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Licht ist nicht nur Licht. Licht kann äußerst gefährliche Formen annehmen. Zu Lebzeiten – und danach. Das muss auch der Held des Romans erfahren: Ard de Saint Martin, Tempelritter im 12. Jahrhundert. Von Jerusalem aus macht er sich auf, eine ganz neue Welt zu entdecken: Amerika. Doch was er im Gepäck hat, ist nicht Licht, sondern die totale Finsternis. Trotz allem entpuppt sich das als Glücksfall. In »Lucifer« lässt Gion Mathias Cavelty die Erkenntnisse und Erfahrungen seiner zwölfjährigen Laufbahn als Freimaurer einfließen. Diese sind zum Teil haarsträubend und komisch; tatsächlich aber auch tiefgehend und horizonterweiternd. Wenn man denn vor allem zwischen den Zeilen zu lesen weiß. Dort, wo alles schön weiß ist. Denn »Lucifer« stellt auf verschlungene Art das Gegenstück zu seinem Vorgängerwerk »Innozenz« dar, das wortwörtlich dunkelste Buch aller Zeiten.
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Seitenzahl: 102
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Verlag und Autor danken der Stadt Chur, dem Kanton Graubünden und dem Kanton Zürich für den Beitrag an die Druckkosten dieses Buches.
Gion Mathias Cavelty
Lucifer
Roman
lectorbooks GmbH, Zürich
www.lectorbooks.com
Umschlaggestaltung: André Gstettenhofer
Lektorat: Patrick Schär
Korrektorat: Gertrud Germann
1. Auflage 2022
© 2022, lectorbooks GmbH
Alle Rechte vorbehalten
E-Book ISBN 978-3-906913-37-7
Print ISBN 978-3-906913-36-0
I Don’t mess with history
II Barbelo
III Wasserprobe
IV Major Tom
V Harmonischer Körper
VI Ululas Athenas
VII Logos im Sperma
VIII Erdprobe
IX Gammelstader Dialekt
X Burt-Reynolds-Schnauz
XI Honi soit qui mal y pense 1
XII Honi soit qui mal y pense 2
XIII The Scent for Him
XIV Unfälle
XV Drache aus Pappmaschee
XVI Etwas Deprimierendes
XVII Mørdegskaka mit Polkakross
XVIII Barmhærtighet
XIX Dunkelheit zurückdrängen
XX Das Ungeheuer von Loch Ness
XXI Templerkreuz aus Zuckersirup
XXII Sonst keine Hobbys
XXIII Ehyeh Asher Ehyeh
XXIV Die unsichtbare Flagge
XXV Genitalpilz
XXVI Zum Feigenkaktus
XXVII Abspaltungsgedanken
XXVIII Kleingruppenarbeiten
XXIX A Noble Heart
XXX Das Licht der Seele
XXXI Wortanschwellungen
XXXII Welche Zeit ist es?
XXXIII Der Hermaphrodit
XXXIV Die Æternale Wiederkunft
XXXV Der Knochen, den die Engel bringen
XXXVI Ein richtiger, ganzer Ritter
XXXVII Abenteuerlustiges Prusten
XXXVIII Mit Bacon
XXXIX Perverse, Denaturierte, Psychopathen
XL Santa Maria
XLI Bestsellerwörter
XLII Luftprobe
XLIII Gewisslich das Paradies
XLIV Hier hat nichts einen Namen
XLV Die Sonne hat ihren höchsten Stand erreicht
XLVI Hilton Avenue 2105
XLVII 1 Festival der Zahlenmystik
XLVIII Nova Atlantis
XLIX Weißes Rauschen
L Cyber-Jerusalem
LI Die Knights of the Eighth Sphere
LII Tri-Baal-Cain
LIII Spiegelbild
LIV Dosenmenschen
LV Fffffffffffffpeer
LVEINHALB Der Traum des goldenen Ritters
LVI Steinzeit
LVII Vorge…
LVIII » «
LIX Arcanum Arcanorum
LX Feuerprobe
LXI Wie wir wissen
Zum Autor
Dana Wosnitza: Professor Phoster, ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich für dieses Interview für Treasure Hunters TV zur Verfügung stellen.
Professor Phoster: Ich habe eigentlich gar keine Zeit …
Dana Wosnitza: Zu umso größerem Dank sind wir Ihnen verpflichtet. – Sie sind ein weltbekannter Runologe an der Universität Oslo und vorgestern extra von Norwegen nach San Martín ins südliche Santa Clara Valley geflogen, um ein mysteriöses Artefakt zu untersuchen – das ist jedenfalls die Information, die zu uns durchgedrungen ist.
