Lore-Roman 134 - Ina Ritter - E-Book

Lore-Roman 134 E-Book

Ina Ritter

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Beschreibung

Komtess Katja und der Förstersohn Norbert Benkenstein kennen sich seit Kindertagen. So manches Mal haben sie Braut und Bräutigam gespielt und sich das Versprechen gegeben, später einmal wirklich zu heiraten. Doch dann kam Katja in ein Internat, und die Jugendgespielen sahen sich viele Jahre nicht mehr. Nun aber ist Katja heimgekehrt, eine schöne, stolze junge Dame, deren Anblick Norberts Herz mit leidenschaftlicher Sehnsucht erfüllt. Die Komtess aber blickt über ihn hinweg, als hätten sie sich nie gekannt. Hat sie denn ganz vergessen, was sie sich einst versprachen?


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Seitenzahl: 160

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Zwei Herzen und ein Grafenschloss

Vorschau

Impressum

Zwei Herzen und ein Grafenschloss

Schicksalsroman um ein vergangenes Versprechen

Von Ina Ritter

Komtess Katja und der Förstersohn Norbert Benkenstein kennen sich seit Kindertagen. So manches Mal haben sie Braut und Bräutigam gespielt und sich das Versprechen gegeben, später einmal wirklich zu heiraten. Doch dann kam Katja in ein Internat, und die Jugendgespielen sahen sich viele Jahre nicht mehr. Nun aber ist Katja heimgekehrt, eine schöne, stolze junge Dame, deren Anblick Norberts Herz mit leidenschaftlicher Sehnsucht erfüllt. Die Komtess aber blickt über ihn hinweg, als hätten sie sich nie gekannt. Hat sie denn ganz vergessen, was sie sich einst versprachen?

Mein geliebter Norbert!

Ich bin furchtbar traurig und habe viel geweint. Warum nur hat mir Papa verboten, Dich wiederzusehen? Mit den anderen mag ich nicht spielen. Meine Rechenaufgaben sind fast immer falsch, seitdem Du mir nicht mehr dabei hilfst. Denkst Du auch so viel an mich? Du musst bestimmt auf mich warten, hörst Du? Ich werde Dich später heiraten. Ich verspreche es Dir.

In unwandelbarer Liebe

Deine Katja.

Die kleine Komtess war mit ihrem Werk zufrieden. Norbert würde sie bestimmt verstehen. Wie viel Mühe doch solch ein Liebesbrief kostete! Erst beim achten Versuch war er ihr gelungen.

Noch einmal glitten ihre schlanken Finger zärtlich über das weiße Büttenpapier, dann verschloss sie ihr folgenschweres Bekenntnis schnell in einem wappengeschmückten Kuvert.

»So spät noch bei Schularbeiten?«

Katja hatte ihren Vater nicht kommen hören. Wie eine ertappte Sünderin stand sie nun mit gesenktem Kopf vor ihm.

»Für wen ist der Brief bestimmt?«, fragte Graf Tessnow eisig.

»Der Brief?«, wiederholte Katja hilflos. Eine verräterische Röte schoss ihr ins Gesicht.

»Mach kein Theater! Gib her!«

Im nächsten Augenblick hatte er das Kuvert bereits ergriffen und aufgerissen. »Mein geliebter Norbert«, las er halblaut vor.

»Nein!«, schrie Katja verzweifelt. »Das darfst du nicht tun!« Vergeblich versuchte sie, ihm den Brief zu entwinden.

»Ach, so ist das«, murmelte der Graf. Er zerriss den Bogen und warf die Fetzen in den Papierkorb. Dann wandte er sich gelassen an seine Tochter.

Katja war auf einen Stuhl gesunken. Sie schluchzte.

»Ich will dir einmal etwas sagen, mein Kind.«

Seine Stimme klang kühl und keineswegs väterlich.

»Diese dumme Geschichte mit dem Benkenstein schlag dir ein für alle Mal aus dem Kopf. Ein Försterbub ist kein Umgang für die Komtess Tessnow. Du bist meine einzige Tochter und Erbin. Für dich kommt später nur einmal eine standesgemäße Partie infrage. Hast du mich verstanden? Hier verwilderst du noch völlig. Ich werde dich in ein Schweizer Internat schicken.«

Katja glaubte zu träumen. Das konnte nicht wahr sein! »In ein Internat?«, wiederholte sie unter Tränen. »Papa, bitte, lass mich hierbleiben! Das kann doch nicht dein Ernst sein. Ich will nicht fort.«

»Komm jetzt zum Essen!«, entgegnete er ungerührt. »Vergiss nicht, dir vorher die Hände zu waschen! Wir können später noch über diese Angelegenheit sprechen.«

Er wandte sich abrupt ab und verließ den Raum.

