Long Covid – wenn der Gehirnnebel bleibt - Martin Korte - E-Book
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Long Covid – wenn der Gehirnnebel bleibt E-Book

Martin Korte

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Beschreibung

Neueste Erkenntnisse aus der Forschung: Wie das Corona-Virus unser Gehirn schädigt und wie man das Risiko für Long-Covid minimieren kann

Erschöpfung, Gehirnnebel, Konzentrationsprobleme: Etwa zehn Prozent aller Corona-Patienten beklagen diese und ähnliche Langzeitfolgen noch Monate nach der Infektion, selbst nach einem milden Krankheitsverlauf – auch wenn die Betroffenen zuvor jung, gesund und leistungsstark waren.

In seinem neuen Buch erklärt Prof. Dr. Martin Korte, der am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und an der TU Braunschweig zu Long-Covid forscht,

• welche langanhaltenden Symptome eine Corona-Infektion hervorrufen kann,

• wie es sein kann, dass mit dem Gehirn ein Organ betroffen ist, das meist gar nicht infiziert wurde,

• zu welchen chronischen Erkrankungen und Auswirkungen auf die Psyche das führen kann,

• welche Menschen am meisten gefährdet sind

• und mit welchen Therapien und Maßnahmen man den Erkrankten helfen kann.

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Zum Buch:

Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Geschmacksverlust, Gehirnnebel, Konzentrationsprobleme: Etwa zehn Prozent aller Corona-Patienten beklagen diese und ähnliche Symptome noch Monate nach der Infektion, selbst wenn die Krankheit milde verlaufen ist und die Betroffenen zuvor jung, gesund und leistungsstark waren. Neueste Studien zeigen zudem, dass eine Corona-Infektion auch zu einer beschleunigten Alterung des Gehirns führen kann. Das könnte bedeuten, dass die Zahl der Demenzerkrankungen in den nächsten Jahren erheblich steigt. Auch diese alarmierende Erkenntnis zeigt: Long-Covid ist die neue Volkskrankheit – Ärzte und Wissenschaftler warnen vor den langfristigen Auswirkungen für die einzelnen Patientinnen und Patienten und die Gesellschaft als Ganzes.

In seinem neuen Buch erklärt Prof. Dr. Martin Korte, der am Helmholtz-Institut für Infektionsforschung und an der TU Braunschweig selbst zu Long-Covid forscht, wie eine Virusinfektion im Körper zu Schädigungen im Gehirn führen kann und welche lebenslangen Erkrankungen Menschen aller Altersgruppen dadurch erleiden können. Darüber hinaus gibt er viele konkrete Hinweise, wie man die Risiken für Long-Covid minimiert, welche Therapien für die Patienten möglich sind und was man selbst dafür tun kann, um seine körperliche und geistige Fitness wiederzuerlangen.

Zum Autor:

Martin Korte ist Professor für Neurobiologie an der TU Braunschweig, Arbeitsgruppenleiter am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung Braunschweig und gehört zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland. Er untersucht die zellulären Grundlagen von Lernen, Gedächtnis und Vergessen ebenso wie die Interaktion von Immunsystem und Nervensystem im Kontext der Alzheimer-Krankheit. Mit seiner Arbeitsgruppe konnte er als einer der Ersten zeigen, dass virusbedingte Atemwegserkrankungen durch eine Überaktivierung des Immunsystems zu langfristigen Konsequenzen im Gehirn führen. Aktuell forscht er an Long-Covid.

Martin Korte ist ein viel gefragter Experte in den Medien und einem größeren Publikum durch seine Auftritte im Fernsehen und als Vortragsredner bekannt. Bei DVA erschienen von ihm unter anderem »Jung im Kopf« und »Wir sind Gedächtnis« (2012 und 2017).

Besuchen Sie uns auf www.dva.de

Martin Korte

Long Covid

Wenn der Gehirnnebel bleibt

Die gefährlichen Langzeitfolgen

Die Übersetzungen von Zitaten aus englischsprachigen Quellen stammen vom Autor.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © 2022 by Deutsche Verlags-Anstalt, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lektorat: Anja Fischer, Hannover

Grafiken: Peter Palm, Berlin

Covergestaltung: Favoritbuero, München

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN978-3-641-30173-6V001

www.dva.de

Inhalt

Einleitung: Long-Covid als eine eigene Krankheit verstehen

Kapitel 1: Covid-19 und Long-Covid – eine Bestandsaufnahme

SARS-CoV-2: Die Fakten

Virusvarianten

Mögliche Folgen der Infektion

Erkenntnisse aus früheren Epidemien

Von Covid-19 zu Long-Covid

Das Symptomspektrum von Long-Covid

Long-Covid bei Kindern

Mögliche Impfnebenwirkung: Post-Vac-Syndrom

SARS-CoV-2 in unserer Gesellschaft

Kapitel 2: Neurologische Manifestationen von Long-Covid

Denkleistung und Gehirne schrumpfen

Fatigue: Gehirnnebel bei Long-Covid

Delirium und Alzheimer-Risiko

Wieso ist das Gehirn so häufig betroffen?

POTS-Syndrom: Herzrasen nach Covid-19

Psychische Probleme und suizidale Gedanken

Kapitel 3: Auf der Suche nach den Ursachen – Forschung zu Long-Covid

Wir brauchen einen neuen Krankheitsbegriff

Patientengruppen unterscheiden

Auf der Suche nach den Ursachen

Gehirn an Immunsystem!

Fahndung nach den Risikofaktoren

Kapitel 4: Autoimmunreaktionen – ein Auslöser für Long-Covid?

