Management Coaching und Positive Psychologie - Nico Rose - E-Book

Management Coaching und Positive Psychologie E-Book

Nico Rose

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Beschreibung

Führungskräfte stehen mehr denn je vor großen Herausforderungen, ihr Job erfordert jeden Tag Höchstleistung. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch Coaching immer mehr an Bedeutung. Die Positive Psychologie leistet einen wertvollen Beitrag zur Professionalisierung dieser Disziplin. Dieses Buch schildert theoretisch fundiert und gleichzeitig praxisnah den Beitrag von Positiver Psychologie im Management Coaching. Smart, wirkungsvoll und evidenzbasiert mit Coaching Tools. Mit Gastbeiträgen und Interviews von renommierten Forscherinnen und Forschern sowie herausragenden Coaching-Praktikerinnen und -praktikern. Inhalte:- Was sich ändert, wenn man vor allem Manager coacht- Der Mehrwert von Positiver Psychologie im Business - Positive Emotionen als Ressource in Organisationen- Stärken erkennen, kultivieren und nutzen- Selbstbestimmtheit als Fundament von Motivation- Sinnerleben als Metamotivator im Coaching- Coachingtransfer: Tipps aus der Verhaltensökonomie- Job Crafting

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[11]Inhaltsverzeichnis

Hinweis zum UrheberrechtImpressumWidmungVorwort von Fabian Kienbaum1 Einklang1.1 Der Wert von Coaching für Führungskräfte1.2 Was wird anders, wenn man in erster Linie Führungskräfte coacht? Der Inhalt der Coachinggespräche ändert sichDie Ziele der Coachingprozesse ändern sich1.3 Für wen ist dieses Buch gedacht?1.4 Struktur des Buches2 Positive Psychologie2.1 Eine kurze Geschichte der Positiven PsychologieMartin Seligman als Schlüsselfigur und KatalysatorLichtgestalten und entzweite VerwandteDie nächste Welle und der systemische Blickwinkel2.2 Ordnungsprinzipien der Positiven PsychologieDas Akronym PERMA 3 Coaching und Positive Psychologie3.1 Ziele im Coaching aus Sicht der Positiven PsychologieGastbeitrag von Prof. Dr. Judith MangelsdorfEverest-Zielarbeit im Coaching Die Praxis sinnorientierter Zielarbeit: Everest-ZieleDie Arbeit an Everest-Zielen am Fallbeispiel3.2 Positive DiagnostikPositive Devianz Interview mit Dr. Martin Wammerl Nutzen des PERMA-Profilers für Coachingprozesse 4 Positive Emotionen4.1 Wachstum und ErweiterungPositive Emotionen als Ressource (in Organisationen)4.2 Glück folgt auf Erfolg, Erfolg folgt auf Glück4.3 Emotionale KettenbriefeFührungskräfte als »emotionale Hubs«4.4 Entwicklung von positiven Emotionen im Coaching Glücklichsein heute, gestern und morgenVergangenheit: What Went Well (WWW)Gegenwart: Savoring und aktiv-konstruktive BegegnungenZukunft: ABCDE-Technik und Best Possible Self (BPS)4.5 Humor und Lachen im CoachingGastbeitrag von Dr. E. Noni Höfner und Dr. Charlotte CordesEinführungBeispiel aus dem ManagementWurzeln des Provokativen AnsatzesWiderstand der Klient*innenErfahrungswissen der Berater*innenInnere Haltung der Berater*innenProvokative VorgehensweiseKontraindikation Verbindung zum Improvisationstheater Fazit5 Stärken5.1 Stärken in der Positiven PsychologieEntstehung der VIA-KlassifikationNatur der VIA-StärkenTestverfahren: VIA-ISInterview mit Prof. Dr. Willibald Ruch5.2 VIA-Stärken im Coaching Signaturstärken herausarbeitenSignaturstärken als HebelUnter- und Übernutzung von StärkenStärken in der interpersonellen FührungStärkenmuster in TeamsStärken in der Karriereentwicklung 5.3 Arbeiten mit Werten im Karrierecoaching Gastbeitrag von Dr. Bernd Slaghuis EinführungWerte im Beruf: Was wirklich, wirklich wichtig istWerte-Karten: Mit Leichtigkeit Klarheit über eigene Werte gewinnenDer Ablauf des SpielsWerte-Bewusstsein als Wegweiser in die berufliche ZukunftAuswertung: Diese Werte waren meinen Klienten besonders wichtigZusammenfassung5.4 Das beste Selbst im SpiegelEffekt der ÜbungNie wieder angeben müssen6 Selbstbestimmung6.1 SelbstbestimmungstheorieDrei GrundbedürfnisseDas Kontinuum menschlicher Motivation6.2 Selbstbestimmung im Coaching Selbstbestimmung als Grundpfeiler der Beziehung in Coachingprozessen Selbstbestimmung als übergreifende Konstante im Coaching 6.3 Selbstbestimmung geführter Personen als Thema im FührungscoachingWir sehen die Menschen, wie wir sindDurch Coaching den Vertrauensmuskel stärken7 Sinnerleben 7.1 Kohärenz, Destination, SignifikanzDestination und Kohärenz im Coaching 7.2 Der (Geld-)Wert des Sinns7.3 Das Work and Meaning Inventory (WAMI)7.4 Die Matrix des Arbeitssinns7.5 Die Sinn-Matrix im Coaching Sinntreiber im WiderspruchWenn der Sinn fehltDie Sinn-Matrix zur Betrachtung von FührungsbeziehungenInterview mit Matti Niebelschütz8 Job Crafting 8.1 Menschen als pro-aktive Gestalter ihrer ArbeitsrolleDie Statue im Marmorblock 8.2 Job Crafting: ÜberblickDie europäische Tradition des Job Crafting Ein erweitertes Job-Crafting-Modell8.3 Job Crafting im Coaching Visualisieren, visualisieren, visualisierenVon der Vision zur Realität8.4 Job Crafting als Haltung in der FührungNiedrigschwelliges Job Crafting im Alltag8.5 Outplacement aus Sicht der Positiven PsychologieGastbeitrag von Sophia von Rundstedt und Julia Siems EinführungBeratungsinhaltePsychologische DynamikOutplacement und Posttraumatisches WachstumOutplacement und SelbstbestimmungOutplacement und das PERMA-ModellFazit9 Transfersicherung 9.1 Vom richtigen Zeitpunkt9.2 Nudging, Reminder & Co.Den Preis treiben, bis es wehtutDer Knoten im Taschentuch9.3 WOOP Interview mit Prof. Dr. Julia Milner 10 Ausklang LiteraturAnhang: KAARMA-FragebogenAnmerkungenDanksagung Stichwortverzeichnis
[1]

Hinweis zum Urheberrecht:

Alle Inhalte dieses eBooks sind urheberrechtlich geschützt.

Bitte respektieren Sie die Rechte der Autorinnen und Autoren, indem sie keine ungenehmigten Kopien in Umlauf bringen.

Dafür vielen Dank!

Haufe Lexware GmbH & Co KG

[4]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.

Print:

ISBN 978-3-648-15580-6

Bestell-Nr. 10681-0001

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ISBN 978-3-648-15581-3

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ISBN 978-3-648-15582-0

Bestell-Nr. 10681-0150

Nico Rose

Management Coaching und Positive Psychologie

1. Auflage, Dezember 2021

© 2021 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg

haufe.de

[email protected]

Bildnachweis (Cover): Torge Stoffers

Produktmanagement: Dr. Bernhard Landkammer

Lektorat: Helmut Haunreiter, Marktl am Inn

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

Sofern diese Publikation ein ergänzendes Online-Angebot beinhaltet, stehen die Inhalte für 12 Monate nach Einstellen bzw. Abverkauf des Buches, mindestens aber für zwei Jahre nach Erscheinen des Buches, online zur Verfügung. Einen Anspruch auf Nutzung darüber hinaus besteht nicht.

Sollte dieses Buch bzw. das Online-Angebot Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte und die Verfügbarkeit keine Haftung. Wir machen uns diese Inhalte nicht zu eigen und verweisen lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung.

[5]You are allowed to be both a masterpiece and a work in progress, simultaneously.

Sophia Bush

[7]Vorwort von Fabian Kienbaum

Die für die breite Öffentlichkeit sichtbarsten Fälle von Coaching finden wir im Profisport: Ich könnte als ehemaliger Handball-Profi viel über diesen Sport schreiben, aber im Fußball gibt es deutlich mehr Trainerwechsel, bisweilen schaffen sie es sogar in die »Tagesschau«. Ein prägnantes Beispiel war der Austausch von Nico Kovac durch Hansi Flick beim FC Bayern München in der Bundesliga-Saison 2019/20: Flick übernahm die Mannschaft in einer sehr schwierigen Situation und führte sie trotzdem zum »Triple«.1 Dieselben Profis – ich betone dieses Wort – spielten nach dem Wechsel des Coaches plötzlich um Klassen besser.

