Magische Elternrealität 1-4 - Rega Kerner - E-Book

Magische Elternrealität 1-4 E-Book

Rega Kerner

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Beschreibung

»Mama, speichert der Weihnachtsmann die Wunschzettel im Smartphone? Kauft der Osterhase die Bio-Eier auch bei Aldi?« Die alleinerziehende Mutter Maria zermartert sich ihr Hirn über Weihnachtstradition und Osterbrauchtum. Wie kann sie hoffnungsvolle Kinderfragen beantworten - ohne zu lügen? Tochter Tomke mixt Wahrheit und Mythos ungeniert, denn die magischen Gabenbringer mischen sich dreist in ihr reales Leben ein: Nikoläuse verschiedener Länder prallen am Himmelszelt aufeinander. Der Weihnachtsmann muss einen Nebenjob auf dem Bremer Weihnachtsmarkt annehmen. Ein Streik im Hühnerstall stoppt die Ostereier-Ausgabe. Dem Osterfeuer droht himmlische Sturmgefahr und allüberall klopft zu den Festagen auch noch der Tierschutz an die Gewissenstür. Bei dem Durcheinander darf der Osterhase auch mal zu Weihnachten auftreten. Maria seufzt, wie alle Eltern: »Nur nie den Humor verlieren!« --------------------- Vier amüsante Novellen aus Bremen. Urkomischer Lesespaß mit Tiefgang: Neben Dauerschmunzeln liefern die Geschichten auch augenzwinkernd Hintergründe zu den Festtagen und mögliche Antworten auf die unausweichlichen Kinderzweifel beim Heranwachsen. Insbesondere - aber nicht nur - ein "must read" für Eltern und alle Erwachsenen, die mit Kindern zu tun haben!

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Rega Kerner

Magische Elternrealität

Weihnachten und Ostern mit Kind

Novellen 1 bis 4

© 2019

E-Book: medienschiff.de

Printausgabe: Edition Falkenberg

Illustrationen: Nicole Fabert

Lektorat Einzelfolgen: Marita Pfaff

Endlektorat Sammelband: Edition Falkenberg

Umschlag: "Cover dein Buch", medienschiff.de

--> Webseite zum Buch & zur Reihe

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Magische Elternrealität Folge 1:

Glaubenskrieg der Nikoläuse

Nikolausgedicht:

Am fünften Dezember

Ostergedicht:

Hauptsache

Magische Elternrealität Folge 2:

Glaubenszweifel der Osterhasen

Weihnachtsgedicht:

Weihnachtsmarktmann

Magische Elternrealität Folge 3:

Glaubst du an den Weihnachtsmarktmann?

Ostergedicht:

Osterhasenplage

Magische Elternrealität Folge 4:

Glaubensflamme des Osterfeuers

Adventsgedicht:

Wer rennt im Advent?

Vita & Werke, also mehr von:

Tomke, Maria und der Autorin

Leseprobe:

Schiffschwein Spekje

Tier- Humor- sowie Schifffahrtsroman

Impressum

♦♦♦

Magische Elternrealität 1:

Glaubenskrieg der Nikoläuse

In Holland kommt 'Sinterklaas' mit seinem Gehilfen 'Zwarte Piet' bereits am 5. Dezember zu den Kindern, während der deutsche Nikolaus noch seine Rentiere für morgen warmlaufen lässt. Wenn beide zusammenstoßen, ergibt das einen himmlischen Unfall mit menschlichen Folgen:

Piet hing über der Reling und fütterte die Fische. Alle Jahre wieder wurde ihm speiübel, sobald die 'Pakjesboot 12' in Spanien ablegte, und dieses Leid dauerte endlose Tage an, bis zur Ankunft in Holland. Es blieb ihm ein Rätsel, warum sein Chef in Himmels Namen auf die Überfahrt mit diesem elenden Kutter bestand. Es gab doch Flugzeuge, bereits eine gefühlte Ewigkeit lang. »Ach, nach drei Stündchen klimatisierter Reise bei ausgezeichneter Verköstigung landen in Amsterdam-Schiphol, vom politischen Komitee auf rotem Teppich begrüßt, das wäre mal fortschrittlich!«, jammerte er und unterdrückte den nächsten Würgereiz. Sinterklaas trat lächelnd neben seinen schwarzen, momentan eher grünen Gehilfen, lüftete umständlich die goldverzierte Bischofsrobe und pinkelte über Bord. »Na, zwarte Piet, gaat het? Jetzt hast du es ja bald wieder überstanden«, zwinkerte er verständnisvoll, dabei auf ein paar historische Windmühlen weisend, die seit Jahrhunderten nicht weit von ihrem Zielhafen mit den Flügeln klapperten.

