LILLIAN - Im Schatten des Seins - Bridget Sabeth - E-Book

LILLIAN - Im Schatten des Seins E-Book

Bridget Sabeth

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Beschreibung

Louisiana 1850: Warum dürfen Sklaven wie verderbliche Waren behandelt werden? Das fragt sich Lillian Hanson nicht zum ersten Mal. Tatenlos beobachtet sie als Mädchen, wie ein misshandelter Sklavenjunge achtlos am Straßenrand abgelegt wird. Solch ein Vorgehen ist ihr fremd, denn ihre Eltern beschäftigen freie Arbeiter und entlohnen diese gerecht. Lange, bevor der Bürgerkrieg in Amerika ausbricht, sind der Norden und der Süden entzweit. Diese Zerrissenheit spiegelt sich in den Bewohnern wider. Auch auf der Bennett-Baumwollplantage sind sich die Zwillingsbrüder Finn und Cedric uneins darüber, wie man mit Leibeigenen umzugehen hat. Finn ist skrupellos, während Cedric versucht, trotz seiner Brustkrankheit, die Sklaven vor der sinnlosen Gewalt zu schützen. Aber kann man in einem Land, in dem Sklaverei per Gesetz erlaubt ist, etwas erreichen? Wird Finn erkennen, dass Schwarze auch Menschen sind, und macht Cedrics Eingreifen überhaupt Sinn? Hinzu kommt, dass sich die Rivalität der Brüder weiter verschärft, als beide um Lillians Gunst buhlen.

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LILLIAN - Im Schatten des Seins

Titel SeiteERSTER BAND – RIVALITÄT DER BRÜDERZWEITER BAND – SUCHE NACH GERECHTIGKEITDRITTER BAND – VERLORENE LIEBEVIERTER BAND – HOFFEN AUF EINE ZUKUNFTBuchvorschlag - Die Ehre meiner Seele

Lillian - Im Schatten des Seins

Impressum

Texte: © Copyright by Bridget Sabeth

Umschlag:© Copyright by Bridget Sabeth

Cover: Coverbearbeitung Bridget Sabeth unter Verwendung einer Lizenz

von istockphoto.com

Stock-Fotografie-ID: 495751612

Urheberrecht: san4es

Verlag: Brigitte Kreuzer

Raningerweg 2

8761 Pöls-Oberkurzheim

[email protected]

ERSTER BAND – RIVALITÄT DER BRÜDER

PROLOG – BURNSIDE/LOUISIANA 1829

Zum Teufel! Wo ist Quentin?Nathaniel Bennetts Augen verengten sich, als er die Gegend nach seinem Aufseher absuchte. Hoch zu Pferd schaute er auf seine Sklaven zwischen den Baumwollstauden hinab. Irgendetwas war anders. Keiner muckte, alle pflückten Baumwolle in Windeseile, niemand bettelte um Wasser, obwohl die Sonne heiß vom Himmel brannte. Warum waren sie heute derart fügsam und fleißig?

»Wo ist Quentin abgeblieben? Hat jemand von euch ihn gesehen?«, forschte er im herrischen Ton.

Verneinend schüttelten die Sklaven ihre Wollschöpfe. Sie arbeiteten weiter, ohne aufzuschauen.

Verlogenes Pack! Irgendetwas verbergen sie! Haben sie Quentin etwas angetan?Sein Blick wanderte durch die Reihen der Untergebenen. Sicherheitshalber zählte er durch.Moment – da fehlt jemand!Die Männer waren vollzählig.Also ein Weib!Befand sich sein Vorarbeiter bei einem heimlichen Stelldichein? In der Nähe?

Jäh schwang Nathaniel sich vom schwarzen Hengst und stapfte, mit der Peitsche drohend, auf eine Sklavin zu. Er bemerkte, wie ihre Hände zitterten. »Nahla, was ist hier los?« Knallend ließ er die Peitsche durch die Luft sausen.

Erschrocken duckte sich Nahla. »Sir Bennett, ich bitte Sie, fragen Sie jemand anderen.«

»Ich frage dich!«

Ihre Augen glitten zu den entfernten Büschen.

»Ist er dort hinten?«

Ihr zustimmendes Nicken war kaum wahrnehmbar. Nathaniel beachtete Nahla nicht länger, sondern eilte Richtung besagter Stelle. Er stoppte, bevor er sein Ziel erreicht hatte.Stöhnt da wer?Heißer Zorn brodelte in ihm. Quentin gab sich offenbar irdischen Freuden hin, statt sich um seine Pflichten zu kümmern.Dem werde ich Beine machen!Nathaniel zog die Waffe und schlich weiter. Mit einem Satz sprang er aus dem Busch hervor und befand sich inmitten einer kleinen Lichtung. Er starrte auf Quentins Rücken. Noch immer hatte der Vorarbeiter ihn nicht bemerkt. Es dauerte eine Weile, bis Nathaniel begriff, was da vor sich ging. Die Sklavin Eliza wimmerte, ihre Haut glänzte vor Schweiß, sie atmete röchelnd und stoßweise. Der Boden war ringsum besudelt mit Blut.Bekommt sie ein Kind? Nathaniel ließ die Waffe sinken, steckte sie in die Halterung zurück und trat näher. Selbst jetzt wirkte der Bauch der Sklavin kaum fülliger als sonst. Eliza bäumte sich auf, während Quentin mit seinen Händen ein Mädchen aus dem sterbenden Leib zog. Der Säugling schrie. Ein Wunder, inmitten des Blutes!

Nathaniel blickte in die entsetzten Augen seines Vorarbeiters, die feucht schimmerten. Notdürftig schlug Quentin seine Jacke ums Kind. Nathaniel kniete sich an die Seite der Sklavin. Ihr Brustkorb senkte sich, sie hauchte den letzten Lebensatem aus.Verblutet.Er schluckte, diese Szene rührte an sein Herz. Nathaniel schloss sanft Elizas leblosen Lider. Seufzend erhob er sich und betrachtete Quentin, der das Neugeborene schützend hielt. Obwohl sein Vorarbeiter nichts gesagt hatte, wusste Nathaniel, dass Quentin der Vater des Säuglings sein musste.

Könnte das Mädchen ein Ersatz für Fionas totes Kind sein und vermögen, meine Frau aus ihrer Schwermut zu holen?Wenige Monate zuvor hatte sie ein Baby geboren. Es war von schwächlicher Natur gewesen und bereits am dritten Tag in Fionas Armen gestorben. »Komm, gib mir das Mädchen«, forderte Nathaniel Quentin auf.

Sein Gegenüber zögerte.

»Vertrau mir, ich habe nichts Böses im Sinn, sondern möchte es Fiona bringen. Die wird mit dem Balg sicher Freude haben.«

Quentin blickte zitternd auf das kleine Wesen, auf seine Tochter. Er wusste, dass sie kaum einen besseren Platz – als im Haus seines Vorgesetzten – finden würde. Doch wie sollte er sich jemals verzeihen, dass Eliza tot im verdorrten Gras lag? Bereitwillig hatte sie ihm Leidenschaft und Wärme geschenkt. Und nun? Nun verfluchte er sich dafür. Ohne ihn würde es dieses Kind nicht geben und Eliza könnte noch leben. Quentin schaute in die dunklen Augen seiner Tochter und fühlte innige Zuneigung. Der Gedanke, die Kleine könnte irgendwann derart ausgebeutet werden, wie all die anderen Sklaven auf dieser Plantage, zerriss ihm fast das Herz.

»Bestimmt willst du nicht, dass es in den Baracken groß wird. Ich gebe dir mein Wort: Das Kind muss nicht auf die Felder, sondern soll bei uns im Haus eine Anstellung bekommen, sobald es alt genug dafür ist. Das mache ich, weil ich dich als loyalen Mitarbeiter schätze. Nichtsdestotrotz, Eliza ist mein Eigentum und ihr Nachwuchs ebenfalls. Du hättest ohnehin kein Recht auf das Mädchen, ungeachtet dessen, dass du frei und weiß bist.« Nathaniel nahm ihm den Säugling ab.

Quentin sank auf die Knie. »Thalia«, flüsterte er rau.

»Was sagst du?«

»Es soll Thalia heißen. Das war Elizas letzter Wunsch – wenn es ein Mädchen wird.«

»Meinetwegen. Aber nun vergiss das Kind und vor allem, dass es deines ist!«

Sei dankbar!,ermahnte Quentin sich innerlich. Dieses Mädchen würde es zumindest besser haben als einst seine Liebe. »Ich verspreche Ihnen, niemals meine Vaterschaft öffentlich kundzutun. Aber die anderen Sklaven …«

»Darum kümmere ich mich. Denn sollte einer von ihnen tratschen, schenke ich demjenigen eine Wanderung durch das Moor.«

Quentin schluckte. Das kam einem Todesurteil gleich. Früher, vor der Zeit mit Eliza, hätte er darüber gelacht. Doch durch das Beisammensein mit ihr hatte er erst all die Ungerechtigkeiten begriffen. Erschaudernd musste Quentin erkennen, dass er selbst Teil dieses unfairen Systems war, in dem Weiße durch die Ausbeutung der Schwarzen profitierten. Wie konnte er es gutheißen, dass die Tiere im Stall behaglichere Unterkünfte hatten, regelmäßig mit ausreichend Wasser und Futter versorgt wurden, während die Sklaven kaum das Nötigste zum Überleben erhielten? Weshalb lehnte er sich nicht auf? Und aus seiner Hoffnung, Eliza eines Tages freizukaufen, blieb ein bitterer Nachgeschmack. Es gab keine gemeinsamen Träume mehr, sondern seine große Schuld! Quentin rückte näher zum leblosen Körper. Er strich über Elizas krauses Haar, ließ es durch seine Finger gleiten.

