May Ayim - May Ayim - E-Book

May Ayim E-Book

May Ayim

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Beschreibung

Mit diesem Buch gedenken wir des 25. Todestags der afrodeutschen Dichterin und Aktivistin May Ayim, die am 9. August 1996 aus dem Leben gegangen ist. Familienmitglieder aus Ghana, den USA und Deutschland sowie Freund_innen, Kolleg_innen und Mitstreiter_innen wie die Schriftsteller_innen Esther Andradi, Cornelia Becker und Vusi Mchunu, der Musiker Linton Kwesi Johnson und der Filmemacher John Kantara u.v.a. schildern persönliche Begegnungen mit May Ayim. Sie beschreiben den Einfluss, den sie auf ihr Leben hatte und bis heute hat, und würdigen so ihr Leben und Werk. Darüber hinaus enthält der Band 20 bislang unveröffentlichte Gedichte, Fundstücke aus dem Nachlass der Autorin, die ein Kleinod der deutschsprachigen Literatur darstellen. Vorträge und Artikel von May Ayim sowie Interviews mit ihr runden diesen Gedenkband ab. "May Ayim. Radikale Dichterin, sanfte Rebellin" zeichnet ein detailliertes Bild des abwechslungs- und facettenreich kurzen Lebens der Autorin und bezeugt die Vielfältigkeit ihres Schaffens und Wirkens.

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Seitenzahl: 331

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Wir danken allen, die uns bei der Umsetzung dieses Projekts unterstützt haben, zum Beispiel durch das Schreiben von Beiträgen, Einreichung von Privatfotos und das digitale Erfassen des Materials.

Ika Hügel-Marshall, Nivedita Prasad und Dagmar Schultz (Hg.)

MAY AYIMRadikale Dichterin, sanfte Rebellin

In Zusammenarbeit mit Regina M. Banda Stein

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Ika Hügel-Marshall, Nivedita Prasad und Dagmar Schultz (Hg.):

May Ayim. Radikale Dichterin, sanfte Rebellin

1. Auflage, August 2021

eBook UNRAST Verlag, Januar 2022

ISBN 978-3-95405-095-6

© UNRAST-Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Cover: Patricia Ann Elcock

Coverfoto: Dagmar Schultz

Satz: Andreas Hollender, Köln

Wir danken der Alice Salomon Hochschule und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland für die finanzielle Unterstützung bei der Umsetzung dieses Buches.

Leider war es uns nicht möglich, alle Fotograf_innen der in diesem Buch abgebildeten Fotos zu ermitteln. Sollten Sie hierfür Hinweise haben, melden Sie sich gerne bei Dagmar Schultz.

Inhalt

Ika Hügel-Marshall, Nivedita Prasad und Dagmar SchultzEinleitung: May Ayim. Radikale Dichterin, sanfte Rebellin

Beiträge von Familie und Freund_innen von May Ayim

Emmanuel Nuwokpor AyimRede bei der Gedenkfeier für May Ayim am 24. August 1996 in der Passionskirche am Marheineke-Platz in Berlin

Elsie Seyena AyimSchuldig – Versuch einer Erklärung!

Eric AyimUnvergessliche Erinnerungen an meine Schwester

Jasmin Ayim SchülerDu bist da

Hildegard KemperUnsere gemeinsame Zeit – Brief an May

Ute Heidebrecht-OttErinnerungen an meine Freundin May

Dagmar SchultzMay Ayim. »durch liebe, mut und wut bin ich gewachsen«

David Nii AddyEin Stück des Weges gemeinsam

Abenaa Agyeiwaa AdomakoWenn ich an May denke

John A. KantaraMay Ayim – 1986 Berlin

Jeannine KantaraVermisst

Vusi MchunuMay Ayim, wie ich sie kannte

Luyanda MpahlwaEin Tribut an May Mawuli AyimDie sanfte Revolutionärin mit dem weichen Lächeln

Peggy Nomfundo LuswaziIn liebevoller Erinnerung an May

Anke SchilkowskiUnsere Freundschaft begann mit einer Reise

Linton Kwesi JohnsonMay Ayim: Gehütete Erinnerung

Ilona BubeckDie Kraft der Poesie

Nivedita PrasadMay, wie ich sie erinnere ...

Thomas SchmittBegegnung im August 1989

Gotlinde Magiriba LwangaSo fern. So nah

Gülşen AktaşZwischen Geranien und Germanien – Impressionen aus einem poetischen Leben von May

Ika Hügel-MarshallSeite an Seite

Anke Schilkowski und Regina M. Banda SteinGemeinsam

Regina M. Banda SteinKünstlerische Erinnerungen an May

Chris LangeEine Lesung mit May

Patrice PoutrusFür immer in meiner Nähe

Cornelia BeckerRadikale Lyrikerin, sanfte Rebellin, May Ayim

Sonia Solarte OrejuelaCuarto de Siglo: Das Leben zwischen den Stühlen. In Gedenken an May Ayim

Bianca TänzerErinnerungsmomente und GedächtnislückenMay Ayim: Hin-Hören und Nach-Denken

