Lolitas Rache - Manfred Rainer Corr - E-Book

Lolitas Rache E-Book

Manfred Rainer Corr

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Beschreibung

Vergessen Sie den Prozess Kachelmann. Vergessen Sie den Skandal um Dominique Strauss-Kahn. Hier kommt der Fall Brian Jones ... komplexer, schockierender und abgründiger als alles, was Sie sich vorstellen können. Jess Engels: Bildhübsch, blutjung, durchtrieben und skrupellos. Ein Fan, der dem Star seiner Träume so nahe sein will, wie es nur geht. Brian Jones: Der umjubelte Popstar, sehr vermögend, gutaussehend, Kunstsammler. Mann von Welt, glücklich verheiratet und treusorgender Familienvater. Um ihn mit Haut und Haar zu bekommen, zieht diese "Lolita" alle Register. Die minderjährige Stalkerin bedrängt und verführt den international bekannten Star. Als der Künstler sich nach einer kurzen, heißen Affäre von Jess trennt und sich zu seiner Familie bekennt, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Jess schmiedet einen grausamen Racheplan, der nicht einmal vor Mord zurückschreckt. Lolitas Rache: Ein spannender Roman, der die Schuldfrage ganz neu stellt.

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Lolitas Rache

Manfred Rainer Corr

Gesamtherstellung:

WAP Waldkirch Produktion GmbH, Mannheim Satz & Gestaltung: Verena Kessel Porträtfotos: Backofen Fotostudio, Mannheim

ISBN Taschenbuch       978-3-86476-014-3

ISBN E-Book EPUB      978-3-86476-605-3

ISBN E-Book PDF         978-3-86476-606-0

Verlag Waldkirch KG Schützenstraße 18 68259 Mannheim Telefon 0621-79 70 65 Fax 0621-79 50 25 E-Mail: [email protected]

© Verlag Waldkirch Mannheim, 2012

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise,

Erotischer Kriminalroman

Lolitas Rache

Manfred Rainer Corr

Meinen Söhnen gewidmet.

1

BACKSTAGE

Olympiahalle München Freitag, 13. 4. 2012

Die zeitlos schöne und dennoch immer aktuell wirkende Musik drang durch die Wände, das wummernde, prägnante Schlagzeug klang, als gäbe es kein Morgen. Lance Ortiz, der Latino-Shootingstar am Drummer-Himmel, ließ nicht den Hauch eines Zweifels daran, dass er seinen Ruf zu Recht hatte. Dann der drückende Bass und die unverkennbare elektrische Gitarre, die in den höchsten Tönen jaulte und dabei klang, als hätte der Mann, der sie spielte, gerade Sex. Jess, die eigentlich Jessica hieß, diesen Namen aber abgrundtief hasste und mit allen Menschen um sie herum einen Riesenkrach anfing, wenn sie nicht die Kurzform benutzten, wusste, da spielte kein anderer als Charly Stevens, einer der angesagtesten Tour-Gitarristen Europas und seit über einem Jahrzehnt musikalischer Sparringspartner, Freund und Wegbegleiter des Mannes, der da oben gerade die Halle rockte.

Die drei voluminösen schwarzen Backgroundsängerinnen setzten ein, dann er – er selbst: Brian Jones. Er hatte sie alle verzaubert, ganz gleich welchen Geschlechts und zu welcher Genration gehörig. Er war auch an diesem Abend wieder einmal der unangefochtene König des Pop-Zirkus gewesen, hatte mit seinen kostbaren Gaben verschwenderisch um sich geworfen, hatte seinen unvergleichlichen Charme eingesetzt, um sein Publikum zu verzaubern. Wie immer hatte Brian Jones, der „King of Style“, wie ihn die Boulevardblätter gern nannten, Männer und Frauen, Junge und Alte mit seiner unvergleichlichen Show gleichermaßen verführt.

