Live-TV - Wolfgang Lanzenberger - E-Book

Live-TV E-Book

Wolfgang Lanzenberger

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Beschreibung

Fernsehen ist nie direkter zu erleben als beim Live-TV. Kommentiert, geschnitten und ausgestrahlt auf die Sekunde – eine Übertragung in Echtzeit. Top oder Flop liegen daher nirgendwo so nah beieinander wie bei einer Live-Sendung. Ob bei Nachrichten, Magazinen, Shows oder Events: Jede Sekunde im Sendeablauf muss perfekt sein, denn ohne sorgfältige Planung und ohne Kenntnisse der Produktionszusammenhänge läuft nichts im Live-Betrieb. Wolfgang Lanzenberger, Leiter Regie der ProSiebenSat.1 Produktion, erklärt, auf was es bei einer Live-Sendung ankommt. Von der Themenplanung über die Bildgestaltung bis zur Ablaufsteuerung, dem Einsatz von Grafiken und virtuellen Effekten sowie der Anbindung zu Social-Media-Kanälen zeigt der erfahrene Regisseur und Fernsehjournalist, wie die Arbeit im Studio reibungslos funktioniert. "Live-TV" ist mit vielen konkreten Beispielen, Checklisten, Filmen und Interviews auch ein Ideengeber für erfolgreich produziertes Fernsehen, das sich in einem verschärften Wettbewerbsumfeld künftig noch stärker behaupten muss. Ein unverzichtbarer Ratgeber für alle, die mehr über die Königsdisziplin des Fernsehens erfahren möchten – oder eine Karriere als TV-Profi planen.

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INHALT

VORSPANN

EINLEITUNG

A DIE WIRKUNG VON LIVE-SENDUNGEN

A1 Warum Live-Fernsehen anders ist

»

Das erzeugte Gemeinschaftsgefühl

»

Das Phänomen der Gleichzeitigkeit

»

Die Faszination des Augenblicks

»

Der ungewisse Ausgang

»

Die Bedeutung der Live-Rituale

A2 Die wichtigsten Live-Genres

»

Aktuelle Informationssendungen

»

Fernsehmagazine

»

Talkshows

»

Live-Entertainment

»

Sport- und Eventübertragungen

»

Transaktionsfernsehen

A3 Live-Fernsehen ist Formatfernsehen

»

Was bedeutet Formatierung genau?

A4 Live oder Nicht-Live?

»

Ereignisse müssen relevant sein

»

Bigger than Live

B FASZINATION AM LAUFENDEN BAND

B1 Wer macht was bei einer Live-Sendung?

»

Jeder für sich und alle zusammen

»

Erstens: der inhaltlich-redaktionelle Bereich

»

Zweitens: der künstlerisch-kreative Bereich

»

Drittens: der technisch-operative Bereich

»

Viertens: der organisatorisch-administrative Bereich

B2 Die Technik

»

Technik ist nicht gleich Technik

»

Technik als Verbündeter

»

Der Stand der Technik entscheidet

»

Die Chancen der Digitalisierung

»

Arbeitsplatz Redaktion

»

Arbeitsplatz Schnitt

»

Arbeitsplatz Fernsehstudio

»

Arbeitsplatz Fernsehregie

B3 Was Redaktionen leisten müssen

»

Die Rolle der Redaktion

»

Das A & O aller Planungsarbeit: verlässliche Deadlines

»

Filmbeiträge in der Live-Sendung

»

Richtig anliefern am Beispiel der Beitragsproduktion

B4 Arbeiten im Live-Modus

»

Alles geschieht unter Zeitdruck

»

Vieles geschieht gleichzeitig

»

Proben sind unverzichtbar

»

Technik den Technikern überlassen

»

Es gibt nur eine Chance: Nutzen Sie diese!

»

Ratschläge für Einsteiger

C DAS HERZSTÜCK DER SENDUNG – DIE STUDIO-MODERATIONEN

C1 Die Rolle des Moderators

»

Die Moderation als Darstellungsform

»

Schwierige Situationen meistern

C2 Was Moderatoren können müssen

»

Erfolgreich moderieren

»

Tipps für den professionellen Umgang mit Moderatoren

C3 Moderationstexte schreiben

»

Der perfekte Moderationstext

»

Authentisch bleiben

C4 Visuelle Umsetzung von Moderationen

»

Die bebilderte Moderation

»

Mit Hintersetzerbildern arbeiten

»

Requisiten beleben die Moderation

»

Verblüffung perfekt: die Moderation mit virtuellen Effekten

D SENDUNG PLANEN

D1 Von der Planbarkeit des Unplanbaren

»

Die Zeitgebundenheit von Live-Themen

»

Die Ortsgebundenheit von Live-Themen

»

Tipps und Tricks zur Themenaufbereitung

»

Der Sendungsbau: Reihenfolge und Gewichtung von Themen

»

Die Struktur einer Talksendung: ein Beispiel

»

Achten Sie auf den Audience-Flow

D2 Nah dran am Publikum

»

Das Ziel ist die Aufmerksamkeit des Zuschauers

»

Sendungsbewusst: ohne Dramaturgie keine Wirkung

»

Mit dramaturgischen Modellen arbeiten

»

Mit welchen Archetypen arbeitet das Fernsehen?

»

Ein Masterplan mit Masterplot

»

Ein Klassiker: die Reise des Helden

»

Zutaten für den richtigen Dramaturgie-Mix

D3 Den Zuschauer bei der Stange halten

»

Der Trick mit den Schrifteinblendungen

»

Von Trailern, Teasern und Cross-Promotion

»

Unbeschreiblich werblich: Gewinnspiele

D4 Ohne Erfolgskontrolle geht es nicht

»

Wie die Programmforschung das Programm macht

»

Wer schaut eigentlich zu?

»

Die Gefahr der Überinterpretation

»

Grenzen der Programmforschung

»

Fit für den Quotencheck

»

Programm machen bedeutet, sich zu bekennen

E SENDUNG GESTALTEN

E1 Grundlegende Gedanken zur Fernsehgestaltung

»

Fernsehrealität ist konstruierte Realität

»

Was macht gute Fernsehgestaltung aus?

»

Inhalte wechseln, die Form bleibt

»

Gestaltungsgrundsätze statt Gestaltungsregeln

»

Gestaltung im Geist der Zeit

»

Launch, Relaunch oder Facelift

E2 Design oder Nichtsein: der Auftritt macht den Unterschied

»

Spielarten des Corporate Designs

»

Set-Gestaltung als gebaute Corporate Identity

»

Was gute Set-Lösungen auszeichnet

»

Verblüffung perfekt: das virtuelle Studio

E3 Richtig kommunizieren: die Bedeutung des Briefings

»

Alle zusammen: die Studiobesprechung

»

Die Bringschuld der Redaktion

»

Die Bedeutung der Setposition

E4 Kamerastandpunkte: Bildgestaltung und ihre Wirkung

»

Einstellungsklassiker, die Sie kennen sollten

»

Im Studio zählt die Bewegung

»

Bildführung zwischen Planung und Spontaneität

»

Besonderheiten der Studiokamera

E5 Tanz der Bilder: der Bildschnitt

»

Wie Bildauflösungen funktionieren

»

Schnitt heißt Auswahl, Rhythmus und Timing

»

Schnitt-Klassiker, die Sie kennen sollten

»

Was Sie als Redakteur tun können

E6 Atmosphäre erzeugen: mit Licht

»

Studiolicht: ein Fall für den Experten

»

Licht leicht gemacht

F SENDUNG FAHREN

F1 Das Rückgrat der Sendung

»

Wenn alle Sendeelemente zusammenkommen

»

Kein Ablauf ohne Ablaufbesprechung

»

Team-Briefing vs. Einzel-Briefings

»

Wie man richtig „tauft“

»

Achtung: Logo-Falle!

F2 Die Steuerung des Sendeablaufs

»

Der „Run-Down“ im Redaktionssystem

»

Am Zeitmanagement führt kein Weg vorbei

»

Kleine Helfer ganz groß

»

Kommandodisziplin, bitte!