Gitti HentschelBruchstücke der Erinnerung an May Ayim

Unveröffentlichte Gedichte aus dem Nachlass von May Ayim

meine hände

ich bin schwarz

mahalia jackson

lächeln

leere

weinen

schein

als ich älter wurde

sister

melodie des schmerzes

rhythm and soul

lippen

MEHR

OFFENES ENDE

wortspiele

freitagnachmittag

die unmenschliche geschichte

e & p / exklusiv und pietätvoll

beobachtung I

beobachtung II

Forschungsberichte, Vorträge, Interviews von und mit May Ayim

May AyimSozialhistorische Ausdrucksformen des Rassismus

May AyimDie Fremdheit nimmt ab, die Feindlichkeit nimmt zu

May AyimEthnozentrismus und Rassismus in Therapiebereichen (Auszüge)

May Ayim, Ika Hügel, Dagmar SchultzHochschullehrer/innen zum Umgang mit Rassismus, Antisemitismus und Ethnozentrismus in Lehre, Forschung und (Personal)Politik – Ergebnisse einer Befragung

»Ein Schwarzer als König der Schweiz« Ein Interview von Hélène Hürlimann mit May Ayim

May AyimStudienbefähigung und Studienabschlussförderung ausländischer StudentInnen

May AyimSchreiben von den Rändern

Exemplarische Präsentation von May Ayims Werk im Ausland

Esther AndradiBerlin Blues. May Ayims Poesie auf Spanisch

Quellen und Verweise

Ika Hügel-Marshall, Nivedita Prasad und Dagmar Schultz

Einleitung: May Ayim. Radikale Dichterin, sanfte Rebellin[1]

Die Dichterin, Aktivistin, Wissenschaftlerin May Ayim hat uns 1996 durch ihren Freitod verlassen; das jährt sich dieses Jahr zum 25. Mal. Zu ihrem Gedenken soll dieses Buch beitragen. Es versammelt unveröffentlichte Texte und Gedichte der Autorin mit Erinnerungsbeiträgen von Familie, Freund_innen[2], Mitstreiter_innen und Kolleg_innen. So entfaltet sich ein breites Spektrum der Tätigkeiten, Beziehungen und Freundschaften von May Ayim.

Wir kennen immer nur Facetten einer Person, und bei May waren sie mindestens so vielseitig wie die verschiedenen Communitys, in denen sie sich bewegte. Ghanaisch-deutscher Herkunft, wurde sie am 6.5.1960 in Hamburg geboren. Ihr Vater (aus Ghana), Medizinstudent in Deutschland und Assistenzarzt in der Schweiz, wurde später Medizinprofessor, die weiße deutsche Mutter war Tänzerin und hat später u.a. als Verkäuferin gearbeitet. Die Eltern waren nicht verheiratet; die Mutter sah sich nicht in der Lage, das Kind großzuziehen. Der Vater hatte sich bemüht, seine Tochter mit nach Ghana zu nehmen, hatte jedoch als nicht deutscher Vater eines nicht ehelichen Kindes rechtlich keine Handhabe. Er musste Deutschland verlassen und damit auch seine Tochter[3]. Daher lebte May die ersten eineinhalb Jahre im Heim und dann in einer weißen Pflegefamilie in Münster. Sie hatte sporadischen Kontakt zum Vater und lediglich eine kurze – sehr unerfreuliche – Begegnung mit der Mutter. Ihre Kindheit/Jugend verbrachte sie in Münster, studierte anschließend Pädagogik in Regensburg. Ihre Diplomarbeit Afro-Deutsche, Ihre Kultur- und Sozialgeschichte auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen erschien in überarbeiteter Fassung in dem Buch Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte (Oguntoye et al. 1986). May schloss danach eine Ausbildung zur Logopädin in Berlin ab. Ihre Abschlussarbeit schrieb sie zum Thema Ethnozentrismus und Geschlechterollenstereotype in der Logopädie. Eine kritische Betrachtung von Bild- und Wortmaterialien mit Verbesserungsvorschlägen für die logopädische Praxis[4]. Danach plante sie, ihre Dissertation zum Thema Ethnozentrismus und Rassismus in Therapiebereichen[5] zu schreiben.

May Ayim gehörte 1985 zu den Gründer_innen der Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland [6](ISD) und 1986 zu den Frauen, die durch das Buch Farbe bekennen »Afro-deutsch« als Terminus und Realität sichtbar machten. 1992 wurde das Buch ins Englische übersetzt (Opitz et al. 1992). May war damit einer der Initiatorinnen bedeutsamer Bewegungen rassismuserfahrener Menschen in Deutschland; einige bestehen bis heute fort (z. B. Adefra roots und ISD), andere sind später entstanden (wie z. B. Berlin Postkolonial). Ihre Schriften haben entscheidend zur politischen Identitätsentwicklung bei Schwarzen Personen und People of Color und zur Bewusstseinsentwicklung über Rassismus bei weißen Menschen beigetragen. Darüber hinaus war May in der Frauenbewegung von Schwarzen, migrierten und jüdischen Frauen und der Anti-Apartheidsbewegung aktiv.

Neben all ihren wissenschaftlichen und aktivistischen Tätigkeiten war sie durchgängig auch als Poetin tätig. Sie schrieb Gedichte und trug diese – immer frei – vor, wodurch ihre Lesungen immer auch Performances waren. Dies ist gut in dem Film Hoffnung im Herz. Mündliche Poesie – May Ayim (Binder 1997) zu sehen. Ein weiteres Beispiel findet sich beim digitalen Besuch des May-Ayim-Ufers in der Audre Lorde in Berlin Online Reise[7]. Wann sie genau anfing, Gedichte zu schreiben, lässt sich nicht genau sagen, Freundinnen erinnern sich daran, dass May bereits als Schülerin Gedichte schrieb. Das erstveröffentlichte Gedicht ist unserer Kenntnis nach jerusalem (Ayim 1995: 87) aus dem Jahr 1978; da war May 18 Jahre alt.

