Live On Stage - Die Tourgeschichte von Led Zeppelin - Sebastian Haß - E-Book

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Sebastian Haß

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Beschreibung

Live On Stage - Die Tourgeschichte von Led Zeppelin handelt von einer Band, deren leidenschaftlich gespielte Konzerte neue Maßstäbe setzten: Vom ersten Auftritt noch als Yardbirds im Spätherbst ´68 bis hin zu John Bonhams tragischem Tod fast auf den Tag genau zwölf Jahre später. Anhand aktueller Aussagen einzelner Bandmitglieder und Wegbegleiter wird auf diese Weise einer der faszinierendsten Zeitabschnitte gelebter Konzertgeschichte wieder lebendig - als die Rockmusik noch jung, spontan und auch gefährlich war.

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Sebastian Haß

Live On Stage - Die Tourgeschichte von Led Zeppelin

Inhaltsverzeichnis

Celebration Day

Your Time Is Gonna Come – Der Weg zur Bandgründung

Led Zeppelin comes alive! – Skandinavien-Tour 1968

Like a Tornado/ Die erste Nordamerika-Tour 1968-1969

Back in the UK oder Blues in Tolworth

Nordamerika-Tour, Frühjahr 1969

UK-Tour, Sommer 1969

US-Sommer 1969

Brown Bomber Over England…

Nordamerika-Tour, Herbst 1969

Bring It On Home – UK-Tour 1970

Europa-Tour 1970

America Spring 1970

Iceland, Bath & Germany – Im Sommer 1970

Nordamerika-Tour, Sommer 1970

UK-Tour Frühling 1971

Europa-Tour 1971

Japan-Tour 1971

UK Winter-Tour 1971

Australien-Tour 1972

How The West Was Won – Die Nordamerika-Tour 1972

Japan-Tour 1972

UK-Tour Winter 1972-73

Europa-Tour 1973

Nordamerika-Tour 1973

1973 – Slow-Down

1974 – Rock and Roll is Dead

Nordamerika-Tour ´75

Earls Court 1975

Nobody´s Fault But Mine…

Achilles Last Stand – Die Nordamerika-Tour 1977

Knebworth – 1979

Over Europe 1980

What Is and What Should Never Be: Led Zeppelin – The 1980s, Part One

(In-)offizielle Liveveröffentlichungen

Bibliografie

Dank

Quellennachweise

Impressum

Für meine Frau Katharina – All of my love to you

„Playing live was the most fun for me; I think that was the best of Zeppelin.“1 John Paul Jones

“Es gab mindestens zwei Led Zeppelins. Einmal im Studio und einmal auf der Bühne. Beide wird es nie mehr geben.“2 Jimmy Page

„Ich habe gelernt, mich in der Musik verlieren zu können. Das sind Erlebnisse, nach denen ich suche.“3 Robert Plant

„I never had any lessons. When I first started playing I used to read music.“4 John Bonham

John Paul Jones to Brian Fox, Bass Player, February 2008 in: Bordowitz: „Led Zeppelin on Led Zeppelin. Interviews and Encounters”, Omnibus Press 2014, eBook, pos. 91%↩

Jimmy Page auf http://www.welt.de/kultur/pop/article144507994/Jetzt-sind-Led-Zeppelin-endgueltig-Geschichte.html, zuletzt eingesehen am 05.01.16.↩

Robert Plant auf http://www.welt.de/kultur/pop/article129968294/Ich-mag-es-wenn-sie-um-Gnade-flehen.html, zuletzt eingesehen am 05.01.16.↩

John Bonham in Mick Bonham: „John Bonham: The Powerhouse behind Led Zeppelin“, Southbank Publishing 2015, eBook, chapter 19 pos. 69%.↩

Celebration Day

“When Jimmy Page, Robert Plant, John Paul Jones and John Bonham burst on the musical scene in the late ´60s, the world never saw it coming. There was this singer with a mane like a lion and a voice like a banshee, a guitar prodigy who left people´s jaws on the floor, a versatile bassist who was equally at home on the keyboards, and a drummer who played like his life depended on it.”1 Barak Obama

10. Dezember 2007. In der Londoner O2-Arena fieberten 20.000 Zuschauer – unter ihnen zahlreiche Musikgrößen wie Mick Jagger, Paul McCartney, David Gilmour und Jeff Beck – dem Rockereignis des Jahres, vielleicht sogar des Jahrzehnts, entgegen. Zuvor hatte der Großteil von ihnen per Losverfahren eines jener Tickets erhalten, für die laut Veranstalter mehr als 20 Millionen Anfragen eingegangen waren. Der Grund für die wohl größte Lotterie in der Musikgeschichte waren Led Zeppelin, jene sagenumwobene Band aus dem Goldenen Zeitalter des Rock, die nun zum ersten Mal nach dem tragischen Tod ihres Schlagzeugers John Bonham im September 1980 wieder in voller Länge auftreten würde. „Es hätte wohl Elvis vom Himmel herabsteigen müssen, um für mehr Wirbel im Pop-Universum zu sorgen“2, fasste ein Journalist stellvertretend den Ausnahmezustand zusammen, der in den Tagen zuvor ganz London in Atem gehalten hatte: Radiostationen spielten nur noch Led Zeppelin-Songs, dutzende Fernsehsender berichteten weltweit live. Auf den Straßen rings um die O2-Arena feierten vor allem die Fans, die kein Ticket bekommen hatten und nun zumindest so an jener besonderen Atmosphäre teilhaben wollten, die den Rock´n´Roll zu seinen Glanzzeiten ausgemacht hatte: Als er noch jung gewesen war, spontan und gefährlich.

Unmittelbarer Anlass für den Abend in der O2-Arena war das Gedenken an Ahmet Ertegün, dem knapp ein Jahr zuvor verstorbenen legendären Gründer und Präsidenten von Atlantic Records, der bis zuletzt die Hoffnung auf einen nochmaligen Auftritt seiner erklärten Lieblingsband nicht aufgegeben hatte. Es gab also nichts, womit ihm Robert Plant, Jimmy Page und John Paul Jones eine größere Ehre hätten erweisen können. Jason Bonham sollte für seinen verstorbenen Vater die Drums spielen, auch dies ein hochemotionaler Moment.

