Life Changer - Zukunft made in Germany - Christoph Keese - E-Book

Life Changer - Zukunft made in Germany E-Book

Christoph Keese

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Beschreibung

Zukunft made in Germany: Der Bestseller-Autor Christoph Keese (»Silicon Valley«) zeigt, wie schon heute die Welt von morgen entsteht

• Die drängendsten Herausforderungen und wie wir ihnen begegnen

• Eine packende Reportage über Erfinder, Innovatoren, Start-ups

• Wie in Deutschland unter Hochdruck an der Zukunft gearbeitet wird

»Keiner schreibt besser über die Welt von morgen als Christoph Keese

Rolf Dobelli

»Christoph Keese kennt sein Thema nicht nur, sondern er lebt es. Er ist Teil der Transformation, die die Welt erfasst hat.«

Gabor Steingart

Die größten Probleme der Menschheit

Energie, Kommunikation, Mobilität, Gesundheit, Ernährung, Bildung, Gesellschaft und Staat: Heute sehen wir uns mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert, die entscheiden werden, wie wir in Zukunft leben.

Die Erfindungen, die sie lösen werden

Unerschöpfliche Energiequellen, die uns endlich unabhängig von Erdöl und Gas machen. Autos, die sich von allein über die Straßen steuern. Fleisch und Milchprodukte, für die kein Tier mehr leiden muss. Krankheiten, die von allein Alarm schlagen und sich selbst ausrotten – zu schön, um wahr zu sein? Im Gegenteil: Zum ersten Mal könnten diese Dinge Wirklichkeit werden. Denn schon heute wird in Deutschland unter Hochdruck an Innovationen gearbeitet, die unser Leben von Grund auf verändern werden.

Die Menschen, die dafür alles geben

Elon Musk, Daniel Wiegand, Laurin Hahn und Jonas Christians, Ugur Sahin und Özlem Türeci: Life Changer, das sind nicht nur geniale Erfindungen, sondern auch die Menschen, die hinter ihnen stehen. Die mit wirtschaftlichem Gespür und visionärem Erfindergeist die Grenzen des Möglichen verschieben. Christoph Keese ist mit ihnen auf die Jagd nach Neuem gegangen und hat in ihre Werkstätten und Labors geschaut.

Das packende Porträt einer Zeit atemberaubender Innovationen, eine Reportage prallvoll mit Fakten, überraschenden Zahlen, verblüffenden Einsichten und faszinierenden Charakteren.

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Wie ein Boom an Innovationen die größten Probleme der Menschheit lösen und unser Leben verändern wird

Autos, die kein Benzin mehr verbrennen, an keine Steckdose mehr müssen und sich von allein über die Straßen steuern. Fleisch und Milchprodukte, für die kein Tier mehr leiden muss. Krankheiten, die von allein Alarm schlagen und sich selbst ausrotten – zu schön, um wahr zu sein? Im Gegenteil: Zum ersten Mal könnten diese Dinge Wirklichkeit werden. Denn eine Epoche technischer Durchbrüche hat begonnen. Christoph Keese ist einer der führenden Beobachter von Innovation und Fortschritt. Er ist mit deutschen Erfindern, Gründerinnen und Investoren auf die Jagd nach Neuem gegangen, hat in ihre Werkstätten und Labors geschaut. Entstanden ist das farbenfrohe Porträt einer Zeit voller Umbrüche, eine Reportage prallvoll mit Fakten, überraschenden Zahlen, verblüffenden Einsichten und faszinierenden Charakteren.

Christoph Keese ist Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung hy und begleitet namhafte Unternehmen und Regierungsinstitutionen bei Fragen der digitalen Transformation und technologischen Innovation. Der Publizist, Wirtschaftswissenschaftler, Verlagsmanager, Investor und Bestsellerautor arbeitet seit Anfang der 1990er Jahre an der Digitalisierung von Geschäftsmodellen und ist einer der bekanntesten Beobachter von Innovation und Erneuerung. Er gehört zu den Mitgründern der »Financial Times Deutschland«, leitete als Chefredakteur die »Welt am Sonntag« und »Welt Online« und trieb, zuletzt als Executive Vice President, die Digitalisierung bei Axel Springer voran. Christoph Keese ist Autor zahlreicher Bestseller, darunter »Silicon Valley«, »Silicon Germany« und zuletzt »Disrupt Yourself«. Für »Silicon Germany« wurde er mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2016 ausgezeichnet.

www.penguin-verlag.de

CHRISTOPHKEESE

LIFE

CHANGER

ZUKUNFTMADEINGERMANY

Wie moderner Erfindergeist unser Leben verändert und den Planeten rettet

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Copyright © 2022 Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktionelle Mitarbeit: Lena Waltle

Grafik: Janka Meinken

Covergestaltung: total italic / Thierry Wijnberg

Coverabbildung: © getty images / MirageC

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN978-3-641-29050-4V002

www.penguin-verlag.de

Für Jasmin, Caspar, Nathan und Camilla

Inhaltsverzeichnis

Prolog: Wie wir leben wollen

TEIL 1

PERISKOP: AUFBRUCHINEINENEUEZEIT

First Principle: Wie Life Changer denken, und an welches Grundgesetz sie glauben

Investition: Warum plötzlich Milliardensummen auch an deutsche Erfinder fließen

Innovation: Die ewige Jagd nach dem besseren Werkzeug

Fortschritt: Was ist das eigentlich, und wie löst er die wichtigsten Probleme der Menschheit?

