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Als Dorothea von Kempkes ihre erste Stelle als Restauratorin auf Schloss Mergenthausen antritt, hat sie schon einiges an Gerüchten über den jungen Fürsten Thomas gehört: Über den tragischen Tod seiner schönen Frau vor wenigen Jahren, die, so munkelt man, seine Untreue nicht ertrug und unter dramatischen Umständen verstarb. Und über die betrübliche Tatsache, dass der kleine Sohn Florian nun Halbwaise ist und vernachlässigt wird. Aber Dorothea nimmt sich fest vor, sich nur auf ihre Arbeit zu konzentrieren und nichts auf das Gerede zu geben.
Doch als sie dem Fürsten zum ersten Mal begegnet, gerät dieser Entschluss gehörig ins Wanken - dieser aufrichtige, freundliche Mann kann doch nicht ein gewissenloser Don Juan sein. Oder will Dots dummes Herz die Wahrheit einfach nicht sehen? Ein dramatischer Zwischenfall bringt Gewissheit ...
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Bei dir geh' ich in Lebensstellung
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Impressum
Bei dir geh' ich in Lebensstellung
Wie Dorothea den Weg zum Herzen ihres Fürsten fand
Von Ursula Freifrau von Esch
Als Dorothea von Kempkes ihre erste Stelle als Restauratorin auf Schloss Mergenthausen antritt, hat sie schon einiges an Gerüchten über den jungen Fürsten Thomas gehört: Über den tragischen Tod seiner schönen Frau vor wenigen Jahren, die, so munkelt man, seine Untreue nicht ertrug und unter dramatischen Umständen verstarb. Und über die betrübliche Tatsache, dass der kleine Sohn Florian nun Halbwaise ist und vernachlässigt wird. Aber Dorothea nimmt sich fest vor, sich nur auf ihre Arbeit zu konzentrieren und nichts auf das Gerede zu geben.
Doch als sie dem Fürsten zum ersten Mal begegnet, gerät dieser Entschluss gehörig ins Wanken – dieser aufrichtige, freundliche Mann kann doch nicht ein gewissenloser Don Juan sein. Oder will Dots dummes Herz die Wahrheit einfach nicht sehen? Ein dramatischer Zwischenfall bringt Gewissheit ...
Das Schloss war ein mächtiger quadratischer Renaissancebau, umgeben von einem breiten Wassergraben, auf dem Schwäne und Enten schwammen. Eine Brücke schwang sich im großen Bogen über das Wasser. An drei Ecken des Schlosses befanden sich mächtige Türme. Der Turm an der vierten Ecke des Baus war schlanker, die hohen schmalen Fenster dieses Gebäudeteils ließen Dot vermuten, dass sich hier die Schlosskirche befand.
Hier sollte sie also für die nächste Zeit arbeiten. Die blonde Dorothea von Kempkes schüttelte ein bisschen über sich selbst den Kopf. Seit dem plötzlichen Tod ihrer Eltern war ihr Leben ziemlich turbulent verlaufen. Während ihrer Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste in München hatte sie feststellen müssen, dass sie doch nicht das Zeug zur freischaffenden Künstlerin hatte. Da sie aber äußerst talentiert und geschickt in Bezug auf die reinen Maltechniken war, einen sicheren Blick für Farben und Formen und einen guten Geschmack hatte, hatte sie ihre Ausbildung auf die Wiederherstellung alter oder beschädigter Gemälde konzentriert. Die ganze Zeit über hatte sie sich mit Aushilfsjobs und kleineren Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten können, aber die Hoffnung, jemals nicht mit dem Pfennig rechnen zu müssen, hatte Dorothea schon längst aufgegeben.
Und jetzt der Jahrhundertauftrag, wie Dorothea ihn bei sich nannte, des Fürsten Thomas von Mergenthausen, den ihr ihr ehemaliger Professor an der Akademie beschafft hatte!