Jess zupfte ein letztes Mal ihr kurzes, schwarzes, trägerloses und äußerst eng anliegendes, knappes schwarzes Kleid zurecht. Die junge, hochgewachsene Blondine mit den künstlichen Strähnchen betrachtete sich im Spiegel der Damentoilette: Selbst in dem grünlichen Neonlicht des weiß gekachelten, nach einer Mischung aus Parfüm und Klosteinen riechenden Raumes, das eigentlich dazu angetan war, Menschen blass und kränklich aussehen zu lassen, wirkte sie sehr attraktiv, wozu das aufreizend knappe Kleid und die schwindelerregend hohen Pumps einen nicht unwesentlichen Beitrag leisteten. Mit zufrieden blitzenden himmelblauen Augen zog sie ihre Lippen und dann den Lidstrich nach. Jess war wie immer etwas übertrieben, aber durchaus gekonnt geschminkt – die Kriegsbemalung einer Männerjägerin auf der Pirsch. Sie verstaute den blutroten Lippenstift in ihrer weißen, mit bunten Logos bedruckten gefälschten Designertasche aus Kunstleder, die ein Kenner solcher Modeaccessoires schon von Weitem als billige Kopie aus Fernost identifiziert hätte. Damit passte sie ausgezeichnet zu ihrer Trägerin, die auch etwas Billiges an sich hatte. Jess verließ die Toilette und schlenderte an den so kurz vor dem Ende des Konzerts nahezu verwaisten Bierständen der bayrischen Großbrauerei, die sich die Ausschankrechte in der Olympiahalle Jahr für Jahr ein mittleres Vermögen kosten ließ, vorbei in Richtung des hermetisch abgeriegelten Backstage-Bereichs. Mit unverhohlenem Amüsement registrierte sie die gierigen, ja geilen Blicke der Männer, die sich nach ihr umdrehten. Die meisten davon gehörten in die Kategorie, die sich selbst gern als „Herren im besten Alter“ bezeichnete. Jess wusste nur allzu genau, dass ihr aufreizender, hüftschwingender Gang, mit dem sie bei „Germanys Next Top Model“ jede Konkurrentin auf dem Laufsteg ausgestochen hätte, durchaus dazu geeignet war, der gesamten männlichen Hälfte der Weltbevölkerung die Genickstarre anzuhexen, und sie hatte keinerlei Skrupel, diese stundenlang vor dem Spiegel trainierte Waffe zu ihrem Vorteil einzusetzen.

Auf der Bühne stimmte die achtköpfige Band derweil mit gefühlvoll gezupften, zarten Mollakkorden, die Charly Stevens seiner schwarzen Ovation Adamas entlockte, den Abschlusssong des eigentlichen Konzerts an. Den eingeschworenen Brian-Jones-Fans war allerdings klar, dass noch mindestens zwei aus jeweils mehreren Stücken bestehende Zugaben folgen würden.

Brian Jones stand mit geschlossenen Augen reglos ganz vorn am Bühnenrand, weit vor der Band und dem Publikum, das an seinen Lippen hing, ganz nah. Einen Fuß lässig auf der Monitorbox zeigte er allen in der riesigen Olympiahalle, wie man auch mit Mitte vierzig und im dunklen Maßsakko mit Krawatte verdammt cool auf den berühmten Brettern, die die Welt bedeuteten, stehen konnte. Erstes Silber blitzte keck an den kurzen, akkurat rasierten Koteletten seines modischen Kurzhaarschnitts, was jedoch seinen berühmten Sex-Appeal nur noch steigerte, fand Jess. Brian Jones war fraglos das unangefochtene Zentrum dieser auf höchstem musikalischen Niveau agierenden Band aus Profis, mit denen er zum Teil schon über ein Jahrzehnt zusammenspielte, und die gesamte Olympiahalle hing an seinen Lippen.

Weit über fünfzehntausend Menschen hatten das sich nun dem unausweichlichen Ende entgegen neigende, fast dreistündige Konzert in der bis auf den letzten Platz ausverkauften Arena erlebt und ihren Star von der ersten Sekunde an, ja schon während Band und Backgroundsängerinnen ohne ihn eine Art Ouvertüre gespielt hatten, enthusiastisch gefeiert. Aus London, munkelte man, war Elton John mit seiner Entourage gekommen, um aus der VIP-Loge heraus Brians Show zu sehen, in einer klassischen Theaterkulisse ohne Bestuhlung, die mit einigen wirksam eingesetzten goldenen Deko-Elementen und viel rotem Samt aus der Olympiahalle einen Musentempel des wilhelminischen Zeitalters zauberte.

