicht richtig. Aber in dem Moment war ich so hin- und hergerissen. Irgendwie hat er mir all das gegeben, was wir beide einmal hatten und so plötzlich vorbei war. Ich habe wirklich angefangen, etwas für ihn zu empfinden, auch wenn das jetzt für dich nicht so toll klingt. Aber so war es nun mal. Ich kann es nicht leugnen. Er ist mir tatsächlich sehr ans Herz gewachsen. Aber ich wusste, dass ich mich entscheiden musste. Wir haben es total verbockt.“

„Findest du das nicht ein bisschen hart?“

„Nein, es entspricht ja der Wahrheit“, fügte ich mit einem Schmunzeln hinzu.

„Wenn du meinst.“

Wir schwiegen einen Moment und ließen das Gesagte eine Weile sacken.

„Wie soll’s jetzt weitergehen?“, fragte ich dann unsicher und hoffte, dass sein Gesichtsausdruck mir Zuversicht vermitteln würde.

„Gute Frage“, antwortete er stattdessen.

„Meinst du, dass es nochmal so werden kann wie früher? Immerhin hast du die Freundschaft infrage gestellt und mich als Lügnerin bezeichnet“, rief ich ihm in Erinnerung.

Er seufzte. „Ich war so sauer auf dich, Sally, und du hast mich mehrfach angelogen. Auch darüber habe ich viel nachgedacht. Du hast mich damals mit Daph angelogen, aber da war ich nicht ganz unschuldig dran, weil ich uns allen etwas vorgemacht habe. Von daher kann ich durchaus nachvollziehen, warum du damals gelogen hast. Die Sache mit Christina und dass du dich als jemand ausgegeben hast, der du gar nicht bist, ist ein anderer Fall, den ich als eine verzweifelte Tat in einer Selbstfindungsphase bewerte, in der du versucht hast mit dem Tod deiner besten Freundin umzugehen. Und ja, auch das ist nachvollziehbar. Was die Beziehung mit Alex anbelangt, so hast du mich angelogen, was ich weder nachvollziehen noch billigen kann. Das hast du echt verbockt“, sagte er in einem scharfen Ton. „Aber ich kann es dir verzeihen.“

Mit großen Augen schaute ich ihn an und spürte, wie ein Riesenbrocken von meinem Herzen fiel.

„Haken wir dieses Kapitel mit unserer Beziehung einfach ab. Wir haben uns wie verknallte Teenager benommen und nicht wirklich was miteinander anfangen können.“

„Es klingt komisch, wenn man jemanden sagt, dass man ihn nicht liebt“, stellte ich stirnrunzelnd fest.

„In unserem Fall rettet uns das den Arsch“, antwortete Brad. Ich war einfach nur froh, wieder ruhiger atmen zu können und dass das Zittern aufhörte.

„Meinst du, wir können einfach da weitermachen, wo wir aufgehört haben?“, hakte ich nach.

„Nein, ich denke nicht, denn damals waren von beiden Seiten aus Gefühle im Spiel. Dieses Mal sollten wir ganz von vorne anfangen.“

„Ich habe deine direkte Art sehr vermisst“, gab ich schwerfällig zu. „Aber du hast vollkommen recht. Wir sollten einen Neustart wagen. Auch wenn das nicht so einfach ist. Immerhin haben wir Dinge gemacht, die Freunde eigentlich nicht miteinander tun“, sagte ich verunsichert.

Brad verzog amüsiert das Gesicht. „Also das wird die einzige Sache sein, die ich nicht unbedingt vergessen will.“

„Du bist ein Idiot“, antwortete ich.

„Weiß ich doch. Du aber auch. Kriegen wir beiden Idioten noch einmal die Kurve?“

„Du meinst mit mir als Nerdy und mit dir als unverschämten Draufgänger?“

Er nickte heftig.

„Nichts lieber als das!“, antwortete ich erleichtert und fiel ihm erneut in die Arme.