Vergleiche zwischen Sport und Unternehmen sind so beliebt wie problematisch. Eine Mannschaft besteht aus zwei Dutzend Spielern, ein Konzern bisweilen aus Hunderttausenden. Andererseits: Die Suche nach dem besten Mix aus Struktur, Taktik und Strategie sowie menschlich-motivatorischen Aspekten ist vom Grundsatz her ähnlich. Leistungsexplosionen gibt es in beiden Kontexten – und oft heißt es: Der Coach hat einen anderen Zugang zu den Spielern gefunden. Oder eben: der Chef zu seinen Mitarbeitenden.

Wir bei Kienbaum haben mit Kompetenzen, einer der wesentlichen Grundlagen für Leistung, in vielfacher Hinsicht zu tun – und damit bisweilen auch mit einem Mangel an Kompetenz. Diesen Mangel haben wir vor kurzem in einer groß angelegten Studie erforscht: 59 Prozent der 8.000 befragten Fach- und Führungskräfte konstatieren fehlende Fähigkeiten, um künftigen Anforderungen der digitalen Arbeitswelt gerecht zu werden. Nur rund ein Fünftel der Firmen versteht in ausreichendem Maß, welche Kompetenzen in Zukunft gebraucht werden.

Auch um die zugehörigen Weiterbildungsmöglichkeiten könnte es besser bestellt sein: Unzufrieden sind die Beschäftigten laut Umfrage vor allem mit der Vielfalt (65 Prozent) und Qualität (58 Prozent) der Lernangebote. Besser sieht es bei Unternehmen aus, die selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Lernen dezidiert in den Fokus stellen. Sie greifen auf deutlich mehr und vielfältigere Lernmethoden zurück – mit Erfolg.

Der zuvor erwähnte Kompetenzmangel ist aber nur der erste von drei wesentlichen Gründen, vor deren Hintergrund Weiterbildung und Coaching in meinen Augen heute bedeutender denn je sind. Er führt dazu, dass Führungskräfte heute und in Zukunft deutlich mehr können, wissen, aushalten und sich selbst besser reflektieren müssen als ohnehin schon. Eine solche Situation erfordert ein hohes Maß an Zuversicht und emotionaler Sicherheit. An diesem Punkt kann Coaching mittels Positiver Psychologie zweifellos helfen.

[8]Ein zweiter Punkt, der auf Führungskräfte massiven Veränderungsdruck ausübt, ist folgender: Die Arbeitswelt befindet sich in einem historischen Wandel, der auf verschiedenen Ebenen wirksam ist: Makroökonomisch betrachtet ist von erheblicher Bedeutung, dass die »Baby-Boomer« in Rente gehen – in Deutschland sind das etwa fünf Millionen Menschen bis 2030. Zudem werden laut Studien über eine Million Jobs durch neue Technologien überflüssig. Auf der anderen Seite fehlen in bestimmten Branchen Millionen Fachkräfte. Diese Tatsachen verlangen gigantische Coaching-, Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. Eine weitere relevante Ebene betrifft die Art, wie wir gemeinsam arbeiten: Die Corona-Krise und ihre Folgen haben den Wandel der Arbeitswelt dramatisch beschleunigt. Homeoffice, flexibles Arbeiten, modernere Arbeitskulturen – all das verändert das Arbeitsleben von Fachkräften und vor allem auch die Anforderungen an Führungskräfte erheblich. Ein wirksames Sich-selbst-Hinterfragen ist für die Leitungsebenen wichtiger denn je. Coaching ist an diesem Punkt ein wertvolles Mittel – was natürlich nicht impliziert, dass Coaching nur etwas für das Top-Management ist.

Punkt drei schließlich betrifft den Wandel von Karrieremodellen: Jahrzehntelang verliefen Karrieren, wenn, dann recht linear, über verschiedene Positionen, stetig nach oben. Der Mensch hatte gefälligst seine persönlichen Wünsche und die Familie hintenanzustellen. Die Personalabteilung und die direkte Führungskraft entwickelten mehr oder weniger direktiv die jeweils nächsten Karriereschritte.

Wir sehen jetzt schon – und diese Entwicklung wird sich verstärken – einen Wandel, getrieben von den Wissensarbeitenden: Arbeit ist für viele Teil ihres Lebens, die Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit verschwimmen – aber dadurch steigen auch die Ansprüche: Menschen fordern mehr Flexibilität, mehr Freiheit, mehr Zeit für Familie und Freunde. Der Modus der Selbstoptimierung verändert sich dadurch spürbar: Weg von, platt gesagt, »maximal effizient für den Arbeitgeber«, hin zum optimalen Work-Life-Mix. Für Coaches ist diese Bewegung in doppelter Art spannend: Erstens im Hinblick auf die Mitarbeitenden, zweitens, weil diese neuen Ansprüche die Führungsaufgabe wesentlich anspruchsvoller machen.

Um all diesen Herausforderungen gerecht zu werden, braucht es für erfolgreiche Organisationen einen Mix, der nur auf den ersten Blick paradox anmutet: Zum einen glauben wir bei Kienbaum an die Kraft von »WePowerment«, kurz gefasst: eine Kultur der Befähigung anstelle von Kontrolle. Auf der anderen Seite erheben wir zum Beispiel mit dem Tool »Peakon« Woche für Woche wertvolle Daten durch anonyme Befragungen, die wertvolle Rückschlüsse auf einzelne Teams und damit auch Führungskräfte ermöglichen. Je weniger planbar die Arbeitswelt ist, desto höher wird die Bedeutung von psychologischer Sicherheit. Für mich ist dieser Faktor absolut entscheidend, damit Menschen Höchstleistungen erbringen können. Deshalb schauen wir hier genau hin.

[9]Sich eingehend mit Fragen der Organisationskultur und -psychologie zu befassen, wird in so manchen Unternehmen nach wie vor skeptisch gesehen. Doch ihre Zahl wird von Jahr zu Jahr kleiner. Die Verbindung von nachhaltiger Führung und Psychologie im Allgemeinen und Positiver Psychologie im Besonderen ist für mich offensichtlich. Unsere Studien zeigen genau wie auch der alltägliche Umgang mit Kunden: Bei vielen Themen schlägt die Kultur auf lange Sicht die Struktur. Wie Menschen miteinander umgehen, ist essenziell. Das bedeutet auch: Wie wir mit uns selbst umgehen, ist essenziell. Genau für diese beiden Dynamiken bietet die Positive Psychologie wertvolle Hilfestellung.

Und so kann man dann – immer wieder einmal – auch die Champions League gewinnen.

Fabian Kienbaum

[15]1Einklang

Khalil Gibran schrieb einmal, Arbeit sei sichtbar gemachte Liebe. Das ist sicherlich eine feinfühlige Formulierung aus dem Munde eines Poeten – und es wäre ein Leichtes, Beispiele zu finden, die den Autor Lügen strafen. Immerhin weist der Stanford-Forscher Jeffrey Pfeffer in seinem Buch »Dying for a Paycheck« (2018) darauf hin, dass schlechte Arbeitsbedingungen zu den häufigsten Todesursachen in den USA gehören.2 In Westeuropa sehen die Zahlen nicht ganz so niederschmetternd aus, doch auch hierzulande steht außer Frage, dass Arbeit nicht immer ein Zuckerschlecken ist – und regelmäßig negative Konsequenzen nach sich zieht.

Vielleicht können wir uns zunächst darauf einigen, dass Arbeit eine Form von Liebe sein kann – wenn es gute Arbeit ist. Gute Arbeit wäre für mich eine Tätigkeit, in der Menschen ein möglichst hohes Maß an Selbstbestimmung erleben, in der sie regelmäßig ihre Stärken einbringen können, in der sie sich als wirksam in der Welt erleben. Gute Arbeit bietet Menschen einen attraktiven Sinnhorizont und eine positive Form der Bindung: Bindung an andere Menschen, an Werte und Ziele, im besten Fall auch an etwas, das größer ist als man selbst (dieser Aspekt wird aktuell meist unter dem Begriff »Purpose« verhandelt).