Am Ufer unter der ersten Windmühle spielte ein zierliches, blondes Mädchen, warf einen Stein in die Wellen, beobachtete den Verlauf der Kringel, bis die Bugwelle des Schiffes diese auflöste und riss entsetzt die Augen auf: »Der Mann da auf dem Wasser macht seinen Rock auf!« Ihre Mutter schrak aus Grübeleien, wie sie den Süßigkeitenkonsum dieser Adventszeit beschränken könnte, hoch. Sie sah weder Mann noch Schiff, zog ihre Tochter aber sicherheitshalber am Ärmel zum Auto: »Es wird kalt. Komm, steig wieder ein, wir müssen noch ein ganzes Stück fahren bis wir in Deutschland sind.« Auf der Autobahn lehnte die Mutter sich fast entspannt zurück, der Pflichtbesuch beim holländischen Kindsvater war wieder geschafft. Übermorgen Abend nur nicht vergessen die Nikolaus-Stiefel rauszustellen, danach könnte sie sich auf den nahenden Weihnachtsstress besinnen.

Die spitzen, niedrigen Dächer Hollands fegten unter dem Schimmel des Sinterklaas dahin, ängstlich hinter dem Sattel kauernd, umklammerte Piet die Taille des Reiters. Die Seefahrt war schrecklich, aber dieses gehetzte Gefliege hasste er noch mehr. Insgeheim hoffte er deshalb, dass die Niederländer ihn endlich aus seinem Amt entlassen würden, auch wenn ihn die Gründe der seit 2013 engagiert darüber diskutierenden Erdenbürger eher amüsierten. Denn Piet empfand seine eigene Hautfarbe keineswegs als diskriminierend, wie sollte er auch. Dass er nicht mehr böse sein durfte schon eher. Bis in die siebziger Jahre erwartete man von ihm die Rute. Er war eine Respektsperson wie es sich für Heiligenbegleitungen gehörte, um dem Guten die Drecksarbeit abzunehmen. Aber plötzlich wurde er zum lächelnden Dienstleister degradiert. Diese ständige Nettigkeit, egal was die Rotzlöffel anstellten, war ganz schön anstrengend und raubte ihm irgendwie den inneren Daseinszweck. Und jetzt ging es ihm auch noch an die Farbe. Wer war er schon noch? Ein aufgeputzter Sackträger? Sinterklaas warf seinem Mitreiter einen mahnenden Blick über die Schulter zu: »Jetzt drück mich doch nicht so, du fällst schon nicht runter, ich kann ja kaum atmen!« Dabei achtete er einen Moment nicht auf den sie umgebenden, scheinbar freien Luftraum. Man sollte sich nie von ruhiger Verkehrslage einlullen lassen, oft ist es die Ruhe vor dem Sturm. »Achtung!«, brüllte Piet noch, als er den leuchtenden Stern im Augenwinkel auf sie zurasen sah. Jener Stern, der dreizackig die Spitze des riesigen Schlittens mit den acht wildgewordenen Rentieren zierte, welcher von links hinter den Dächern der deutschen Grenze aufstieg und auf direkten Kollisionskurs ging. Sinterklaas riss am Zügel und dem Schimmel fast die Zähne heraus, um sich mit einem riesigen Satz zu retten, der sie ein paar Kilometer über die Grenze nach Deutschland katapultierte. Durch dieses Notmanöver verhinderte er glücklicherweise die Vernichtung zweier Heiliger, nur einen Sack Süßigkeiten fetzte die Kufe des Schlittens von seiner Satteltasche. Kleine, runde, braune Kekse rieselten wie harte Geschosse zur Erde nieder.