Auf Schloss Mergenthausen war bei einem Brand im vergangenen Jahr ein zugemauerter Gang entdeckt worden, in dem stapelweise kostbare Gemälde lagerten, die alle restaurierungsbedürftig waren.
Doch in Dorotheas Freude über den Auftrag mischte sich das ungute Gefühl der Unsicherheit, was sie wohl auf Schloss Mergenthausen erwartete. Die Gerüchte, die über den Fürsten und seine Familie in Umlauf waren, waren nicht sehr ermutigend.
Fürst von Mergenthausen hatte seine Frau früh verloren und stand nun allein mit seinem inzwischen sechsjährigen Sohn da. Mit auf dem Schloss lebte auch noch die jüngere Schwester der verstorbenen Fürstin, die Komtess – sie bestand auf dieser Anrede, weil sie unverheiratet war – Eliza von Thann. Man munkelte, dass sie selbst ein Auge auf den Fürsten geworfen hatte, und auch das Gerücht, dass es beim Tode der schönen Fürstin Helena nicht mit rechten Dingen zugegangen sein sollte, hielt sich hartnäckig.
Dorothea oder Dot, wie sie von ihren Freunden genannt wurde, schüttelte wieder den Kopf. So ein Unsinn, sich von dem Gerede der Leute verunsichern zu lassen! Schließlich waren der Fürst und sie nicht mehr als Geschäftspartner ... seine Familie ging sie ja nun wirklich nichts an.
Dorothea schaute auf ihre Armbanduhr. Gleich vier Uhr. Nun, dann würde sie sich jetzt in die Höhle der Löwen begeben.
Sie hatte lange überlegt, was sie zu dieser Unterredung anziehen sollte. Am Ende hatte sie sich für ein bequemes, aber schickes grünes Lodenkostüm mit einem weißen Pullover, passenden Kniestrümpfen und festen Schuhen entschieden.
Denn Dot wusste ganz genau, dass sie schlank und groß genug war, um auch in dieser ländlich-sportlichen Aufmachung elegant auszusehen. Auch wenn der Fürst nur an Antiquitäten interessiert war ... eine gut aussehende, selbstbewusste Frau verkaufte sich immer besser!
***
»Hoffentlich hat dir Hauff einen guten Mann empfohlen!«, sagte Komtess Eliza von Thann zu ihrem Schwager. Sie sah der verstorbenen Fürstin, ihrer Schwester, sehr ähnlich ... nur dass bei ihr alles farbloser wirkte. »Schade, dass der Restaurator, den du das letzte Mal beschäftigt hast, inzwischen zu alt für diese Aufgabe ist. Seine Sehkraft hat merklich nachgelassen. Man wusste doch, was man an ihm hatte!«
»Papi, darf ich bitte aufstehen?«, ertönte die Stimme des sechsjährigen Florian.
Der kleine Erbprinz, das einzige Kind des Fürsten, war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Freilich, vorläufig waren seine Gesichtszüge noch kindlich weich, aber auch er würde einmal wie sein Vater das schmale, kantige Gesicht der Mergenthausens bekommen. Die großen dunklen Augen unter dichten Brauen und Wimpern waren heute schon die gleichen.
»Du kannst mir doch nicht einfach ins Wort fallen!«, rügte Eliza ihren Neffen.
Der zog den Kopf ein, presste seinen hübschen Mund einen Moment zusammen und überlegte dann wohl, dass es besser und diplomatischer wäre, nicht zu widersprechen.
»Tschuldigung, Tante Eliza«, antwortete er. »Ich dachte, du hättest ausgesprochen, und ich wollte ...«
»Erstens heißt es ,Entschuldigung', und zweitens hat ein Kind deines Alters überhaupt nichts zu wollen. Es tut, was die Erwachsenen ihm gestatten«, fuhr die Komtess dazwischen.
Florian warf seinem Vater einen raschen Blick zu, doch der schien in seine Tasse Kaffee vertieft.