»

Kurz vor live: der kritische Moment

F3 Wenn es schiefläuft: Pleiten, Pech und Pannen

»

Fehlervermeidung gehört zum Job

»

Was tun bei Ausfällen?

»

Kein Plan ohne Plan B: Warum Havarieszenarien so wichtig sind

»

Planungssicherheit – um jeden Preis?

»

Wichtig: Emotionen runterschrauben

G LIVE HANDELN – FERNSEHWISSEN FÜR FORTGESCHRITTENE

G1 Die Außenübertragung

»

Gut planen heißt, detailliert planen

»

Formen der Außenproduktion

»

Die wichtigsten Übertragungswege

»

Richtig anfordern – am Beispiel Schalte

»

Außenübertragung: die wichtigsten Fragen und Antworten

G2 Die Übertragung von Großevents

»

Wahlsendungen: Komplexität bewältigen, nur wie?

»

Bloß nichts versäumen!

»

Die richtigen Bilder zur richtigen Zeit

»

Das Dilemma der Gleichzeitigkeit

»

Es spielt „das große Orchester“

G3 Die Rahmenbedingungen der Produktion

»

Der Sinn von Aufzeichnungen

»

Vorproduktionen für die Live-Sendung

»

Teilaufzeichnungen als effiziente Alternative

»

Die Live-on-Tape-Aufzeichnung

»

Einmalige Sendung oder Studio-Standardproduktion?

H FERNSEHEN ANDERS DENKEN – NEXT-LEVEL-TV

H1 Wie das Internet das Fernsehen verändert

»

Aus Zuschauern werden Mitmacher

»

Ideen für Interaktionen

»

Der Aufstieg des Social-TV

»

TV und Online werden eins

»

Der Mehrwert von Social-TV-Programmen

»

Junge Zielgruppen sehen anders fern

H2 Alternative Distributionsformen des Live-Fernsehens

»

Die Frage der Endgeräte

»

Fernseh-Apps auf dem Vormarsch

»

HbbTV – eine Chance für das Live-Fernsehen

»

Ist YouTube das neue Fernsehen?

»

Was Multichannel-Netzwerke anders machen

H3 Die digitale Ära

»

Der digitale Turn und seine Auswirkungen auf den Journalismus

»

Steigender Kostendruck – was nun?

»

Redaktion und Produktion wachsen zusammen

»

Wie wird Fernsehen in Zukunft produziert?

H4 Vom Sender zum digitalen Content-Lieferanten

»

Die Zukunft gehört dem crossmedialen Arbeiten

»

Hat das klassische Sendermodell noch eine Zukunft?

»

Quo vadis Fernsehen?

I ZWISCHEN UMBRUCH UND AUFBRUCH

X ANHANG

X1 Quellen & Literaturvorschläge

X2 Bildnachweise

X3 Danksagung

VORSPANN

ein ganz normaler Sendetag

Alle warten. Kameramänner spielen an der Schärfe, Kleider werden zurechtgezupft, der Aufnahmeleiter gibt letzte Anweisungen. Wenn die Stimme des Regisseurs im Studio ertönt, herrscht gespannte Stille: „Noch zehn Sekunden ... fünf, vier, drei ...“ – Und dann kommt der entscheidende Moment: Auf null startet der Sendungs-Opener. Ein Kamerakran fliegt, wie von Geisterhand gesteuert, auf die Moderatorin zu. Schnitt auf sie: „Hallo und herzlich willkommen ...“, begrüßt die Frau vor der Kamera die Zuschauer freundlich, „... unsere Themen heute...“ So und nicht anders kennt der Zuschauer die Sendung. Vom perfekten Auftritt über die Lichtführung bis zum effektvoll ausgeleuchteten Set – wie selbstverständlich spult sich das Fernsehgeschehen auf der Mattscheibe ab. Der Zuschauer ahnt kaum, welcher Aufwand notwendig ist, damit die Bilder auf den Schirm kommen und Fernsehen so aussieht wie Fernsehen. Bis die Sendung ihre Bildschirmreife erreicht hat, ist es meist ein langer Weg.

Nun, auf Sendung, wird es ernst. Bis dahin ist alles Geplänkel, ein Planspiel, an dem ständig geschraubt, geändert, optimiert und wieder verworfen wird – mit ungewissem Ausgang. Im stark abgedunkelten Regieraum herrscht Konzentration. Hier laufen alle Bild- und Tonquellen, alle Informationen zusammen. Hier schlägt das Herz der Sendung. Auch in dieser Sendung wird es wieder viel Abstimmungsbedarf geben. Umstellungen in letzter Sekunde werden das Team auf Trab halten. Der Kampf um die Gunst des Zuschauers beginnt täglich von Neuem. Aber der Sendungseinstieg ist schon mal geglückt.

Techniker starren gebannt auf die Monitorwand. In der Mitte der zappelnden Bilderflut befindet sich der Programm-Monitor. Er zeigt, was rausgeht. Hände schalten routiniert Bild- und Tonsignale. Mit ruhiger Stimme gibt der Regisseur seine Kommandos: „Kamera 2 näher ... Vorwarnung Server B ... und ab!“ Er darf den Überblick nicht verlieren. Neben ihm sitzt der Chef vom Dienst, kurz CvD. Er vertritt die Redaktion und ist für den Inhalt der Sendung verantwortlich. Während die Moderatorin zur Bestform aufläuft, ist er noch damit beschäftigt, letzte Details zu recherchieren. Die Sendung nimmt ihren ganz normalen Gang. Nur der Beitrag fünf fehlt noch. Doch sich jetzt schon darüber den Kopf zu zerbrechen, ist zu früh.

Plötzlich herrscht Unsicherheit. Das Ende eines Filmbeitrags ist nicht klar, und die Regie-Crew weiß nicht, wann sie ins Studio schneiden soll. Der Off-Sprecher ist verstummt und ein unvermittelter Bilderüberhang steht am Ende des Beitrags. Sekunden werden zu Stunden. Mit einem entschlossenen „Raus!“ beendet der Regisseur die Irritation. „Komischer Ausstieg“, raunt der Kollege am Bildmischpult. Langsam gleiten die Blicke wieder in eine Richtung: Was macht Beitrag Nummer fünf? Der Chef vom Dienst greift zum Telefon und stellt die alles entscheidende „Wielange-braucht-ihr-noch“-Frage. „Wir sind schon in der Vertonung“, heißt es knapp aus dem Schnittraum. Noch immer klafft auf dem Monitor des Senderservers eine Lücke mit blinkendem Fragezeichen. Was tun, wenn dieser Beitrag nicht rechtzeitig fertig wird? Längst hat der CvD mögliche Alternativen durchgespielt. Beitrag sechs vorziehen, könnte eine Lösung lauten. Aber dann ist der schöne Textübergang im Eimer. Oder lieber das bunte Stück von hinten vorholen, aber dann fehlt es dort am Versöhnlichen. Denken in Eventualitäten und das Bewältigen von Worst-Case-Szenarien gehören zum Job eines Chefs vom Dienst.