Die Aktivistin May Ayim bewegte sich in verschiedenen Communitys – stand in Kontakt und Austausch mit Schwarzen Deutschen, migrierten, jüdischen und weißen Frauen und Männern. Sie hatte vielfältige Freundschaften und politische Bündnispartner_innen im In- und Ausland. Schon als Schülerin engagierte sie sich in einem Kibbuz in Israel und später (1987) in einem work camp in Ghana.

May Ayim begriff sich als Dichterin, und Dichten war für sie lebensnotwendig. Allerdings wurde sie in Deutschland häufig nicht als Lyrikerin angesprochen, sondern als Vertreterin der afrodeutschen Community, und das obwohl ihre Lyrik unzählige Menschen im In- und Ausland bewegte. Gleichzeitig leistete sie wegweisende wissenschaftliche Arbeit mit ihren Untersuchungen und Schriften zur Geschichte und Gegenwart Schwarzer Deutscher und anderer rassismuserfahrener Personen. Ihre Essays bieten messerscharfe Analysen der politischen Situation in Deutschland, die zum Teil bis heute nicht an Aktualität verloren haben. Sie erwähnte bereits 1990[8] Anton Wilhelm Amo – der vermutlich erste afrikanische Student, der Philosophie und Rechtswissenschaften an der Universität in Halle studierte und dort auch promovierte. Ebenso erwähnte sie die Verehrung des für seine Brutalität Bekannten Kolonialherren Carl Peters[9]. Sie unterrichtete an Berliner Universitäten und führte Forschungsprojekte durch. 1992/93 war sie im Vorstand des Vereins LiteraturFrauen, dessen Ziel es war, Schriftstellerinnen unterschiedlicher nationaler Herkunft zu unterstützen. Fernerhin arbeitete sie als Logopädin und als Studienberaterin und Lehrbeauftragte an der Alice Salomon Hochschule.

Mit ihrem Engagement und der ihr eigenen verbindenden Art trug sie immer wieder dazu bei, Menschen unterschiedlicher Herkünfte und politischer Zusammenhänge zu vernetzen. Bei vielen politischen Veranstaltungen, Demonstrationen und Diskussionen begeisterte und berührte May Ayim ihr Publikum. Sie begegnete ihren Zuhörer_innen in der Bundesrepublik, in den USA, in Kanada, Ghana, Südafrika, England, der Schweiz, Österreich und den Niederlanden in immer wieder überraschender Weise mit ihrer Beobachtungsschärfe, ihrem Humor und ihrer Ironie – auf Deutsch und Englisch.

Die internationale Anerkennung, die May schon kurz nach der Veröffentlichung des Buches Farbe bekennen erhielt, führte dazu, dass sie zu verschiedenen Konferenzen und Symposien[10] aus aller Welt, die sich mit Feminismus, Antirassismus und Menschenrechten befassten, eingeladen wurde. Tiffany Florvil – eine Geschichtsprofessorin aus den USA, die sich auf Schwarze diasporische Bewegungen spezialisiert hat, beschreibt wie May diese Gelegenheiten zur Vernetzung nutzte:

»[…] an diesen internationalen Veranstaltungen knüpfte sie Kontakte zu Personen aus der Diaspora […]. Ihre Teilnahme an diesen Veranstaltungen diente als eine Form der Anwaltschaftsarbeit, in der sie Gleichheit nicht nur für Schwarze Deutsche, sondern für alle People of Color forderte. […] Ayim praktizierte intersektionale Politik mit ihrem internationalen Engagement. Sie nahm 1987 an der Konferenz Women in German (WiG) in Portland, Oregon, teil, wo sie eine Lesung aus dem Buch Farbe bekennen hielt, ebenso wie auf der der dritten internationalen feministischen Buchmesse 1988 in Montreal, Kanada. […] 1992 nahm sie an der Konferenz African Women in Europe in London teil und hielt eine Rede mit dem Titel ›Mein Stift ist mein Schwert: Rassismus und Widerstand in Deutschland‹. Darin betonte sie die Bedeutung des Schreibens als Medium für den Aufbau von Koalitionen und den sozialen Wandel für sich selbst und für die Schwarzen Europäer_innen im Allgemeinen. Sie erklärte auch die Notlage der Minderheiten in Deutschland und ihre anhaltenden Mobilisierungsbemühungen. Diese Konferenz untermauerte auch ihren Wunsch, die Dynamik in der ›Festung Europa‹ zu verbessern, einem Raum, in dem nicht weiße Europäer_innen weiterhin feindselig behandelt wurden und der die europäischen Grenzen für Flüchtlinge und Migrant_innen zunehmend undurchdringlich machte.« (Florvil 2017: o.S., Übersetzung durch die Herausgeberinnen)

In demselben Jahr sprach sie in Toronto bei der Konferenz CELAFI: Celebrating African Identity. The Third International NCA Conference, in deren Folge Margaret Busby May Ayim in ihrer Anthologie Daughters of Africa aufnahm (Busby 1992).

