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Hinter blaugetünchten Häuserfassaden verborgen, lassen die Frauen ihr wallendes Haar fallen und die Mädchen stellen die Geschicklichkeit ihrer jungen Körper zur Schau. Ich bin Teil der Negaffa, der Brauthelferinnen einer opulenten Berberhochzeit, und dies ist eine Erzählung über das Leben jenseits der leuchtend blauen Mauern von Chefchaouen, hoch im marokkanischen Riffgebirge, einem Ort voll schroffer Herzlichkeit und brennender Leidenschaften.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Einzelne Zeilen eines arabischen Lieds nisten auf den Dampfwolken, die durch das Badehaus gleiten als plötzlich ein Schrei aufsteigt und von Zimmer zu Zimmer schallt. Silhouetten, kaum erkennbar in den schweren Nebelschwaden, bewegen sich durch die schwach beleuchteten Räume wie Geister aus einer anderen Zeit. „Oh, nein.“ Ein allgemeiner Aufschrei der Entrüstung hallt als Echo von den blassrosa Wänden des Dampfbades zurück und jagt uns Angst ein. Kleine Kinder, eingeseift bis zu den Ohren in weißem Schaum, schluchzen vor Schreck. „Es ist kein heißes Wasser mehr da. Oh nein!“ Nackte Frauen, mit Seifenknospen bedeckt, begutachten sich gegenseitig mit verdutzten Blicken. Dampfwolken verhüllen die zu Gruppen zusammengefundenen Gestalten, die auf den Fliesen unterhalb der gewölbten Zimmerdecken hocken. „Wie sollen wir uns jetzt abwaschen?“ Die Temperatur liegt bei weit über 40 Grad und der Schweiß fließt uns in Strömen den Rücken hinab. Und jetzt gibt es nicht einmal mehr heißes Wasser, um es mit dem eiskalten Wasserstrahl zu vermischen, der aus den unterirdischen Grotten tief im Inneren der umliegenden Berge entspringt. „Wie können nur die uralten Öfen gerade heute ausgehen, am ersten Tag der großen Hochzeit! Skandal!“
Wir befinden uns in Chefchaouen, einem marokkanischen Dorf, das im 14. Jahrhundert gegründet wurde und sich an den Rock eines schroffen Bergs sechshundert Meter über dem Meeresspiegel schmiegt. Während der Sommermonate brennt die Sonne hier mit erbarmungsloser Kraft. Im Winter herrscht nasse Kälte. Durch die winzigen Löcher, hoch in den Kuppeln des Dachgewölbes, fallen nur schmale Stifte aus Licht in den Hammam, ins Dampfbad. Mit meiner elfjährigen Tochter an meiner Seite bin ich endlich da und, obwohl ich in Chefchaouen einige Jahre lang gelebt habe, werde ich hier immer als die Rumi, die Ausländerin, genannt. Wir sind eingeladen wurden, um Bestandteil der Negaffa, der Brauthelferinnen, auf der bevorstehenden Feier zu sein. Die Negaffa, bestehend aus älteren verheirateten Frauen, Verwandten und Freunden, hat die Aufgabe, die Braut auf ihrer Metamorphose vom Mädchen zur verheirateten Frau zu begleiten. Draußen, auf den schmalen Gängen des Dorfs, das für seine blau bemalten Häuser berühmt ist, herrschen 40 Grad. Drinnen ist es sehr viel heißer.