Wenn das Immunsystem den eigenen Körper angreift

Angeborenes und erworbenes Immunsystem

Wie eine Autoimmunerkrankung entstehen kann

Warum Frauen häufiger Autoimmunerkrankungen erleiden

Wie Autoimmunreaktionen an Long-Covid beteiligt sein könnten

Kapitel 5: Was hilft? Therapien, Behandlungen und Wirkmechanismen

Long-Covid als Herausforderung für die Medizin

Vorbeugung

Die Suche nach therapeutischen Ansätzen mit Pharmaka

Nichtpharmakologische Behandlungen und Verhaltenstherapien

Wiedereingliederung am Arbeitsplatz

Zum Weiterlesen und – informieren für Patienten, Angehörige und andere Interessierte

Zum Schluss: Aus der Pandemie lernen

Glossar

Literatur

Einleitung: Long-Covid als eine eigene Krankheit verstehen

»Es fing unglaublich mild an. Normalerweise hätte ich dem überhaupt keine Beachtung geschenkt. Doch innerhalb einer Woche fühlte ich mich richtig … ich fühlte mich, als ob ein Elefant auf meiner Brust sitzen würde. Zeitweise war ich überzeugt, dass ich sterben würde. Auch nach einem Jahr hatte ich keinen einzigen symptomfreien Tag.«

Claire Hastie, zitiert nach: Michael Marshall: Four Key Questions about Long Covid, Nature, Vol. 594, 10. Juni 2021, S. 168

Die Corona-Infektion ist überstanden, der Test negativ, man möchte an die frische Luft, und der Drang nach dem »normalen« Leben, sportlicher Aktivität oder auch nur einem Spaziergang ist groß. Doch die Rückkehr zum Alltag ist für viele Menschen, die an Covid-19 erkrankt waren, nicht leicht; oft ist Geduld gefragt. Auch wenn man einen milden Verlauf hatte, können die Beschwerden nach der Infektion noch lange andauern, bei manchen beginnen sie sogar erst Wochen nach der Infektion und halten dann Monate, manchmal sogar Jahre an. Manche Erkrankten fühlen sich noch 4 – 12 Wochen, nachdem die eigentliche Infektion überstanden ist, schlecht – einigen Menschen, die sich gleich zu Anfang der Pandemie infiziert haben, geht es bis heute nicht besser.

Die Rede ist von Long-Covid, einem Thema, von dem in den ersten zwei Jahre der Pandemie so recht keiner etwas wissen wollte. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung spielt es bis heute immer noch kaum eine Rolle. Und für Mediziner und Medizinerinnen stellen sich die Symptome diffus, schwer greifbar und diagnostisch verwirrend dar.

Beides hat lange zu Abwehrreaktionen bei der medizinischen Anerkennung von Long-Covid als eigenständigem Krankheitsbild geführt. Warum Politik, Medizin und Gesellschaft nicht hinsehen wollten, war verständlich: Jeder möchte die Pandemie so schnell wie möglich hinter sich lassen und zu einer Art Normalität zurückkehren.

»Als Optimist mag man mit dem Spruch durchs Leben gehen: ›Das passiert anderen und nicht mir.‹ Damit könnte man auf die Nase fallen.«

Dr. Margret Hund-Georgiadis, medizinische Leiterin der Klinik Rehab Basel, zu Long-Covid und wen es betrifft, www.srf.ch/news/schweiz/corona-nachwehen-in-10-zitaten-long-covid-der-weg-zum-briefkasten-wird-zum-abenteuer [01.07.2022]

Fakt ist aber: Das Wort »genesen« bei negativem Schnelltest nach einer SARS-CoV-2-Infektion hat für viele Betroffene einen bitteren Beigeschmack – es bezeichnet den Schwebezustand zwischen akutem Covid-19 und Long-Covid.

»Als ich im März 2020 Long-Covid bekam, war ich 38 und gesund. Wenn Sie so sind wie ich damals, ist es schwer zu verstehen, wie schlimm Long-Covid ist. Ich glaube, wir haben den Instinkt wegzusehen, aber bitte, es ist wichtig hinzusehen.«

Anonyme/r Patient/in der Post-Covid Clinic, Oxford, The Long CovidSelf-Help Guide, S. 7

Wie schnell und dauerhaft sich das Leben durch eine Covid-Infektion ändern kann, zeigt eine Krankengeschichte, die in einem vielbeachteten Artikel der amerikanischen Zeitschrift The Atlantic im April 2021 veröffentlicht wurde: Caitlin Barber wurde im Herbst 2021 im Mount Sinai Center for Post-COVID Care in New York eingeliefert, sechs Monate, nachdem sie sich in dem Pflegeheim, in dem sie als Diätassistentin arbeitete, mit SARS-CoV-2 infiziert hatte. Die 28-Jährige war frisch verheiratet und lebte im Hinterland von New York. Sie nahm an Halbmarathons teil und ging jeden Tag nach der Arbeit für zwei Stunden ins Fitnessstudio.

Barbers akuter Infektionsverlauf von Covid-19 war nicht besonders schwerwiegend, sie selbst sagt: »Es war für mich wie eine Erkältung; in dieser Hinsicht hatte ich großes Glück.« Zwei Wochen später ging sie wieder zur Arbeit, und dann kam der Schreck. »Innerhalb von drei Tagen brach meine Welt einfach zusammen«, sagt sie. Sie hatte Schwierigkeiten, einfache Berichte zu schreiben. Mitten in einer routinemäßigen Ernährungsberatung fand sie sich mit einer Messsonde in der Hand wieder und wusste nicht, was sie als Nächstes tun sollte. Nach einigen weiteren gescheiterten Versuchen, ihrer Arbeit wie gewohnt nachzugehen, ließ sie sich krankschreiben, und schon wenige Wochen später verschlechterte ihr Zustand sich so, dass sie kaum noch das Haus verlassen konnte.

