Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei - Susanne Schmidt - E-Book
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Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei E-Book

Susanne Schmidt

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Beschreibung

Eine Liebeserklärung an die wilde Welt des öffentlichen Nahverkehrs

Motorpanne am ersten Tag, Bombendrohungen, spontane Partys in ihrem Doppeldecker. Als Busfahrerin in Berlin hat Susanne Schmidt schon alles erlebt. Für sie ist es der schönste Beruf der Welt. Man ist frei, immer unterwegs und Königin der ganzen Stadt.
"Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei" ist eine Liebeserklärung an alle Heldinnen und Helden des Nahverkehrs. Wo Wahn und Witz dicht beieinanderliegen, sich das soziale Mikroklima an jeder Haltestelle ändert und manchmal sogar ein Fuchs zusteigt. Nach der Lektüre werden Sie Ihre nächste Busfahrerin mit anderen Augen sehen.

"Die Neugier der Großstadt ist überall zu finden. Die Suche danach beginnt mit dem Warten auf den nächsten Bus."

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Über das Buch

Eine Liebeserklärung an die wilde Welt des öffentlichen NahverkehrsMotorpanne am ersten Tag, Bombendrohungen, spontane Partys in ihrem Doppeldecker. Als Busfahrerin in Berlin hat Susanne Schmidt schon alles erlebt. Für sie ist es der schönste Beruf der Welt. Man ist frei, immer unterwegs und Königin der ganzen Stadt.»Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei« ist eine Liebeserklärung an alle Heldinnen und Helden des Nahverkehrs. Wo Wahn und Witz dicht beieinanderliegen, sich das soziale Mikroklima an jeder Haltestelle ändert und manchmal sogar ein Fuchs zusteigt. Nach der Lektüre werden Sie Ihre nächste Busfahrerin mit anderen Augen sehen.»Die Neugier der Großstadt ist überall zu finden. Die Suche danach beginnt mit dem Warten auf den nächsten Bus.«

Susanne Schmidt

Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei

Eine Berliner Busfahrerin erzählt

hanserblau

1. Haltestelle

»Ja, ich will!«

Berliner Busfahrer haben sich den weltweiten Respekt, den sie genießen, hart erarbeitet. Sie sind grimmige Helden der Straßen. Vor ihnen wird sogar in Reiseführern gewarnt, was einer Adelung gleichkommt: »Widersprechen Sie nie einem Busfahrer«, »Halten Sie immer Kleingeld bereit«, »Fangen Sie niemals Streit mit einem Busfahrer an«.

Busfahrer sind gleichermaßen gefürchtet und bewundert. Sie haben das Lenkrad fest im Griff, sie machen die Regeln. Sie sind echte Männer.

Dementsprechend groß ist die Überraschung, als plötzlich überall in der Stadt Plakate hängen, auf denen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Frauen ansprechen. Auf Bushaltestellendisplays, in Zeitungsannoncen, in der U-Bahn und sogar im Internet sucht die BVG händeringend »ältere Frauen, die Busfahrerinnen werden wollen. Wir bilden Sie aus, wir stellen Sie ein«. Das klingt so kurios, dass selbst die Nachrichten das Thema aufgreifen.

Studien haben längst bewiesen, dass ältere Frauen weniger Unfälle verursachen und mit Stress besser umgehen können als Männer. Außerdem werden sie nur selten schwanger. Das sind alles gute Gründe für die BVG, ihre Türen zu öffnen und diese neue Spezies hineinzubitten in die heiligen Hallen des männerdominierten Verkehrswesens. Schon 2022 will die BVG satte 25 Prozent Frauenanteil vorweisen können und richtet für dieses ambitionierte Ziel erstmalig reine Frauenklassen ein.

Ich bin so eine ältere Frau und finde die Initiative super. Ab sofort fahre ich mit neuen Augen Bus, beobachte die Fahrer, suche das Gespräch, versuche, ihren Berufsalltag zu erkunden. Dieser Job findet vor aller Augen statt, und dennoch wissen wir so gut wie nichts darüber. Wir werden von Busfahrern durch die Stadt kutschiert, sehen sie an Endhaltestellen im Bus sitzen und hoch konzentriert mit Kugelschreibern kleine Zettel beschreiben. Ich habe mich immer gefragt, warum Busfahrer in ihren Pausen ausgerechnet Kreuzworträtsel lösen, statt zum Beispiel ein bisschen Gymnastik zu machen, ein paar Schritte zu laufen oder einen kleinen Flirt zu wagen. Dass meine Assoziation völlig falsch ist, dass diese Busfahrer ganz und gar keine Kreuzworträtsel lösen, werde ich während der Ausbildung lernen.

Meine Neugier äußert sich in einem Mantra von Fragen: Wie viel Spaß macht es, Busfahrer zu sein? Können Sie den Beruf weiterempfehlen? Und was sind das da eigentlich für Knöpfe, auf die Sie gerade drücken?