Um nichts dem Zufall zu überlassen, hatten sich Jones, Page und Plant zusammen mit Bonham bereits Monate vor dem ursprünglich für den 26. November vorgesehen Auftritt zu intensiven Proben zurückgezogen. Schließlich ging es darum, herauszufinden, ob sie mehr als 27 Jahre nach ihrem letzten großen gemeinsamen Auftritt überhaupt noch über jene Energie und Spielfreude verfügten, für die Led Zeppelin einst gestanden hatten. Sollte es ernste Zweifel gegeben haben, so wurden diese bereits zu Beginn der Proben ausgeräumt, die laut John Paul Jones alle Erwartungen weit übertrafen: „It felt really, really great playing with Jason, and with the others, really satisfying. It clicked immediately, it sounded tight.”3

Die Entscheidung war somit schnell gefallen und bereits kursierende Gerüchte über eine unmittelbar bevorstehende Reunion von Led Zeppelin wurden dann bei einer Pressekonferenz am 12. September offiziell bestätigt.

Das war es, worauf Kritiker und Fans bereits seit Jahren gewartet hatten.

Inmitten einer weltweiten Welle der Euphorie gab es jedoch auch kritische Stimmen, die vor einer großen Enttäuschung, gar einer unwiderruflichen Zerstörung des mittlerweile überlebensgroßen Mythos „Led Zeppelin“ warnten. Tatsächlich schien die Hiobsbotschaft von Jimmy Pages Fingerbruch zweieinhalb Wochen vor dem Konzert derartige Befürchtungen zu bestätigen. Unmöglich, dass Page ausgerechnet an diesem Abend mit einer derartigen Beeinträchtigung spielen würde!

Nach hektischen Beratungen wurde das Ahmet Ertegun Tribute Concert schließlich um zwei weitere Wochen verlegt – die bereits ohnehin große Anspannung aller Beteiligten geriet endgültig zur Nervenprobe.

10. Dezember. Nun war er endlich da – der Tag der Entscheidung. Die 20.000 Zuschauer, die soeben ein eher unspektakuläres Vorprogramm mit Paul Rodgers und Ex-Rolling Stone Bill Wyman erlebt hatten, wussten: An diesem Abend würden sie wohl Zeugen eines denkwürdigen Ereignisses werden. Die gesamte Arena befand sich in gespannter Erwartung. Das Raunen der Menge im Licht gedämpfter Scheinwerfer wurde nur hie und da von vereinzelten Rufen und Pfiffen unterbrochen.

Dann, auf einmal, gingen alle Lichter aus. Fernsehbilder von der Nordamerika-Tour 1973 flackerten auf und in der gesamten O2-Arena wurde es schlagartig still, als der Kommentator von damals die einzelnen Bandmitglieder vorstellte: There´s John Paul Jones and he´s a bass player, Jimmy Page is lead guitars, Robert Plant lead singer and John Bonham is the drummer.“ Tosender Beifall. Die 20.000 Zuschauer, die nun gebannt auf jene Bilder starrten, ahnten, dass sie jetzt nur noch Sekunden von einer Sensation entfernt waren: Vor der seit Jahren vergeblich heraufbeschworenen und nun auf einmal wahr gewordenen Rückkehr von – Led Zeppelin!

„The lights went down and I could hear the mighty roar of the crowd“, schilderte Jason Bonham die letzten Augenblicke hinter der Bühne. „It´s time. I raise my sticks and count us off into ´Good Times Bad Times`.”4

Plötzlich jagten Trommelschläge wie Donnergrollen, begleitet von Lichtblitzen durch die Arena, die kurz darauf unter dem unmittelbar einsetzenden Lärm tausender Zuschauer bebte. Dann wurde die Bühne sichtbar, wo nun die Band in blaues Scheinwerferlicht getaucht, mit einer druckvollen Version ihrer ersten Single die Show eröffnete.

„In the days of my youth, I was told what it means to be a man,

now I´ve reached that age, I´ve tried to do all those things the best I can.

No matter how I try, I find my way into the same old jam.

Good Times, Bad Times, you know I had my share”…5

Was folgte, war ein knapp zweistündiges Konzert voller Energie und Leidenschaft, das neben Bandklassikern wie „Black Dog“, „No Quarter“, „Stairway to Heaven“, „Kashmir“ und nicht zuletzt die Live-Premiere zweier Led Zeppelin-Songs bereithielt: „For Your Life“ und „Ramble On“.

Kein Feuerwerk, kein technischer Schnickschnack – nur der verbesserte Sound und eine Videoleinwand mit direkt on stage geschnittenen Bildern ließen die mittlerweile auf der Konzertbühne eingetretenen Neuerungen erkennen. Kein Zweifel: Mit dem Verzicht auf überflüssige Showelemente gelang es der Band einmal mehr, das Publikum ausschließlich in den Bann ihrer Musik zu ziehen. Besonders die nach wie vor kraftvoll facettenreiche Stimme Robert Plants und Jimmy Pages brillant getimte Soloeinlagen übertrafen alle Erwartungen, während John Paul Jones´ gewohnt präzise Bassläufe und nicht zuletzt sein filigranes Keyboardspiel einzelnen Songs den entscheidenden Hintergrund verlieh.

Nach dem Konzert waren sich Kritiker und Fans schnell einig: Led Zeppelin war es nach all den Jahren aus dem Stand heraus gelungen, wieder an ihre große Zeit als Live-Band anzuknüpfen. „[…] the band should be pleased to have done proud Ertegun with such a spirited performance”6, schwärmte The New Yorker und selbst das einst gegen Led Zeppelin eingestellte Musikmagazin Rolling Stone lobte: „This band was Led Zeppelin in every way.”7

„Ursprünglich sollten wir nur ein relativ kurzes Set spielen, aber das haben wir dann verlängert, um mehr Songs unterbringen zu können“8, meinte Jimmy Page im Rückblick, der eigentlich von einer Led Zeppelin-Tour im Anschluss an das gelungene Bühnen-Comeback ausgegangen war. Nachdem sowohl John Paul Jones als auch Jason Bonham hierzu ihre Bereitschaft erklärt hatten, lag die Entscheidung schließlich bei Robert Plant, der seine Beteiligung an weiteren Led Zeppelin-Konzerten ungeachtet einer 200-Millionen-Dollar-Offerte jedoch kategorisch ausschloss: „Eine Tour wäre eine Menagerie von verschiedenen Interessen gewesen, und die Essenz von all dem, was an großem Stadion-Rock so beschissen ist“9, rechtfertigte er später seine Entscheidung gegenüber dem Rolling Stone. „Wir waren von Menschen umgeben, die damit unsere Seelen über dem Feuer gehabt hätten.“10

Die allgemeine Enttäuschung war groß. Angeblich überlegten Jones und Page für kurze Zeit sogar Robert Plant durch Steven Tyler von Aerosmith zu ersetzen, doch letzten Endes war eine Led Zeppelin-Tour ohne Plant undenkbar.