Es hagelte Pepernotjes. Holländische Pfeffernüsse. Die Mutter erwachte von blauen Flecken übersät, rieb sich die schmerzenden Stellen und schüttelte verwirrt die Kekskrümel von ihrer Bettdecke. Kurz meinte sie, ein weißes Pferd mit zwei Reitern würde vorm Fenster vorbeisegeln, schob diese Halluzination aber auf halbschlafende Nachwirkungen des Gesprächs vom Vorabend. Denn ihre fünfjährige, aufgeweckte Tochter hatte beim Abendbrot wieder mit ausschweifender Phantasie geglänzt: »Mama, ich hab den Penis von Sinterklaas gesehen!« Verständlicherweise rutschte der Mutter spontan etwas Speise in den falschen Hals. Sie hieß übrigens Maria. Das ist jetzt aber wirklich ein ganz dummer Zufall, ihre Eltern konnten doch nicht ahnen, dass sie mal in einer Weihnachtsgeschichte auftreten müsste. Noch weniger, dass sie eines Tages gezwungen wäre sich mit Geschlechtsteilen von Heiligen zu beschäftigen. »Ich weiß nicht ob Sinterklaas einen … hat«, hüstelte sie verlegen das Brotstückchen aus der Luftröhre. »Alle Männer haben einen Penis, das hast du selbst gesagt!« »Jaja, stimmt schon. Aber der Nikolaus ist ja mehr so ein bisschen heilig«, setzte Maria sich der Gefahr aus, genau zu erklären, was unheilig wäre. Dieser Kelch ging glücklicherweise an ihr vorüber: »Ob der deutsche Nikolaus einen hat, weiß ich auch nicht, aber den vom holländischen Nikolaus hab ich gesehen!«, beharrte das Kind trotzig. Die Mutter hatte jene Bemerkung am menschenleeren Strand natürlich nicht ernst genommen und längst vergessen. »Aber Tomke, gibt es denn nicht nur einen Nikolaus?«, versuchte sie das Gespräch auf jugendfreies Terrain zu lotsen. Ohne zu lügen und ohne zu ahnen, welch inneren Krieg sie mit dieser Frage lostrat. »Nein, einer allein kann es nicht allen Kindern besorgen. In Holland kommt ja der Sinterklaas, den haben wir bei Papa in der Stadt gesehen. Der ist viel reicher, genauso wie Papa und alle anderen Holländer. Der hat nämlich ein Pferd und ein Boot und einen Angestellten und viel mehr richtige Geschenke und viel goldenere Klamotten an. Der deutsche Nikolaus kommt ja nur mit dem alten Schlitten und Süßigkeiten«, trumpfte Tomke mit mehr Erinnerung auf, als die Mutter vermutet hatte. Sie war doch erst zwei gewesen, als sie einmalig dem traditionellen Einzug des Sinterklaas beigewohnt hatten, kurz vor der Trennung vom holländischen Kindsvater und der Rückkehr nach Deutschland. Allerdings schob die Menge sie damals zufällig so dicht heran, dass die Kleine dem Apfelschimmel über die weichen Nüstern streichen konnte; vielleicht hatte das so tiefen Eindruck hinterlassen. Mütter sind naturgemäß stolz, was ihre Sprösslinge sich alles merken können: »Was weißt du denn noch von Sinterklaas?« »Alles. Ich hab den Hengst gestreichelt und seinen Penis gesehen.« »Jetzt iss auf, es ist spät«, bestimmte die Mutter nicht mehr ganz so stolz sondern streng.

Dieses Abendbrotgespräch wird fortgesetzt, fürchtete die schlaftrunkene Maria nun und wunderte sich erneut über ihre kleinen Hämatome. Sie öffnete das Fenster, atmete die beruhigend kalte Winterluft und fixierte einen hellen, zappelnden Punkt am Himmel. Ließ sie sich von dem Kind so verrückt machen, dass sie besagten Hengst fliegen sah? Und was war das für ein rotbrauner Fleck, der um die Sterne kreiste? Sie beschloss, sich in einem Traum zu befinden, verriegelte hastig das Fenster, sammelte jede Menge Pepernotjes vom Boden, setzte sich auf den Bettrand und aß sie alle, alle tapfer auf. Nur zur Sicherheit, damit es morgen früh keine Beweise geben könnte, die gegen einen Traum sprächen.