Die Fahrer antworten mir voller Inbrunst, sie lieben ihren Beruf. Wir führen freundliche Gespräche zwischen zwei Haltestellen. Sie erzählen mir von der großen Zufriedenheit, die ihnen ihre Arbeit verschafft, aber auch vom Kummer, den sie verursacht. Denn der Schichtbetrieb bringt die Liebe auseinander und erlaubt nur wenig echte Freizeit. Das viele Sitzen schadet der Wirbelsäule, der tägliche Stress geht an die Substanz. Ein zuverlässiges Familienleben ist die Ausnahme. Doch ihre Kritik an den schlechten Arbeitsbedingungen fliegt aus dem offenen Fenster hinaus und verschwindet in den Seitenstraßen. Bei manchen Antworten denke ich gar: »Ach, das ist so typisch Busfahrer: jammern und weinen statt handeln und verändern«, und schäme mich später deswegen.

Die Männer sehen gut aus, scheinen mit sich und der Welt im Einklang; selbstsicher hocken sie wie große, satte Bären hinter ihren Lenkrädern und sind ganz Funktion und Wachsamkeit. Manche Busfahrer wirken eher wie hungrige Grizzlys auf der Suche nach dem nächsten Rivalen. Sie lassen ihre Aggressionen ungeschminkt raus, brüllen, knurren, schnaufen, schaufeln mit großen Händen, drehen weite Runden und haben vor nichts und niemandem Angst. Andere erinnern mich an Pandabären. Sie schaukeln ihre dicken Bäuche gemütlich durch den Tag, nichts bringt sie aus der Ruhe, alles prallt an ihrem dicken Fell ab, aus ihren Gesichtern blinzeln kleine Augen, die alles sehen, aber nichts zeigen. Ein Berliner Busfahrer nimmt Ärger nicht mit nach Hause, was ihm nicht passt, regelt er sofort. Und er ist immer ein Gewinner, denn nur er fährt den Bus.

Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist das Herz der Stadt. Die Wege sind weit in Berlin, zwischen Wohnung und Arbeitsstelle liegen schnell 15 Kilometer und mehr. Aber auch im sonstigen Alltag ist man dankbar und froh über motorisierte Fortbewegungsmittel, die keine ermüdende, oft erfolglose Parkplatzsuche erfordern. Auf allen Wegen, zur Kita, zu Behörden, zum Einkauf, zur Freizeitvergnügung, zum Sport und selbst zum Rendezvous steigt man einfach ein und aus und braucht sich um nichts zu kümmern. Man erspart sich den direkten Kampf im Straßenverkehr, wo bekanntlich das Recht des Stärkeren, des Frecheren, des Rücksichtsloseren herrscht und es zu oft Situationen gibt, die den Puls hochtreiben.

An der immer nahe gelegenen Bushaltestelle dagegen sind Gleichmut und Geduld gefordert. Das Warten auf den fast schon planmäßig verspäteten Bus übt den seltenen Luxus der sinnvollen Langeweile. Teure Kurse in Achtsamkeit und Entschleunigung bekommt man im ÖPNV als Zugabe kostenfrei geliefert. Hier kostet das Ticket für alle das Gleiche. Hier ist jeder einfach Mensch, ungeachtet der persönlichen Hintergründe. Arm und Reich sitzen auf demselben Plastik, Alt und Jung teilen sich dieselbe Haltestange. Menschen, die zur nächsten Party fahren, stehen neben Menschen, die von der Arbeit kommen.

Rund um die Uhr schlägt hier der Puls des Lebens. Nirgendwo in der Stadt ist das unmittelbare Miteinander dichter, direkter, bunter und echter. Und während man in der U- und S-Bahn gerne für die Dauer einer Fahrt abschaltet, Kopfhörer einstöpselt, ein Buch liest, Abstand wahrt, erlebt man im Bus alles mit. Es gibt keine Straßenmusiker, keine Zeitungsverkäuferinnen, nichts lenkt ab von der Nachbarschaft, kein Klatsch und Tratsch geht verloren im Quietschen der Schienen. Die Wege zwischen den Stationen sind kurz genug, um einfach aussteigen zu können, wenn es einem zu viel wird, und lang genug, um zwischen Anfang und Ende der Reise ganze Dramen zu beobachten. Der Platz ist eng, man fühlt die Sitznachbarn nicht nur, auch Gerüche und selbst Stimmungen teilen sich ungefragt mit. Blickkontakt ist hier wichtig, eine unbenannte Solidarität entsteht und vergeht.

Im Bus ist die namenlose Gemeinschaft unter Unbekannten das Netz, das alle sicher ankommen lässt. Traurige bekommen einen gut gemeinten Satz mit, allzu Muntere einen Dämpfer. Tüten und Taschen werden sortiert, Füße in Sicherheit gebracht, schreienden Kindern werden Bonbons gereicht oder Lieder vorgesungen. Freude und Stress werden ungefragt mitgeteilt. Im Bus redet man gerne laut, die anderen können ruhig hören, was einen bewegt. Die Anonymität der Großstadt funktioniert hier unter anderen Regeln, niemand kennt sich, es gibt keine weiterführende Verpflichtung zueinander, und gerade dadurch verliert man die übliche Scheu. Man schaukelt zusammen im Rhythmus, den der Straßenverkehr vorgibt, und taucht ein in den Mikrokosmos des jeweiligen Linienbusses.