***

Bereits wenige Tage später waren Katjas Koffer gepackt. Vergeblich hatte sie versucht, sich gegen den Willen ihres Vaters aufzulehnen. Auch alles Bitten von Frau Henriette, die sich nicht so lange von ihrer Tochter trennen wollte, hatte nichts genutzt.

»Vergiss nicht, Liesel jeden Morgen Zucker zu geben, Mama«, stammelte Katja mühsam beherrscht. »Und ... und sag ihr, in den Ferien würde ich sie wieder reiten. Und wenn Anka Junge bekommt, dann ... dann bin ich gar nicht hier. Und mein Hansi, was wird aus dem?«

»Ich werde schon auf alle aufpassen«, tröstete die Gräfin und streichelte liebevoll über Katjas Blondschopf. »Schau, mein Kleines, die Zeit geht schnell vorbei. Bald wirst du wieder bei uns sein. Und – und im Internat sind auch viele Mädchen in deinem Alter. Du wirst bestimmt viel Spaß haben.«

Henriette von Tessnow nahm die erste »Liebe« ihrer kleinen Tochter nicht so schwer. Es war eben eine Kinderschwärmerei. So etwas ging vorüber wie Keuchhusten oder Masern ...

In der Nacht vor der Abfahrt stieg Katja heimlich aus dem Fenster ihres zu ebener Erde gelegenen Schlafzimmers und huschte lautlos davon. Norbert, dachte sie sehnsüchtig. Sie musste noch einmal zu ihm. Wie gespenstisch die Äste im Mondlicht wirkten! Sie schauderte. Der Wald schien von einem geheimnisvollen Leben erfüllt.

Endlich erreichte sie die kleine Lichtung. Gottlob, im Forsthaus war man noch auf! Hexe begann zu kläffen, als sie näherkam. Dann wurde die Tür geöffnet.

»Wer ist da?«, fragte eine dröhnende Bassstimme.

»Ich bin es nur, Katja«, flüsterte das Mädchen. »Ich ... ist Norbert noch ... kann ich ihn sprechen? Ich muss morgen fort. In die Schweiz.«

»Um Gottes willen, Kind«, sagte die Förstersfrau entsetzt, die inzwischen hinzugekommen war. »Du kannst dir ja den Tod holen in diesem dünnen Fähnchen. Komm schnell herein! – Norbert, Besuch für dich!«

Der Junge sprang, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe herunter.

»Du!« Er packte Katja an beiden Schultern und schüttelte sie in unbeholfener, rauer Herzlichkeit.

Aufschluchzend presste die Komtess beide Hände vors Gesicht. Ihrem Gestammel konnte man nur mit Mühe entnehmen, was damit gemeint war.

»Verdammt«, stieß Norbert hervor. »Aber du hast ja Ferien. Dann treffen wir uns jeden Tag. Es wird bestimmt wieder alles gut. Wenn ich erst selbst Förster bin, Katja, dann –«

»Jaja, mein Junge, schon recht«, unterbrach ihn der Vater. »Aber ich glaube, es ist besser, wenn die Komtess jetzt schleunigst ins Schloss zurückgeht. Man könnte sie vermissen. Ich werde Katja nach Hause bringen.«

»Nein, Vater«, kam es bestimmt zurück. »Das besorge ich selbst.«

Und ehe die verdutzten Förstersleute noch etwas erwidern konnten, hatte Norbert mit seiner Jugendgespielin bereits das Haus verlassen.

»Geh ihnen nach«, sagte Frau Käthe besorgt zu ihrem Mann. »Mein Gott, diese Kinder! Wenn die Katja bloß keine Komtess wäre!«

Förster Benkenstein angelte umständlich nach seinem Lodenumhang.