Fast ein Jahr später ist Barber überwiegend ans Bett gefesselt. Ihre Symptome verändern sich ständig. An manchen Tagen ist sie froh, wenn sie selbstständig duschen kann. Es fällt ihr schwer, sich die Zähne zu putzen oder Mahlzeiten zuzubereiten, denn ihr Herz rast mit weit über 100 Schlägen pro Minute (normal sind 60 bis 90 im Ruhezustand). Da sie die meiste Zeit des Tages allein ist – ihr Mann arbeitet lange –, muss sie Toilettengänge und ihre Nahrungsaufnahme sorgfältig planen, um nicht zusammenzubrechen. In ihrer Wohnung stehen überall Stühle, auf denen sie sich ausruhen kann. Auf die Frage ihrer Freunde, was sie den ganzen Tag zu Hause macht, antwortet sie: »Ich habe das Gefühl, dass ich sehr beschäftigt bin.« Das Herzrasen und eine unendliche Müdigkeit erschweren jeden Schritt im Alltag, für Haushaltsdinge, die ihr früher leicht von der Hand gingen, benötigt sie heute einen ganzen Tag, um sie zu erledigen.

Anfangs taten viele Ärzte Fälle wie diesen als Folge von Angstzuständen oder gar Hypochondrie ab. Fast die Hälfte der Patienten fühlte sich sogar 2022 noch stigmatisiert. Allerdings zeigt die Geschichte von Caitlin Barber exemplarisch, dass Long-Covid nicht nur von akademischem Interesse ist. Ein »Einzelfall« unter sehr vielen Einzelfällen, die klar machen: Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Pandemie wahrscheinlich viel mehr Patientinnen und Patienten mit lang anhaltenden gesundheitlichen und psychischen Problemen hervorbringt, als die meisten es sich anfänglich haben vorstellen können (eine der wenigen Ausnahmen ist der aktuelle Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der schon früh vor Long-Covid warnte).

Long-Covid wird aus allen Ländern der Welt berichtet. Viele Betroffene waren zuvor begeisterte Radfahrer, Läuferinnen, Skifahrer und Tänzerinnen, sind jetzt stark eingeschränkt und können ihren früheren Leidenschaften nicht mehr nachgehen. Einige sind nicht einmal mehr in der Lage, ihren früheren Beruf auszuüben.

»Long-Covid fühlt sich wie ein Fluch an. Mein Körper und mein Gehirn sind irgendwie falsch, an verschiedenen Tagen auf unterschiedliche Weise, unvorhersehbar und beunruhigend. An guten Tagen zweifele ich an mir selbst, an schlechten Tagen an allem. Die Krankheit ist kapriziös, grenzenlos und bösartig.«

Anonyme/r Patient/in der Post-Covid Clinic, Oxford, The Long Covid Self-Help Guide, S. 12

Wie hoch die individuellen und gesellschaftlichen Kosten von Long-Covid sind, zeigen auch die bloßen Zahlen: Covid-19 hat schätzungsweise 15 Millionen Menschen weltweit seit Ende 2019 das Leben gekostet – aber abgesehen von den beängstigenden Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit jedes einzelnen Menschen, alarmiert Mediziner und Forschende das quantitative Ausmaß des Problems. Zahllose Betroffene spüren neben den privaten auch die wirtschaftlichen Auswirkungen. Neben den akut Erkrankten fehlen viele 20- bis 50-jährige Arbeitskräfte, die mitunter für Monate nicht oder nur eingeschränkt arbeiten können. Long-Covid wird mehr und mehr zum Problem für die Arbeitswelt und die Sozialsysteme, ebenso wie für den langfristigen politischen Umgang mit SARS-CoV-2. Ich meine: Dem müssen wir uns stellen, Wegsehen hilft nicht!

»Frau A. ist ein exemplarischer Fall. Wie bisher die meisten steckte sie sich in der zweiten Virensaison an, kurz vor Weihnachten. Wie viele andere war sie nicht besonders krank, bettlägerig zwar, aber stabil genug, um Covid zu Hause auszukurieren. Nach etwa vier Wochen merkte sie: Mit mir stimmt etwas nicht, und es wird nicht besser. Ich bin so erschöpft. Und ich kann mich nicht mehr konzentrieren … Nichts ist mehr, wie es mal war. Nur im Garten geht es. Unter den raschelnden Kirschbaumblättern, zwischen all den wippenden Blütenstauden findet sie Inseln der Ruhe. Das sind gute Momente, kleine Erfolge, sie muss dringend lernen, ruhig zu bleiben. In ihrem Kopf wabert nicht nur Nebel, dort ist auch stets alles in Alarmbereitschaft. Andere Menschen zu treffen, in den Supermarkt zu gehen, das kann schon viel zu viel sein. Dann wird die Brust ganz eng, das Herz stolpert, vor den Augen flimmert es, und alles dreht sich.«

Nike Heinen: Long Covid: Sie wissen nicht weiter, Zeit online, 6. September 2021

Der Begriff »Long Covid« ist, wenn man das alles berücksichtigt, eigentlich irreführend, denn er suggeriert, dass es sich um eine lange Version der Covid-Erkrankung handelt. Aber medizinisch betrachtet ist Long-Covid meiner Ansicht nach – und viele Kolleginnen und Kollegen teilen sie – kein lang anhaltendes Covid-19, sondern ein eigenes Krankheitsbild, das sich durch die Infektion mit dem Coronavirus entwickelt und manifestiert. Das Virus ist der Trigger, aber die Krankheit ist die Folge der Reaktion des Immunsystems und anderer Faktoren, die zum Teil in der Veranlagung eines Patienten/einer Patientin selbst liegen. Ich habe für dieses Buch daher die Schreibweise mit Bindestrich gewählt. Dass die neue, chronische Long-Covid-Krankheit als solche überhaupt identifiziert und charakterisiert wird, ist irritierenderweise hauptsächlich der Arbeit von Patientengruppen und deren proaktiven Netzwerken in den sozialen Medien zu verdanken, in denen sie darauf aufmerksam machten, dass sie noch lange nach der SARS-CoV-2-Infektion gesundheitliche Probleme hatten; sie waren es übrigens auch, die den Begriff »long covid« geprägt haben.