„Robert wollte einfach nicht weitermachen. Ich fand das albern, denn es gab eine enorme Nachfrage“, betrachtet Jimmy Page die Angelegenheit heute nach wie vor als vertane Chance. „In mancher Hinsicht bin ich mir nicht sicher, ob es richtig war, den Geist aus der Flasche zu lassen, wenn wir nicht bereit waren, die Sache auch durchzuziehen.“11

In den folgenden Jahren hielten sich hartnäckig Gerüchte über ein unmittelbar bevorstehendes Release des Konzertereignisses von 2007, nachdem bereits zahlreiche Video- und Audiomitschnitte aus dem Zuschauerraum im Internet kursierten. Dennoch war die Überraschung groß, als diese sich schließlich mit der offiziellen Vorankündigung eines Konzertfilms in Zusammenhang mit einem Live-Album am 13. September 2012 bestätigten: Celebration Day.

Als dann am 19. November Album und Konzertfilm im Anschluss an ein spektakuläres Preview in mehr als 1.500 Kinos weltweit in die Läden gelangten, brachen alle Rekorde: Gold in über zwanzig Ländern, Doppelplatin in den USA und Kanada – weltweit 1,8 Millionen verkaufte Exemplare in nur sechs Wochen!

Mit mittlerweile schätzungsweise mehr als 2.500.000 verkauften Exemplaren gilt Celebration Day als Led Zeppelins erfolgreichstes Live-Album und dies vor dem Hintergrund dramatisch zurückgegangener Absatzzahlen innerhalb der Tonträgerindustrie. Bei den Grammy-Awards 2014 wurde Celebration Day zum besten Rock-Album gewählt, die Live-Version von Kashmir für die beste Live-Darbietung nominiert.

Mit Celebration Day, so scheint es, hat etwas in der Live-Historie des Rock bislang Beispielloses seinen ultimativen Abschluss gefunden. Etwas, das an einem verregneten Sommernachmittag im August ´68 in einem stickigen Proberaum im Londoner Stadtteil Soho begonnen hatte, als sich vier Musiker nach einem ersten gemeinsamen Jam zu „Train Kept A-Rollin´“ in die Augen blickten. „With that lineup, you´ll go over like a lead Zeppelin”12, hatte Keith Moon von The Who prophezeit. Von wegen!

Barak Obama auf http://ultimateclassicrock.com/president-obama-led-zeppelin-tribute/, zuletzt eingesehen am 05.01.15.↩

Christoph Dallach auf http://www.spiegel.de/kultur/musik/led-zeppelin-reunion-die-legende-bebt-a-522666.html, zuletzt eingesehen am 05.01.15.↩

Getting the Led Out: Jimmy Page and John Paul Jones on Led Zeppelin´s Historic Reunion, MSN Music, November 2007 in: Bordowitz: „Led Zeppelin on Led Zeppelin. Interviews and Encounters”, Omnibus Press 2014, eBook, pos. 90%.↩

Jason Bonham, Booklet „Celebration Day“, Atlantic Records/ Swan Song 2012.↩

Lyrics „Good Times, Bad Times“ (Bonham/ Jones/ Page) http://www.azlyrics.com/lyrics/ledzeppelin/goodtimesbadtimes.html, zuletzt eingesehen am 05.01.16↩

https://en.wikipedia.org/wiki/Celebration_Day_(film)#Release_and_reception, zuletzt eingesehen am 05.01.16↩

http://www.rollingstone.com/music/news/led-zeppelin-reunite-the-full-report-from-david-fricke-20071211, zuletzt eingesehen am 05.01.16↩

Brad Tolinski: „Licht und Schatten. Gespräche mit Jimmy Page“, Edel-Verlag 2013, S.334.↩

Robert Plant auf http://www.rollingstone.de/robert-plant-eine-led-zeppelin-reunion-ohne-mich-waere-eine-grossartige-idee-gewesen-aber-mit-steven-tyler-364945/, zuletzt eingesehen am 26.01.16.↩

Robert Plant auf http://www.rollingstone.com/music/news/robert-plant-slams-idea-of-zeppelin-tour-im-not-part-of-a-jukebox-20140508, zuletzt eingesehen am 05.01.2015, übersetzt vom Autor.↩

Tolinski: „Licht und Schatten. Gespräche mit Jimmy Page“, Edel-Verlag 2013, S.335.↩

http://www.funtrivia.com/askft/Question50356.html, zuletzt eingesehen am 05.01.16↩

Your Time Is Gonna Come – Der Weg zur Bandgründung

„1962 wurde mir klar, dass die Musikszene in Routine erstarrt war. Die Antwort war der Blues.“1 Giorgio Gomelsky, Gründer des Londoner Crawdaddy-Club

Als London Anfang der 1960er von einer Welle umfassender Neuerungen in allen Bereichen seiner (Alltags-)Kultur erschüttert wurde, ahnte niemand, dass dies zugleich der Aufbruch in ein neues Zeitalter war. Was war geschehen? Eine neue Generation hatte beschlossen, endlich die graue Nachkriegstristesse abzuschütteln, indem sie ihren eigenen Weg suchte. Alles war nun mit einem Mal bunter und vielfältiger, manchmal auch lauter und schriller, mit einem Wort – aufregender.

Doch während die Schlangen vor den mittlerweile zahlreichen Jazzclubs des Londoner Westends von Tag zu Tag wuchsen, liefen im Radio nach wie vor die einschläfernden Songs der von der Plattenindustrie auf Konformität gebürsteten Unterhaltungsstars.

