Links die Freuden, rechts die Verdrüsse - Franziska König - E-Book

Links die Freuden, rechts die Verdrüsse E-Book

Franziska König

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Beschreibung

Wie allsommerlich bereitet sich die Familie König auf den "Musikalischen Sommer in Ostfriesland" vor. Höhepunkt soll das Eröffnungskonzert mit der japanischen Violinvirtuosin Midori werden.

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Meiner lieben Mutter

Familie Rothfuß-König an Heiligabend 1963

(Auch Ming ist bereits dabei – doch dies weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand)

Von links nach rechts:

Rehlein mit der 1-jährigen Franziska auf dem Schoß.

Untere Reihe: Tante Antje und der Opa (auf deren Knien die Zwillinge Heiner und Friedel verteilt sind) daneben Onkel Rainer, der erklärend den Zeigefinger ausgefahren hat.

Obere Reihe: Der junge Buz neben der Degerlocher Oma, Tante Bea, Onkel Dölein, Omi Mobbl, und der damals erst 14-jährige Onkel Andi.

Die wichtigsten Vorkömmlinge

(engsten Verwandten) vorweg:

Rehlein:

Mutter

Buz (der Wolf):

Vater

Ming:

Bruder

Julchen:

Schwägerin

Yara (Pröppilein):

Die kleine Nichte, geb. im Dez. 2012

Den Rest findet man am Schluß des Buches im Personenverzeichnis

Orte der Handlung:

Ofenbach: Kleines Dorf in Niederösterreich

Aurich: Hauptstadt von Ostfriesland

Zum Hintergrund der Geschehnisse empfiehlt sich ein Blick auf diesen Link:

Einfach nur - familie könig vs werner bonhoff – in die Suchmaschine eingeben

Inhaltsverzeichnis

Juli 2014

Dienstag, 1. Juli

Mittwoch, 2. Juli

Donnerstag, 3. Juli

Freitag, 4. Juli

Samstag, 5. Juli

Sonntag, 6. Juli

Montag, 7. Juli

Dienstag, 8. Juli

Mittwoch, 9. Juli

Donnerstag, 10. Juli

Freitag, 11. Juli

Samstag, 12. Juli

Sonntag, 13. Juli 2014

Montag, 14. Juli

Dienstag, 15. Juli

Dienstag, 16. Juli

Donnerstag, 17. Juli

Freitag, 18. Juli

Samstag 19. Juli

Sonntag, 20. Juli

Montag, 21. Juli

Dienstag, 22. Juli

Mittwoch, 23. Juli

Donnerstag, 24. Juli

Freitag, 25. Juli

Samstag, 26. Juli

Sonntag, 27. Juli

Montag, 28. Juli

Dienstag, 29. Juli

Mittwoch, 30. Juli

Donnerstag, 31. Juli

Personenverzeichnis

Juli 2014

Dienstag, 1. Juli

Ofenbach

Vorwiegend regenfeucht.

Über die Mittagsstunden bewölkt

Als frisch herbeigereister Gast nächtigte ich in Mings verwaistem Bettgehäuse unter dem schrägen Dachfenster im Dachgebälk.

Was hätt´ ich wohl gedacht, wenn ich nach der gestrigen langen Reise wie gewohnt in meinem Bett in Grebenstein aufgewacht wäre?

Dort, wo mich allmorgendlich die Sonne wachküsst?

Ich erhob mich in einen neuen Monat meines Lebens hinein.

Ein nach frischer Bügelwäsche duftender Leinensack wird symbolisch aufgefaltet, trägt die Aufschrift „Juli 2014“ und lädt dazu ein, ihn mit allerlei zu befüllen.

Wie oft habe ich mir schon vorgenommen, mir ein kleines Vokabelheftchen zuzulegen, links die Freuden und rechts die Verdrüsse einzutragen, und am Ende des Monats Bilanz zu ziehen, ob sich hinter den Verdrüssen wohl ein verborgener Sinn verborgen gehalten hatte?

