Frisch im Kopf - Martin Korte - E-Book

Frisch im Kopf E-Book

Martin Korte

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Beschreibung

Wie die Digitalisierung unser Gehirn und Denken verändert - Strategien für das Überleben im digitalen Dauerstress

Tagsüber Online-Meetings, Bildschirmarbeit und am Abend Chatten, Shopping im Internet, Serien streamen. Wie wirkt sich die digitale Reizüberflutung, der wir uns tagtäglich aussetzen, auf unser Gehirn, unser Denken, unser Verhalten aus? In seinem neuen Buch resümiert der Neurobiologe und Erfolgsautor Prof. Dr. Martin Korte die neuesten Forschungsergebnisse und räumt dabei mit einigen Mythen auf. Er zeigt unter anderem,

- wann digitale Mediennutzung dem Gehirnschadet und wann sie es fördert,

- warum Multitasking ein Märchen ist,

- wie Kinder und Jugendliche digitale Kompetenz erwerben und

- wie ältere Menschen mit Hilfe des Internets ihr Gedächtnis auf Trab halten.

Darüber hinaus gibt er ganz konkrete Empfehlungen, wie unser Umgang mit den digitalen Technologien im Alltag aussehen muss, damit wir wieder konzentrierter, produktiver und kreativer arbeiten – und dabei Frisch im Kopf bleiben.

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Seitenzahl: 369

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Zum Buch

Tagsüber Online-Meetings, Bildschirmarbeit und am Abend Chatten, Online-Shoppen, Serien streamen. Wie wirkt sich die digitale Reizüberflutung, der wir uns tagtäglich aussetzen, auf unser Gehirn, unser Denken, unser Verhalten aus?

In seinem neuen Buch resümiert der Neurobiologe und Erfolgsautor Prof. Dr. Martin Korte die neuesten Forschungsergebnisse – und räumt dabei mit einigen Mythen, etwa zum Thema Multitasking oder Digitalisierung an Schulen, auf. Er zeigt, wie die Nutzung digitaler Medien die Gehirnentwicklung beeinflusst, wo sie förderlich ist und wo sie massiv schadet und wie sich Computer, Smartphones & Co. sinnvoll beim Lernen und Arbeiten einsetzen lassen. Darüber hinaus gibt er ganz konkrete Empfehlungen, wie unser Umgang mit den digitalen Technologien im Alltag aussehen muss, damit wir wieder konzentrierter, produktiver und kreativer arbeiten oder im sozialen Miteinander achtsamer sind – und dabei frisch im Kopf bleiben.

Zum Autor

Martin Korte, geboren 1964, ist Professor für Neurobiologie an der TU Braunschweig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die zellulären Grundlagen von Lernen und Erinnern ebenso wie die Vorgänge des Vergessens. Martin Korte ist einer der meistzitierten deutschen Neurobiologen, ein gefragter Experte in den Medien und bereits durch eine Reihe von Fernsehauftritten bekannt. Neben seiner Tätigkeit als Wissenschaftler hält er regelmäßig öffentliche Vorträge vor Schuldirektoren, Lehrern, Eltern, Schülern und Politikern. Bei DVA erschienen von ihm u. a. die beiden Longseller Jung im Kopf und Wir sind Gedächtnis.

Besuchen Sie uns auf www.dva.de

Martin Korte

Frisch im Kopf

Wie wir uns aus der digitalen Reizüberflutung befreien

Deutsche Verlags-Anstalt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2023 by Deutsche Verlags-Anstalt, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Anja Fischer, Hannover

Grafiken: Peter Palm, Berlin

Umschlaggestaltung: Favoritbuero, München

Umschlagabbildungen: © Dominik Rößler (Foto); Oleksandr Khoma/Shutterstock.com (Illustration)

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-28482-4V001

www.dva.de

Inhalt

Einführung

KAPITEL 1 Überleben im Daten-Dschungel – unser abgelenktes Gehirn

Die Allgegenwart des Smartphones

Immer online – Handynutzung weltweit

Schnelles Switchen, langsames Switchen

Dark Patterns und Willenskraft

Zwischen Fokus und Verführung – was im Gehirn geschieht

Kann man Multitasking trainieren?

Begrenzte Bandbreite im Netz der Aufmerksamkeit

Niemand kann an alles denken

Konzentrierter arbeiten und lernen: Sofortmaßnahmen

Task switching und Selbstkontrolle

Was du heute kannst besorgen …

Trainingsprogramm für den Stirnlappen

Kein Leben ohne Ablenkung

KAPITEL 2 Born online – unsere digitalen Lebensphasen

Frühkindliche Gehirne und digitale Medien

Negative Effekte auf das Sprachvermögen

Digitale Medien im Kindergartenalter

Zocken und Liken: digitale Medien in der Pubertät

Digitale Medien, Bildungsscheren und -chancen

Training fürs Gehirn: digitale Medien für die Älteren

The magic of maybe – Internet- und Spielsucht

KAPITEL 3 Das digitale Klassenzimmer: Ist das Ende der Kreidezeit nahe?

Alles leichter mit digitaler Elektronik?

Blended Learning

Tablet statt Tafel – wirklich ein Fortschritt?

Wann handschriftliche Notizen besser sind

Was muss der Mensch heute tatsächlich noch wissen?

Kompetenz erwerben und zusätzlich digital ausbauen

Tippen, Klicken, Lesen: Leseerziehung in einer Welt der Bildschirme

Gamification: Zocken statt Pauken?

Lernen mit digitalen Technologien und soziale Gerechtigkeit

Die Perfektion der Mittel und die Verwirrung der Ziele

KAPITEL 4 Kluge Maschinen erfordern kluge Nutzer

Neuronale Netze und Deep Learning

Neuronal inspirierte KI

Big Data vs. dateneffizientes Gehirn

Wie intelligent ist die KI?

Behandeln uns bald Maschinen? KI in der Medizin

KI in der Arbeitswelt

Programme schreiben Programme

Die Macht der Programmierer

Grenzen heutiger KI

KAPITEL 5 Kann man das Gehirn hacken?

Neuroenhancement

Digitale Schnittstellen ins Gehirn

Praktische und ethische Probleme in der Forschung

Brain Hacks und Cyborgs: Verschmelzen Computer und Mensch?

Werden wir Gedanken lesen können?

KAPITEL 6 Wie fit sind wir für die digitale Zukunft?

Ein neues Geschäftsmodell für mehr Privatheit

Die Ökonomie der Aufmerksamkeit

Fake-News-Fallen vermeiden

Die Schule der Zukunft

Lebenslang lernen – von und mit Maschinen

Maschine über Mensch?

Die digitale Sprechstunde

Zum Schluss

Literatur

Register

Einführung

»Wir neigen dazu, die kurzfristige Wirkung einer Technologie zu überschätzen und die langfristige Wirkung zu unterschätzen.«

Roy Amara (1925–2007), Wissenschaftler und Zukunftsforscher, 2006

Digitale Medien sind heute fester Bestandteil unseres Lebens. Wie sehr sie unser Leben beeinflussen, zeigen etwa die in der kalifornischen Stadt Hayward aufgestellten Straßenschilder, die international Berühmtheit erlangt haben mit ihrem Slogan »Kopf hoch! Straße überqueren. Dann Facebook aktualisieren«. Auch die Stadt Köln hat begonnen, auf eine vorbeifahrende Straßenbahn nicht nur mit Signalen auf Augenhöhe hinzuweisen, sondern auch durch eine Bodenbeleuchtung, damit man das Warnsignal wahrnimmt, wenn man Musik hörend mit seinem Smartphone beschäftigt ist.