Ungedämpft bekommen die Fahrgäste jedes Schlagloch und jedes Bremsmanöver zu spüren und leiten sie an ihre Nachbarn weiter. Nur wenn Stau ist, ist Stau. Daran kann auch der Busfahrer nichts ändern. In manchen Fällen hat dann der Bus die Chance, weiterzufahren. Auf der Busspur am stehenden Verkehr vorbeizurauschen sorgt für ein heimliches Glücksgefühl. Nie wird es langweilig, aus dem Busfenster auf die Autofahrer hinabzublicken. Ein Bus hat im Straßenverkehr für gewöhnlich die meisten PS.

Der Beruf scheint wirklich nur Vorteile zu haben, und ich bin eindeutig eine Frau — also ab mit der Bewerbung in den nächsten Briefkasten und Luft anhalten.

Wenige Monate später schiebt die Briefträgerin einen dicken Umschlag durch den Türschlitz meiner Wohnung: Meine Bewerbung wird angenommen, Termine zur ärztlichen Untersuchung und zum Vorstellungsgespräch liegen bei.

Ich muss mich erst mal setzen. Plötzlich ist es vorbei mit der lässigen Neugier. Atemlos halte ich die Eintrittskarte in ein großes, gelbes Abenteuer in den Händen. Vor mir liegt ein neuer Beruf, eine bisher ungedachte Perspektive.

Prüfend schaue ich in den Spiegel — sieht so eine künftige Busfahrerin aus? Kann ich überhaupt anständig meckern und den heiligen Satz »Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei« streng genug aussprechen?

Statt autoritär und angsteinflößend klinge ich melodisch und brav, immer rutscht mir ein »bitte« zwischen die Aufforderung. Meine Augen leuchten vor Aufregung, der Mund lächelt sogar. Na, wenigstens sind die Haare grau, das wird schon werden, mache ich mir selber Mut und stolpere die Treppen hoch zum Betriebsarzt.

Der erste Schritt in die Verkehrsakademie eröffnet mir eine großartige Welt. Das Gebäude ist so schön, ich finde alles spannend und bin damit nicht allein: Es sitzen schon einige Frauen im Wartebereich und versuchen, ihre Nervosität in den Griff zu bekommen.

Wir werden in einen Unterrichtsraum geführt. Hier wird unser Schulwissen geprüft. Wir sitzen still und hoch konzentriert vor Fragen der Grundrechenarten und beweisen, dass Teilen, Malnehmen, Abziehen und Zusammenrechnen keine Unbekannten für uns sind. Es folgt ein Test, der unterschiedliche Situationen vorgibt und jeweils mehrere Antworten zur Auswahl stellt. So steigen zum Beispiel Menschen mit offenen Bierflaschen in den Bus, oder jemand drückt den Halteknopf und moniert, dass diese Handlung für die Fahrgäste um ihn herum kein deutliches Zeichen ist, Platz zu machen. Jeder könnte schließlich sehen, dass er aussteigen wolle.

Die Antwortmöglichkeiten variieren von Provokation bis Deeskalation. Zum Schluss bekommen wir einen kurzen Aufsatz zu lesen. Innerhalb einer großzügig bemessenen Zeit sollen wir den Inhalt des Textes erfassen und danach in eigenen Worten wiedergeben. Besonders wichtig ist hier, keine Nacherzählung zu verfassen, sondern nur zu schildern, was im Aufsatz passiert.

Die Auswertung dieser Prüfung erfolgt unverzüglich. Alle, die bestanden haben, werden gebeten, im Flur auf das gleich folgende Vorstellungsgespräch zu warten.

Mein Name wird aufgerufen. Ich sitze an einem langen Tisch und blicke in eine ganze Reihe abschätzender Augen. Um keine Gemütlichkeit aufkommen zu lassen, sind die Rollen klar verteilt. Neben den vielen Repräsentanten der BVG sitzt mir auch die Frauenbeauftragte gegenüber, und alle stellen Fragen. Ich bin so sicher, nicht genommen zu werden, dass meine Antworten spontan und locker über die breite Tischplatte segeln. Der Chef fragt zum Schluss nach meinen Hobbys. Hobbys hab ich nicht — aber ich unternehme an den Wochenenden regelmäßig Fahrradtouren in Brandenburg und erzähle von den Schönheiten der stillen, weiten Natur. Schnell schwärmen wir gemeinsam von herrlich vertrödelten Stunden an einsamen Seen und tauschen Tipps aus, wo es gute Fahrradwege gibt und trotzdem wenig Leute.

Danach begleitet mich der Chef hinaus, nimmt mich im Flur väterlich in den Arm und sagt, damit hätte ich sie alle überzeugt.