»Tschu... ich meine Entschuldigung!« Der Junge betonte die erste Silbe. »Ich dachte, ich störe bei eurer Besprechung über die Bilder und ...«
»Du kannst gehen, Flori«, unterbrach der Fürst. »Sag dem Otto, er soll mir den Hektor satteln und dir dein Pony. Wir reiten zusammen aus!«
»Hurra! Papi, prima, dass du Zeit hast!«
Flori schoss so von seinem Stuhl in die Höhe, dass seine Tasse mit dem Kakao umfiel, und sauste aus dem Zimmer, bevor die gestrenge Tante Eliza Zeit fand, ihn erneut zu schelten.
»Wie kannst du ihm das durchgehen lassen!«, entsetzte sie sich dafür jetzt gegenüber ihrem Schwager.
»Nachdem ich mit der Marmelade auch schon gekleckert habe, dachte ich, dass es auf einen Flecken mehr oder weniger nicht ankommt«, verteidigte der Fürst sich und seinen Sohn.
»Das ist etwas anderes!«, fand Eliza, die mit ihrem heimlich geliebten Schwager immer eine Ausnahme machte.
Freilich, so heimlich war ihre Liebe nun auch wieder nicht, dass nicht das gesamte Personal und auch ihr Bekanntenkreis darüber mehr oder weniger boshaft lästerten.
»Allerdings«, stimmte Thomas von Mergenthausen zu. »Wenn ein Mann meines Alters kleckert, ist das weit weniger entschuldbar als bei einem Kind.«
»Das kann ich nicht finden!«, widersprach Eliza.
Der Fürst unterdrückte einen Seufzer. Manchmal war die beharrliche Anbetung seiner Schwägerin schon ziemlich lästig. Aber sie war die Schwester seiner sehr geliebten verstorbenen Frau und würde aus diesen beiden Gründen wohl immer nur das tun, was für den Jungen und damit auch für ihn und Mergenthausen das Beste war. Trotzdem glaubte er, ihr wieder einmal sagen zu müssen, mit Flori etwas geduldiger zu sein.
»Du bist manchmal zu streng, Eliza. Ich weiß, du meinst es gut!«, wehrte er ihre Ansätze, ihn zu unterbrechen, ab. »Aber ist es denn schlimm, wenn ein kleiner Junge, der noch nicht mal in die Schule geht, ,Tschuldigung' sagt? Übrigens hatte er dich wirklich nicht unterbrochen: Du hast eine Pause gemacht ...«
»Ja, weil ich auf deine Antwort wartete!«
»Nun gut. Aber ich hatte noch nicht einmal zur Antwort angesetzt ...«
»Du findest, ich war ungerecht? Oh, du verziehst den Jungen!«
Wieder unterdrückte der Fürst einen Seufzer. Manchmal kam es ihm so vor, als wäre Eliza auf den Jungen eifersüchtig. Vielleicht bildete er sich das ein. Aber sie benahm sich, als eifere sie mit jedem, mit dem ihn ein besonderes Gefühl verband: mit Flori vor allen Dingen, aber auch mit seinem Lieblingspferd, dem treuen alten Stallknecht Otto und der lang gedienten Köchin Berta. Wann immer er jemandem seine Zuneigung schenkte, fand sie etwas an demjenigen auszusetzen und nörgelte und stichelte. Er musste wirklich einmal ernsthaft mit ihr reden! Nur ... zugeben, dass er seit Langem von ihren Gefühlen wusste, dass schon seine Frau früher mit ihm darüber gelacht hatte, das wollte er lieber nicht ... Es würde nur Komplikationen geben.
Nun seufzte Fürst Thomas doch. Helena. Die schöne Helena, wie sie genannt worden war, wie unendlich glücklich war er die ersten Jahre mit ihr gewesen. Nach Floris Geburt hatte sie begonnen, sich zu verändern. Lag es daran, dass sie damals ihre Schwester ins Haus geholt hatte?