Spannungskopfschmerzen schon bei 14-Jährigen, auch als »Handynacken« bezeichnet, entwickeln sich laut dem Deutschen Ärzteblatt zu einem Volksleiden; und in Italien wurden Daten veröffentlicht, die belegen, dass ein signifikanter Anteil aller Scheidungen tatsächlich den Betroffenen zufolge auf die permanente WhatsApp-Nutzung des Partners zurückzuführen ist.

Die Zahlen einer Jugend-Digitalstudie der Postbank sind erdrückend eindeutig: Jugendliche verbrachten 2021 mehr Zeit im Netz als schlafend im Bett! Schule, Ausbildung oder Studium machen nur ein Drittel der Internetzeit aus. Mit sonstigen Internetaktivitäten verbrachten junge Menschen täglich im Schnitt 3,6 Stunden – 2019 (vor der Pandemie) waren es noch 2,5 Stunden.

Digitale Medien sind ein einzigartiges Phänomen, weil sie alle Aspekte unseres Lebens berühren: unsere Arbeit, unser Privatleben und wahrscheinlich sogar unsere Art zu denken und zu fühlen. Aber was machen sie mit unseren Gehirnen, vor allem mit denen Heranwachsender? Und vor allem: Welche Effekte haben digitale Medien – insbesondere Smartphones – auf unser Gehirn? Setzen wir diese gehirngerecht ein? Welche evolutiven Schranken hat unser Gehirn, und wie sollten diese berücksichtigt werden?

Künstliche Intelligenz (KI) ist der vorläufige Höhepunkt der digitalen Entwicklung. Und genau wie alle anderen digitalen Fortschritte birgt sie Chancen und Gefahren – auch für unser Gehirn. Mit ihr verbunden ist die Frage, ob die Tatsache, dass sie einst angetreten war, unser Gehirn nachzuahmen (im Gegensatz etwa zu Taschenrechnern und »normalen« Desktop-Programmen), uns Unbehagen bereiten sollte. Als Gehirnforscher fasziniert mich die Frage, wie künstliche Intelligenz funktioniert und warum sie erst so wirkmächtig wurde, als man die neuronalen Netze unserer Gehirne als Vorbilder nahm. Aber auch: Wo grenzt sich der Mensch von der Maschine ab?

Hier eine kleine Vorschau auf die Kapitel dieses Buches:

In Kapitel 1 steht unser digital geprägter Alltag im Mittelpunkt: Wie schaffen wir es, noch klar zu denken und effizient zu arbeiten in Zeiten des Informationsdschungels? Und warum scheitern wir so oft daran, den Nutzungssignalen dieser Geräte zu widerstehen?

In Kapitel 2 begleiten wir unser Gehirn durch alle Lebensphasen. Im Mittelpunkt stehen die Gehirne Heranwachsender: Wie beeinflusst die Nutzung digitaler Medien die frühkindliche Entwicklung – und die Jugendlicher in der Pubertät? Die Auswirkung auf unsere motorischen Fähigkeiten ist nur ein Aspekt, andere sind die Folgen für Sprache, Kognition und Wahrnehmung visueller Objekte im sich entwickelnden Gehirn.

Ein weiterer Bereich von Interesse ist, ob die Entwicklung sprachbezogener Prozesse im Gehirn in irgendeiner Weise von einer intensiven Nutzung digitaler Medien in der frühen Kindheit beeinflusst wird. Aber auch die Senioren kommen in diesem Kapitel nicht zu kurz!

In Kapitel 3 soll digitales Lernen, vor allem in der Schule, aus Sicht des Gehirnforschers vorgestellt und in seinen Möglichkeiten ausgelotet werden. Inwiefern brauchen wir digitale Medien wie Tablets und Smartphones im Klassenzimmer? Wie wirkungsvoll sind Online-Schulungen? Ist alles andere nicht hoffnungslos altmodisch?

So viel vorweg: Wir werden für die Einbindung digitaler Lernwerkzeuge neue Methoden entwickeln müssen, um analoges und digitales Lernen sinnvoll miteinander zu verbinden. Selbst wenn es rückwärtsgewandt klingt: Moderne Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass wir gut beraten sind, einen nicht unerheblichen Teil unseres Lernens weiterhin mithilfe von Büchern und menschlichen Mentoren zu absolvieren.

In Kapitel 4 werden wir uns ansehen, was mit dem Begriff »künstliche Intelligenz« gemeint ist und was diese heute leisten kann und was nicht. Inwieweit sind die Erfolge der KI-Forschung und -Anwendung der letzten zehn Jahre dem Wissen über das Gehirn zu verdanken? Was unterscheidet KI-Systeme von uns und unserem Gehirn – und was bedeutet das für unsere Zukunft?

In jedem Fall sind KI-Systeme in den letzten Jahren in Bezug auf ihre Rechenkapazität, Mustererkennung und Flexibilität enorm leistungsfähig geworden. Wir leben bereits heute in einer Welt von Algorithmen, die bei Facebook und Twitter die Nachrichtenströme formen und bei Tinder im besten Fall Romanzen anbahnen. Wie aber denken, fühlen, handeln die Menschen dahinter, die Programmierer, die unsere digitale Welt erschaffen, die unser Lernen, unser soziales und gesellschaftliches Leben ebenso bestimmen wie unsere Arbeitswelt? Das Kapitel wird mit der Frage enden, ob sich Menschen ebenso wie kluge Roboter mit einfachen Algorithmen beschreiben lassen.

In Kapitel 5 geht es um die Schnittstellen von Gehirn und Maschine. Werden wir Erinnerungen auslesen können? Wie werden wir KI in Zukunft sinnvoll und gewinnbringend zum Beispiel in der Medizin einsetzen können? Elon Musk plant gerade, das ultimative Gehirn-Computerchip-Interface zu bauen. Was kann so etwas leisten? Und wird es möglich sein, unser Gedächtnis mit Computerchips zu verbessern, um etwa Höhenangst zu überwinden oder Musik direkt im Kopf zu hören? Oder gar fast übermenschliches Sehvermögen mit Radartechnik zu erlangen?

Im letzten Kapitel werde ich zusammenfassen, welche Anforderungen digitale Medien an unser Gehirn stellen – und wie wir ihnen gerecht werden können. Schließlich müssen uns digitale Medien, das Internet oder insgesamt digital basierte Technologien nicht per se überfordern oder stressen. Im Gegenteil, sie bieten große Chancen – als Wissensspeicher, für den sozialen Austausch, was Fortschritte in Wissenschaft und Forschung angeht. Aber eben nur, wenn wir sie ebenso smart einsetzen, wie die technischen Möglichkeiten voranschreiten.

Und nun – einfach mal das Smartphone weglegen und loslesen!

KAPITEL 1 Überleben im Daten-Dschungel – unser abgelenktes Gehirn

Wir werden nicht mehr auf unser Smartphone verzichten. Dieser faustische Pakt ist bereits besiegelt. Für den Zugang zu einem ganzen Universum aus Information und Kommunikation opfern wir unsere verfluchte Aufmerksamkeit auf seinem gläsernen Altar.

Matthew Panzarino, Chefredakteur von TechCrunch, 2015

Die Allgegenwart des Smartphones

Neueste Zahlen von 2022 besagen, dass jede Sekunde etwa 6000 Tweets abgeschickt, mehr als 40000 Google-Suchanfragen gestellt und mehr als zwei Millionen E-Mails verschickt werden. Wohlgemerkt: pro Sekunde! Wenn Sie dieses Buch lesen, werden es mehr sein – Sie können es selbst auf Internet Live Stats, einer Website des internationalen Real Time Statistics Project überprüfen.

Mehr als vier Milliarden Websites sind online. Wie man sich diese Masse an Daten bildlich vorstellen kann, versuchen Hilbert und Kollegen zu zeigen: Die gesamte Datenmenge des Internets hätte den Umfang von über 300 Exabyte (ein Exabyte entspricht einer Milliarde Gigabyte). Um sie auf CD-ROMs zu speichern, bräuchte man einen Stapel von CDs, der von der Erde über den Mond hinausragt (384400 Kilometer).

