Liebesgeheimnisse in Schloss Lichtenau - Silva Werneburg - E-Book

Liebesgeheimnisse in Schloss Lichtenau E-Book

Silva Werneburg

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Fürstenkrone Classic In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. Die untergehende Abendsonne tauchte das ehrwürdige alte Schloss in ein zauberhaftes Licht. Die schneeweiße Fassade schien jetzt in einem zarten Rosaton zu leuchten, und die mit Kupfer belegten Türme der beiden Seitenflügel erstrahlten in beinahe mystisch anmutendem Glanz. Herward Graf von Lichtenau saß auf einer der weitläufigen Terrassen, die sich auf der Rückseite des Schlosses befanden, und ließ seinen Blick über den Park gleiten. Was er dort sah, gefiel ihm. Überall hatten die Gärtner kunstvolle Blumenbeete angelegt, die zu dieser Jahreszeit bereits üppig blühten. In den Bäumen sangen die Vögel ihr Abendlied, und auf dem See im hinteren Teil des Parks zogen zwei weiße Schwäne ihre Runden. Eigentlich hätte der Graf ein glückliches Leben führen können. Er residierte in einem prachtvollen Schloss, das sich schon seit vielen Generationen im Familienbesitz befand, und kannte keine finan­ziellen Sorgen. Die Verpachtung großer Ländereien und die Vermietung zahlreicher exklusiver Immobilien sicherten ihm ein Leben in Luxus. Trotzdem lag seit fast zwei Jahren ein Schatten auf Schloss Lichtenau, ein düsterer Mantel von Trauer. Nein, so richtig glücklich war der achtundfünfzig Jahre alte Graf nicht. Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als plötzlich der Butler Arnold auf die Terrasse kam und ihn ansprach. Der erfahrene Angestellte, der sich schon seit beinahe dreißig Jahren im Dienst der Familie befand, hatte sich diskret und nahezu lautlos genähert. »Herr Graf, die Mamsell Annerose lässt fragen, ob Sie heute Abend besondere Wünsche für das Dessert haben. Wenn das nicht der Fall ist, würde sie Fruchtgelee servieren.« »Fruchtgelee?« Herward dachte kurz nach. »Ja, richten Sie der Mamsell bitte aus, dass ich damit einverstanden bin.« »Das werde ich umgehend erledigen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

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Fürstenkrone Classic – 100 –

Liebesgeheimnisse in Schloss Lichtenau

Eine Grafenfamilie findet das Lachen wieder ...

Silva Werneburg

Die untergehende Abendsonne tauchte das ehrwürdige alte Schloss in ein zauberhaftes Licht. Die schneeweiße Fassade schien jetzt in einem zarten Rosaton zu leuchten, und die mit Kupfer belegten Türme der beiden Seitenflügel erstrahlten in beinahe mystisch anmutendem Glanz.

Herward Graf von Lichtenau saß auf einer der weitläufigen Terrassen, die sich auf der Rückseite des Schlosses befanden, und ließ seinen Blick über den Park gleiten. Was er dort sah, gefiel ihm. Überall hatten die Gärtner kunstvolle Blumenbeete angelegt, die zu dieser Jahreszeit bereits üppig blühten. In den Bäumen sangen die Vögel ihr Abendlied, und auf dem See im hinteren Teil des Parks zogen zwei weiße Schwäne ihre Runden. Eigentlich hätte der Graf ein glückliches Leben führen können. Er residierte in einem prachtvollen Schloss, das sich schon seit vielen Generationen im Familienbesitz befand, und kannte keine finan­ziellen Sorgen. Die Verpachtung großer Ländereien und die Vermietung zahlreicher exklusiver Immobilien sicherten ihm ein Leben in Luxus. Trotzdem lag seit fast zwei Jahren ein Schatten auf Schloss Lichtenau, ein düsterer Mantel von Trauer. Nein, so richtig glücklich war der achtundfünfzig Jahre alte Graf nicht.

Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als plötzlich der Butler Arnold auf die Terrasse kam und ihn ansprach. Der erfahrene Angestellte, der sich schon seit beinahe dreißig Jahren im Dienst der Familie befand, hatte sich diskret und nahezu lautlos genähert.