Halbzeit der Sendung. Langsam beginnt die Moderatorin zu glänzen. Während ein Filmbeitrag läuft, pudert die Maskenbildnerin nach. Dann kündigt sich die gute Nachricht an: Die Fragezeichen blinken nicht mehr. Per Filetransfer läuft der fehlende Beitrag auf. „Cued“ heißt startbereit zum Senden. Das Redaktionssystem zeigt an, dass die Sendung, wenn alles wie geplant läuft, 25 Sekunden zu kurz sein wird. Ein Unding, denn so müssten die anschließenden Nachrichten früher anfangen. CvD und Moderatorin einigen sich schnell, dass man heute einen Online-Hinweis hineinnimmt. Der Grafik-Operator muss dazu eine entsprechende Bauchbinde vorlegen. Dass die Moderatorin ihre Abmoderation mit einer Schlusspointe versieht, die nicht im Teleprompter steht, freut alle. Während sie noch ein paar persönliche Worte zum Lauf der Welt verliert, blendet die Schlussmusik ein, und der Abspann-Crawl saust am unteren Bildrand vorbei. Der Kamerakran beginnt sich wieder zu bewegen. Diesmal in umgekehrter Richtung, vom Moderator weg und nach oben, so dass eine prächtige Studiototale einen imposanten Abschluss liefert. Der Closer beendet die Sendung endgültig. Vorher werden die Kollegen in der Sendeabwicklung heruntergezählt, damit es im Programmfluss nahtlos weitergeht. Dann heißt es schließlich, pünktlich, nach 43 Minuten und 17 Sekunden: „Danke, wir sind runter. Schönen Feierabend.“ In Windeseile werden Mikrofone abgeklemmt, wird das Licht heruntergefahren, werden Kamerakabel aufgerollt. Ins nun neonerleuchtete Studio kehrt jene Nüchternheit zurück, die vor der Sendung geherrscht hat. Nichts erinnert mehr daran, dass man wenige Augenblicke zuvor in Millionen von Haushalten zu Gast war. Jetzt wird abgeschminkt. Alle verlassen schnellstmöglich den unwirtlichen Ort des Studios, schließlich ist morgen wieder ein Sendetag. Schon bald wird sich niemand mehr vom Team an den Inhalt der gelaufenen Sendung erinnern – was nicht so sehr von Desinteresse zeugt als vielmehr von der Schnelllebigkeit des Fernsehgeschäfts. Was versendet ist, interessiert in der Regel niemanden mehr.

Nur für den Chef vom Dienst ist die Sendung noch nicht abgehakt. Er muss in der Redaktionskonferenz am Tag danach Rede und Antwort stehen. Die Quote war zwar in Ordnung, aber nicht berauschend. Die Redaktionskollegen hätten bei diesem Themen-Mix mehr erwartet. Dann meldet sich noch ein Kritiker zu Wort: Was denn mit dem seltsamen Ausstieg seiner MAZ gewesen sei, möchte er wissen. Warum so viel „grundloser Bildüberhang“ gezeigt wurde? Schnell stellt sich heraus, dass die letzten Worte des Beitrags nicht mit der Angabe im Sendeplan übereinstimmten, so dass die Regie nicht wusste, wann der Beitrag zu Ende war. Ein Klassiker, der in Live-Sendungen öfter vorkommt. Peinlich für den Kollegen, der sich in der Vertonung einen neuen Sprechertext hatte einfallen lassen, aber diesen Geistesblitz nicht im Sendeplan vermerkt hatte. Die Konferenz sieht gelassen darüber hinweg. Optimismus gehört schließlich zum Geschäft und live ist live – da passieren solche Dinge. Der Zuschauer wird diesen kleinen Schönheitsfehler kaum bemerkt haben. Außerdem ist heute wieder ein Sendetag, mit ganz einmaligen Themen, schön gedrehten Beiträgen und möglichst ohne falsche letzte Worte. Anders gesagt: ein ganz normaler Sendetag.

EINLEITUNG

Live ist die Königsdisziplin des Fernsehens. Nirgendwo wird mehr Professionalität und Improvisationskunst gefordert, und nirgendwo bemisst sich der Erfolg so sehr danach, wie schnell die Ereignisse qualitativ hochwertig auf den Bildschirm kommen. Ob bei Nachrichten, Magazinen, Shows oder bei Sportübertragungen: Live zu senden ist eine Form der Hochgeschwindigkeitsvermittlung und eine ständige Herausforderung für die Macher. Kaum ist eine Sendung geschafft, steht schon die nächste vor der Tür. Oft Woche für Woche, manchmal Tag für Tag. Was alle Formen des Live-Fernsehens eint, ist die Tatsache, dass jegliche Arbeit am Tag danach schon wieder Schnee von gestern ist.

Die beste Sendezeit ist immer genau jetzt, lautet die These dieses Buches. Doch was bedeutet es für die Fernsehmacher, wenn live ausgestrahlt wird? Auf welche Weise lassen sich journalistische Standards wie Recherche, Selektion, Gewichtung und Storytelling aufrechterhalten, wenn der Zeitpunkt der Herstellung mit der Rezeption zusammenfällt? So viel sei jetzt schon verraten: Man muss sorgfältiger planen und vorbereiten als sonst in der journalistischen Produktion. Man sollte bereit sein, Kompromisse zu akzeptieren, weil man nur bedingt eingreifen kann und eigentlich nie genau weiß, wie sich die Dinge vor der Kamera entwickeln. Im Gegensatz zu Aufzeichnungen kann nichts nachgebessert werden.

Live-Sendungen leben von der Spontaneität, von der klaren Kante, der spitzen Pointe und manchmal auch von Plattitüden. Live-Fernsehen ist unmittelbares, unverfälschtes, direktes Fernsehen und vielleicht gerade deshalb so erfolgreich.

Im Unterschied zu den Fernsehbildern, die planvoll arrangiert und in der Postproduktion zurechtgeschnitten wurden, entfalten Live-Bilder oft eine ganz eigene Kraft. Live-Sendungen sind direkt an Raum und Zeit gebunden, und je mehr Widersprüche sie vereinen, umso spannender geraten sie. Vieles wirkt schroffer, weniger glatt, widerspenstiger. Live-Sendungen sind auch deshalb so anders, weil sie stets eine große Masse von Zuschauern im Augenblick des Entstehens ansprechen. Live-Sendungen überwinden räumliche Distanzen, gleichzeitig entwickeln sie eine besondere Nähe, etwa durch Nahaufnahmen und sonstige inszenatorische Kunstgriffe wie Zeitlupen, Dramatisierungen im Bildschnitt oder kunstvolle Animationen. Der Live-Zuschauer ist meist nicht nur interessiert, sondern gleichzeitig auch involviert. Je nach Genre können Live-Sendungen eine ganz spezifische emotionale Beteiligung entwickeln.

DIE WICHTIGSTE ZEIT IST IMMER DER AUGENBLICK.

FREI NACH LEO TOLSTOI

Live erlebt immer dann seine Höhepunkte, wenn es um gesellschaftlich relevante Ereignisse geht, um große Gefühle, oder wenn es etwas zu gewinnen oder zu verlieren gibt. Wenn sich die Nachrichtenlage zuspitzt, sich eine Katastrophe ereignet – von der Hochwasserbedrohung bis zum Terroranschlag –, dann läuft garantiert ein ARD-Brennpunkt zur besten Sendezeit, mit den neuesten Bildern und Korrespondenten-Berichten samt Hintergrundinformationen und Interpretationen. Zudem kann Live-Fernsehen länderübergreifend wirken. Das zeigen nicht nur Gesangswettbewerbe, wie der Eurovision Song Contest, sondern auch Sportevents wie die Olympischen Spiele oder Fußballweltmeisterschaften, die zu Mega-Events stilisiert werden und ganze Nationen mitreißen.

Doch längst geht es heute um viel mehr als lediglich darum, gutes Fernsehen zu produzieren. Im Zeitalter der Vielkanalwelt ist der TV-Markt gesättigt wie nie zuvor. Hunderte von Sendern konkurrieren nicht nur untereinander, sondern auch mit den Angeboten aus dem Internet. Fernsehen ist mehr als früher auf Zielgruppen zugeschnitten. Wenn früher eine Sendung Erfolg hatte, lag das zu einem nicht geringen Anteil an der Persönlichkeit des Moderators und daran, dass neue, aufregende Dinge zur Darstellung kamen, von denen der Zuschauer nicht viel wusste. Heutzutage gibt es zwar immer noch hervorragende Moderatoren, aber dem Verlangen nach Neuem und noch nie Dagewesenem ist dieser Tage nur schwer beizukommen. Im Überangebot der Medienlandschaft wird es immer schwieriger, Nischen ausfindig zu machen, weil alles irgendwie schon einmal gemacht wurde. Neue Fernsehformate, die dem Zuschauer keinen klaren Mehrwert bieten, haben es schwer, sich zu behaupten. Es gibt schon zahlreiche andere Angebote, die auf die gleichen Zuschauerbedürfnisse abzielen.