Noch am gleichen Tag klingelt das Telefon, und nun ist es amtlich: Ja, ich werde Busfahrerin!

Den Termin zur Vertragsunterzeichnung male ich mir blau in den Kalender. Wir Frauen treffen nach und nach in der BVG-Hauptverwaltung ein. Es ist ein beeindruckendes Hochhaus mit dreizehn Stockwerken und dementsprechend vielen Kilometern Flur. Alles in dezenten Tönen gehalten. Schmutzabweisend. Wir bekommen Etagen zugewiesen, improvisierte Sitzecken. Uns einen erst mal nur drei Dinge: Wir sind Frauen, Berlinerinnen und fest entschlossen.

Statt der erwarteten Feierlichkeit — schließlich unterzeichnen wir hier den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt und sind gleichzeitig die diesjährigen Protagonistinnen eines wagemutigen BVG-Experiments — sind Aufzüge und Flure erfüllt von Hektik. Das Haus scheint nicht auf uns vorbereitet zu sein. Es gibt nicht genug Platz, wir ernten seltsame Blicke. Ich bilde mir ein, hinter hastig verschlossenen Türen die Stimmen der Zweifler zu hören: Vielleicht ist das Experiment einfach zu gewagt? Können Frauen das Busfahren genauso lernen wie Männer? Sind diese rätselhaften Geschöpfe der Natur wirklich in der Lage, Pedale zu treten, Lenkräder zu bewegen, eine Straße zu überblicken?

Alle Zimmer sind voll belegt. (Womit wohl? Ich stelle mir Kuchenorgien vor, Angestellte, die juchzend auf Tischen tanzen, alkoholfreie Champagnerbrunnen, Knutschereien unter psychedelisch gemusterten Schreibtischen, Männer, die mit kleinen Eisenbahnen spielen.) Wegen des Platzmangels hat die BVG-Verwaltung unsere Tische einfach auf die Flure gestellt. Den Eintritt in den Öffentlichen Dienst hatte ich mir anders vorgestellt. Doch viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht — schon werden wir aufgerufen, eilen an unsere Plätze. Ich beginne, den vielseitigen Vertrag sorgfältig durchzulesen. Damit hat hier niemand gerechnet. Weil bald Mittagspause ist und die Ersten schon ungeduldig warten, vertraue ich schließlich dem geschriebenen Wort und setze meine Unterschrift sorgfältig und innerlich singend auf die vorgeschriebene Linie. Als Belohnung bekomme ich ein gelbes Ansteckherz. Der Werbeslogan der BVG lautet »Weil wir Dich lieben«, und das kleine Herz scheint mir wie ein schönes Versprechen dieser Liebe. Ich packe es sorgfältig in meine Tasche und hole tief Luft. Dann trage ich meine Zukunft zum Treppenhaus, hüpfe die Stufen hinunter und rufe ein lautes »Juhu« in den riesigen Bau.

Was ist das A und O einer zukünftigen Busfahrerin? Richtig geraten, meine Damen: die Bekleidung. Vom ersten Ausbildungstag an unterstützt die korrekte Berufsbekleidung das Wollen und Werden. Und so führen die ersten Schritte uns circa vierzig Frauen nicht etwa in die Schulungsräume oder gar in die Fahrschule, sondern ins Modeinstitut Berlin. Ich habe einen leeren Rollkoffer dabei und ertrage den Spott meiner Mitstreiterinnen mit einem stillen Lächeln.

Es ist ein schwüler Frühsommertag mit Temperaturen um die dreißig Grad. Die Anprobe der Winterhosen, langen Hemden und dicken Jacken ist so schweißtreibend wie wunderbar. Mit jedem weiteren Kleidungsstück verwandele ich mich ein kleines bisschen mehr von einer eher schön eigenwillig aussehenden Frau in ein adrett gekleidetes, respektables Mitglied der BVG. Ich mag die Schnitte, Stoffe, Farben. Nur den Rock lehne ich ab, denn ich stelle es mir unangenehm vor, mit knielangem Rock hinterm Steuer zu sitzen und meine Beine allen Blicken ausgesetzt zu wissen.

Die Farben der BVG sind Blau, Gelb und Weiß, und so sind auch die Jacken, Hosen, Hemden, Westen, Tücher, Winterjacken, Schals, Pullover, Handschuhe, Röcke, Strickjacken, Blazer, Caps. Jede Frau bekommt über dreißig Kleidungsstücke. Am Morgen haben mich die anderen noch für meinen leeren Rollkoffer aufgezogen, jetzt werfen sie ihm sehnsüchtige Blicke zu. Der Koffer geht gerade noch zu. Zu Hause blättere ich lange in Möbelkatalogen, denn mein Kleiderschrank ist nicht groß genug.

Meine Freunde, Verwandten und Bekannten sind fast noch neugieriger auf meinen Beruf als ich. Besonders spannend ist das offene Leid der Männer. Es stellt sich heraus, dass praktisch jeder Mann in meinem Umfeld den geheimen Wunsch hegt, den großen Führerschein zu machen, und jetzt neidisch ist, dass mir dieser Wunsch erfüllt wird.