»Ich werde dafür sorgen, dass dir jemand beim Abtransport des Leichnams behilflich ist.«

Tiefe Schluchzer entwichen Quentins Kehle, während Nathaniel mit dem Säugling davonging.

BURNSIDE/LOUISIANA JULI 1850

»Lillian«, zischte jemand und zog mich hinters Gebüsch.

»Grace? Was soll …«

»Psst.« Meine Freundin hielt mir den Mund zu. »Dort drüben, schau«, flüsterte Grace, ehe sie ihre Hand sinken ließ.

Ich lugte zur Seite und entdeckte einen weißen Mann, der einen Schwarzen grob vom Karren zog.

»Lebt der noch?« Ein gequältes Stöhnen, als dieser auf den Boden prallte, beantwortete meine Frage.

»Elender Bastard!«, zischte Grace neben mir.

Ich zitterte. Als der Weiße den armen Kerl heftig trat, um ihn in den Straßengraben zu stoßen, schloss ich entsetzt die Augen. Das gepeinigte Wimmern drang bis zu uns, wurde leiser, bis es verstummte. Kurz darauf fuhr das Gespann an. »Komm, wir müssen nach ihm sehen!«

»Nein! Lass ihn! Er wird sterben.«

Ich hörte nicht auf Grace, sondern rannte zum Schwarzen. Entgeistert taumelte ich zurück.Ist er tot?Vor mir lag ein Junge, kaum älter als ich mit meinen knapp neun Jahren. Er war nackt, ihm fehlten sämtliche Finger und aus den Wunden quollen dicke Maden.

»So eine grausame Verstümmelung, offensichtlich hat er gestohlen.«

Verdattert konnte ich den Blick nicht von diesem schmächtigen knochigen Körper lösen. Grace wusste so viel mehr, als ich mit meiner unbekümmerten Art. Sie war fünf Jahre älter. Mein Vater hatte einst ihre Eltern als Sklaven gekauft und freigelassen. Seitdem arbeiteten sie mit den anderen Bediensteten gegen Entlohnung auf unseren Tabakfeldern. Es gab Schwarze, Mulatten, Weiße und sie hatten eines gemein: ihre Freiheit. Das unterschied uns grundlegend von den Plantagen ringsum. Da ich keine Geschwister hatte, suchte ich oft Anschluss bei den anderen Kindern. Grace war mir von allen die liebste.

Meine Freundin nahm mich an der Hand. »Wir müssen verschwinden.«

Ich entdeckte ein Brandzeichen auf der Brust des Jungen. »B – wofür steht das?«

Grace seufzte. »Für die Bennett-Baumwollplantage.«

»Bennett – unser Nachbar?«

Sie nickte und zog mich fordernd ins schützende Dickicht.

»Ist … darf man das? Ihn ablegen?«

»Was weiß ich!«, zischte Grace sauer.

»Du hältst mich für dumm, nicht wahr?«

»Du hast keine Ahnung, was es bedeutet, schwarz zu sein! Was würde ich dafür geben, deine helle Haut zu haben!«

»Für mich ist das nicht wichtig. Ich wäre lieber kaffeebraun wie du oder meine Mutter.«

»Du bist tatsächlich dumm! Die Hautfarbe entscheidet über das Leben. Denkst du, einem Weißen würde so etwas passieren? Dein Vater schätzt uns. Aber du merkst selbst, wenn wir am Hafen sind, wie die Männer mir nachschauen. Ich bin für sie nur eine verderbliche Ware. Sobald ich alt genug bin, gehe ich fort in den Norden.«

Ich schluchzte.

»Mein Gott, weinst du jetzt?«

Mir wurde alles zu viel. Der tote Junge! Und Grace wollte gehen?

»Entschuldige, ich war grob.« Meine Freundin nahm mich in den Arm. »So rasch lass ich dich nicht allein.«

Ich wischte mir über die nassen Wangen.

»Deine Mutter Elina ist sicher froh, dass du hell bist. Sie weiß selbst, wie es sich anfühlt, wenn man von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Und das, obwohl ihre Eltern die Plantage aufgebaut haben und sie, seit Geburt, frei ist. Es gibt bloß wenige Männer – wie deinen Vater – die sich über die Konventionen hinwegsetzen, besonders bei uns im Süden. Deswegen müssen wir vorsichtig sein, auch du! Denn Sklavenfreunde sind hier nirgends gern gesehen.«

»Mutter hat nie etwas gesagt.«

»Das wird sie nicht tun, weil Elina dich vor allem Unheil auf dieser Welt schützen möchte. Doch der heutige Tag hat dir gezeigt, wie es wirklich ist. Menschen können Bestien sein.«

Bestien?Demnach musste Bennett eine Bestie sein. Schweigend rannten Grace und ich heim, begleitet von diesem grausigen Bild des Jungen in meinem Kopf.

*

»Herr Vater! – Mutter!« Finn Bennett rief schon von Weitem. In einer Hand hielt der Fünfzehnjährige ein Gewehr, mit der anderen schleifte er etwas Schweres hinter sich her. Es fehlte nicht mehr viel, dann würde er ebenso groß und stark wie sein Vater sein. Finn lief zwischen den alleeartigen Eichenbäumen hindurch, folgte dem weißen Kies, der direkt zum Haupthaus führte. Suchend schaute er zu den Fenstern und hoffte, dahinter eine Regung zu bemerken.

»Vater! – Mutter!« Sein Ruf wurde drängender. Wie zum Trotz standen die Säulen – einem Mahnmal gleich – vor ihm, erhaben, in stoischer Eintracht und stützten das schwere Dach. Um das gesamte Gebäude waren Veranden angeordnet, die Schutz spendeten vor Sonne, Regen und Wind. Von oben konnte man den angrenzenden Fluss sehen. Finn war das einerlei, aber sein schwächlicher Bruder Cedric saß oft dort und starrte stundenlang vor sich hin.

Als er an Cedric dachte, grunzte er verächtlich. Finn stolperte über einen Ast. Fast wäre er gestürzt. Hastig guckte er sich um.Jemand da?Er entdeckte niemanden. Nur der Wind rauschte durch die Blätter. Das hätte ihm gefehlt, dass er sich wegen einer Unachtsamkeit vor einem Sklaven blamieren würde. Erleichtert stieß er Luft aus. Er wischte sich über die schweißnasse Stirn. Das Hemd sowie sein schwarzes Haar klebten an der Haut. Finn umfasste das Gewehr und die Beute fester. »Ich hab ihn erwischt – diesen räudigen Köter – erlegt!« Wochenlang hatte er das Versteck ausgekundschaftet und darauf gewartet, bis er zuschlagen konnte.

Rasch eilte Finn weiter. Außer Atem drückte er mit seinen dreckigen Stiefeln die doppelflügelige Tür auf und zog das tote Tier achtlos über den blank polierten Steinboden ins herrschaftliche Haus. Thalia, die persönliche Haussklavin seiner Mutter Fiona, kam aus der Küche und erschrak, als der Knabe so plötzlich vor ihr auftauchte. Beinahe hätte sie die Wasserschüssel aus ihren Händen fallen lassen. Flüssigkeit schwappte auf den Boden und hinterließ eine kleine Pfütze.

»Master Finn, Sie sind heute besonders stürmisch.«

»Aus gutem Grund.«

»Das glaube ich aufs Wort.« Ihr Blick glitt über den schmutzigen Knaben. Das sonst weiße Gesicht war vom Staub schlierenartig dunkler gefärbt. Sogleich dachte sie daran, dass Sir Bennett vom äußeren Erscheinungsbild des Sohnes nicht begeistert sein würde. Jedoch der Kadaver des abgemagerten Tiers dürfte ihm noch weniger Freude bereiten, zumindest innerhalb dieser Räumlichkeiten. Thalia war versucht, Finn hinauszuschieben, wie sie es früher getan hatte, damit er oder sein Zwillingsbruder Cedric nicht den Groll des Vaters auf sich zogen. Doch so unberechenbar wie Finn in letzter Zeit war, wagte sie es nicht, sich ungefragt einzumischen. Seine Augen funkelten oft hart. Manchmal schaute er ganz eigenartig und erinnerte sie an einen brünstigen Stier. Momentan strahlten sie hingegen Ungeduld aus.

»Wo sind meine Eltern?«, herrschte der Bursche Thalia an.

Die Sklavin wich einen Schritt zurück. Schon jetzt befürchtete sie, dass Finn sich einmal als gnadenloser Herr in diesem Haus erweisen könnte. Zwar war Cedric um einige Minuten älter als sein Bruder, aber niemand auf der Plantage hielt es für möglich, dass der kranke Junge irgendwann den Besitz würde übernehmen können. Es gab Tage, da war dieser dem Tod näher als dem Leben. »Master Finn, sie sind bei Ihrem Bruder Cedric. Es geht ihm nicht gut. Ich bin auf dem Weg zu ihm, um kaltes Wasser zu bringen.«

Augenblicklich schob sich der junge Mann mit seiner Beute an ihr vorbei, streifte Thalias Busen, die unter dieser Berührung erschauerte. Die Zimmertür war weit geöffnet und bot freie Sicht auf Cedrics Bett. Der Vater stand wachend an der Seite, während seine Mutter auf einem Stuhl saß und unentwegt über die bleichen Wangen des Bruders strich.Wie erbärmlich! Derart umsorgt wurde ich nie!, grollte Finn insgeheim. Er stürmte in den Raum. »Ist er endlich tot? Genauso wie mein erlegter Hund?«

Tot?!Fiona schluchzte auf. Wie konnte Finn so etwas Grausames sagen? Sie brachte kein Wort heraus, verbarg ihre zittrigen Hände im Schoß, die sie krampfhaft ineinander verschränkte. Cedrics fahles spitzes Gesicht hob sich kaum vom weißen Bettlaken ab. Er schlief, erschöpft. Nur wenige Minuten zuvor hatte ihn ein heftiger Hustenanfall gepeinigt – wie so oft. Doktor Liam Jackson, der behandelnde Arzt, sprach von der Brustkrankheit, einer schlimmen Form mit dem Namen Asthma. Jedes Mal, wenn Cedric kaum mehr atmen konnte und seine Lippen sich blau verfärbten, hatte sie Angst, nein – schiere Panik – es wären die letzten Minuten mit ihrem Sohn.