1993 war sie mit David Nii Addy, Vusi Mchunu[11] und Abdul Alkalimat[12] auf dem 11. International Radical Book Fair of Black and Third World Books in London. Dort wie auf anderen Konferenzen knüpfte sie Kontakte u.a. mit dem jamaikanisch-britischen Dub-Dichter Linton Kwesi Johnson[13], der karibisch-amerikanischen Schriftstellerin June Jordan, der afro-amerikanischen Soziologin Patricia Hill Collins, mit der Lyrikerin Merle Collins aus Grenada und der afro-amerikanischen Lyrikerin Sonia Sanchez.

1994 hielt sie im Rahmen der Tagung von ZABALAZA einen Vortrag mit dem Titel »Writings from the edge; Writings from inside« in London.[14] Ebenfalls 1994 sprach sie an der University of Minnesota über Racism and Resistance in Germany. Von dieser Universität erhielt May kurz nach ihrem Tod eine Einladung als Gastprofessorin. 1994 folgte sie auch der Einladung zur Teilnahme am Round-Table-Program von AKWAABA (Pan European Women’s Network for Intercultural Action and Exchange) in Brüssel. Zum Ende des Jahres informierte sie in Accra bei dem zweiten Pan-African Historical Theatre Festival (PANAFEST 94) das internationale Publikum über Erfahrungen von Schwarzen Deutschen und Schwarzen Europäer_innen. Bei der Gelegenheit konnte sie auch Zeit mit ihrer Familie verbringen.[15] 1995 sprach May auf dem internationalen Symposium zu Rassismen und Feminismen in Wien. In dem Jahr war May noch einmal in Südafrika und hielt Vorträge an der University of Transkei in Umtata[16] und an Schulen in Johannesburg. Gleichzeitig trat sie bei dem Mega Music Festival in Johannesburg auf – ein Teil dieses Auftritts ist in dem Film Hoffnung im Herz (Binder 1997) zu sehen.

Mit dem Interview, das Bettina Böttinger mit ihr 1996 in der Sendung »b.trifft« führte, rief sie eine für uns alle unerwartet breite Reaktion in ganz unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung hervor. Zahlreiche Gedichte und Essays von May Ayim wurden und werden in Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und Schulbüchern veröffentlicht (vor 1992 unter May Opitz) sowie für Theaterstücke und Tanz Performances eingesetzt. Ihre Essays stellen eine beeindruckend gelungene Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und persönlicher Erfahrung dar (vgl. Ayim 1997a).

Die private Person May Ayim erschließt sich uns teilweise aus ihren Gedichten und Texten und nun auch aus den Beiträgen der Familie und Freund_innen – aber eben nur zu einem gewissen Grad – so soll es auch sein, im Sinne der Achtung vor dem Menschen May Ayim.

Mays Entschluss, aus dem Leben zu gehen, erschütterte international viele Menschen über den großen Freund_innenkreis hinaus. Zur Trauerfeier kamen etwa 700 Personen und der Orlanda Frauenverlag erhielt Beileidsschreiben aus aller Welt. Mays Grab ist auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in der Großgörschenstraße in Schöneberg.

In einem Abschiedsbrief schrieb May: »ich habe mehr gelebt und erlebt als viele Menschen, die doppelt so alt geworden sind«. Wenn wir ihr Werk ansehen, wenn wir im dem Buch Grenzenlos und unverschämt (Ayim 1997a: 174–191) im Anhang nachlesen, in wie vielen Büchern, Zeitschriften und Zeitungen ihre Gedichte und Texte veröffentlicht wurden und bei wie vielen Konferenzen und Kulturfestivals sie Vorträge gehalten und Lesungen gegeben hat, wird dies deutlich, zumindest was ihre Arbeit als Autorin angeht.

Nach Mays Tod veröffentlichte der Orlanda Frauenverlag 1997 Mays zweiten Lyrikband nachtgesang (Ayim 1997b) und ihre Essays in einem Sammelband mit dem Titel Grenzenlos und unverschämt (Ayim 1997a), in dem Silke Mertins einen biografischen Aufsatz verfasste (vgl. ebd.: 158 ff.). Ebenfalls 1997 produzierten Maria Binder und Dagmar Schultz den Film über Mays Leben (Binder 1997). 1999 beschrieb Dagmar Schultz in einem Artikel die Umstände und das Erleben von Mays Erkrankung aus ihrer Sicht (Schultz 1999). 2003 wurde in den USA der Band blues in black and white (Ayim/Adams 2003) mit Mays Essays und Gedichten in englischer Sprache übersetzt. 2013 wurden beide Gedichtbände in dem Buch Weitergehen zusammengefasst. 2015 erschien das Buch Sisters and Souls. Inspirationen durch May Ayim (Kelly 2015) mit Beiträgen Schwarzer Frauen, die von Mays Werk inspiriert wurden.

In vielfältiger Weise ist deutlich welche Wirkung May als Person, als Lyrikerin, Autorin und als politische Aktivistin gehabt hat und immer noch hat. Hier nur ein paar Beispiele: 2004 wurde mit dem May Ayim Award das literarische Schaffen Schwarzer Autor_innen geehrt (vgl. Piesche et al. 2004). Die Schriftstellerin Esther Andradi hat ihre Übersetzungen von Mays Gedichten in einer argentinischen Zeitschrift veröffentlicht.[17] In Portugal wurden die Gedichte von May Ayim übersetzt und am Goethe Institut präsentiert. Jessica Oliveira veröffentlichte Gedichte von May in Brasilien und schuf im Auftrag des Goethe Instituts von São Paulo die portugiesisch/brasilianische Untertitelung des Films Hoffnung im Herz. Die indische Literaturzeitschrift Golkonda Darpan veröffentlichte 2006 das Gedicht blues in schwarz weiss in Hindi. Schließlich konnte 2015 das May Ayim Archiv[18] mit einer Vielzahl von Materialien am Archiv der Bibliothek der Freien Universität eingerichtet werden. Mays Werk lebt weiter, hier und weit über deutsche Grenzen hinaus.