TEIL 2

MIKROSKOP: DIEWICHTIGSTENPROBLEMEDERMENSCHHEITUNDANSÄTZEZURLÖSUNG

Energie: Warum die Rettung des Klimas mehr Strom braucht, als wir heute produzieren, und woher er kommt

Kommunikation: Wie Menschen und Maschinen Informationen überall verfügbar machen und alles mit allem verbinden

Mobilität: Wie wir uns bewegen, ohne Leben und Klima zu gefährden oder Zeit und Geld zu vergeuden

Gesundheit: Wie wir 120 Jahre alt werden können und dabei keiner Krankheit anheimfallen

Ernährung: Wie wir zum ersten Mal in der Geschichte Frieden mit den Tieren schließen können

Bildung, Gesellschaft und Staat: Wie Despoten das offene Netz missbrauchen und wir ihnen Einhalt gebieten können

TEIL 3

TELESKOP: DIEZUKUNFTUNSERERTECHNISCHENZIVILISATION

Niederlagen und Rückschläge: Warum werden so viele Hoffnungen in die Zukunft enttäuscht?

Deutschland: Weshalb wir endlich mehr von unserem eigenen Geld in neue Technologie investieren sollten

Epilog: Wie wir leben werden

Dank

Literatur und Quellen

Index

Prolog: Wie wir leben wollen

»Unwirklichkeit ist ansteckend.«

Alexander Kluge, Autor

Die Frau eines meiner besten Freunde ist jung und stark. Wir sind seit Jahrzehnten befreundet. In der Pandemie tat sie alles, um eine Coronainfektion von ihrer Familie fernzuhalten. Eines Tages aber kam eine ihrer Töchter mit deutlichen Symptomen von der Schule nach Hause. Die Eltern kümmerten sich liebevoll um ihr Kind. Einige Tage später zeigte auch die Mutter Anzeichen einer Ansteckung. Das Virus erwischte sie mit voller Wucht. Trotz bester Pflege durch ihren Mann glitt sie in einen besorgniserregenden Zustand ab. Ihr Gesicht wurde aschfahl, Geruchs- und Geschmackssinn gingen verloren, der Husten hörte nicht auf, ein Gefühl, als säße ein Elefant auf ihrer Lunge. Es dauerte Wochen, bis sie sich von der Infektion erholte. Zum Glück aber wurde sie wieder vollständig gesund.

Doch der Schreck bei uns allen saß tief. Im Kreis meiner eigenen Familie gelang es uns zwei Jahre lang, uns alle, egal welchen Alters, vor Corona zu schützen. Im Januar 2022 steckten wir uns dann aber trotz dreifacher Impfungen fast alle an. Unsere Erkrankungen verliefen zwar mild, und niemand musste ins Krankenhaus. Unter der Krankheit litten wir aber trotzdem. Einige von uns kamen nur schwer darüber hinweg. Zum Glück blieb wenigstens meine geschwächte Mutter von einer Infektion verschont. Der mRNA-Impfstoff rettete ihr vermutlich das Leben.

Während der Pandemie habe ich mich noch intensiver als sonst mit neuen Technologien beschäftigt. Wenn wir vom »natürlichen Leben« sprechen, das wir uns für uns und unsere Kinder wünschen, dann meinen wir damit angesichts einer lebensbedrohenden Pandemie eher nicht die natürlichen Wege der Evolution, ein »Überleben der am besten Angepassten«. Um eine Art vor dem Aussterben zu bewahren, arbeitet sie nach dem Erfolgsrezept von Mutation und Auslese, das Charles Darwin als »Zuchtwahl« beschrieben hat.

Folgen wir diesem Prinzip, so besagt es, dass alle Menschen, die einem Erreger nicht zufälligerweise etwas entgegenzusetzen haben, sterben. Es überleben nur jene mit einer genetisch veranlagten, zufälligen Immunität. Aus dem Genpool dieser Überlebenden wiederum schöpfen die nachfolgenden Generationen ihre Widerstandskraft. Sie sind besser vor dem Erreger geschützt, weil viele von ihnen die Immunität gegen ihn vererbt bekommen haben. Die Evolution darf für sich in Anspruch nehmen, die Menschheit mit diesem Vorgehen der natürlichen Auslese selbst durch schwerste Krisen wie die Pest geschleust zu haben. Für uns Menschen im 21. Jahrhundert ist diese Methode aber zum Glück längst nicht mehr die einzige Option. Sie schützt zwar unsere Art, jedoch nicht das Individuum. Im Gegensatz zu früheren Generationen leben wir in einer Zeit, in der umfassender Schutz des einzelnen Menschen technisch möglich wird. Dadurch nehmen wir eine Sonderstellung in der Menschheitsgeschichte ein. Es liegt in unserer Macht, das Schicksal des Einzelnen vor kollektiven Gefahren zu schützen. Das gibt es noch nicht sehr lange. Wären wir nur auf Darwins Zuchtwahl angewiesen gewesen, hätten einige Mitglieder der Familien von Freunden sowie meiner eigenen Corona wohl nicht überlebt.

Technologie ist das, was unser Wille dem blinden Wüten des Zufalls entgegensetzen kann. Unsere Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit verlangen, dass wir nicht einfach dabei zusehen, wie die Hilflosen sterben und die zufälligerweise Immunen überleben. Technologie versetzt uns vielfach überhaupt erst in die Lage, moralisch handeln zu können. Ohne Technologie sind wir eine Herde, mit Technologie reifen wir zu einer Gruppe einzelner Persönlichkeiten heran. Trotz aller furchtbaren Opfer, die Corona gefordert hat, können wir heute mit einiger Gewissheit hoffen, diese Seuche besiegt oder zumindest weitgehend schadlos gemacht zu haben. Auch wenn ihr Ende noch nicht erreicht ist, rückt es doch in greifbare Nähe.