Zu den schmerzlichsten Erfahrungen von Fernsehmachern gehört, dass sie quasi ihr Monopol auf das Bewegtbild und die Echtzeitvermittlung verloren haben. Aktuelle Informationen und Unterhaltungsangebote existieren heute jederzeit und überall. Mögliche Anzeichen dafür, dass die Bindekräfte zwischen den Sendern und ihren Zuschauern schwinden, gibt es bereits. Heute schon werden viele Unterhaltungsangebote wie Spielfilme und Serien non-linear konsumiert, was Programmmacher unter Druck setzt. Man kann deshalb behaupten, dass es Fernsehen 2016 schwerer hat als noch vor 20 Jahren.

Niemand zweifelt heute mehr daran, dass die zeit- und ortsunabhängige Nutzung von Medien an Bedeutung gewinnt. Junge Zielgruppen wollen Programme sehen, wann immer und wo immer sie wollen. Die Art und Weise, wie Informationen konsumiert, mitgeteilt und ausgetauscht werden, hat sich grundsätzlich geändert. Aus der ursprünglich schönen, beschaulichen Fernsehwelt ist ein unüberschaubarer Markt für bewegte Bilder geworden. Welche Konsequenzen hat dies für Live-Sendungen? Zu allen Zeiten waren und sind sie eine feste Größe im Programmgefüge der Sender, auch wenn sie ihr Gesicht über die Jahre stark verändert haben. Gut möglich, dass sie in Zukunft eine stärkere Rolle spielen werden, als Leuchttürme im Programm, die auf ihre Sender abstrahlen. Denn Filme und Serien kann sich der Zuschauer downloaden. Das Live-Erlebnis dagegen nicht!

Wie funktionieren Live-Sendungen? Was passiert hinter den Kulissen? Wer macht was in der Produktion? Wie lässt sich das Unplanbare planen? Wozu braucht es einen Ablaufplan? Nach welchen Gesichtspunkten werden Kamerabilder ausgewählt? Welche Möglichkeiten der Zuschaueransprache entstehen durch Interaktion und Social Media? Wie funktionieren Multi-Channel-Netzwerke? Und wie verändert die Digitalisierung den Produktionsalltag beim Fernsehen?

In der Regel werden bei der Journalistenausbildung nicht viele Worte über die Live-Produktion verloren. Wer das erste Mal im Studio aufschlägt, muss feststellen, dass dort ein eigener Verhaltenskodex herrscht, dass Begriffe und Bezeichnungen kursieren, von denen man noch nie etwas gehört hat. Dem Neuling bleibt manchmal nichts anderes übrig, als die Dinge intuitiv zu erfassen oder auf das Wohlwollen seiner Kollegen zu hoffen. Kurzum: Er wird meist ins kalte Wasser geworfen.

Zum Glück entwickelt sich nicht jeder Sendetag dramatisch. Es gibt auch ruhige Tage, ja sogar so etwas wie „Live-Langeweile“. Schwankungen im Arbeitsaufkommen und im Anforderungsniveau gehören ebenso zur Arbeitswirklichkeit wie längere Phasen des Wartens. Letzteres liegt in der Natur der Sache, denn schließlich ist man beim Live-Fernsehen an feste Sendezeiten gebunden. Das bedeutet, dass man das Verharren im Stand-by-Modus ebenso gut beherrschen muss wie das rasante Aufdrehen auf Hochtouren.

Seit mehr als 25 Jahren bin ich als Studioregisseur in der Live-Produktion tätig. Zusammen mit Journalisten, Gestaltern und Technikern stehen wir jeden Tag erneut vor der Frage, wie man Themen und Inhalte optimal für die Live-Ausstrahlung aufbereitet. Und wir wissen nie, ob es auch diesmal wieder klappen wird. Live-Sendungen sind ein Abenteuer mit offenem Ausgang und manchmal eine Expedition ins Ungewisse. Die Möglichkeit des Scheiterns macht einen Teil des Live-Kitzels aus, den diese Tätigkeit in sich birgt. Was auch immer passieren mag, die oberste Devise muss lauten: cool bleiben! Wer allzu verkrampft und verbissen sein Tagwerk verrichtet, wird es in der Live-Produktion nicht weit bringen. Zu einer erfolgreichen Sendung gehört neben einem ausgeprägten Gespür für Team und Technik eben auch Sportsgeist, und der bringt bekanntlich die Erfahrung mit sich, dass man auch mit den Niederlagen fertig werden muss. Wer sich selbst stark unter Druck setzt, reibt sich in diesem Job auf. Neben kühler Berechnung, Fleiß und handwerklichem Können helfen Kollegialität gepaart mit guter Laune und eine gehörige Portion Optimismus. Und seien Sie sicher: Wenn Sie Ihre Rolle mit Bravour spielen und bestens gewillt sind, im Schulterschluss mit Ihren Partnern aus Produktion und Technik zusammenzuarbeiten, kann eigentlich nicht viel schiefgehen.

VIDEO: WARUM LIVE-PROGRAMME WICHTIG SIND

Die Sicht der Sender, Länge: 6:06

www.lanzenberger-live.de/videos-audios

Die strategische Bedeutung von Live-Fernsehen erklärt Karl König, Geschäftsführer von ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH, an konkreten Beispielen.

DIE WIRKUNG VON LIVE-SENDUNGEN

A1Warum Live-Fernsehen anders ist

A2Die wichtigsten Live-Genres

A3Live-Fernsehen ist Formatfernsehen

A4Live oder Nicht-Live?

Abb. 1: Mission „Stratos“: Etwa 200 Sender und Netzwerke übertrugen live am 12. Oktober 2012 den Fallschirmsprung aus der Stratosphäre.

Abb. 2: Extremsportler Felix Baumgartner beim Absprung aus seiner Druckkapsel, die zuvor mit einem Heliumballon auf fast 39 km Höhe gebracht worden war.

„ICH WEISS, DIE GANZE WELT SIEHT JETZT ZU“, SAGT EIN MANN AN DER SCHWELLE EINER KLEINEN RAUMKAPSEL. ER BLICKT AUF DIE ERDE. DANN SPINGT ER.

FELIX BAUMGARTNER, EXTREMSPORTLER

Waren Sie als Fernsehzuschauer dabei, als Felix Baumgartner 2012 den Fallschirmsprung aus der Stratosphäre riskierte? Oder 1998 beim „Torfall von Madrid“, als Günther Jauch und Marcel Reif 76 Minuten bis zum Anpfiff überbrücken mussten? Was ging Ihnen bei den Terroranschlägen von 9/11 durch den Kopf, als vor den Augen der Weltöffentlichkeit der United-Airlines-Flug 175 als zweites Flugzeug in den Südturm des World Trade Centers flog? Dies sind nur wenige Beispiele für besondere Fernsehmomente, die Fernsehgeschichte schrieben. Alle haben eins gemeinsam: Sie wurden live gesendet.

In der Gunst der Zuschauer rangieren Live-Sendungen ganz oben. Nirgendwo sonst lässt sich Fernsehen direkter erleben, und nirgendwo anders sind ferne Ereignisse unmittelbarer zu spüren. Live-Fernsehen ist die „Authentizitätsmaschine“ schlechthin. Man könnte auch sagen: Die Möglichkeit, Ereignisse in Bild und Ton zeitgleich übertragen zu können, ist das Alleinstellungsmerkmal des Fernsehens. Filme, Dokumentationen und Berichte kann man sich auch herunterladen, man kann zeitversetzt schauen oder sich in einer der zahlreichen Mediatheken bedienen. Doch das Bewusstsein, dass Millionen andere Zuschauer ebenfalls gerade vor den Bildschirmen sitzen, während das Ereignis stattfindet, schafft erst jenes Live-Erlebnis.

A1 WARUM LIVE-FERNSEHEN ANDERS IST

Das erzeugte Gemeinschaftsgefühl

Das Phänomen der Gleichzeitigkeit

Die Faszination des Augenblicks

Der ungewisse Ausgang

Die Bedeutung der Live-Rituale

Abb. 3: Public Viewing in einem Münchner Bierkeller: Im WM-Halbfinale 2014 besiegte Deutschland das Gastgeberland Brasilien mit 7:1.