Besonders hervorheben wollen wir, dass durch die Intervention vieler verschiedener Organisationen, vor allen Dingen aber Vertreter_innen von Berlin Postkolonial, 2011 eine Straße[19] nach May Ayim benannt wurde: Das May-Ayim-Ufer befindet sich in Kreuzberg direkt an der Oberbaumbrücke. Davor trug die Straße den Namen eines Kolonialherren. In der Straße befindet sich nun eine Stele, die über May Ayim aber auch das Thema Kolonialismus/Sklaverei informiert.

May Ayim bewegt und inspiriert nach wie vor viele Menschen dazu, ihr Werk weiterzudenken bzw. weiterzu entwickeln. In dem nun vorliegenden Band May Ayim. Radikale Dichterin, Sanfte Rebellin wird die Vielfältigkeit von May Ayims Schaffen und Wirken auf mehrere Weisen deutlich: Von besonderer Bedeutung sind in diesem Band die Beiträge von Familienmitgliedern aus Ghana, USA und Deutschland, von Freund_innen, Kolleg_innen und Mitstreiter_innen, die ein facettenreiches, faszinierendes Bild von May als vielschichtige Persönlichkeit zeichnen. Es sind Erinnerungen und Reflexionen von insgesamt 29 Personen, die in verschiedenen Lebensphasen von May Ayim unterschiedliche Dinge mit ihr erlebt und gelebt haben. Unter ihnen sind Elsie Seyena Ayim, die Frau von Mays Vater, ebenso wie ihr Bruder Eric Ayim und die afrodeutsche Schwester Jasmin Ayim Schüler, die May jedoch leider nicht persönlich begegnet ist. Zu den Autor_innen gehören z. B. die Schriftsteller_innen Esther Andradi, die Mays Gedichte ins Spanische übersetzt hat, Cornelia Becker, die den Verein LiteraturFrauen mit ihr geleitet hat, und der Schriftsteller Vusi Munchu. Der Musiker Linton Kwesi Johnson hat ein Gedicht für May geschrieben und es weltweit mit und ohne Musik als reggae rendition präsentiert. Die Professorin für Soziale Arbeit Nivedita Prasad war Mitstreiterin in der Frauen- und BiPoc-Bewegung, und die Professorin für Entwicklungspolitik Peggy Luswazi vermittelt ihre Erinnerungen an gemeinsame Projekte mit May in ihrer Berliner Exilzeit. Die Schulfreundin Hildegard Kemper schreibt über ihre Erlebnisse mit May in Münster und auf Reisen nach Israel und Ägypten. Abenaa Agyeiwaa Adomako und David Nii Addy teilen mit May den Bezug zu Ghana und die Anfänge der ISD; und es gibt noch viele weitere interessante und zum Teil sehr persönliche Beiträge in diesem Buch zu entdecken.

So unterschiedlich und vielseitig wie Mays Leben war, so unterschiedlich sind auch ihre Kontakte gewesen. May Ayim wird heute mehr denn je als Repräsentantin und Identifikationsfigur der afrodeutschen Community angesehen. Diese persönlichen Erinnerungen können auch dazu beitragen, May als öffentliche Person nicht zu einer Ikone erstarren zu lassen.

Wir – als Freundinnen von May – hoffen auf diese Weise 25 Jahre nach ihrem Tod würdig an May zu erinnern.

Die Familie von May, alle Autor_innen sowie wir Herausgeberinnen verzichten auf die Erlöse aus dem Verkaufs dieses Buches und spenden die Tantiemen auf ein Spendenkonto für Schwarze Frauen und Transpersonen, das von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland verwaltet wird.

Erinnerungen anund Begegnungen mitMay Ayim

Beiträge von Familie undFreund_innen von May Ayim

Emmanuel Nuwokpor Ayim

Rede bei der Gedenkfeier für May Ayim am 24. August 1996 in der Passionskirche am Marheineke-Platz in Berlin

May Ayim Opitz wurde am 3. Mai als Tochter eines ghanaischen Vaters und einer deutschen Mutter in Hamburg geboren. Die ersten 1½ Jahre verbrachte sie in einem Kinder-/Säuglingsheim, von dem sie von den Pflegeeltern Frido und Ingrid Opitz[20] nach Münster, Westfalen übernommen wurde, die ihr den Namen May gaben. Sie wuchs zusammen mit den Kindern der Opitz unter strengen disziplinierten Bedingungen auf mit der Absicht, dass diese ihr im späteren Leben zugutekommen sollten. Die Pflegeeltern haben den Kontakt mit mir, dem Vater, früh hergestellt, erlaubten mir den großzügigen und ständigen Kontakt mit der Familie. Zwischen der Familie Opitz und May auf der einen Seite und mir auf der anderen Seite entwickelte sich schnell ein herzliches und freundschaftliches Verhältnis, das bis heute andauert.