Führung spielt für gute Arbeit eine gewichtige Rolle. Zwar erweckt ein Blick auf die aktuelle Management-Literatur bisweilen den Anschein, dass Führung, im Sinne von hierarchischer Koordination, ein wenig aus der Mode gekommen sei – und langsam, aber sicher durch Mechanismen wie Agilität und Selbstorganisation abgelöst wird. Doch ein nüchterner Blick auf die Realität zeigt, dass klassische Führung in hierarchischen Strukturen nach wie vor das dominante Modell der Unternehmenssteuerung ist. Der wichtigste Faktor, um die Arbeit Vieler zu koordinieren, gemeinsame Ziele zu erreichen und auch Werte und Normen in Organisationen zu transportieren, sind die Führungskräfte auf den verschiedenen Ebenen.3

Achtung

Ein Management-Bonmot lautet: »Mitarbeiter verlassen ihre Führungskraft, nicht das Unternehmen.« Diese Aussage stützt sich nicht allein auf anekdotische Evidenz. Auch die empirische Forschung spricht hier eine eindeutige Sprache.

Damit kommt der Qualität der Führungskräfte eine herausragende Bedeutung für den Erfolg von Organisationen zu. Studien zeigen regelmäßig, wie entscheidend die wahrgenommene Führungsqualität für das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter ist. Meine eigenen Forschungsarbeiten im Kontext des deutschen Managements zeigten beispielweise, dass die gemessene Arbeitszufriedenheit bei [16]erstklassiger Führung im Vergleich zu als schlecht beurteilter Führungsqualität um 112 % erhöht ist. Für den Wunsch, den aktuellen Arbeitgeber zu verlassen, zeigte sich ein noch höherer Wert unter umgekehrten Vorzeichen.4 Dies kann für Unternehmen empfindliche finanzielle Konsequenzen haben.

Tipp

Wenn Ihre Klientinnen und Klienten ein Interesse daran haben, die eigene Führungsqualität systematisch zu erfassen: In Anhang A finden Sie ein erprobtes Instrument für diesen Zweck.

Einige der eben erwähnten Konsequenzen sind direkt erfassbar, andere liegen unter der Oberfläche der Fixkosten verborgen oder äußern sich in nicht unmittelbar zuzuordnenden Produktivitätsrückgängen. Wie das Wirtschaftsmagazin CAPITAL (2019) aufschlüsselt, können unter gewissen Umständen schon zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung des Nachfolgers bis zu 150 Prozent des zukünftigen Jahresgehalts als Kosten anfallen. Zu den direkten Aufwänden zählen:

Kosten im direkten Umfeld der Kündigung: administrativer Aufwand, im Falle des Falles Gerichtskosten, ggfs. Abfindungen usw.Kosten für die Nachbesetzung: Personalmarketing, Headhunter, Diagnostik, Prozesskosten usw.Kosten für das Onboarding des neuen Stelleninhabers: Ausstattung, Einarbeitung, Schulungen usw.

Ferner können dem Unternehmen eine Reihe indirekter Kosten in Form von Produktivitätsrückgängen entstehen, die schwerer zu quantifizieren sind, doch bei ehrlicher Betrachtung mit hoher Wahrscheinlichkeit noch stärker zu Buche schlagen (Dess & Shaw, 2001):

Rückgang der Produktivität, wenn eine Stelle längerfristig unbesetzt bleibt.Niedrigere Produktivität, bis der zukünftige Stelleninhaber das Leistungsniveau des Vorgängers erreicht.Abfluss von Wissen und Erfahrung des früheren Stelleninhabers.(Zer-)Störung von erfolgskritischen internen und externen Netzwerken.Atmosphärische Störungen bei der weiteren Belegschaft: Das freiwillige Ausscheiden von Kollegen geht oft mit Gerüchten einher.

Manche Personalexperten gehen davon aus, dass der ungewollte Abgang eines Leistungsträgers ein Unternehmen im Extremfall – bei umfassender Betrachtung – das Vierfache des Jahresgehalts der betreffenden Stelle kosten kann (Borysenko, 2014). Ganz gleich, ob wir nun das obere oder untere Ende dieses Korridors (die o. g. 150 Prozent) betrachten: Ein Coachingprozess zur Unterstützung der Führungsqualität des Vorgesetzten der kündigenden Person zu einem früheren Zeitpunkt hätte der entsprechenden Organisation sicherlich weitaus weniger Kosten verursacht.

[17]Führung: Herz, Hirn, Hand?

Neuere Studien legen im Übrigen den Schluss nahe, dass die Vorstellungen davon, was gute Führung ausmacht, durchaus stark auseinandergehen können – je nachdem, wen man fragt in einer gegebenen Organisation. Die Beratungsgruppe Boston Consulting Group hat in Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien 4.000 Menschen danach befragt, welche Qualitäten sie an ihren Führungskräften schätzen. Dabei wurde unterschieden zwischen a) Hirn-, b) Hand-, und c) Herz-Qualitäten.5

Es zeigte sich, dass von den Befragten, die hierarchisch nahe an der Spitze der Organisationen standen, besonders die Hirn-Qualitäten wertgeschätzt wurden, während weiter unten in der Hierarchie ein stärkerer Wunsch nach der Demonstration von Herz-Qualitäten geäußert wurde (Tomšić, 2021). Nun können wir uns sicherlich darauf einigen, dass für das nachhaltig erfolgreiche Gedeihen von Unternehmen alle drei Qualitäten von Bedeutung sind. Allerdings lässt dieser Befund gleichzeitig erahnen, wo es denn – aus Sicht vieler geführter Personen – hapern könnte.

Dieser Befund spiegelt sich im Übrigen auch in meiner eigenen Coachingpraxis wider. Nicht immer, aber doch zunehmend häufiger, suchen mich Klienten auf, nachdem ein Management-Audit bestimmte Defizite aufgezeigt hat. In aller Regel geht es an diesem Punkt nicht um analytische Fähigkeiten oder Entscheidungsfreude. Es sind meist die Herz-Themen, die als optimierungswürdig betrachtet werden.

1.1Der Wert von Coaching für Führungskräfte

Ich bin der festen Überzeugung, dass Coaches so etwas wie Hebammen für gute Führungsqualität sein können. Zwar gibt es Hinweise darauf, dass ein Teil der Effektivität von Führungskräften durch ererbte Merkmale, beispielsweise Persönlichkeitsfaktoren wie Intelligenz oder Extraversion, erklärt werden kann, doch der bedeutendere Teil der Unterschiede zwischen guten und schlechten Führungskräften beruht auf erlerntem Verhalten (DeRue et al., 2011). Gute Führung muss also – zu einem großen Teil – gelernt werden. Der springende Punkt: Nicht alles, was gelernt werden kann, kann auch gelehrt werden.

Achtung

Nicht alles, was gelernt werden kann, kann auch gelehrt werden.

Damit möchte ich nicht behaupten, Führungstrainings seien per se verschwendete Zeit, sie zeitigen durchaus Wirkung (Lacerenza et al., 2017). Andererseits lernt man das Schwimmen auch nicht vom Beckenrand aus. Führen lernen heißt vor allem: Erfahrungen machen und reflektieren, das Gelernte wiederum produktiv integrieren. Das kann prinzipiell autark funktionieren, aber wir dürfen aufgrund von Erfahrung, aber auch [18]auf Basis vieler Forschungsarbeiten davon ausgehen, dass eine professionelle Begleitung diesen Prozess katalysieren kann.

An dieser Stelle lässt sich trefflich fragen: Das klingt ja alles gut und schön mit dem Katalysieren – aber wirkt Coaching überhaupt? Diese Frage lässt sich – bei aller gebotenen wissenschaftlichen Skepsis – mittlerweile mit »Ja!« beantworten. Coaching (außerhalb des Sports) hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert als eigenständige Disziplin herausgebildet, zunächst vor allem in den USA. Über die 1980er- und 1990er-Jahre hat sich das Thema dann langsam, aber sicher auch in Europa und Deutschland etabliert. Allerdings war Coaching in dieser frühen Phase eine dezidiert praxisorientierte Disziplin. Es gab kaum wissenschaftliche Studien und damit auch keine unabhängige Wirksamkeitsevaluation. Dies wiederum hat sich im Laufe des letzten Jahrzehnts freilich geändert. Mittlerweile liegt eine Handvoll Meta-Analysen6 vor, die man wie folgt zusammenfassen kann: Coaching ist kein Allheilmittel und sollte auch nicht als ein solches angepriesen werden. Doch es gibt messbare und valide Effekte im Denken, Fühlen und Verhalten von Coachees, die über den Placebo-Effekt hinausgehen.

Wichtig

Überblicksstudien zeigen: Coaching ist wirksam als Veränderungsmethode.