»Was erlaubst du dir?«, donnerte die autoritäre Stimme des Vaters durch den Raum. Missbilligend betrachtete Nathaniel seinen verdreckten Jungen.

Thalia huschte seitlich vorbei.Oh, nein!Sie hatte es geahnt. Deutlich las sie Sir Bennetts Unmut anhand der tiefen Zornesfalte auf der Stirn ab, während Finn hochmütig die Schultern straffte. Wie konnte er gerade jetzt, wo es Cedric elendig ging, derart aufmüpfig sein?

»Schauen Sie, was ich hier habe!« Triumphierend hielt Finn sein Mitbringsel hoch.

»Du beschmutzt unser Haus mit einem räudigen Hund?«

»Erlegt von mir! Ihren Männern ist das nicht gelungen! Aber ich habe sein Versteck gefunden, ihm in der Nähe der Mühle beim großen Pekannussbaum aufgelauert! Was macht stattdessen dieser Taugenichts im Bett? An vielen Tagen kann er nicht einmal einen Löffel halten, geschweige denn eine Waffe!«

Ohne ein weiteres Wort schritt Nathaniel auf seinen Sohn zu, schlug ihm hart ins Gesicht. Finns Gewehr und Beute fielen zu Boden. Irritiert griff der Bursche auf die malträtierte Wange, sie schmerzte. Er zwinkerte, um die verräterische Nässe der Demütigung aus seinen Augen zu vertreiben.Geschlagen … vor einer Sklavin … vor Thalia!

»Nathaniel, oh mein Gott …«, wisperte Fiona.

»Sei still, Fiona!«, wies Nathaniel seine Frau grob zurecht.

Ich muss hier raus!Bevor Finn hinausstürmen konnte, ergriff ihn Vaters Hand.

»Äußere dich nie mehr abfällig über deinen kranken Bruder!«

Immer dreht sich alles um Cedric!Finn stöhnte gereizt.

»Du nimmst das tote Tier und vergräbst es – ohne jegliche Hilfe – allein!«

Finn wandte trotzig den Kopf ab.

»Sieh mich an!«

Widerwillig kam er diesem Befehl nach.

»Wenn ich ein weiteres Mal eine derartige Aussage von dir höre, schicke ich dich zur Baumwollernte in die Felder. Hast du mich verstanden?«

Soll das der Lohn für meinen Mut sein?Finn antwortete nicht.

»Hast du mich verstanden!« Nathaniels Umklammerung nahm an Intensität zu.

»Jawohl, Herr Vater«, entgegnete Finn gepresst. Rasch griff er nach dem Köter. Als er zum Gewehr langte, stieß sein Vater dieses mit dem Fuß weg.

»Das bleibt in meiner Verwahrung. Wie mir dein ungestümes Wesen zeigt, besitzt du nicht die nötige Reife, um mit einer Waffe zu hantieren. Und nun geh mir aus den Augen!«

Er macht mich zum Gespött innerhalb dieser Mauern!Finn schluckte seinen Hass herunter und rannte wütend aus dem Zimmer.

Sir Bennett blieb am selben Platz stehen. In seinem Gesicht zuckte ein nervöser Muskel.Verdammter Hitzkopf!Angespannt nestelte er am obersten Hemdknopf, um ihn zu öffnen.

»Nathaniel.« Fiona war aufgestanden. Beschwichtigend legte sie eine Hand auf seine Schulter. »Verzeih Finn, es ist nicht leicht, vom Kind zum Mann zu werden.«

»Sein mangelnder Respekt ist unentschuldbar!«

»Kannst du es ihm verdenken, stolz darauf zu sein, das Tier erlegt zu haben, nach dem wir wochenlang suchten? Diese Kreatur hat sich einen Säugling aus den Baracken geschnappt!« Fionas Stimme schnellte nach oben. Dieser Umstand ging ihr sehr nahe. Sie hatte selbst einst ein Mädchen verloren, und einen derartigen Verlust wünschte sie keiner Mutter – nicht einmal einer schwarzen.

Nathaniel schüttelte ihre sanfte Geste ab. »Du weißt so gut wie ich, dass er es nicht aus Nächstenliebe getan hat.«

»Er will sich dir beweisen, möchte deine Anerkennung und dein Lob.«

»Soll ich ihn zu einem Schwächling erziehen? Es reicht schon, wenn ein Sohn ...« Nathaniel brach ab und blickte zur Sklavin, die Cedrics Stirn mit einem feuchten Tuch kühlte. Ein Ruck ging durch seinen Körper. »Thalia, lass uns allein. Und schrubbe die Böden gründlich, damit sich im Haus keine Seuche ausbreitet.«

»Gewiss, Sir Bennett. Misses.« Thalia raffte ihren einfachen Rock. Sie eilte hinaus, wissend, dass die Anweisungen des Hausherrn keinen Aufschub duldeten.

Während Fiona an Cedrics Seite zurückkehrte, schaute Nathaniel der Sklavin nach, wie sie den Gang entlanghuschte. Gedankenverloren strich er über seinen buschigen Schnurrbart.Ein hübsches Ding!Volle Brüste und eine schlanke Taille, das mochte er, nur für dunkle Haut zeigte er keinerlei Vorliebe. Thalia war fügsam, gelehrig und eine verlässliche Stütze, besonders wenn es Cedric schlecht ging. Manchmal verblüffte es ihn, wie sehr sie ihrer Mutter Eliza ähnelte, der es nicht vergönnt war, das eigene Kind ein einziges Mal zu sehen. Er erinnerte sich an die damalige Szene, den leblosen Körper und an das viele Blut. Warum machte ihn das rührselig? Er hatte schon Schlimmeres erlebt!

Nathaniel unterdrückte einen ärgerlichen Seufzer, löste sich von seinem Platz und trat an Cedrics Bett, an dem seine besorgte Frau wachte. Was Fiona wohl dachte? Er beobachtete, wie sie das Tuch in Wasser tränkte, auswrang, um es schließlich sanft auf die Stirn des Jungen zu legen. Liebevoll fuhr sie durch dessen blonde Locken, so wie sie es bei ihm selbst gerne in trauter Zweisamkeit tat. Cedrics Wangen wirkten weniger blass. Das erleichterte Nathaniel und er hoffte, bald wieder in die wissbegierigen, blauen Augen seines Sohnes blicken zu dürfen.

Warum musst du solch eine Bürde tragen?,fragte er stumm, ohne eine Antwort darauf zu wissen. Trotz allem erduldete Cedric tapfer sein schweres Los. Sein Erstgeborener jammerte nie. Stattdessen las er häufig, manchmal, wenn es sein Zustand erlaubte, bis spät in die Nacht. Sein Französisch stand dem Englisch um nichts nach. Seit Neuestem versuchte er sich an deutschen Schriften. Cedrics Wissbegier und Intelligenz imponierten ihm. Aus diesem Grund hatte Nathaniel vor Monaten Kontakt zu seinem Vetter Hendrik aufgenommen.

»Noch nie hast du dich beklagt«, fing Fiona zaghaft an. »Ich weiß, es ist nicht leicht mit Cedric. – Aber Doktor Jackson hat gemeint, dass es sich auswachsen kann.«

»Liam sprach auch davon, dass eine Luftveränderung ihm guttun würde«, entgegnete Nathaniel härter als beabsichtigt.

Fiona sprang von ihrem Sitzplatz auf. »Wovon redest du?«

»Ahnst du es nicht längst?«

Sie raffte ihr Kleid, trat rastlos nach draußen auf die Veranda und blickte über einen Teil der fünfundzwanzigtausend Morgen großen Baumwollplantage hinweg. Vor ihr erstreckte sich eine Eichenallee mit vierundzwanzig Bäumen. Entlang der südlichen Straße standen in über dreieinhalb Meilen siebzig Holzbaracken, in denen die Sklaven auf engsten Raum untergebracht waren. Noch konnte sie den Mississippi-Fluss sehen, der sich nördlich in der Ferne zeigte, aber Jahr für Jahr schossen die Bäume weiter empor und würden in geraumer Zeit die Sicht verbergen. Im Hafen lagerte ein Handelssegler. Dorthin wurde die Baumwolle gebracht, um in fremde Länder verschifft zu werden. Es schmerzte in ihrer Brust. Sie wusste genau, worüber ihr Gemahl sprach. »Du möchtest Cedric nach Europa schicken? Ist es das, was du mir sagen willst?«

Nathaniel war ihr gefolgt. »Hendrik hat meinem Schreiben geantwortet. Er wird Cedric zu sich nehmen. Die Universität in Gießen zählt zu den anerkanntesten weltweit.«

»Nach Deutschland? Ich hatte nicht erwartet, dass du es ernst meinst. Cedric würde eine derart anstrengende Reise niemals überstehen! Wie kannst du das in Betracht ziehen?«

»Wir haben so vieles probiert, auch die neue Lobelien-Tinktur zeigt kaum Wirkung.«

»Was ist, wenn er auf hoher See stirbt?«, fragte sie tonlos.

Nathaniel schwieg.

»Willst du das herausfordern?«

»Denkst du, dass es für ihn bei uns sicherer ist? Was hat er denn für ein Leben?« Er klang gereizt.