Drei

Mir wurde immer noch ganz warm ums Herz, wenn ich an unsere Versöhnung dachte. „Dass dieser blöde Termin auch direkt auf diesen Tag fallen muss. Man hätte diese langweilige Exkursion in das Geschichtsmuseum doch zu einem anderen Zeitpunkt ansetzen können. Wieso ist Brad da überhaupt mitgefahren? Normalerweise interessiert ihn sowas überhaupt nicht.“

„Es ist aber eine Pflichtveranstaltung, wenn er das Fach bestehen möchte“, erklärte mir Daph zum wiederholten Male.

„Ich weiß. Wir holen das nach. Immerhin hat er das versprochen“, murmelte ich, während ich um mein Auto lief und auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Daph war heute mein Chauffeur, sodass ich mich um nichts kümmern musste.

„Na, also. Und jetzt konzentrierst du dich bitte auf dich selbst und auf die Party heute Abend, einverstanden?“

Ich nickte heftig und lächelte dabei. Während der Fahrt schweifte ich noch kurz gedanklich in die vergangenen Monate. Die erste Zeit mit Brad und mir war nicht einfach. Wir gingen vorsichtig miteinander um. Niemand traute sich so recht so zu sein, wie er in Wirklichkeit war, nur um den anderen nicht zu verletzen. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob wir es wirklich packen würden. Manchmal weinte ich, weil es nicht so lief, wie wir uns das bei der Aussprache erhofft hatten. Manchmal stritten wir. Aber glücklicherweise war es nur eine kurze Phase, wenn man bedenkt, wie lang und nervenaufreibend die Zeit davor gewesen war. Wir haben die Kurve gekriegt und Brad dachte immer seltener daran, dass er mich schon nackt gesehen hatte, was er irgendwann zugab. Wir lernten einander wieder zu respektieren und auf eine freundschaftliche Art und Weise zu lieben. Langsam und Schritt für Schritt wurden wir wieder die alten besten Freunde. Und mit jedem Tag, den wir erneut miteinander erlebten, wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn als meinen besten Freund vermisst hatte.

Auch wenn es so aussah, als würde alles den Bach runtergehen, so kam es am Ende doch noch zu einem Happyend. Ich hatte meine beste Freundin nicht vergrault, sondern sie einfach nur zur Weißglut getrieben. Sie kam am Versöhnungsabend nach Hause und hatte Tränen in den Augen, als sie mich und Brad gemeinsam auf der Couch sitzen sah. „Endlich seid ihr zur Vernunft gekommen“, und stürzte sich auf uns, um uns zu umarmen.

Und Daph sollte mal wieder Recht behalten. Es kehrte Ruhe ein und wir führten wieder ein normales Leben ohne Streit, Sorgen und vor allem ohne eine missglückte Beziehung, sondern als beste Freunde, die ich nie wieder von mir stoßen wollte. Nur schade, dass Brad ausgerechnet an meinem Abschlusstag nicht da sein konnte.

***

„Wieso halten wir hier an?“, fragte ich skeptisch, als ich auf das Gebäude blickte, in der sich die Bar von Daphs Bruder Simon befand.

„Ich habe nur mein Portmonee hier vergessen, als ich gestern Simon hier aushalf“, erklärte sie und schnallte sich ab. „Kommst du schnell mit rein?“

Ich schälte mich aus dem Auto und nahm mir vor, in der Bar endlich die Robe abzustreifen. Der Kies knirschte unter unseren Füßen. Der Parkplatz war leer und der Zustand des Gebäudes nicht mehr der allerbeste. Die Fassade blätterte ab und auch die Fenster wirkten nicht mehr sehr stabil. Simons Bar lief dennoch sehr gut und war in der Stadt ziemlich beliebt. Wir fanden nicht sehr oft den Weg hierher, weil sich die Bar leider zu sehr außerhalb befand und wir zum größten Teil zu Fuß unterwegs waren, wenn wir irgendwo etwas trinken gehen wollten.