Unabhängig davon, wie man zu der Frage steht, ob die Pandemie vorbei ist oder wie das Leben mit dem Virus künftig aussehen sollte, ist klar, dass uns Covid-19 in irgendeiner Form weiter begleiten wird – das Virus wird genauso wenig verschwinden wie die verschiedenen Typen von Grippeviren. Die schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen in Deutschland, die Long-Covid am eigenen Leib erfahren haben oder immer noch daran leiden, können ihrer Erkrankung ohnehin nicht ausweichen.

Dieses Buch soll dazu beitragen, dass alle Beteiligten – die Betroffenen, die Ärzteschaft, die Politik und die Wirtschaft – Long-Covid besser verstehen. Und natürlich soll es auch allen Interessierten an den Auswirkungen der Corona-Pandemie eine Handreichung bieten. Vor allem im letzten Kapitel möchte ich aber auch eine erste Orientierung zu den Therapie- und Selbsthilfemöglichkeiten geben.

Für den gesamten Text gilt: Ich schreibe dieses Buch über ein sich bewegendes Ziel, denn die Forschung zu Long-Covid ist in vollem Gange. Aber leider gibt es immer noch nur sehr wenige Studien, die neue Hypothesen und Therapien testen – ein enormer Gegensatz zu den vielen neuen Fällen, die täglich hinzukommen. Mittlerweile laufen immerhin einige Forschungsprogramme (erst in den USA und GB, jetzt auch bei uns in Deutschland).

»Müdigkeit allein ist eine untaugliche Beschreibung für die existenzielle Erschöpfung, die ich mindestens ein Jahr lang jeden Tag erlebe. Eine leere Batterie, die der Schlaf kaum auflädt. Wie der größte Jetlag und Kater, den ich je hatte, zusammen. Jeden einzelnen Tag, Tag und Nacht.«

Anonyme/r Patient/in der Post-Covid Clinic, Oxford, The Long Covid Self-Help Guide, S. 14

Sie fragen sich vielleicht, warum dieses Buch von einem Neurowissenschaftler geschrieben wurde. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die am längsten anhaltenden und häufigsten Symptome von Long-Covid mit dem Gehirn zusammenhängen und die dabei involvierten entzündlichen Prozesse auch zu meinem neurobiologischen Arbeitsgebiet gehören. Darüber hinaus zeigen neueste Untersuchungen, dass gehirnassoziierte Symptome bei jungen Menschen genauso häufig vorkommen wie bei älteren, selbst wenn sie nur leicht an Covid-19 erkrankt waren.

»In Zukunft müssen sehr viel mehr als bisher die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Wissensdimensionen berücksichtigt werden. Dazu gehören nicht nur die gesellschaftlichen Kontexte wissenschaftlicher und technischer Probleme, sondern auch die historisch spezifische Rolle bestimmter Wissensbilder, der Reichtum und die Verschiedenartigkeit lokalen Wissens und die thematischen Verbindungen, die oft durch Disziplingrenzen getrennt werden«, sagt Prof. Jürgen Renn, Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte.

Die Verbindungen herzustellen zwischen diesen Wissensdimensionen, wird auch entscheidend sein, um Diagnoseverfahren und therapeutische Ansätze bei der Long-Covid-Erkennung und – Behandlung zu entwickeln. Vier Leitfragen sind dabei die folgenden:

Wie viele Menschen bekommen Long-Covid bei welcher Virusvariante (Inzidenz), und welche Menschen sind am meisten gefährdet (Risikofaktoren)?

Welche biologischen Ursachen hat Long-Covid?

Wie ist die Beziehung zwischen Long-Covid und anderen Postinfektionssyndromen?

Was kann man tun, um den Erkrankten zu helfen (Therapien)?

Hier eine kurze Übersicht über die Buchkapitel, die sich mit diesen Fragen beschäftigen: Im 1. Kapitel Covid-19 und Long-Covid – eine Bestandsaufnahme werde ich nach einer statistischen Annäherung an die akute Corona-Erkrankung, Begriffsklärungen und einer Zusammenfassung der komplexen Originalstudien zu Long-Covid und Post-Covid beschreiben, um welche Symptome es geht. Klar wird dabei werden, dass Long-Covid jeden treffen kann, egal ob milder oder schwerer Verlauf, jung oder alt.

»Die Leute sagen: ›Früher konnte ich einen 2000er hochklettern. Heute ist der Weg zum Briefkasten ein Abenteuer.‹«

Dr. Margret Hund-Georgiadis, medizinische Leiterin der Klinik Rehab Basel, zu Long-Covid und wen es betrifft, www.srf.ch/news/schweiz/corona-nachwehen [08.07.2022]

Im 2. Kapitel Neurologische Manifestationen von Long-Covid geht es um die Frage, was wir bisher über die Auswirkungen von Covid-19 auf das Nervensystem insgesamt wissen. Erklärt wird, wie es sein kann, dass mit dem Gehirn ein Organ betroffen ist, das meist gar nicht infiziert wurde. Einem der häufigsten Symptome, dem »Gehirnnebel«, werde ich genauer auf den Grund gehen. Zudem werden wir uns die Langzeitfolgen eines Deliriums – das leider Patienten mit schweren Verläufen nicht selten trifft – näher anschauen.