Den Fortschritt der Impfstoffe, die unsere Rettung waren, habe ich während der Pandemie eng verfolgt, auch weil ich zufälligerweise einige der Protagonisten kannte, die an ihrer Entwicklung beteiligt waren. Im Kapitel über Gesundheit berichte ich davon. Die dramatischen Ereignisse dieser Jahre haben meine Sinne für die Möglichkeiten von Technologie weiter geschärft. Ich fragte mich: Was außer Corona, welche Sorgen der Menschheit, sollten wir sonst noch besiegen? Welche Ungerechtigkeiten müssten wir beheben und welches Leid bekämpfen? Und welche Technologien wären dazu in der Lage und könnten in den nächsten Jahren zum Einsatz kommen? Ich musste nicht lange nachdenken, bis mir eine Vielzahl von Anwendungsfällen in den Sinn kam. Wie wahrscheinlich die meisten meiner Leserinnen und Leser, bin ich neben allem Glück auch umgeben von Tod, Krankheit, Unfall und Ungerechtigkeit. Diese Umstände bedeuten nicht, dass unser Leben freudlos wäre – ganz im Gegenteil. Doch zum ehrlichen Blick auf die Gegenwart gehört auch, die Bedrohungen wahrzunehmen, denen wir ausgesetzt sind.

Einige meiner engen Verwandten sind an Gehirntumoren und Parkinson gestorben, leiden an Multipler Sklerose, erlitten Vorhofflimmern, fielen vom Dach oder stürzten schlafwandelnd aus dem Fenster. Freunde starben an Leukämie, Depression, plötzlichem Herzstillstand und Schlaganfall. Sie wurden von Lastwagen auf der Autobahnbaustelle abgedrängt oder sahen das Glatteis auf der Landstraße nicht kommen. Ein Schulfreund litt an der Bluterkrankheit und starb an AIDS, weil das Screening den Erreger in einer einzelnen Dosis seines täglich gespritzten Serums nicht erkannt hatte. Die fünf Kinder einer Familie aus Syrien, der wir helfen, tun sich in der Schule schwer. Ein ganzes Bündel von Gründen verstrickt sie in Nachteile gegenüber Kindern, die in Deutschland geboren worden sind. Meine Mutter spendet seit jeher für die SOS-Kinderdörfer. Die meisten Waisen dort haben ihre Eltern durch Unfälle, Krankheit oder Krieg verloren. In der Nähe von Kapstadt habe ich beim Besuch eines Slums einmal einen siebenjährigen Jungen kennengelernt, der die Höhe eines Baumes durch den Satz des Pythagoras ausrechnete. Ich wusste, dass es dieser Junge trotz seiner Begabung wahrscheinlich niemals nach Stanford oder an die Technische Universität München schaffen würde, einfach nur, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort zur Welt gekommen war. Auf einem Bauernhof in Schleswig-Holstein haben meine damals noch jungen Kinder gesehen, wie ein Kalb von seiner Mutter getrennt und allein in einen Käfig gesperrt wurde, damit die Mutter weiter Milch gab. Das Kalb schrie vor Einsamkeit. Am selben Abend lag im Restaurant Kalbsschnitzel mit Kartoffelsalat auf dem Teller. Erst wollte niemand davon essen. Dann wurden wir schwach. Es gab keine Alternative, die ähnlich gut schmeckte. Ein paar Tage später hatten die Kinder den Zusammenhang zwischen Kalb und Schnitzel wieder vergessen.

Als ich kürzlich mit einem Buchhändler ins Gespräch kam und ihn fragte, worauf er bei der Auswahl seines Sortiments besonders achte, antwortete er: »Neuerdings fragen mich die Leute immer wieder: ›Haben Sie vielleicht etwas, das ausschließlich positiv ist und in dem gar nichts Negatives vorkommt?‹ Leider kann ich damit aber nicht dienen. Solche Bücher gibt es kaum. Vermutlich fragen die Leute das, weil sie nach zwei Jahren Corona erschöpft sind. Sie können einfach nichts mehr ertragen, was einen Einschlag ins Dunkle hat.«

Mich erinnerte dieses Gespräch an einen Satz meines Freundes und inzwischen pensionierten Verlegers Wolfgang Ferchl: »Ich glaube, du bist jemand, der es nicht ertragen kann, Dinge schiefgehen zu sehen. Du lehnst dich dagegen auf. ›Wir schaffen das‹, hat Angela Merkel in der Flüchtlingskrise gesagt und ist viel dafür kritisiert worden. ›Wir schaffen das‹ beschreibt ziemlich gut, wie du denkst.« Ich habe das damals als Kompliment aufgenommen, mich aber zugleich auch gefragt, warum meine Einstellung etwas Besonderes sein soll und nicht mehr von uns so denken.

Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus der Angst vorm Scheitern und der Auflehnung gegen eine als grausam und unübersichtlich empfundene Welt, die dafür verantwortlich ist, dass ich dazu neige, drängende Probleme eher für lösbar als für unüberwindbar anzusehen. Auf jedem Fall trifft Wolfgang Ferchls Beobachtung ins Schwarze: Ein passives Ertragen von Leid versetzt mich in Unruhe. Selbst dann, wenn ich persönlich gar nicht betroffen bin, sondern es nur beobachte. Unwillkürlich beginne ich sofort mit der Suche nach Lösungen. Aus meiner inneren Warte heraus empfinde ich diese permanente Lösungssuche sowohl als Befreiung als auch als Belastung.