Der fiebrige Sound der neuen Londoner Live-Szene hingegen zog schon bald seine Kreise, bis in die verschlafenen Vororte und weit darüber hinaus. Wer jung war und leben wollte, musste einfach nur in die City, genauer gesagt in die Carnaby Street. Ein neues Zeitalter hatte begonnen – die Swinging Sixties.

Die anfangs vollkommen überraschten Plattenfirmen reagierten prompt und sorgten umso eifriger dafür, dass der Nachschub an neuen Songs unaufhörlich lief. Beliebtestes Medium hierbei war die Single im 7"-Format, die für die meisten Teenager nicht nur erschwinglich war, sondern darüber hinaus der jeweiligen Plattenfirma einen wichtigen Anhaltspunkt bei der nun grundsätzlichen Entscheidung über eine weitere Aufnahme bot. Wer es als Band nicht auf Anhieb in die Top-20 schaffte, galt im Allgemeinen bereits als abgemeldet. Die Rolling Stones platzierten ihre Debut-Single „Come On“ im Juni 1963 gerade einmal auf #21; mit dem Release ihrer zweiten Single „I Wanna Be Your Man“ ließ sich Decca trotz aufsehenerregender Fanhysterien und Dauerschlagzeilen ganze fünf Monate Zeit.

The Long & The Short, The Honeycombs, The Mojos, The Searchers… Ende 1963 schossen quasi über Nacht neue Bands aus dem Boden, von denen einige nach ihrem kurzen kometenhaften Aufstieg ebenso schnell wieder verglühten. In ihrem Sog drängten nun auch kleine, von den führenden Plattenfirmen unabhängige Labels auf den Markt, denen tatsächlich immer öfter der ein oder andere Achtungserfolg gelang.

In dieser Situation entschloss sich ein Großteil der Major-Labels zum Einsatz fest engagierter Studiomusiker, um einzelnen Aufnahmen hie und da den letzten Schliff zu verpassen, was unter Umständen die entscheidenden Millimeter Vorsprung im harten Kampf um die Top-5 bedeuten konnte. In ganz Großbritannien gab es zu diesem Zeitpunkt genau zwei Sessiongitarristen, die hierzu in der Lage waren: James George Tomkins alias Big Jim Sullivan und ein gerade einmal 19-jähriger Teenager mit einem beinahe beängstigenden Gespür für Sustain und Timing: Jimmy Page.

„Ich war damals noch sehr jung – die meisten Typen, die Sessions spielten, waren doppelt so alt –, aber für die rockorientierten Gigs brauchten sie ein Kid von der Straße“, erinnerte dieser sich später gegenüber dem Rockjournalisten Brad Tolinski. „Wenn ich mir heute überlege, was ich alles gemacht habe, läuft es mir kalt den Rücken herunter […]. Aber: „Es waren sehr gute Lehrjahre.“2

Etwa zur selben Zeit begann auch John Baldwin, der sich kurz darauf auf Empfehlung des damaligen Rolling Stones-Managers Andrew Loog Oldham in John Paul Jones umbenannte, eine nicht minder intensive Sessionkarriere zunächst als Bassist. Wie die meisten Musiker hatten auch Page und Jones vor ihrer Sessionzeit in einer Band gespielt, sich dann jedoch statt des chaotischen Tourens durch Clubs und Ballrooms für die vergleichsweise geordnete Studioarbeit entschieden. Diese schien ihnen zudem mehr Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer musikalischen Fähigkeiten zu bieten. Zumindest vorerst. Während Jimmy Page nun sein Gitarrenspiel anhand verschiedener Auftragsarbeiten unterschiedlichster Musikstile kontinuierlich erweiterte, entwickelte sich Jones zu einem versierten Multiinstrumentalisten, der neben Orgel, Cello und Mandoline bald auch erste eigene Stücke arrangierte.

Doch spätestens ab Ende 1965, als mit den Kinks, den Yardbirds und auch den Dave Clark Five bereits die zweite Welle der British Invasion im Windschatten der Beatles und Stones in den USA Erfolge feierte, wurde die anfangs noch aufregende Studioarbeit für beide Ausnahmemusiker zur Routine. „Als Sessionarrangeur arbeitest du buchstäblich vierundzwanzig Stunden am Tag“, so John Paul Jones, der Jimmy Page schon zu diesem Zeitpunkt von diversen Studioarbeiten her kannte. „Ich habe fünfzig bis sechzig Sachen pro Monat arrangiert, und das brachte mich langsam um.“3 Die Hits bescherten den Bands den heißersehnten Ruhm und den Plattenfirmen das Geld. Darüber hinaus interessierte sich niemand für die Protagonisten hinter den Kulissen der Erfolgssongs.

Die Initiative, neue Wege zu gehen, lag jedoch nicht bei Jones sondern bei Jimmy Page, der noch im März 1965 nach Eric Claptons Ausstieg bei den Yardbirds zugunsten seines Freundes Jeff Beck auf ein Engagement als Leadgitarrist verzichtete. Bereits ein Jahr später akzeptierte er ohne Zögern die vakante Rolle des Bassisten. Der Weg aus der Tretmühle der Aufnahmestudios war vorerst geschafft. Wie sich jedoch bald zeigte, wurden die Yardbirds trotz ihres Rufs als progressive Gitarrenband bei den Studioaufnahmen von ihrem Management gegängelt, das auf seichte Hitsingles im Popformat aus war. Jimmy Page: „Wir führten fast ein Doppelleben, weil wir live eine völlige andere Richtung einschlugen, die bei den Leuten richtig gut ankam.“4

Jeff Becks abrupter Bandausstieg gleich bei ihrer ersten gemeinsamen US-Tour im Spätherbst 1966 war zunächst ein Schock. Doch dann ergriff Page die Möglichkeit, zumindest auf der Bühne eigene musikalische Vorstellungen ungehindert umzusetzen – von der Verwendung eines Geigenbogens bei „Glimpses“ bis hin zu minutenlangen Spontanimprovisationen zu „I´m a Man“ und „I Wish You Would“.