In Kapitel 3 Auf der Suche nach den Ursachen – Forschung zu Long-Covid soll über die biologischen Ursachen von Long-Covid aufgeklärt werden. Warum bestehen weiter Symptome, obwohl das Immunsystem das Virus doch erfolgreich bekämpft hat? Erste Antworten auf wahrscheinliche Ursachen lassen sich bereits geben. Der Schwerpunkt liegt auf der Frage, wie das Gehirn das Immunsystem steuert und auch umgekehrt, welche Wirkung das Immunsystem in das Gehirn hinein hat. Dabei betrachte ich ausführlich die Frage der chronischen Neuroinflammation – Gegenstand auch meiner eigenen Forschung an der TU Braunschweig und am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.

Das 4. Kapitel Autoimmunreaktionen – ein Auslöser für Long-Covid? ist den Autoimmunerkrankungen gewidmet. Unter anderem werde ich versuchen zu erklären, warum Frauen häufiger betroffen sind. Vor allem wird es darum gehen, in welchem Zusammenhang Long-Covid und das Immunsystem stehen.

Das 5. Kapitel Was hilft? Therapien, Behandlungen und Wirkmechanismen könnte für die von Long-Covid Betroffenen unter den Leserinnen und Lesern das wichtigste sein. Wenn Sie dieses Buch lesen, sind Sie vielleicht selbst von Long-Covid betroffen, wissen schon eine ganze Menge über das Coronavirus und erhoffen sich, Ihre diffusen Symptome besser zu verstehen, und Informationen darüber, wo Hilfe zu erwarten sein könnte. Hinweise zu Therapieansätzen und ihren Wirkmechanismen, zu Medikamenten und Anlaufstellen finden Sie in diesem Teil des Buchs. Gegenstand des Kapitels wird auch sein, wie eine Wiedereingliederung in die Arbeitswelt möglich ist und wie man es mit Sport halten sollte.

Abschließend werde ich kurz erläutern, was wir aus meiner Sicht für zukünftige Pandemien aus den Covid-19- und Long-Covid-Erkrankungen lernen sollten.

Wie man dieses Buch liest

Der Verlag und ich haben versucht, dieses Buch trotz des komplexen, sich ständig weiterentwickelnden Themas für Sie so lesbar und übersichtlich wie möglich zu gestalten. Dabei bedienen wir uns folgender Elemente:

Viele

Fachbegriffe

werden in kleinen Extratexten kurz erklärt, zusätzlich findet sich am Ende des Buches ein

Glossar.

Literaturhinweise,

die einerseits mir als Autor als Quellen gedient haben, für Sie aber auch weiterführende Lektüre sein können, finden Sie ebenfalls am Ende des Buches. Die Hinweise sind nur ein Bruchteil der verwendeten Originalliteratur und können nur ausschnittweise den aktuellen Forschungsstand zu den Themen

SARS

-CoV-2, Long-Covid und Immunsystem dokumentieren. An dieser Stelle bitte ich alle Kollegen und Kolleginnen um Entschuldigung, deren Artikel nicht ausdrücklich erwähnt sind. Berücksichtigt ist die Literatur bis 08/2022.

Ein

Register

hilft Ihnen, gezielt nach bestimmten Begriffen zu suchen.

Konkrete Hinweise für Patienten

sind unterstrichen, damit Sie als Patient oder Patientin die Möglichkeit haben, schnell auf die für Sie vielleicht besonders wichtigen Passagen zu stoßen.

Von Covid-19 und Long-Covid sind Frauen und Männer betroffen, als Patienten und Patientinnen, als Mediziner*innen, als Arbeitnehmer und – geber*innen, als Politiker*innen. Wir sind uns dieser Tatsache sehr bewusst und haben uns trotzdem dagegen entschieden, im Text fortlaufend zu

gendern.

Im Buch werden also nicht an allen Stellen beide Geschlechter erwähnt, um den Lesefluss nicht zu unterbrechen, aber es sind, bis auf die Fälle, wo es ausdrücklich nur um Männer oder um Frauen geht, immer beide Geschlechter gemeint.

Kapitel 1: Covid-19 und Long-Covid – eine Bestandsaufnahme

»Jeder weiß, dass Seuchen auf der Welt immer wiederkehren; aber irgendwie fällt es uns schwer, an solche zu glauben, die aus heiterem Himmel auf unsere Köpfe niederprasseln. Es hat in der Geschichte so viele Seuchen wie Kriege gegeben, aber immer haben Seuchen und Kriege die Menschen überrascht.«

Albert Camus, Die Pest (1947)

Die Corona-Pandemie traf die Weltgemeinschaft und damit uns alle am Beginn des Jahres 2020 weitgehend unvorbereitet – trotz der Warnungen der WHO, dass die Gefahr groß sei, dass ein noch unbekannter Erreger X eine Pandemie auslösen könnte. Seit diesen frühen Tagen der Pandemie ist viel geschehen, unzählige Studien wurden veröffentlicht, der Infektionsweg und die Covid-19-Erkrankung sind mittlerweile relativ gut verstanden, und es gibt Impfstoffe sowie erste Medikamente.

Ganz anders stellt sich die Situation für Long-Covid dar, für all die Symptome, die noch Wochen, manchmal Monate, ja Jahre nach der Infektion mit dem Coronavirus weiter fortbestehen. Und obwohl das Krankeitsbild Millionen von Menschen weltweit trifft, ist es im öffentlichen Bewusstsein nur langsam angekommen und die allgemeine Unwissenheit ist entsprechend groß. In diesem ersten Kapitel will ich eine Bestandsaufnahme versuchen, was man über die Symptome weiß und wie die Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit Long-Covid verwendet werden. Wenn man so will: einen ersten Steckbrief für die Fahndung nach Long-Covid in all seinen Erscheinungsformen an die Wand pinnen!