Ich möchte zum Ende dieses Abschnitts betonen, dass ich die zuvor beschriebene Wirksamkeit – auch in meiner persönlichen Arbeit als Coach – nicht ausschließlich auf den betriebswirtschaftlichen Kontext beziehe. Der unternehmerische Erfolg einer Organisation (zumindest als langfristige Erwartungshaltung) ist selbstredend ein wichtiges Kriterium in vielen Coachingprozessen, zumal dann, wenn der Arbeitgeber des Klienten auch die Kosten trägt. Andererseits bin ich durch meine Erfahrungen als Coach wie auch als Coachee davon überzeugt, dass erfolgreiches Coaching weite Kreise ziehen kann. Im besten Sinn ist es, in Ermangelung eines besseren Begriffs, eine Win-win-win-Situation:

Die auftraggebende Organisation profitiert,7 ebenso der Coachee selbst (z. B. durch das Erleben einer stärkeren eigenen Wirksamkeit und eines Mehr an Sinnhaftigkeit der Arbeit) – und schließlich kann auch das erweiterte Umfeld des Coachees bestimmte Vorzüge genießen. Forschungsarbeiten zeigen ein ums andere Mal, dass es deutliche Spillover-Effekte zwischen dem Berufs- und dem Privatleben gibt (und umgekehrt; Ford et al., 2007). Wenn Coaching also dazu führt, dass die gecoachte Person – oder auch jene Menschen, die von dieser Person geführt werden – zu mehr Arbeitszufriedenheit und Sinnerleben findet, dann ist durchaus zu erwarten, dass diese Entwicklung weitere Kreise zieht. Diese Hoffnung drückt sich auch aus in dem Motto, das ich für meine beratenden Tätigkeiten gewählt habe: Better Leaders. Better Business. Better Living.

[19]1.2Was wird anders, wenn man in erster Linie Führungskräfte coacht?

Neben dem inhaltlichen Fokus auf die Positive Psychologie habe ich – wie mittlerweile deutlich geworden ist – für dieses Buch eine weitere spezifische Linse gewählt: Die inhaltliche Ausrichtung orientiert sich am Coaching von Führungskräften in Organisationen, insbesondere in gewinnorientierten Unternehmen. Das bedeutet explizit nicht, dass die vorgestellten Inhalte außerhalb dieses spezifischen Coachingkontextes sinnlos wären – ganz im Gegenteil. Mir ist schlicht und ergreifend wichtig, dass Sie verstehen, was Sie erwartet – und auch, was Sie nicht erwarten können. Ich habe diesen Blickwinkel aus drei Gründen gewählt:

Es gibt, inklusive der englischen Literatur, überhaupt erst zwei Hände voll Bücher, die sich explizit mit Positiver Psychologie im Coaching beschäftigen. Meines Wissens setzt jedoch keines dieser Werke einen Fokus auf das Coaching von Managern und Führungskräften – von daher hoffe ich schlicht und ergreifend, eine Lücke füllen zu können.Der Fokus auf Manager und Führungskräfte in gewinnorientierten Organisationen entspricht meiner eigenen Feldkompetenz. Ich bin 2004 nach dem Psychologiestudium ins Berufsleben eingestiegen. Ab dieser Zeit habe ich rund zehn Jahre im Personalbereich zweier internationaler Konzerne verbracht (L’Oréal, Bertelsmann), außerdem, neben der Promotion, drei Jahre in einer auf Customer Relationship Management fokussierten Unternehmensberatung. In dieser Zeit habe ich Führung in nahezu jeder erdenklichen Form kennengelernt und ausgeübt. Ging es am Anfang vor allem um Selbstführung und Einflussnahme ohne Macht (laterale Führung), habe ich später Rollen als Team- und Abteilungsleiter kennenlernen dürfen. Hinzu kommen Erfahrungen in der Führung über Eck (Steuerung von Agenturen) und Führung nach oben (das Bespielen der Top-Management-Ebene und weiterer Stakeholder aus dem Middle Management heraus) und in die Organisation hinein (Steuerung von unternehmensweiten Projekten aus der Konzernzentrale heraus).Schließlich, und das mag mit dem vorigen Punkt zusammenhängen, sind auch meine aktiven Erfahrungen als Coach in erster Linie durch die Arbeit mit Führungskräften in größeren Organisationen geprägt. Meine erste Coachingpraxis habe ich 2008 in Wiesbaden eröffnet, parallel zur Promotion. Seit dem Sommer 2010 lebe ich wieder in meiner Heimat Hamm/Westfalen. Weil ich einen wirklich zuvorkommenden Chef hatte, durfte ich meine Coachingtätigkeit während meiner Zeit bei Bertelsmann auf kleiner Flamme weiterführen. Seit 2019 bin ich Professor für Wirtschaftspsychologie an der International School of Management (ISM) in Dortmund. Ich werde in den letzten Jahren vor allem als Coach für Führungskräfte der ersten drei Ebenen angefragt,8 von Konzernen, größeren Mittelständlern, ab und an auch von aufstrebenden Start-ups, wobei die hier in Westfalen leider noch recht rar gesät sind.

[20]Dies war also mein persönlicher Antrieb dafür, den Schwerpunkt des Buches auf das Coaching von Führungskräften zu legen. Es gibt nach meiner Erfahrung allerdings noch weitere Gründe, die eine solche Spezialisierung attraktiv machen.

Der Inhalt der Coachinggespräche ändert sich

Obschon man natürlich argumentieren könnte, dass auf der Strukturebene alle Coachingprozesse recht ähnlich verlaufen, konnte ich in den letzten Jahren beobachten, dass sich – insbesondere im Coaching von höheren Führungskräften – neue Themenkomplexe auftun, die bei Menschen ohne Führungsrolle oder solchen am Anfang ihrer Führungslaufbahn kaum auftauchen. Zu Beginn einer Management-Karriere müssen Menschen vor allem Entscheidungen über Dinge und Sachverhalte treffen. Mit der ersten Führungsrolle kommen dann notwendigerweise auch Entscheidungen über andere Menschen hinzu. Bei höheren Führungskräften wird dann noch die politische Arena des Unternehmens (und darüber hinaus) zunehmend wichtiger. Denken Sie beispielhaft an eine Führungskraft der zweiten Ebene, die zwischen den Erwartungen mehrerer Vorstandsmitglieder sowie jenen der Eigentümerfamilie des betreffenden Unternehmens aufgerieben wird. Selbstredend gibt es solche Rollenkonflikte auch weiter unten in der Hierarchie, aber sie gewinnen mit dem hierarchischen Aufstieg an Geltung und potenzieller Gefährlichkeit. Die Luft wird oben dünner, das prägt mitunter auch die Themen im Coaching.

Die Ziele der Coachingprozesse ändern sich

Anknüpfend an die zuvor beschriebenen Veränderungen bei den Themen ist meine Beobachtung, dass sich auch die typischen Ziele für Coachingprozesse weiterentwickeln, wenn man beginnt, vor allem mit höheren Führungskräften zu arbeiten: Es geht immer weniger darum, konkrete Probleme zu lösen. Warum? Weil es für komplexe Herausforderungen schlicht und ergreifend keine einfachen Lösungen gibt, sondern nur Entscheidungen, die dann mit bestimmten Vor- und Nachteilen einhergehen. In vielen Einführungswerken zum Thema Coaching lässt sich nachlesen, dass Coaching ein lösungsorientierter Prozess ist – und dem ist prinzipiell auch zuzustimmen. Je hierarchisch exponierter eine Person ist, desto weniger geht es nach meiner Erfahrung jedoch darum, konkrete Lösungen für konkrete Probleme zu finden. Manager auf den unteren Ebenen einer Organisation werden dafür bezahlt, solche Probleme zu lösen. In höheren Sphären geht es mehr und mehr darum, sich in einer produktiven Art und Weise Spannungsfeldern, Dilemmata und Paradoxien zu widmen. Diesen Situationen ist immanent, dass jedwede Lösung nur »zum Preis von …« zu haben ist, dass jedes wünschenswerte Ergebnis gleichzeitig neue Herausforderungen heraufbeschwören wird.

[21]Tipp

Gerade im Coaching mit höheren Führungskräften geht es regelmäßig nicht darum, Lösungen für konkrete Probleme zu finden, sondern durch die Unterstützung von Entscheidungen zu »besseren Problemen« zu kommen.

Der Coach wird an dieser Stelle mehr und mehr zum Sparringspartner, der mit dem Coachee verschiedene Szenarien durchspielt, die potenziellen Folgen reflektiert und dadurch die Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit des Klienten stärkt. Manchmal geht es einfach darum, ein Quäntchen mehr Sicherheit in Bezug auf eine anstehende, weitreichende Entscheidung zu erlangen. Nicht selten ist das Ziel, sich einfach ein wenig besser zu fühlen mit einer schwierigen Entscheidung, die gedanklich im Grunde bereits gefällt wurde.