Eliza war die jüngere der beiden Komtessen Thann. Zwei Jahre jünger als Helena, drei Jahre jünger als Thomas selbst. Helena hatte sie aufgenommen, da ihre Eltern kurz hintereinander starben und Eliza allein zurückblieb. Da er viel in Geschäften unterwegs war und Helena ihn nicht ständig begleiten konnte, solange Flori klein war, hatte Thomas geglaubt, dass es für sie alle eine gute Lösung sei. Anfangs war es auch gut gegangen. Doch plötzlich fing Helena an, ihn misstrauisch zu fragen, mit wem er wo gewesen sei. Ihr Misstrauen und ihre Eifersucht wuchsen immer mehr. Es war, als schüre jemand sie! Sie wurde immer hektischer, nervöser, misstrauischer. Eines Tages stellte er fest, dass sie Unmengen von Beruhigungsmitteln einnahm ... und dann kam das furchtbare Ende.
Er war damals sehr froh und dankbar gewesen, dass Eliza auf Mergenthausen war und ohne viele Reden die Überwachung des großen Haushalts übernahm, vor allem die Sorge um den damals vierjährigen Florian, für den der Tod der Mutter ein großer Schock gewesen war. Jetzt freilich zweifelte Thomas daran, ob es klug gewesen war. Aber wer konnte ihm eine bessere Lösung bieten? Vielleicht wurde es einfacher, wenn Flori erst zur Schule ging oder später ins Internat kam. Oder wenn Eliza endlich heiraten würde. Immerhin war sie inzwischen neunundzwanzig und keine schlechte Partie. Dafür würde er schon sorgen ...
»Du seufzt?«, drängte sich Eliza in seine Gedanken.
»Ja, wegen Flori ...«
»Ich sagte eben ...«
»Ich weiß, was du sagtest«, unterbrach er sie ungeduldig. »Und deshalb mache ich mir Sorgen.«
Nun fing er doch damit an!
Prompt schlug Eliza einen weinerlichen Ton an: »Ich gebe mir solche Mühe, und der Junge ist so verwöhnt und schwierig.«
»Ich weiß, dass du dir Mühe gibst. Aber verwöhnt oder schwierig ist Flori nicht. Ich fürchte allerdings, dass er schwierig wird, wenn du so übermäßig streng mit ihm bist. Jawohl, übermäßig! Wir leben nun mal nicht mehr im 18. oder 19. Jahrhundert!«
»Leider«, warf Eliza nach wie vor gekränkt ein.
»Das kann man verschieden sehen«, befand der Fürst nüchtern. »Flori wollte um Erlaubnis bitten, zu gehen, weil er annahm, dass unser Gespräch ihn langweilen würde.«
»Es würde ihm nichts schaden.«
»Bitte, Eliza! Er ist mein Sohn!«, erinnerte der Fürst sie nun etwas gereizt. »Ich finde es durchaus natürlich, dass sich ein sechsjähriger Bub langweilt, wenn man über alte Gemälde spricht, auch wenn er sie einmal erben soll. Was mir weit weniger gefällt ist, dass er glaubt, zu diplomatischen Ausflüchten Zuflucht nehmen zu müssen, um nicht gescholten zu werden.«
»Ich verstehe dich nicht, Thomas.«
Den Eindruck hatte der Fürst allerdings auch. Doch behielt er das lieber für sich. Es wurde schon aus einem kleinen Zwischenfall eine Mordsangelegenheit aufgebauscht. Trotzdem war er entschlossen, Eliza seine Meinung über Kindererziehung heute ganz deutlich mitzuteilen, da das Gespräch nun einmal darauf gekommen war.