»Ja, du hast recht, Mutter«, seufzte er. »Ist schon ein Kreuz. Aber der Norbert ist goldrichtig. Aus dem wird noch einmal was, glaub mir. Wo sind denn meine Schnürstiefel?«

Norbert hatte fürsorglich den Arm um seine kleine Freundin gelegt. Ihm war höchst seltsam zumute. Am liebsten hätte er geheult. Aber das gehörte sich nicht für einen Mann!

»Wirst du mich auch nicht vergessen?«, fragte Katja und wischte sich energisch über die Augen.

»Nie, das schwöre ich dir.« Norbert hob die Rechte empor. »Ich werde tüchtig lernen, und wenn ich selbst Geld verdiene, dann heiraten wir – ob dein Vater will oder nicht.«

»Ach, wäre es doch schon so weit!«, seufzte die Komtess. »Ich habe solche Angst, dass du mich vielleicht doch vergisst. Die Wally, die ... die guckt dich immer so komisch an. Ich glaube, die will dich auch heiraten.«

»Die kann mir gestohlen bleiben«, kam es im Brustton tiefster Überzeugung zurück. »Du wirst meine Frau und keine andere. Ich werde dich immer beschützen. Du brauchst keine Angst zu haben.«

Nach diesem feierlichen Gelöbnis half der jugendliche Kavalier der Dame seines Herzens hinauf zum Fenstersims. Ein letztes Winken, noch eine Kusshand – dann war die Komtess verschwunden.

Lange starrte Norbert auf ihr Fenster. Ein Würgen saß in seiner Kehle. Warum nur musste Katja plötzlich fort? Er verstand die Welt nicht mehr! Da legte sich beschwichtigend eine Hand auf seine Schulter.

»Lass es jetzt gut sein! Komm nach Hause, mein Junge!«

***

Jahre waren vergangen. Norbert hatte sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Der junge Forsteleve sah blendend aus: hochgewachsen, stattlich, selbstsicher im Auftreten.

»Willkommen daheim«, empfing ihn der Bahnhofsvorsteher an der kleinen Station. »Na, das ist aber eine Freude, Herr Benkenstein! Und wie Sie sich herausgemacht haben! Ich muss schon sagen – da wird wohl manches Mädchenherz höherschlagen!«

Norbert wollte eben eine scherzhafte Antwort geben, da vernahm er plötzlich eine ihm wohlvertraute, liebliche Stimme.

»Würden Sie mir bitte helfen?«

Wie elektrisiert fuhr er herum und sah – Katja. Aus einem Abteil erster Klasse winkte sie dem Bahnbeamten zu. Mein Gott, wie schön sie geworden war! Hingerissen blickte Norbert auf die grazile Gestalt, die jetzt leichtfüßig vom Trittbrett sprang. Ob sie ihn erkannt hatte?

»Die Komtess!« Mit diesem Ausruf eilte der Vorsteher auf Katja von Tessnow zu und nahm beflissen ihr Gepäck in Empfang. Wie im Traum folgte Norbert. Beinahe wäre er über eine elegante Hutschachtel gestolpert, die er dann mechanisch aufhob.

»Katja!« All seine Liebe, sein Hoffen und jahrelanges Sehnen lagen in diesem einen Wort.

»Ich danke Ihnen, meine Herren!«

Die Komtess nickte kaum merklich und eilte dann ihrem Vater entgegen, der eben eingetroffen war. Den ehemaligen Jugendfreund hatte sie nur mit einem flüchtigen Blick bedacht. Wenig später setzte sich der Landauer des Grafen in Bewegung.

»Ein reizender Käfer, nicht wahr?«

Benommen blickte Norbert auf. Er konnte das alles einfach noch nicht fassen. Gewiss, Katja hatte ihm in letzter Zeit nicht mehr geschrieben. Aber solch ein frostiges Wiedersehen hätte er niemals erwartet.

»Nana, was ist denn, junger Jägersmann?«, hörte er eine gutmütige Stimme fragen. Der Beamte musterte ihn kopfschüttelnd. »Die ist nicht für Sie, Herr Benkenstein. Im Dorf gibt es fesche Mädels genug. Die kleine Wally Kämmerer zum Beispiel, die hat sich zu einer ausgesprochenen Schönheit entwickelt. Sie werden staunen. Ein bisschen wild ist sie ja, aber wenn Sie mich fragen – ich habe nichts gegen Temperament.«

»Jaja«, entgegnete Norbert zerstreut. »Sie haben völlig recht. Die Komtess ist wirklich eine Schönheit geworden ... ein wundervolles, zauberhaftes Geschöpf. Alsdann bis später!«

Müde wandte er sich ab.