»Noch bin ich nicht bereit dazu.«

»In diesem Fall geht es nicht um deine Befindlichkeiten! Cedrics Stärke ist sein Verstand. Bei Hendrik könnte er bestens gefördert werden. Als Professor hat mein Cousin vielfältige Möglichkeiten, sich um unseren Jungen zu kümmern. Sein Haus liegt unmittelbar neben der Lehranstalt. In Gießen könnte Cedric ein Studium der Jurisprudenz abschließen, Erfahrungen fürs Leben sammeln, eine andere Kultur kennenlernen und unsere Familien näher zusammenführen.«

»Anscheinend hast du alles bis ins Detail geplant.« Sie zitterte.

»Deshalb …« Nathaniel straffte die Schultern. »… müssen wir in die Zukunft schauen. Es werden schwierige Zeiten auf uns zukommen. Der elende Ruf nach der Abschaffung der Sklaverei wird zusehends lauter. Diese Hinterwäldler bedenken nicht, dass, ohne solche Arbeiter, die Felder unmöglich in diesem Ausmaß bewirtschaftet werden können. Wie wir beide wissen, hat Cedric weder die körperliche Voraussetzung noch das Rückgrat dazu, sich gegen diese Hetzer aufzulehnen. Und nebenbei, ich kann die leidige Rivalität zwischen unseren Söhnen nicht länger mitanschauen!«

Die Sklavenproblematik war im Augenblick Fionas geringste Sorge. Sie ging nicht darauf ein.Mein armer Cedric,kreiste es in ihrem Kopf. »Du willst deinen Erstgeborenen, dein Ebenbild, über Jahre wegschicken?«, brachte sie stoßweise hervor.

Hart umfasste Nathaniel ihren Oberarm. »Es gibt keinen geeigneteren Ort für ihn. Das weißt du.«

»Verzeih, ich bin verwirrt. Als Mutter wünsche ich das Beste für unsere Söhne. Vielleicht sehe ich deshalb nicht klar, da ich sie beschützen und behüten möchte. Darüber hinaus vergesse ich, dass sie im Begriff sind, dem Kindesalter zu entwachsen. Das zeigt auch Finns Reaktion und sein überschießendes Temperament.«

Nathaniel ließ sie los. »Ich werde ihn schon formen.«

Fiona machte ein unglückliches Gesicht. »Hoffentlich stachelt ihn das nicht weiter auf.«

Nathaniel schnaufte ungehalten. »Seit wann zweifelst du meine Überlegungen an?«

»Das möchte ich keineswegs, denn ich weiß, dass deine Entscheidungen mit Bedacht und Umsicht getroffen werden«, lenkte Fiona ein. »Aber, liebster Gemahl, ich bitte dich um etwas Langmut für Cedric. In seinem derzeitigen Zustand schafft er eine solche Reise nicht. Und Nachsicht für Finn, er will dir gefallen. Sei nicht zu streng mit ihm.«

»Du wiederholst dich.« Nathaniel wirkte weniger grimmig. »Nun gut, wir lassen Cedric erstmal zu Kräften kommen. Trotz allem, meine Entscheidung steht fest. – Wenn es so weit ist, möchte ich von dir keine Widerworte hören.«

Fiona schluckte. »Gewiss, Liebster.«

Nathaniel verließ die Veranda, während sie im Schatten Zuflucht suchte. Tränen rannen über die Wangen und tropften auf das Holz zu ihren Füßen. Die Vorstellung, ohne ihr Kind zu sein, brach ihr das Herz. Dennoch musste Fiona sich eingestehen, dass ihr Mann recht hatte. Manchmal erträumte sie, dass die Zwillingsbrüder zu einer Person verschmelzen würden: Finns Stärke und Mut gepaart mit Cedrics Verstand und dessen Güte. Schon im nächsten Moment hasste sie sich für diese Gedanken. Sie liebte beide Söhne. Nur Finn machte es ihr neuerdings besonders schwer. Er begehrte ständig auf, sogar gegen den Vater. Sie hatte keinen Zugang mehr zu ihm. Fiona ahnte, dass dahinter versteckter Neid lag. Vor allem missbilligte Finn die Fürsorge, die seinem Bruder entgegengebracht wurde. Warum erkannte er nicht, dass, wenn er an Cedrics Stelle wäre, sie ihn ebenso liebevoll pflegen würde? Wie glücklich konnte sich Finn schätzen, gesund zu sein, zu kommen und zu gehen, wie es ihm beliebte!

Fiona schluchzte. Sie drückte sich tiefer in die seitliche Nische der Wand.Vielleicht ist es tatsächlich überfällig, Cedric wegzuschicken, damit Finn sich nicht länger zurückgestellt fühlt.

*

Finn war durstig, hungrig und müde, dabei sollte er den verdammten Köter vergraben.Niemals!,dachte er zornig. Der Junge schlich an den Holzbaracken entlang. Der Zeitpunkt war günstig, denn die Sklaven arbeiteten auf dem Feld. Er öffnete die Tür der letztgereihten Hütte. Rasch duckte Finn sich ab. Ein Schwarm Fliegen gierte dem Licht entgegen, der über die zahlreichen Ritzen ins Innere gelangt war. Als das Surren der Insekten verstummte, spähte er hinein.Leer! Kein nichtsnutziger Nigger da, der auf krank macht!

Erleichtert atmete er auf und huschte in die Baracke. Bald gewöhnten sich seine Augen an die Düsternis. Es gab nur das Licht, das zwischen den Holzbrettern hindurch schien. Die Hütte war in zwei Hälften aufgeteilt, in jeder schliefen acht bis zehn Sklaven. Der Fußboden bestand aus gestampfter Erde. Als Betten dienten Planken und Holzscheite ersetzten die Kissen. Finn schleppte das tote Tier zur seitlichen Wand. Neben der einfachen Feuerstelle lag etwas Zunder, den er auf dem Kadaver drapierte. Er nahm das Schlageisen sowie den Feuerstein und entfachte mit den Funken eine Flamme. Als er diese anblies, züngelte sie größer werdend empor. Schnell legte er Planken und Holzscheite hinzu, verließ die Baracke, um sich hinter einem nahegelegenen Busch zu verschanzen.

»Das passiert, wenn man meinen Einsatz nicht würdigt.« Finns Hände waren zu Fäusten geballt. Es prasselte. Das Feuer fraß sich knisternd rasch durch die dünnen Holzwände, der Wind trug die Funken Richtung Himmel empor. Erst, als die Flammen das Dach erfasst hatten, löste er sich aus seinem Versteck und lief zufrieden zum Herrenhaus zurück.

*

»Sir Bennett!«, rief Thalia entsetzt. »Es brennt!«

»Was zum Teufel …« Nathaniel hatte eine Rüge auf den Lippen, anlässlich Thalias Unverfrorenheit unerlaubt in sein Büro zu laufen. Er hielt inne, als er die Rauchschwaden durch das Fenster entdeckte. »Verdammt! Läute den Alarm und schicke alle zum Teich! Nehmt Eimer mit! Ich reite voraus!«

Mit einer Hacke in der Hand zog Sir Bennett einen tiefen Graben, um ein unkontrolliertes Ausbreiten des Feuers zu unterbinden. Die glühende Hitze durchdrang seine Kleider, er schwitzte. Endlich eilte Unterstützung herbei und Nathaniel musste nicht mehr alleine schuften. Plantagenarbeiter, aufgeschreckt durch den Alarm, bildeten eine Menschenkette von der Feuerstelle zum Teich und gaben reihum die gefüllten Wassereimer weiter.

Eine Windböe ließ Flammenfunken tanzen und wirbelte Asche umher. Nathaniel hustete. »Schneller!«, krächzte er. Diese Baracke war verloren, soviel stand fest.Wird der Graben die Feuersbrunst aufhalten können?

»Hierhin, das Wasser muss an diese Seite!« Sir Bennett goss an vorderster Front kontinuierlich das Nass über die Flammen. Endlich zeigte der Einsatz Wirkung. Das Feuer wurde kleiner, erstickte unter dem Inhalt der vielen Eimer Wasser. Der dicke Qualm verzog sich und im Hintergrund stiegen feine Rauchfäden auf. Doch dieser Umstand steigerte Nathaniels Laune nicht im mindesten.

»Wer von euch Halunken hat mit dem Feuer hantiert und mein Hab und Gut zerstört?« Sir Bennett schritt an der Sklavenreihe entlang. Stetig ließ er einen Stock klatschend in seine Handfläche sausen. Die vornehme Kleidung war bedeckt mit einer Schicht aus Ruß und Staub, sodass er sich kaum von den Untergebenen unterschied. »Nun, was ist!?«

Keiner antwortete. Die ausgemergelten Männer und Frauen senkten ihre Köpfe. Sie fürchteten sich vor dem Zorn ihres Herrn.

»Niemand? Wenn dem so ist, lasse ich euch alle nacheinander an den Pfahl stellen und auspeitschen!«

Ein Geraune ging durch die Reihen. Niemals wollten sie freiwillig dorthin, schon gar nicht schuldlos!

»Verzeihen Sie, Sir Bennett, aber wir waren alle in den Baumwollfeldern.«

»Lawrence – war es deine Unachtsamkeit?« Nathaniel stellte sich direkt vor den jungen Sklaven, der mutig genug war, um zu sprechen.

»Nein, Sir Bennett, ich …«

»Hast du dich früher entfernt?«

»Es ist nicht so, wie Sie denken!«

»Quentin!«, rief Nathaniel seinen Vorarbeiter zu sich. »Kannst du mir bestätigen, dass Lawrence sich durchgehend auf den Feldern befand?«

»Er war nicht ständig in meinem Blickfeld«, entgegnete Quentin und rückte seinen Hut zurecht.Wie auch, fügte er gedanklich hinzu, immerhin hatte er sich selbst entfernt, um nach der Stute zu sehen, die bald fohlen sollte. Dabei war ihm Finn in der Nähe der Sklavenunterstände aufgefallen. In dessen Hand hatte er einen Kadaver gehalten. Ob er der Brandstifter war? Quentin forschte in Finns Gesicht, entdeckte darin eine Mischung aus Belustigung und Hohn. Dennoch wäre es ein Unding, den Jungen des Hauses öffentlich zu denunzieren.