Befreiend wirkt, mich subjektiv nicht in ein übermächtiges Schicksal fügen zu müssen und zumindest der Illusion nachhängen zu dürfen, handelndes Subjekt eines Ereignisses zu sein statt nur sein passives Objekt. »Sei das Subjekt im Satz deines eigenen Lebens«, ist der Rat, den ich wohl am häufigsten erteile, wenn mich jemand darum bittet. Belastend wirkt, fortlaufend Ausschau zu halten nach einem Ausweg für die Probleme, die sich mir oder den Menschen in meiner Umgebung in den Weg stellen. Das kann recht anstrengend sein. Manchmal wünsche ich mir, mich ins Unweigerliche ergeben zu können. Doch solche Gedanken verfliegen sofort. Einen Augenblick später reißt mich die Begeisterung mit, dass es vielleicht doch eine Rettung geben könnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass es manchen meiner Leserinnen und Lesern, wenn nicht sogar den meisten, ähnlich ergeht wie mir. Sie möchten aktiv handeln, statt passiv zu erleiden.

Mein lebenslanges Interesse für Technologie wie auch das vieler meiner Leserinnen und Leser rührt wahrscheinlich aus genau dieser Veranlagung her. Rettung findet sich leichter, wenn man nicht nur im Werkzeugkasten des Vorhandenen sucht, sondern auch mit Hilfe eines Blickes dafür, was heute noch in der Zukunft liegt. Viele Erfindungen geschehen durch Zufall und sind keineswegs Folge einer bestimmten Absicht. Auf eine Mehrzahl der Innovationen nehmen wir Menschen jedoch dennoch gezielten Einfluss, beispielsweise indem wir aussichtsreichen Projekten Forschungsgelder zukommen lassen oder Start-ups, die ein bestimmtes Problem lösen möchten, mit Investitionen unterstützen. Aus diesem Grund besteht ein direkter Zusammenhang zwischen unserer Analyse von Gefahren und deren Abwehr. Je wacher unsere Sinne das Leid um uns herum wahrnehmen, desto eindeutiger markieren wir es als Problem und desto entschlossener mobilisieren wir Ressourcen, um es zu beseitigen. Technologie verwandelt dabei die Ohnmacht der Gegenwart in die Tatkraft der Zukunft. Aus diesem Grund verbinde ich mit vielen Technologien starke Gefühle wie Freude und Hoffnung. Sie lösen echte Emotionen in mir aus. Vielleicht teilen viele, die dieses Buch lesen, ein ähnliches Gefühl mit mir.

»The Rational Optimist« heißt ein Buch des britischen Schriftstellers und Politikers Matt Ridley. Ihn faszinieren die guten Gründe, warum Zuversicht eine realistische Geisteshaltung ist. Denn vergleicht man unsere Lebensrealität heute mit der früherer Generationen, dann muss man feststellen, dass diese sich kontinuierlich verbessert – was, so Ridley, eine direkte Folge unserer menschlichen Veranlagung ist, innovative Lösungen für Probleme zu finden. Auch Alexander Kluge, den ich oben zitiere, schreibt: »Unwirklichkeit ist ansteckend« – und das in einem Buch über Napoleon. Den nämlich sieht Kluge als Beispiel dafür, wie Wunsch und Wille die Wirklichkeit verformen. Kluge ist elektrisiert davon, welche Wunder Napoleon im Laufe seines Lebens zuwege brachte, allein deshalb, weil er sich weigerte, sie für unmöglich zu halten. Dass viele dieser Wunder in Katastrophen abglitten, trägt zur Faszination der Figur Napoleon bei, drängt uns aber auch die Frage auf, warum so viele hoffnungsfroh gestartete Projekte in Albträume umschlagen. Mit diesem Phänomen beschäftigen wir uns im Kapitel »Niederlagen und Rückschläge«

Mein Buch möchte für diese innere Haltung des vernunftbegabten Optimisten werben. Es plädiert nicht für Leichtgläubigkeit oder Naivität, sondern für die Anwendung des kritischen Verstands und für einen nüchtern-sachlichen Blick auf das Schlamassel, in dem wir vielerorts stecken. Für den erwähnten Buchhändler könnte es daher in gewisser Weise tatsächlich ein Buch sein, in dem nur Positives vorkommt. Das Positive besteht aber nicht darin, dass in ihm nichts Schlimmes Erwähnung findet, sondern in der Schilderung dessen, wie wir dem Übel unsere technische Intelligenz entgegensetzen in der Hoffnung, es zu besiegen. Sie ist es, die mich dazu gebracht hat, es zu schreiben.

Wie also wollen wir leben? Ich wünsche mir eine Welt, in der alle Informationen jedem Menschen frei zur Verfügung stehen und der Wahrheitsgehalt dieser Informationen sofort ersichtlich wird. Wahrhaftigkeit soll ein Wert sein, der von möglichst vielen Menschen geteilt wird. Jeder Mensch soll zu jeder Zeit dazu in der Lage sein, mit jedem anderen zu reden. Hass soll schwinden und Verständnis wachsen. Invasionen in benachbarte Länder bleiben aus. Bürgerinnen und Bürger werden von der Kriegspropaganda ihrer Regierungen nicht zu Aggression verführt. Bildung, Freiheit und Teilhabe stehen jedem Menschen offen. Wohlstand soll zunehmen und niemanden ausschließen. In der Welt, die ich mir wünsche, wird niemand mehr unterdrückt, diskriminiert oder grundlos eingesperrt. Saubere Energie steht in unbegrenzter Menge zur Verfügung. Konflikte und Kriege um Ressourcen entfallen. Diktaturen und Autokratien sind überwunden. Die Erde erwärmt sich nicht weiter. Wir hegen unseren Planeten und erkunden das Universum. Alle sind mobil, ohne damit jemand anderem oder der Umwelt zu schaden. Wir überwinden große Strecken so mühelos wie kleine. Todesopfer und Verletzte im Straßenverkehr gibt es nicht mehr. Alle Krankheiten sind besiegt. Kein Tier stirbt für unsere Ernährung. Für jedes Gericht aus Fisch oder Fleisch gibt es einen ebenso gut schmeckenden Ersatz. Niemand hungert. Niemand flieht.