In der Halle hatten sich von denen, die zur Zeit von Brians ersten musikalischen Erfolgen hip gewesen waren, bis zu den coolen, lässigen jungen Leuten von heute alle möglichen Menschen versammelt. Die halbe Belegschaft des gerade ultraangesagten Atomic Cafés in der Neuturmstraße war anwesend, und auch sonst so ziemlich jeder aus Münchens Nightlife, der wusste, wo man gesehen werden musste. Der Altersdurchschnitt mochte ungefähr bei fünfunddreißig liegen, schätzte Jess. Auf jeden Fall waren an diesem Abend mindestens zwei, in manchen Fällen gar drei Generationen von Fans erschienen. Alle hatten sich nach Kräften chic gemacht, folgten dem Beispiel ihres zeitlos eleganten Idols im schwarzseidenen taillierten Dior-Longblazer mit kleinem Stehkragen. Die mattsilbernen Knöpfe reflektierten schwach das Scheinwerferlicht. Schwarze Seven-Jeans und ein enges Hemd, das Ton in Ton mit dem doppelten GG-Logo der neuesten Gucci-Kollektion versehen war, komplettierten das Ensemble. Außer ihm standen seine fünfköpfige Begleitband, drei Background-Sängerinnen sowie ein knappes Dutzend leicht bekleideter Tänzer und Tänzerinnen auf der Bühne, die sich zum Sound seiner großen Hits in atemberaubenden Choreografien bewegten.

Jess kam an zwei schönheitschirurgisch blendend restaurierten Frauen vorbei, die am Rand der tobenden Menge standen, die eine sicher sechzig, die andere möglicherweise um die vierzig. Die beiden strahlten um die Wette. Die Ältere der beiden gefiel sich mit einer orangefarbenen, an ein explodiertes Vogelnest erinnernde Frisur und einem Outfit, das stark danach aussah, als habe Vivienne Westwood persönlich es ihr auf den etwas außer Form geratenen Leib geschneidert.

„Ältere Frauen, pah – wenn die wüssten“, dachte Jess im Vorbeigehen geringschätzig bei sich. Als 1992, fast auf den Tag genau vor zwanzig Jahren, Brian Jones’ erstes Album erschienen war, war sie noch gar nicht auf der Welt gewesen. Klar, Brian hätte rein vom Alter her locker ihr Vater sein können. Innerlich musste sie bei dem Gedanken lachen – das wäre was gewesen! Aber seit sie ihn mit dreizehn das erste Mal im Fernsehen gesehen hatte, wusste sie, sie musste ihn haben – und in dieser Nacht würde sie ans Ziel ihrer Träume kommen.

Jess steuerte zielstrebig auf den Eingang zum Backstage-Bereich zu. Die Männer am Rand der Menge im vorderen Bereich der Halle, die während der letzten Akkorde von „21 st Century Robin Hood“, Brians aktueller Single, mit der er wie immer den letzten Zugabenblock eingeläutet hatte, jubelnd zum Bühnenrand gedrängt hatte, hielten inne, drehten den Kopf und starrten wie gebannt auf ihre schwindelerregend langen Beine in den High-Heels, folgten ihnen mit den Blicken aufwärts, wo sie irgendwann im vielversprechenden Halbdunkel unter dem fast schon kriminell knappen Saum ihres schwarzen Kleides verschwanden. Die junge Frau jedoch gönnte den Gaffern keinen Blick – ihre Augen waren konzentriert auf den Bühneneingang gerichtet, auf das Ziel ihrer Wünsche.