Das süßeste Rehlein stürmte das Dachgebälk just in jenem Moment, als ich teilentblößt meinen Wunderbra umgurtete.

„Huch!“ (rief ich verschämt.)

Buz schliefe noch, so hieß es, doch als ich die Haarbürste aus dem Auto holte, um meinen nach der gestrigen Schur verbliebenen Frisurenrest zu bändigen, hörte man ihn leise aufrumpeln.

Dem Maladen ging es wieder gut.

Rehlein und ich fuhren nach Wiener Neustadt zum Kardiologen Dr. Gröber, der im Ärztehaus residiert. Doch eigentlich handelt es sich dabei gar nicht um ein reines Ärztehaus. Im Erdgeschoß beispielsweise befindet sich ein ganz ungemütliches und hinzu um diese Uhrzeit gänzlich unbesuchtes Bierbaisl, und im

4. Stock wiederum eine Rechtsabteilung mit der verwunderlichen Spezialabteilung „Exekutiv-Recht“. Dies bemerkten wir allerdings bloß aus jenem Grunde, weil wir im Lift kurz den Lebensweg einer Dame aus Afrika begleiten durften, und somit an falscher Stelle ausstiegen, da wir uns offenbar zu sehr an die geheimnisvolle Unbekannte drangeheftet hatten.

Im obersten Stockwerk befand sich ein ziemlich großer Trakt mit einem langen Tresen, vor dem ein reges Treiben wie auf dem Flughafen herrschte.

Ein Wimmelbild, wie der Wimmelbildfreund mit geübtem Blicke sieht.

Über dem Tresen liest man in großen Lettern „Diagnosestellung“, und ich stellte mir vor, daß man dort vorsprechen müsse, um sein vom obersten Gericht gefälltes Todesurteil entgegenzunehmen, während im Stockwerk darunter die irdischen Gerichte walten und den Nachlass regeln.

Hinter dem Tresen agierte eine hagere blonde Tresendame, scharmgeschult, und doch fühlte sich Rehlein lampenfiebrig an, da sich ihr AOK-Kärtle beim hektischen Versuch hervorgekrümelt zu werden aufs Hartnäckigste in der Plastikumhüllung hielt, während die Schlange hinter ihr bedrohlich anzuschwellen, und hinzu kurz davor zu stehen schien, loszurandalieren. „Wird´s bald da vurrrn??!“

Ein Herr in Horchweite telefonierte laut mit seinem Händi.

„Schatz!“ sagte er gar.

Es klang österreichisch gewellt und hinzu leicht schmatzend und zischend: „Schoatz“ (so ungefähr) bzw. so, als sei das Wörtchen in billigstem niederösterreichischem Bratenfett gebraten worden.

Rehlein wurde zu einer kleinen Wartespanne unbestimmter Länge verdonnert, und ich selber kehrte diesem Wimmeltreiben bald den Rücken und fuhr wieder hinab.

Diesmal teilte ich den Lift mit einem jungen afrikanischen Ehepaar.

Der Herr sprach in einer seltsam klappernd klingenden Sprache lauter ernste Dinge auf seine Frau ein, und bloß weil es Mohren waren, hielt ich bei der Ankunft im Erdgeschoß die Tür eine Spur länger auf als nötig, um meine Mohrenfreundlichkeit, die jedoch unbemerkt blieb, unnötig zu betonen.

Vor dem Gebäude stand ein kleines Auto, und drinnen saß ein zusammengesunkenes, gedörrtes Männlein, und wartete auf seine Frau, die oben ihr Todesurteil entgegennahm.

„Wir sprechen hier nicht mehr von Jahren, sondern von Monaten!“ sagt der Ordinarius und färbt seine Stimme ganz bekümmert ein.

An einer Fensterscheibe entdeckte ich ein Plakat, das davon kündete, daß Walter Kohl am 11. Juli einen Weisheitsvortrag in Wiener Neustadt abzuhalten gedenkt. Eintritt 20 €.