Aber nicht nur die Erfindung des Internets mit seinen unendlichen Datenmengen war ein entscheidender Einschnitt für die Welt und das Leben jedes Einzelnen. Seit etwa 15 Jahren wird unser Alltag bis in die Schlafzimmer hinein von Smartphones und Tablets durchdrungen. 76 % der Befragten sind mehr oder weniger immer online und erreichbar (bei Jugendlichen waren es sogar 92 %). Das prominente Schlagwort dafür lautet: Permanently online, permanently connected (POPC). Online zu sein, ist der Normalzustand, offline zu sein eine Notsituation (kein WLAN, Funkloch, Akku leer …).

Diese Innovationen haben nicht nur unsere Kommunikationsformen und den Umgang mit Informationen verändert, sondern wirken sich auch auf unser Denken, unsere Wahrnehmung und sogar auf die Struktur unseres Gehirns aus. Sie verändern die Funktionalität unseres Stirnlappens, der unser Konzentrationsvermögen verwaltet, und sie verändern unsere Psyche.

Der Regensburger Psychiater Volker Busch stellt seinen Klienten am Beginn eines Therapiegespräches oft die Frage, wie sie ihren Alltag erleben. Aus den Antworten der letzten Jahre hat er eine »Hitliste« erstellt, auf den vordersten Plätzen standen stets (und zwar auch schon vor der Pandemie) folgende Begriffe: Stress, Zeitdruck, Hektik, Ablenkung, Überlastung, Multitasking, Reizüberflutung, Erschöpfung und Konzentrationsstörungen. Auch der Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und eine Umfrage der Techniker Krankenkasse (02/2021) bestätigen, dass Stress und Reizüberflutung die Stichwörter unserer Zeit sind (im Unterschied zu Studien, die vor sieben bis zehn Jahren erfolgten).

Weitere Umfragen ergaben, dass Menschen, die häufig, während sie etwa fernsehen, nebenbei im Internet surfen oder soziale Medien verfolgen, größere Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten haben als diejenigen, die nicht der Versuchung erliegen, diese Art der Zwei-Bildschirm-Welten zu betreiben. Auch die Schul- und Studienleistungen von Schülern und Studenten korrelieren negativ mit der Zeit, die diese jungen Menschen im Multitasking-Modus verbringen. Anders ausgedrückt: Je mehr sie versuchen, in zwei Welten gleichzeitig unterwegs zu sein, desto schlechter die Lernergebnisse.

Die Hoffnung der Internetpioniere, dass digitale Welten uns klüger machen, scheint sich nicht zu bewahrheiten. Wenn wir uns schonungslos mit den Konflikten, Widersprüchen und Veränderungen auseinandersetzen würden, die uns und unsere Zeit durch die digitale Mediennutzung prägen, würde man die Chance haben, festzustellen, dass wir in unserem Internetzeitalter vielen Selbsttäuschungen erliegen, die zu Schwierigkeiten beim Lernen, Arbeiten und in der Wahrnehmung der Welt und von uns selbst führen.

Unser digitaler Berufsalltag: 40 Sekunden – das ist die statistische Zeitspanne, die wir am Computer mit einer gerade begonnenen Aufgabe verbringen, bevor wir uns selbst mit etwas anderem am Computer oder in der realen Welt ablenken oder unterbrochen werden, wie Studien zuletzt 2019 wieder gezeigt haben. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ihre E-Mails elfmal pro Stunde kontrollieren – das sind 88 Unterbrechungen an einem achtstündigen Arbeitstag. 70 % aller E-Mails werden dabei innerhalb von sechs Sekunden nach Eintreffen geöffnet – was auch dadurch bedingt ist, dass 84 % aller Angestellten ihr E-Mail-Programm im Hintergrund immer offen haben. Besonders bitter: 25 % aller eintreffenden E-Mails (Spam schon herausgerechnet) hätten uns gar nicht erreichen müssen, da wir unnötigerweise in CC genommen wurden.

Seien wir ehrlich: Unter den vielen E-Mails, die wie Meteoritengeschwader in unsere Mailboxen prasseln, sind doch die wenigsten gefüllt mit Nachrichten von Wert. Eine E-Mail schreiben, twittern, telefonieren, YouTube/TikTok-Videos schauen und nebenbei fernsehen – viele Menschen versuchen häufig, zwischen diesen Tätigkeiten mental zu jonglieren. Dabei gehört es zu den Mythen unserer Zeit, dass Multitasking möglich und dazu auch noch produktiv ist. Unser Gehirn ist gar nicht in der Lage, seine Aufmerksamkeit auf mehrere Dinge gleichzeitig zu richten. Das, was uns als Multitasking erscheint, ist real das schnelle Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Tätigkeiten. Und selbst das können wir nur mehr schlecht als recht. Tatsächlich brauchen wir doppelt so lange und machen fast doppelt so viele Fehler, wenn wir schnell zwischen kognitiv anspruchsvollen Aufgaben wechseln, verglichen mit einer Situation, in der wir die Aufgaben seriell erledigen, also nacheinander.

Immer online – Handynutzung weltweit

Die Fokussierung auf das Smartphone ist nicht nur ein Freizeitspaß, sondern hat auch erhebliche gesellschaftliche Konsequenzen. So hat in den USA ab dem Jahr 2017 die durch Smartphones verursachte Zahl an Verkehrstoten die durch Alkohol bedingten übertroffen, ohne dass die Zahl derer, die durch Alkohol im Straßenverkehr ums Leben kommen, geringer geworden ist. Durchschnittlich 36 Amerikaner kommen jährlich durch Terrorismus ums Leben; dem stehen über 3000 Autofahrer entgegen, die durch ihr Smartphone abgelenkt Tote verursacht haben (das sind im Übrigen mehr, als am 11. September 2001 in New York City von Terroristen getötet wurden). Das bedeutet: Jeden Tag sterben in den USA acht Menschen durch Handy-abgelenkte Autofahrer; in Deutschland sind es mehr als 300 im Jahr. Einer der Gründe besteht darin, dass ein 20-Jähriger, der während der Fahrt sein Handy nutzt, eine Reaktionszeit hat, die länger ist als die eines 75-jährigen Autofahrers, der sich aufs Autofahren konzentriert.

Das Smartphone ist zu unserem ständigen Lebensbegleiter geworden. 75 % aller Menschen in Deutschland entfernen sich innerhalb eines 24-Stunden-Tages nicht weiter als 1,5 Meter von ihrem Smartphone. Um sicherzustellen, dass es auch da ist, berühren sie das Handy 110-mal pro Stunde (in Puerto Rico scheint das Sicherheitsbedürfnis besonders groß zu sein, dort wird das Handy sogar 180-mal pro Stunde angefasst).

Dabei ist den meisten Autofahrern und Autofahrerinnen sehr wohl bewusst, wie gefährlich ihr Tun ist, wie eine Umfrage des Psychologen Gerd Gigerenzer gezeigt hat: Die große Mehrheit der Autofahrer gab an, dass die Handynutzung während der Fahrt eine große Ablenkungswirkung hat. Die Fahrer wissen also um die Gefahr! Doch es fehlt ihnen schlicht und ergreifend an Selbstbeherrschung.