»Dummer Bub«, brummelte der alte Mann hinter ihm her. »Verbrenn dir bloß nicht die Finger an unserer Komtess! Wäre schade um dich!«

***

Hexe schlug wie toll an, als sich Norbert dem alten Forsthaus näherte.

»Willst du wohl ruhig sein, alter Köter!«

Das war Mutters Stimme.

Ein Lächeln der Vorfreude im Gesicht, beschleunigte Norbert Benkenstein seinen Schritt. Die letzten Meter lief er fast.

»Du?« Seine Mutter ließ die Wäscheleine, die sie in der Hand hielt, einfach fallen und breitete beide Arme aus. »Junge, warum hast du nicht geschrieben, dass du kommst? Ich habe das Essen gar nicht fertig.«

»Ich werde schon nicht verhungern, Muttchen«, lachte Norbert und drückte einen liebevollen Kuss auf ihre Wangen. »Du wirst von Tag zu Tag jünger, Muttchen.«

»Willst du eine alte Frau in Verlegenheit bringen?« Errötend strich sich Frau Käthe eine Strähne ihres Haares aus der Stirn. »Du siehst aus, als hättest du in der Stadt nicht allzu viel gegessen. Ich glaube, ich muss dich erst einmal richtig rausfüttern.«

Sein Vater kam ihm in der bequemen Hausjoppe entgegen, die kurze Pfeife in der Hand. »Willkommen daheim«, sagte er herzlich und presste Norberts Hand so fest, dass der junge Mann schmerzlich das Gesicht verzog.

Er musterte seinen Sohn, und was er sah, gefiel ihm ausnehmend gut. Da war kein Zug in diesem jungen Gesicht, der ihm missfallen hätte. Offen und ehrlich schauten die blauen Augen in die Welt. Er wusste, dass er alle Ursache hatte, auf seinen Sohn stolz zu sein.

Vielleicht würde Norbert einmal sein Nachfolger werden, wenn der Baron ihn in den Ruhestand versetzte.

Bis dahin mochte Norbert sich ruhig woanders umschauen. Eine Schwierigkeit, eine Stellung zu finden, gab es für ihn mit seinen Zeugnissen nicht. Aber erst einmal sollte Norbert den wohlverdienten Urlaub genießen.

Er hatte die Absicht, ein Vierteljahr zu Hause zu bleiben, bevor er sich bewarb.

Familie Benkenstein verlebte einen gemütlichen Abend. Hexe, der Dackel, hatte sich zu Norberts Füßen gelegt und blinzelte ab und zu einmal schläfrig zu seinem jungen Herrchen hinauf, wenn der einmal besonders herzlich lachte.

»Was gibt es hier in der Gegend Neues?«, fragte Norbert später.

»Nichts. Es ist alles beim Alten geblieben«, behauptete Vater Ludwig schmunzelnd. »Die Bäume wachsen wie eh und je, das Wild wechselt zwar, aber ...«

»Und die Tessnows?«, fiel Norbert ihm ins Wort.

»Bei denen hat sich auch nichts geändert. Der Alte ist stolz wie Luzifer selbst, aber in seiner Art sehr gerecht, die Gräfin versucht, hinter seinem Rücken die poltrige Art ihres Mannes auszugleichen ...«

»Und Katja? Habt ihr von der einmal etwas gehört?«

Vater Ludwig brach in ein dröhnendes Lachen aus.

»Hast du die Kleine immer noch nicht vergessen, Junge? Das ist doch wohl nicht möglich. Sie muss ja inzwischen eine junge Dame geworden sein. Man spricht davon, dass Tessnow sie bald unter die Haube bringen will. Kann man ja verstehen, er möchte schließlich gern wissen, für wen er gearbeitet hat. Ein Jammer, dass er keinen Erben hat.«

»So, Katja soll heiraten.« Norbert nickte schwer. »Und was sagt sie dazu?«

»Ich glaube kaum, dass der alte Tessnow sie lange fragen wird«, meinte Vater Ludwig. »Und es ist nicht das Dümmste, was sie tun kann, sich einen vernünftigen Mann zu angeln. Auswahl hat sie genug.«

Er gähnte hinter vorgehaltener Hand.