„Gibt es eigentlich Pläne, den Weg hier vernünftig zu pflastern? Wäre ja schön, wenn die Gäste gefahrlos die Bar erreichen können, oder? Oder die Autos durch die ganzen Schlaglöcher nicht auseinanderfallen?“, redete ich leise vor mich hin.

„Vermutlich nicht in tausend Jahren. Der Zustand ist schon ewig so und Simon schickt regelmäßig Anträge an den Vermieter und auch an die Stadt, aber es tut sich nichts.“

„Hm, das ist ja nicht sehr schön“, sprach ich, als Daph vor mir die Tür öffnete und wir in die Bar eintraten. Plötzlich tönte es ganz laut „Überraschung!“

Buntes Licht erhellte den Raum und ganz viele Menschen sprangen aus dem Nichts hervor. Mir entfloh ein leiser Schrei und mein Herz blieb eine Sekunde lang stehen. Erschrocken legte ich meine Hand aufs Herz und schluckte, ehe ich begriff, was hier vor sich ging. Vor mir stand Daph und strahlte mich an. Perplex schaute ich von ihr zu den anderen, die mich anlachten. Ich schüttelte ganz überwältigt mit dem Kopf und musste meine Tränen zurückhalten. Eine Überraschungsparty ganz allein für mich! Als ich die Leute auf mich zukommen sah, fiel mein Blick auf ein vertrautes Gesicht und schlagartig blieb mir die Spucke weg. Brad kam mit großen Schritten auf mich zu und schloss mich in seine Arme. „Herzlichen Glückwunsch zum Abschluss, Nerdy!“

„Danke!“ Mehr brachte ich kaum hervor, da ich so überwältigt war. Ich machte mich von ihm los und schaute ihn mit großen Augen an. „Was machst du hier? Solltest du nicht auf der Exkursion sein?“

„Denkst du etwa ich verpasse deinen großen Tag wegen so einem öden Ausflug? Diese Exkursion hat mir ein gutes Alibi geliefert.“ Schelmisch grinsend sah er mich an.

Dann schüttelte ich den Kopf. „Ich hätte gleich merken müssen, dass da irgendetwas faul ist. „Also steckst du hinter dem Ganzen hier?“ Mit meinen Armen machte ich eine ausladende Geste.

„Damit alles läuft muss sich ja jemand kümmern, der fähig ist und da ich von der Besten gelernt habe …“ Er kratzte sich am Hinterkopf. Sofort musste ich daran denken, wie ich damals gemeinsam mit Brad die Willkommensfeier für Daph vorbereitet hatte. Genau hier in dieser Bar. Unglaublich, wie lange das schon wieder her war.

„Aber ich muss ehrlich zugeben, ich war nicht ganz alleine daran beteiligt. Ich hatte einen Assistenten.“ Er deutete mit dem Kopf hinter sich und ich entdeckte Adrian, der besitzergreifend den Arm um die Taille meiner besten Freundin gelegt hatte und freundlich lächelte. Noch immer ging mir das Herz auf, wenn ich die beiden als glückliches Pärchen zusammen sah. Es hatte auch lange genug gedauert! Ich ging zu Adrian rüber und legte meine Arme um seinen Hals. „Danke Adrian. Es ist toll geworden. Ehrlich, ich bin komplett überwältigt.“

„Das haben wir gerne für dich gemacht“, antwortete Adrian.