Der Schimmel knirschte mit den schmerzenden Zähnen, Piet fluchte seinen Schreck heraus: »Typisch! Immer die mit dem Stern und eingebauter Vorfahrt!!« »Aber, aber, Piet«, rügte Sinterklaas: »Ausgerechnet von dir hätte ich solche Vorurteile nicht erwartet.« Obwohl er selbst ebenso tüchtig aufgebracht war. Diese deutsche Karnevalsfigur mit Pelzkragen hatte schon in der Vorbereitungszeit zum Fest Streit gesucht. Beim Äpfelpflücken schnappte er ihm die besten Exemplare vor der heiligen Nase weg, einmal hätte er ihn gar fast vom Baum geschubst. Als Sinterklaas endlich mit gefüllten Apfelsäcken zu seinem Pferd zurückkehrte, hatten die gierigen Rentiere ihm alles Heu weggefressen, mangels eigenem, so eine Achtlosigkeit! Was seine Abreise noch mehr verzögerte, da er den hungrigen Schimmel nun mit Äpfeln füttern und entsprechend neue pflücken musste. Dabei wusste der deutsche Nikolaus ganz genau, dass die holländischen Kinder ihren Sinterklaas bereits am fünften Dezember, also einen Tag früher erwarteten. Wenn einer Recht auf Eile hatte, dann ja wohl er! Jetzt kreuzte der plumpe Rotmantel schon wieder seine Strecke und brachte sie damit nicht nur alle in Gefahr, sondern ihn auch noch ein ganzes Stück vom Weg ab. Aber Wut zu zeigen, wäre nicht standesgemäß, als heiliger Mann hatte er sich in Gelassenheit zu hüllen. »Ist doch wahr«, schimpfte Piet stattdessen für ihn weiter: »Nimmt uns einfach die Vorfahrt. Denkt, er wäre was Besseres. Was will der überhaupt hier. Der soll in sein eigenes Land fliegen!«, vergaß er geflissentlich, dass er selbst gerade erst aus Spanien angereist und seine moralische sowie ethnische Herkunft derzeit mehr als umstritten war. Vielleicht lag es aber genau daran. Wenn ein ganzes Land debattierte, ob die eigene Existenz noch zeitgemäß sei, konnte das schon eine Existenzkrise auslösen. Was, wenn die Niederländer ihn nicht in die wohlverdiente Rente schickten, um sich vom Verdacht einer rassistischen Tradition zu befreien, sondern auf die Vorschläge eingingen ihn künftig auch in blauer, roter, gelber und grüner Hautfarbe auftreten zu lassen? Besonders grün war ihm zuwider, das hatte wohl etwas mit Fischen zu tun. Der Nikolaus hörte jedes Wort, derweil er einen Bogen um den Orion schlug, um seine Rentiere zu bändigen. Er kehrte zum Unfallort zurück und nuschelte: »Die Biester sind mir durchgegangen.« »Hä? War das eine Entschuldigung? Hab ich was gehört? Nee, hast du was gehört?«, boxte Piet dem Sinterklaas auffordernd in die Seite. »Lass gut sein, Piet. Immerhin begeht er keine Unfallflucht.« »Ist doch nix passiert«, stellte der Nikolaus mehr fest als zu fragen. »Nix passiert? Ein Sack Pepernotjes ist weg!«, schrie Piet hysterisch, als wäre der heilige Gral gestohlen. »Könnte euch ein paar Walnüsse dafür abgeben«, brummelte der Dicke. »Ich sagte nicht Walnotjes, sondern Pepernotjes! Pe-per-not-jes!! Das sind kleine, knackige Pfeffernüsse. Walnüsse haben wir selbst genug.« »Hab ich nicht an Bord. Lebkuchen?« »Ach! Soll ich den Kindern mit euren Riesenlebkuchen Beulen an den Kopf werfen? Du hast wohl ´nen A… « »Piet!!«, fiel Sinterklaas ihm scharf ins Wort um den Fluch zu verhindern: »Friede auf Erden.« »Dafür müssten wir endlich auf Erden landen«, bemerkte Piet schnippisch und schnippte einen Fussel von der Schulter des heiligen Reiters, welcher wie eine winzige Schneeflocke hinab auf die Dächer schwebte. »Entsorgt euren Dreck in eurem eigenen Land«, flutschte es dem Nikolaus heraus, während er der fallenden Faser nachsah. Das hatte er jetzt gar nicht so gemeint, aber dieses Geschimpfe des dunklen Gesellen konnte einen ja total anstecken. »Was weiß ich, über welchem Land wir gerade sind? Du hast uns doch total vom Kurs abgebracht«, fauchte Piet zurück. »Da drüben geht soeben die Sonne auf, das dürfte selbst dir zur Orientierung reichen.« »Was soll das heißen, selbst mir? Wie? Denkst du, ich bin blöd? Spielst du etwa auf meine Hautfarbe an?« »Deine Farbe ist mir doch sternschnuppe. Aber wenn du so anfängst - diese uralten Klamotten … schon ziemlich weiblich. Jetzt so im Morgenrot betrachtet, ist dir der Glitzer und Pomp nicht peinlich?«, traf der Nikolaus zielgerade eine von Piets tiefsten Wunden. »Das ist der Gipfel der Unverschämtheiten! Jetzt bin ich auch noch weibisch, oder gar schwul?« »Was ist daran unverschämt? Hast du nicht nur was gegen bestimmte Fahrzeugarten, sondern auch noch gegen Homosexuelle? Und frauenfeindlich? Wohl vergessen, dass du selbst zu einer Randgruppe gehörst?« »Nach deinen Worten bin ich wohl Teil so ziemlich jeder Randgruppe. Sei bloß vorsichtig, denk an die Vergangenheit deiner Landsleute.« »Was du auch bist, du bist sowieso bald weg«, bewies der Nikolaus, dass er über internationale Entwicklungen durchaus auf dem Laufenden war. Man sollte die Konkurrenz im Auge behalten. »Seid ihr fertig? Ich will auch weg. Wir haben heute bekanntermaßen noch einiges vor«, suchte Sinterklaas vergeblich zwischen die Streithähne zu kommen. »Nicht, bevor die Schadensersatzfrage geklärt ist! Der Dicke muss büßen!«, beharrte Piet, jetzt ernstlich in seinem Ego verletzt: »Der Himmel gehört ihm nicht allein.« Sinterklaas lockerte betreten die Zügel. Er fühlte sich an seinem einzigen Arbeitstag im Jahr nicht befugt auszusprechen, wem der Himmel gehört. Es war der fünfte Dezember, ein kühler Morgenwind zog auf und die Kinder warteten auf ihn. Das Pferd trippelte ungeduldig auf einer Wolke herum, die acht Rentiere ließen reglos die Köpfe hängen, nur ihre Ohren folgten den Stimmen. Vielleicht dachten sie beschämt an gestohlenes Heu oder fühlten sich schuldig am Zusammenstoß. Auf jeden Fall war es besser, sich rauszuhalten. Als Herde wartete man brisante Themen bekanntlich ab und folgte dem Sieger. Der Schimmel schloss aus dem Schweigen der Rentiere, dass er völlig allein war und darum nichts ausrichten könnte. Die Wolke löste sich unter seinen Hufen auf und ihm war, als verlöre er allen Boden unter den Füßen.