Ich bin davon überzeugt, dass viele Frameworks und Werkzeuge der Positiven Psychologie gerade an solchen Punkten eminent hilfreich sein können. Sie zielen meist nicht so direkt darauf ab, konkrete Herausforderungen zu bewältigen. Vielmehr geht es darum, Stärken zu stärken, wichtige Metakompetenzen weiterzuentwickeln, die eigenen Energien produktiv zu managen – und allgemein ein optimistisches, selbstwirksames und integres Mindset zu kultivieren.

1.3Für wen ist dieses Buch gedacht?

Ich hatte beim Schreiben Menschen vor Augen, die keine Coachinganfänger mehr sind, sondern schon ein Stück des Weges gegangen sind. Vielleicht haben Sie bereits die eine oder andere Coachingausbildung abgeschlossen,9 vielleicht arbeiten Sie schon einen Teil Ihrer Zeit als Coach.10 Möglicherweise sind Sie aber auch ein an Coaching interessierter HR-Profi, Change-Manager – oder eine Führungskraft, die sich auf dem Laufenden halten möchte. So oder so:

Für dieses Buch habe ich bewusst auf die üblichen Herleitungen und Grundlagen verzichtet – außer, wenn es um die spezifischen Besonderheiten der Anwendung der Positiven Psychologie im Coaching geht. Ich ging beim Schreiben dieses Werks davon aus, dass Sie mit den Coachingbasics bereits vertraut sind – und konzentriere mich ausschließlich auf Theorien, Frameworks und Werkzeuge aus der Wissenschaft der Positiven Psychologie, die dabei helfen können, Ihr Wissen, Ihre Fähigkeiten und auch Ihre Haltung als Coach weiterzuentwickeln.11

Falls Sie trotzdem nicht auf eine Definition verzichten mögen, sei an dieser Stelle eine genannt, die ich – unter vielen vorhandenen Definitionen bevorzuge – weil ich sie auf eine gewinnende Art und Weise knackig und trotzdem umfassend finde. Sie stammt aus der Feder von Sonja Radatz (2009, S. 85). Demgemäß ist Coaching …

[22]»die maßgeschneiderte Problemlösung im Spannungsdreieck zwischen Beruf, Organisation, und Privatleben oder in einem dieser Bereiche – eine Problemlösungsmethode, in welcher der Coach für die passenden Fragen, hilfreichen Zusammenfassungen und die Einhaltung des Ablaufs verantwortlich ist, und der Coachee eigenständige Lösungen für seine Situation – für seine anstehenden Fragestellungen – findet.«

Insbesondere schätze ich es, dass das Privatleben hier explizit Berücksichtigung findet. Ich hatte zuvor schon über die wechselseitigen Spillover-Effekte zwischen Berufs- und Privatleben gesprochen. Es gibt in der Literatur durchaus Coachingdefinitionen, die die private Sphäre der Klienten ignorieren (ich mutmaße: absichtsvoll).12 Das ist zum einen theoretisch fragwürdig. Zum anderen zeigt mir meine mittlerweile dreizehn Jahre zählende Erfahrung als praktizierender Coach, dass das Privatleben in fast jedem Coachingprozess (auch) zur Sprache kommt.13

1.4Struktur des Buches

Damit Sie besser verstehen können, was Sie in diesem Buch erwartet, gebe ich Ihnen im Folgenden einen kurzen Überblick über die wichtigsten Inhalte:

Nach der Einführung beschäftigt sich das Kapitel 2 mit der Entstehung und den wichtigsten Grundgedanken der Positiven Psychologie. Es war mir wichtig, dies in ausreichender Tiefe darzustellen, da die Ausführungen einerseits wichtige Grundlagen für die weiteren Kapitel des Buches bilden. Andererseits bemerke ich immer wieder, dass in der Öffentlichkeit stark vereinfachte, zum Teil auch gänzlich falsche Ideen über die Positive Psychologie und ihre Wirkweisen sowie Handlungsempfehlungen kursieren. Dem möchte ich gezielt entgegenwirken.Kapitel 3 wirft ergänzend die Frage auf, ob bzw. auf welche Weise sich Positive Psychology Coaching (PPC) von anderen Coachingschulen abgrenzen lässt.14Kapitel 4 beleuchtet die Entstehung von Positiven Emotionen und ihren spezifischen Nutzen für menschliche Entwicklung, insbesondere vor dem Hintergrund der Broaden-and-Build-Theorie der Psychologie-Professorin Barbara Fredrickson. Zudem werden einige Interventionen vorgestellt, die dazu dienen können, den Level des subjektiven Wohlbefindens von Menschen zu steigern.Das Kapitel 5 widmet sich voll umfänglich der Stärkenorientierung im Coaching und in der Führung. Den Schwerpunkt bilden das VIA-Stärken-Kompendium von Christopher Peterson und Martin Seligman.Das Kapitel 6 behandelt die wichtigsten Ideen rund um das Konzept der Selbstbestimmtheit im Coaching. Es stützt sich im Schwerpunkt auf die Selbstbestimmungstheorie von Edward Deci und Richard Ryan.Kapitel 7 widmet sich der Sinnwahrnehmung im Beruf. Es stellt wichtige Treiber des Sinnerlebens vor, und zeigt auf, wie man diese gezielt entwickeln kann. Einen [23]Schwerpunkt bildet die (von mir) sogenannte Sinn-Matrix von Amy Wrzesniewski und Kollegen.15Kapitel 8 schildert das Konzept des Job Crafting, das ursprünglich ebenfalls auf Amy Wrzesniewski und ihre Mentorin Jane Dutton zurückgeht. Beim Job Crafting geht es darum, ganz bewusst zum Gestalter der eigenen Arbeitsrolle zu werden, um diese sinnstiftender und stärkenorientierter zu gestalten.Vor dem Ausklang werden in Kapitel 9 schließlich einige Konzepte aus der Positiven Psychologie und angrenzenden Disziplinen vorgestellt, mit denen wir den Transfer von Coachingprozessen verbessern können, u. a. das WOOP-Konzept der Psychologie-Professorin Gabriele Oettingen.

Noch ein letzter Hinweis: Meines Erachtens besteht keine Notwendigkeit, dieses Buch von vorne bis hinten durchlesen. Ich möchte Ihnen ans Herz legen, im Falle des Falles zunächst die beiden folgenden Kapitel über die Grundlagen der Positiven Psychologie und des PPC zu lesen, weil diese einen guten Boden bereiten für die Inhalte der weiteren Kapitel. Im Anschluss hielte ich es für zielführender, wenn Sie die Kapitel einfach anlassbezogen explorieren und dieses Werk wie ein Buch betrachten, zu dem man nach Bedarf immer wieder einmal zurückkehren kann.

Kapitel 1: Takeaways

Erstklassige Führung ist nach wie vor ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen. Koordination durch Selbstorganisation und ähnliche Methoden ist zwar auf dem Vormarsch, spielt aber relativ betrachtet immer noch eine winzige Rolle.Studien zeigen: Mitarbeiter legen bei Führungskräften großen Wert auf »Herzqualitäten«. Diese sind allerdings in der Breite unterentwickelt.Gute Führung kann und muss man lernen. Coaching als feedback- und reflexionsorientierte Methode leistet einen wichtigen Beitrag auf diesem Weg.Modus und Inhalt von Coaching ändern sich tendenziell, wenn man mit (höheren) Führungskräften arbeitet. Es geht weniger darum, Lösungen zu erarbeiten. Eher lautet das Ziel, »bessere Probleme« zu finden sowie Selbstwirksamkeit und Optimismus zu stärken. Die Positive Psychologie ist hierfür gut gewappnet.Das Buch wendet sich im Schwerpunkt an Menschen, die bereits Erfahrung mit Coaching mitbringen – nicht so sehr an Neulinge.

[25]2Positive Psychologie

Wenn man in Menschenjahren misst, ist die Positive Psychologie gerade ihrer Teenagerphase entwachsen. Sie begann sich Ende des 20. Jahrhunderts als eigenständige Strömung innerhalb der Psychologie zu etablieren und ist – im Lichte der Tatsache, dass die Psychologie seit über 140 Jahren als eigenständige Disziplin existiert16 – noch ein Frischling. Gleichzeitig hat sie in dieser kurzen Zeit eine enorme Popularität erreicht, was nicht ohne einen gewissen Wildwuchs vonstattengegangen ist. Einerseits gibt es tausende von eigenen Forschungsarbeiten, die unter dem Oberthema der Positiven Psychologie subsummiert werden können. Andererseits sind in den letzten fünfzehn Jahren hunderte von populärwissenschaftlichen Büchern und Ratgebern hinzugekommen. Es ist normal, dass diese praxisorientierte Literatur dem Stand der Forschung im Überschwang der Begeisterung für ein neues Thema ein Stück weit enteilt (van Woerkom et al., 2021). Gleichzeitig wird unter dem Begriff Positive Psychologie bisweilen auch Gedankengut verbreitet, das besser in der Esoterik-Abteilung einer Buchhandlung aufgehoben wäre. Die namentliche Ähnlichkeit zu Konzepten wie dem »Positiven Denken«17 tut hier ein Übriges.