»Wenn Flori etwas langweilig findet und deshalb bittet, gehen zu dürfen, finde ich das ganz in Ordnung.«
»Ich nicht. Aber bitte. Er ist dein Sohn, ich bin nur die Tante!«
Der Fürst überhörte den beleidigten Einwurf und ergänzte: »Nicht in Ordnung finde ich, wenn er behauptet, sich zurückziehen zu wollen, um nicht zu stören.«
»Aber wieso ...«
»Meine Güte, Eliza! Du warst doch auch einmal ein Kind! Da denkt man doch nicht so!«
»Ich wurde dahingehend erzogen, auf ältere Menschen Rücksicht zu nehmen!«
Thomas Mergenthausen gab auf. Vielleicht sollte er überlegen, einen jungen Mann als Erzieher ins Schloss zu nehmen, bis Flori zur Schule kam. Für den Augenblick war es klüger, das Thema zu wechseln und den Vorfall ins Komische zu ziehen.
»Ich verwahre mich energisch dagegen, dass du mich unter die älteren Menschen einordnest. Mit zweiunddreißig fühle ich mich ausgesprochen jung.«
»Aber so war das doch nicht gemeint!«, rief Eliza so verzweifelt, als handle es sich um eine echte Katastrophe.
Es war besser, man ging gar nicht weiter darauf ein.
»Heute Nachmittag stellt sich die von Hauff empfohlene Restauratorin vor«, knüpfte der Fürst beim Ausgangspunkt der Unterhaltung an.
Eliza horchte auf.
»Restauratorin? Eine Frau?«
»Ja, warum nicht?«
Du liebe Zeit! Jetzt war ihr das auch wieder nicht recht.
»Ich weiß nicht, so eine schlampige Künstlerin ... die sind alle so unsolide ...«
»Ich bitte dich, Eliza. Dr. Hauff würde niemanden schicken, den er nicht wirklich empfehlen könnte. Er garantierte mir für die Person in jeder Hinsicht.«
»Nun, ob jemand wie Hauff weiß, was in ein Schloss passt?«
»Du lieber Himmel! Er verkehrt doch nun wirklich in vielen Schlössern, das ist ein Teil seines Berufes.«
»Wenn du meinst ...«
»Jawohl, das meine ich. Fräulein von Kempkes ist Schülerin von Professor Reif.«
»Von Kempkes? Sagtest du ,von'?« Sie sah ihn geradezu entsetzt an. »Bestimmt hält sie sich für unseresgleichen und will überall dabei sein. Mein Gott, hast du das nicht überlegt? Die Arbeit verlangt doch, dass sie mindestens ein Jahr hierbleibt, was sagt denn ihre Familie?«
Thomas von Mergenthausen stand auf. Die Stimmung für ein gemütliches Frühstück war endgültig verdorben. Sein Ton wurde schroff und duldete keinen Widerspruch mehr.
»Fräulein von Kempkes ist unverheiratet und scheint allein zu stehen. Sie wird eine Probearbeit machen, anhand derer sie und ich entscheiden, ob sie für die Aufgabe geeignet ist. Ich wäre dir dankbar, wenn du das zur Kenntnis nehmen würdest und mir keine Schwierigkeiten machtest.«
»Ich? Ich mache Schwierigkeiten?« Eliza war den Tränen nahe.
»Oh ja. Es ist nämlich auch nicht angenehm, wenn du so lange die Beleidigte spielst, bis man um des lieben Friedens willen nachgibt.«
»Ich würde das tun?« Eliza sank in sich zusammen.
»Oh ja. Zum Beispiel jetzt!«, erwiderte Thomas von Mergenthausen grimmig und verließ das Frühstückszimmer.
Auf dem Gang begegnete er Flori, der bereits zum Reiten umgezogen war.
»Ich dachte schon, du hättest es vergessen, Papi!«, rief der Kleine.
»Du glaubst doch nicht, dass ich etwas vergesse, worauf ich mich seit gestern Abend schon freue!«
Thomas nahm seinen Sohn bei der Hand.