»Gibt es in jedem Land einen anderen Nikolaus?«, wollte Tomke gleich beim Frühstück ihre Kenntnisse über deutsches und holländisches Brauchtum erweitern, sprich globalisieren. Maria schmierte ein Marmeladenbrot und erinnerte sich dumpf, dass die Festivitäten bereits in verschiedenen Regionen Deutschlands stark voneinander abwichen. Es gab doch so allerlei Figuren, die sie nie verstanden hatte, allen voran Knecht Ruprecht, danach die Krampen und der Rüpelz, Hans Muff oder Hans Trapp, Pelznickel, Butzenbercht und wie sie alle hießen. Von anderen Ländern hatte sie diesbezüglich noch weniger Ahnung. Sie biss sich auf die Lippen und vermied tunlichst, die Anzahl der beteiligten Nikoläuse nebst Gehilfen weiter zu erhöhen. »Sinterklaas ist auch in Belgien und in den ehemaligen, holländischen Kolonien. Sonst meist wie unser Nikolaus, glaub ich«, fasste sie stattdessen vage zusammen und teilte die Brotscheibe für beide. »Der kann doch nicht in einer Nacht um den ganzen Rest der Erde fliegen«, stellte das Kind erneut fest und begründete sachlich: »Das geht mit dem alten Schlitten nicht. Das ist keine Rakete. Und die würde nicht durch die Schornsteine passen.« »Der Schlitten braucht auch nicht durch die Schornsteine, nur der Nikolaus.« »So ein dicker Mann passt da nicht durch.« »Ja, darum gibt es manchmal Probleme«, erinnerte Maria sich kichernd an diverse Weihnachtsfilme mit steckengebliebenen Familienvätern. Dadurch wackelte sie auf ihrem Stuhl herum, was ein paar der blauen Flecken aktivierte. Ihr Lachen erstarrte und schmeckte nach Pepernotjes. Eine Weile kauten beide schweigend. Dann bahnte der Zweifel sich einen Weg durch den marmeladevollen Kindermund: »Ich glaube, dass ich nicht mehr so sehr an den Nikolaus glaube. Er sieht eigentlich genauso aus wie der Weihnachtsmann. Die aus Schokolade sind auch die Gleichen.« »Na ja, ein bisschen anders schon.« »Was ist denn anders?« Marias Stirn begann spontan zu schwitzen; sie hätte sich vorher eine Antwort überlegen oder die Bemerkung lassen sollen. Tomke wartete auffordernd, merkte indes wohl, dass der Mutter unbehaglich war und spann einen neuen Faden. Denn insgeheim trachtete das Kind danach, den Glauben noch nicht zu verlieren: »Oder der Weihnachtsmann ist heimlich gleichzeitig der Nikolaus. Ja! Der macht einfach beides!« »Das könnte auch sein«, nahm die Mutter diese Lösung dankbar an, die nicht lange hielt, denn Tomke erinnerte scharfsinnig: »Die vielen Weihnachtsmänner in der Stadt letztes Jahr, die waren aber nicht echt! Einer kann mehreres machen, aber mehrere eins, das kann nicht sein.« Widerspruch gegen Kinderlogik war zwecklos: »Da hast du vermutlich Recht.« »Das sind bestimmt alles nur verkleidete Männer«, resignierte das Stimmchen vor der eigenen Erkenntnis: »Ich glaube, es gibt gar keinen Nikolaus. Und keinen Weihnachtsmann. Das sind alles, alles, alles nur verkleidete Männer!!« Maria hatte ihr Brot aufgegessen und schluckte trotzdem. Sie fand es noch viel zu früh für diesen Verlust der Kindheitsträume, ihre Tochter wohl auch, denn die wischte sich eine kleine Träne aus dem Auge und fuhr fort: »Sinterklaas, der könnte schon eher echt sein. Der kommt schließlich mit einem echten Schiff und hat ein echtes Pferd.« Schiffer sind vermutlich glaubwürdiger für ihre fünfzig Prozent niederländischen Gene, folgerte Maria und nickte.