Sie schauen mich mit traurigen Blicken an. »Busfahrer war immer mein Traumberuf, schon als kleiner Junge wollte ich Busfahrer werden. Und jetzt wirst du das? Einfach so?«

Dass dazu eine große Bereitschaft nötig ist, dass ich Wochen und Monate die Schulbank drücken muss, für Prüfungen lerne und aus der eigenen Bequemlichkeit aussteige, ist nebensächlich. Sie sitzen mir gegenüber, schlürfen dramatisch seufzend Wein und erklären mir die Ungerechtigkeit der Welt. Ich bekomme Angebote, mir beim Lernen zu helfen, mich abzufragen, meine technischen Lücken zu füllen: »Ruf mich einfach an, wenn du was nicht verstehst.« Und falls sie selbst irgendwas noch nicht wüssten, könnten wir dann halt gemeinsam auf meinem Balkon in den neuen Lehrbüchern lesen und sie würden es mir dann mit eigenen Worten erklären. So könnte ich den Stoff besser verstehen und schneller im Gedächtnis behalten: »Da hat sich so viel verändert in den letzten dreißig Jahren«, schwärmen sie und halten Vorträge über Schmieröle, Bremsbeläge, Reifenmaterialien. Ich nicke verständnisvoll und verspreche, in engem Austausch zu bleiben. Ihre Ausreden, warum sie nicht einfach in die Fahrschule gehen und sich selbst für den Führerschein anmelden, sind weitschweifig und kompliziert.

Die Frauen in meinem Freundinnen- und Bekanntenkreis reagieren ganz anders. Sie sind bass erstaunt über meine Entscheidung. Sie sorgen sich um mich und versuchen, mir die immense Kraft vor Augen zu führen, der es bedarf, um in einem solchen Männerbetrieb Fuß zu fassen.

»Du hast dann Schichtdienst, wie willst du das schaffen?«

»Schichtdienst macht bestimmt Spaß«, antworte ich. »Diese Abwechslung finde ich gerade spannend! Das macht die Arbeit doch so schön, dass ich auch mal nachts fahren werde und am Wochenende. Das wird nie langweilig.«

Sie schwanken kurz, das Argument gefällt ihnen. Doch dann sagen sie wieder: »Aber das ist die BVG, die B — V — G! Wir wissen doch, was das für ein verstaubter Verein ist. Und das sind alles Männer! Da hat sich nichts verändert in den letzten 30 Jahren, du passt da doch gar nicht rein.« Sie sind sich einig und schütteln die Köpfe über meine Zukunftspläne. »Wie willst du das überleben?«, fragen sie ernst und besorgt. Sie kennen meine Verletzlichkeit, sie wissen, was mir nicht guttut. Aber sie kennen ebenfalls die große Abenteuerlust, die mich durchs Leben treibt und Türen öffnen lässt, die andere lieber fest verschlossen halten. Sie wissen, dass ich mutig bin, zäh, wissbegierig, dass unbekannte Arbeitswelten mich ähnlich faszinieren wie Literatur, Filme, Theaterstücke, Kunst. Uns verbindet die Liebe zur Großstadt mit all ihren Facetten. Wir lachen über unsere Fantastereien, was ich alles erleben werde, wer in meinen Bus einsteigen, was mir unterwegs begegnen wird.

Über eine Sache sind wir uns einig: Wie toll, dass endlich mal das Alter und die Erfahrung gesucht werden! Niemals hätten wir gedacht, dass ausgerechnet die BVG so modern voranschreitet.

Am Ende stellen sie alle die gleiche Frage: »Willst du wirklich Busfahrerin werden?«

Und meine Antwort ist jedes Mal: »Ja, ich will!«

2. Haltestelle

»Mädels, wir machen Männer aus euch!«

Am frühen Morgen des ersten Arbeitstages stehe ich erst lange vor dem Spiegel, dann noch länger vor der Wohnungstür. Die Wirkung meiner Arbeitskleidung ist verblüffend. Bisher war das Abenteuer BVG mein ganz privates Zukunftsprojekt. Aber nun kann alle Welt sehen, was ich werden will, mit dem Anziehen der grauen Hose, des weißen Hemds, der dunkelblauen Jacke verschwindet mein Individualismus, mein Ich-Sein. Ich muss mich meinen Mitmenschen offenbaren, es gibt jetzt nur alles zeigen oder nichts werden.

Ganz leise öffne ich die Wohnungstür, schleiche die Treppen auf Zehenspitzen hinunter, hoffe, dass die Nachbarn in meiner kleinen Straße noch schlafen, und eile so unauffällig wie möglich zur U-Bahn.

Den Kopf gesenkt, die Augen auf den Dreck am Boden gerichtet, quetsche ich mich in den vollen Waggon und fühle mich so nackt wie nie.