»Herr Graf, die Mamsell Annerose lässt fragen, ob Sie heute Abend besondere Wünsche für das Dessert haben. Wenn das nicht der Fall ist, würde sie Fruchtgelee servieren.«

»Fruchtgelee?« Herward dachte kurz nach. »Ja, richten Sie der Mamsell bitte aus, dass ich damit einverstanden bin.«

»Das werde ich umgehend erledigen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Nein Arnold, vielen Dank. Im Augenblick benötige ich nichts.«

So geräuschlos wie der Butler gekommen war, verschwand er auch wieder. Herward erhob sich schließlich von seinem bequemen Sitzplatz und wanderte in das Innere des Schlosses. Sein Weg führte ihn in die Halle, die an einen der beiden Seitenflügel grenzte. In dieser Halle befand sich die Ahnengalerie. Neben den Gemälden seiner Vorfahren, die er zum größten Teil gar nicht mehr persönlich kennengelernt hatte, hingen auch die Bilder seiner Großeltern und Eltern sowie das Portrait seiner verstorbenen Frau Helena.

»Es ist eine Ungerechtigkeit«, murmelte der Graf und blickte direkt in Helenas Gesicht. »Alle meine Vorfahren sind sehr alt geworden. Keiner hat diese Welt vor seinem achtzigsten Geburtstag verlassen müssen. Meine Großmutter ist sogar fünfundneunzig Jahre alt geworden. Wieso musstest du so früh gehen und mich allein zurücklassen? Das ist kein fairer Zug des Schicksals gewesen. Du wolltest doch deinen Enkel Marius noch aufwachsen sehen. Aber das wollte sein Vater auch, und auch ihm ist dieses Glück nicht vergönnt gewesen … Ich frage mich immer wieder, warum dieses schreckliche Unglück geschehen ist, aber ich finde auf diese Frage keine Antwort.«

»Worauf findest du keine Antwort?«, erklang die Stimme einer jungen Frau, die die Halle gerade betreten und Herwards letzte Worte gehört hatte. »Vielleicht kann ich dir helfen und deine Frage beantworten. Du hast mir früher oft gesagt, dass ich ein kluges Kind bin.«

»Das bist du auch, Lisette.« Der Graf bedachte seine Tochter mit einem stolzen Lächeln. »Ich habe nie an deiner Klugheit gezweifelt. Aber warum dein Mann und meine Frau sterben mussten, wirst du mir wohl kaum sagen können.«

»Nein, das kann ich wirklich nicht«, gestand die einunddreißig­jährige attraktive Frau und warf nun auch einen Blick auf das Bild ihrer Mutter. »Roland und Mutter wollten damals nur rasch ein Geburtstagsgeschenk abholen, das sie für dich bestellt hatten. Es sollte eine so schöne Überraschung werden, und dann wurde es die böses­te Überraschung, die Schloss Lichtenau jemals erlebt hat. Wer hätte auch ahnen können, dass ihnen unterwegs ein Lastwagen die Vorfahrt nimmt und ihr Leben einfach auslöscht? Auf die Frage, warum das geschehen ist, werden wir beide niemals eine Antwort finden. Wir können nur versuchen, die Tatsachen zu akzeptieren und mit ihnen zu leben. Vielleicht hatten wir damals ja sogar noch ein bisschen Glück im Unglück.«

Der Graf nickte. »Ich weiß, du denkst an Marius. Der kleine Junge wollte sie begleiten. Sie haben es ihm nicht erlaubt, weil sie befürchteten, Marius könnte das Geburtstagsgeschenk sehen und die Überraschung in seiner kindlichen Art vorzeitig ausplaudern. Mit diesen Bedenken haben Roland und Helena deinem Sohn und meinem Enkel das Leben gerettet. Wenn er mit in dem Auto gesessen hätte …«

Herward sprach den Satz nicht zu Ende. Lisette legte die Hände auf die Schultern ihres Vaters und schaute ihn ernst an.