Darüber hinaus setzten neue musikalische Impulse, die nicht zuletzt vom Monterey Pop Festival als vorläufigem Höhepunkt des Summer of Love ´67 ausgingen, auch neue Formen künstlerischen Ausdrucks durch: Auf der Konzertbühne waren nun verfremdete Klangeffekte und experimentelle Lightshows als Ergänzung zu den bisherigen Live-Darbietungen angesagt. Als die Yardbirds im selben Sommer im New Yorker Village Theater auftraten, präsentierte dort Singer-Songwriter Jake Holmes als ihr Vorprogramm seinen neuen Song mit verstörend-düsterer Akustikgitarre und psychedelischen Lyrics. Jakes Holmes: „That was the infamous moment of my life when Dazed and Confused fell into the loving arms and hands of Jimmy Page.”5

Dennoch hatten die Yardbirds, als sie schließlich im Juni 1968 aufgrund innerer Querelen endgültig auseinanderbrachen, ihren Zenit unübersehbar überschritten:

Ihr letztes unter der Leitung von Mickie Most auf kommerziellen Pop hin ausgerichtetes Studioalbum „Little Games“ hatte ihrer musikalischen Reputation geschadet und auf der Konzertbühne waren letztlich neue, weit aufregendere Live-Acts wie Cream, The Jimi Hendrix Experience und The Who an ihnen vorbeigezogen.

Tatsächlich befand sich Jimmy Page in einer schwierigen Situation. Erst hatte er für den gemeinsamen Erfolg mit den Yardbirds seine sichere Studiokarriere aufgegeben und nun ging es darum, die richtigen Leute für ein neues Line-up zu finden – und zwar so schnell wie möglich. Wer heute noch Feuer und Flamme war, konnte schon morgen wieder andere Pläne verfolgen. Jimmy Page: „There were a lot of virtuoso musicians around at the time who didn´t gel as a band. That was the key: to find a band that was going to fire on all cylinders.”6

Doch im Sommer 1968 waren die meisten interessanten Sänger bereits anderweitig beschäftigt: Steve Winwood sang bei Traffic, Eric Burdon bei den New Animals und Ian Anderson nahm gerade Jethro Tulls erstes Album This Was auf. Joe Cocker, dem Page bei dessen legendären Beatles-Cover „With a Little Help from My Friends“ half, ging später mit den Who auf UK-Tour. Schließlich gab Terry Reid, der selbst Cream bei ihrer anstehenden US-Tour als Vorgruppe begleiten wollte, Page den alles entscheidenden Hinweis: In Birmingham sang, litt und schrie sich ein zwanzigjähriger Bluessänger in Tonhöhen, von denen andere nicht einmal wussten, dass es sie gab – Robert Plant. Von nun an ging alles sehr schnell. John Paul Jones rief von sich aus bei Jimmy Page an und erhielt prompt eine Einladung zu einer ersten Probe; ebenso Drummer John Bonham, ein ungeschliffener Rohdiamant aus Plants vorheriger Formation Band Of Joy, dem allerdings bereits Angebote von Joe Cocker und Chris Farlowe vorlagen. Gut möglich, dass Jimmy Page es schon damals wusste: Angesichts dieses unglaublich dynamischen, gleichzeitig aber auch kompakten Schlagzeugspiels ging es hier um nichts geringeres als um die Verpflichtung von Großbritanniens nächstem ganz großen Drummer, vielleicht dem größten seit Ginger Baker und Keith Moon.

Am meisten überraschte jedoch, dass Jimmy Page mit Bonham, Jones und Plant auf Anhieb die passenden Mitstreiter gefunden hatte, die wie er dieselbe uneingeschränkte Leidenschaft für das, was sie taten, empfanden: die Musik.

Robert Plant drückte es so aus: „Niemand hatte die leiseste Ahnung, was wir da machten, aber wir wussten von Anfang an, dass die Power unfassbar war.“7

Giorgio Gomelsky in „According to The Rolling Stones. Das Buch“, Ullsteinverlag 2003, S.49.↩

Brad Tolinski: „Licht und Schatten. Gespräche mit Jimmy Page“, Edel-Verlag 2013, S.40.↩

Brad Tolinski: „Licht und Schatten. Gespräche mit Jimmy Page“, Edel-Verlag 2013, S.132.↩

Brad Tolinski: „Licht und Schatten. Gespräche mit Jimmy Page“, Edel-Verlag 2013, S.68.↩

Jack Holmes auf https://en.wikipedia.org/wiki/Dazed_and_Confused_(song)#Jake_Holmes, zuletzt eingesehen am 05.01.16↩

Jimmy Page auf http://northtexasdrifter.blogspot.de/2015/01/jimmy-page.html, zuletzt eingesehen am 05.01.16↩

Robert Plant in „Led Zeppelin. Musik & Mythos: Alles über die große Rockband, Rolling Stone, 2014, S.50.↩

Led Zeppelin comes alive! – Skandinavien-Tour 1968

„The first time I saw them play was in Scandinavia. I remember them standing on the side of the stage and being amazed.”1 Peter Grant

Der Anfang war unscheinbar. Geradezu typisch für eine spätere Legende. Jerry Ritz von Bendix Records hätte sich wohl nie träumen lassen, dass ausgerechnet seine Unterschrift am 15. August 1968 das Live-Debut einer der größten Bands der Rockgeschichte besiegeln sollte. Den Vertrag kann man heute auf der Homepage des Gladsaxer Teen Club bestaunen. Ritz selbst fand sich knapp 39 Jahre später als VIP in der Londoner O2-Arena wieder. 7.000 Kronen, was nicht ganz 1.000 Euro enspricht, waren als Gage vereinbart worden. Die Band hieß nach wie vor The Yardbirds, da Jimmy Page sich die Namensrechte nach dem Auseinanderbrechen des alten Line-ups gesichert hatte. Darüber hinaus war der Name in Dänemark und Schweden nach wie vor ein Begriff und so hatten Bohnham, Jones und Plant einer knapp zweiwöchigen, noch auf die alten Yardbirds gebuchten Skandinavientour zugestimmt. Schließlich war die Konzertbühne auch kein schlechter Ort, um als neue Band zusammenzufinden, bevor es das erste Mal ins Aufnahmestudio ging.

Da die Tour bereits Anfang September begann, einigte man sich bei der Setlist auf Songs, die Jimmy Page schon mehrfach on stage gespielt hatte – „Train Kept A-Rollin´“, „Dazed and Confused“, „White Summer“, „For Your Love“ und Bluescover, die für das erste Album fest vorgesehen waren: Willie Dixons „I Can´t Quit You Baby“ und Muddy Waters´ „You Shook Me“.