SARS-CoV-2: Die Fakten

Die Coronavirus-Krankheit 2019 (coronavirus disease 2019, Covid-19) ist eine durch ein damals neuartiges Coronavirus ausgelöste Viruserkrankung. Seit dem Bekanntwerden der ersten Fälle in Wuhan, China, im Dezember 2019 sind im Zusammenhang mit Covid-19 weltweit viele Menschen gestorben (s. Abbildung 1). Offiziell erfasst sind ca. sechs Millionen, Übersterblichkeitsdaten legen mit hoher Wahrscheinlichkeit eher 15 – 20 Millionen Todesfälle nahe.

■Unter Übersterblichkeit versteht man den Umstand, dass im Vergleich zu einem Mittelwert in einem bestimmten Zeitraum (Monate oder Jahre) deutlich mehr Menschen sterben, als zu erwarten gewesen wäre. Um die mittlere Sterberate zu erfassen, werden über mehrere Jahre hinweg die durchschnittlichen Todesfälle ermittelt. Sterben im fraglichen Zeitraum mehr Menschen, ist das ein Indikator dafür, dass in Zeiten der Corona-Pandemie viele Menschen an SARS-CoV-2 gestorben sind, ohne dass dies unbedingt durch einen Test bestätigt wurde.

Dabei hat die Mehrheit der Patienten, die sich mit Covid-19 infizieren, nur leichte bis mittelschwere Symptome oder bleibt sogar asymptomatisch. Offiziell haben sich weltweit etwa 600 Millionen Menschen mit SARS-CoV-2 angesteckt (Stand 08/2022), Epidemiologen gehen aber davon aus, dass die Ansteckungsrate 3 – 4-mal so hoch ist, da nicht alle Länder mit gleicher Intensität getestet haben. Lebensbedrohlich wird es nur für etwa 5 – 8 % der Infizierten.

Abb. 1: Weltweite Todesopfer durch SARS-CoV-2 (nach offiziellen Zahlen der WHO, Stand Mai 2022). Angegeben sind die von Regierungen offiziell gemeldeten Todesopfer und die anhand der sog. Übersterblichkeit ermittelten Daten.

Eine der anfangs unentdeckten Eigenschaften des SARS-CoV-2-Virus ist, dass Infizierte, weil sie zunächst keine Symptome zeigen, die Krankheit unbemerkt schon vor der Diagnose weitergeben können. Dadurch verbreitet sich das Virus schnell, effektiv und erst einmal unbemerkt.

■SARS-CoV-2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2) ist der Auslöser der Covid-19-Erkrankung. Es handelt sich um ein membranumhülltes RNA-Virus, das verwandt ist mit dem SARS- und dem MERS-Virus.

Eine andere für uns Menschen ungünstige Eigenschaft des Virus ist, dass es auf Zellen im Nasen-Rachen-Raum eine erste Andockstelle findet. Und das Schloss, in das der Eingangsschlüssel des Virus passt, gibt es auf verschiedenen anderen Körperzellen auch, z. B. in der Lunge, in den Blutgefäßen, im Magen-Darm-Trakt, am Herzen und sogar im Gehirn. Noch perfider ist der Umstand, dass es sich bei diesen Andockstellen um Rezeptoren handelt, die für die Blutdruckregulation eine wichtige Rolle spielen und (ausgerechnet) einige Funktionen im Immunsystem haben. Der Name des Rezeptors: ACE2. Erschwerend kommt hinzu, dass die Immunantwort auf das Virus bewirkt, dass mehr ACE2 in die Zellmembran eingebaut wird – also mehr Andockstellen zur Verfügung stehen. So wird eine noch zusätzlich verstärkte SARS-CoV-2-Infektion ermöglicht.

■Der Rezeptor ACE2 (angiotensin-converting enzyme 2) ist die Eintrittspforte für SARS-CoV-2 – aber auch für andere Coronaviren – in eine menschliche Zelle. ACE2 ist normalerweise an der Blutdruckregulation beteiligt.

Darüber hinaus hat SARS-CoV-2 eine Möglichkeit entwickelt, die schnelle und effektive Immunabwehr in unserem Körper auszuhebeln, indem es die antiviralen Boten des Immunsystems, die Interferone, daran hindert, infizierte Zellen zu verlassen. Allerdings entkommen die Viren dem Immunsystem damit keineswegs komplett, sie schaffen sich so nur einen »unfairen« Startvorteil, der tödlich sein kann. Denn wenn unser Immunsystem erst mit einiger Verspätung entdeckt, dass sich etwas vermehrt, was nicht zu unserem Körper gehört, schlägt es umso massiver zu. Damit trifft es das Virus nur auf indirektem Weg, weil das Immunsystem die Zellen angreift, die Viren produzieren. Viren sind auf sich allein gestellt nicht lebensfähig, sie brauchen den Stoffwechsel und die genetische Maschinerie von Körperzellen, um sich zu vermehren. Virusvermehrende Körperzellen präsentieren auf ihrer Oberfläche Bestandteile des Virus, die vom Immunsystem als fremd erkannt werden. Diese Körperzellen greift das Immunsystem an – was dann auch das Virus tötet.

■Interferone sind eine Gruppe von Signalmolekülen des Immunsystems, die an der Bekämpfung von Virusinfektionen beteiligt sind. Sie gehören zu den Zytokinen.

Durch die absterbenden Zellen und verschiedene Botenstoffe des Immunsystems entsteht eine Entzündung, Der Mensch fiebert, und wenn die Immunreaktion außer Kontrolle gerät, können Zellen und ganze Organe Schaden nehmen. Dies gilt bei SARS-CoV-2 in der akuten Infektionsphase vor allem für die Lunge. Sie kann so in Mitleidenschaft gezogen werden, dass die Aufnahme von Sauerstoff in den Körper nicht mehr ausreichend gelingt und die Sauerstoffsättigung sinkt. Passiert das zu schnell und hört das Immunsystem nicht auf zu attackieren, müssen die Patienten ins Krankenhaus – und manchmal sogar auf der Intensivstation beatmet werden. Läuft die Lunge in ihren feinen Verästelungen voll Wasser oder verkleben diese ultradünnen Verzweigungen in der Lunge, kann dies zum Tod führen, da die Sauerstoffaufnahme irreparabel geschädigt ist.