In den Anfängen des Fernsehens wurde zunächst immer live ausgestrahlt. Nicht aus inhaltlich-dramaturgischen Erwägungen, sondern schlicht deswegen, weil die technischen Grundlagen für eine Speicherung des Fernsehbildes erst später geschaffen wurden. Erst mit der Erfindung der Magnetaufzeichnung (MAZ) war es möglich, Fernsehbilder, die auf elektronischem Weg entstanden, zeitversetzt wiederzugeben. Erstaunlich, dass sich das Live-Fernsehen über die Jahre so gut gehalten hat, obwohl oder vielleicht gerade weil das Fernseherlebnis heute ein anderes geworden ist.

Das erzeugte Gemeinschaftsgefühl

Jede Live-Aufnahme suggeriert die Anwesenheit von realen Personen. Alle Details des Auftritts werden vom Zuschauer aufmerksam registriert: Mimik, Gestik, Styling, Accessoires. Der Zuschauer spürt die Echtheit des Moments, vor allem, wenn es zu Unstimmigkeiten kommt.

Die zentrale Erfahrung des Live-Zuschauers ist eine Erfahrung der Gemeinschaft. Der pathetische Begriff der „Fernsehgemeinde“ scheint hier besonders zutreffend. Darauf können, besser: darauf sollten die Anbieter von Live-Programmen aufbauen. Noch mehr als alle anderen Sendungen müssen Live-Sendungen vom Zuschauer her gedacht werden, weil die Erfahrung des gemeinsamen Erlebens prägend ist.

Der Live-Effekt lässt sich durch gezielte Inszenierung steigern. So gelingt die Ansprache noch besser, wenn sie sich an ein tatsächlich vorhandenes Publikum im Studio richtet. Der Moderator und seine Gäste oder Kandidaten stehen hierbei in ständigem Austausch mit diesem Publikum. Wenn dieses Show-Publikum dann emotional mitgeht, bleibt auch vor dem Bildschirm niemand unberührt. Man könnte auch sagen, dass das Präsenzpublikum vor Ort eine stellvertretende Funktion einnimmt: Es klatscht und jubelt für den Zuschauer zuhause stets mit. Deshalb sind die Zwischenschnitte in der Bildführung auf die Reaktionen des Publikums so wichtig. Auf der wechselseitigen Einflussnahme und sozialen Teilhabe bauen viele Konzepte von Live-Sendungen auf.

Sicherlich ist das Gefühl des gemeinsamen Erlebens eine plausible Erklärung dafür, warum sich das Public Viewing bei Großereignissen durchgesetzt hat. Abgesehen von der technischen Möglichkeit, dass am helllichten Tag via LED-Großbildschirm ein scharfes, helles Bild gezeigt werden kann, während man im Freien unter seinesgleichen sitzt, spielt auch die zunehmende Eventisierung der Gesellschaft eine entscheidende Rolle.

Das Phänomen der Gleichzeitigkeit

Wenn Fernsehzuschauer ihre Aufmerksamkeit auf ein und dasselbe Geschehen richten, entsteht ein Gefühl des Mit-dabei-Seins. Die Gleichzeitigkeit von Ereignis und Betrachtung schafft eine Unmittelbarkeit, wie sie nur das Fernsehen kennt. Der Zuschauer nimmt die Live-Bilder als ein Geschehen im Jetzt wahr. Er wird zum „Augenzeugen des Geschehens“, wie der Publizist Gerhard Eckert bemerkt (Eckert 1953, in Grisko 2009: 76). Der Logik des gleichzeitigen Erlebens folgend, sollte es in der journalistischen Arbeit jedoch nicht nur um die perfekte Fernsehillusion gehen. Im Gegenteil: Live-Fernsehen erlebt oftmals gerade dann seine Höhepunkte, wenn sich die Dinge völlig unerwartet entwickeln. Fernsehmacher brauchen ein Gespür dafür, dass auch das Unperfekte seinen Charme hat. Bei Voraufzeichnungen für Live-Sendungen ist es manchmal ratsam, kleinere Patzer wie zum Beispiel einen Versprecher bewusst stehen zu lassen. Live ist es oftmals weniger wichtig, Ergebnisse von glatter Perfektion abzuliefern, obgleich es dabei unterschiedliche Interessen gibt – etwa von Moderatoren, denen ein Versprecher unangenehm ist, oder von Kameraleuten, die einen leichten Wackler oder eine kleine Unschärfe partout nicht akzeptieren wollen.

Abb. 4: Emotionale Live-Momente: das Finale von The Voice of Germany.

Die Faszination des Augenblicks

Alles geschieht in diesem Augenblick. Wie im richtigen Leben offenbaren sich gerade in den nicht geplanten Ereignissen die kostbarsten Momente des Live-Fernsehens. So geschehen, als sich 2013 der SPD-Parteichef Sigmar Gabriel mit der ZDF-Anchorwoman Marietta Slomka vor 4,7 Millionen Zuschauern derart in die Wolle bekam und das Schaltgespräch zum Schlagabtausch wurde.

Die Stärken der Live-Übertragung kommen vor allem in der Unterhaltung zum Ausdruck. Da sich Zuschauer gerne verführen, aber nur ungern belehren und überzeugen lassen, konsumieren sie bevorzugt Live-Angebote, bei denen es spontaner und scheinbar ungeplanter zugeht als anderswo. Deshalb gelingt es in der Unterhaltung besonders gut, das Ereignis selbst zum Thema zu machen. Lassen Sie deshalb als Fernsehmacher keine Möglichkeit aus, den besonderen Live-Charakter zu betonen. Live-Sendungen entfalten ihre Wirkung immer dann, wenn der Zuschauer das Gefühl hat, einem einzigartigen Ereignis beizuwohnen – auch um den Preis, dass der Zufall mitregiert.

Tipp:

Geben Sie den Dingen Raum. Nicht alles ist planbar. Weniger Kontrolle tut manchmal gut. Machen Sie es wie die Fotografen: Lassen Sie sich vom Zauber des Moments überraschen.

Vieles wäre verschenkt, würde man nicht spontan von seinem Plan abweichen, wenn sich vor der Kamera Besseres bietet. Die Kunst besteht darin, solche besonderen Momente zu erkennen und dann blitzschnell in Bilder umzusetzen. Der berechnende Schnitt auf eine Geste oder eine mimische Reaktion in einer Talkshow kann entlarvend wirken – oder beweisführend, sympathisch oder unsympathisch, gelegentlich auch unfair.

VIDEO: ZWISCHEN VIRTUOSITÄT UND DESASTER

Kurze Lektion zum Live-Fernsehen, Länge: 5:37

www.lanzenberger-live.de/videos-audios

Wie entsteht Virtuosität? Worin liegt der Reiz von Live-Programmen? Professor Hans Beller spannt den filmgeschichtlichen Bogen von der Hollywood-Produktion bis zum heutigen Formatfernsehen.

Der ungewisse Ausgang

Keine Emotion ist stärker als die des Mitfühlens und des Mitfieberns. Die vielen Quiz- und Spielshows bauen meistens darauf auf, den Zuschauer an den Gewinner- und Verlierer-Gefühlen teilhaben zu lassen. Ähnlich verhält es sich im Sportbereich, wenn etwa bei einem Ski-Abfahrtslauf die Läufer mit halsbrecherischem Tempo den Hang hinabstürzen (wo es vielleicht zuvor schon einen Sturz in Slow-Motion zu sehen gab). Aber auch im Informationsbereich lassen Unregelmäßigkeiten einer Direktübertragung aufmerken. Wenn mitten in einer Nachrichten-Sendung eine Live-Schalte mit den Worten dazwischengeschoben wird: „Aus aktuellem Anlass schalten wir auf den Majdan, wo mein Kollege … steht. Wie ist die Lage im Augenblick?“ So wie man sich als Zuschauer eines gelungenen Krimis bis zuletzt fragt: „Wer ist der Mörder?“, so will man auch in Live-Sendungen die Auflösung wissen.

Tipp:

Setzen Sie auf Live-Dramaturgie! Bleiben Sie im Ungefähren und verraten Sie nicht zu viel. Der Zuschauer bleibt vor allem deshalb dran, weil er wissen will, wie die Sache ausgeht.