Selbstsicher schritt Jess auf den Bühneneingang zu. Davor stand ein schwarz gekleideter junger Mann, dessen T-Shirt in weißen Blockbuchstaben den Aufdruck „Security“ trug. Er war ein typischer Türsteher, muckibudengestählt, rasierter Schädel mit einem Fleshtunnel im Ohr. Sein Bizeps quoll fast aus den engen kurzen Ärmeln seines schwarzen T-Shirts, aber im Kopf dürfte er nicht allzu viel haben, mutmaßte Jess. Sie legte Mr. Security unter der Kategorie „Körperling – nichts im Hirn, aber alles in der Hose“ ab. Ein Befehlsempfänger, der mit dem Schwanz dachte. Man hatte ihm gesagt, er solle den Bühneneingang bewachen, und das tat er. Ein älterer Typ im schrillen Sakko wurde anstandslos eingelassen. Jess holte tief Luft, stöckelte die drei Stufen hinauf und begab sich in den dunklen höhlenartigen Zugang zum Backstage-Bereich.

Mr. Security sah sie kommen, sortierte sie seinerseits unter „noch mehr williges Fleisch“ ein und wandte sich dann wieder seiner aktuellen Aufgabe zu. Jess war nämlich keineswegs die Einzige, die sich nach entschieden mehr und unmittelbarerer Nähe zu ihrem Idol sehnte. Peter, wie Mr. Security tatsächlich hieß – Jess entnahm es dem Plastikanhänger mit Namens- und Fotoeindruck, den er an den Rundkragen seines T-Shirts geklemmt hatte – wies gerade eine Gruppe junger Mädchen vor dem Eingang zum Backstage-Bereich zurück. Sie schlichen enttäuscht an Jess vorbei, zurück Richtung Konzerthalle. Potenzielle Konkurrentinnen, die aber bereits in der Vorrunde ausgeschieden waren.

Gab es doch fürs Selbstbewusstsein wenig Besseres als ein paar besiegte Rivalinnen! Jess’ Blick, den sie den Mädchenzuwarf, war eine Mischung aus Hohn und Mitleid. Entschlossen trat sie auf Peter zu. Als sie zu dem Türsteher aufblickte, der sie trotz ihrer hohen Absätze um gut einen Kopf überragte, fühlte sie sich kurz an die alte Geschichte von David und Goliath erinnert, die sie vor vielen Jahren im Kindergottesdienst gehört hatte.

„Wo möchten Sie denn hin, junge Frau?“, fragte er sie barsch und im vollen Bewusstsein seiner Autoritätsposition.

Forsch antwortete ihm Jess: „In die Garderobe von Brian Jones, was denken Sie denn?“

„Bitte zeigen Sie mir Ihren Bühnenausweis“, sagte Mr. Security alias Peter gelangweilt, wohl wissend, dass sie dazu nicht in der Lage sein würde.

„Meinen Bühnenausweis?“, konterte Jess so schnippisch wie möglich. „So etwas brauche ich nicht, ich bin mit Brian Jones persönlich verabredet, er erwartet mich.“

Mr. Security grinste schief. „Na klar, und ich treffe mich nach der Show noch mit Beyoncé zum Koksen. Weißt du was, Kleine? Solche lahmen Sprüche höre ich hundertmal, wenn der Abend lang ist. Wenn du mir nicht schleunigst ein triftiges Argument nennst, warum ich dich hier rein lassen sollte, dann machst du am besten zügig einen Abgang, ehe du Ärger mit mir kriegst.“

Jess lächelte gewinnend, trat ganz nah an Mr. Security heran, murmelte: „Aber, aber, Mister Security, wer wird denn gleich so kratzbürstig sein – kommen Sie näher! Ich zeig Ihnen mal meine Eintrittskarte“ und zog mit einem Ruck das trägerlose Oberteil ihres Kleides nach unten. Ihre prallen, üppig knospenden Brüste waren unverhüllt seinem überraschten Blick ausgesetzt. Dem Glatzkopf fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als er auf das weiße Fleisch starrte. Sein Mund wurde trocken, und er stammelte gleichermaßen überrascht und geschockt: „Äh … wow! Das sind zugegebenermaßen zwei Riesenargumente – darf ich mal?“ Er grinste Jess lüstern an.

„Nur anschauen, nicht anfassen“, konterte sie siegesgewiss.

Mit einem letzten enttäuschten „Wow!“ gab Mr. Security sich geschlagen. „Los, geh schon durch, ehe ich es mir anders überlege“, brummte er und hielt ihr die Tür auf.