Virusvarianten

SARS-CoV-2 kann, wenn es sich vermehrt, mutieren, also seine genetische Sequenz verändern. Treten genügend viele dieser Veränderungen auf und verändern sich die Eigenschaften des Virus, was Infektionshäufigkeit und Letalität angeht, spricht man von einer neuen Variante des Virus (manchmal auch salopp von einem neuen »Familienmitglied«).

Jede neue Variante von SARS-CoV-2 wird wissenschaftlich benannt. Dabei gibt es drei unterschiedliche Systeme (GISAID, Nextstrain und Pango), allerdings nutzen diese für die öffentliche Kommunikation unpraktische Kombinationen aus Buchstaben und Zahlen. Anfänglich wurden im öffentlichen Diskurs die Varianten nach dem Land benannt, in dem sie als Erstes auftraten – mit der Folge, dass die Bevölkerung dieser Länder sich Diskriminierungen und Feindseligkeiten ausgesetzt sah. Um dem entgegenzuwirken, hat die WHO die Corona-Varianten am 31. Mai 2021 umbenannt (Weekly epidemiological update 42, 1. Juni 2021, s. Abbildung 2).

Mögliche Folgen der Infektion

Die Menschen, die auf einer Intensivstation waren und die SARS-CoV-2-Infektion dank des Einsatzes von Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden und moderner Medizin(technik) überlebt haben, brauchen im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt oft nicht nur Wochen, sondern es kann Monate oder – wie man nun fast drei Jahre nach Beginn der Pandemie weiß – sogar Jahre zu körperlichen und/oder geistigen Einschränkungen kommen. 70 – 80 % aller Patienten, die während einer Covid-19-Erkrankung auf einer Intensivstation behandelt werden, sind von solchen Folgen betroffen.

Aber auch etwa 10 % der Menschen, die einen milden Covid-19-Verlauf hatten, berichten von Langzeitfolgen, die inzwischen – wie auch in diesem Buch – Long-Covid genannt werden. Betroffen sind Menschen jedes Alters, wie so oft gibt es hier statistisch besser validierte Zahlen aus Großbritannien: Hier waren laut dem UK Office for National Statistics vom 01.06.2022 allein 1,2 Millionen Menschen aktuell von Long-Covid-Symptomen betroffen, auf die Bevölkerungszahl Deutschlands hochgerechnet wären das mindestens 1,5 Millionen Betroffene. Aber über die gesellschaftliche Verantwortung, die wir gegenüber einer wachsenden Generation von Erkrankten haben, wurde bislang wenig gesprochen.

Abb. 2: Nomenklatur der Virusvarianten

Während der Deltawelle ist das Thema Long-Covid in der Gesundheitspolitik kaum diskutiert worden. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich lange ganz auf akute schwere Erkrankungen und Todesfälle von überwiegend älteren Menschen. Erst in den letzten Monaten, in denen andere Virusvarianten vorherrschen, inzwischen vor allem Subtypen der Omikron-Variante, gerät Long-Covid mit seinen lebensverändernden Langzeitfolgen, die das Virus für viele Menschen hat, mehr in den Fokus. Dieser Umstand war für mich eine wichtige Motivation, dieses Buch zu schreiben. Denn ich meine, alle Beteiligten – Patienten, Angehörige, Ärzte, die Wissenschaft und die Politik – sollten mit möglichst vielen Hintergrundinformationen zur Entstehung des Long-Covid-Syndroms und ersten Ansätzen von Behandlungs- und Therapieideen versorgt werden.

Für Hunderte von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt hat die Infektion mit SARS-CoV-2 eine Reihe von Problemen mit sich gebracht. Das Ausmaß dieser Gesundheitsbelastung ist schwierig zu messen. Aber es ist wichtig, es zu versuchen, denn nur so können Gesundheitsbudgets geplant werden. Dabei hilft, klar zu erkennen, wie wichtig Forschung und Heilversuche in diesem Fall sind. Gute Daten für die Auswirkungen verschiedenster Gesundheitszustände zu bekommen, war schon vor der Pandemie schwierig. Wie soll man ein Jahr mit Asthma, Wochen mit massiven Schlafstörungen oder Monate mit einer Depression miteinander vergleichen? Diese Berechnungen sind noch schwieriger, wenn Wissenschaftler es mit einem neuen Virus und einer noch nicht wirklich charakterisierten und definierten lang anhaltenden Krankheit zu tun haben.

Um zu quantifizieren, wie sich eine Krankheit auf eine ganze Bevölkerung auswirkt, werden Daten über die Anzahl der Infizierten, die Zahl derjenigen, die bestimmte Symptome hatten, die Dauer der Krankheit, wie viele Patienten eine Krankenhausbehandlung benötigten und ihr Alter erfasst. So wird berechnet, wie viele Lebens- und Arbeitsjahre gesamtgesellschaftlich durch Long-Covid verloren gegangen sind und wie viele Jahre mit einschränkenden Symptomen gelebt werden. Um diese zu quantifizieren, verwenden die Forscher einen Wert für die Krankheit, »Behinderungsindex« genannt (»Global Burden of Disease«-Tabelle), mit einer standardisierten Liste von Behinderungsgewichten, wobei ein Gewicht von 0 vollkommene Gesundheit und 1 der Tod ist. Die neueste verfügbare Version, die 2019 veröffentlicht wurde, gibt z. B. einem leichten Ohrenschmerz ein Behinderungsgewicht von 0,013 und schwerer Multipler Sklerose 0,72.