»Sir, ich … ich würde niemals meine Schlafstelle abfackeln!« Hilfesuchend schaute Lawrence zu Quentin. Der Aufseher schwieg.

»War das ein Eingeständnis?«

Lawrence wich zurück.

»Quentin, was denkst du?«

Der Genannte räusperte sich. »Ich denke, dass er Zeit gehabt hätte. Von seinem Tagessoll ist er ebenso entfernt.«

Lüge!Hilflos hob Lawrence seine Hände. Coco und er waren heute die schnellsten Arbeiter gewesen. Während er den Boden mit einer Harke aufgelockert hatte, rupfte sie das Unkraut aus.»Nein, Sir Bennett, ich … wir …« Lawrence brach ab, als er Cocos verängstigten Blick bemerkte. Er durfte nicht ihren Namen nennen, sonst würde sie ebenfalls bestraft werden. »Sir, ich flehe Sie an …«, versuchte er es ein letztes Mal, obwohl ihm längst bewusst war, dass es keine Gnade geben würde.

»Wimmere nicht wie ein einfältiges Weib! – An den Pfahl mit ihm. Zwei Tage ohne Wasser und Nahrung, und fünfzig Peitschenhiebe!«

Quentin ergriff Lawrence hart und zog ihn aus der Reihe. Carter, ein weiterer Aufseher, half ihn wegzuschaffen.

Nathaniel wendete sich den verbliebenen Leibeigenen zu, deren Mienen versteinert wirkten. »Sollte es einen Komplizen geben, finde ich ihn. Jonathan, Vincent – ihr bewacht die Feuerstelle, bis die Asche kalt ist. Die fehlenden Arbeitsstunden von heute werden morgen nachgeholt. Und der Rest teilt sich auf! Sofort!«

*

Cedric stand auf der Veranda. Er fühlte sich kraftlos, dennoch hatte er es gewagt, heimlich das Zimmer zu verlassen. Vielleicht schaffte es die frische Luft, den Nebel in seinem Verstand zu vertreiben, der sich häufig nach einem derart schweren Anfall im Kopf einnistete. Er horchte in sich hinein und spürte, wie langsam seine Lebensgeister zurückkehrten. Im Ohr hallte das Gespräch der Eltern nach. War es ein Traum oder hatte Vater tatsächlich von Deutschland gesprochen? Je klarer er wurde, desto mehr Gewissheit erlangte er, dass es stimmte. Ihn ergriff eine sonderbare Unrast. War das eine Chance? Eine Reise in die Ferne? Sehnsucht loderte in ihm auf, gefolgt von einem Zittern, das sich bis in seine Beine ausbreitete. Cedric klammerte sich ans Geländer. Da bemerkte er im Schatten unter ihm eine Regung. Er blinzelte. Cedric erkannte schemenhaft Lawrences Gestalt am Pfahl. Sprach da wer?Quentin!Gab Vaters Aufseher dem Sklaven Wasser? Es sah danach aus.

Gott segne dich!Im Stillen war Cedric dankbar für jene Menschen, die Mitgefühl und Herz zeigten, auch wenn sie sich nur trauten, im Hintergrund zu agieren. Lautlos schlich er ins Hausinnere zurück, um seinem geschwächten Körper die nötige Ruhe zu geben.

Lawrence hing matt in den Seilen. Die harte Arbeit auf den Feldern, die Hilfe beim Löschen sowie die Peitschenhiebe zollten ihren Tribut. Plötzlich fühlte er ein feuchtes Tuch an den Lippen. Er blinzelte und bemerkte Quentin.

Hab Dank … für Ihr Erbarmen.Seine Zunge war zu schwer, um den Gedanken auszusprechen. Alles in ihm gierte nach diesen wenigen Tropfen.

»Sieh mich nicht so an!«, flüsterte Quentin barsch. Er drehte das Stück Stoff, damit Lawrence von der anderen Seite ans verlockende Nass kam.

»Das wird jetzt weh tun, soll dich aber vor einer Entzündung bewahren.«

Quentin streute Schießpulver in die offenen Wunden am Rücken. Lawrence unterdrückte einen Schmerzensschrei, als sich das Pulver wie Säure in seinen Körper fraß. Er atmete schwer.

»Bald lässt es nach.«

Lawrence saugte mit letzter Kraft ein paar Tropfen Wasser aus dem Tuch.

»Ich war niemals hier.« Quentin ging und ließ den Sklaven am Pranger in der untergehenden Abendsonne zurück.

*

»Bitte, Thalia, begleite mich auf die Veranda.«

Die Sklavin zuckte bei Cedrics Wunsch zusammen. »Ist es Ihnen heute draußen nicht zu heiß?«

Cedric stutzte, noch nie hatte Thalia gezögert. Er musterte sie. Ihre Augen wirkten verquollen. »Ich brauche Luft, im Zimmer ist es zu stickig.«

»Wie unachtsam von mir.« Schnell fasste sie ihren Master am Arm und half ihm auf die Veranda. Cedric glitt in den weißen Schaukelstuhl, der unter seiner Last vor und zurück wippte.

»Besser.« Tief aus- und einatmend, versuchte er, dem pfeifenden Geräusch in seiner Lunge nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Doch das beklemmende Gefühl wollte nicht weichen. Cedric lugte hinunter in den Hof, wo Lawrence nach wie vor gefesselt am Pranger hing. Trotz der Ferne erahnte man den geschundenen Körper sowie die rot aufgescheuerte Haut an den Gelenken. Die Wolken am Himmel machten die Hitze ein wenig erträglicher. Cedric konnte solch einer Tortur nichts abgewinnen. Schon so oft hatte er misshandelte und sterbende Sklaven gesehen. Gerne würde er die Ketten lösen und seinem Vater Paroli bieten! Innerlich fluchte Cedric, er schluckte und spürte, wie der Kloß im Hals sich weiter ausbreitete.Ist das der Vorbote eines neuen Anfalls?

»Thalia.« Seine Stimme klang rau. Da vernahm er ihren erstickten Schluchzer. Eigentlich wollte er sie bitten, das Glas mit der Tinktur zu holen, doch nun … Er zwang sich, gleichmäßiger zu atmen. »Ich habe mich in den letzten Wochen gefragt, wer dein Herz erobert hat. Wegen Lawrence warst du derart froh und hast gesungen, nicht wahr?«

Thalia drehte sich von ihm weg.

»Bitte, antworte mir. Du weißt, dass du von mir nichts zu befürchten hast.«

Thalia nickte. »Lawrence bat mich, seine Frau zu werden. Er wollte alsbald Ihren Vater um Erlaubnis bitten.«

»Vaters Strafe ist zu streng und unwürdig.«

»Master …« Thalia brach ab, sie verbarg ihr gequältes Gesicht nicht länger.

»Gerne würde ich euch allen die Freiheit schenken, wie es im Norden üblich ist und in den Zeitungen steht.«Verdammt – nicht schon wieder!Fest klopfte Cedric sich auf die Brust, als könnte er damit die überschüssige Luft und den zähen Schleim aus dem Körper befördern.

»Nicht so laut, Master Cedric! Was ist, wenn Ihr Vater Sie auf diese Weise reden hört? – Sie dürfen sich nicht aufregen!« Thalia hastete ins Haus, um die Lobelien-Tinktur zu holen.

»Irgendwann werde ich es vermutlich herausfinden«, sprach Cedric mit dünner Stimme.

»Trinken Sie!«

Ehe Cedric nach dem Glas greifen konnte, überrollte ihn ein Hustenanfall, angestrengt schnappte er nach der kostbaren Luft.

»Vornüberbeugen!«, wies Thalia an. Sie nahm seine Hand. »Langsam ausatmen.«

Cedric bemühte sich, seine Atmung ihrer anzupassen.

»Langsamer … ja, genau so.«

Nach schier endlosen Minuten wurde er ruhiger. Thalia führte das Glas an seine Lippen. Er trank einen Schluck.Überstanden. Wieder einmal.Erst jetzt spürte er den kalten Schweiß auf der Stirn, die bleierne Müdigkeit im gesamten Leib, das heftige Klopfen seines Herzens. Er hasste es, wenn er den Launen des Körpers ausgeliefert war und die Hustenanfälle in sein Leben pfuschten. Dabei gab es Tage, manchmal sogar Wochen, in denen er sich wohlfühlte, gesund – und dann, wie aus heiterem Himmel, kam er physisch an seine Grenzen, als wäre er ein Greis.Ist das ein Leben? Ja, seines,stellte er verbittert fest. Doch der Blick auf Lawrence relativierte vieles. Thalias unglückliche dunkle Augen offenbarten größeren Kummer, als sein eigener war.

»Master Cedric, ich bringe Sie besser hinein.«

Er nickte, ließ sich führen. Matt fiel er ins Bett. »Ich danke dir.«

Sorgsam zog sie die Decke über den Körper. In all den Jahren seines Leidens saß jeder Griff. Cedric döste vor sich hin. Als er erwachte, lächelte Thalia zaghaft, die achtsam an seiner Seite geblieben war.

»Möchten Sie einen Schluck Wasser?«

Cedric schüttelte verneinend den Kopf. Erneut drang Lawrence in seine Gedanken. Wie durstig musste er sein? Keinesfalls hielt er ihn für den Brandstifter. »Weißt du eigentlich, wer das Feuer gelegt haben könnte?«

Schlagartig wirkte Thalia verschlossen und rückte etwas ab. »Das ist kein gutes Thema.«

»Sag schon.«

»Ich … ich bin mir nur sicher, dass Lawrence unschuldig ist, er kam mit den anderen von den Feldern. Wie konnte Quentin ihn bloßstellen?«

»Ich kann es dir nicht verdenken, dass du traurig und enttäuscht bist, aber du solltest stolz auf deinen Lawrence sein.«

Stolz?Verwirrt schaute Thalia auf.