»Sie muss übrigens bald aus dem Pensionat zurückkommen. Der Graf hat mir den Auftrag gegeben, ein paar Böcke für die Festtafel zu schießen. Er will seine Tochter ganz groß in die Gesellschaft einführen. Na ja, er hat es ja auch.«

»Darf ich das?«, fragte Norbert eifrig.

Natürlich brannte er als frischgebackener Waidmann darauf, selbst schießen zu dürfen. Der Graf legte wenig Wert auf die Jagd, eigentlich behielt er sie nur für Gäste, die er gelegentlich einlud.

»Aber natürlich«, lachte Vater Benkenstein.

Drei Tage später spannte Norbert das Pferd vor den leichten Wagen, um seine Beute selbst ins Herrenhaus zu fahren.

Es war kein Zufall, dass er seine beste Uniform trug. Er würde ja Katja wiedersehen, mit ihr sprechen, alte Erinnerungen auffrischen ...

Als er auf dem Kutschbock saß, spitzte er die Lippen, um ein fröhliches Liedchen zu pfeifen.

Die Terrasse war leer, aber als er die Zügel lockerließ, trat eine hellgekleidete Mädchengestalt hinaus.

Das ist Katja, dachte Norbert. Sie trug keine Zöpfe mehr, hatte sich das Haar kurz schneiden lassen, und dadurch wirkte sie auf den ersten Blick verändert. Aber wie schön war sie geworden, wie wunderschön! Der junge Forstmann konnte sich an der Anmut ihrer Bewegungen gar nicht sattsehen.

Unwillkürlich hob er grüßend die Peitsche. Die junge Dame wandte erstaunt den Kopf. Dann dankte sie ihm durch ein leichtes, kaum merkliches Nicken.

Sie weiß noch immer nicht, wer ich bin, schoss es Norbert durch den Kopf. Er lenkte sein leichtes Gefährt um das Haus herum, bat Mamsell Frieda, einen Moment das Pferd zu halten, er käme gleich zurück, dann lief er um das Haus herum auf die Terrasse.

»Katja!«

Komtess Tessnow runzelte leicht die Stirn.

»Erkennst du mich nicht? Ich bin Norbert?«

»Doch, ich habe Sie erkannt. Obwohl Sie sich verändert haben.«

Sie hatte ,Sie' gesagt. Und ihm nicht einmal die Hand geboten. Sie war höflich und sehr kühl.

Wie vor den Kopf gestoßen, starrte Norbert sie an. Wie oft hatte er sich dieses Wiedersehen ausgemalt! Sie würde ihn erkennen, auf den ersten Blick, ihm an die Brust fliegen, die Arme um seinen Nacken schlingen und ihn küssen. Sie würde sagen, dass sie ihn nie vergessen konnte. Und sie würde fragen, ob er sie noch immer liebe wie damals.

»Nett, Sie einmal wiedergesehen zu haben, Herr Benkenstein.« Katja neigte den Kopf, lächelte ihm höflich zu und ging wieder ins Haus zurück.

Das war alles.

Norbert fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Das war nicht seine Katja, nicht das Mädchen, das er kannte und an das er so oft gedacht hatte. Man hatte einen völlig anderen, fremden Menschen aus ihr gemacht.

»He, Herr Benkenstein, wie lange soll ich denn da noch stehen?«, fragte Mamsell Frieda brummig. »Gucken Sie Löcher in die Luft oder was machen Sie?«

Norbert erwachte wie aus einem Traum. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und zuckte die Schultern.

»Entschuldigen Sie, bitte, ich – ich glaube, ich habe mit offenen Augen geschlafen.«

»Das scheint mir auch so«, brummte Frieda. »Und wenn Sie noch ein paar Fasanen schießen könnten, ich hätte nichts dagegen. Es kommen über hundert Gäste. Haben Sie das gnädige Fräulein schon gesehen? Sie ist schön wie ein Bild.«

»Wie ein Bild«, wiederholte Norbert tonlos. Ja, so war sie, nicht lebendig, nur ein Bild. Aber er würde sie lebendig machen. Unter seinen Küssen würde alles wieder erstehen, was sie jetzt vielleicht vergessen hatte. Ihm kam nicht der Gedanke, dass sie die Vergangenheit vielleicht vergessen wollte.