Ich versuche in diesem Buch, so gut es mir möglich ist, auf dem Boden der wissenschaftlichen Tatsachen zu bleiben.18 In aller Regel werden Sie zu den erwähnten Konzepten, Werkzeugen usw. weiterführende wissenschaftliche Quellen finden. Zudem werden im Laufe des Buches, wie Sie sicherlich schon gesehen haben, weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort kommen, um noch mehr Tiefenschärfe in ausgewählte Themenbereiche zu bringen.

2.1Eine kurze Geschichte der Positiven Psychologie

Die Positive Psychologie ist ein Teilbereich der akademischen und anwendungsorientierten Psychologie. Sie wird weltweit an Universitäten von arrivierten Professorinnen und Professoren erforscht, zudem ist im Laufe der letzten Jahre eine zweistellige Anzahl an Studiengängen entstanden, die sich explizit der Vermittlung von Positiver Psychologie widmen.19 Die Positive Psychologie erhielt ihren Namen explizit nicht, weil sie besser wäre als irgendeine andere Teildisziplin, sondern weil sie sich im Schwerpunkt mit positiven (im Sinne von: erstrebenswerten) Phänomenen des menschlichen, organisationalen und sozialen Erlebens auseinandersetzt. Dabei geht um Fragen wie:

Unter welchen Umständen empfinden wir positive Emotionen wie Glück oder Zufriedenheit?Welche Umstände sorgen dafür, dass Menschen (intrinsisch) motiviert sind?Wie können wir unsere Stärken entdecken, kultivieren und produktiv in unser Leben integrieren?[26]• Welche Faktoren bewirken, dass Beziehungen gedeihen (privat wie beruflich)?Welche Bedingungen müssen gegeben sein, damit Menschen ihre Arbeit bzw. das Leben an sich als sinnvoll empfinden?Wie kann man Menschen helfen, (selbstgewählte und stimmige) Ziele zu erreichen?…

Martin Seligman als Schlüsselfigur und Katalysator

Die Entwicklung der Positiven Psychologie20 als Disziplin ist eng verknüpft mit dem Namen Martin Seligman, der seit über 50 Jahren an der University of Pennsylvania forscht und lehrt. Seligman wurde 1998 zum Präsidenten der American Psychological Association (APA) gewählt, dem weltweit einflussreichsten Psychologenverband. Seine Antrittsrede nutzte er, um die (weltweite) Gemeinschaft der Psychologen zur Etablierung einer neuen Teildisziplin gemäß den zuvor genannten Fragen zu animieren. Was waren seine Beweggründe für diese Forderung?

Klammert man Felder wie die Eignungsdiagnostik oder die Lernforschung aus, dann wird deutlich, dass die Psychologie bis zum auslaufenden Jahrtausend im Schwerpunkt eine Art Weg-von-Disziplin war. Es ging zumeist darum, negative Phänomene unseres Erlebens (im Sinne von: wenig wünschenswert) sowie deren Entstehung und Beseitigung zu ergründen, beispielsweise: Was ist eine Angststörung? Wie entsteht eine solche Störung? Und wie können wir Menschen helfen, sich davon zu befreien? Diese Fokussierung beruht auf einem pathogenetischen Denkrahmen, der in einen Dreiklang aus Anamnese, Diagnose und kurativem Verfahren mündet. Sinnbildlich geht es um den Weg von einem Ausgangspunkt im Minusbereich in Richtung Null.

Aaron Antonovsky prägte bereits in den 1970er-Jahren in der Medizin als Komplementärbegriff die Idee der Salutogenese. Hier steht eine andere Frage im Fokus: Wie können wir Menschen zu einem Zustand der aktiven, positiven Gesundheit verhelfen? Es geht folglich um den Weg von Null weg in positiver Richtung. Auch die Positive Psychologie folgt einer salutogenetischen Grundhaltung. Es herrscht die Überzeugung, dass die Psychologie als Disziplin (er-)klären sollte, was positiv gegeben sein muss, damit man von einem erfüllenden Leben sprechen kann. Die Positive Psychologie ist in dieser Hinsicht als Erweiterung und Ergänzung der bestehenden psychologischen Perspektiven gedacht, nicht als Substitut.

Achtung

Der Name Positive Psychologie fußt auf der Tatsache, dass sie positive Phänomene des menschlichen Erlebens erforscht, nicht darauf, dass sie in irgendeiner Weise besser wäre als bisherige Spielarten der Psychologie. Sie tritt an, um den Blickwinkel innerhalb der Psychologie als akademischer Disziplin zu erweitern – nicht, um etwas zu ersetzen.

[27]Es scheint heute im Rückblick, als hätte Seligman einen Nerv getroffen.21 Viele junge und auch arrivierte Forscherinnen und Forscher widmeten fortan einen guten Teil ihrer Energie der Analyse von positiven Phänomenen. Schnell bildeten sich Subdisziplinen heraus, beispielsweise »Positive Education« (Positive Psychologie in der schulischen und universitären Bildung) oder die »Positive Organizational Scholarship« bzw. »Positive Organizational Behavior« (Positive Psychologie in Unternehmen). In jüngerer Zeit hat sich in der Praxisliteratur auch der Begriff »Positive Organizational Psychology« (POP) als Oberbegriff für die Anwendung der Positiven Psychologie in der Wirtschaft etabliert (Donaldson et al., 2019). Diese Abkürzung werde ich in diesem Buch verwenden.

Bereits früh in der Geschichte der Positiven Psychologie wurde auch ihre Anwendung im Coaching eruiert. Das erste Buch dazu wurde meines Wissens 2007 von Robert Biswas-Diener und Ben Dean geschrieben, einzelne Kapitel in Herausgeberbändern gab es schon Jahre früher (z. B. Kauffman & Scoular, 2004).

Lichtgestalten und entzweite Verwandte

Die Positive Psychologie ist Ende des 20. Jahrhunderts freilich nicht von Himmel gefallen. Hatte sich Seligman selbst zu Beginn seiner Karriere mit dem Phänomen der erlernten Hilfslosigkeit und der Entstehung von Depressionen22 beschäftigt, so interessierte er sich seit Mitte der 1980er-Jahre auch für die andere Seite der Medaille: Wenn Menschen lernen können, hilflos und pessimistisch zu denken, dann sollte es auch möglich sein, Optimismus zu lernen (Seligman, 1991). Ebenfalls in dieser Periode entstanden wichtige Forschungsprogramme von Koryphäen wie Albert Bandura, Mihály Csíkszentmihályi, Edward Deci und Richard Ryan, Ed Diener, Ellen Langer oder Carol Ryff und Corey Keyes.23 Die erste großzahlige empirische Untersuchung zum Thema des psychischen Wohlbefindens entstand indes schon Ende der 1960er-Jahre (Bradburn, 1969). Zudem sollte nicht unerwähnt bleiben, dass viele Fragestellungen, die im Fokus der Positiven Psychologie stehen (z. B. der Sinn des Lebens), zum Teil schon seit mehreren tausend Jahren diskutiert werden, spätestens mit dem Aufkommen der antiken griechischen Philosophie.

Überschneidungen bei den Inhalten und Zielen finden sich auch zwischen der Positiven Psychologie und der Humanistischen Psychologie. Insbesondere Abraham Maslow hat bis heute großen Einfluss durch seine Arbeiten über menschliche Bedürfnisse und das Konzept der Selbstaktualisierung (1943). Ebenso hoch gehandelt wird Viktor Frankl als Begründer der empirischen Sinnforschung und der Logotherapie (1984). Leider gestaltet sich das Verhältnis zwischen beiden Disziplinen von jeher nicht ganz spannungsfrei. Obgleich sich beide Schulen in ihren Anliegen nahestehen (Potenzialorientierung, Fokus auf »das Gute«), bestand von Anfang an ein von Animosität geprägtes [28]Verhältnis. Positive Psychologen warfen der Humanistischen Psychologie einen Mangel an Stringenz in der Forschung vor. Vertreter der Humanistischen Psychologie wiederum sahen ihre Themen von der Positiven Psychologie vereinnahmt und wehrten sich gegen die Herabwürdigung ihrer Pionierarbeit.