„Communication Breakdown“ und „How Many More Times“ waren eigene, neue Songs, das Rearrangement von Anne Bedons Folksong „Baby I´m Gonna Leave You” und Garnett Mimms „As Long As I Have You“ zumindest vom Ansatz her radikale Neuinterpretationen. Jetzt ging es darum, die Spielfreude aus dem Proberaum auch auf die Bühne zu transportieren.

7. September 1968 – die Stunde der Wahrheit. Gleich ihre ersten gemeinsamen Auftritte im Gladsaxer Teen Club und im Pop-Club von Brøndby würden über den weiteren Verlauf der Tour entscheiden, womöglich auch über ihre Zukunft als Band. „We were really scared, because we only had fifteen hours to practice together.“2, erinnert sich Jimmy Page heute an die Gigs vor einigen hundert Teenagern, die ihrerseits aus dem Staunen nicht mehr herauskamen. Und das nicht ohne Grund. „Musically, the band is super-great. Their hard disciplined beat is amazing“, war am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen. „Of course, it was foremost Jimmy Page that was responsible for this but the drummer should be mentioned; a drum solo so wild and good is hard to find.“3 John Bonham, John Paul Jones, Jimmy Page und Robert Plant hatten die Feuertaufe bestanden.

Am nächsten Tag spielten die „Yardbirds“ gleich drei aufeinanderfolgende Sets in Køge, Roskilde und Lolland, wo sie – wie bereits auch schon zuvor – den anwesenden Lokalbands die Show stahlen. Ihr minimales Equipment transportierten sie weiterhin in einem klapprigen Van, natürlich ohne Roadie. Beleuchtungseffekte und Bühnendeko? Fehlanzeige. „Wir verdienten auf der ersten Tournee kein Geld – keinen Penny“, so Robert Plant, der es damals ohnehin gewohnt war, von der Hand in den Mund zu leben. „Jimmy steckte das ganze Geld rein, das er bei den Yardbirds verdient hatte – und das war nicht die Welt.“4 Peter Grant zufolge bot sich John Bonham sogar als Fahrer an, um Übernachtungskosten zu sparen. Sein Preis: 50 Pfund pro Woche.

Dennoch waren die Anstrengungen der ersten Tour nicht umsonst, wie sich bald zeigen sollte. Allein die Tatsache, dass Jimmy Page trotz seines bekannteren Namens keine Sonderrolle für sich beanspruchte, förderte den Zusammenhalt und damit die Entwicklung neuer musikalischer Ideen. Einen solchen Moment schildert Robert Plant, der seine Stimme bei einem der ersten Live-Gigs plötzlich über die Songzeilen hinaus als Instrument einsetzte: „Nicht, dass ich versucht hätte, Scat zu singen, aber meine Stimme imitierte seine Gitarre. Wir hatten das nicht abgesprochen. Aber auf einmal passierte es, mitten in „You Shook Me“, und wir sahen uns an und grinsten.“5

Am 12. September trafen Bonham, Jones, Page und Plant in Stockholm ein, wo sie am Abend im schwedischen Nationaltheater auftraten. Zwei Tage später spielten sie bereits vor mehr als 1.000 Zuschauern im Angy Park und nach einem Zwischenstopp in Göteborg zum Ende der Tour am 17. September in Malmö sogar vor einer doppelt so großen Menge. Zweifellos war ihnen ihr Ruf als aufregendste und lauteste Band seit The Who und der Jimi Hendrix Experience vorausgeeilt.

Zurück in London warteten die Olympic Studios mit Toningenieur Glyn Johns – zu jener Zeit die erste Wahl aller britischen Rockbands mit Ausnahme der Beatles. Die Idee, das erste Album ohne jegliche Unterstützung von außen aufzunehmen, war für damalige Verhältnisse ungewöhnlich, wenn nicht gewagt, machte aber Sinn: „Ich wollte eiserne künstlerische Kontrolle, denn ich wusste genau, was ich mit der Band vorhatte“6, meint Jimmy Page, der den negativen Einfluss einer Plattenfirma fürchtete, im Rückblick. Stattdessen war er bereit, die Aufnahmen auf der nun buchstäblich allerletzten Rille zu finanzieren. „Mein Equipment war damals das absolute Minimum. Ich hatte die Telecaster, die Jeff Beck mir geschenkt hatte, eine akustische Harmony, ein paar Rickenbacker-Transonic-Lautsprecherboxen, die von den [alten] Yardbirds übrig geblieben waren, und ein Sammelsurium von Verstärkern […].“7

Um Kosten zu sparen, wurden die bühnenerprobten Songs der Skandinavientour in zusammenhängenden Takes eingespielt, live und ohne Diskussionen. Das Ergebnis waren packende Aufnahmen, deren Bandbreite von Rock über Blues bis hin zu Acoustic und Jazz allein schon den Rahmen eines herkömmlichen Debutalbums sprengte. „Nie zuvor hatte ich solche Arrangements gehört oder eine Band, die so gespielt hätte“, so Glyn Johns, der bis dahin schon mehrfach mit den Rolling Stones und The Who gearbeitet hatte. „Es war einfach unglaublich, und wenn du mit so viel geballter Kreativität im Studio bist, dann packt dich das, so was steckt an.“8 Was jetzt noch fehlte, waren ein neuer Bandname, der Verwechslungen mit den alten Yardbirds vermied, und natürlich ein Plattenvertrag. In diesem Zusammenhang erinnerte sich Page an Keith Moons Zeppelinvergleich und der Name stand fest. Und so traten Bonham, Jones, Page und Plant nach ersten UK-Gigs in Newcastle, London und Liverpool am 25. Oktober erstmals als Led Zeppelin auf.

Es war Peter Grants Idee gewesen, mit einer Tour durch die englischen Clubs und Ballrooms das Interesse von Plattenfirmen zu wecken, doch die Rechnung ging so nicht auf. Trotz mitreißender Auftritte gab es kaum Konzertkritiken und die wenigen sprachen immer nur von einer heavy group mit heavy sound. Ein Nachteil war sicherlich, dass Led Zeppelin kein Album vorzuweisen hatten. Das heißt: noch nicht.