In der Fernsehunterhaltung wird das Prinzip des offenen Endes auf die Spitze getrieben. Warum Formate wie Ich bin ein Star – holt mich hier raus so erfolgreich sind, hat einen einfachen Grund: Über allem schwebt die Frage, wie man sich selbst wohl in den außergewöhnlichen Situationen verhalten würde. Clever gemachtes Live-Fernsehen setzt einen ganzen Mix an Gefühlsreaktionen frei. Vom schlichten Mitgefühl bis zum empathischen Erleben, von der Rührung bis zum Fremdschämen – beim Dschungelcamp scheint sich dies alles zu addieren. Zusätzlich ist auch eine gehörige Portion Voyeurismus im Spiel, wenn sich Kandidaten in Würmern wälzen oder unter Tränen den seltsamen Ort des Geschehens verlassen müssen. Die Heftigkeit der ausgesendeten Reize ist kaum zu überbieten. Als Zuschauer ist man sich der Manipulation durchaus bewusst: Nur wegschauen kann man eben oft auch nicht.

Die Bedeutung der Live-Rituale

Mit ihren festen Zeitschienen und dem wiederholenden Charakter haben Live-Programme im Leben der Zuschauer eine strukturierende Funktion. Für manche Zuschauer ist die Tagesschau um 20:00 Uhr so etwas wie eine Nullzeit, die den Übergang in den Feierabend markiert. Darüber hinaus zählen Fernsehnachrichten in ihrer ritualisierten Form zu den verlässlichsten Programmen überhaupt. Die allseits bekannten Live-Rituale stiften so etwas wie emotionale Geborgenheit – sei es durch die immer wiederkehrenden Begrüßungsfloskeln des Moderators, eine einprägsame Titelmusik oder den stets gleichen Einstieg in die Sendung. Was man kennt, das schätzt man. Es wird zur Fernsehgewohnheit. Live-Fernsehen kann also ein Stück Normalität in den Tag bringen.

Abb. 5: Live-Publikumsrenner seit 1963: Das Aktuelle Sportstudio. Moderator Hanns Joachim Friedrichs vor der berühmten „Torwand“.

A2 DIE WICHTIGSTEN LIVE-GENRES

Aktuelle Informationssendungen

Fernsehmagazine

Talkshows

Live-Entertainment

Sport- und Eventübertragungen

Transaktionsfernsehen

Der Begriff „live“ kommt aus dem Englischen, „alive“ bedeutet so viel wie „lebendig“. Lebendigkeit ist also das Merkmal aller Live-Sendungen. Prinzipiell können alle nicht-fiktionalen Inhalte und Ereignisse live bedient werden. Doch nicht alle eignen sich dafür. Nur in seltenen Fällen werden fiktionale Ereignisse zum Gegenstand einer Live-Sendung. Dies ist zum Beispiel bei der Fernsehübertragung einer Oper der Fall. Prinzipiell sollte man zwei Typen von Live-Sendungen unterscheiden: Handelt es sich um ein bestehendes Ereignis, wie bei einem Sportevent oder einer Landtagswahl, oder wird das Ereignis eigens für den Zweck der Sendung geschaffen? Je nachdem, welche Ereignisqualität zugrunde liegt, wird man unterschiedliche Rahmenbedingungen für die journalistische Produktion vorfinden. Abseits der Frage, über welche Ereignisse berichtet wird, spielt der Grad der Inszenierung eine entscheidende Rolle. Nachrichten oder Fernsehmagazine werden vollkommen anders in Szene gesetzt als eine Verkaufsshow bei einem Teleshopping-Sender.

Aktuelle Informationssendungen

Der Abstand zwischen dem Ereignis und dem Bericht darüber geht bei Live-Sendungen oft gegen null. Wer als Erster die „Top-Meldung des Tages“ fernsehgerecht aufbereitet hat, darf sich zu den Gewinnern zählen. Bei äußerst brisanter Nachrichtenlage wird sogar das laufende Fernsehprogramm live unterbrochen. Im Gegensatz zu Nachrichten, bei denen es um die pure Information geht und im Nachrichtenstil verfasste Meldungen verlesen werden, haben die Nachrichtenmagazine mit vertiefender Themenbetrachtung eine stärker erklärende Funktion. Man unterscheidet zwischen:

Nachrichten

Nachrichtenmagazinen

News-Flash (Kurznachrichten)

Breaking-News (Programmunterbrechung durch Nachrichten)

Nachrichten sind in der Studiopräsentation eher statisch. Ein Sprecher ist vor einer Blue-Box oder Rückprojektion zu sehen. Bei den Nachrichtenmagazinen führen meist zwei bis drei Personen durch die Sendung. Stets rückt bei News die aktuelle Grafik präsent ins Bild. Das Hauptaugenmerk liegt auf visualisierten Wortmeldungen und Anmoderationen von Filmbeiträgen. Der schnelle Wechsel von Ländern, Karten und Namen vermittelt eine Weltläufigkeit, die nur den Nachrichten zu eigen scheint. Die Filmbeiträge sind dabei kurz gehalten und folgen rasch aufeinander. Die besondere Herausforderung einer Nachrichtensendung liegt in der unbedingten Berücksichtigung von Aktualität.

Abb. 6: Aktualität setzt schnelles Reagieren voraus: Claus Kleber und Gundula Gause moderieren das heute-journal.

Abb. 7: Früher im Studio aufgezeichnet, heute live bzw. live-on-tape mit Publikum: das ZDF-Kulturmagazin Aspekte.

Fernsehmagazine

Magazine müssen nicht zwangsläufig live gesendet werden. Sie kommen auch als Aufzeichnung oder in verschiedenen Mischformen vor. Je nach den Erscheinungsintervallen – tägliches, wöchentliches oder monatliches Magazin – spielt der Live-Charakter mal eine größere, mal eine kleinere Rolle. Zu unterscheiden sind:

Politische Magazine

Boulevard-Magazine

People-Magazine

Wissensmagazine

Verbraucher-Magazine

Kultur-Magazine

Fernsehmagazine leben von der Erklärung und dem richtigen Mix der Themen. Im Zentrum steht ein Moderator, der durch die Sendung führt. Darüber hinaus liegt der Fokus auf einem konsistenten Studioauftritt. Meist herrscht im Magazinjournalismus hoher Produktionsdruck. Unter Berücksichtigung der Aktualität geht es vielfach darum, in möglichst kurzer Zeit möglichst hochwertig zu produzieren. Magazine werden auch zu besonderen Anlässen wie zum Beispiel zu Buchmessen oder zu Biennalen ins Programm genommen.

Talkshows

Talkshows sind ein beliebtes Live-Genre im deutschen Fernsehen. Bei ihnen findet ein Gespräch zwischen dem Gastgeber und einem oder mehreren Talkgästen statt. In der Regel werden die Gespräche durch Filmeinspieler ergänzt und unterbrochen. Talkshows leben vom besonderen Live-Charakter, weil hier Menschen, wenn auch unter genau reglementierten Bedingungen, auf- und aneinandertreffen und somit dem Zuschauer eine Projektionsfläche für Identifikation oder Ablehnung bieten. Der Gesprächsausgang bleibt bis zum Ende offen. In der öffentlichen Wahrnehmung sowie in der Meinungs- und Willensbildung sind Talkshows heute aus der Fernsehlandschaft nicht mehr wegzudenken. Es gibt sie als:

Daily-Talk

Weekly-Talk

Polit-Talk

Personality-Talk

Pro Sendung steht jeweils ein aktuelles Thema auf der Agenda. Die Herausforderung von Talkshows besteht darin, die richtigen Themen zum richtigen Zeitpunkt zu setzen. Zudem kommt der Auswahl der Talkgäste eine besondere Bedeutung zu. Auf eine paritätische Besetzung ist meist ebenso genau zu achten wie auf die Live-Tauglichkeit der Gäste.