Jess brachte ihr Outfit in Ordnung und marschierte mit einem stolzen Lächeln auf ihren Etappensieg hoch erhobenen Hauptes hinter die Bühne. Im Nacken spürte sie Peters brennenden Blick – und grinste noch breiter.

Ein kurzer, schummriger Gang, der an einer weiteren Treppe endete, erwartete Jess hinter der Tür, die Mr. Security bewacht hatte. Sie huschte hinauf und fand sich hinter der Bühne der Münchner Olympiahalle wieder, inmitten der Kulissen. Hier war es recht dunkel, und Jess nahm sich einen kurzen Augenblick Zeit, um sich zu orientieren.

Dann ging sie entschlossen etwas weiter nach hinten und beobachtete aus einem verdeckten Winkel der rechten Bühnenseite aufmerksam ihr Idol bei seiner letzten Zugabe. Sie bemerkte erst nach dem ersten Song dieses unwiderruflich letzten Zugaben-Blocks, dass ganz in ihrer Nähe eine gut aussehende, elegant gekleidete Brünette stand, deren Kleidung deutlich die Handschrift teurer Designerlabels trug. Auch sie war ganz im Banne Brians, ihre Blicke ließen ihn nicht los. Nachdem die andere Frau ihr erst einmal aufgefallen war, konnte Jess nicht umhin, genauer hinzusehen. Sie schätzte die schlanke Frau auf Ende dreißig. Aus Home Storys in VOGUE und Instyle wusste sie, dass es sich um Brian Jones’ Ehefrau Frau Regina handelte. Sie trug eine durchsichtige, champagnerfarbene Chloé-Chiffonbluse mit tiefem Dekolleté, durch die ein violetter, sicher sündhaft teurer Spitzen-BH schimmerte. Diesen Farbton nahmen Reginas knielanger Rock und dessen breiter Gürtel ebenso auf wie ihre Strümpfe. Ihre Füße steckten in champagnerfarbenen Zehn-Zentimeter-High-Heels, echten Manolo Blahniks, wie Jess mit neiderfülltem Kennerinnenblick registrierte. Um die Schultern hatte die Frau lässig einen pinkfarbenen YSL-Blazer gelegt, und in der rechten Hand trug sie eine champagnerfarbene Clutch, an deren Verschluss die unverkennbaren vier silbernen Buchstaben des Hauses Dior baumelten.

Doch sie war nicht die einzige, die den Auftritt Brians begeistert verfolgte. Nun, da sich Jess’ Augen immer besser an das Halbdunkel hinter der Bühne gewöhnt hatten, nahm sie hinter der eleganten Brünetten einen Teenie und einen kleinen Jungen wahr. Das waren, wie Jess natürlich wusste, Lesley, Brians vierzehnjährige Tochter und sein Sohn Philipp. Mit dem langen, blonden Haar, den Glitzerjeans und dem bauchfreiem Top sah Lesley aus wie direkt den Modeseiten eines Magazins für Pubertierende aus betuchtem Hause entstiegen. Der Kleine, Brians und Reginas neunjähriger Sohn, war ein kindliches Ebenbild seines berühmten Vaters.

Jess’ Blick löste sich von Brian Jones’ Familie und wanderte zurück zur Bühne. Einem aufmerksamen Zuschauer wäre nicht entgangen, dass ihr Interesse in weit größerem Maße dem Künstler selbst als seiner Musik und der hochprofessionellen Show galt. Die junge Frau im schwarzen Stretch-Minikleid zog den King of Style mit ihren hungrigen Blicken förmlich aus.

Die Fans draußen in der Halle feierten Brian Jones euphorisch. Als der letzte Ton des allerletzten Songs verklungen war, schüttelte er am Bühnenrand ein paar Hände, beugte sich, von Ordnern abgeschirmt, nach vorn, um einige wenige Autogramme zu geben und verließ dann die Bühne. Raschen Schritts strebte er in den Backstage-Bereich, flog geradezu an der in den Kulissen stehenden Jess vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.