Was kann Technologie leisten, um diese Utopie wahr werden zu lassen? Davon möchte ich in diesem Buch berichten. Das Wort »Life Changer« verwende ich dabei in zweifacher Hinsicht: als Bezeichnung für Menschen, die grundlegenden Wandel bewerkstelligen, wie auch für Technologien, die unser Leben verbessern. Beides greift ineinander: der Mensch und die Technik, die er gebiert und die ihn beeinflusst.

Christoph Keese

Berlin im Frühjahr 2022

TEIL 1

PERISKOP: AUFBRUCHINEINENEUEZEIT

Investition: Warum plötzlich Milliardensummen auch an deutsche Erfinder fließen

Spätestens seit den Umbrüchen der Coronapandemie profitieren Menschen mit neuartigen Ideen wieder von einem risikofreudigen Anlegerklima. Sie nutzen das Geld, um Probleme zu lösen, die vorher niemand ernsthaft knacken wollte. Viele ihrer ehrgeizigen Projekte wären gar nicht zu finanzieren, wenn die in Deutschland investierten Summen nicht steil in die Höhe schnellen würden.

»Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.«

Arthur C. Clarke, britischer Physiker und Science-Fiction-Autor

Laurin Hahn, ein schlanker Abiturient mit braunem Haar, wissbegierigem Blick, Grübchen in den Wangen und lässigem Zehntagebart, gab Anlass zu bedeutenden Hoffnungen. An der Münchner Rudolf-Steiner-Schule hatte er soeben die letzte Abschlussprüfung geschrieben. Physik und Kunst waren seine Leistungsfächer, Autos seine Leidenschaft. Wenn alles glatt ging, würde er sich in Berlin, München oder Aachen für Maschinenbau einschreiben. Auslandssemester in Stanford oder am MIT, dazu Praktika in Großunternehmen wären nur logisch gewesen. Danach hätte ihm die Welt offen gestanden. Ein Job als Chefdesigner oder Produktionsvorstand in der Automobilindustrie hätte später niemanden gewundert. Seine Aufstiegschancen standen gut.

Doch es ging nicht alles glatt. Laurins Uni- und Konzernkarriere implodierte noch vor dem Start. Zum Schrecken der Eltern verschwand er gleich nach dem Abitur mit seinem Kumpel Jona Christians von der Bildfläche – nicht auf eine Weltreise, nicht zu einem Yoga-Retreat in Indien, nicht auf einen Travel-and-Work-Trip in Australien, nicht einmal auf Interrail-Tour durch Europa. Viel schlimmer: Laurin und Jona verschwanden in der elterlichen Garage. Gleich nach den Abiprüfungen gingen sie hinein und sollten erst drei Jahre später wieder herauskommen. Kein Druckfehler. Laurin und Jona tauchten nicht drei Tage, nicht drei Wochen oder drei Monate in der Garage ab, sondern geschlagene drei Jahre. In dieser Zeit kam es zu keiner Immatrikulation, keiner Alma Mater, keinen Credits, keiner WG, keinen Zwischenprüfungen, zu gar nichts. Kinder ohne Ziel und Plan sind ohnehin schon der Schrecken vieler Eltern. Doch Familie Hahn hatte ein besonders schweres Los gezogen. Laurin und Jona schraubten an einem Wolkenkuckucksheim. Sie hatten sich vorgenommen, die hartnäckigsten Probleme der Autoindustrie im Alleingang zu lösen. Eine aberwitzige Idee. Die Automobilindustrie erwirtschaftet weltweit einen Umsatz von 2,7 Billionen Dollar. Rund 20 Millionen Menschen arbeiten für sie. Mehr Menschen, als in der Schweiz und Österreich zusammengerechnet leben. Dennoch waren Laurin und Jona wild entschlossen, diesen Autoleuten zu zeigen, wie man es richtig macht – zu zweit und von ihrer Garage aus. Der Plan war vermessen, wenn nicht verrückt.

Geschichten wie diese gehen oft übel aus. Für Größenwahn, Hybris und Selbstüberschätzung bietet die Welt der Wirtschaft wenig Raum. Geplatzte Träume, gescheiterte Tüftler und ruinierte Laufbahnen sind leider der Normalfall. Auf jeden Gottlieb Daimler und Enzo Ferrari kommen 1000 Unglückliche, die es nicht geschafft haben. Doch die Geschichte von Laurin und Jona ist deswegen so interessant, weil sie gerade nicht in einem Desaster endete. Sie nahm ein gutes Ende, und das belegt, wie außergewöhnlich die Zeiten sind, in denen wir leben. Aus Beispielen wie diesen dürfen wir Hoffnung schöpfen. Es sind zukunftsweisende Dinge auch in Deutschland möglich, die vor einigen Jahrzehnten noch an Beharrungsvermögen oder Fantasielosigkeit, mindestens aber an Geldmangel gescheitert wären. Laurins und Jonas Produkt wurde ein beeindruckender Erfolg – und verspricht tatsächlich, die Branche in Aufruhr zu versetzen.