»Vater hätte bestimmt alle Bewohner der Hütte für das Feuer verantwortlich gemacht. Sein Mut zu sprechen, bewahrte somit achtzehn Menschen vor unwürdigen Qualen.«

»Lawrence ist unschuldig! Verzeihen Sie, Master Cedric, niemand sollte für etwas bestraft werden, das er nicht getan hat!«

»Da stimme ich dir zu. Dennoch haben wir mitunter Befehle, die wir ausführen, obwohl wir dadurch Leid über andere bringen und nicht gerecht sind.«

»Wovon sprechen Sie?«

»Quentin stand gestern Abend neben dem Pranger.«

»Um was zu tun?«

»Darüber kann ich höchstens mutmaßen. Es sah allerdings so aus, als wollte er etwas von seiner Schuld begleichen.«

»Eben! Quentin ist normalerweise nicht böswillig.« Thalia senkte ihre Stimme. »Lawrence hat erzählt, dass er die Strafen abmildert. Wenn Ihr Vater die Arbeiter mit Wasser- und Essensentzug mürbe machen möchte, findet er einen Weg, ihnen etwas zuzustecken. Und nun das – niemals hätte ich erwartet ...«

»Mutter hat mir davon berichtet. Vater war dermaßen aufgebracht, dass noch Stunden später seine Stimme durch das gesamte Haus polterte. Trotzdem, Quentin ist seine rechte Hand. Ich will das Geschehene nicht kleinreden, aber ich denke, dass er zu diesem Zeitpunkt keine Wahl hatte, um weiterhin in Vaters Gunst zu bleiben. Würde statt Quentin ein anderer den Platz einnehmen, der kein Pardon kennt, wäre uns allen nicht gedient.«

»Mein Kopf weiß, dass Sie recht haben, mein Herz tut es nicht. Wir sind alle dieselben Menschen, haben Hände und Beine, rotes Blut, nur die Farbe der Haut unterscheidet uns. Seit Jahren diene ich, doch je älter ich werde, umso spürbarer sind die Unterschiede. Ein einziges Wort kann uns in Ungnade fallen lassen, während andere Narrenfreiheit haben.«

»Nie zuvor habe ich dich derart reden gehört. Was verbirgst du?«

Sie schüttelte abwehrend den Kopf.

»Thalia, ich mag fünfzehn sein, doch ich kenne dich seit meiner Geburt«, rügte er. »Viele Jahre dachte ich, du wärst meine Schwester, und im Herzen bist du es nach wie vor. Ich sorge mich um dich, um dein Wohlergehen, wie du es tagtäglich bei mir tust. Sprich mit mir. Denn wer weiß, wie lange du es noch tun kannst.«

»Ich verstehe nicht.«

»Ich werde nach Europa gehen.«

»Europa?«, wiederholte sie ungläubig.

»Sobald es mein Zustand erlaubt. Vater mag dann Finn in jene Kniffe einweisen, die es benötigt, um sein würdiger Nachfolger zu werden. Obendrein muss keiner mehr auf mich Rücksicht nehmen.«

»Master Cedric, aber eine derart lange Seefahrt …!«

Cedric lächelte müde. »Sorgst du dich darüber, dass ich sterben könnte?«

Thalias Augen schimmerten.

»Der Tod begleitet mich jeden Tag.«

Entsetzt schlug sie die Hände vor ihrer Brust zusammen. »Bitte, sagen Sie so etwas nicht!«

»Ach, Thalia. Ich will nicht dein Bedauern. Zwar schränkt mein Körper mich ein, doch ich bin frei, das ist mehr als du und deinesgleichen haben.« Er räusperte sich, um den Schleim aus seiner Kehle zu bekommen. »Nun erzähl mir, was dich bedrückt. Vielleicht schaffe ich es, solange ich hier bin, ein gutes Wort für deinen Lawrence einzulegen.«

Thalia seufzte. »Ich möchte niemanden fälschlicherweise beschuldigen.«

»Hast du jemanden gesehen?«

»Ich weiß nicht … aber Jonathan meinte, dass ein Tierskelett in der Feuerstelle gefunden wurde«, sprach sie hastig.

Finn?»Ist es von einem Hund?«

»Ich bin nicht sicher, Master Cedric.«

Cedric kannte die Antwort, auch wenn sie es nicht zugab. Sie hatte in all den Jahren gelernt, ihre Worte mit Bedacht zu wählen, damit sich diese nicht zu ihrem Nachteil umkehrten. »Thalia, bitte sag mir, wenn Vater im Haus ist. Ich muss mit ihm sprechen.«

*

Erstaunt blickte Sir Bennett von den Unterlagen auf, als Cedric sein Büro betrat. Die Kleider seines Sohnes waren viel zu weit, die Hosen baumelten lose an den Beinen herab. Er wusste, dass sich darunter ein schmächtiger Körper verbarg, als würde dieser bloß aus Haut und Knochen bestehen. Erstaunlich, wie zäh ein Mensch sein konnte. Cedric stand vor ihm, hielt sich kerzengerade und hatte die Schultern zurückgezogen, sodass nicht einmal ein Offizier eine stolzere Haltung hätte einnehmen können.

»Wie ich sehe, geht es dir besser.«

»Ja danke, Herr Vater. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.«

»Nein, nimm Platz. Was hast du auf dem Herzen?«

»Die Haussklaven sprechen davon, dass in der niedergebrannten Baracke ein verkohltes Tierskelett gefunden wurde.«

»Das sollte dich nicht weiter belasten. Wahrscheinlich wollte Lawrence auf eigene Faust einen Leckerbissen grillen.«

»Das halten Sie für möglich?«

Nathaniels Augen verengten sich. »Wir haben den Schuldigen für den Brand gefunden und er erhält seine gerechte Strafe am Pfahl. Niemals werde ich es dulden, dass irgendjemand mein Eigentum zerstört.«

»Ich dachte, Finn hätte einen räudigen Köter gefangen und statt wie versprochen, zu vergraben, lieber bei den Sklaven entsorgt.«

Nathaniels Hand donnerte auf die Tischplatte. »Du beschuldigst deinen Bruder? Mit welchem Recht?«

Cedric blieb ruhig. »Mit dem Recht des Erstgeborenen, auch wenn Sie mich nicht für würdig halten, jemals die Plantage zu leiten.«

Irritiert blinzelte sein Vater. »Davon kannst du nichts wissen, es sei denn …«

»Mein Schlaf war nicht so tief, wie Sie es sich wahrscheinlich dachten. Es ist keineswegs meine Art zu lauschen, aber Sie waren bei mir im Zimmer und aufgrund meiner Schwäche konnte ich mich nicht bemerkbar machen.«

Nathaniel sprang von seinem Stuhl auf, rastlos ging er vor dem Fenster umher.

»Von Gießen weiß ich ebenfalls, wenn Sie sich das fragen«, fuhr Cedric fort.

»Ich will das Beste für dich«, sprach sein Vater weich.

»Dessen bin ich mir bewusst. Ich möchte Sie deshalb ersuchen, mich alsbald zu Ihrem Vetter Hendrik zu schicken, um Rechtswissenschaften zu studieren. Dennoch habe ich eine Bitte.«

Perplex hielt Nathaniel in seinen Bewegungen inne. »Die wäre?«

Cedric erhob sich, ihm schwindelte und er musste sich kurz abstützen.Wie kann der Geist klar sein, während sich der Körper derart schwach fühlt?»Entscheidet erst über die Nachfolge, wenn ich heimgekehrt bin.«

»Um ehrlich zu sein, Sohn, glaube ich nicht, dass du jemals die nötige Courage besitzen wirst, diese Sklaven mit der erforderlichen Härte zu leiten. Unabhängig von deiner körperlichen Verfassung.«

»Im Moment nicht, aber sollte ich zurückkehren – wie wir beide wissen – was schon aufgrund meines gesundheitlichen Befindens fraglich ist, möchte ich eine Chance bekommen, um mich zu beweisen. Mit all der Erfahrung, die sich mir in der Fremde bieten wird. Hat das keinen Wert? Denken Sie an Ihren Großvater, der aus dem fernen England entstammt und an die Familie Ihres Cousins, die sich in Deutschland niedergelassen hat. Ist das nicht ebenso der Sinn meiner Reise?«

Nathaniel kratzte sich am Kinn. Cedrics Offensive überraschte ihn, während sie ihm zeitgleich imponierte und ihn erleichterte. Er hatte seinen Jungen richtig eingeschätzt. Cedric war schlau genug, um zu begreifen, dass er auf der Plantage seine Wissbegier nur begrenzt ausleben konnte. Ferner würde Finn sich als Nachfolger sicher fühlen, sodass er nichts weiter erklären müsste. Darauf hatte er gehofft. »Meinetwegen. Ich habe ohnehin nicht vor, in den nächsten Jahren abzudanken. Leider wird deine Mutter über diese Reise nicht erfreut sein. Ihr Missfallen hat sie bereits ungefragt ausgedrückt.«

»Ich werde ihr nahebringen, dass es mein ausdrücklicher Wunsch ist.«

»Dann soll es so sein.«

»Um noch einmal auf den Sklaven Lawrence zurückzukommen …«

»Zu diesem Thema ist alles gesagt!«

»Bitte, Herr Vater, darf ich wenigstens Thalia mit Ihrem Einverständnis erlauben, Lawrence etwas Wasser und einen Teller Bohnen zu bringen.«

»Essen? Erinnere dich an das Gleichnis aus dem Lukas-Evangelium!

Wenn einer von euch einen Sklaven hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Nimm gleich Platz zum Essen?

Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und bediene mich;

wenn ich gegessen und getrunken habe, kannst auch du essen und trinken.