Seine Familie empfing ihn begeistert. Er hatte noch kaum Zeit gehabt, ein paar Worte mit seiner Frau und den beiden Kindern zu wechseln, als der Mann mit dem schrillen Blazer hinzutrat, der kurz vor Jess den Backstage-Bereich betreten hatte. Als echter Fan kannte sie selbstverständlich auch ihn, gehörte er doch zum Hofstaat ihres Idols – es handelte sich um seinen langjährigen Freund und Manager Chris Schneider. Der Typ war uralt, erinnerte sich Jess, schon über sechzig. Kritisch musterte sie ihn aus ihrem Versteck heraus: mittelgroß, im Gegensatz zu seinem tadellos durchtrainierten Schützling mit kleinem Bauchansatz, hohe, faltige Stirn, zu langes Nackenhaar. Er strahlte Brian an, als er ihm mit einer Umarmung zur gerade zu Ende gegangenen Show gratulierte. In den Brian-Jones-Fanforen im Netz hieß es über Schneider, er sei immer gut gelaunt, ein unkomplizierter Typ eben. Der grelle Blazer in netzhauttötenden Farben war keine Ausnahmeerscheinung, sondern eher so etwas wie sein Markenzeichen – an diesem Abend handelte es sich um einen pinkfarbenen Zweireiher mit Silberknöpfen.

Ein heißer Stich der Eifersucht durchzuckte Jess, als sie mit ansehen musste, wie Regina ihren Mann an sich zog und Brian einen Kuss auf die Lippen drückte.

„Gratuliere, Schatz – du warst wieder mal echt super!“, lobte sie. „So einen tollen Auftritt wie heute Abend habe ich schon lange nicht mehr von dir gesehen. Ich finde, du wirst von Abend zu Abend immer besser.“

Brian entgegnete erschöpft, aber glücklich: „Danke, mein Liebling. Ich war heute auch wirklich gut drauf, die Band hat hammermäßig gespielt, und die Fans waren einfach fantastisch! Das erlebe ich auch nicht bei jedem Auftritt.“

Jetzt drängte sich auch Lesley an ihren Vater heran, küsste ihn auf die Wange und strahlte zu ihm empor. So langsam begann die Knutscherei Jess echt auf die Nerven zu gehen.

„Dad, das war eine voll geile Show“, grinste Lesley frech, „aber wirst du für das Herumhüpfen auf der Bühne nicht allmählich ein bisschen zu alt?“

Brian grinste seine Tochter liebevoll an und entgegnete: „Was heißt hier alt, mein Schatz? Das kannst du vielleicht zu Mick Jagger sagen, diesem Rock-Opa, aber ich bin doch in Topform. So gut wie im Augenblick habe ich mich noch nie gefühlt, und mit dir kleine Maus nehm ich’s noch allemal auf. Ab vierzig scheint das Leben wirklich erst so richtig anzufangen.“

„Na dann zeig mal, was du drauf hast!“

Lesley knuffte ihren Vater in die Seite, sprang hoch und versuchte, ihn in den Schwitzkasten zu nehmen. Mit einem Lachen setzte sich Brian spielerisch zur Wehr. Natürlich warf sich Philipp, wie auf ein Stichwort, begeistert in die neckische Rauferei, und die Drei balgten lachend und kichernd durch den Backstage-Bereich. Alle, auch Regina und Schneider, die das Geschehen nur beobachteten, machten auf Jess einen ausgesprochen fröhlichen Eindruck. Familienidylle … wie sie es hasste!

Als er sich kurz darauf atemlos und unterlegen, aber glücklich auf eine der herumstehenden Couches lümmelte, grinste Philipp seine Schwester an: „Siehst du, Paps ist doch viel besser als die doofen Typen aus deinen Boy groups!“

Lesley ließ sich neben ihren Bruder auf die Couch fallen, versetzte ihm einen kameradschaftlichen Rippenstoß und antwortete: „Blödmann – du weißt doch genau, dass ich nur Spaß gemacht habe! Paps ist für mich sowieso der coolste Typ auf der ganzen Welt und wird es auch immer bleiben!“