Wenn dies also die verbliebene Hoffnung der Kleinen war, sollte sie noch ein wenig davon genießen dürfen. Es galt, auf Teufel komm raus, Sinterklaas ausfindig zu machen. In anfassbarer und heute noch erreichbarer Nähe. Man sollte meinen, für jemand der nichts von über Grenzen springenden Schimmeln mit Zahnschmerzen wusste, sei dies in Deutschland ein schwieriges Unterfangen. Aber Maria hatte bereits letztes Jahr in einer Kinderzeitschrift von der 'Admiral Nelson', einem Pfannkuchenschiff nach holländischem Vorbild, gelesen. Welches an der innerstädtischen Flusspromenade lag und passend zum Image einen Sinterklaas-Nachmittag abhielt. Genaugenommen hatte sie es nicht nur gelesen, sondern war am Nikolaustag spontan mit Tomke hingefahren. Zu beider großer Enttäuschung erfuhren sie erst vor Ort, dass das Marketingevent tags zuvor stattgefunden hatte: »Selbstverständlich! Wie es sich für Sinterklaas gehört, kam er am fünften Dezember.« Also dieser feine Unterschied war Maria damals in Holland gar nicht aufgefallen, vermutlich weil man ohne weiter nachzudenken in die Stadt ging, wenn die Ankunft des heiligen Mannes im Fernsehen angekündigt wurde. Hier in Bremen würde es wohl kaum in den Nachrichten vermeldet, wie könnte sie es herausfinden? Draußen pfiff eine steife Brise, drinnen wühlte und blätterte die engagierte Mutter in den Zeitschriften der letzten Jahre, die aus ihrem unsortierten Regal in alle Richtungen herausquollen. Bis sie auf die moderne Idee kam, das Internet zu befragen. Wunderbar, die Veranstaltung wurde offiziell auf der Webseite des schwimmenden Pfannkuchenrestaurants beworben, sie wählte die Telefonnummer und meldete ihr Kind mit einer Begleitperson verbindlich an.