Mit diesem frischen Wissen behaftet, fuhr ich wieder in die Höh, und kaum war ich oben, da unterrichtete mich die Sprechstundenhilfe darüber, daß Rehlein „wieder zu haben“ sei. Die Patientin wurde freigegeben für den allgemeinen Gebrauch.

Mit Rehleins Herz sei alles in Ordnung, und man hätte sich die ganze Aufregung und überhaupt die ganze Hinfahrt doch lieber sparen sollen, und getragen auf dem Humus dieser Frohbotschaft durfte ich mir eine kleine Witzelei darüber erlauben, wie es wohl durchaus auch hätte anders kommen können: „Wir sprechen hier nicht mehr von Monaten, sondern von Wochen!“

Worte, die der Experte über den kranken Frank in Ratzeburg ausgebreitet hatte, und die sich mir offenbar ins Hirn verzwickt haben, auch wenn ich die ja nur durchs Hörensagen erfahren, und keinesfalls eigenohrig gehört habe.

Mittwoch, 2. Juli

Ofenbach

Zunächst matt-sonnig. Dann wurde es grau,

und abends regnete es ein wenig

_______________________

Vorwissen für den Tag:

Wir bewegten uns unserem großen Musikfestival „Musikalischer Sommer in Ostfriesland“ entgegen. (Kurz: „Musio“, und nicht „Muso“, wie den dummen Journalisten offenbar einfach nicht in den Kopf will?) Höhepunkt sollte das Eröffnungskonzert mit der weltberühmten japanischen Violinvirtuosin „Midori“ werden.

15. Todestag von Omi-Mobbl: (1910 – 1999)

Am Vormittag des 2.7.1999 kam der Gevatter Tod zu Besuch in die Ofenbacher Stuben und nahm die Omi Mobbl mit.

Ratlos blieben wir Kinder mit dem Opa zurück.

Wir setzten uns zum Frühstück nieder.

Rehlein wütete gegen den verstorbenen Klavierprofessor Prof. Karlheinz Kämmerling, da Rehlein den Kämmerling und seine Lehren, die man zum großen Teil getrost als schwachsinnig bezeichnen darf, auf dem Kieker hat, und ihn nach Mobbl-Art sehr gerne dort belassen würde.

Versuchte jemand, sich als Anwalt für den verstorbenen Professor aufzuspielen, und ihn von Rehleins Kieker hinabzuzupfen, um ihn in ein glanzvolleres Licht zu setzen, so bisse er bei Rehlein auf Granit.

Er sei grün vor Neid gewesen! erschäumte sich Rehlein plastisch, so daß ER unter seiner grauen Helmfrisur mit ergrüntem Gesicht in meinem Inneren aufschien.

Und während ich Rehleins Schmähgesängen interessiert lauschte, fiel mir der bevorstehende Vortrag von Walter Kohl wieder ein. Dieser habe sich, so erzählte ich den Erwachsenen begeistert, zu so etwas wie einem modernen Heiligen gemausert. Seinen Vortrag am 11.7. würde ich sehr gerne mit meinen Eltern besuchen, doch Rehlein hofft, ich könne den bis dahin vergessen haben, dieweil sie keine Lust verspürt, für dererlei 60 € auszugeben.

Ich aber knüpfte an Rehleins vorangegangene Worte an: Die Neidischen seien nicht zu beneiden, wußte ich, und zeichnete ein bemitleidenswertes Bild eines von Neid und Eifersucht geplagten Menschen.

Gern hätte ich den Kriminalfall „Christine Schürrer“ als Beispiel genommen, - einer liebeskranken Dame aus Hannover, die versucht hat, die Familie ihres Geliebten auszulöschen, da sie ihn ganz für sich allein beanspruchte – doch jetzt war Buz in seinem spinatgrünen Pyjama aufgetaucht. Das eine Hosenbein bis unter´s Knie hinaufgezogen, und das entblößte, aus einem geschmackvollen Pantoffel heraus in die Höhe ragende Unterbein wirkte unerhört lang und dünn.