Die beiden lachten, und die Erwachsenen ließen sich anstecken. Dann ergriff Chris Schneider das Wort: „Aber mal im Ernst, Brian – Regina hat recht. Du warst heute Abend einsame Spitze – auch deine Zugaben waren grandios, nur bei „Sweet Little Girl“ musst du am Ende noch mehr Herz hineinlegen. So wie du es damals in Paris gesungen hast, you know? Genauso wie dort möchte ich das morgen Abend hören. Schließlich haben wir die Olympiahalle an drei Abenden hintereinander ausverkauft, und viele Fans werden morgen sogar wieder dabei sein. Du hast also quasi eine Chance zur Wiedergutmachung.“

Brian antwortete spöttisch: „Hauptsache, du hast noch was zu meckern, Chris, dann weiß ich, dir geht es gut.“

Schneider ließ diese kleine Spitze unkommentiert, legte einen Arm um Brians und einen um Reginas Schultern, wozu er sich auf die Zehenspitzen recken musste, und sagte in die Runde: „Kommt, wir gehen runter in die Garderobe, Brian muss sich jetzt erst mal ausruhen.“

Brian hakte Regina unter, und die Fünf verließen lachend und scherzend den Backstage-Bereich. Keiner von ihnen nahm Notiz von der etwas zu aufdringlich geschminkten jungen Frau im schwarzen Schlauchkleid, die vom rotsamtenen Bühnenvorhang fast verdeckt, alles aus nächster Nähe beobachtet hatte.

Ein Ordner – es war nicht Mr. Security – eilte herbei, um den Star des Abends und seine vier Begleiter sicher aus dem Backstage-Bereich zu eskortieren. Brian Jones betrat mit seiner Familie und seinem altgedienten Manager durch den Bühnenabgang den Flur in Richtung Garderobe. Dort wartete schon ein Mitglied von Brians Tour-Crew, um dem Star beim Umziehen zu helfen. Jess spähte der kleinen Gruppe durch die nicht ganz zugefallene Metalltür zum Flur nach.

Im Gehen zog Brian sein Jackett aus und drückte es der Garderobenassistentin in die Hand. Das Shirt darunter war durchgeschwitzt und die Muskeln seines wohlproportionierten Oberkörpers zeichneten sich deutlich ab, erotischer Stoff feuchter Frauenträume. Die junge Frau, die ein Headset auf dem Kopf trug und ansonsten in praktische schwarze Arbeitsklamotten gehüllt war, reichte ihm im Austausch ein frisch gewaschenes, weißes Handtuch, mit dem er sich im Weitereilen kurz den Kopf abfrottierte, um es sich dann lässig um den Hals zu hängen.

Jess folgte Brian, seiner Familie und seinem Manager in einigem Abstand. „Geil“, dachte sie und leckte sich unbewusst die Lippen, als sie das Muskelspiel von Brians Schultern und Oberarmen sah.

An der Metalltür zum Flur, die sie vollkommen unbehelligt erreichte – wer es bis hierher geschafft hatte, der musste in den Augen aller Beteiligten irgendwie dazugehören – blieb Jess stehen. Sie legte die Hände mit den makellos manikürten, blutrot lackierten Nägeln gegen das schwere, kühle, an einigen Stellen rostfleckige Metall und sah den Fünfen nach.

Die Gruppe verschwand um eine Ecke im Garderobentrakt.

„Bald“, dachte Jess. „Bald.“

Es war allerhöchste Zeit.

2

Treibgut

Olympiahalle München Samstag, 14. 4. 2012

Die Minuten nach dem zweiten Münchner Konzert Brian Jones’ erschienen Jess wie ein Déjà-vu. Wie am Abend zuvor hatte sie sich mit ihrem Outfit und dem Make-up alle erdenkliche Mühe gegeben, zumindest im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Die Tickets für die drei Eröffnungsshows zu Brians Europatournee in München hatte sie schon Monate zuvor bei Eventim gekauft – sie hatte sich zwar das Geld zusammenpumpen müssen, aber was bedeutete das schon? Ein Vermögen hatte sie in diese Eintrittskarten investiert, aber das war Brian ihr allemal wert.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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