***

Zwei Tage später tauchte auf dem Waldweg, den Norbert oft ging, ein hübsch gekleidetes Mädchen hinter einer Wegbiegung auf.

Es war zu spät, einen Seitenpfad einzuschlagen, er musste wohl oder übel weitergehen.

»Hallo!« Wally Kämmerer strahlte ihn an. »Du machst dich ja sehr rar, Norbert.« Sie streckte ihm impulsiv beide Hände entgegen. »Gefalle ich dir?«, fragte sie kokett. »Selbst genäht. Sogar Mutter hätte es nicht besser machen können.«

Sie drehte sich einmal um sich selbst, dass der Rock hochflog. Sie hatte sehr hübsche Beine und wusste es. Es konnte nichts schaden, fand sie, wenn auch Norbert es sah.

Der Mann merkte ihre Absicht und verzog den Mund. Hübsch war sie ja, das musste er zugeben, sogar sehr hübsch. Und hätte ihm nicht Katjas Bild noch immer im Kopf herumgespukt, vielleicht wäre er ihr an diesem Nachmittag schon nähergekommen.

So aber blieb sein Blick kühl, und in seinen Augen funkelte ein überlegener Spott.

Wally biss sich ärgerlich auf die Lippen.

»Ein feiner Mann wie du schämt sich jetzt wohl, mit einer kleinen Schneiderin zu sprechen, wie?«, fragte sie angriffslustig. »Lass dich bitte nicht stören, ich sehe schon, dass du lieber allein sein willst.«

Sie machte eine berechnende Pause und musterte ihn aus den Augenwinkeln heraus. Norbert sah sehr gut aus, aber keineswegs zufrieden oder gar glücklich.

»Was sagt denn deine alte Freundin über deine Rückkehr?«, fragte sie spöttisch. »Sie ist doch sicherlich außer sich vor Freude, soweit ich sie kenne.«

»Ich weiß nicht, von wem du sprichst«, log Norbert. »Entschuldige mich jetzt, bitte, ich muss weiter.«

»Natürlich, du hast ja auch hier so viele Pflichten«, stichelte Wally Kämmerer. »Aber wenn du mal nichts Besseres zu tun hast, kannst du gern bei uns vorbeikommen. Wir haben immer eine Tasse Kaffee für alte Freunde übrig.«

Sie betonte das ,wir' so stark, dass Norbert sofort die Anspielung auf Katja begriff. Wussten denn schon alle im Dorf, wie die Komtess ihn hatte abblitzen lassen?

»Ich danke dir für dein überaus freundliches Angebot. Vielleicht nehme ich es an.«

***

Katja war in den nächsten Tagen unleidlich, fanden ihre Eltern.

»Im Internat scheint man euch nur Launen beigebracht zu haben«, schalt Graf Tessnow aufgebracht, weil seine Tochter stets mit verdrossener Miene herumlief. »Und dabei hat es so viel Geld gekostet.«

»Hättet ihr mich doch nicht hingeschickt«, seufzte die junge Dame.

»Warum nicht?« Frau Henriette war erstaunt. »Du hast uns doch immer geschrieben, dass es dir sehr gut gefällt. Nun auf einmal ...«

»Ist schon gut. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist. Es wird die Klimaumstellung sein. Ich hole mir Wirbelwind und reite ein wenig. Vielleicht wird mir dann besser.«

»Sei vorsichtig, der Hengst ist ausgeruht, du musst die Zügel kurz nehmen«, rief der Vater ihr besorgt nach. Er zweifelte, dass seine Tochter ihn gehört hatte.

Weshalb sollte sie nicht den breiten Weg einschlagen, der zum alten Forsthaus führte? Sie konnte tun und lassen, was sie wollte. Hier hatte ihr niemand Vorschriften zu machen.

Sie sah Norbert, und als sie ihn sah, wusste sie, weshalb sie in den Wald geritten war. Sie wollte ihn sehen und sich mit ihm aussprechen, das war es. Sie hatte ihn auf der Terrasse kurz und unfreundlich behandelt, jetzt würde sie wiedergutmachen, was sie ungewollt angerichtet hatte.

Norbert sah sie – und trat zur Seite, um sie vorbeizulassen. Sein Gesicht blieb unbewegt, er neigte nur kurz grüßend den Kopf.