Bedankt er sich etwa bei dem Sklaven, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde?– Nein!

So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.

Demnach, was schert dich dieser nutzlose Sklave?«

»Lawrence steht am Pranger, wie befohlen, hat er damit nicht seine Schuldigkeit getan?«

»Du willst Thalia begütigen, eine Unfreie, auch wenn du und deine Mutter das allzu oft vergessen. Soll ich Milde walten lassen, bloß weil sie eine tiefere Empfindung für diesen Sklaven hegt?«

»Ich bestreite nicht, dass Thalia etwas an Lawrence liegt. Bitte, bedenkt allerdings, ohne ihre Aufmerksamkeit wären sicherlich mehrere Baracken abgebrannt.«

»Dann müssten die Unfreien enger in den anderen Hütten zusammenrücken.«

Cedric biss sich auf die Zunge. Wie konnte man so hartherzig sein? Er spürte, wie ihn ein unheilvolles Zittern ergriff. Trotzdem wusste er genau, dass er Vater nicht länger bedrängen durfte. Er atmete tief durch. »Wenn Sie erlauben, würde ich mich gerne zurückziehen, um meine Kräfte für die bevorstehende Reise zu sammeln.« Gerade, als er sich zur Tür umdrehte, ließ Vaters Stimme ihn innehalten.

»Verflucht, nun gut. Etwas Wasser und einen Teller. Ausnahmsweise, ehe ich es mir anders überlege. Aber Lawrence bleibt bis morgen früh am Pfahl!«

Woher kam der plötzliche Gesinnungsumschwung? Cedric wollte es nicht weiter hinterfragen, sondern freute sich darauf, Thalia die Neuigkeit zu überbringen. »Ich danke Ihnen, Herr Vater.«

Sir Bennett brummte etwas Unverständliches und entließ seinen Sohn mit einer flüchtigen Handbewegung.

*

Fiona saß im Schaukelstuhl bei einer Stickarbeit, unterdessen las Nathaniel vertieft in der Zeitung. Auf diese Weise füllten sie die langen Sommertage, wenn keine weiteren Termine anstanden. Fiona schaute hoch, direkt auf das Familiengemälde über dem Sims. Die Zwillinge waren darauf knapp drei Jahre alt. Cedric saß blass auf ihrem Schoß, während Finn, griesgrämig, wie er schon damals war, neben Nathaniel stand. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wann zwischen den Geschwistern Innigkeit bestanden hatte. Erschreckenderweise fiel ihr kein einziger Moment ein. Nicht einmal, als die beiden Säuglinge waren, hatten sie sich aneinander gekuschelt.

Ihr Blick glitt weiter. Der offene Kamin blieb im Sommer ungenutzt. Auf dem kleinen Eichentisch stand ein bunter Blumenstrauß. Thalia hatte eine gute Auswahl getroffen mit den rot-, weiß- und rosafarbenen Hortensien. Doch mittlerweile ließen sie ihre Blütenköpfe hängen und müssten erneuert werden. Nur gerade jetzt wollte Fiona ihre Ziehtochter nicht mit einer solchen Kleinigkeit behelligen.

»War es deine Idee, dem Sklaven Essen und Trinken zu geben?«, fragte sie in die Stille, die durch das Rascheln des Papiers unterbrochen wurde.

»Nein, jene von Cedric.« Nathaniel blätterte um.

»Schön, dass du es erlaubt hast. Anscheinend mag Thalia diesen Lawrence sehr. Zumindest konnte ich zuvor mit dem armen Ding nichts anfangen. Verlangte ich nach einem Wasser, brachte sie mir die Bürste. Als ich sie gebeten hatte, mir vorzulesen, ging sie in den Garten und kam mit einem Salat herein. Nun wirkt Thalia wenigstens hoffnungsvoller.«

»Ich weiß nicht, wohin das Ganze überhaupt führen soll. Thalia kann froh sein, dich als Herrin zu haben, denn solche Nachlässigkeiten hätte ich niemals geduldet.«

Fiona schmunzelte. »Jeder denkt, dass du ein Raubein bist, aber ich kenne dich besser. Mir ist dein Arrangement mit Quentin aufgefallen.«

Nathaniel ließ die Zeitung sinken. Wovon sprach sie da?

»Du hast ein Herz, das hast du mir bewiesen, als du damals Thalia zu mir brachtest. Du magst das Mädchen, obwohl du das geschickt versteckst, damit niemand dir eine Schwäche unterstellen oder deine Macht anzweifeln könnte. Niemals …« Sie brach ab, als hätte sie zu viel gesagt.

Nathaniel blinzelte.Weiß Fiona von Quentins Vaterschaft? Unmöglich!Seine Frau hatte damals nicht nach dem leiblichen Vater gefragt, zu sehr bestürzte sie Elizas Tod. Außerdem war das zu lange her! Nur mehr Quentin und er kannten die genauen Umstände. Sir Bennett räusperte sich. »Niemals? Sprich fort, meine Liebste.«

Fionas Wangen glühten. Was tat sie da? »Liebster, ich habe mich falsch ausgedrückt. Die Jahre scheinen dich milder zu stimmen. Obwohl? Liegt es an Linus Hanson, unserem Nachbarn, seit du öfter mit ihm zu tun hast? Mir kommt es vor, dass sein Einfluss dich in deinem Tun besänftigt. Offenbar funktionieren die Arbeiten auf seinen Feldern ohne Sklaverei. Bestimmt gibt es auf seinem Anwesen nicht einmal eine Peitsche.«

Nathaniel hustete.Hanson?Wie konnte Fiona sich anmaßen, diese bescheidene Tabakplantage mit der eigenen zu vergleichen? Verlor sie den Verstand? Er schaute sie an. Nein, es lag nicht an ihrem Verstand. Sein Mund formte sich zu einem Lächeln, denn er erkannte ihre Taktik, von Quentin abzulenken.

»Du irrst. Es geht einzig und allein darum, dass ich es vermeide, mit dir über die Behandlung unserer Sklaven zu diskutieren. Ich weiß, wie zartbesaitet du in solchen Dingen bist. Seit Thalia hast du diesbezüglich eine wahre Affinität entwickelt. Aber solange ich hier der Herr bin, wird diese Plantage nach meinem Ermessen geführt.«

»Thalia ist rechtschaffen, sanft sowie gläubig. Oft scheint es, als würde sie meine Gedanken lesen und ahnt, ehe ich es ihr sage, mit was sie mich zufriedenstellen kann.«

»Das ist ihre Aufgabe. Und du vergisst, dass man nie sicher sein kann, was die Neger denken. Oft sind die stillsten und fleißigsten in Wahrheit richtige Teufel. Schau.« Nathaniel tippte auf einen Artikel in der Zeitung. »Ein Unfreier hat im Nachbarort mit einem Messer seinen Herrn angegriffen und schwer verletzt. Es war sein Hausdiener, ist sogar dort aufgewachsen.«

»Oh, wie schrecklich.«

»Da gibt man ihnen Speis und Trank, ein Dach über dem Kopf und was ist der Dank dafür? Ständig muss man sich der Gefahr bewusst sein, dass sie es auf einen abgesehen haben könnten. Vergiss das nicht!«

»Dem muss etwas Schlimmes vorangegangen sein.«

»Stellst du dich schon wieder auf die Seite der Sklaven? Sieh es ein, sie denken und fühlen nicht wie wir! Sei auf der Hut und verbünde dich mit keinem Schwarzen! Lass dich bloß niemals öffentlich zu solchen Aussagen hinreißen! Wenn man dich derart reden hört, könnte man meinen, du bist ein neuer Reformator. Wenigstens wird Cedric bald vor deinen Torheiten geschützt sein!«

Fiona erblasste. »Hast du mit ihm über Europa geredet?«

»Du wirst es nicht glauben, er wusste es bereits. Er hat uns belauscht. Eigentlich wollte Cedric es dir selbst sagen, aber da es nun zur Sprache kommt: Er freut sich sehr auf die Reise nach Deutschland. Es ist sein persönlicher Wunsch.«

Fiona schaffte es nur mit Mühe, Haltung zu bewahren.

»Kränk dich nicht. Dir bleibt Finn. Darüber hinaus hast du Thalia, mit der du dir die Zeit vertreiben kannst, ob bei Gesprächen, langen Spaziergängen, oder was ihr sonst so macht.«

»Ja, mir bleiben diese beiden.« Fiona legte ihre Stickarbeit auf den Tisch. »Bitte, entschuldige, ich kann mich im Augenblick nicht konzentrieren. Am besten ist, ich schaue in die Küche, um die Vorbereitungen fürs Abendmahl zu kontrollieren.«

»Mach das.« Kaum hatte seine Frau die Stube verlassen, stand Nathaniel auf. Er musste unbedingt zu Quentin.

Sir Bennett entdeckte seinen Aufseher innerhalb der Einzäunung. Quentin longierte die vierjährige Stute, die folgsam wirkte. Sie trabte mit der Vorwärts-Abwärts-Haltung des Halses, während die Rücklinie sich aufwölbte. Genau so musste es sein, damit die Muskulatur sich stärkte und das Tier später einen Reiter tragen konnte.

»Wie ich sehe, kommt ihr gut voran!«

»Ja, das stimmt. Bald können wir Blue Angel satteln.« Quentin unterbrach die Arbeit, fasste das Pferd kürzer und ging zu seinem Chef. »Sir Bennett, kann ich etwas für Sie tun?«

»Wir müssen sprechen.« Nathaniel klang ernst.

»Gewiss. Ich bringe Blue Angel rasch zur Koppel.«

Sir Bennett nickte zustimmend. Er begleitete Quentin zu einem nahegelegenen Gatter. Dort löste sein Vorarbeiter das Halfter und entließ die Stute zu deren Herde.