»Dermaßen schreckliche Bilder darf man sich einfach nicht vor Augen führen, Vater. Marius war nicht in diesem Wagen, und das allein zählt. Wir durften ihn behalten, so wie wir vieles behalten durften. Da sind unsere beiden Neufundländer Romulus und Remus, unsere Pferde, die Jagdhundmeute, unsere treuen Angestellten, auf die wir uns immer verlassen können, und nicht zuletzt dieses wunderschöne Schloss, aus dem uns niemand vertreiben kann.«

»Das stimmt, und eigentlich sollten wir zufrieden sein«, bestätigte der Graf. »Aber trotz allem haben wir zwei der wichtigsten Menschen in unserem Leben verloren. An diesen Gedanken habe ich mich noch immer nicht ganz gewöhnt.«

»Ich auch nicht«, gestand Lisette. »Aber das Leben geht für uns weiter und hat doch auch sehr schöne Seiten. Morgen ist Freitag. Unser Chauffeur Christian wird Marius im Internat abholen und zu uns bringen. Gemeinsam werden wir wieder ein schönes Wochenende verbringen. Das ist doch auch ein Lichtblick, oder?«

Herwards Gesicht hellte sich auf, als er an seinen neun Jahre alten Enkel dachte. Der Junge besuchte ein sehr gutes Internat, das etwa zwei Fahrstunden von Schloss Lichtenau entfernt lag. Christian Wieland, der seit fünf Jahren als Chauffeur im Dienst der Familie stand, holte Marius an jedem Wochenende ab und brachte ihn zu seiner Familie. Der Graf liebte sein Enkelkind über alle Maßen.

»Marius um mich haben zu dürfen, ist weit mehr als nur ein Lichtblick. Ich genieße jede Stunde, die ich mit ihm verbringen kann, und ich freue mich schon sehr auf das Wochenende. Am Samstag werde ich allerdings ein paar Stunden auf meinen kleinen Jungen verzichten müssen. Du weißt ja, dass wir heute eine neue Stute bekommen haben, die ich in ein paar Monaten gerne bei der Herbstjagd reiten möchte. Zwei Tage soll Farina sich in Ruhe an ihre neue Umgebung gewöhnen können. Samstag möchte ich sie jedoch gern reiten und mit ihr ins Gelände gehen. Sie soll sehr talentiert, aber nicht einfach sein. Ich muss mich also voll auf sie konzentrieren und kann Marius nicht mit zu diesem Ausritt nehmen.«

»Das wird ihn nicht stören«, meinte Lisette. »Wir beide unternehmen in dieser Zeit eine kleine Wanderung mit Romulus umd Remus. Solche Streifzüge machen Marius immer großen Spaß.«

Es hatte fast den Anschein, als hätten die beiden pechschwarzen Neufundländer gehört, dass gerade von ihnen gesprochen wurde. Schwanzwedelnd kamen sie in die Halle getrabt und begrüßten den Grafen und seine Tochter. Herward fuhr mit seinen Händen durch das dichte weiche Fell der Hunde und fühlte sich in diesem Augenblick längst nicht mehr so niedergeschlagen wie noch vor einigen Minuten.

*

Marius war daran gewöhnt, dass er regelmäßig vom Chauffeur abgeholt und zum Schloss gebracht wurde. Er verstand sich ausgezeichnet mit Christian Wieland und liebte die Gespräche, die während der Fahrt geführt wurden.

»Vor ein paar Tagen ist ein neuer Junge ins Internat gekommen«, berichtete der Neunjährige. »Simon von Kaldenbach-Greinau heißt er. Eigentlich ist er ganz nett. Aber ich habe mich über seinen Namen gewundert. Er hat nämlich den Nachnamen von seinem Vater und von seiner Mutter. Wieso ist das bei uns nicht so? Mein Vater hieß Roland von Bernheide. Meine Mutter hat den Namen von Lichtenau-Bernheide. Warum heiße ich dann nur von Lichtenau und nicht von Lichtenau-Bernheide?«