Im Alter von gut 18 Jahren verließ May ihre Pflegeeltern und studierte an der Universität Regensburg. Bis zu ihrem Tod unterhielt sie weiterhin Kontakt zur Pflegefamilie, insbesondere zu Herrn Opitz. Sie betrachtete ihre frühen Kindheitsjahre mit gemischten Gefühlen, weil sie Rassismus in ihrem Umfeld ausgesetzt war und sensibel darauf reagierte. May gab in ihren Publikationen (Oguntoye et al. 1986 und Ayim 1995) ihre Seite von einigen Aspekten ihrer Lebensgeschichte wieder.

Sie wuchs mit dem Bewusstsein ihrer doppelten Herkunft auf. Angetrieben von einem gemischten Gefühl aus Neugierde, Frustration und Nostalgie, erforschte sie die Herkunft ihrer familiären Wurzeln. Entgegen ihrer Erwartung war die mütterliche Seite nicht bereit, sie zu akzeptieren oder anzuerkennen. Sie machte einen Überraschungsbesuch im Haus des Vaters in Ghana und wurde herzlich empfangen. Sie unternahm mehrere Reisen nach Afrika und fand dort bald Freund_innen.

1982 besuchte sie mich und meine Familie in Nairobi, wo ich als Professor für Anästhesie an der Universität von Nairobi tätig war, und 1994 besuchte sie die Familie in Ghana. Sie wurde von den Mitgliedern der Familie Ayim in Ghana sehr geliebt und respektiert und als freundliche und liebevolle Person wahrgenommen. Sie wurde geliebt und bewundert von meiner Frau, ihrer Stiefmutter Elsie Seyena, die heute bei mir ist, und ihren beiden Brüdern, Egbert und Eric. Sie lernte auch ihren Großvater kennen, eine Begegnung, die für sie eine besonders wichtige Erfahrung war.

May nahm sich in vielerlei Hinsicht als Afrikanerin ghanaischer Herkunft wahr. Sie schätzte und liebte viele Dinge Afrikas, vor allem kultureller Natur, wie Musik, Filme, Bücher, Kleidung, Schmuck und Ornamente. Sie fragte nach einem afrikanischen Namen und wählte sich aus mehreren Vorschlägen Mawuli aus, was im Ewe-Dialekt bedeutet Gott existiert. Sie zog es vor, von den Familienmitgliedern so genannt zu werden.

May Ayim mit Vater Emmanuel Nuwokpor Ayim© privat

Emmanuel Nuwokpor Ayim, May Ayim, Berlin 1996© D. Schultz

Wie viele Menschen afrikanischer Herkunft, die in der weißen Gesellschaft leben, wurde May in wachsendem Maß sensibel gegenüber jeder Form von Rassendiskriminierung oder Marginalisierung. Gleichzeitig schätzte sie es, wundervolle weiße Freunde in Berlin und in vielen Teilen der Welt zu haben. In vielerlei Hinsicht würde die erwachsene May als Self-made-Woman betrachtet werden. Wir bedauern zutiefst, dass May uns zu einer Zeit verlassen hat, in der sie enorm von ihrer Familie und ihren persönlichen Leistungen profitieren konnte.

In meinem Namen und im Namen meiner Familie, der Verwandten und Freunde von May in Ghana und Kenia überbringe ich Ihnen allen zu diesem traurigen Anlass Grüße und Beileidsbekundungen. Ich weiß die Trauer zu schätzen, die Sie mit uns teilen. Ich bin dankbar für die umfangreichen Vorbereitungen, die Sie während meiner Abwesenheit gemacht haben, um meine Tochter und ihre Arbeit zu ehren. Mein besonderer Dank gilt Dr. Dagmar Schultz und Dr. Peggy Luswazi, die mir seit der zweiten Krankenhauseinweisung von May im Juni eine unschätzbare Unterstützung geboten haben. Nochmals vielen Dank Euch allen.

Möge der allmächtige Gott die Seele von May Ayim in ewigem Frieden ruhen lassen.

Emmanuel Nuwokpor Ayim

Emmanuel Nuwokpor Ayim stammt aus Avenui, einer kleinen Stadt in der Volta-Region in Ghana. Seine Schulzeit verbrachte er in Ghana; er erhielt ein Stipendium an der Achimota School, die es ihm später ermöglichte, an der Universität Hamburg zu studieren. Er begann zunächst ein Ingenieurstudium und wechselte kurz darauf zur Medizin. Nach seinem Abschluss ging er in die Schweiz, um sich auf Anästhesie zu spezialisieren.

© Dagmar Schultz

Anfang der 1970er-Jahre kehrte er nach Ostafrika zurück und lehrte zwei Jahre an der Universität Dar-es-Salaam in Tansania. Danach zog er nach Nairobi, Kenia, wo er weiterhin lehrte. Während seiner Lehrtätigkeit am Kenyatta Hospital wurde er eines der Gründungsmitglieder der »Society of Anaesthesiologists of East Africa«, deren Vorsitzender er war. Darüber hinaus war er als beratender Anästhesist mit Schwerpunkt auf die Notfallmedizin tätig. Während all dieser Jahre schrieb er regelmäßig für verschiedene medizinische Fachzeitschriften.

Er arbeitete viele Jahre als Teil der flying doctors, einer Organisation, die schwer erkrankte Patient_innen in verschiedene Länder Afrikas, Europas und des Nahen Ostens unterstützt. Er und Elsie Seyena heirateten 1975 und haben zwei Kinder: Egbert und Eric. Derzeit ist er im Ruhestand und genießt die Zeit mit seiner Frau, beim Fußballschauen, sich über das aktuelle Geschehen informieren, lesen und die Natur genießen.