Ihr Unternehmen heißt Sono Motors und gilt als einer der vielversprechendsten Hersteller elektrischer Autos, manche nennen sie schon die »Mini-Teslas«. Das Unternehmen ist mittlerweile an der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq in New York notiert. Zehn Jahre nach seiner Gründung erlöste Sono Motors mit seinem Initial Public Offering (IPO) umgerechnet 120 Millionen Euro und schoss im ersten Handelsmonat auf einen Wert von 2,3 Milliarden Euro. In den kommenden Jahren wird dieser Wert voraussichtlich wild schwanken. Unter dem Druck der Kurskorrekturen im Technologiesektor litt Anfang 2022 auch Sono Motors. Ein Totalausfall ist für die Zukunft nicht ausgeschlossen, ebenso wenig ein dauerhafter Erfolg. Doch ganz gleich, wie die Geschichte weitergeht, ihre ersten zehn Jahre bis zum Börsengang legen beredtes Zeugnis darüber ab, wie viel Hoffnungsvolles und Aufsehenerregendes gerade im Lande geschieht. Zwei Abiturienten konnten von ihrer heimischen Garage aus BMW,Daimler und General Motors den Fehdehandschuh hinwerfen, und statt dafür ausgelacht zu werden, wie es früher der Fall gewesen wäre, holte die Wall Street sie in den exklusivsten Börsenclub der Welt und machte sie zu Dollarmilliardären. Und das nicht aus irgendeinem obskuren Grund, sondern weil sie ein Auto mit einer bahnbrechenden technischen Grundlage entwickelt haben, die den etablierten internationalen Multis schlicht nicht eingefallen ist. Oder zu der sie sich nicht getraut haben.

Was macht den Sion, das erste Modell von Sono Motors, so attraktiv? Laurin Hahn und Jona Christians haben in ihm drei außergewöhnliche Eigenschaften miteinander kombiniert. Erstens: Der Sion lädt sich mit in allen Teilen der Karosserie eingebauten Solarzellen selbsttätig auf. Für die durchschnittlichen Fahrten zur Arbeit reicht das aus. Nur für längere Strecken muss er an die Ladesäule. Das Aufladen über eingebaute Solarzellen spart Zeit, Geld und Nerven. Die »Electric Anxiety« entfällt – die Angst der Fahrer, mit leerer Batterie stehen zu bleiben. Zweitens: Mit nur 25 000 Euro Kaufpreis kommt das Auto ziemlich preiswert daher und ist für viele Leute auch mit geringeren Einkommen erschwinglich. Und drittens: Es ist darauf ausgelegt, seine Eigentümer nicht nur Geld zu kosten, sondern ihnen auch Geld einzubringen. Ein eingebautes Car-Sharing-System erlaubt es Besitzern, den Wagen beliebig oft zur Vermietung freizugeben. Das trägt dazu bei, die monatlichen Kosten zu senken und bei regem Vermietgeschäft sogar Überschüsse zu erwirtschaften. Als ich Laurin Hahn treffe, schildert er seine Überlegungen bei der Gründung so: »Menschen brauchen pro Tag nicht mehr Reichweite als im Schnitt 16 Kilometer. Das ist die mittlere Pendeldistanz. Sie wollen nicht ständig darüber nachdenken, wo sie ihr Auto aufladen können. Und sie wollen möglichst wenig Geld für Mobilität ausgeben, idealerweise sogar Geld damit verdienen.«

Aus Beobachtungen wie diesen leitete das Team die Spezifikationen des Sion ab: Das gewünschte Auto musste sich per Solarzellen selbst aufladen, einen eingebauten Car-Sharing-Modus besitzen, und – um den ehrgeizigen Verkaufspreis zu erreichen – aus Standardkomponenten zusammengesetzt sein, die es überall preiswert zu kaufen gibt. »Wir haben uns gefragt: Was muss passieren, dass ich und du uns ein Elektroauto wirklich leisten und damit von A nach B fahren können, ohne unseren Alltag dafür zu stark umzustellen?«, berichtet Hahn. »Herausgekommen sind Solar-Integration, das bidirektionale Laden, ein Sharing-System, das in eine App integriert ist, und ein Preis von gerade mal 25 000 Euro. Zum Vergleich: Als wir begonnen haben, kostete Teslas Model S noch 120 000 Euro.« Ähnlich wie Elon Musk verwenden die Sono-Gründer die First-Principle-Methode. An ihrem Beispiel sehen wir, dass Elon Musk diese Form des Argumentierens nicht für sich allein gepachtet hat. Auch Gründerinnen und Gründer in Deutschland bedienen sich des Verfahrens und demonstrieren seine Vorzüge. Unser Land ist also keineswegs abgehängt, sondern arbeitet methodisch auf dem neuesten Stand der Dinge, zumindest unter den Pionieren.

Laurin Hahn und Jona Christians möchten Mensch und Umwelt miteinander versöhnen. Das ist ihr innerer Antrieb, auf Neudeutsch »Purpose«. »Aber warum erleichtert ihr dann gerade die Mobilität?«, frage ich Hahn. »Weshalb predigt ihr nicht Verzicht? Wieso entwickelt ihr nicht das bessere Zoom, damit die Leute per Videokonferenz von zu Hause aus arbeiten, anstatt die Straßen auf dem Weg zum Büro zu bevölkern?« Seine Antwort: »Weil es ein Grundbedürfnis des Menschen ist, sich frei zu bewegen. Ja, wir Menschen müssen unseren Konsum drastisch reduzieren – darunter zählt natürlich auch die Anschaffung von Neuwagen. Gleichzeitig aber müssen Unternehmen wie unseres mit Green Tech, also grüner Technologie, versuchen, den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden, die nun mal nicht verschwinden.«