»Das haben deine Eltern so entschieden und für dich den Familiennamen von Lichtenau gewählt«, gab Christian Auskunft. »Das ist gesetzlich zulässig. Vielleicht erschien deinen Eltern der Doppelname für dich auch einfach zu lang. Möglicherweise haben sie auch daran gedacht, dass es später einmal Probleme geben könnte, wenn du erwachsen bist und heiratest. Stelle dir doch mal vor, du heiratest eine Frau, die mit Nachnamen von Waldeshausen heißt. Dann habt ihr vielleicht irgendwann einen Sohn, den ihr …, nun ja, den ihr Konstantin nennt. Der vollständige Name dieses bedauernswerten Jungen wäre dann Konstantin von Lichtenau-Bernheide-Waldeshausen.«

Marius kicherte vergnügt. »So ein langer Name passt auf kein Schulheft. Und wenn dieser Konstantin dann später heiratet, kommt noch der Name seiner Frau dazu. So geht das dann immer weiter, und in hundert Jahren haben die Ururenkel so lange Namen, dass sie sie selbst nicht mehr alle behalten können. Bis die sich dann am Telefon mit ihrem Namen gemeldet haben, sind die ersten fünf Minuten schon vorbei.«

Christian lächelte amüsiert. »Siehst du, deine Eltern haben also sehr sinnvoll gehandelt. Dein neuer Mitschüler wird später sicher auch eine Lösung finden, damit die Namen seiner Kinder nicht ins Uferlose ausarten.«

»Ganz bestimmt wird Simon das tun«, erwiderte Marius und richtete seinen Blick nach vorn. Der Wagen hatte gerade die mit Pappeln gesäumte Privatallee erreicht, die zum Schloss führte, das am Ende der Allee auf einer sanften Anhöhe lag. Von dieser Stelle aus konnte man bereits die große kreisförmige Auffahrt sehen, in deren Mitte ein imposanter, mit Bronzefiguren verzierter Springbrunnen stand. Durch das noch nicht sehr dichte Laub der Pappeln blickte Marius auf die Stallungen, die zur rechten Seite des Schlosses lagen. Auf der linken Seite befand sich der sogenannte Hundewald, ein riesiges eingezäuntes Gelände mit zahlreichen Bäumen. Hier tummelten sich die etwa vierzig Beagles der Jagdmeute, für die an der Stirnseite des Hundewaldes beheizbare Schutzhütten zur Verfügung standen. Marius liebte diesen Anblick, der ihm stets das Gefühl gab, nach Hause zu kommen. Zwar fühlte er sich im Internat ausgesprochen wohl, genoss aber die Wochenenden, die er mit seiner Mutter und seinem Großvater verbringen durfte.

Die junge Gräfin und ihr Vater standen bereits erwartungsvoll auf der Freitreppe vor dem Hauptportal, als Christian den Wagen vorfuhr. Es dauerte auch nur Sekunden, bis der Junge aus dem Auto sprang, die Treppe hinaufeilte und seiner Mutter und seinem Großvater um den Hals fiel.

»Endlich ist wieder Wochenende«, bemerkte er fröhlich und wehrte lachend die feuchten Schnauzen der beiden Neufundländer ab, die den Jungen auf ihre typische Weise begrüßten.

»Was machen wir denn an diesem Wochenende?«, wollte Marius wissen. »Du hast doch gesagt, dass du in dieser Woche ein neues Pferd bekommst, Großvater. Ist es schon angekommen? Darf ich es reiten? Das würde mir großen Spaß machen.«

»Daraus wird leider nichts«, erklärte die junge Gräfin rasch. »Du reitest zwar schon recht gut, aber dieses Pferd ist für dich noch zu schwierig. Dein Großvater wird Farina morgen erst einmal selbst reiten. Wir können inzwischen eine Wanderung mit den Hunden unternehmen und unterwegs vielleicht ein Picknick veranstalten.«

»Ja, das ist eine gute Idee. Wandern wir zum alten Steinbruch? Da ist es immer so schön.«

Lisette nickte zustimmend, und Marius war zufrieden. Nun schaute er seinen Großvater fragend an.