„Wie wäre es, wenn du erst einmal die anderen Gäste begrüßt. Hinterher darfst du uns dann mit Belobigungen überschütten“, sagte Brad mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Ich nickte und wandte mich den anderen Gästen zu, die mir einer nach dem anderen gratulierten. Es waren einfach alle da. So viele Eindrücke konnte ich kaum aufnehmen. Meine Schwester, Thomas und Tara, Mitch. Alle hatten Bescheid gewusst und hinterhältig gelacht, als ich sie fragte, ob sie alle unter einer Decke steckten. Auch ein paar Studenten, mit denen ich gemeinsam Kurse belegt hatte, die aber heute nicht ihre Entlassung feierten, sondern noch ein oder zwei Semester vor sich hatten, waren gekommen, um mir zu gratulieren. Irgendwann hatte ich mich durch alle Gratulanten gekämpft. Selbst aus dem Verlag war Annabelle gekommen, die am Empfang im Verlagshaus Millers One arbeitete. Zum Schluss marschierte ich zu Simon, der freudestrahlend hinter dem Tresen hervorkam und mich in die Arme nahm. „Alles Gute zum Abschuss, Kleines“, sagte er. „Sally ist jetzt also erwachsen.“ Ich lachte. „Na ja, also erwachsen würde ich nicht unbedingt sagen …“

„Na, dann sagen wir mal, dass du reifer geworden bist.“ Er wischte sich seine wilden Haare aus der Stirn und stupste mich in die Seite.

„Ich weiß nicht, ob ich mit dem Wort reifer unbedingt zufriedener bin, aber da du es bist, lasse ich es mal so stehen. Jedenfalls bin ich sehr dankbar für die Überraschung. Die ist euch wirklich gelungen.“

„Keine Ursache. Dafür kennt man ja Leute, die eine Bar betreiben, oder?“

Ich nickte zustimmend. „Klar, solche Menschen muss man sich immer warmhalten.“

„Was darf ich dir zu trinken einschenken? Vielleicht erst einmal einen Sekt? Warte eine Sekunde.“ Er wandte sich ab und kümmerte sich um das Getränk. Während ich wartete, tippte mir jemand auf die Schulter. Als ich mich umdrehte, erkannte ich die bekannten Gesichtszüge und eine zierliche Statur. „Mom!“, kreischte ich vor Freude und schlang meine Arme um sie.

„Alles Gute zum bestandenen Abschluss, mein Schatz“, murmelte sie in mein Ohr und ich hörte, wie ihre Stimme brach. Ich ließ von ihr ab und betrachtete sie gerührt. Mom stand kurz vor einem Tränenausbruch.

„Ich fasse es nicht, dass du hier bist“, stammelte ich.

„Na, ich werde doch wohl nicht die Entlassungsfeier meiner eigenen Tochter verpassen.“ Empört schaute sie mich an. „Du glaubst nicht, wie sehr ich mich freue, dich hier zu sehen.“

„Ich freue mich auch hier zu sein. Ich war sozusagen Teil der Überraschung. Und als du dein Zeugnis abgeholt hast, bin ich fast vor Stolz geplatzt.“

„Du warst auch da? Warum habe ich dich dann nicht gesehen?“

„Irgendwie musste ich ja verhindern, dass du mich siehst. Sonst wäre das hier doch alles aufgeflogen. Deine Freunde und deine Schwester haben sich so viel Mühe gegeben, das konnte ich ihnen einfach nicht vermasseln. Also habe ich mir das alles vom Weiten angesehen und bin gleich nach der Zeugnisvergabe hierher gefahren.“ Noch einmal legte ich meine Arme um sie und schluckte den Kloß runter, der sich in meinem Hals breitmachte. Der Tag war einfach überwältigend.

„Nun geh zu deinen Freunden, stoß mit ihnen an und iss Kuchen, anstatt hier mit deiner alten Mutter zu plaudern.“ Ihre Lippen umspielte ein Lachen.

„Ich plaudere gerne mit meiner alten Mutter“, scherzte ich. „Schön, dass du da bist!“ Noch einmal drückte ich sie fest und versuchte mir anschließend, einen weiteren Überblick zu verschaffen. Maria kam zu mir und deutete auf den großen Tisch, der sich entlang der hinteren Wand erstreckte. „Na? Kriegst du keinen Ton mehr raus?“ Sie kicherte. „Das ist alles für dich.“ Ich starrte auf die vielen verschiedenen Kuchen, die dort aufgetischt worden.