Professor Phoster: Ich müsste wirklich längst …
Dana Wosnitza: Können Sie unseren Zuschauerinnen und Zuschauern verraten, worum es sich dabei handelt?
Professor Phoster: Es ist … nun, es ist ein sogenannter Runenbildstein.
Dana Wosnitza: Also etwas Ähnliches wie der Kensington Runestone, der in Minnesota gefunden wurde?
Professor Phoster: Zu hundert Prozent eine Fälschung.
Dana Wosnitza: Der Kensington Runestone?
Professor Phoster: Beide Steine. Der Kensington Runestone und dieser hier.
Dana Wosnitza: Wie sieht der Stein aus, den Sie untersucht haben?
Professor Phoster: Er ist … nun, knapp 90 Zentimeter hoch, aus einer schwarz glänzenden, noch näher zu bestimmenden Steinart. Gefunden wurde er von einem lokalen Rancher, ganz in der Nähe von hier. Den exakten Fundort kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt …
Dana Wosnitza: ****** **** Crater Field, richtig?
Professor Phoster: Wie gesagt …
Dana Wosnitza: Was ist darauf zu sehen?
Professor Phoster: Abgebildet ist ein Ritter auf einem halben Pferd. Des Weiteren ein Kreuz, dem der Ritter zu folgen scheint. Ein Templerkreuz.
Dana Wosnitza: Aber das wäre ja eine Sensation! Also wenn der Ritter ein Tempelritter wäre. Das hieße, dass Kalifornien … dass die Templer … Oh my God! Bis wie lange gab es die Templer?
Professor Phoster: Der Orden wurde 1312 zerschlagen.
Dana Wosnitza: 1312!
Professor Phoster: Wie gesagt, ist der Stein eine Fälschung. Die Einmeißelungen dürften nicht mehr als ein paar Jahrzehnte alt sein.
Dana Wosnitza: Oh my God! Könnte es sein, dass der sagenumwobene Templerschatz in Kalifornien vergraben ist, Professor?
Professor Phoster: Sagen Sie, hören Sie mir überhaupt zu?
Dana Wosnitza: Ich hänge an Ihren Lippen!
Professor Phoster: Der Grund, weshalb der Stein ursprünglich überhaupt in mein Fachgebiet gefallen ist – zu fallen schien –, ist der Schild, den der Ritter in seiner Linken hält. Respektive das Symbol, das darauf abgebildet ist. Das, was er im wahrsten Sinne des Wortes im Schilde führt.
Dana Wosnitza: Dabei muss es sich dann wohl um eine Rune handeln.
Professor Phoster: Es ist eben keine Rune. Es ist gar nichts. Am ehesten könnte man es als Hundeknochen bezeichnen.
Dana Wosnitza: Hundeknochen?
Professor Phoster: Na, so ein Knochen, wie man ihn in Cartoons irgendeinem Köter zum Fressen hinwirft.
Dana Wosnitza: Hm.
Professor Phoster: Der Schild selbst weist auch eine merkwürdige Form auf. Ebenso der Helm des Ritters. Der sieht eher aus wie ein Korb oder eine Krone. Und seine Lanze. Auch das ist keine normale Lanze. Alles sehr verdächtig. Aber ich bin kein Experte für die Tempelritter.
Dana Wosnitza: Wieso sollte ein Tempelritter überhaupt etwas mit Runen zu tun haben?
Professor Phoster: Nun, unter den Templern gab es viele Nordländer. Wikinger, die nach ihrer Christianisierung Wikinger geblieben waren. Norweger, Schweden.
Dana Wosnitza: Wikinger-Templer! Das ist ja irre. – Warum das halbe Pferd?
Professor Phoster: Auf dem offiziellen Siegel der Templer sind bekanntlich zwei hintereinandersitzende Ritter auf einem Pferd dargestellt, als Zeichen ihrer angeblichen Armut, so wird es zumindest angenommen …
Dana Wosnitza: Sehr verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, Sie werden gerade Zeugen davon, wie alles bisher Angenommene auf den Kopf gestellt wird! Die Geschichte wird quasi vor Ihren Augen umgeschrieben! – Nach einem kurzen Werbeblock geht’s weiter.
Professor Phoster: Don’t mess with history, lady …
Chur, 11. November 1111.
Die Stadt: grau in grau.