Daraus kann man eigentlich nur eines schließen: Unsere Handys sind eine smarte Technologie, aber es braucht kluge Menschen, die sie vernünftig nutzen. Davon scheinen wir allerdings noch weit entfernt zu sein. Jia Tolentino, eine US-amerikanische Autorin und Journalistin, schreibt in ihrem Buch Trick Mirror (2019) selbstkritisch: »Ich trage das Handy mit mir herum, als wäre es eine Sauerstoffflasche. Ich starre es an, während ich Frühstück mache und den Müll runterbringe, und ruiniere dabei, was ich am meisten an der Arbeit zu Hause schätze – die Selbstständigkeit und den relativen Frieden.«

Aber sind unsere Smartphones wirklich schuldig im Sinne der Anklage? Korrelationen und Kausalitäten liegen eben nicht nur im Alphabet nahe beieinander, aus dem einen kann man schnell, aber eben manchmal auch fälschlicherweise das andere folgern. Und was beim Autofahren tatsächlich eine klare Sache ist – die Handynutzung ist für einen selbst und für andere lebensgefährlich –, ist bei anderer Gelegenheit schon eine schwierigere Frage: Fragmentiert die Handynutzung unseren Alltag wirklich so stark, dass unser Konzentrationsvermögen und unsere Leistungsfähigkeit beim Arbeiten leiden?

2020 veröffentlichte Studienergebnisse legen nahe, wie bedenklich es für die Organisation unseres Lebens und Arbeitens ist, dass durch die intensive Nutzung digitaler Medien unsere Arbeitsspeicherkapazität reduziert wird. Der bloße Anblick eines Smartphones auf dem Tisch (selbst wenn es ausgeschaltet ist) führt so zu einer verminderten Leistung bei kognitiven Aufgaben – wohl deshalb, weil Stirnlappen-Speicherressourcen damit beschäftigt sind, das Telefon zu ignorieren. Der Stirnlappen ist der vorderste Teil der Großhirnrinde. Er beinhaltet u. a. einen wichtigen Teil unseres Arbeitsgedächtnisses, der auch für unser Konzentrationsvermögen zuständig ist und damit der wichtigste Zwischenspeicher ist, bevor etwas im Langzeitgedächtnis landet oder aussortiert wird.

Abb. 1: Lokalisation des Arbeitsgedächtnisses im Stirnlappen sowie des sprachlichen und visuellen Zwischenspeichers im Scheitel- und Schläfenlappen

Je häufiger Menschen ihre Smartphones in einem Multitasking-Modus verwenden, also schnell zwischen verschiedenen geistigen Aktivitäten wechseln, desto leichter reagieren sie auf Ablenkung und schneiden in Prüfungen, bei denen man schnell seine Aufmerksamkeit von einer Aufgabe auf die andere richten muss, tatsächlich schlechter ab als Benutzerinnen und Benutzer, die nur selten auf ihren Smartphones mehrere Dinge gleichzeitig tun.

Ein anderer Aspekt, der in Studien zutage trat, ist, dass Inhalte beim Lesen auf Bildschirmen schlechter verstanden werden. Anders gesagt: Das Lesen komplexer Texte in einem gedruckten Buch führt zu einer besseren Erinnerung an die Geschichte, an Details und Fakten als das Lesen des gleichen Textes auf dem Bildschirm. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Wörter auf einem LED-Bildschirm und in einem gedruckten Buch dieselben sind.

Der Grund könnte meiner Ansicht nach darin bestehen, dass Assoziationen von Fakten mit räumlichen und anderen sensorischen Hinweisen zusammenhängen: Die Position auf einer Seite in einem Buch hilft assoziativ beim Erinnern, genau wie der Umstand, dass jedes Buch anders riecht, anders in der Hand liegt etc. Auch die Sprachwissenschaftlerin Naomi Baron argumentiert, dass der digitale Kontext des Lesens zu einer oberflächlicheren Textanalyse führt. Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass die meisten Benutzer digitaler Medien nur einen schnellen Blick auf ein Textelement werfen, daneben zwischen Buchseiten und weiteren digitalen Endgeräten switchen oder schnell zwischen verschiedenen Tabs in Webbrowsern hin und her wechseln – vermeintliches Multitasking, tatsächlich aber ein Vorgehen, das die Aufmerksamkeitsspanne verringert. Gleichzeitig haben die Diagnosen von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) in den letzten 15 Jahren stark zugenommen. Ob hier nur eine Korrelation besteht oder dies darauf hindeutet, dass Multitasking mit digitalen Medien zu einer höheren Inzidenz von ADHS beiträgt oder diese sogar verursacht, lässt sich noch nicht abschließend beantworten. Außerdem scheinen Zusammenhänge zu bestehen zwischen der Intensität der digitalen Mediennutzung und psychischen Problemen von Schlafstörungen bis zu Angstzuständen und Depressionen.

All diese Beispiele zeigen, wie digitale Mediennutzung sich negativ auf unser Gehirn auswirken kann. Aber es gibt auch digitalen Medieneinsatz, der positive Effekte zeitigt, etwa bei Trainingsprogrammen für ältere Menschen oder wenn es um das Stärken analytischer Fähigkeiten geht. Studien belegen also keinen eindeutig positiven oder negativen Effekt digitaler Medien auf unser Gehirn. Dass es dennoch eine gewisse Diskrepanz bei den Ergebnissen gibt, könnte mit der Tatsache zusammenhängen, dass die Art und Weise, der Umfang und das Alter, in dem wir digitale Medien nutzen, entscheidend dafür sind, ob sie ein Gehirntraining darstellen oder zu einer ineffizienten und wenig differenzierten Form des Denkens und Handelns beitragen.

Auch werde ich hier die Frage behandeln, wann es zu einer kognitiven Überladung kommt und welche Folgen das hat, und wann ein durch digitale Nutzung entscheidungsgenerierter neuronaler Muskelkater in unserem Gehirn auftritt. Wofür wir Smartphones oder andere digitale Medien verwenden und wie oft die wichtigen Parameter analysiert werden müssen, wird in Diskussionen über die Folgen der Nutzung digitaler Medien häufig ignoriert.

Um mehr über die Art und Dauer unserer Mediennutzung herauszufinden, haben der Psychologe Christian Montag und der Informatiker Alexander Markowetz 2012 das Menthal-Projekt gestartet, mit inzwischen 700000 Probanden und Probandinnen weltweit. Die Zahlen, die sie ermittelt haben, sind erstaunlich. Etwa 88-mal am Tag schauen 14- bis 80-Jährige auf ihr Handy, davon 35-mal nur auf die Uhr oder nach einer Nachricht, unterbrechen ihre eigentliche Tätigkeit also nur kurz. 53-mal wird das Smartphone entsperrt, um mit jemandem zu interagieren, zum Beispiel, um eine E-Mail oder eine WhatsApp-Nachricht zu schreiben, Nachrichten und Bilder auf Twitter oder Instagram zu sichten und Kurzvideos auf TikTok zu schauen. Wenn man von einer achtstündigen Schlafenszeit ausgeht, bedeutet das, dass wir alle 18 Minuten das, womit wir gerade beschäftigt sind, unterbrechen, um uns mit unserem Smartphone zu befassen. Ein Viertel der Nutzer sieht sogar alle 14 Minuten auf das Display. Die 17- bis 25-jährigen Teilnehmer der Menthal-Studie schalten ihr Handy täglich etwa 100-mal an und nutzen es davon 60-mal intensiv für insgesamt drei Stunden am Tag. Alle anderen Nutzerinnen und Nutzer verbringen im Schnitt »nur« 2,5 Stunden am Tag am Handy, davon übrigens nur sieben Minuten mit Telefonaten.