„Jeder hat was mitgebracht. Da vorne gibt es Kaffee und Tee.“ Sie deutete auf eine schön hergerichtete Kaffeestation.

„Unglaublich. Ihr seid echt die Besten“, sprach ich leise und schenkte meiner Schwester ein breites Grinsen. Dann nahm ich die einzelnen Kuchen in Augenschein. Von einer schmackhaft aussehenden Sahnecreme-Torte, über Apfelkuchen, bis hin zum Pekanusskuchen, gab es alles, was das Herz begehrte. Beim Pekanusskuchen blieb mein Blick hängen. Maria verstand sofort meinen Blick. „Den hat Mom mitgebracht. Sie hat darauf bestanden.“

„Ich bin im siebten Himmel“, schwärmte ich. „Wer soll das nur alles essen?“

„Na du und deine Gäste natürlich.“ Plötzlich ertönte hinter mir Daphs laute Stimme. Maria und ich blickten uns überrascht um.

„Darf ich euch um eure Aufmerksamkeit bitten?“, rief Daph und hatte sich dafür auf einen kleinen Hocker gestellt, damit sie jeder sehen konnte. Sie sah umwerfend aus. Eine enge dunkle Jeans und eine weißblaugestreifte Kurzarmbluse mit einem niedlichen Rüschensaum um die Taille herum. Ihr langes blondes Haar ließ sie wellig über die Schultern hängen. Sie schaute zu mir und zwinkerte kurz. „Wenn ich Sally kurz herbitten dürfte?“, fuhr sie fort und ich spürte eine leichte Röte in meinem Gesicht aufsteigen. Maria gab mir einen kleinen Stoß, nachdem sich die Gäste abwartend zu mir umdrehten. Etwas nervös ging ich zu Daph rüber. „Wie ihr ja alle wisst, hat Sally heute einen Abschnitt in ihrem Leben beendet, um jetzt einen neuen zu beginnen. Noch einmal herzlichen Glückwunsch, Sall.“ Die Gäste klatschten in die Hände und ich nickte zum Dank schüchtern in die Menge.

„Wir hoffen, dass wir dich nicht allzu sehr erschreckt haben, aber wir dachten, diese Überraschung würde dich voll aus den Socken hauen.“

Wieder nickte ich zustimmend. „Oh ja, das habt ihr geschafft.“

Aus der Menge ertönte freundliches Gelächter.

„Jedenfalls wollen wir dir alle herzlich gratulieren und dir eine kleine Freude machen, bevor wir heute Abend bis zur Besinnungslosigkeit feiern. Auf diesem Weg möchte ich dir auch unbedingt noch sagen, wie stolz ich auf dich bin, Sall.“ Daph bekam feuchte Augen und schluchzte leise. „Du hast das alles so toll gemeistert und die Uni mit einem super Zeugnis abgeschlossen. Auf dich wartet jetzt die Arbeit im Verlag, auf die du so hart hingearbeitet hast. Ich hoffe, dass ich diesen nächsten Abschnitt auch noch mit dir gemeinsam erleben darf und bin überglücklich, dich als Freundin an meiner Seite zu haben.“ Schniefend wischte sich Daph eine Träne beiseite. „Ach verdammt, jetzt schweife ich auch noch ab.“ Die Zuhörer lachten wieder. Ich atmete tief ein und wieder aus, um mich ebenfalls unter Kontrolle zu halten, und nicht vor allen Menschen hier zu heulen.

„Na ja, jedenfalls, wünschen wir dir alle nur das Beste und vor allem viel Erfolg auf deinem weiteren Lebensweg, liebe Sall.“ Applaus ertönte und ich schaute in zustimmende Gesichter. Wie hatte ich all diese Menschen um mich herum nur verdient? Auch Brad stand ganz vorne in der Menge und bedachte mich mit stolzen Blicken.