Live-Entertainment

Live-Entertainment ist die hohe Schule des Fernsehens. Es steht für einen hohen Inszenierungsgrad, für ein trag- und wandlungsfähiges Showkonzept sowie für einen in jeder Hinsicht glamourösen Auftritt. Die Showinhalte müssen über den Moderator erlebbar gemacht werden. Meist sorgt ein Präsenzpublikum für die notwendige Live-Atmosphäre. Jeder Sender pflegt seine eigenen Shows, die sich in folgende Kategorien aufteilen lassen:

Spiel-Shows

Quiz-Sendungen

Musik-Shows

Casting-Shows

Reality-Shows

Viele Formen des Live-Entertainments sind in letzter Zeit neu entstanden, andere wurden wiederentdeckt. Gerade die Musikshow erlebt eine erstaunliche Renaissance. Seitdem Casting-Shows zur festen Größe im Fernsehen geworden sind, ist ein regelrechter Wettlauf um die beste Showidee entbrannt. Viele der erfolgreichen Showformate werden in Lizenz rund um den Globus produziert.

VIDEO: LIVE-ENTERTAINMENT

Die Meinung eines Produzenten, Länge: 6:35

www.lanzenberger-live.de/videos-audios

Der eigenen Kreativität trauen. Holm Dressler, Produzent und Regisseur, spricht über die Hintergründe des Show-Geschäfts. Wo steht Live-Fernsehen heute? Wie funktionieren Entscheidungsprozesse bei Sendern? Welche Erwartungshaltung bringt der Zuschauer mit? Die Anforderungen sind über die Jahre gestiegen.

Sport- und Eventübertragungen

Traditionell gehören Event- und Sportübertragungen zu den herausragenden Live-Programmen. Je wichtiger die Ereignisse sind, desto größer ist die „Live-Gemeinde“. Der Nervenkitzel, den eine Olympiade, ein Formel-1-Rennen oder eine Fußball-Weltmeisterschaft versprüht, ist kaum zu toppen. Der Aufwand an Planung und Organisation, der für die Übertragung betrieben werden muss, allerdings auch nicht. Bei Sportübertragungen gilt es, die Dramatik des Moments einzufangen. Zudem müssen Kommentatoren und Moderatoren blitzschnell eine Einordnung liefern. Sportübertragungen werden meist angereichert durch Live-Gespräche und Live-Interviews. Es bleiben oft nur Bruchteile von Sekunden, um Entscheidungen über die Auswahl der verschiedenen Bildquellen zu treffen.

Anlassbezogene Übertragungen fallen in etwa in die gleiche Kategorie wie eine Sportübertragung: Wahlberichterstattungen, die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises, der Wiener Opernball – all dies sind Ereignisse, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf den Bildschirm zurückkehren und die sozusagen zum Live-Inventar eines Senders gehören. Kennzeichnend für die großen Live-Übertragungen sind der hohe technische Produktionsaufwand, der betrieben werden muss, um die Ereignisse adäquat in Szene zu setzen, sowie die Erwartungshaltung der Zuschauer.

Abb. 8: Event oder Tagesgeschäft: Sport muss live sein, so wie das Aktuelle Sportstudio mit/vor Studio-Publikum.

Abb. 9: Live verkauft am besten: sonnenklar.tv sendet bis zu 14 Stunden live, hier mit Michael „Goofy“ Förster.

Transaktionsfernsehen

Der Begriff steht eigentlich für Live-Fernsehen mit Publikumsbeteiligung. Er hat sich jedoch für jene Fernsehkanäle eingebürgert, bei denen man Produkte oder Dienstleistungen erwerben kann. Die Idee des „Teleshoppings“ stammt ursprünglich aus dem angelsächsischen Raum. In den 90er-Jahren wurde sie im deutschsprachigen Raum adaptiert. Moderatoren preisen dabei in einer Art Verkaufsschau und optisch in standardisierter Form ihre Produkte an. Über eine eingeblendete Telefonnummer kann der Zuschauer direkt bestellen oder Reisen buchen. Weil die Sender ihr Angebot am Abverkauf der Produkte ausrichten, senden Teleshoppingkanäle – meist rund um die Uhr – live. Man unterscheidet folgende Einsatzformen:

Call-In-Sendungen

Live-Dauerwerbesendungen

Teleshopping-Fensterprogramme

Gewinnspiele in Live-Sendungen

Teleshopping-Sender

Transaktionsfernsehen verfügt über die größten Live-Strecken im Fernsehen überhaupt. Zwar haben die entsprechenden Sendungen nicht gerade den besten Ruf, dennoch sind die Leistung der Moderatoren und des Teams, die oft über mehrere Stunden on Air sind, aber auch der profitable Erfolg dieser Sender zu würdigen.

Kurzum: Es gibt eine Vielzahl von Live-Genres, die unterschiedliche Anforderungen stellen. Als vielbeschäftigter Fernsehjournalist wird man sich im Berufsalltag meist notgedrungen nur in seinem vertrauten Live-Genre aufhalten, selten den Blick über den Tellerrand hinaus richten können und weniger über das Live-Prinzip an sich nachdenken, wie es in diesem Buch geschieht.

A3 LIVE-FERNSEHEN IST FORMATFERNSEHEN

Was bedeutet Formatierung genau?

Abb. 10: Ein Klassiker des Formatfernsehens: Aktenzeichen XY. Rudi Cerne klärt unter Mitwirkung der Öffentlichkeit Verbrechen auf.

Beim Fernsehen zählt nicht so sehr der einmalige, sondern vor allem der reproduzierbare Erfolg. Das liegt auch daran, dass heute Sendungen verstärkt in Serie und Staffeln erstellt werden. Die Produktion ist genau getaktet und entspricht dem Wesen der Industrienormierung. Bildlich gesprochen ist das Format wie ein Gefäß zu betrachten, das immer wieder mit neuen Inhalten gefüllt wird. Fernsehjournalisten sind also gar nicht so frei wie es den Anschein hat, weil sie sich an Formatvorgaben halten müssen.

Was bedeutet Formatierung genau?

Der Begriff ist offensichtlich noch jung. Im Zuge der Kommerzialisierung wurde der Begriff zunächst beim Radio verwendet. Erst später, als das private Fernsehen zur Konkurrenz für die Öffentlich-Rechtlichen heranwuchs, wurde der Formatbegriff auf das Fernsehen adaptiert. Er zielt auf den Prozess der strategischen Ausrichtung und Zweckoptimierung. Die „Formatierung“ markiert gewissermaßen die Serienreife einer Sendung. Gut laufende Fernsehformate zählen zum Grundkapital eines jeden Senders.

Feststehende Zeitschienen helfen, das Format in den Köpfen der Zuschauer dauerhaft zu verankern. Es gibt Live-Formate, die stündlich, täglich oder wochentäglich oder in Staffeln ausgestrahlt werden. Entscheidend ist dabei der Gewöhnungseffekt beim Zuschauer. Insbesondere das Live-Fernsehen lebt von der Verlässlichkeit der regelmäßigen Ausstrahlung. Verhält sich ein Moderator konstant im selben Stil, benutzt er die gleichen Floskeln, ist er stets ähnlich gekleidet, dann dürfte ihm das Vertrauen der Zuschauer sicher sein. Werden Sende-Logos, Formen und Farben, aber auch Animationen oder Schnittfolgen in immer gleicher Weise penetriert, schafft das Wiedererkennung. Stets geht es beim Formatfernsehen darum, das Profil des Formats zu schärfen und die Erfolge kalkulierbarer zu machen.

Viele Gründe sprechen also für das Formatfernsehen, besonders wenn live gesendet wird. Tatsächlich werden Format- und Live-Fernsehen oftmals gleichgesetzt oder in einem Atemzug genannt. Für Journalisten, die ein Format bedienen, heißt das, dass sie den Kern des Formats sowie die Formatgeschichte genau kennen müssen. Das fällt Ein- oder Umsteigern oft schwer. Allerdings hat es durchaus Vorteile, dass die Sendung nicht täglich neu erfunden werden muss. Im Gegenteil: Die Konstanz ist ausschlaggebend, auch wenn sie manchmal weniger Spaß und kreative Verwirklichungsmöglichkeit verspricht. Aus Sicht der Programmverantwortlichen gibt es kaum Alternativen zur Formatierung.

Welche Vorteile bietet das Live-Formatfernsehen?