Auf der positiven Seite der Smartphone-Nutzung steht für viele Menschen ihr enormer Nutzen: Smartphones erlauben es uns, schnell Informationen zu bekommen und weiterzuleiten; wir finden Wegstrecken unterwegs schnell und unkompliziert, und wir können mit anderen Menschen unmittelbar kommunizieren. Das sind mögliche Gewinne in einer Informationsgesellschaft. Aber wie bei Medikamenten in der Medizin ist es eine Frage der Dosis und eine Abwägung der Nebenwirkungen, zu denen gehört, dass Informationen oft zu schnell und unreflektiert ausgetauscht werden, um sie überprüfen zu können; wir laufen Gefahr, uns nicht mehr selbst orientieren zu können, und wir stehen ständig unter Druck, kommunizieren zu müssen. In anderen Worten: Ab einer bestimmten Nutzungsintensität schlagen die Vorteile in Nachteile um. Man könnte die Vor- und Nachteile der Smartphone-Nutzung auch als umgekehrte U-Kurve beschreiben, mit der Nutzungsdauer auf der x-Achse und dem Gewinn, den Nachteilen und dem Gefahrenpotenzial auf der y-Achse.

Eines der Probleme, die unser Gehirn mit einer zu intensiven Smartphone-Nutzung hat, hängt damit zusammen, dass wir 12–15 Minuten brauchen, um uns in eine komplexe Aufgabe einzudenken. Handys können deshalb unmittelbare »Flow-Killer« sein: Sie verhindern unter Umständen, dass wir diesen hochproduktiven Zustand überhaupt erreichen. Um konzentriert arbeiten zu können, sollten wir uns bewusst auf etwas fokussieren und – so die Theorie einer gelungenen Kommunikationskultur – dabei störende Reize ausblenden. Genau das tun wir aber durch das ständigen Daddeln, Surfen, Chatten oder Twittern nicht. Leicht ablenkbar sind wir vor allem dann, wenn wir unter Stress stehen, wenn wir uns einsam fühlen oder schlicht Langeweile haben. Dann sucht das Gehirn nach Auswegen. Man nutzt also Langeweile nicht zur zum Daddeln, sondern Langeweile entsteht auch schneller, als eine Art selbsterfüllende und konditionierte Gefühlsregung, wenn nicht neue Nachrichten auf uns einprasseln und unser Gehirn sich nicht durch die Erwartung einer Unterbrechung in einem ständigen Alarmmodus befindet. Wir achten dann unbewusst verstärkt auf ablenkende Signale, wie Vibrationstöne vom Handy oder aufleuchtende Nachrichten auf dem Computerbildschirm. Das verstärkt die Ablenkbarkeit und erhöht den Stresslevel, da wir unterschwellig in ständiger Sorge sind, eine wichtige eingehende Nachricht zu verpassen, und gleichzeitig unsere Energie aufwenden müssen, um bei der eigentlichen Sache zu bleiben.

Die Nutzung eines Second Screen (z. B. den eines Handys neben einer anderen Tätigkeit, häufig ebenfalls am Bildschirm) und versuchtes Multitasking führen dazu, dass wir 50 % mehr Zeit benötigen, um anspruchsvolle Aufgaben zu erledigen. Wir machen 40 % mehr Fehler, wenn wir verschiedene Dinge gleichzeitig bewältigen wollen, als wenn wir die Aufgaben nacheinander erledigen.

Und genau dieser Modus des versuchten Multitaskings macht uns zu schlechteren Task-Switchern (Aufgaben-Wechslern) und verringert unsere Arbeitsproduktivität. Wir können nur dann einigermaßen schnell und flüssig zwischen Aufgaben wechseln, wenn jeder einzelnen von ihnen die volle und gut trainierte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses im frontalen Pol des Stirnlappens zur Verfügung steht.

Abb. 2: Repräsentative Jugend-Digitalstudie der Postbank zur Internetnutzung durch Jugendliche in Deutschland, 2022

Mit durchschnittlich 67,8 Stunden pro Woche lag die Online-Zeit der 16- bis 18-Jährigen im Jahr 2022 leicht unter dem Wert des vergangenen Jahres (2021: 70,4 Stunden pro Woche). Das geht aus der aktuellen Jugend-Digitalstudie der Postbank hervor. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 verbrachten die Jugendlichen allerdings auch in diesem Jahr wieder über zehn Stunden mehr im Netz (Quelle: Jugend-Digitalstudie der Postbank, 2022).

Abb. 3 und 4: Repräsentative Befragung von Jugendlichen zur Nutzung sozialer Medien (Quelle: Jugend-Digitalstudie der Postbank, 2022)

Schnelles Switchen, langsames Switchen

Beim Wechseln zwischen verschiedenen Aufgaben sind wir immer wieder für kurze Augenblicke unaufmerksam. In diesen Umschaltmomenten geht uns unweigerlich Information verloren (vor allem das »Interimsende« der unterbrochenen Aufgabe), wir verpassen einen Teil dessen, was gesagt oder gezeigt wurde oder was wir zwischengespeichert hatten an Gedanken – etwa so, wie man früher beim Wechsel der Radiosender immer einen Moment nur Rauschen hörte. Nur dass unser Gehirn diese Aufmerksamkeitslücken vor uns verborgen hält, denn die Zeitlöcher werden gefüllt! Dabei gilt eines der Grundgesetze des Lernens auch im Zusammenhang mit der Ablenkung durch digitale Medien: Was nicht aufmerksam gespeichert wird, kann auch nicht abgerufen werden, und jede Unterbrechung stört den Gedankenfluss des Lernens oder Arbeitens. Deswegen haben es Menschen mit einem angeborenen kurzen Konzentrationsvermögen, das man als AD(H)S bezeichnet, in der Schule und später im Berufsleben schwerer.

Abb. 5: Nutzung sozialer Medien in Deutschland: Jungen und Mädchen im Vergleich (Quelle: Jugend-Digitalstudie der Postbank, 2022)

AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, wobei das H für die oft damit einhergehende Hyperaktivität steht) ist eine Aufmerksamkeitsstörung, mit der einige Menschen geboren werden und die mittlerweile gut untersucht ist. Sie entsteht, weil ein Botenstoff, das Dopamin, im Stirnlappen nicht effektiv genug wirkt. Das Dopamin stärkt normalerweise die neuronale Verarbeitung im Stirnlappen, vor allem in Bereichen, die zum Arbeitsgedächtnis gehören. Wird Dopamin vermindert ausgeschüttet, leidet die Konzentrationsfähigkeit – oder anders ausgedrückt: Die Rechenkapazität des Arbeitsgedächtnisses nimmt ab. Das hat zur Folge, dass Menschen mit AD(H)S nur kurze Konzentrationsspannen haben und sehr leicht ablenkbar sind. Beides zusammen – fehlende Rechenkapazität und mangelnde Dopaminfreisetzung im Stirnlappen – führt zu AD(H)S.

Wie oben bereits erwähnt, kann auf der kognitiven Ebene ein vergleichbares Syndrom nicht nur genetisch, sondern auch infolge des Lebensstils entstehen. Als ein Auslöser dafür kommt der Versuch des ständigen Multitaskings durch die Nutzung mehrerer digitaler Endgeräte oder mehrerer Apps/Programme auf Smartphone, Tablets etc. infrage. Vor allem Smartphones stehen im Verdacht, eine Art AD(H)S-ähnliches Syndrom zu induzieren. Die Ursache ist hier nicht fehlendes Dopamin. Vielmehr wird das für lohnend erscheinende Ziele zuständige Dopamin nicht ausgeschüttet, um einer einzigen Tätigkeit fokussiert nachzugehen, sondern es werden Unmengen kleiner Dopaminmoleküle ausgeschüttet – in der Erwartung, dass uns alles Ablenkende, wie eingehende Nachrichten auf dem Smartphone oder Computer, belohnen wird. Das Dopamin wird also nun wirksam, um eine Erwartungshaltung zu kodieren, die eine positive Wirkung auf uns durch Ablenkung hat, und wird so nur noch kurze, fragmentierte Konzentrationsspannen zulassen. Vor allem verstärken die Dopamin ausschüttenden Neurone die Erwartungshaltung, dass in jeder Situation, in der wir auf den Multitasking-Modus umschalten, etwas Positives passiert.