„Für alle Gäste: Simon hat am Tresen genügend Sekt für alle vorbereitet, damit wir anstoßen können und danach bitte ich alle, sich über das Kuchenbüffet herzumachen, damit nichts übrig bleibt. Auch hier noch einmal unseren herzlichen Dank an alle, die dazu beigetragen haben, dass wir gemeinsam diesen schönen Nachmittag miteinander verbringen können und so viele Leckereien verputzen dürfen. Auch danke an dich, Simon!“ Daph nickte ihrem Bruder entgegen, der gerade mit einem Tablet voller Sektgläser durch die Reihen ging, um jeden ein Glas zu geben. Maria drückte mir eins in die Hand, dann hielt Daph ihres hoch und rief laut: „Auf Sally und diesen wundervollen Tag!“

„Auf Sally“, ertönte es und mein Gesicht begann zu glühen, als alle auf mich tranken. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so etwas Tolles erlebt zu haben. Ich nippte an meinem Glas und wandte mich an meine Freundin, die von ihrem Hocker gehüpft war. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich bin.“

„Das brauchst du auch nicht, genieß es einfach.“

„Das mache ich auf jeden Fall. Wenn ich daran denke, dass ich mich gestern noch in die Küche gestellt habe und die ganzen Snacks vorbereitet habe …“, erinnerte ich mich.

„Nicht so wild. Die sind hier. Ich bin dir sehr dankbar, damit hast du uns selber einiges an Arbeit abgenommen.“ Daph lachte heimtückisch. „Mehr oder weniger hast du bei deiner eigenen Überraschungsparty mitgeholfen.“

„Hört sich ganz schön schräg an“, stimmte ich ihr zu und hielt ihr mein Glas entgegen, um auch noch einmal mit ihr anzustoßen.

„Danke. Wirklich Daph. Was ihr hier gemacht habt, ist einfach unglaublich.“

„Na, dann lass uns trinken und endlich anfangen zu feiern.“ Sie kicherte und trank einen Schluck aus ihrem Glas.

„Sehr gerne. Aber erst muss ich diese verdammten Klamotten ausziehen. Ich sterbe hier drinnen!“

Vier

Der große Festsaal der Uni war geschmückt mit bunten Lichtern sowie Girlanden aus verschiedenen Blüten und Gräsern, die die Wände verzierten. In der Halle waren mehrere kleine Miniinseln mit ein paar Liegestühlen und künstlichen Palmen aufgebaut. Auf der Bühne hatte sich ein DJ mit seinem Equipment breitgemacht und wippte mit seinem Kopf im Gleichtakt zum Bass, der angenehm in den Ohren vibrierte. An der Seite befand sich ein meterlanger Tisch, auf dem sämtliche Getränke und Knabbereien gedeckt waren: Bowle mit süßen Früchten, Bier und Sekt konnten sich die Studenten hier nehmen. Auf härteren Alkohol wurde bewusst verzichtet. Ich hätte schwören können, dass mindestens jeder zweite Abgänger und auch ein paar der Besucher, die erst ab 21 Jahren Zutritt zu dieser Party hatten, einen Flachmann in der Tasche versteckte.

Leider konnte Maria nicht dabei sein, da sie noch keine 21 Jahre alt war.

„Heute betrinke ich mich mal wieder so richtig“, gab Tara von sich, während sie sich einen Becher mit Bowle befüllte. Wir hatten uns abseits der Tanzfläche, auf der schon fleißig getanzt wurde, platziert und beobachteten die anderen Menschen um uns herum.

„Tust du das nicht ohnehin schon jedes Wochenende?“, fragte Daph skeptisch nach und schob sich eine Strähne hinter die Ohren. Tara schürzte die Lippen und es sah so aus, als ob sie tatsächlich über die Bemerkung nachdachte. Schließlich nickte sie. „Was soll ich sagen? Mein Leben ist eben eine große Party.“

Der Abend war genauso, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich feierte meinen Abschluss mit meinen engsten Freunden, es herrschte eine Wahnsinnsstimmung und fast jeder hatte gute Laune.