Letztlich beruht dieses Spannungsverhältnis nach meinem Dafürhalten auf einem Umstand, den man auch als ontologisches Missverständnis bezeichnen könnte: Humanistische Psychologinnen und Psychologen folgen im Schwerpunkt einer phänomenologisch-hermeneutischen Tradition. Sie fokussieren auf das Erleben des Einzelnen, auf die Qualität der Befindlichkeit des Individuums und deren Verbesserung, legen Wert auf tiefes Verständnis um den einzelnen Menschen und opfern dafür tendenziell die Generalisierbarkeit. Die Positive Psychologie ist tief verwurzelt in einer (nordamerikanischen) naturwissenschaftlich-positivistisch geprägten Tradition der Psychologie. Sie strebt stärker nach möglich objektiver Erkenntnis auf Basis von großzahligen Erhebungen sowie kontrollierten Experimenten und Beobachtungen. Sie legt inhärent Wert auf Messbarkeit und Generalisierung, opfert dafür bisweilen Einfühlung und Tiefenschärfe.

Persönlich bin ich davon überzeugt, dass Coaching im Hinblick auf seine Professionalisierung als wissenschaftliche Disziplin dezidiert profitieren kann, wenn es die Erkenntnisse der positiv-psychologischen Forschung berücksichtigt. Gerade der Fokus auf Aspekte wie die Messbarkeit von positiven Zielzuständen (positive Diagnostik), aber auch die detaillierte Erforschung von Wirkprinzipien wünschenswerter Veränderungen – über den Placebo-Effekte hinaus – sind Beiträge, die sowohl die Forschung als auch die Praxis des Coachings nachhaltig bereichern können.

Die nächste Welle und der systemische Blickwinkel

Nun sind, während ich diese Zeilen schreibe, bereits 23 Jahre ins Land gegangen, seit Martin Seligman die Positive Psychologie als Disziplin ausgerufen hat. Sie hat sich entwickelt, ausdifferenziert, wurde kritisiert, hat sich präzisiert und weiter ausdifferenziert. Um das Jahr 2010 herum wurden erstmals Rufe laut – quasi als Ausgleichsbewegung zur ursprünglichen Ausgleichsbewegung – die anmerkten, dass sich die Positive Psychologie mit ihrem Fokus auf die Erklärung des Guten Lebens zu stark eingeschränkt hatte. Einige Forscherinnen und Forscher riefen eine zweite Welle der Positiven Psychologie aus, die sich in einer Art dialektischem Prozess auch den positiven Aspekten »des Negativen« widmen solle (Lomas & Ivtzan, 2016), weil sich beispielsweise zeigt, dass Menschen auch an schweren Schicksalsschlägen in einem Guten Sinne wachsen können (sog. Posttraumatisches Wachstum). Insofern ist auch die Frage, was ein gelungenes Leben ausmacht, nicht ausschließlich durch die Anwesenheit von positiven Phänomenen zu erklären.24

[29]Achtung

Die Positive Psychologie als Disziplin entwickelt sich fortwährend weiter. Mittlerweile sehen Experten eine »dritte Welle«, die insbesondere systemische Denkweisen in die bestehenden Modelle und Theorien integriert.

Mittlerweile sehen einige Protagonisten eine dritte Welle der Positiven Psychologie heraufziehen. Gemäß dieser Perspektive wird gefordert, die Positive Psychologie müsse erneut ihren Fokus erweitern und vermehrt systemische Sichtweisen inkorporieren und allgemein weniger auf das Wohlbefinden von Individuen und mehr auf das Wohlbefinden von Systemen und die wechselseitigen Einflüsse dieser Systeme achten (Kern et al., 2020). Auch dies ist eine – aus meiner Sicht begrüßenswerte – Reaktion auf frühe Kritikpunkte an der Positiven Psychologie: dass sie zu einseitig auf Wohlbefinden einzelner Personen achte und »das große Ganze« außer Acht lasse.25 Insgesamt ist meines Erachtens eine Art Reifungsprozess zu beobachten: Ähnlich, wie Kinder das Recht haben, sich zunächst vorrangig um sich selbst zu kümmern, so müssen sie mit dem Erwachsenwerden lernen, dass das eigene Wohlbefinden mit schöner Regelmäßigkeit auch vom Wohlergehen anderer Menschen abhängt.

2.2Ordnungsprinzipien der Positiven Psychologie

Auf einer basalen Ebene lassen sich zwei Qualitäten des psychischen Wohlbefindens unterscheiden: die hedonische und die eudaimonische.26 Vereinfacht lässt sich die hedonische Dimension als Lustachse bezeichnen, die eudaimonische Dimension hingegen als Sinnachse. Konkret geht es auf der hedonischen Achse um das Streben nach angenehmen und genussvollen Erfahrungen. Die eudaimonische Achse ist geprägt vom Streben nach Tugenden, vom Dienst an der Gemeinschaft – aber auch: dem authentischen Ausgestalten des eigenen Potenzials.27 Die hedonische Achse erscheint anhand der Beschreibung weniger gewichtig. Sie ist jedoch eminent für das übergreifende Wohlbefinden: Menschen brauchen regelmäßig viele kleine Freuden und Glücksmomente im Leben, sie sind eine Art Treibstoff. Die eudaimonische Achse hingegen entfaltet im besten Sinne eine Form der Sogwirkung: Sie zieht uns mit der Aussicht auf eine sinnerfüllte Zukunft ins Handeln hinein.

Ich denke, es wird bereits an dieser Stelle deutlich, wie beide Dimensionen auch das Geschehen im Coaching prägen können. Das Spannungsfeld zwischen Spaß, Eigennutz und Kurzfristperspektive auf der einen – und Sinnorientierung, prosozialer Orientierung und Langfristdenken auf der anderen Seite, bietet ein reichhaltiges Themenfeld, das auch und gerade im Coaching von Führungskräften fast immer mitschwingt.

[30]Wichtig

Im besten Fall macht Arbeiten Spaß. Doch wirklich gute Arbeit beruht auch auf Aspekten, die nicht zum unmittelbaren Vergnügen zählen: dem Überwinden von Hindernissen, dem Überstehen von Krisen und auch: der Selbstüberwindung.

Das Akronym PERMA

Im Jahr 2011 veröffentlichte Martin Seligman ein Buch mit dem Titel »Flourish«. Es diente damals als Bestandsaufnahme und Leistungsschau der Positiven Psychologie nach rund einem Jahrzehnt ihres Bestehens. In diesem Werk stellte Seligman auch das Akronym PERMA als Ordnungsstruktur der Positiven Psychologie vor. Konkret formulierte er, diese fünf Dimensionen, für die PERMA steht, seien die wesentlichen Bausteine28eines gelingenden Lebens in dem Sinne, dass es sich um Aspekte handelt, die alle Menschen gleichermaßen, gewissermaßen instinktiv, anstreben, wenn sie gesund sind und Kontrolle über ihre Lebensumstände haben.

Positive Emotions (positive Gefühle wie Stolz, Dankbarkeit usw.).Engagement (Energetisierung, Kultivieren von Interessen und Leidenschaften).Relationships (gelungene Beziehungen, Intimität, Freundschaft, Fürsorge usw.).Meaning (Sinnerleben über verschiedene Lebensbereiche hinweg).Accomplishment (Ziele erreichen über verschiedene Lebensbereiche hinweg).

In den letzten Jahren findet sich immer öfter die Ergänzung PERMA-V, wobei das V für körperliche Vitalität steht. Diese Ergänzung trägt der Tatsache Rechnung, dass das körperliche Wohlbefinden selbstverständlich in Wechselwirkung mit dem psychischen Wohlbefinden steht. Auch dies macht aus der Perspektive des Coachings unmittelbar Sinn. Ich habe mir über die Jahre angewöhnt, meine Klientinnen und Klienten regelmäßig auch nach ihrem körperlichen Wohlbefinden (Schlafqualität, Sport und körperliche Bewegung, Intensität von schlechten Angewohnheiten wie Alkohol- und Tabakkonsum) zu fragen – wenn ich mir den entsprechenden Auftrag dafür abgeholt habe.