Nur führt dies nicht dazu, dass wir besser darin sind, schnell zwischen Tätigkeiten hin und her zu wechseln. Tatsächlich deuten aktuelle Untersuchungen sogar darauf hin, dass »code switching«, also der schnelle Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeiten, bei »Multitaskern« (Menschen, für die der Versuch des Multitaskings Alltag ist) sogar schlechter klappt. In Zahlen ausgedrückt zeigt sich, dass Multitasker beim Wechsel zwischen Aufgaben 170 Millisekunden länger brauchen als Nicht-Multitasker. Das betrifft auch Digital Natives und hängt damit zusammen, dass gerade sie die Rechenkapazität ihres Stirnlappens im Bereich des Arbeitsgedächtnisses nachhaltig reduziert haben.

Als Digital Natives werden Menschen bezeichnet, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind und digitale Medien deshalb ganz selbstverständlich bedienen. Wir werden ihnen im Verlauf dieses Buches noch ein paarmal begegnen.

Noch deutlicher wird der Unterschied, wenn man Smartphone-Multitasker mit Menschen vergleicht, die zweisprachig aufgewachsen sind, also gelernt haben, zwischen verschiedenen Sprachen zu switchen. Diese schnitten 230 Millisekunden besser ab als die Multitasker und damit sogar 60 Millisekunden besser als die einsprachigen Nicht-Multitasker. Dieses Beispiel zeigt, dass Abweichungen vom »normalen« Verlauf der Gehirnbildung und des Gehirnabbaus in beide Richtungen möglich sind.

Dark Patterns und Willenskraft

Konzentration und Achtsamkeit sind entscheidende Elemente des effektiven Arbeitens und Lernens. Im Idealfall lenkt unser Wille unsere Aufmerksamkeit auf einen eng begrenzten Ausschnitt der Umwelt und schaltet dabei äußere und innere Störfaktoren weitgehend aus, so wie ein Theaterscheinwerfer nur einen kleinen, aber wichtigen Teil der Bühne ausleuchtet. Das ist vor allem eine Leistung des Arbeitsgedächtnisses, das im Stirnlappen unseres Gehirns lokalisiert ist. Wenn man das Gefühl hat, sich nicht konzentrieren zu können, sollte man sich zunächst einen Moment Zeit für einige Fragen nehmen: Liegt es an der Tageszeit? Beginne ich mit dem Arbeiten oder Lernen immer nur dann, wenn gerade nichts anderes Wichtiges passiert? Was ist vor dem Lernen an diesem Tag schon alles passiert? Diese Fragen sind deshalb wichtig, weil Konzentration in unserem Gehirn von den gleichen Gehirnarealen vermittelt wird, die unsere Willenskraft ausmachen. Letztere kann wie ein Muskel ermüden und im Laufe eines Tages »aufgebraucht werden« – und dann klappt nichts mehr. Oder haben wir den Kopf, den Tisch vor uns und unsere technischen Geräte voll mit Zerstreuungspotenzial? Dann heißt es erst einmal aufräumen, Abstand gewinnen und abstellen, was man nicht braucht.

Willenskraft verstehen wir hier als die Fähigkeit, eine Handlung zu unterdrücken, wenn ihre Konsequenzen unseren langfristigen Interessen widersprechen. Sind wir im Kopf parallel zu einer aktuellen Tätigkeit immer auch mit anderen Gedanken oder einem zweiten Bildschirm beschäftigt, sinkt die Willenskraft – unsere selbstdefinierten langfristigen Ziele werden nicht mehr verteidigt gegen kurzfristige Belohnungen und Ablenkungen. Das bedeutet auf der neuronalen Ebene, dass der Stirnlappen, der die Handlungen auf langfristige Ziele hinlenken kann, in einem innergehirnlichen Wettstreit verliert gegen Gehirnareale, die eher kurzfristige Ziele und Belohnungen ansteuern.

Viele Apps sind so programmiert, dass sie uns dazu verführen, mehr Zeit als gewollt zu »verdaddeln«, und uns so zu übermäßigem Konsum verleiten. Sie haben Muster eingepflegt, die genau das bewirken sollen. In der Programmierlogik werden solche Designs als Dark Patterns (Dunkle Muster) bezeichnet. Sie bewirken unter anderem, dass unsere Aufmerksamkeit regelrecht an unseren Smartphone-/Tablet-Apps klebt.

Dark Patterns werden programmiert, damit das Bezahlmodell von Apps funktioniert. Deren Werbeeinnahmen generieren sich aus Benutzerzahl und Nutzungsdauer. Die Programmierer und Programmiererinnen müssen also versuchen, uns dazu zu verleiten, die Apps immer wieder einzuschalten und nach Möglichkeit sogar Geld bei In-App-Käufen auszugeben.

Die psychologischen Mechanismen hinter den Dark Patterns werden vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) analysiert. Das TAB begann vor einigen Jahren, vor dem Design dieser Apps zu warnen. Denn sie machen im schlimmsten Fall abhängig.

Zur Veranschaulichung hier ein paar Beispiele dafür, was mit Dark Patterns bezweckt wird:

Uns mehr Informationen entlocken, als wir preisgeben wollen, indem wir auf verwirrende Art und Weise Kreuzchen in Kästchen setzen oder aktiv entfernen müssen.Unsere Aufmerksamkeit aufbrauchen, bevor erst mit dem sechsten oder gar siebten Klick eine entscheidende Information kommt, der Ausweis der Liefergebühren zum Beispiel. Unser Gehirn hat so die eigentümliche Tendenz, ob der Zeit, die wir schon investiert haben, unnötige und unliebsame Gebühren zu akzeptieren. Dies wird auch als Bindungseskalation bezeichnet: Je mehr Zeit wir bereits »investiert« haben, umso mehr haben wir eine Abneigung dagegen, die App zu wechseln. Dahinter steckt die neuronal kodierte Tendenz, die aktuelle »Investition« höher zu bewerten als einen möglichen Gewinn durch einen Wechsel. Wer z. B. schon seinen Lebenslauf, Bilder und Interessen bei LinkedIn eingegeben hat, bindet sich kognitiv an diese Anwendung und wechselt nicht gleich wieder zu Xing.Unsere Veranlagung zu reziprokem Altruismus ausnutzen. Eine psychologische Verankerung unseres Gehirns nutzen Apps aus, wenn sie uns zum Beispiel kostenlose Testversionen oder Testabos anbieten, die danach automatisch in eine Bezahlvariante überführt werden. Denn wenn uns etwas Gutes widerfahren ist, neigen wir dazu, uns revanchieren zu wollen.

All das rechtfertigt Bedenken – und die Dark Patterns nehmen zu. Allerdings muss man sich auf der anderen Seite in Erinnerung rufen, dass unser Gehirn, insbesondere das von jungen Menschen, auch schon ablenkbar war, bevor digitale Medien und digitale Endgeräte erfunden wurden. Manches, was hier als negativer Effekt aufgezeigt wird, ist nicht neu, und vor allem sollten wir versuchen, mehr über die Art und Dauer unserer Mediennutzung herauszufinden.

Warum aber ist unser Gehirn überhaupt so anfällig für Ablenkungen? Zum einen macht uns das als Menschen aus; es hat etwas mit Neugierde zu tun und damit, offen zu sein für Neues. Das gilt eben auch für Wahrnehmungen, die nicht zur aktuellen Aufgabe gehören. Evolutiv ist das leicht zu erklären: Wir mussten uns einst fortwährend vor Fressfeinden schützen oder im rechten Augenblick eine mögliche Beute erblicken und erlegen. Das Umherschweifen unserer Aufmerksamkeit hatte also durchaus Sinn.