Lange hatten wir Mädels heute Abend noch vor dem Spiegel gestanden und uns aufwendig zurechtgemacht. Ich hatte meine Haare mit dem Lockenstab bearbeitet und ließ sie offen über meine Schultern fallen. Tara hatte ihre lange, schwarze Mähne zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden und ein zierliches Stirnband mit hineingearbeitet, was zu ihrem knappen, schwarzen Kleid wunderbar passte. Daph hatte sich mal wieder für grün entschieden. Seit unserem Urlaub im vergangenen Jahr hatte sie ein Faible für die Farbe Grün entwickelt. Es stand ihr unglaublich gut. Ihr Kleid war ziemlich eng geschnitten und am Hals mit kleinen Perlen verziert. Es reichte ihr gerade mal bis zu den Oberschenkeln, aber sie fühlte sich sichtlich wohl darin. Mein Kleid reichte mir bis zu den Knien und fiel wesentlich lockerer. Es war zur Abwechslung mal nicht grau oder schwarz, sondern rosafarben und wurde an der Taille von einem schwarzen Satinband umfasst, und hinten zu einer schönen Schleife gebunden. Der perfekte Gegenentwurf zu der Robe, in der ich heute Mittag noch gesteckt hatte.

„Los Mädels, lasst uns tanzen“, schlug Daph uns vor uns und war schon auf dem Weg auf die Tanzfläche. Die Jungs folgten ihr mit großen Augen. Daph hatte einfach diese Ausstrahlung, dass man seine Blicke kaum von ihr nehmen konnte. Ich lachte, als sie mir einen verführerischen Blick rüber warf und so tat, als wäre sie eine dieser Superstars auf irgendeiner Hollywoodparty und folgte ihr auf die Tanzfläche.

***

Ich hatte das Gefühl, als hätten wir stundenlang getanzt und so viel Spaß, wie schon lange nicht mehr. Ich tanzte mit Brad, alberte mit ihm herum und naschte mit ihm die Früchte aus der Bowle, bis mir irgendwann ganz schummerig wurde. Die Party wurde lauter und wilder. Irgendwann spazierte ich leicht wankend zu Brad, der sich mit den Jungs auf die andere Seite der Tanzfläche gestellt hatte.

„Hey!“, brüllte ich etwas zu laut gegen die Musik an.

„Sall, ich bin nicht taub.“ Lachend schüttelte er den Kopf sehr wahrscheinlich wegen meines betrunkenen Zustandes.

„Ich wollte dir einfach nur noch mal danke sagen“, sagte ich zu ihm.

„Danke? Wofür?“

„Na für den Tag. Du und die anderen habt das so toll gemacht. Ich könnte vor Freude immer noch heulen.“

Brad schaute sich kurz um. „Davon würde ich zwischen all den Leuten abraten. Sonst denken die womöglich noch, dass ich was damit zu tun hätte.“

„Aber hast du ja auch. Im Ernst, das war wirklich schön.“ Ich blinzelte einige Male, damit die Tränen, die sich in meinen Augen bildeten, wieder verschwanden.

„Kein Ding, Sall. Wirklich nicht. Das habe ich gerne gemacht und es war schön zu sehen, wie du dich freust. Du hast das verdient, nachdem du dir so den Hintern für das Studium aufgerissen hast.“ Brad lächelte und legte mir eine Hand auf die Schulter.

Ich schlang etwas zu hastig die Arme um seinen Hals und drückte ihn fest. Er erwiderte die Umarmung. Es fühlte sich vertraut und innig an. Als ich wieder von ihm abließ, schaute ich ihn fragend an. „Alles gut?“

Er nickte. „Bei mir ist alles gut!“

Nachdem Brad und ich uns damals wieder versöhnt hatten, war es anfangs nicht so leicht gewesen. Irgendwann hatte sich diese Gewohnheit zwischen uns eingeschlichen, dass wir den anderen immer wieder fragten, ob alles gut sei.