Auch bei dieser Überlegung handelt es sich um eine Anwendung der First-Principle-Methode. In den Augen von Laurin Hahn und Jona Christians steht am Anfang aller Überlegungen das Urbedürfnis des Menschen, andere Menschen persönlich zu sehen und dafür gewisse Distanzen zu überwinden. »Der Radius menschlicher Bewegung hängt mit der Größe sozialer Gruppen zusammen«, sagt Hahn. »Je kleiner unsere sozialen Gefüge, desto größer unser Bewegungsdrang.« Weil wir anders als in früheren Zeiten mit unseren Kollegen und Freunden nicht mehr in einer Höhle, einem Bauernhaus oder einem Dorf leben, streben wir danach, den Mangel an sozialer Dichte durch Reisen auszugleichen. Wir laufen und fahren unseren verlorenen Kollegen und Freundinnen gewissermaßen hinterher. »Dieses Bedürfnis hält uns dermaßen im Griff, dass der Drang nach Mobilität von keiner Verzicht predigenden Rhetorik unterdrückt werden kann.« Daraus folgt für Sono Motors: Wer Mensch und Umwelt miteinander versöhnen möchte, der muss ressourcenschonende, autonome Mobilität entwickeln.

Ist das nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit? Könnten nicht andere Autohersteller das auch? Ja, das könnten sie. Doch interessanterweise geschieht das nicht. Hieran erkennen wir die begrenzte Reichweite der First-Principle-Methode. Auch wenn deutsche Gründerinnen und Gründer sie schon in ihr Herz geschlossen haben, folgen althergebrachte Unternehmen meistens der traditionellen analogischen Methode. Die Logik klassischer Autokonzerne könnte man so beschreiben: Sie verkaufen die Autos – für das Tanken oder Laden fühlen sie sich nicht zuständig. Das ist traditionell Sache der Mineralöl-Multis wie BP, Esso oder Shell. Wir erkennen hieran wieder das Muster der analogen Argumentation. Daraus, dass es immer schon so war, wird gefolgert, dass es am besten genauso bleibt. Konkret heißt das: Die Benzinhändler bauen mit ihren Tankstellen das Versorgungsnetz, und letztlich bleibt es am Kunden hängen, wo er sich die nächste Tankfüllung oder Ladung besorgt. Damit ist der Markt für den Individualverkehr klar aufgeteilt. Verkauft werden Autos stets ohne Treibstoff. Also liegt den Entwicklungsabteilungen der traditionellen Autobauer der Gedanke fern, selbst für den Sprit oder die nächste Ladung zu sorgen – ganz zu schweigen davon, gleich Solarzellen in Autos zu integrieren.

Das ist auch der Grund, warum es Tesla möglich war, ein weltweit dichtes Netz von Superchargern aufzubauen, bevor BMW, Volkswagen, Daimler, Ford oder GM überhaupt auf eine solche Idee kamen. Heute gibt es in Europa rund 600 Supercharger mit jeweils durchschnittlich zehn Ladesäulen, also gut 6000 Tesla-Ladesäulen. Insgesamt existieren in Deutschland 25 000 Ladestellen, Tesla nicht mitgerechnet. Doch dabei handelt es sich um zusammengestoppelte Netze Dutzender Anbieter, von denen viele nur regional auftreten. Wer sein Auto laden möchte, trägt einen Fächer von Zugangskarten mit sich herum und bleibt an manchen Säulen ohne den dringend benötigten Strom, weil er sich ausgerechnet bei diesem Anbieter noch nicht registriert hatte. Ganz anders funktioniert das bei den Tesla-Superchargern. Man steckt einfach den Stecker in die Buchse des Autos. Fertig. Säule und Auto reden miteinander und stimmen sich ab. Ladekarten sind überflüssig. Deutsche Premium-Autohersteller bauen eine derart elegante Lösung erst jetzt mit jahrelanger Verspätung auf. Sie fühlten sich bislang nicht zuständig. Natürlich hätten sie das technische Geschick und die finanzielle Kraft besessen, Tesla in Sachen der Ladeinfrastruktur alt aussehen zu lassen, aber sie probierten es nicht einmal. Ein schwerer Fehler, wie sich später herausstellen sollte. Ein Fehler, der nun mühsam wieder ausgebügelt werden muss.

Überhaupt sind Autos mit so kleinen Reichweiten wie der des Sion ganz und gar unvorstellbar für herkömmliche Hersteller. Die Autoindustrie baut aus ihrer Tradition heraus Multitalente – Autos, die von der kurzen Fahrt zur Arbeit bis zur Urlaubsreise nach Spanien alles können. Fahrzeuge, die für Alleinfahrten von Pendlern ebenso taugen wie für den Wocheneinkauf und den Sonntagsausflug fünfköpfiger Familien. Warum aber produziert die Autoindustrie solche Universalkutschen? Weil ihre aberwitzig teuren Produktionsstraßen und Entwicklungsprozesse große Stückzahlen benötigen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Auch an diesem Kontext erkennen wir die Gefahren analogischen Denkens. Große Stückzahlen erreicht man nur mit den kleinsten gemeinsamen Nennern, also mit Fahrzeugen, die möglichst viele Wünsche möglichst vieler Menschen auf einmal bedienen. Für Spezialwünsche kleiner Zielgruppen – also beispielsweise für urbane Pendler, die mit ihrem Auto nur zu Arbeit fahren möchten und sonst nichts – gibt der üppige Kostenrahmen keine Nischenlösung her.