Die Gassen: geflutet von Bier. An den Hauswänden: Schilder mit der Aufschrift »No Schärba, no Pipi, no Problem« (»Keine Scherben, kein Pipi, kein Problem«).
Von oben unerbittlich auf die Stadt hinunterstarrend: die Kathedrale, pechschwarz und gezackt wie ein Höllenleguan.
Von noch weiter oben noch unerbittlicher auf die Kathedrale und die Stadt gleichsam hinunterpissend: die gigantische Calanda-Bierbrauerei mit 2000 Arbeitsplätzen. Ein eigenes Gebirgsmassiv. Ihr Logo: ein roter Bündner Steinbock mit strahlend goldenen Klöten.
In Chur war immer: entweder Churerfest, Schlagerparade, Fasnacht oder Räbaliachtliumzug. Oder alles simultan.
Der Churer: ein Murmeltier mit gewaltigem Bierbauch und ganz, ganz kleinem Hirn; 24/7 volle Pulle Bier in der Blutbahn; die totale Schwarm-Antiintelligenz fasste es sicher und gab ihm warm.
Inmitten der Murmeltiere: ein Haifisch. Von allen Piarkönig (Bierkönig) oder Don Promillo genannt (typischer Churer Humor). Der Besitzer der Bierbrauerei. Präsident des Organisationskomitees der Schlagerparade. Er war allmächtig.
Am 11.11.1111 um 11:10 Uhr nun schleifte Don Promillo seine 100-Kilo-Wampe über den Churer Martinsplatz, ein fröhliches Liedchen auf den Lippen. Er hatte prächtige Laune wegen eines gerade eingefädelten, besonders einträglichen Deals.
11:11 Uhr: Fasnachtsbeginn auf dem Arcasplatz. Tätärääääää! Rambazamba! Hosssa! Wie es dem Churer halt einfach gefällt.
Gleichzeitig wackelte bereits eine erste Räbaliachtliformation die Kirchgasse hinab. Dunkel genug war’s auf jeden Fall. Zwölf Goofen (Kinder) mit selbst gebastelten Sonnenmasken aus Pappmaschee sangen: »I gohn mit minara Laterna / Und mini Laterna mit miar«. Vor sich her trieben sie eine überdimensionale Gans. Die Kerzchen flackerten zaghaft in den ausgehöhlten Herbstrüben.
Und ebenfalls gleichzeitig blitzte die Sonne durch das Martiniloch im Calanda (also dem richtigen Berg, der nach der Bierbrauerei benannt worden war), wie sie es nur alle zwölf Monate einmal tut.
Dabei erhellte sie für eine Sekunde den sechseckigen Zodiakbrunnen auf dem Martinsplatz, und genau in dieser Sekunde tauchte an der Wasseroberfläche blubbernd etwas auf: ein purpurfarbenes Bündel.
Schnell, wie nur ein Hai es sein kann, schoss der Piarkönig auf den Brunnen zu und fischte das Ding heraus.
Sollte er es gleich fressen? Oder es sich vorher doch noch ein bisschen genauer anschauen?
Er entschied sich für Zweiteres.
Das Bündel bestand aus einem neugeborenen Knäblein, eingewickelt in einen Mantel, der sich bei genauerer Betrachtung als lediglich die Hälfte eines Mantels entpuppte. Jemand hatte ihn genau in der Mitte geteilt. Eine halbe Sonne war darauf zu sehen, aufgestickt mit goldenen Fäden.
Der Mantel war alt und sicher einiges wert. Das würde ein schönes Geschenk für den Bischof werden, überlegte sich der Haifisch. Aber das Knäblein? Von Vater und Mutter war keine Spur zu sehen. Als kleiner Snack wäre es ideal. Andererseits würde es sich auch in seiner Brauerei gut machen, wenn es einmal größer war.
So entschied sich der Piarkönig, das Knäblein als künftige Gratis-Arbeitskraft seinem Betrieb einzuverleiben.
Und da Fasnachtsbeginn war, taufte er es auf den passenden Namen Nogg.
In den erbarmungslosen Bierdünsten der Calanda-Brauerei wuchs Nogg also heran; mit drei Jahren schleppte er schon die ersten Harasse herum und rollte 300-Liter-Fässer durch die monumentalen Hallen.
Und er wuchs geschwind! Bald schon maß er zwei Meter. Von äußerst schlaksigem Körperbau, die Gliedmaßen wie aus Gummi, dazu bekleidet mit einem Strampelanzug aus unzähligen bunten Flicken, der nach Bedarf immer wieder um neue Flicken vergrößert wurde, sah er aus wie ein perfekter Narr.