»Ich schätze deinen Umgang mit den Pferden sehr. Deswegen habe ich dich allerdings nicht aufgesucht. – Meine Frau sprach von einem Arrangement zwischen uns. Kannst du mir sagen, was sie damit meint? Auf welche Art und Weise hintergehst du mich?!«

Quentin nahm den Hut ab, zeigte sein graues Haar. Er hielt die Kopfbedeckung wie ein Schutzschild vor die Brust. Unumwunden schaute er seinen Vorgesetzten an. »Ich habe dabei niemals an meinen eigenen Vorteil gedacht.«

»Was tust du? So rede!«

Quentin schluckte. »Manchmal reduziere ich nach meinem Ermessen eine Strafe. Lawrence bekam von mir nachts Wasser.«

»Bist du von allen guten Geistern verlassen? Denkst du, weil Thalia dein Kind ist und sie eine Sonderbehandlung erhält, ist bei allen anderen ebenfalls Milde gerechtfertigt?«

»Keineswegs. Aber auf den Feldern können wir jede Hand gebrauchen. Die Leute sollen nicht länger ausfallen als nötig. Lawrence zählt zu den besten. Das ist nicht zu Ihrem Nachteil.«

»Wie lange geht das schon? Monate? Jahre?«

Quentin senkte reumütig den Kopf, ohne zu antworten. Seine Falten wirkten bedauernd ins Gesicht gegraben.

»Verflucht! Du solltest an den Pfahl und für deine Unverfrorenheit meine Peitsche spüren! Wärst du nicht ein freier Mann, würde ich keine Sekunde zögern!«

»Sir Bennett, Ihr seid ein gerechter und strenger Herr. Obwohl ich weiß, dass Lawrence nicht schuld am Brand war, habe ich ihn zum Sündenbock gemacht. Erklärt mir, wie ich es mit meinem Gewissen vereinbaren soll, wenn ich nun sehe, wie meine Tochter Thalia um diesen Sklaven weint.«

»Hat dich Cedric mit seinem absurden Verdacht angesteckt? Oder ist es das leidige Geschwätz der anderen Neger? Die würden für alles eine Ausrede finden, um ihren schwarzen Arsch zu retten!«

»Nein, so ist es nicht.«

»Sondern?«

»Wie Sie wissen, erwartete unsere Stute Ginella ihr erstes Fohlen. Gestern war sie besonders unruhig und scharrte viel, wollte gar nicht aus ihrem Unterstand. Zudem war die Milch im Euter eingeschossen.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Ich habe zwischendurch nach ihr gesehen und …«

»Und?«

»… und Finn bei den Sklavenunterständen bemerkt. Unmittelbar vor dem Brand. Mit einem Kadaver.«

Finn!Nathaniel schnaubte. Nun machte der Junge nicht einmal vor seinem Eigentum halt! Es gab keinen Zweifel mehr an dessen Tat. Strenggenommen ahnte er es, seit man die verkohlten Knochen des Köters gefunden hatte.Wann begreift dieser verstockte Junge endlich den Wert solcher Dinge? Ich muss ihn noch härter rannehmen!

»Bitte, Sir Bennett, ich weiß, mein Verhalten ist unentschuldbar. Aber wenn ich Thalia anschaue, ist es, als hätte ich ihre Mutter Eliza vor mir. Mein Schwur, mich niemals als Vater zu offenbaren, fällt mir zusehends schwerer. Ich trage in mir den einen kläglichen Wunsch, dass sie glücklich wird. Thalia und Lawrence wollen sich vermählen.«

»Es wird keine Vermählung der beiden auf diesem Anwesen geben!«

Quentin wirkte irritiert. »Aber andere Sklaven haben geheiratet. Mit Ihrem Einverständnis.«

»Lawrence wird verkauft!«

Sein Vorarbeiter starrte ihn mit offenem Mund an.

»Cedric wird Amerika verlassen. Du ahnst, was das für meine Frau bedeutet. Sie hat, obgleich ich es nicht aussprechen möchte, in gewisser Weise nur Thalia, denn Finn ist unberechenbar.«

»Es müsste sich ja nichts ändern. Bestimmt würde sie gerne weiterhin für Ihre Gemahlin die treue Dienerin sein.«

»Wo denkst du hin? Weiber verändern alles! Ist sie erst verheiratet, gibt es wohl bald ein Kind. Und wer soll sich dann um Fiona und ihre Bedürfnisse kümmern – zu jeder Zeit? Was ist, wenn Thalia dabei ebenso stirbt wie ihre Mutter? Nein, ich sage dir, Lawrence wird verkauft. All die Jahre habe ich auf euch Rücksicht genommen, mehr als es mir gefällt und euch offensichtlich gutgetan hat. Damit ist jetzt Schluss!«

»Niemals stand es mir im Sinn, Ihre Großzügigkeit auszunutzen.«

»Dennoch hast du es getan!«

»Es tut mir leid, wenn Ihr das so seht. Ich verstehe, dass Ihr mir nicht mehr vertraut. Ich werde meine Sachen packen und alle Aufgaben an Carter übergeben.«

»Ich entscheide darüber, ob du gehst oder ob du bleiben kannst!«

»Entschuldigen Sie, ich dachte, in diesem Fall …«

Nathaniel klopfte mit der flachen Hand gegen den Zaunpfosten. »Verdammt! Du wirst weder meine Autorität untergraben noch infrage stellen!«

Quentin nickte unglücklich.

»An dem Tag, wo du dieses Anwesen verlässt, ob freiwillig oder weil ich es anordne, schicke ich Thalia auf die Felder. Bezüglich ihr und Lawrence gibt es keinen Kompromiss. Ferner befehle ich, dass du all dein Handeln mit mir abstimmst. Ich bin kein Unmensch, trotz allem muss ich diesen Haufen zusammenhalten. Das bedarf einer harten Hand!«

»Ich werde all Ihre Anweisungen akzeptieren und ebenso ausführen.«

»Es wird deine letzte Chance sein. Und jetzt geh an deine Arbeit und mache das, wofür ich dich bezahle!«

*

So voller Energie hatte sich Cedric schon lange nicht gefühlt. Lag das an der herannahenden Reise oder war es die Neugier auf einen fremden Kontinent, die seinen Körper antrieb und ihn stärker machte? Wenn sein Befinden weiter stabil blieb, sollte er bald von Doktor Jackson das Einverständnis für die Überfahrt nach Europa erhalten. Die Hustenanfälle waren weniger geworden und längst nicht mehr derart heftig. Ob die Lobelien-Tinktur wirkte, die er seit Wochen regelmäßig einnahm? Er wusste es nicht, sondern freute sich darüber, Phasen zu haben, in denen sein Leiden ihn geringer quälte. Täglich ging Cedric nach draußen, die frische Luft tat ihm gut und die Sonne färbte seine sonst blassweiße Haut bräunlich.

»Komm, lass uns nach den Pferden schauen. Ich möchte sehen, ob Ginellas Fohlen gewachsen ist«, sprach Cedric zu Thalia, die ihn begleitete.

»Gerne, Master Cedric.«

Sie kamen zur Koppel und betrachteten den kleinen Hengst, der Schutz bei seiner Mutter suchte. Neugierig kam Ginella auf die beiden zu. Sie hob schnuppernd ihre Nüstern.

»Wir haben keine Äpfel dabei«, sprach Cedric bedauernd.

»Wenn Sie wollen, gehe ich rasch welche holen. Wir haben ganz frische im Lager.«

»Mach das. Wenn dich jemand sieht, sag, ich möchte welche essen, bevor sie mit dir schimpfen, dass wir die Pferde zu sehr verwöhnen.«

Während Thalia davoneilte, blieb Cedric bei den Tieren. Ginella stupste ihn vorsichtig an. »Hab Geduld, bald gibt es etwas Feines für dich.«

Plötzlich wieherte Ginella unruhig und scharrte mit dem Fuß, als wollte sie ihn warnen.

»Das sieht dir ähnlich, dass du mit dem Vieh sprichst! Soweit kann es da mit deinem Verstand nicht her sein.«

Cedric drehte sich um und bemerkte Finn, der auf ihn zuging. Nun wusste er, warum die Stute nervös war. Sie mochte Finn offensichtlich ebenso wenig wie er selbst. »Hat Vater dir dein Spielzeug weggenommen und schleichst du deshalb hier herum, statt auf der Jagd zu sein?«

Sogleich sprühten Finns Augen böse Funken. »Du spuckst große Töne für einen, der oft wie ein Baby gefüttert werden muss.«

»Was willst du?«

»Ich muss dich beglückwünschen.«

»Wozu?«

»Dazu, dass du mit dieser Reise dein eigenes Grab schaufelst. Du hattest schon immer einen gewissen Hang für Drama. Vor allem, wenn du einen deiner Hustenanfälle vorschobst, um nicht bei den Züchtigungen der Sklaven zuschauen zu müssen. Allerdings, wenn du lebensmüde bist, hättest du nur mich fragen müssen. Ich hätte da ein paar Ideen, die sicher schneller gehen und absolut zuverlässig sind.«

Cedric blieb gelassen, er kannte Finn und dessen Gehässigkeiten. »Glaub mir, Bruder, ich komme zurück. Das verspreche ich dir.«

Finn griente höhnisch. Er bemerkte Thalia mit einem Korb. »Eher wird sie weiß!« Er deutete auf die Haussklavin und stellte sich ihr in den Weg. »Für wen sind diese Äpfel?«

»Komm, lass sie in Ruhe!«, rief Cedric dazwischen.

»Für … für Ihren Bruder«, sprach Thalia hastig.

Finn schleuderte mit einer gezielten Bewegung den Korb zu Boden. »So unachtsam kenne ich dich gar nicht. Sammle rasch alles ein. Für Cedric reichen Äpfel, die zuvor im Dreck lagen.«

»Spinnst du?« Cedric riss seinen Bruder am Hemd nach hinten.