Buz beharrte aufdringlich darauf, daß ich die Fernsehgymnastik mitmache. Er schlug vor, daß ich sie einen Monat lang betreibe, um für den „Musikalischen Sommer“ fit und erschlankt zu sein – und so machte ich, wenn auch leider auf unbegabte Weise, ein paar Hopser mit.

Und mitten in diese unbegabten Hopser hinein klingelte das Telefon. Ming war´s, und Ming hatte leider eine Hiobsbotschaft für uns:

Die Midori sei schwanger!

Buz sprach sehr lange mit Ming, während wir Damen nach dem ersten Hände-über-dem-Kopfzusammenschlagen bereits Pläne schmiedeten:

Daß wir nämlich mit demselben Programm brillieren. Rehlein war einerseits Feuer und Flamme – andererseits auch wie ein Flitzebogen gespannt und bereit, bis zum Äußersten zu kämpfen, falls Buz wieder Gegenworte macht, zumal kurz im Raume gestanden war, daß anstelle der Midori der Pianist Martin Stadtfeld starte.

Nach dem Telefonat war Buz ziemlich ratlos, doch nun bestürmten wir ihn mit unseren Ideen, die immer buntere Blüten trieben. Ich hatte mir bereits die Noten von der Strauß-Sonate aus Buzens Notenstapel gegriffen und eifrig darin herumgeblättert, - bereit Sonderschichten einzulegen, um noch einmal einen echten Klimmzug auf der Violine zu wagen, und für ein glorioses Eröffnungskonzert zu sorgen.

Wenig später telefonierte ich mit Ming, und Ming argumentierte herum. Er erzählte, daß er so wahnwitzig eingespannt sei und keine Zeit habe, das alles zu lernen.

Mit Ming am Ohre lief ich durch den blühenden Garten. Wir einigten uns darauf, vielleicht die Kreutzer-Sonate aufs Programm zu setzen, und bald übte ich oben intensiver denn je:

Beginnend mit dem 1. Satz des Schulhoff-Duos für Violine und Cello.

Mittags brach Buz wie alle Tage zu einem kleinen Spaziergang auf.

Rehlein in der Küche arbeitete an kleinen Puppenstuben-Galettes, die sie hernach mit feinster Gemüsesuppe aufgoss.

Bei jedem noch so geringen Windhauch glaubte und hoffte Rehlein, es sei Heimkömmling Buz.

Doch Buz war noch im Walde unterwegs.

Rehleins besorgte Gedanken besengten bald auch mich, und nach weiteren, endlos scheinenden Minuten, begann auch ich zu befürchten, er sei von einem Jäger aus Kurpfalz erschossen worden.

Statt die buzes- und televisorenfreie Zeit zu genießen, wundert man sich immer nur über seinen Verbleib. Man wundert sich so lang, bis Buz wieder da ist.

Jeden Tag das gleiche Lied!

In einer prägewitterlichen Stimmung joggte ich durch den Wald.

Ich dachte an die Midori: Daß es schön sei, daß sie jetzt doch noch Mutter wird, denn sonst würde sie im Alter ja wohl sehr einsam.

Doch ich dachte auch etwas anderes:

Ein listiger Mensch aus dem „Freundeskreis des etwas anderen Festivals e.V.“ gab sich Ming am Telefon als Midoris Manager aus und behauptete, sie sei schwanger. Kurz darauf rief er in Midoris Agentur an um zu verkünden, daß das Konzert in Ostfriesland leider abgesagt werden müsse.

Und wir fallen auf so einen plumpen Schwindel herein!

Abends ging´s bei uns leider nicht mehr so interessant her. Die Frösche quakten laut, und Buz im Musikzimmer quasselte dazu sehr lang mit dem Akio. Er plauderte Dampf.

„Laß uns noch ein wenig Dampf plaudern!“

(Schöner Schlagertitel)

Donnerstag, 3. Juli

Ofenbach

Freundlich, sonnig und warm

Die erste Nacht in der man wußte, daß die Midori schwanger und unser Eröffnungskonzert in Gefahr ist.