Ein unidentifiziertes Flugobjekt näherte sich von Norden. Es blinkte mit viel zu vielen Lämpchen und klingelte aus tausenden kleinen Glöckchen, im Takt eines schnalzenden Knalls. Sinterklaas straffte die Zügel, um diesmal rechtzeitig ausweichen zu können, lockerte sie aber bald wieder: »Für ein Flugzeug ist das aber viel, viel zu langsam. Warum fliegt das trotzdem? Was ist denn das?« Piet und der Nikolaus kniffen die Augen zusammen, um das mit der aufgegangenen Sonne im Wettstreit übertrieben funkelnde Ding zu erkennen. Es krabbelte im Schneckentempo über den Gürtel des Orion. Endlich wurde die Lichterkettensilhouette des größten aller Schlitten erkennbar, der dicke Kutscher winkte fröhlich mit dem Fäustling. »Hey Boys! What´s up?«, grüßte der Weihnachtsmann und hörte auf, mit der Peitsche in die Luft zu knallen. Rudolf blieb sofort schnaufend stehen. »Was willst duuu denn schon hier?«, fragte der Nikolaus irritiert und zückte heimlich ein Smartphone, um das Datum zu kontrollieren. »Oooch, komme vom Nordpol, nur ein wenig die Lage checken«, probierte der Dicke sein unpassendes Erscheinen lässig abzutun, merkte aber an den skeptischen Blicken, dass etwas mehr Rechtfertigung angebracht wäre: »Na ja, wisst ihr, mein Rentier hat die Leckereien des Sommers ein wenig zu sehr genossen, es ist komplett aus dem Training. Also drehen wir schon mal jeden Abend eine Runde um die Sterne, damit die Kilos vom Himmel purzeln.« »Purzeln? Das ist gar nicht witzig, wenn hier was vom Himmel purzelt. Du glaubst nicht, was da vorhin alles gepurzelt ist, ein ganzer Sack Pepernotjes nämlich! Pe-per-not-jes!« »Warum?« »Wegen dem mit dem Stern vorne drauf; wer sollte uns sonst die Vorfahrt genommen haben?« »Du solltest nicht so viel auf Statussymbole geben«, belehrte der Weihnachtsmann, in diesem Ton durfte niemand mit Piet reden: »Halt du dich da raus, du Erfindung von Coca-Cola!!« »Wie bitte, du Hans-Wurst-Trapp-Muff-Rüpel? Die haben ein Nutzungsrecht, sonst gar nix!«, empörte sich der Weihnachtsmann gegen Piet und gestand den anderen beiden: »Von irgendwas muss das Futter für Rudolf ja kommen. Die Stromrechnung ist auch nicht ohne, vor allem für die Amerikaflüge.« Der Nikolaus witterte eine Chance, sich auf die Seite des Gegners zu schlagen: »Ein wenig Recht hat der Piet schon. Wir haben alle im Fernsehen verfolgen können, wie deine Popularität mit den Werbetrucks gewachsen ist.« »Im Norden war ich schon allzeit groß! Ich bin stolz auf den skandinavischen Einfluss, der mich so kleidete und dich infolgedessen wohl auch? Ja? Außerdem, ohne mich hättest du keine Rentiere und könntest hübsch selbst deinen Schlitten schieben!« »Du wolltest sie verkaufen. Und hast einen guten Preis von mir bekommen.«»Wollen ist anders«, bedauerte der Weihnachtsmann. »Ist es meine Schuld, dass du deine Konsumkosten stets höher treibst? Dass du nicht mit Geld umgehen kannst? Ein kluger Mann wie ich beschränkt sich auf Äpfel und Nüsse. Dann hast du noch was über, zum Beispiel für ´nen guten Schlitten mit acht Rentierstärken.« »Und mit Stern«, feixte Piet: »Wenn du so viel über hast, zahl uns jetzt den zerstörten Sack samt Inhalt plus Schmerzensgeld.«

Sinterklaas hielt sich raus. Ihm war etwas unwohl, so eine Art geteiltes Gefühl. Als Rangältester war ihm bekannt, dass die anderen kulturgeschichtlich aus seiner eigenen Existenz entstanden waren oder darin begründet lagen. Er erinnerte sich noch gut, wie er zu Kolonialzeiten mit den Niederländern ausgewandert war, sich in fernen Ländern zu 'Santa Claus' entwickelte und in dieser Form nach Europa zurückkehrte, wo sein altes Ich unbeeindruckt weiter auftrat. Nun waren sie schon zwei. Plus jedes Land ein wenig anders. Er spielte mit dem Gedanken, gleich im Januar einen Psychiater aufzusuchen und diese Tendenzen zur Schizophrenie analysieren zu lassen. Eine Beteiligung am Streit käme ihm jetzt vor wie Krieg unter drei seiner eigenen Persönlichkeiten. Obwohl man sagt, sich selbst bekriegen sei schön.

»Hab wegen morgen gerade den Nebelbank-Dispo ein wenig überzogen«, gestand der Nikolaus: »Im Sack hätte ich jetzt nur noch das Futtergeld für die Rentiere, das wollt ihr denen bitte nicht antun?« Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner und Blitzen tänzelten nervös. Wenn es an ihr Futter ging, schien Flucht eine geeignete Reaktionsform. Inzwischen mehr als heftiger Wind zerzauste ihr Fell. Der Nikolaus hatte einige Mühe, sie zu bändigen, er zügelte, hüpfte, zerrte und fluchte auf verdammt unheilige Weise. »Zu viele Stärken könnten seine Schwäche sein«, lachte Piet schadenfroh und tröstete den Weihnachtsmann: »Siehst du? Weniger Zugkraft kann auch Vorteile haben. Dir hätten wir sicher ausweichen können.« »Stimmt schon. Mit Rudolf wär´ das nicht passiert«, musterte der Weihnachtsmann etwas betreten sein dickliches Zugtier. Rudolf räusperte sich empört und sah hilfesuchend zu seinen acht Artgenossen, die jeden Blickkontakt vermieden und abwesend mit den Ohren wackelten. Das Pferd des Sinterklaas beobachtete dies und begriff ein für allemal, dass jeder völlig auf sich allein gestellt ist. Sofern man denn auf etwas gestellt ist, das existiert und dies schien bei ihm auch nicht gerade gesichert. Der Sturm fegte die letzten Reste der zertrappelten Wolke unter des Schimmels Hufen fort.