In der Tat war er ein Fantast, ein Guckindieluft, ein Träumer; in einer Hopfendolde konnte er eine ganze Welt erahnen.
Folglich behandelten ihn die anderen Burschen in der Brauerei schlecht und überboten sich darin, dem Hanswurst das Leben so schwer wie möglich zu machen – der einzige Spaß dieser Unmenschen neben kiffa und sich verplütscha (kiffen und sich schlagen).
Das begann schon um 6 Uhr in der Früh, indem sie ihn zum Zmorga (Frühstück) mit literweise Bier abfüllten; dann prügelten sie ihn mit Maischkrücken und Mälzerschaufeln windelweich und walzten ihn mit Fässern platt; anschließend zermalmten sie ihn in der Schrotmühle, siedeten ihn in der Maischpfanne, trennten ihn im Läuterbottich in seine festen und flüssigen Bestandteile, pumpten alles zusammen in einen Gärbottich und ließen es dort vor sich hinblubbern. Auch in der Nacht gönnten sie ihrem Opfer keine Ruhe und spritzten es auf seiner Pritsche im Massenschlag regelmäßig mit Bierschaum voll.
Was sollte Nogg anderes machen, als sich zu sagen: »Da muss es noch etwas Größeres geben!«?
Nogg war siebzehn Jahre alt, als er den goldenen Ritter sah. Dass es ein Ritter war, wusste er zu diesem Zeitpunkt freilich noch nicht.
Wie ein feuriger Blitz preschte der Goldbehelmte auf seinem Kastilianerross die Hansruedi-Giger-Gasse hinunter Richtung Sprützapärkli (Spritzenpärklein), in dessen Mitte eine Gedenktafel für den großen Bündner Nationalhelden Major Tom stand.
DIESES LICHT!
Nicht nur das Licht, das die goldene Prachtrüstung reflektierte, nein: Vielmehr war es das Licht, das aus dem Innersten des Ritters nach außen barst. Es war ein Licht, das seiner Zeit um Jahrtausende voraus war.
Es haute Nogg um.
(Der Knabe glaubte ohne Spott, es sei ein Gott. So Helles sah er im Leben nie. Mannesschönheit pur. Nie war ein stolz’rer Held geboren, wenigstens seit Major Toms Zeit nicht – so könnte man es durchaus auch formulieren, wollte man.)
Goldener Schaum sprudelte aus dem Maul des Pferdes. Güldene, an den Bügelriemen frei schwingende Schellen bimmelten. Schwert, Schild und Speer sirrten ganz fein dazu.
Dann war die Erscheinung auch schon weg.
Was war das für ein Wunderwesen?
Nogg konnte nur noch an den Ritter denken. Des Nachts träumte er von ihm, auf seinem eingebierschäumten Strohsack liegend; SO EINER wollte er auch werden!
Und so schlich er sich eines Nachts ins Herz der Brauerei und bastelte sich im Stillen einen Helm aus einem alten Schöpfbottich, einen Schild aus einer zerbrochenen Malzschaufel und eine Lanze aus einer Maischegabel.
Jetzt konnte ihm definitiv nichts mehr etwas anhaben!
Stets am Weihnachtsabend gab es für den Bischof von Chur eine Speziallieferung Calanda-Weihnachtsbier (»Sein harmonischer Körper beinhaltet ein Zusammenspiel aus leichter Süße und zarter Hopfennote«) des jeweiligen Jahrgangs in das Bischöfliche Palais auf dem Hof (das Quartier oberhalb der Altstadt), gestiftet vom Piarkönig. Anno 1128 fiel die Aufgabe der persönlichen Überbringung Nogg und drei seiner Kollegen zu.
Durch tiefen Schnee ging’s mit dem Brauereischlitten; Nogg trug wie immer seinen Helm aus Holz, womit er selbstredend noch mehr Spott auf sich zog als früher schon.
Der Bischof von Chur war eine rosarote Wolke; sein Händedruck ganz weich, sich etwa so anfühlend, wie wenn man einen Wattebausch anfasste. Er badete jeden Tag ausgiebig und roch wie der Popo des neugeborenen Christkindleins. Bei jeder Bewegung quietschte er leicht (vor Sauberkeit). Alles in allem war er ein Barockputto, oder besser gesagt: fünf Barockputti in einem.