»Seit gestern schon?«
»Klar! Nachdem ich am Sonntag keine Zeit hatte, habe ich es für die erste Gelegenheit eingeplant. Wenn ich nicht einmal die Woche mit dir ausreite und sehe, was du für Fortschritte gemacht hast, freut mich meine ganze Arbeit nicht.«
»Wirklich?« Flori strahlte. »Mir geht es auch so. Schade, dass du so oft wegmusst, Papi.«
»Ja, das ist wirklich schade«, fand auch Thomas. »Was hältst du davon, wenn wir einen netten jungen Mann bitten, dir Gesellschaft zu leisten, wenn ich weg bin? Du bist eigentlich schon zu groß, um nur mit Tante Eliza zusammen zu sein.«
»Habt ihr das eben besprochen?« Flori fand die Idee großartig. »Aber weißt du, ich könnte doch mit dem Sohn von Otto spielen ...«
»Na, ich dachte nicht nur an spielen. Er soll dir auch etwas beibringen, reiten, vielleicht Englisch oder Französisch ...«
»Ach, reiten lerne ich bei Otto, und Englisch und so, das lerne ich doch, wenn ich nächstes Jahr zur Schule komme. Das ist nicht nötig, Papi«, zog sich Flori geschickt aus der Affäre.
Mergenthausen lachte. Mal sehen, ob man irgendwoher einen netten Studenten empfohlen bekam, der sich gern etwas nebenher verdiente und mehr Freund als Lehrer war.
Vor den Stallungen stand der große braune Wallach Hektor fertig gesattelt für den Fürsten bereit. Das wohlbeleibte Pony des Prinzen wurde eben auf dem Abreitplatz vom zehnjährigen Sohn des Stallburschen Otto abgeritten, damit es nicht zu lebhaft war.
Zuerst sah Mergenthausen zu, dass Flori auch korrekt aufstieg, dann schwang er sich selbst in den Sattel. Die Angestellten, die im Hof beschäftigt waren, sahen den beiden lächelnd nach. Sie waren sehr beliebt, der junge Fürst und sein kleiner Sohn.
Im ersten Stock des auf den Hof blickenden Schlossflügels bewegte sich leicht einer der grünen Brokatvorhänge. Eliza hatte Vater und Sohn von hier oben beobachtet. Oh, wie sie Florian dafür hasste, dass sein Vater sie so kalt behandelt hatte, nur weil sie den Übermut des kleinen Jungen etwas dämpfte. Wie sie sich selbst dafür hasste, dass sie nicht mit den beiden ausreiten konnte, weil sie eine geradezu panische Angst vor Pferden hatte. Und wie sie ihre verstorbene Schwester hasste, weil alle Schönheit der Familie der Grafen Thann allein ihr zugefallen war!
Und nun kam wieder eine Frau ins Haus. Eine Frau, die viele Interessen mit Thomas gemeinsam hatte. Unverheiratet. Adelig. Lieber Gott, lass sie wenigstens vierzig sein. Und hässlich! Warum sah Thomas nicht endlich, was er für sie bedeutete und dass sie alles, alles für ihn zu tun bereit war!
***
Als Dot aus ihrem Wagen stieg, stand wie aus dem Boden gewachsen ein kleiner Junge vor ihr.
»Grüß Gott«, sagte er höflich. »Wer bist du?«
»Ich bin Dorothea von Kempkes und komme wegen der Bilder«, erwiderte sie. »Aber lass mich raten. Ich weiß, wer du bist!«
»Woher?« Er riss die dunklen Augen weit auf. »Warst du schon mal hier?«
»Nein. Aber ich glaube, ich weiß es trotzdem. Du bist der Sohn des Fürsten. Stimmt es?«
»Toll! Woher weißt du das?«
Dot lachte. Sie würde ihm keinesfalls auf die Nase binden, dass sie einfach geraten hatte.
»Allerdings weiß ich nicht, wie du sonst noch heißt«, gab sie zu.
»Ich heiße Florian. Aber du darfst Flori zu mir sagen.«
»Und du kannst mich Dot nennen. Alle meine Freunde sagen so!«
»Du hast sicher viele Freunde«, meinte Flori.
»Na, es geht. Man kann schließlich gar nicht genug Freunde haben. Warum denkst du das?«