Elsie Seyena Ayim[21]

Schuldig – Versuch einer Erklärung![22]

Es fällt mir schwer, diese Erinnerungen an unsere Tochter May niederzuschreiben.

Zum ersten Mal hörte ich von May ein paar Monate, nachdem ich ihren Vater, meinen späteren Ehemann, 1975 kennengelernt hatte. Mein Zusammentreffen mit Emmanuel war kurz, denn er musste zurück nach Nairobi, Kenia. Dort unterrichtete er an der Medizinischen Fakultät der Universität von Nairobi. Im Folgejahr, 1976, heirateten wir in einer traditionellen Zeremonie und ich folgte ihm; bis dahin hatte ich in Accra, Ghana, gelebt. Zu dieser Zeit erfuhr ich ein wenig mehr über May. Sie war damals ein Teenager von 16 Jahren und lebte bei ihren Pflegeeltern – Familie Opitz – in Deutschland.

Ich verliebte mich sofort in sie, und das, obwohl ich sie noch nicht persönlich getroffen hatte und die Kommunikation mit ihr sehr eingeschränkt war. Sie wiederum verliebte sich auch in mich, nachdem ihr Vater ihr von unserer Heirat erzählt hatte.

May wollte unbedingt nach Ghana reisen und die Familie ihres Vaters treffen. Deshalb engagierte sie sich in einer Freiwilligen-Organisation, die Selbsthilfe-Projekte anstieß. In dieser Organisation erhielt sie 1986 die Möglichkeit, zum ersten Mal nach Ghana zu kommen. Sie traf bei dieser Gelegenheit meine ältere Schwester Mildred und ihren inzwischen verstorbenen Onkel Lawrence, den jüngeren Bruder ihres Vaters. Der nahm sie mit in seine Heimatstadt, Avenui[23]. Dort traf sie ihren, ebenfalls inzwischen verstorbenen, Großvater[24] und auch andere Familienmitglieder. Ich lebte damals in Nairobi, konnte sie also nicht treffen. Die Reise nach Ghana machte ihr tatsächlich ihre Wurzeln bewusst, was ihr viel bedeutete.

Ich habe immer um einen günstigen Zeitpunkt gebetet, May zu treffen. Unaufhörlich ermunterte ich ihren Vater, sie zu einem Urlaub zu uns einzuladen. Dieser Zeitpunkt nahm Gestalt an und sie besuchte uns Mitte der 80er-Jahre in Nairobi. Sie war so begeistert, uns und ihre jüngeren Brüder Egbert und Eric kennenzulernen. Der Besuch war in gewisser Weise ein Wendepunkt in ihrem Leben. Wir verbrachten eine gute Zeit miteinander und sie erzählte mir eine Menge über ihre Kindheit und die Pflegeeltern – Familie Opitz. Diese Geschichte rührt mich immer noch zu Tränen.

Mit Stiefmutter Elsie Seyena Ayim und Bruder Eric Ayim, Nairobi 1986 © privat

May liebte Musik und das Tanzen. Ich erinnere mich an einen Nachtclub-Besuch zusammen mit einem Freund und einer Freundin der Familie. Wir beide tanzten die Nacht durch, denn auch ich liebe es zu tanzen. Diese Momente bleiben in meiner Erinnerung lebendig. Wir hatten eine wirklich gute Zeit und unsere Bindung wuchs. Nach diesem Besuch hatten wir eine großartige Kommunikation.

Damals war mein größter Wunsch, sie würde nach Nairobi ziehen, ihr Englisch aufpolieren und mit ihrer Bildungsarbeit fortfahren, während sie mit uns lebte. Leider kam es nicht dazu, denn ihr Vater unterstützte diesen Wunsch nicht. Manchmal scheint mir, ich hätte ihren Vater vielleicht mehr ›bedrängen‹ sollen, um sie bei uns zu haben. Ich fühle mich immer noch schuldig, von Zeit zu Zeit.

Während ihres Besuchs in Nairobi bat sie um einen ghanaischen Namen. Ich war mehr als dankbar, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Ich gab ihr eine lange Liste mit Namen unseres Volkes – der Ewe. Glücklicherweise haben 99 % unserer Namen eine Bedeutung, und sie sind geschlechterneutral. Sie wählte Mawuli – Gott existiert. Es war ihr größter Wunsch, ihren Namen in May Mawuli Ayim zu ändern. Sie tat alles dafür, war aber nicht erfolgreich; deshalb entschied sie, diesen Namen als Künstlernamen zu verwenden. Darüber bin ich sehr froh und auch sie war mit dieser Entscheidung letztendlich zufrieden.

May mit ihrem Großvater Reuben Ansah Ayim in Avenui 1986© privat

Später, 1988, zog ich mit ihren Brüdern Egbert und Eric zurück nach Accra, eine Entscheidung, die ich nie bereut habe. Ich glaube, jede_r sollte die eigenen Wurzeln und Kultur kennen und stolz darauf sein.