Doch dann plötzlich eine Bewegung, die Leute in der U-Bahn rücken zusammen, machen mir Platz! Als ich mich mit einem schüchternen Nicken bedanke, sehe ich in freundliche Gesichter! Manche lächeln sogar kurz. Die BVG-Klamotten, die mich so verunsichern, lösen bei anderen das genaue Gegenteil aus. Und schon nimmt mich ein älteres Ehepaar in Anspruch: »Guckense mal da, dit muss doch nich’ sein«, sagen sie und zeigen auf ein paar Schülerinnen, die sich mit ein bisschen Musik in dezenter Lautstärke das Morgengrauen vertreiben. »Könnense da nich’ was machen? Ob die überhaupt ’n Fahrschein haben, weeß man och nich’, wissense. Wir haben jedenfalls einen. Wollense den mal sehen? Billig war der nich’, warum ist der eijentlich so teuer, Sie können uns das ruhich verraten, wir sagens auch nich’ weiter.«

Diese Situation ist so fremd, ich möchte die Hände tief in die Hosentaschen versenken, die Schultern hochziehen und ein bisschen unsichtbar werden. Dumm nur, dass ich die zugenähten Taschen noch nicht aufgetrennt habe. An der nächsten Station steige ich spontan aus, um durchzuatmen. »Hilft ja alles nichts«, spreche ich mir Mut zu, hole tief Luft, strecke mich und steige dann in die nächste U-Bahn einfach so ein, als hätte ich mein liebstes Sommerkleid an. Ein paar Leute springen schnell aus den sich schließenden Türen — sie haben mein Blau verwechselt mit der Kleidung der Fahrkartenkontrolleure. Das ist lustig! Alle reden immer von der Wirkung der richtigen Kleidung im richtigen Moment, aber so deutlich wie hier zeigt sich die Wahrheit dieser Aussage nur selten.

Etwas später als geplant, aber immer noch zu früh, schreite ich die Auffahrt zur Verkehrsakademie hoch und bleibe vor der geschlossenen Tür stehen. Die Pförtnerloge ist voll besetzt. Ich stelle mich direkt vor das Fenster und weise auf das BVG-Logo an meiner Jacke. »Guten Morgen, ich komm jetzt öfters«, sage ich voller Elan. »Das kann ja jeder behaupten«, brummt es mir entgegen, und alle drei Pförtner nicken. »Name?«, fragt einer in unnachahmlicher Berliner Art. »Hab ich.« — »Und wie heißt der?« — »Da muss ich nachdenken.« So geht es noch ein Weilchen hin und her. Dann haben sie mich in der Liste gefunden, abgehakt und auf den Türöffner gedrückt. Das altehrwürdige Gebäude summt vor Aufregung. Vor den Türen zur Akademie stehen jede Menge Busfahrer und tun so, als ob sie immer da stünden. Mehr oder weniger diskret begutachten sie jede Frau und tuscheln. Ein paar ganz Mutige fragen die Frauen ihrer Wahl nach Feuer und bieten großzügig Zigaretten an. Schnelle Blicke werden hin und her geworfen, es wird erwartungsvoll gekichert.

Stufe für Stufe erklimme ich feierlich die Holztreppe in den ersten Stock. An den Wänden bezeugen große Gemälde den Werdegang des öffentlichen Verkehrswesen. Die ersten Wagen wurden von Pferden gezogen. Die aktuellsten Modelle werden demnächst von mir gelenkt.

Der Unterrichtsraum ist groß, mit einer Fensterfront an jeder Seite. Ich setze mich an einen Tisch, von dem aus ich sowohl die Tafel gut sehe als auch die Blicke aus dem Fenster schweifen lassen kann. Wir sind aufgeregt. Manche der Frauen kennen sich schon länger und sitzen zusammen, andere laufen geschäftig hin und her, auf der Suche nach möglichen Allianzen und Freundschaften.

Und dann rauscht der Leiter der Verkehrsakademie rein, im Schlepptau unsere zukünftigen Ausbilder und die Sekretärin.

Er begrüßt uns mit einem knappen »Guten Morgen, meine Damen. Da wären wir also«, fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Rolle. Die jahrelang vor hunderten von jungen Männern geübten Begrüßungsfloskeln passen hier nicht, das ist ihm klar, und dafür mag ich ihn. Er kennt sich einfach nicht aus mit so viel Weiblichkeit in einem Zimmer, weiß kaum, wohin mit seinen Augen, wischt sich immer wieder die Hände am Sakko ab. Ich hatte mich auf eine kleine Rede gefreut, auf ein paar besondere Begrüßungsworte, auf eine ausgesprochene Anerkennung unseres Mutes und der ungewöhnlichen Situation. Stattdessen flüchtet er sich in väterlich strenge Floskeln: »Und damit wir uns gleich richtig verstehen: Ich erwarte fleißiges Lernen und stete Beachtung der Hausregeln. Wem das nicht passt, der ist hier nicht richtig. Ich glaube, wir kommen alle gut miteinander aus, wenn ihr das beachtet.« Deutlich überfordert gibt er an die Ausbilder ab, während die Sekretärin noch schnell die Ausleiheformalitäten der Unterrichtsbücher und die Handhabung mit Krankschreibungen und sonstigen Fehlzeiten erklärt. Dann atmet er auf und verlässt eilig den Raum.