Kapitel 2: Takeaways

Die Positive Psychologie ist eine Teildisziplin der akademisch-psychologischen Forschung. Sie erhielt ihren Namen, weil sie sich im Schwerpunkt mit positiven (erstrebenswerten) Phänomenen des menschlichen Lebens beschäftigt, nicht, weil sie »besser« wäre als andere Felder der Psychologie.Die Entstehung dieser Disziplin ist eng verknüpft mit dem Namen Martin Seligman. Von diesem weltberühmten Professor (University of Pennsylvania) ging Ende der 1990er-Jahre der Gründungsimpuls aus.[31] Mittlerweile wird die Positive Psychologie weltweit erforscht und gelehrt, es liegen tausende Forschungsarbeiten vor. Man spricht derweil von einer dritten Welle der Positiven Psychologie, die im Vergleich zur Anfangszeit einen stärker systemisch geprägten Blickwinkel auf menschliches Wohlbefinden einnimmt.Obwohl es eine Verwandtschaft bei Themen und übergreifenden Zielen gibt, bestand von Anfang an ein gespanntes Verhältnis zur Humanistischen Psychologie. Dieses gründet im Schwerpunkt auf einem »ontologischen Missverständnis«.Die Schwerpunkte der Positiven Psychologie werden heute meist unter dem Akronym PERMA zusammengefasst: Positive Emotions – Engagement – Relationships – Meaning – Accomplishment.

[33]3Coaching und Positive Psychologie

Bevor wir uns im weiteren Verlauf des Buches spezifischen Frameworks und Werkzeugen der Positiven Psychologie im Einsatz für das Management-Coaching widmen werden, möchte ich in diesem Kapitel einige grundsätzliche Überlegungen anstellen, um der Natur dieser Verbindung nachzuspüren. Im Kern steht die Frage: Gibt es so etwas wie »Positive Psychology Coaching« (PPC)? Könnte man, anders gesagt, Coaching auf Basis von Theorien und Modellen aus der Positiven Psychologie als eigene Spielart oder Stilrichtung des Coachings bezeichnen – so wie es die meisten Experten beispielweise mit dem systemischen Coachingansatz tun würden?

Gegenwärtig – und darin sind sich die meisten relevanten Autoren einig – wäre es wohl etwas vermessen, Positive Psychology Coaching als eigenständige Disziplin auszurufen. Martin Seligman schrieb Ende 2007 in einem kurzen Aufsatz, die damals noch junge Disziplin könne Coaching unterstützen, vor allem durch theoretische Validierung der angenommenen Wirkbeziehungen, aber auch empirisch überprüfte Interventionen. In der Einführung zu dem einflussreichen Frühwerk »Positive Psychology Coaching« schreiben Robert Biswas-Diener und Ben Dean (2007, S. xi): PPC ist …

»... compatible with what you are already doing and need not be […] exchanged for what you already know works.«

Auch ein Dutzend Jahre später schreibt meine Kollegin Judith Mangelsdorf in ihrem Booklet »Positive Psychologie im Coaching« (2019, S. 5):

»Der Ansatz des Positive Coachings stellt […] keine eigene Coachingschule dar.« Auf der gleichen Seite ergänzt sie: »Es ist […] keine Alternative zu etablierten Coachingverfahren, sondern eine Ergänzung, die hilft, den Prozess freudvoller, tiefgehender und nachhaltiger zu gestalten.«

Daniela Blickhan hat Anfang 2021 das meines Wissens erste deutschsprachige Überblickswerk zur Positiven Psychologie im Coaching (fortan meist PPC abgekürzt) verfasst. Sie schreibt auf S. 21:

»Die Positive Psychologie als wissenschaftlich basierter Ansatz ist […] eine ideale Basis für modernes, ganzheitlich verstandenes Coaching.«

Ich denke, auch der Begriff Basis deutet darauf hin, dass die Positive Psychologie eine Form der Ressource ist, die die Theorie und Praxis des Coachings informieren und unterstützen kann, ohne notwendigerweise eine komplett eigenständige Schule dar[34]zustellen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der Titel dieses Buches: Management-Coaching und Positive Psychologie.

Definition von Positive Psychology Coaching (PPC)

Jüngst ist ein Überblicksartikel erschienen, der anstrebt, sich auf Basis der – noch recht spärlichen – wissenschaftlichen Literatur trotzdem einer Art Definition bzw. Abgrenzung anzunähern (van Zyl et al., 2020; kursive Markierungen durch mich). Demnach lässt sich PPC beschreiben als:

»[…] short to medium term professional, collaborative relationship between a client and coach, aimed at the identification, utilization, optimization, and development of personal strengths and resources in order to enhance positive states, traits and behaviors. Utilizing Socratic goal setting and positive psychological evidence-based approaches to facilitate personal growth, optimal functioning, enhanced wellbeing, and the actualization of people’s potential.«

Lassen Sie uns die zentralen Punkte dieser Definition kurz reflektieren:

PPC ist ein co-kreativer Prozess. Der Coach ist Experte für die zum Einsatz kommenden Modelle, Frameworks und Interventionen, agiert jedoch jederzeit auf Augenhöhe mit dem Klienten, der selbstverständlich volle Kontrolle über und Verantwortung für die Anliegen und Ziele hat.PPC strebt nach der Aktivierung und Entwicklung bereits im Klienten angelegter Ressourcen. Wie später noch deutlich werden wird, spielt das individuelle Stärkenprofil des Coachees dabei eine herausgehobene Rolle.

Bis zu diesem Punkt wird der geschulte Blick kaum Unterschiede zu vielen anderen Coachingverfahren entdecken können. Diese zeigen sich, wenn auch nur in Nuancen, in den darauffolgenden Passagen:

Das Ziel des Coachingprozesses wird umschrieben mit der Entwicklung und Verstärkung von positiven Zuständen, Eigenschaften und Verhaltensweisen. Erst danach wird auch von Zielen bzw. Zielsetzung gesprochen. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Reihenfolge keiner Unachtsamkeit geschuldet ist, sondern absichtsvoll so gewählt wurde. Während ein mit PPC arbeitender Coach selbstverständlich auch gemeinsam mit dem Coachee daran arbeitet, konkrete Probleme und Anliegen zu bearbeiten, schwingt immer das Bestreben mit, den Klienten allgemein als Person wachsen und gedeihen zu lassen – und auch, das übergreifende Wohlbefinden zu mehren.29Die Mehrung des Wohlbefindens ist dabei allerdings nur partiell Selbstzweck. Wie in Kapitel 4 noch näher ausgeführt werden wird, ist das Wohlbefinden selbst auch Mittel zum Zweck: Es stellt eine eigene Form von Ressource, nicht bloß ein wünschenswertes Ergebnis dar.Auch der Begriff »evidenzbasiert« findet sich in dieser Definition alles andere als zufällig. Es gibt mittlerweile eine erkleckliche Anzahl von mehr oder weniger ab[35]grenzbaren Coachingschulen und hunderte von Coachingübungen und -interventionen. Allerdings darf festgehalten werden, dass diese in aller Regel nicht (ausreichend) empirisch auf ihre Wirksamkeit hin geprüft wurden. PPC geht hier mit mehr wissenschaftlicher Akribie zur Sache: Maßgabe ist, dass der Effekt aller Interventionen an sich – oder zumindest jener der unterliegenden Wirkfaktoren – nach Möglichkeit in Doppelblindstudien nachgewiesen wurde.30Zudem zeigt die Evidenzbasierung auf, dass die konkrete Messbarkeit von Entwicklung im PPC eine wichtige Rolle einnimmt. Im Sinne der positiven Diagnostik werden validierte Instrumente bereitgestellt, mit deren Hilfe Fortschritte im Denken, Fühlen und Handeln des Klienten sichtbar – und damit (besser) besprechbar gemacht werden können.Im letzten Satz wird nochmals das deutlich, was ich gerne als jederzeit präsentes Meta-Ziel des PPC bezeichne: Es geht weniger darum, abgegrenzte Probleme aus der Welt zu schaffen. Ziel ist es, das »optimale Funktionieren«31 und die Selbstaktualisierung der Person zu katalysieren. Das schließt für mich im Übrigen immer auch die Erschließung von Sinn-Horizonten mit ein. Ich bezeichne Sinnerleben gerne als Meta-Motivator – in dem Sinne, dass die Abwesenheit von Sinnwahrnehmung mit dem starken Rückgang von Motivation und Engagement einhergeht, sei es in beruflichen wie in privaten Kontexten.32

Abb. 1: Das PPC-Modell (eigene Darstellung)

Zum Abschluss dieses Abschnitts möchte ich nochmals betonen: Wie vermutlich jeder Coach auf diesem Planeten gehe ich ein gutes Stück weit eklektisch vor, wenn ich mit Klientinnen und Klienten arbeite. Ich…

nutze häufig Fragetechniken aus dem systemischen Ansatz oder dem Kurzzeit-Coaching in der Tradition von Steve de Shazer;verwende regelmäßig Metaphern aus der Transaktionsanalyse, um Klienten eine bessere Idee von bestimmten »psychischen Bewegungen« zu geben;