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Die Himalayische Bergkette gleitet zwischen den aufgebauschten Wolkenschwaden hervor wie neugierige Kindernasen und durchbricht die Gischt, die über den Himmel fegt. Weiße Bergspitzen übertrumpfen sich an Majestät, einer höheren als der Andere, wie die Noten eines Lieds, das immer höher erklingt. Ein Gipfel ist beeindruckender als der Letzte, bis auf einmal ein 8.000 Fuß (2.400 m) hocher Berg, der wie eine Pyramide geformte ist, aus seinem Versteck zum Vorschein tritt. Es ist Habba Khatoon, so genannt in Ehren an die Legende einer schönen Dichterin, die ihn, den Verlust ihres Geliebten beklagend, jahrelang umkreiste.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Schon als ich das Flugzeug nach Srinagar auf dem Indira Gandhi International Flughafen von New Delhi besteige, steht neben mir ein ganzes Regiment aus indischen Soldaten. Einige sind mit einem “R’s” auf Ihren Schultern markiert, andere tragen das Wort “Artillerie” auf ihrer Brust. Offensichtlich ist Srinagar, die Hauptstadt der Provinz Jammu und Kaschmir, nicht nur berühmt für seine Kaschmirwolle und die feinere Variante, Pashmina, was “weiches Gold” bedeutet. Die Region hat gravierende politische Schwierigkeiten. Die Grenzstreitigkeiten mit dem benachbarten Pakistan brechen seit über 70 Jahren immer wieder aus – und das meist im Frühling. Seit der Unabhängigkeit Indiens, im Jahre 1947, und der Aufteilung in ein hinduistisches und ein muslimisches Land, ist die Gegend nicht nur als außergewöhnlich malerische Touristenregion im Sommer bekannt, sondern auch als brisantes Pulverfass.
Jammu und Kashmir ist ein Gebiet, welches – obwohl es von allen Seiten durch verschneite Berggipfel von der Welt abgeschnitten ist – regelmäßig wegen Massenunruhen in Flammen steht. Als ich in den 1990er-Jahren in dieser Gegend war, kam ich über den Karakorum Gebirgspass auf der alten Seidenstraße von China über die Pamir Berge und landete in der Provinz von Gilgit, in Pakistan. Damals war hier nur eine enge Straße und ringsum fielen Unmengen von Schutt, die hoch in den Himmel aufragenden Hänge der umliegenden Siebentausender herunter. Blickt man heute auf eine indische Landkarte, zeigt sie, dass die Gegend ihr Eigentum ist. In der Tat ist die Region von drei verschiedenen Nationen eingekesselt und die einheimische Bevölkerung wird, als Spielball in einem weit größeren Machtkampf, missbraucht.
Ich bin die einzige Ausländerin auf dieser Reise, eine weiße Frau mit blonden Haaren, eine sogenannte “Blondie”. Die anderen Passagiere mustern mich misstrauisch und ich mache das gleiche mit Ihnen. Instinktiv haben sich die anderen Frauen in den hinteren Teil des Busses, der uns zum Flugzeug befördert, gepfercht, obwohl die Trennung der Geschlechter in öffentlichen Verkehrsmitteln keineswegs in Indien praktiziert wird. In Pakistan allerdings ist dies Teil des Alltags. Im islamisch geprägten Land zwischen den Hindu Kush Bergen, der Provinz Himachal Pradesh im nördlichen Indien, sowie China und Nepal ist es wohl auch eine gängige Praktik. Ich nehme zur Kenntnis, dass die leuchtenden Saris, die goldenen Nasenringe über den karminroten Lippen und die klimpernden Bangles (“Armreifen”) auf einmal in der Minderheit sind. In Indien tragen Frauen ihr Haar offen oder in langen geölten Zöpfen. Sie geben sich dekorativ und für die meisten Männer ist es auch keine Schande, einen Hauch Farbe zu zeigen. Manchmal malen sie ihre Fingernägel an und benutzen Eyeliner; in der Regel schmückt ihre Stirn ein roter Punkt auf dem Dritten Auge, unter dem Haaransatz. Der Gegensatz zu der Mehrheit der Passagiere an Bord, die an der Propheten Mohammed glauben, ist markant. Ich habe bereits ein fremdes Land betreten, bevor wir überhaupt vom Boden abheben.