Wir sitzen weiterhin brav und ruhig auf unseren Stühlen. Der erste Ausbilder, Herr M., stützt sich schwer auf den mächtigen Lehrertisch, der ihn vor uns beschützt, und schaut wütend in die Runde. »Guten Tag also«, beginnt er und lässt ein paar Sekunden verstreichen. »Ihr glaubt wohl, nur weil ihr Frauen seid, kommt ihr her und schnappt uns unsere Jobs weg«, schnauft er. »Aber«, fährt er fort, und dieses »aber« ist sehr lang gezogen, »aber da habt ihr euch geschnitten!«

Ich bin begeistert. Mit so viel Offenheit hatte ich nicht im Traum gerechnet. »Das kann ja lustig werden«, denke ich und will mich schon melden, um zu versprechen, dass wir das nun wirklich nicht planen. Doch da hat er sich längst umgedreht und mit dem Unterricht begonnen. Wir sind die Schülerinnen und er ist unser Meister. Nun wissen wir das auch.

In der Pause suche ich die Solidarität der anderen, um gemeinsam über die Darbietung der Ausbilder lachen zu können. Doch diejenigen, die ich darauf anspreche, wiegeln ab, nehmen die Männer in Schutz und mir den Wind aus den Segeln. Wir sind ja auch zum Lernen hier, denke ich. Fortan sitze ich hoch konzentriert an meinem Platz, mache Notizen, stelle Fragen zu technischen Themen, lache mit meinen Tischnachbarinnen und habe zu Hause immer was zu erzählen.

Hinter mir sitzt Bibi. Sie hat die letzten zwanzig Jahre im gut gehenden Geschäft ihres Mannes gearbeitet — ohne Vertrag, »war ja alles Familie« — und sucht jetzt, nach einer ungerechten Trennung, eine Perspektive, etwas Solides. Bibi hat viel gearbeitet, zwei Kinder, aber nie eine weiterführende Schulbank gedrückt. Ihr fällt es schwer, wie vielen anderen Frauen auch, jetzt dem Unterricht zu folgen. Zumal der Unterricht keine Rücksicht darauf nimmt, dass die meisten Schülerinnen morgens schon Kinder versorgt haben und abends sehnsüchtig zur Hausarbeit, zum Kartoffelschälen und Essenkochen, zum Trösten und Knuddeln erwartet werden.

Das Lernen müssen wir neu lernen. Nach Jahrzehnten plötzlich wieder in einer Schulklasse zu sitzen, still sein zu müssen, sich Notizen zu machen, dem Unterricht zu folgen und die Inhalte zu verstehen oder mindestens bis zur Prüfung im Kopf zu behalten, ist eine Herausforderung, die viel zu oft als selbstverständlich vorausgesetzt wird. »Pssst, psst — was hat er gesagt? Hast du das kapiert?«, fragt Bibi mich alle paar Minuten im Flüsterton, und wenn ich mich nicht umdrehe, zupft und piekst sie an meinem Kragen: »Sag doch mal, was er meint, wie heißt dieses Wort, was bedeutet das? Kannst du es mir aufschreiben?« Alles ganz unauffällig natürlich. »Auf welcher Seite sind wir eigentlich? Psst, sag mal schnell, Seite siebenunddreißig?« Wir sind auf Seite zwölf, und ich muss schon wieder lachen, denn jetzt hat Bibi mir einen kleinen Zettel zugeworfen. »Hi Süße, was ist diese Kinematische Kette? Sag’s mir schnell, dann schenk ich dir eine Flasche Dosenbier.« Dazu hat sie kleine Herzchen und ein lachendes Gesicht gemalt. Dieses Gespräch ist genauso schön wie früher in der Schule, vor über vierzig Jahren.

Neben mir sitzt Katja. Sie hat vor Jahren die Verantwortung für einen kleinen vernachlässigten Jungen übernommen. Auch sie ist voller Hoffnung auf eine krisensichere Zukunft. Katja ist in Ostdeutschland aufgewachsen, wie viele andere in der Klasse auch. In der DDR war Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ein bisschen weiter gediehen als im Westen: Frauen mit Babys gingen genauso selbstverständlich Vollzeit arbeiten wie Männer ohne Babys.