Im frühen Morgengrauen wachte ich daran auf, daß mir leicht kodderig zumute war. Ganz leicht nur – auf einer Skala von 1-10 nur auf „1“, und doch weht einen jenes Gefühl an, daß man auf dem Friedhof wohl besser aufgehoben wäre?

Dann träumte ich wieder ein häufiges Traummotiv: So, wie im wahren Leben irgendwann die Steuererklärung in Angriff genommen werden sollte, so ist´s in meinem Traume oftmals so, daß jetzt unaufschiebbar und dringlichst die Nebenfachprüfungen absolviert werden müssen.

Und da es sich je bereits um die Wiederholungs- sprich die Gnadenprüfungen handelte, war man nun wirklich gezwungen sich zusammenzureißen: Bis allerspätestens zum ersten Oktober mußte ich in all den hochkomplizierten Fächern wie Formenanalyse, Rhythmik, Tonsatz, Kontrapunkt, Klavier, Orchestrierung, Musikgeschichte und Instrumentenkunde die Prüfung abgelegt haben, und hinzu eine Hausarbeit abliefern. Fieberhaft tüftelte ich an einem gescheiten Stundenplan herum. Und so, wie der Verarmte vielleicht ein Börsl zückt, in dem lediglich ein paar Kupfermünzen aufschimmern, öffnete ich mein Zeitbörsl zwecks gescheitem Disponieren – und nun quollen mir unendlich viele Notenblätter und Papiere, auf denen weltfremde Pläne skizziert worden waren, entgegen. Vor meinen Füßen türmte sich ein Stapel in die Höh´, der immer weiter anwuchs, und ich kannte das Zauberwörtchen, das dem Einhalt gebieten sollte, leider nicht. Gestern abend hatte ich Rehlein per E-Mail eine Aufforderung geschickt, mich in der Frühe bitte aufzuwecken, da ich mich ja morgens immer sehr auf Rehlein freue, und aus diesem wertvollen Miteinander Kraft für den ganzen Tag zu schöpfen pflege.

Rehlein war dem Aufruf eifrigst gefolgt, und blickte nun auf mich als Träumende herab.

Mein eines Auge blieb ganz geschlossen, und das geöffnete musterte Rehlein.

Neben meinem Bette stehend, erzählte Rehlein einen interessanten Traum:

Sie mußte Konzertkarten verkaufen, doch der Vorverkauf zog sich schleppend dahin, und der Mitarbeiter Dirk plumpte sie auf seine torfig-scharmfreie Art an:

„Ihr bringt ja gar nichts zustande, ej…“ dies sprach Rehlein auf eine Art aus, als parodiere man einen mit glänzenden Eiterpickeln übersäten und nach saurem Schweiße müffelnden Jugendlichen, - den döööfsten und renitentesten, den man sich überhaupt nur verstellen kann.

Der Traum war natürlich viel reichhaltiger, doch tippte man ihn nieder, so würde dies Büchlein aus allen Nähten platzen.

„Es würde „den Rahmen sprengen!““ wie ein pragmatischer Mensch wohl sagen würde.

Es hieß, Buz habe in der Nacht schrecklich gehustet, und Rehlein am Schlafen behindert.

Im Radio lief das Streichquintett von Bruckner, und der Moderator geizte derart mit den Sekündchen, daß es kaum zu fassen war:

Unmittelbar an sein letztes Wort wurde der erste Ton geschmiegt, und umgekehrt an den letzten Ton sein nächstes erstes Wort. Es folgten ein paar blumige, vorab festgelegte Worte, die liebenswert und natürlich klingen sollten, mir jedoch geziert und unecht ins Ohr stiegen.

Fassungslos schaute ich auf Buzens Teller, in welchem Buz sein Schokomüsli immer nur hin und herwendete. Ich wartete fast sehnsuchtsvoll darauf, daß er endlich einmal einen Bissen zum Munde führe – aber nein!