Anfang November planten die Rolling Stones die Aufnahme eines TV-Specials in Form eines Zirkusspektakels, das neben Gastauftritten etablierter Rockacts auch eine Reihe vielversprechender Newcomer zeigen sollte. Glyn Johns, der mit der Tontechnik betraut wurde, war sofort Feuer und Flamme: „Bei einer der Besprechungen spielte ich Mick auch LZs Aufnahmen vor, mit dem Hinweis, dass die Band unmittelbar vor dem ganz großen Druchbruch stände und ihre Teilnahme bei der Show somit ein Riesen-Coup wäre.“ Aber: „Mein Vorschlag fiel auf taube Ohren, Mick zeigte sich nicht im geringsten beeindruckt.”9 George Harrisons Reaktion war ähnlich ernüchternd – „Ich spielte ihm die Masterbänder vor, mit demselben Ergebnis: Auch er schien alles andere als überwältigt zu sein.”10

Anstelle von Led Zeppelin bekamen Jethro Tull einen Auftritt beim Rolling Stones Rock and Roll Circus, der allerdings wider Erwartungen kurz nach seiner Fertigstellung in der Versenkung verschwand. Darum zählt Glyn Johns die Missachtung der ersten Led Zeppelin-Aufnahmen noch heute zu den ganz großen Enttäuschungen seiner Karriere: „Bis zu diesem Zeitpunkt war ich davon ausgegangen, dass wir alle mehr oder weniger den gleichen Musikgeschmack miteinander teilten. Jimmy und John Paul Johns stammten aus derselben Zeit mit denselben Einflüssen und dennoch lehnten Mick und George offen ab, was die beiden geschaffen hatten; sie sahen keinerlei Wert darin.“11

Free, Yes, Nazareth, Colosseum, King Crimson… – im Herbst ´68 gab es eine Menge Bands, die wie Led Zeppelin den Durchbruch suchten. Aber womöglich wartete dieser ganz woanders? Deep Purples Debutalbum Shades of Deep Purple war in Großbritannien ein Flop, in den USA jedoch ein Megaseller, wo sich die von Peter Grant weiterhin parallel gemanagte Jeff Beck Group ebenfalls im Höhenflug befand.

Am 9. November, dem Tag, als das White Album der Beatles erschien und alles in die Plattenläden stürmte, spielten Led Zeppelin im Londoner Roundhouse. Nach dem Konzert schnappte sich Peter Grant die von Pye und EMI endgültig abgelehnten Demobänder und flog nach New York, genauer gesagt zu Atlantic Records.

„Nur eine weitere gehypte Band“12, giftete der Rolling Stone stellvertretend für die Musikpresse, nachdem nach und nach immer mehr Details über den Plattendeal mit Atlantic bekannt wurden. 200.000 Dollar Vorschuss und ein Fünfjahresvertrag – noch dazu für eine nahezu unbekannte Band – das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Doch Ahmet Ertegun, dessen Label gerade mit Iron Butterflys In-A-Gadda-Vida einen Überraschungserfolg gelandet hatte, zögerte keinen Augenblick.

Das Goldene Zeitalter der Rockmusik war längst angebrochen – die Newcomer von heute waren die Stars von morgen. „Es gab zu der Zeit bei den meisten Labels die unausgesprochene Regel, dass ein Act drei Alben Zeit hatte, um sich zu beweisen“13, beschreibt Musikjournalist Michael Walker die damals vergleichsweise hohe Risikobereitschaft der US-amerikanischen Plattenindustrie. Als Johnny Winter Anfang 1969 nahezu unbekannt in Bill Grahams Fillmore West auftrat, befanden sich gleich mehrere Beobachter verschiedener Plattenfirmen im Publikum, übrigens auf Empfehlung des Rolling Stone. Columbia Records machte das Rennen – für sage und schreibe 600.000 Dollar!

Doch zurück zu Led Zeppelin, die daheim in England nach wie vor mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. „We tried to get billed as Led Zeppelin, but they always put The New Yardbirds on the posters, and they´d drag along the audience who´d come four years before to hear the Yardbirds”14, ärgert sich Robert Plant noch heute über die Ignoranz der lokalen Konzertveranstalter, die darüber hinaus jämmerliche Gagen zahlten: 225£ für einen Collegegig in Manchester und ganze 75£ bei einem improvisierten Open-Air-Auftritt in Bath. Dennoch mehrten sich die Anzeichen, dass auch die britische Live-Szene sich allmählich änderte. „Statt kreischender Teenies waren bei uns Leute, die sich echt dafür interessierten, was Led Zep spielten“, erzählt John Paul Jones: „Die hörten tatsächlich zu.“15

„We all thought we were witnessing something a bit special, certainly very different”, bestätigt ein Konzertbesucher, der die Band am 10. Dezember im legendären Londoner Marquee Club erlebte. „I couldn´t see very much over the heads of the crowd, but do in particular remember seeing the violin bow of Jimmy Page during ´Dazed and Confused`… And of course the volume!”16

Am 19. Dezember spielten Led Zeppelin in Exeter bevor sie einen Tag später für ihren auf Monate hinaus letzten UK-Gig nach London zurückkehrten. Die Entscheidung, sich statt weiterer Konzerte in England nun auf die Staaten zu konzentrieren, war nach dem Vertragsabschluss mit Atlantic und dem anhaltenden Erfolg der Jeff Beck Group ein nur allzu logischer Schritt – doch wer hätte gleich mit einem derart fulminanten Durchbruch gerechnet? Peter Grant: „I told them to go over there and make every performance something to remember and that´s exactly, what they were doing!”17

Peter Grant in Lewis/ Pallett: „Led Zeppelin: The Concert File“, Omnibus Press 1997, S.12.↩

Jimmy Page in “Jimmy Page Is Just Wild About Led Zeppelin”, Go! Magazine, December 1968, in: Bordowitz:„Led Zeppelin on Led Zeppelin. Interviews and Encounters”, Omnibus Press 2014, eBook, pos. 4%.↩

Press review auf http://www.ledzeppelin.com/show/september-7-1968-0, zuletzt eingesehen am 08.01.16.↩

Robert Plant in „Led Zeppelin. Musik & Mythos: Alles über die große Rockband, Rolling Stone, 2014, S.38.↩