In der Kantine suche ich Anschluss. Hier zelebrieren zu jeder Tageszeit Busfahrer ihre Pause. Es gibt Eisbein mit Sauerkraut, Bratwurst mit Pommes, Kartoffelsalat mit Kotelett. Dicke Sahnesoßen verbinden sich mit Bratkartoffeln, Kartoffelpüree, Kroketten. In einer trüben Ecke steht ein sogenanntes Salatbuffet mit Mais, dünnen Gurkenscheiben, Tomatenstücken. Die Busfahrer lieben ihre Kantine. Ob diese Teller voller Fleisch, Fett und Sättigungsbeilagen eine Entschädigung, eine Belohnung, eine Bestätigung gar sind für die vielen unsichtbaren Stunden hinterm Steuer, für die endlosen Kilometer, die sie sich durch den Straßenverkehr quälen? Am Tresen gibt es Süßigkeiten und Schokoladenriegel zu verbilligten Preisen, und wer genau hinguckt, entdeckt auch die Obst-Etagere: Ein paar Bananen und Äpfel liegen da gemütlich schlafend und erschrecken leise, wenn ihre Namen doch mal ausgesprochen werden.

Jede Frau ist hier willkommen, besonders, wenn sie auch gern deftig isst und schön zuhört. Die Gespräche drehen sich um die Eigenarten der Ausbilder, um die Besonderheiten der Unterrichtseinheiten und die Prüfungen. Die Männer beruhigen: »Zerbrich dir da mal deinen schönen Kopf nich, Mädel, das Vierkreisschutzventil ist doch ganz einfach. Das kapierst du schon noch.« — »Ihr habt den Meier? Den hatte ich auch, der ist streng. Der versteht keinen Spaß. Ich weiß noch, wie der uns damals getriezt hat mit seinen stundenlangen Vorträgen. Der Benno ist sogar mal eingeschlafen bei dem. Da war was los!« — »Aber gerecht ist der Meier. Der ist voll anständig. Ihr dürft den bloß nicht ärgern, immer brav sein, falls ihr das könnt. Und keine schöne Augen machen, der ist verheiratet.« — »Du auch, Mann. Hast du deinen Ehering heute früh wieder ins Portemonnaie gepackt?«

Keine von uns Frauen sucht Freundschaften, dafür ist die Ausbildung zu kurz und unser Leben schon zu lang. Doch nach und nach kommen wir uns etwas näher. Einige Kolleginnen haben nach der Schule keine Ausbildung gemacht. Sie hatten Gelegenheitsjobs, Ehen, Scheidungen. Sie wurden schwanger, kümmerten sich um Kinder, um die alten Eltern, die jungen Geschwister, ums Geld, um die Liebe und fanden zwischen den täglichen Pflichten keinen Platz, keine Zeit für sich selbst. Die wenigen stillen Momente voller Gedanken an die eigene Zukunft brachten immer die gleiche Formel: »Wird schon werden, irgendwie. Das Leben geht immer weiter, das steht fest.«

Für manche Frauen ist »Busfahren« ihr Traumberuf, es war nur nie genug Geld auf der hohen Kante, um sich die Erfüllung leisten zu können. Andere haben eine gute Ausbildung, entweder Kinder, die aus dem Gröbsten raus sind, oder eine Familie, die sie mit dem Busfahren unterstützen. Diese Frauen wollen mehr, sie stellen sich der Herausforderung, in unsicheren Zeiten noch einmal von vorn anzufangen. Und dann gibt es die besonderen Frauen. Sie kennen einen Vorgesetzten, Ausbilder oder Busfahrer und erwarten sich davon persönliche Vorteile. Sie haben jemanden in der Verwandtschaft, der bei der BVG beschäftigt ist, und fühlen sich auserwählt. Bei jeder Gelegenheit erzählen sie davon und weben geschickt in die Unterhaltungen ein, dass sie einfach besser Bescheid wissen als wir anderen.

Insgesamt sind wir also eine ganz durchschnittliche Gruppe, die Jüngsten Anfang dreißig, die Ältesten über fünfzig, stolz, stark, voller Lebenslust und Erfahrungen. Alle eint die Hoffnung auf einen fairen, sicheren Platz im Arbeitsleben bis zur Rente. Unsere Vorstellungen von unserem Beruf sind ähnlich: trotz der Routine ein abwechslungsreicher Alltag, zuverlässiger Lohn, angemessene Zustände.

Die BVG zahlt uns vom ersten Ausbildungstag an ein monatliches Gehalt. Nur so ist es überhaupt möglich, mitten im Leben den Beruf zu wechseln, eine neue Erwerbstätigkeit zu erlernen. »So viel hab ich noch nie verdient«, erzählt Anne voller Stolz. »Mein Vater hat schon Pläne gemacht, wie ich mir bald ein Häuschen kaufen kann.« (So viel Gehalt bekommen wir während der Ausbildung dann auch wieder nicht, mehr als das Existenzminimum zwar schon, aber nicht sehr viel mehr.) Anne hat direkt nach der Schule eine Arbeit im Verkauf begonnen und die letzten fünfundzwanzig Jahre täglich acht Stunden hinter der Kasse gestanden.

Den einen liegt die Technik mehr, den anderen das Fahren. Und wie überall gibt es ein paar, die sich unfassbar gerne über die vermeintlichen Fehler oder das Unwissen der anderen lustig machen. Jeder Unterrichtstag bringt neue zwischenmenschliche Reibungen. Ich verstehe vor allem die Konkurrenz nicht, die einige Frauen untereinander verspüren.