»Farina heißt das neue Pferd also. Schade, dass ich es nicht reiten darf. Aber ansehen darf ich es mir doch, oder? Was für ein Pferd ist es denn, ein Rappe, ein Brauner oder ein Schimmel?«

»Farina ist ein Apfelschimmel, sieben Jahre alt und wunderschön«, gab der Graf Auskunft. »Selbstverständlich kannst du sie dir ansehen. Komm mit, wir gehen zusammen in den Stall. Oder bist du hungrig und möchtest vorher lieber etwas essen?«

Der Neunjährige schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe keinen Hunger. Christian hatte belegte Brote dabei. Davon habe ich eins gegessen. Jetzt möchte ich nur noch Farina sehen.«

»Du isst unserem Chauffeur die Wegzehrung weg?«, fragte der Graf amüsiert. »Das gehört sich aber nicht für einen angehenden Grafen aus gutem Haus. Aber nun ist es eben passiert. Ich denke, unsere liebe Annerose wird schon dafür sorgen, dass Christian nicht verhungern muss. Dann komm, wir wollen die neue Stute besichtigen.«

Marius reichte seinem Großvater und seiner Mutter jeweils eine Hand und wanderte mit ihnen über den gepflasterten Weg, der direkt zu den Stallungen führte. Früher war er diesen Weg oft mit seinem Vater gegangen. Der Gedanke daran tat dem Jungen weh, auch wenn er sich an das Gesicht seines Vaters eigentlich schon gar nicht mehr so richtig erinnern konnte. Er wollte sich jetzt auch nicht weiter mit solch trüben Gedanken beschäftigen, sondern sich lieber auf das Pferd freuen, von dem sein Großvater gesagt hatte, dass es wunderschön sei.

*

Das Wetter meinte es gut mit Lisette und ihrem Sohn, als die beiden mit den Hunden zum alten Steinbruch wanderten. Die Frühlingssonne spendete schon spürbare Wärme, und die Wanderer freuten sich auf das Picknick.

»Übernächste Woche hat Großvater Geburtstag«, bemerkte Marius unterwegs. »Es ist schade, dass das in diesem Jahr ein Mittwoch ist. Ich bin ja nur an den Wochenenden zu Hause. Im letzten Jahr habe ich die Geburtstagsfeier schon verpasst, und das wird diesmal nicht anders sein.«

»Doch, diesmal ist es anders«, widersprach Lisette. »Ich bin an Großvaters Geburtstag nämlich auch nicht da. Weißt du, ich muss für ein paar Tage nach München reisen. Da gibt es ein Museum. Das heißt, dieses Museum wird eigentlich erst im Herbst eröffnet. Aber ich muss schon jetzt für einige Stücke Expertisen erstellen. Damit werde ich zwei bis drei Tage beschäftigt sein. Weil ich nicht da bin, feiert Großvater seinen Geburtstag erst am Wochenende.«

»Das ist schön! Dann kann ich mit euch feuern!«, meinte Marius erfreut. »Werden viele Gäste kommen?«

»Sehr viele sogar. Ich denke, dass es ungefähr einhundert Leute sind. Es wird ein ziemlich großes Fest. In den letzten beiden Jahren ist die Feier ja bescheidener ausgefallen.«

»Ich weiß. Das war wegen Vati und Großmutter. Da hatte lange Zeit niemand so richtige Lust auf ein großes Fest. Das kann ich gut verstehen.«

Die Gräfin und ihr Sohn hatten die Wiese erreicht, die oberhalb des alten Steinbruchs lag. Von dieser Stelle aus hatte man einen herrlichen Blick über die umliegenden Täler. Einen Moment lang genoss Lisette den Anblick, der auch auf einem kunstvollen Gemälde nicht schöner hätte dargestellt werden können. Sie hatte schon immer einen besonderen Blick für solche Schönheiten gehabt. Vielleicht hatte sie auch deshalb Kunstgeschichte studiert. Heute war sie eine gefragte Expertin und arbeitete freiberuflich für die unterschiedlichsten Ausstellungshäuser, die ihren Rat benötigten.