Genau hier setzt Sono Motors an. Und genau dieser Umstand schafft Anlass für gute Laune, denn endlich greift jemand im Heimatland der Autoindustrie althergebrachte Gewissheiten an, die viel zu lange nicht herausgefordert worden waren. Der Sion ist absolut untauglich für die Massen. Er gefällt nur einer winzigen Gruppe von Aficionados, und dies ist kein Zufall, sondern ein Konzept. Der Automarkt der Zukunft – so die aus First Principles abgeleitete These – wird aus Myriaden solcher Nischen bestehen. Sie alle können deshalb wirtschaftlich bedient werden, weil komplett neue Produktionsmethoden eine schlanke Entwicklung und kosteneffiziente Fertigung erlauben. Klassische Hersteller entdecken diese Chancen gar nicht erst für sich, weil ihr gewaltiger Kostenapparat sie im ewigen Hamsterrad der Suche nach dem am breitesten gefächerten Absatzmarkt hält. Neu gegründete Autobauer hingegen laufen wie freie Löwen durch die Savanne. Sie schaffen Profitabilität mit Stückzahlen, die so niedrig sind, dass Volkswagen sie niemals kostenneutral erreichen könnte. Wir dürfen uns freuen, dass solche Innovationen heute möglich sind.

Noch einen weiteren Vorteil führen Laurin Hahn und Jona Christians ins Feld. Auch er markiert eine Charaktereigenschaft, die der »Generation Aufbruch« zu eigen ist. Sie besitzt ein feines Gespür für verborgene Widersprüche zwischen den Wünschen normaler Menschen und den öffentlichen Narrativen, mit denen Institutionen diesen Menschen sagen, was sie zu denken und was sie sich zu wünschen haben. Im Alltag fallen uns diese Widersprüche kaum auf. Sie kommen leise daher. Doch wenn wir unsere Ohren spitzen, schreien sie uns geradezu an. Besonders beim Thema Mobilität wimmelt es von solchen Konflikten. Ein Beispiel: Die meisten Menschen denken: »Ich möchte schnell, unkompliziert und individuell zur Arbeit kommen.« Die Umweltpolitik aber hält ihnen entgegen: »Du sollst bitte öffentliche Verkehrsmittel benutzen.« (Übrigens sagt die Steuerpolitik per Pendlerpauschale das genaue Gegenteil.) Wer trotzdem individuell zur Arbeit fahren möchte, um auf dem Weg zur Bushaltestelle nicht nass geregnet zu werden und auf dem Rückweg noch eine Kiste Sprudel mitbringen zu können, gilt schnell als Umweltsünder. Das ist ein Konflikt zwischen persönlichem Wunsch und öffentlichem Imperativ. Doch dieser Widerspruch ist auflösbar. Individualverkehr ist nur dann schädlich für Umwelt und Stadtbild, wenn er die Luft verpestet und den öffentlichen Raum verstopft. Solarbetriebene Miniautos könnten den Widerspruch zwischen privatem und öffentlichem Interesse daher auflösen. Während die klassische Autoindustrie frontal gegen die Umweltpolitik ankämpft und selbst Elektroautos in den Dimensionen von Spähpanzern auf den Markt bringt, üben sich Life Changer in der Kunst der Dialektik. Sie lösen These und Antithese in geschickten Synthesen auf. Diese Tugend verschafft ihnen Wettbewerbsvorteile. Endlich tut das mal jemand! – möchte man ausrufen.

Solche Beispiele gibt es massenhaft, allein auf dem Gebiet des Verkehrs. Ein Weiteres: »Ich möchte möglichst wenig Geld für Mobilität ausgeben«, denken die meisten Menschen. Doch die Autoindustrie vermittelt das genaue Gegenteil und behauptet, Autofahren verschaffe so viel Freude, dass man dafür gerne 500 bis 1000 Euro im Monat ausgibt. So viel kostet ein typisches Auto nämlich schnell. Glänzend fotografierte Bilder und Filme schnittiger Limousinen auf leeren Küstenstraßen und Bergpässen prägen das Bild der Autowerbung. Mit der Realität wirbt die Autoindustrie aus Prinzip nicht. Sie betreibt bewusste Realitätsverleugnung. Wann hätte man in der Autowerbung je ein Foto vom Ratinger Dauerstau im Novemberregen gesehen? Oder von der Endlosblechlawine rund um Stuttgart? Das gibt es einfach nicht. Staus kommen im Narrativ der traditionellen Autoindustrie nicht vor, obwohl es ja unbestritten die Autos sind, die Staus verursachen. Dieser offenkundige Fakt fällt in den Chefetagen und Marketingabteilungen der Autobauer offenbar einem Schweigegelübde über die Realität zum Opfer.

Die suggestive Auswahl von Bildmotiven ist durchaus kein Zufall. Autokonzerne brauchen das Versprechen von Freiheit, Glück und Abenteuer, um die enormen Kapital- und Betriebskosten des Konsumenten zu rechtfertigen. Ihre Kommunikation entspringt weniger dem Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit als der Logik betriebswirtschaftlicher Kalkulation im System Massenproduktion. Nur so rutscht das Auto in der persönlichen Bedürfnishierarchie der Kundschaft noch über den Sommerurlaub – denn in Geld ausgedrückt steht es da über so gut wie allem anderen. Fast nichts in unserem Leben kostet so viel Geld wie das Auto – vom Wohnen mal abgesehen. Wollen wir das wirklich? Oder fallen wir auf ein betriebswirtschaftlich erzwungenes Narrativ herein? Es sind die Start-ups, die uns den vermeintlichen Spaß am Weihnachtsmann verderben und ungeniert die Wahrheit sagen. Sono Motors und Wettbewerber wie Next.e.Go