Hierzu mußte ich natürlich schon wieder an den Frank in Ratzeburg denken, der vor Ausbruch der Krankheit auch immer bloß lustlos in den Speisen herumgestochert habe.

Nach einer Weile retirierte sich Buz, um ein bißchen Geige zu spielen, und spielte herzallerliebst sein schönes Schubert-Duo.

Rehlein schaltete den Televisor ein, wo heut über den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb berichtet wurde:

Der milde, geradezu als „souft“ zu bezeichnende Roman M. aus Österreich machte den Anfang, doch bevor er loslas, lief ein kleines Filmchen über ihn, der sich z.T. in dichtem Tabakdunst präsentierte. Etwas, was er sich von den großen Schriftstellern vergangener Zeiten abgeschaut haben mag.

Regen tropfte auf die Windschutzscheibe seines Autos, und dann schaute man durch den Rückspiegel und sah ihn seitenverkehrt in nachdenklicher Pose.

Es handelte sich nur um einen ganz kurzen Film, 1 – 2 Minuten lang, der kaum etwas über den Dichter verriet, so jedoch Appetit auf einen bis dahin unbekannten Menschen machen sollte.

Alsbald wurde er mit zurückhaltendem, so jedoch freundlichem Applaus begrüßt, und nahm im Leseböxle Platz: Das Haupt mit winzig kleinen Locken übersät, wie eine griechische Statue. Er las über eine alte Frau und einen sterbenden Mann.

Leider muß man gestehen, daß wir dem äußerst mild vorgetragenen Textgewebe kaum ein Ohr liehen, da die eigenen Gedanken einen immer vom Geschehen hinfortzuziehen scheinen, so daß man sich hernach auch kein Urteil erlauben darf.

Wie die Juroren das bloß anstellen, ihr Ohr immer draufgeheftet zu halten?

Den Diskussionen der Juroren zu lauschen, machte wiederum Spaß.

Ein Schweizer Juror meinte, er sei froh zu erfahren, wie die Frauen so sind!

Doch ob dies nett, oder eher hohnvoll gemeint war?

Als ich mich auf den Weg ins Dachgebälk begab, war plötzlich wieder etwas Leben in den alt und lethargisch gewordenen Buz gestiegen. Aus dem Toilettenfenster heraus begann er mich über die Violintechnik anzureferieren, und sprach über die Finger, die man in die Länge strecken, und das Handgelenk, das hierzu unausgebuckelt bleiben möge.

Ich schaute durch die großen Karo-Verstrebungen und das Fliegengitternetz auf Buzen drauf, dessen schönes Gesicht sich wie in einem Beichtstuhl aus dem Halbdunkel heraus schälte. Buz strahlte, so daß sein Goldzahn aufblitzte, und befand sich beim Thema Violintechnik ganz und gar in seinem Element.

Hernach wünschte er sich, daß ich ihm das Gelernte auf meiner Violine vorführe.

Buz versuchte mich und meine Violine auf die Terrasse herab zu locken, da das Wetter so schön sei. Ich jedoch wurde niedergeschlagen und traurig beim Gedanken, Buz wäre mittlerweile zu alt, um die Treppen in die Höhe nochmals zu bezwingen?

So wie der Ü50er sich vielleicht nicht mehr so gerne bückt, so beginnt der Ü70er so allmählich, sich vor den im Alltag oft unerlässlichen Treppenbezwingungen zu ducken?

Dann aber schaffte Buz es ja doch nochmals, die Speichertreppe zu erklimmen.

Pfarrer Markus Wenzel aus Mecklenburg-Vorpommern frug an, ob ich für 70 € die Musikalische Untermalung bei einem Dreigänge-Menü auf mich nehmen würde? – Allerdings lieber mit Klavierbegleitung.