Auf der anderen Seite bedeutet Ablenkung immer eine Abweichung von der Aufgabe, auf die sich unsere Aufmerksamkeit eigentlich gerade richtet. Über diese Abweichung kann auch etwas Gutes entstehen: ein neuer Gedanke, eine Assoziation, etwas Unerwartetes. Wir haben sogar ein eigenes Belohnungssystem im Gehirn dafür, wenn wir etwas Überraschendes entdecken. Übertragen auf die Metapher eines Streckennetzwerkes eines Zuges, entsteht so eine Balance zwischen dem Fahren auf einem Bewusstseinsgleis und dem Wechsel auf ein neues Gleis der Aufmerksamkeit.

Zwischen Fokus und Verführung – was im Gehirn geschieht

Im Gehirn wird die Entscheidung, bei einer Tätigkeit zu bleiben oder die Aufmerksamkeit auf etwas Neues zu richten, im vorderen Teil des Stirnlappens gefällt.

Echte Chefsachen befinden sich direkt hinter unserer Denkerstirn! Der frontale Pol des Stirnlappens oder »frontopolare präfrontale Kortex«, der den vordersten Teil unseres Gehirns, direkt hinter dem Stirnlappen, ausmacht, ist ein Bestandteil im Räderwerk des Arbeitsgedächtnisses und versucht über aktuelle Rechen- und Verarbeitungsprozesse im Gehirn den Überblick zu behalten. Dieses Gehirnareal speichert, was wir uns zu tun vornehmen, ist also für unser prospektives Gedächtnis (auf zukünftige Handlungen ausgerichtet, kodiert Intentionen) zuständig.

Wir versuchen, uns auf eine Aufgabe zu konzentrieren, und gleichzeitig müssen an dieser vordersten Stelle des Gehirns alle anderen Aufgaben (aktuelle wie geplante) als eine Reihe von Absichten im Gedächtnis behalten werden – so wie beim Artisten im Zirkus, der mehrere Teller auf Stäben dreht. Das gelingt nur, wenn er einen Teller nach dem anderen immer wieder anstößt, um die Umdrehungen bei jedem aufrechtzuerhalten.

Wie ein Tellerjongleur versucht der frontale Pol unseres Stirnlappens nach dem Schreiben einer WhatsApp-Nachricht oder einer E-Mail, sich der nächsten Twitter-Nachricht zuzuwenden – oder eben wieder einem Arbeitsprozess. Der frontopolare Stirnlappen verbindet gewissermaßen die einzelnen Elemente und Aufgaben miteinander. Er erzeugt dabei so etwas wie eine übergeordnete zeitliche Perspektive: Was war, was ist, was soll noch kommen? In diese Perspektive fügen sich die momentanen Aufgaben ein, und der frontale Pol des Stirnlappens sorgt für den schnellen Wechsel zwischen den Tätigkeiten. Genau wie bei einem Tellerjongleur im Zirkus fällt allerdings auch bei uns im Kopf alles zu einem ungeordneten Scherbenhaufen zusammen, wenn wir versuchen, zu viele verschiedene Tätigkeiten, Erinnerungen und Vorhaben zugleich zu verfolgen.

Jede Sekunde strömen 400000 Sinnesreize auf das Gehirn ein. Die bewusste Verarbeitungskapazität eines menschlichen Gehirns beträgt etwa 120 bit/s. Um einer Person beim Sprechen zuzuhören, verbrauchen wir bereits 60 bit/s. Machen wir nur drei Dinge gleichzeitig, sind wir also hoffnungslos überfordert!

Aber nicht nur der Versuch, parallel zu viel in zu kurzer Zeit bearbeiten zu wollen, kann in die Irre führen. Auch wenn Lernstimuli wie Bilder, Texte und Grafiken zu schnell hintereinander auf uns einströmen, kann dies bewirken, dass wir Wichtiges übersehen. Bereits auf der Ebene der Wahrnehmung kann es bei einer Reizüberflutung zu einem Versagen der Informationsverarbeitung kommen. Wir haben Probleme damit, schnell aufeinanderfolgende Stimuli zuverlässig zu erkennen. Das belegt auch das folgende Beispiel: Probanden und Probandinnen erhielten die Aufgabe, grüne Punkte und schwarze Buchstaben zu zählen. Diese erschienen zusammen mit anderen Satzzeichen an zufälliger Position und zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf einem Bildschirm. Wenn die schwarzen Buchstaben (in dem Fall immer ein X) 200 bis 300 Millisekunden nach einem grünen Punkt erschienen, sah der Proband zwar das X, konnte es aber nicht bewusst verarbeiten (und auch nicht zählen). Nur der grüne Punkt fiel auf. Eine Art Aufmerksamkeitsblinzeln löscht quasi einen Teil der Wahrnehmung und ignoriert somit einen Teil der wahrgenommenen Umgebung.

Genau dies geschieht mit unserem Gehirn, wenn wir versuchen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, oder zu viele Reize in zu schneller Abfolge auf uns einwirken. Erledigen wir dagegen die Dinge der Reihe nach und fokussiert, haben wir für die Aufgaben letztlich mehr Zeit. Es ist weniger hektisch, und das Arbeiten und Lernen macht mehr Spaß, da die Stresskomponente aufgrund der zeitlichen Überforderung wegfällt.

Man kann die ganze Sache allerdings auch andersherum betrachten: Der Stirnlappen schützt uns davor, uns voll und ganz in einer Aufgabe zu verlieren. Er hält im Zwischenspeicher vor, was wir in der Zukunft beachten müssen (einen Termin einhalten, den Ofen ausschalten oder eine Aufgabe angehen).

Kann man Multitasking trainieren?

Für eine Studie wurde eine Gruppe von Menschen, die intensives Multitasking versuchte, mit einer Gruppe verglichen, die dies nur in einem geringen Umfang tat. Die Ausgangsfrage war, wer am besten mehrere Dinge nahezu gleichzeitig verrichten bzw. schnell zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her wechseln kann. Das klingt ein bisschen wie die Frage, ob ein trainierter Sportler leistungsfähiger ist als ein untrainierter. Gefragt, wie gut sie glaubten, mit Multitasking-Situationen umgehen zu können, waren die ständigen Multitasker deutlich selbstbewusster und trauten sich dies eher zu als die Teilnehmer, die ihren Alltag anders organisierten. Eine Illusion, wie sich herausstellte, denn das Ergebnis dieser Studie der Stanford University fiel gänzlich anders aus als erwartet: Die multimedialen Multitasker waren den Mehrprozessbetriebs-Verweigerern unterlegen. Vor allem waren diejenigen, die das Multitasking sonst eher mieden, besser darin, unwichtige Informationen von relevanten zu unterscheiden.

Wer also hofft, Multitasking, diesen Mehrprogrammbetrieb des Gehirns, durch Üben zu erlernen, der irrt – und merkt es nicht einmal. Beschäftigt und ausgelastet zu sein, heißt nicht, dass man effizient und produktiv ist. Zusätzlich führt der ständige Wechsel zwischen den Aufgaben dazu, dass im Gehirn die für Gewohnheiten zuständigen Basalganglien stärker aktiviert werden als der für das Langzeitgedächtnis zuständige Hippocampus. Mit der Konsequenz, dass wir uns deutlich weniger erinnern, was wir im Multitasking-Modus erlebt und erarbeitet haben, wie Studien des in Stanford tätigen Neuropsychologen Russell Poldrack gezeigt haben. Produktiv zu sein, bedeutet also nicht, jeden Tag noch voller zu packen mit immer mehr Tätigkeiten, sondern das Richtige im richtigen Moment zu tun, und zwar eins nach dem anderen.