Mutter und Tochter zogen gerade die Schuhe an, um sich freudestrahlend auf den Weg in die Innenstadt zu machen, da klingelte das Telefon: »Verzeihung, Sie hatten sich für Sinterklaas angemeldet?« »Ja?« Maria ahnte, dass wieder etwas schieflaufen würde, was sich postwendend bestätigte: »Es tut uns schrecklich leid, das findet nicht statt.« »Warum? Gibt es zu wenig Anmeldungen?« »Nun, das eigentlich auch. Aber darum nicht. Der Sturm hat das Hochwasser höher getrieben als erwartet. Da würde der heilige Mann nasse Stiefel bekommen«, witzelte der Anrufer. »Wieso, der kommt doch mit seinem Schiff zu eurem Schiff?«, wunderte sich Maria. »Nein, nein, nicht mehr. Das mit dem Schiff haben wir nur am Anfang gemacht, das ist viel zu teuer für die wenigen Teilnehmer. Wissen Sie, es gibt nicht so viele Holländer mit Kindern in der Stadt und andere interessiert das nicht. Also unser Sinterklaas sitzt einfach schon da auf seinem goldenen Stuhl, wenn die Kinder hereingelassen werden.« »Aber wenn jetzt Hochwasser ist, könnten Sie nicht nochmal eine Ausnahme machen, damit er kommen kann? Es muss ja kein großer Kutter sein. Ich kenne da ein paar Leute mit Sportbooten, die könnte ich schnell anrufen … « »Gute Frau, die komplette Promenade ist überflutet! Sie können nicht an Bord, wir können nicht an Bord. Zum Schwimmen ist es ein wenig zu kalt, oder? Da bringt es auch keinem was, wenn der Nikolaus mit dem Schiff hinfährt, da ohne Strom alleine rumsitzt und die Enten mit Pepernotjes füttert.« »Wieso Nikolaus«, hoffte Maria plötzlich mit einer anderen Veranstaltung verbunden zu sein: »Sind Sie wirklich vom Pfannkuchenschiff, also reden wir vom Nikolaus oder Sinterklaas?« »Immer noch Sinterklaas.« »Also kein Sinterklaas?« Tomke war dem Telefonat mit bangem Blick gefolgt und brach nun in lautes Geheul aus. »Kein Sinterklaas, wir können leider nicht übers Wasser laufen, aber nächstes Jahr bestimmt wieder.« »Na, dann versuchen wir es nächstes Jahr wieder«, seufzte Maria, legte auf und tröstete ihr untröstliches Kind: »Komm mal auf den Arm.« Letztes Jahr am falschen Tag, dieses Jahr gar durch Naturgewalten verhindert - es sollte einfach nicht sein mit der holländischen Kultur für die halbe Holländerin, dachte sie und hob die Kleine hoch.

Exakt in diesem Moment fiel ein Pferd vom Himmel. Tomke glotzte über die Schulter ihrer Mutter aus dem Fenster und vergaß, dass sie jemals im Leben untröstlich gewesen war. Der Schimmel landete breitbeinig wie ein Seemann beim Sprung an Land auf allen Vieren, die Bischofsrobe kam etwas später an und legte sich majestätisch komplett über die beiden Reiter. Die zwei Köpfe formten darunter die Höcker eines Kamels mit goldbesticktem Sattel, verwundert bog das Pferd seinen Hals zurück, um daran zu schnuppern, wodurch es Tomke noch mehr an das langhalsige Wüstentier erinnerte. Sie kicherte. »Gut so. Wir machen uns so auch einen schönen Tag«, strich Maria ihr ahnungslos über den Rücken und musterte die Rauhfasertapete.

Piet gelang es als Erstem, sein Gesicht unter dem Stoff herauszuwinden. Verschwörerisch legte er einen Finger auf die Lippen, das Kind strahlte und erwiderte die Geste auf gleiche Weise. Sinterklaas war viel zu sehr damit beschäftigt, seinen Umhang zu sortieren, um die kleine Zuschauerin zu bemerken. Nachdem er das widerborstige Kleidungsstück endlich über den Schultern trug, schnalzte er und trieb den Hengst himmelwärts.

---ENDE DER LESEPROBE---