Später schrieb er direkt despektierlich, daß man mit Violine Solo wohl nur die Liebhaber hinter dem Ofen hervorlocken könne – weder er, noch Mitglieder seiner Kirchengemeinde würden sich dafür auf den Weg machen.

„An dieser Musik besteht unsererseits kein Interesse!“ schrieb er, und versetzte dem Satz zum Zwecke der Nachdrücklichkeit auch noch ein Ausrufezeichen.

Ich dachte ein bißchen darüber nach, was man ihm wohl antworten könne?

Worte dieser Art hört man normalerweise nur von unreifen Jugendlichen oder dümmlichen alten Weibern – eigentlich sind sie den Lippen eines Geistlichen unwürdig, und berühren mich peinlich.

Und diesen Brief schickt man dann auch noch an seinen Brotherrn, die Landeskirche und das Land Mecklenburg-Vorpommern.

Mittags hatte Rehlein feinstes Gemüse in den schönsten Farben gekocht: Grün, gelb, orange, und hinzu gab´s Grütze.

Buz hatte das Büchlein mit dem Titel „Violintechnik“ herbeigeholt:

Interviews mit Violinisten, bestehend allerdings leider aus anstrengenden Fragen und ebenso anstrengenden Beantwortungen, die im Grunde weder für den Befragten noch für den Lesenden von erhöhtem Interesse sein dürften.

Da dachte ich wieder an Pfarrer Markus Wenzel:

Mit diesen Fragen kann man wohl nur irgendwelche Fachidioten hinter dem Ofen hervorlocken. Nein, an Fragen dieser Art besteht unsererseits kein Interesse. Rehlein war verschwunden.

Etwas, was man jedoch erst bemerkte, als die Verschwindung Wurzeln geschlagen hatte, indem nämlich auch ihre Aura verloschen war?

Man wartete, da Rehlein eine ratlos stimmende und lähmende leere Luftblase hinterlassen hatte, doch diese Luftblase wurde nicht mehr aufgefüllt.

Ich spülte das Geschirr, und später fand ich Rehlein mit einem guten Buch auf der Liege im Garten vor.

Das Deak´sche Haus mit seinen Fenstern und der etwas lachhaften Ponyfrisur schaute mit der Ausstrahlung eines nur mäßig intelligenten Menschen auf Rehlein drauf.

Beim Joggen dachte ich wieder über Midoris Schwangerschaft nach:

Heut vielleicht ein Ärgernis, das sich jedoch über die Jahre hinweg womöglich in einen Segen verwandelt, wenn dereinst das 51-jährige Pröppilein im Frühjahr 2064 den 80. Musikalischen Sommer organisiert?

Man rechnet fest mit dem Erscheinen des weltberühmten Dirigenten Kunihiko Üzgül (49).

Buz hatte Kontakt zu Mischa Maisky aufgenommen, doch der Mischa verlangt 22 000 € plus einen Erste-Klasse-Flug und Unterkunft in einem 5-Sterne Hotel, und hätte darüber hinaus nicht einmal Lust zum Spiel.

Dies hatte Buzen nachdenklich gestimmt, und mit einem Male war er gar zur Gänze verschwunden, um einen Brief an die Midori zu tippen.

Ich sehnte mich danach, mit Ming zu plaudern, doch ich habe keinen Platz mehr in Mings Gedanken, wie ich nun frei von Bitternis zu Rehlein sagte. In Mings Kopf schaut´s in meiner Fantasie so aus, wie in einem mit noch unausgepackten neuen Möbelstücken zugerümpelten Haus.

Dann rief Ming allerdings selber an.

Ming hatte die Botschaft zu verkünden, daß er selber bereits etwas auf Englisch für die Midori zusammengetippt habe.

Buz hindess hatte schon einen richtigen Buchstabentopflappen zusammengehäkelt, den er nun stolz vorlas:

Er gratulierte der Midori erfreut zu den „wunderbaren Neuigkeiten“, und durch diese Zeilen schimmerte – anders als in einem gewöhnlichen Geschäftsbrief - ein liebes Lächeln Buzens hindurch.