Begrenzte Bandbreite im Netz der Aufmerksamkeit

Warum aber können wir nur so wenige Dinge parallel bearbeiten? Warum ist die Kapazität unseres Arbeitsgedächtnisses nicht größer? Die Antwort ist vergleichsweise simpel: um Energie zu sparen. Aufgaben im Arbeitsspeicher müssen permanent vorrätig gehalten werden; wie im Computer erhöht dies den Energieverbrauch, da im Gehirn für jede Aufgabe, die wir zwischenspeichern, Neurone aktiv bleiben müssen – und zwar die ganze Zeit. Neurone im Stirnlappen ermüden, genau wie ein Muskel im Dauerbetrieb, und genau das soll verhindert werden. Hinzu kommt, dass unser Arbeitsgedächtnis, das im linken und rechten Stirnlappen der Großhirnrinde seinen Sitz hat, protokolliert, welche Tätigkeit wir mit welchen Gehirnressourcen verfolgen, erarbeiten, erdenken.

Eine französische Arbeitsgruppe konnte mit bildgebenden Verfahren zeigen: Wenn wir neben einer Hauptaufgabe eine zweite Aufgabe erledigen müssen, werden diese beiden Aufgaben gleichberechtigt auf die beiden Großhirnhälften verteilt. Leider haben wir nur zwei Gehirnhälften – wenn also eine dritte Aufgabe dazukommt, muss sie sich den Rechenplatz mit einer anderen Aufgabe teilen, wodurch sich die Kapazität halbiert. Die dritte Aufgabe wird also nur noch unter minimalem Einsatz der zur Verfügung stehenden Ressourcen bearbeitet, da der restliche Speicherraum bereits besetzt ist.

Die Konsequenz ist, dass, wenn wir zwei oder mehr Aufgaben nebeneinander erledigen möchten, unsere Leistungsfähigkeit bei der ersten Aufgabe parallel zur zusätzlichen Denklast durch die zweite oder dritte Aufgabe abnimmt – unausweichlich. Die größte unnötige Bremskraft entfalten hier Gedanken an andere – vor allem digital inszenierte – Tätigkeiten, die wir verdrängen müssen.

Niemand kann an alles denken

Wer also ständig versucht, Multitasking zu betreiben, riskiert eine chronische mentale Überlastung – vergleichbar mit einer chronischen Entzündung, nur dass in dem Fall nicht das Immunsystem, sondern das Gehirn mit seinem Einfluss auf die Stressachsen völlig überfordert ist. Versuchen wir ständig, an viele Kleinigkeiten zu denken, nimmt die Willenskraft ab wie ein überlasteter Muskel, da wir ständig Entscheidungen treffen müssen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Und wenn wir als Dauerzustand zu viele gleichzeitige und zukünftige (prospektive) Dinge im Kopf jonglieren müssen, überkommt uns das bedrückende Gefühl, ständig an alles denken zu müssen – und das sogar in Situationen, in denen eine einzige Sache unsere ganze Aufmerksamkeit verlangt.

Nicht zuletzt frisst die Angst, etwas zu vergessen, ebenfalls Speicherkapazität. Schon allein, wenn wir die mentale To-do-Liste häufig checken, kostet das wertvolle Rechenleistung. Wenn wir dann noch darüber nachdenken, wie wir diese Liste am besten abarbeiten, ist die Gefahr des Burn-outs real – und an Arbeiten oder Lernen erst recht nicht mehr zu denken.

Kurzum, es führt unweigerlich zu einem Konflikt im Denken und Handeln, wenn wir versuchen, dieselben Gehirngebiete gleichzeitig für verschiedene Zwecke zu aktivieren.

Konzentrierter arbeiten und lernen: Sofortmaßnahmen

Was also können wir tun? Als erste Hilfe folgen einige Vorschläge und Anregungen, wie jeder für sich selbst die Kontrolle über sein Konzentrationsvermögen schon ein Stück weit zurückgewinnen kann:

Schalten Sie Ihr Handy aus und legen Sie es weg, da Ihre Konzentration durch Vibrationsgeräusche oder allein schon durch den Anblick des Smartphones gestört wird.Das Gleiche gilt für Ihr E-Mail-Programm: ausschalten, nur dreimal am Tag öffnen, dann bewusst und konzentriert bearbeiten, Nachrichten mit wenigen Sätzen schreiben, sonst zum Telefon greifen. Lesen Sie E-Mails nur, wenn Sie die Zeit haben, die eingehenden Nachrichten sofort zu bearbeiten. Sonst belasten weitere Aufgaben das Arbeitsgedächtnis. Kurz mal nachsehen, ohne reagieren zu können, ist Zeit- und Konzentrationsverschwendung.Optimieren Sie Ihre Lern- oder Arbeitsumgebung: Was liegt alles auf dem Tisch? Lernumgebungen können ruhig wechseln, aber es hilft, wenn wir nicht ständig durch ungeordnete und ablenkende Strukturen den Fokus unserer Aufmerksamkeit verlieren.Wenn Sie an einer Aufgabe arbeiten, die konzentrationszehrend ist, »bearbeiten« Sie diese auch wirklich: Markieren Sie Wichtiges und machen Sie sich Notizen in Form von Grafiken, Mindmaps oder Stichworten. Das schafft Struktur und erleichtert die Erinnerung; zudem ist es förderlich für die Konzentration, da diese länger erhalten bleibt, wenn Lernen mit einer Tätigkeit verbunden ist.Schaffen Sie Freiräume für (zeitlich begrenzte) Tätigkeiten, in denen Sie nicht an zukünftige Aufgaben denken müssen. Schreiben Sie eine To-do-Liste, die Sie erst dann weiter abarbeiten, wenn eine Aufgabe erledigt ist – so halten sie den Kopf frei für das, was Sie gerade bearbeiten.Es klingt ungewöhnlich, aber langfristig trainiert Sport ihre Konzentrationsfähigkeit (dazu später noch mehr). Entsprechend hilfreich sind bewegte Pausen oder Lerneinheiten mit Bewegung. Sie sind nicht nur gesund für Rücken und Herz, sondern erhöhen auch die Lern- und Konzentrationsfähigkeit des Gehirns. Ganz normal ist übrigens, dass die Konzentrationsfähigkeit nach einer Weile abnimmt. Dann ist es an der Zeit für eine Pause oder vielleicht sogar für das Ende der Arbeitszeit.Es gilt aber auch: Fokussierung und Konzentration sind wichtig, wenn wir etwas bearbeiten, bei dem der Rahmen vorgegeben ist. Wenn wir jedoch neue Ideen brauchen, sind ein Spaziergang, eine Dusche und der Blick, der unfokussiert umherschweift, hilfreicher. Kreativität steigt, wenn wir Neues miteinander verbinden, und das geht am besten im Wechsel des Scharfstellens der Gedanken (Fokussierung) und der unscharfen, weiträumigen, eben unfokussierten Betrachtung. Daddeln am Handy ist hier der Kreativität nicht förderlich, Langeweile am Bahnsteig kann schon eher helfen.

Am besten (und produktivsten) arbeiten wir also, wenn im direkten Fokus und mit voller Aufmerksamkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt nur zwei Dinge in unserem Kopf sind: Was wir mit einer Aufgabe beabsichtigen und die Aufgabe selbst. Natürlich wollen alle ablenkenden Gedanken in unserem Kopf ernst genommen werden, aber während wir zielgerichtet eine Aufgabe erledigen, sind nur die wenigsten davon gerechtfertigt – und wenn doch, machen Sie sich eine Notiz für später.

Task switching und Selbstkontrolle

Ein untrainiertes Gehirn ist für die Gesundheit schädlicher als ein untrainierter Körper.

George Bernard Shaw (1856–1950), irischer Dramatiker und Politiker