In den USA hat man entsprechend dieser Behinderungsgewichtung bereits Zahlen spezifisch für Long-Covid erhoben. Die Ergebnisse legen nahe, dass in den Jahren 2020 und 2021 etwa 4,6 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten Symptome hatten, die mindestens drei Monate andauerten. Die Daten zeigen auch, dass Menschen mit Long-Covid einen durchschnittlichen Behinderungsgrad von 0,21 hatten – das entspricht einem vollständigen Hörverlust oder einer schweren traumatischen Hirnverletzung. Man kann nur hoffen, dass diese Zahlen bei allen Beteiligten das Bewusstsein wecken, dass es sich bei Long-Covid nicht um eine Bagatelle handelt – und wie hoch die Krankheitslast in der Bevölkerung tatsächlich ist.

Zu Letzterem wurden bereits Daten über die britische REACT-Studie (Real-time Assessment of Community Transmission) erhoben. Das ist eine umfangreiche Stichprobenuntersuchung, die im Jahr 2020 begann und aufzeichnet, wie SARS-CoV-2 sich durch England bewegt und welche Symptome bei den Menschen auftreten. Die Daten der REACT-Studie legen nahe, dass die gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie immer noch andauern – und zwar bei erstaunlich vielen Menschen. So ergeben die Daten aus dem Jahre 2021 (also vor der hochansteckenden Omikron-Variante), dass 19 % der britischen Bevölkerung mit Covid-19 infiziert waren und mehr als 2 Millionen Erwachsene ein oder mehrere Long-Covid-Symptome noch mindestens 12 Wochen nach der Erstinfektion hatten. Das sind ca. 6 % der britischen Bevölkerung.

Das International Scientific Council, ein Zusammenschluss von weltweit über 2000 wissenschaftlichen Organisationen, hat 2022 in seinem Bericht über die Folgen der Pandemie festgestellt, dass weltweit wahrscheinlich 53 Millionen Fälle von Depressionen und 76 Millionen Fälle von Angststörungen zusätzlich diagnostiziert wurden – zum Teil bedingt durch Maßnahmen wie Schulschließungen, Lockdowns und natürlich durch das Virus selbst. Darunter sind vermutlich auch viele Millionen Menschen, die an Long-Covid leiden.

In der Gesamtschau sieht man vor allem, dass nach milden Verläufen Long-Covid-Symptome vergleichsweise häufig bei Menschen in ihren 30er- und 40er-Jahren auftreten – also dann, wenn sie als Arbeitnehmer oft in der Blüte ihrer Karriere stehen. Eine im Januar 2022 von der Brookings Institution in den USA veröffentlichte Studie kam zu dem Ergebnis, dass 15 % der unbesetzten Stellen in den Vereinigten Staaten auf Long-Covid zurückzuführen sein könnten. Aus einer britischen Studie geht hervor, dass die Krankheit am häufigsten bei Frauen, bei in benachteiligten Gebieten lebenden Menschen und bei Personen auftritt, die in der Sozial-, Lehr- oder Gesundheitsfürsorge arbeiten. Letzteres scheint mir allerdings eher eine Frage der Aufmerksamkeit zu sein: Menschen, die in der Gesundheitsfürsorge arbeiten, können die eigenen Symptome eher Long-Covid zuordnen als Menschen aus anderen Professionen. In jedem Fall gilt, dass die Mehrheit der Langzeit-Erkrankten im erwerbsfähigen Alter und weiblich ist. Für Kinder ist die Wahrscheinlichkeit, an Long-Covid zu erkranken, etwa halbiert im Vergleich zur Gruppe der 25- bis 34-Jährigen. Doch das bedeutet immer noch, dass etwa 5 % der Kinder, die sich mit Covid-19 infizieren, an Long-Covid erkranken.

Erkenntnisse aus früheren Epidemien

Durch eine Reihe aktuell erschienener Artikel über Long-Covid gewinnt man den Eindruck, dass anhaltende Symptome, die Monate oder sogar länger bestehen, obwohl die akute Virusinfektion bereits erfolgreich vom Immunsystem niedergerungen wurde, ein ganz neues Krankheitsbild darstellen. Diese Annahme ist so nicht richtig, denn spätestens seit der Spanischen Grippe von 1918 bis 1920 weiß man, dass Postinfektionssyndrome auftreten. Die Mutter aller Pandemien war als »Long-Influenza« noch lange nach der eigentlichen Pandemie wirkmächtig. Sogar damals, in den 1920er-Jahren, war den Wissenschaftlern klar, dass diese Grippe lang anhaltende neurologische und andere Auswirkungen hatte. Die berüchtigtste und umstrittenste ist die Enzephalitis lethargica (EL) oder »Schläfrigkeitskrankheit«. 80 % der EL-Überlebenden entwickelten später Parkinson-ähnliche Symptome.

Die neurologischen Auswirkungen von zwei nachfolgenden Grippepandemien, 1957 und 1968, waren weniger ausgeprägt, aber auf beide folgte ein Anstieg der Fälle von Enzephalitis (Gehirnentzündung) und wahrscheinlich auch von Demenz-Erkrankungen, zu der die Alzheimer-Krankheit gehört. Allerdings gelang es auch hier den Forschern nicht, einen eindeutigen Kausalzusammenhang mit einer früheren Grippeinfektion nachzuweisen.

Heute weiß man von einer schweren Erkrankung, die hochkorreliert nach einer Infektion mit bestimmen Viren auftritt (vor allem nach Infektion mit Grippeviren und dem Epstein-Barr-Virus): die myalgische Enzephalitis, auch bekannt als chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS, Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom). Dazu mehr in Kapitel 2 dieses Buches.