Wiedererkennung: durch Ähnlichkeit in Inhalt und Form Zuschauerbindung: durch Gewöhnungseffekte Verlässlichkeit: mittels Verankerung in ZeitschienenAkzeptanz: durch die Präsentatoren Bekanntheit: durch Ausstrahlungsfrequenz Planbarkeit: durch feste AusstrahlungsrhythmenZeitersparnis: durch formale Normierung Kosteneinsparung: mittels serieller Produktion Effizienz: durch modularen Aufbau Mehrwert: durch die Möglichkeit zur Mehrfachverwertung Zusätzliche Einnahmen: aus Telefon- und Mehrwertdiensten

Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass sich die Formatidee, wenn sie nicht weiterentwickelt wird, auf Dauer abnutzt, und dass irgendwann nur noch Langeweile einkehrt. Deshalb ist es wichtig, dass Formate mit Neuerungen lebendig gehalten werden.

Abb. 11: Von 5:30 Uhr bis 10:00 Uhr sendet wochentäglich das SAT.1 Frühstücksfernsehen, hier mit prominenten Gästen und Studiohündin Lotte.

Tipp:

Zu viel Neues in ein bestehendes Format hineinzupacken, ist genauso schlecht wie ständig auf Althergebrachtem herumzureiten. Eine Balance zwischen beiden Extremen sollte gelingen.

Die gängige Formatierungspraxis stößt nicht überall auf Gegenliebe. Vor allem nicht bei der Fernsehkritik, die in den Normierungen nicht selten den Untergang der TV-Kultur sieht. Viele fragen sich: Ist Formatierung der Grund, warum viele Sendungen heute gleich aussehen? Manches spricht dafür, zumal das heutige Fernsehen Abwechslung und den Mut zum Anderssein vermissen lässt. Allerdings – und das spüren Fernsehschaffende am deutlichsten – bieten Formatierungen auch Sicherheit. Sie liefern den Machern Anhaltspunkte, was gefragt sein könnte, und dem Zuschauer ein Zuhause oder zumindest eine Orientierung. Im Prinzip sind Formate wie Käsemarken in der Kühltheke eines Supermarkts: Wer zu seiner Marke greift, weiß genau, was er bekommt. Formate geben ein Versprechen darauf ab, dass der Zuschauer genau das erhält, was er erwartet.

A4 LIVE ODER NICHT-LIVE?

Ereignisse müssen relevant sein

Bigger than Live

Man muss nicht ozeantief in den Diskurs eintauchen, um zu verstehen, was Live-Fernsehen ausmacht. Andererseits müssen sich die Live-Realisatoren auch die Frage gefallen lassen, ob gegebenenfalls eine Aufzeichnung nicht auch ausreichen und ihren Zweck erfüllen würde – zumal sie kostengünstiger herzustellen ist und weit weniger Risiken birgt. Die Kontrolle über Inhalte fällt einfach leichter, wenn man das Ergebnis hinterher nachbearbeiten kann. So entsteht durch den Feinschliff im Schnitt oftmals erst die Geschichte. Bei Reportagen etwa kommt man einem Ereignis dadurch näher, dass man mehrmals und zu verschiedenen Zeiten dreht – mit einem kleinen Team und nicht mit dem großen Live-Aufwand, der an zuvor festgelegte Zeiten gebunden ist. Doch manchmal muss es einfach live sein.

Ereignisse müssen relevant sein

Wenn live gesendet wird, lautet der Subtext: Es geht gar nicht anders. Live ist an das Relevanz-Prinzip gebunden; wenn sich beispielsweise in der Wahl-Berichterstattung aktuelle Mehrheitsverhältnisse quasi im Minutentakt verändern und dies so akkurat wie möglich gemeldet werden muss. Sofern Live-Sendungen kurzfristig ins Programm gehievt werden, signalisiert das immer eine besondere Bedeutung. Meist handelt es sich um punktuelle, zeitlich begrenzte Ereignisse wie etwa politische Geschehnisse, kulturelle oder sportliche Großevents oder Katastrophen. Es gibt Ereignisse von großer Tragweite, wie zum Beispiel der in selbstmörderischer Absicht herbeigeführte Flugzeugabsturz einer Germanwings-Maschine 2015 in den französischen Alpen. Die Berichterstattung darüber muss live gesendet werden, weil das Ereignis, neben seiner Dramatik und der hohen Zahl der Opfer, für viele Menschen von enormer Brisanz ist. Ein ARD-Brennpunkt oder ein ZDF-Spezial zur Primetime stellt dann die wichtigsten Fakten zusammen, angereichert mit Experten-Gesprächen und selbstverständlich Live-Schalten zu den Reportern an den Orten des Geschehens. Folgende Fragen sind hier typisch:

Was ist geschehen?

Was passiert gerade jetzt im Augenblick?

Welche Beobachtungen wurden gemacht?

Welche Ursachen könnten zur Katastrophe geführt haben?

Welche Reaktionen zeigt die Politk? National? International?

Was sagen die Verantwortlichen? Zuständigen?

Welche Folgen und Konsequenzen hat das Ereignis?

Was hat das alles mit der Welt des Zuschauers zu tun?

Wie geht es weiter? Kurzfristig? Mittelfristig? Langfristig?

Fragen dieser Art werden direkt an die Außenreporter oder Experten im Studio gestellt.

Nach ähnlichem Prinzip gehen auch Breaking-News vor, die selbst dann stattfinden, wenn die Materiallage dünn ist. Manchmal liegt nur eine kurze Wortmeldung vor, die man mit Mutmaßungen ergänzen muss. Trotzdem kommt man nicht umhin, das live zu tun, weil man etwa als Nachrichtensender um jeden Preis aktuell sein will. Einzig die Relevanz der Ereignisse zählt. Es reicht also nicht aus, sich alleine mit dem „Was“ einer Live-Übertragung zu beschäftigen, das „Warum“ und „Wieso“ sollte immer schlüssig mitgeliefert werden.

Bigger than Live

Unter Kollegen gesagt: Es geht auch anders. Fernsehen muss nicht zwangsläufig live stattfinden. Manchmal reicht es aus, wenn es nur „live“ ausschaut. Gängige Praxis innerhalb von Nachrichtensendungen ist es, dass Schaltgespräche zu Politikern und Experten vor der Sendung aufgezeichnet werden – was meist praktische Gründe hat, etwa, weil ein prominenter Interviewpartner nur innerhalb eines bestimmten Timeslots verfügbar ist. Das aufgezeichnete Gespräch wird dann zum Zeitpunkt der Ausstrahlung als „Live“-Einspielung verkauft. Lediglich in der Abmoderation heißt es aus Gründen der journalistischen Fairness: „Dieses Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.“

Man könnte hier den Begriff des „Pseudo-Live“ gebrauchen, der weder abwertend zu verstehen ist, noch eine Schmälerung der Möglichkeiten impliziert. Pseudo-Live kommt durchaus häufiger vor, als man denkt. Die Zuschauer stört es offensichtlich wenig, dass sie manchmal ein komplett aufgezeichnetes Showprogramm serviert bekommen. Bestes Beispiel dafür ist die Musikshow The Voice of Germany. Durch die jubelnden Zuschauer, etwa bei den „Blind Auditions“ oder den „Battles“, entsteht wahrlich ein Live-Eindruck. Selbst die häufig wiederholten Hinweise, dass es nur die besten Kandidaten in die (dann tatsächlich so ausgestrahlten) Live-Shows schaffen, lässt die Zuschauer nicht am Live-Charakter zweifeln. Hauptsache der Unterhaltungsfaktor stimmt.

Die Möglichkeit der Nachbearbeitung hat viele Vorteile. Eine Steigerung der Wirkung lässt sich beispielsweise erzielen, indem man die Reihenfolge der Show-Auftritte umstellt und nach dem Kontrastprinzip arbeitet, Längen herausschneidet oder die Atmosphäre durch gezielte Zwischenschnitte in die gewünschte Richtung pusht. Auch der Trick, das Showgeschehen an entsprechenden Stellen mit Soundeffekten zu unterlegen, sorgt für eine dichtere Darbietung, die live nicht immer punktgenau gelingt. In letzter Konsequenz bedeutet das, dass manchmal auch „fingiertes Live“ ein guter Plan sein kann. Überspitzt ausgedrückt: Die Aufzeichnung ist in diesem Fall realer als das reale Geschehen.