Stephen Davis: “Hammer Of The Gods. Led Zeppelin. Die Saga”, Edel Verlag 3. Aufl. 2013, S. 71.↩

Brad Tolinski: „Licht und Schatten. Gespräche mit Jimmy Page“, Edel-Verlag 2013, S.105.↩

Brad Tolinski: „Licht und Schatten. Gespräche mit Jimmy Page“, Edel-Verlag 2013, S.113.↩

Glyn Johns in Davis: “Hammer Of The Gods. Led Zeppelin. Die Saga”, Edel Verlag 3. Aufl. 2013, S. 75.↩

Glyn Johns: „Sound Man“, Blue Rider Press 2014, eBook, chapter 20, pos. 31-32%, übersetzt vom Autor.↩

Glyn Johns: „Sound Man“, Blue Rider Press 2014, eBook, chapter 20, pos. 32%, übersetzt vom Autor.↩

Glyn Johns: „Sound Man“, Blue Rider Press 2014, eBook, chapter 20, pos. 32%, übersetzt vom Autor.↩

Nicht wortwörtlich nach John Paul Jones in „Led Zeppelin. Musik & Mythos: Alles über die große Rockband, Rolling Stone, 2014, S.44.↩

Michael Walker: „Laurel Canyon. Im legendären Tal des Rock´n´Roll“, Rogner & Bernhard, 2. Aufl. 2008, S.278/279.↩

Robert Plant in Lewis/ Pallett: „Led Zeppelin: The Concert File“, Omnibus Press 1997, S.15.↩

Brad Tolinski: „Licht und Schatten. Gespräche mit Jimmy Page“, Edel-Verlag 2013, S.134.↩

Martin Alston auf http://www.ledzeppelin.com/node/305/14116#comment-14116, zuletzt eingesehen am 08.01.16.↩

Peter Grant in Lewis/ Pallett: „Led Zeppelin: The Concert File“, Omnibus Press 1997, S.15.↩

Like a Tornado/ Die erste Nordamerika-Tour 1968-1969

„It was like a tornado, and it went rolling across the country.“1 Jimmy Page

Tatsächlich war der Erfolg, der in den USA über Led Zeppelin hereinbrach, alles andere als ein Zufall. In gewisser Weise hatten Bands wie Iron Butterfly, Vanilla Fudge und auch die Jeff Beck Group mit ihrem unverwechselbar düsteren Sound eine neue Ära eingeläutet, noch während die Westcoast-Hippieszene auf ihren letzten Höhepunkt in Woodstock zusteuerte, bevor Altamont sie kurz darauf in den Abgrund riss.

Led Zeppelins Stunde schlug, als die Jeff Beck Group eine geplante Tour mit Vanilla Fudge überraschend cancelte: „I had to ask them to fly out over Christmas and I felt bad about it”, so Peter Grant, der sich durchaus der Tatsache bewusst war, dass bis auf Jimmy Page keines der Bandmitglieder jemals in den Staaten gewesen war. „But they never queried it at all. They just knew it had to be done.”2

Bei ihrem US-Debut am 26. Dezember in Denver waren Jimmy Page & Co. noch nichts weiter als eine Vorgruppe, deren Name sich nicht einmal auf den Konzertplakaten wiederfand. Das sollte sich ändern.

Ungeachtet aller Enttäuschungen hatte Grant in seiner Zeit mit der Jeff Beck Group viel gelernt – unter anderem wie sich ein Album auch ohne Hitsingle in die Top-20 pushen ließ – die Blaupause für Led Zeppelins Durchbruch: Entscheidend dabei waren neue Kurzwellensender, welche Rockalben erstmals in voller Länge spielten und damit die Single als bislang unangefochtenes Marketinginstrument quasi über Nacht in Frage stellten. Vor diesem Hintergrund stieß Grants Vorschlag bei Atlantic Led Zeppelin erst zur Mitte der Tour zu veröffentlichen und stattdessen Promoexemplare an ausgewählte FM-Sender zu schicken auf offene Ohren. „Und das amerikanische Radio, das völlig anders war als das britische, hat uns sehr viel schneller Zugang zu dem ganzen Land verschafft“, erzählt John Paul Jones. „Wir wiederum gossen Öl ins Feuer, indem wir jedem Schuppen, jeder Baracke und jedem Hühnerhof mit einer FM-Antenne einen Besuch abstatteten.“3

Die ersten Stationen der Tour waren jedoch alles andere als abgelegen, was sich allein an den Zuschauerzahlen zeigte: Schon in Seattle und Vancouver kamen zusammen mehr als 20.000 Zuhörer und in Portland riefen die knapp 4.000 Zuschauer am 29. Dezember im überfüllten Civic Auditorium nicht etwa nach dem Headliner, sondern nach dessen Vorgruppe – zur großen Bestürzung von Vanilla Fudge. Als Mitte der 1980er Steven Davis vielbeachtete Bandbiografie Hammer of the Gods erschien, sorgten die darin enthaltenen Äußerungen von Richard Cole, dem damaligen Roadmanager, für Aufsehen: Page hatte demzufolge an Robert Plant gezweifelt und zumindest erwogen, ihn durch einen anderen Sänger zu ersetzen. Doch wozu? Abgesehen davon, dass weder Page noch Plant sich jemals zu den Behauptungen äußerten, war das, was zunächst nur in Form von Gerüchten aus den Arenen drang, in den Ohren der damaligen Konzertgänger pures Dynamit: Eine Band, die laut und leidenschaftlich spielte, ohne dabei den roten Faden zu verlieren, war in der Tat etwas Besonderes. Der „Hype“ war echt, die street credibility real. „Ich glaube, als wir groß herauskamen, gab es eine Menge Hippie-Bands, die einfach auf der Bühne herumlatschten, sich zwischen den Songs ansahen und sich irgendwie fragten, in welcher Tonart sie gerade waren…“, erklärt John Paul Jones den aus seiner Sicht entscheidenden Unterschied. „Das wollten wir vermeiden. Wir wollten den Leuten richtig einheizen und eine Show abziehen.“4

Als Led Zeppelin zum Jahresende im Kennedy Pavillon der Gonzaga Universität von Spokane spielten, schnitt ein Konzertbesucher den gesamten Auftritt mit.

---ENDE DER LESEPROBE---