Ich lächelte ihm noch einmal dankbar zu und streichelte ihm kurz über die Wange. Diese zärtlichen Gesten waren ebenfalls eine der Dinge, die sich in unsere Freundschaft eingeschlichen hatten und uns unheimlich guttaten.

„So genug der Schmeicheleien. Das ist dein Tag und deshalb solltest du feiern, bis dir Hören und Sehen vergehen.“ Brad legte einen Arm um meine Schultern und führte mich über die Tanzfläche zur Bowle.

Fünf

Es fühlte sich an, als würden meine Augen fest zusammenkleben. Nur mit Mühe konnte ich sie einen kleinen Spalt öffnen und sah auf meinen Kleiderschrank. Ich versuchte mich zu bewegen, fühlte mich aber kaum imstande dazu. Angestrengt hob ich den Kopf und stöhnte beim Öffnen meiner Augen. Immer noch leicht berieselt nahm ich den Klamottenhaufen auf dem Fußboden war und erkannte meinen Nachttisch, auf dem sich mein Smartphone und meine Nachttischlampe befanden, die jedoch umgekippt war. Erschöpft ließ ich meinen Kopf wieder auf das Kissen sinken. Immerhin lag ich in meinem eigenen Zimmer, was ein gutes Zeichen war. Plötzlich hörte ich neben mir ein leises Schnaufen. Mühevoll drehte ich meinen Kopf auf die andere Seite meines Bettes. Mit einem lauten Schrei fuhr ich hoch und meinen Körper schien es zu zerreißen. Neben mir lag ein halbnackter Brad.

„Brad!“, rief ich und schaute gleichzeitig an mir hinunter. Ich trug ein langes T-Shirt und darunter nichts weiter als meine Katzenshorts, die Brad so lächerlich fand.

„Sall, was ist denn?“, grummelte Brad und legte seinen Kopf auf die andere Seite, ohne mich weiter zu beachten. Eilig zog ich die Bettdecke unter ihm hervor und bedeckte mich damit. Scheinbar hatten wir beide es nicht mehr geschafft, uns zuzudecken und einfach auf der Bettdecke geschlafen.

„Boah, Sall! Geht’s noch? Mach doch nicht so ein Krach“, murrte er mich weiter an.

„Brad, nun komm doch mal zu dir“, fluchte ich und spürte wie mein Kopf zu explodieren drohte. Um mich etwas besser zu fühlen, ließ ich mich auf meine Unterarme sinken. So konnte ich es eindeutig besser aushalten. Brad stöhnte neben mir weiterhin genervt und schaffte es schließlich, mich durch einen kleinen Augenschlitz anzusehen. „Was ist denn?“

„Was zum Teufel machst du hier?“

„Ich schlafe.“

„Ja, aber warum in meinem Bett?“ Ungläubig betrachtete ich ihn.

„Wo denn sonst?“ Seine mürrische Art brachte mich fast zur Weißglut.

„Was ist mit dem Wohnzimmer oder deinem eigenen Zuhause?“ Meine Stimme wurde immer schriller. Mein Herz pochte wie wild. Was hatten wir getan?

„Ich hatte keine Lust mehr nach Hause zu gehen und als ich dich nach Hause gebracht habe, habe ich mich entschieden, hier zu schlafen. Nun mach kein Drama draus.“ Genervt drehte er sich auf den Rücken. „Haben wir etwa …?“, fragte ich stotternd.

„Bitte was?“ Brad schlug die Hände vor sein Gesicht und schnaubte laut aus. „Wie sollte das denn bitte funktionieren? In deinem Zustand?“

Obwohl ich hörbar ausatmete, empfand ich seine Reaktion doch ein wenig zu plump. „Was soll denn das bitte heißen?“