Während des Panafest-Festivals hatte May eine weitere Gelegenheit, Ghana zu besuchen. Es fand in der zweitgrößten Stadt Ghanas – Kumasi – statt, und wir lebten in Accra. Nach dem Festival verbrachte May ein paar Tage mit uns. Ihre Brüder waren älter geworden, sie genossen das Beisammensein und verstanden sich gut mit ihr. Sie war so liebevoll und so stolz auf sie. Wir hatten eine gute und unvergessliche Zeit. Wegen der großen Entfernung waren wir leider nicht in der Lage, uns so oft zu treffen, wie wir gewünscht hätten.

May in Ghana 1986© privat

May liebte die Poesie und das Schreiben. Sie hätte, ganz sicher, eine Autobiografie geschrieben.

Zu der Zeit, in der wir uns zunehmend hätten näherkommen sollen, begannen ihre gesundheitlichen Probleme. Ich wusste lange nichts davon. Details erfuhr ich erst nach ihrem Tod. Möge ihre Seele in Frieden ruhen in den Armen ihres Schöpfers!

Ich war sehr froh, an ihrer Beerdigung, die so gut organisiert war und bei der so viele Menschen anwesend waren, teilnehmen zu können. Die Familie wird ihren engen Freundinnen Dagmar, Ika und Ute[25] auf ewig dankbar sein, denn sie spielten eine wichtige Rolle in Mays Leben und spielen sie auch über ihren Tod hinaus. Die Erinnerung an ihre Beerdigung ist mir noch gut im Gedächtnis. May wird in unseren Erinnerungen bleiben. Sie war eine liebevolle, fürsorgliche Person. Sie war stolz darauf, ›Schwarz‹ zu sein, trotz der vielen schwierigen Situationen, die sie zu meistern hatte. Ja, May ist von uns gegangen, aber ihr Name und ihr Werk werden bleiben.

Ich werde dich für immer lieben, Mawuli.

Innigst, Deine Seyena

Elsie Seyena Ayim

Elsie Seyena Ayim ist die Tochter ghanaischer Eltern und wurde in Ghana geboren. Nach ihrer Hauptschulausbildung absolvierte sie eine zweijährige Ausbildung zur Lehrerin und unterrichtete sechs Jahre lang, bevor sie 1975 Prof. Emmanuel N. Ayim heiratete. Sie ist stolze Mutter zweier erwachsener Kinder, Egbert, Eric; und viele andere, unter anderem ihre drei Enkel, schauen zu ihr auf als eine Mutter, als »Tantchen« und Großmutter. Ihr Hobby ist das Nähen und sie genießt den Aufenthalt in der Natur.

© Dagmar Schultz

Eric Ayim

Unvergessliche Erinnerungen an meine Schwester [26]

An meine Schwester May habe ich einige Erinnerungen und gemischte Gefühle.

Ich war zu jung, um mich an unser erstes Aufeinandertreffen in den frühen 1980er-Jahren zu erinnern, daher greife ich auf die Erinnerungsfotos zurück, die damals entstanden.

In den Mittachtziger-Jahren schrieben wir uns zahlreiche Briefe. 1994 trafen wir uns wieder, zum Panafest, einem Fest, das zum zweiten Mal stattfand, um afrikanische Kulturen zu feiern. Diese Erinnerung ist mir bis heute die Gegenwärtigste: unsere Gespräche und die Zeit, die wir miteinander verbrachten. Wir unterhielten uns, aßen zusammen, besuchten Sehenswürdigkeiten, und ich zeigte ihr Accra.

Danach schrieben wir uns weiterhin Briefe, bis zu ihrem Tod 1996.

Welche Gefühle kommen hoch, wenn ich an May denke? Stolz. Respekt. Schuld.

Ihr Talent, mit Sprache umzugehen. Ihre Liebe zur Musik – wenn ich sie in den Videos tanzen sehe, ruft das bei mir jedes Mal ein Lächeln hervor. Die Leidenschaft in ihren Vorträgen und ihre ungefilterten menschlichen Emotionen waren einfach bewundernswert.

Väterlicherseits waren wir biologisch und physiologisch verbunden und waren doch Welten voneinander entfernt. Das Timing erlaubte uns nicht, uns so gut kennenzulernen, wie wir es gern getan hätten, und ihr Ableben verkürzte die verbleibende Zeit zusätzlich.

Aus dem, was ihr schlussendlich von Kindheit an und über die Pubertät hinaus die Kräfte dermaßen raubte, sollten wir alle lernen. Solange wir menschlich sind, unvollkommen und verletzlich, schätzen wir [alle] die Kunst, uns auszudrücken. Seien es spoken words oder Musik, wir können zuhören und auf die eine oder andere Art darauf reagieren. Wir alle können die Welt zu einem besseren Ort machen, indem wir einander helfen, einander akzeptieren.

Elsie Seyena Ayim, Eric Ayim und Emmanuel Nuwokpor Ayim, Berlin 2018 © Ika Hügel-Marshall

Emmanuel Nuwokpor Ayim, Elsie Seyena Ayim, Eric Ayim am May Ayim Ufer, Berlin 2018© Ika Hügel-Marshall

Wie bei einem meiner Lieblingskünstler, Bob Marley, hat Mays literarisches Werk auch heute noch immense Aussagekraft und Relevanz. Die wird es weiterhin haben, um die Menschen über Rassismus, Feminismus, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Akzeptanz aufzuklären. Ich bin mir sicher, May würde lächeln und wäre sehr erfreut, wenn sie wüsste, dass ihr Werk bis heute nachhallt. Mays totale Aufopferung für die Sache sollte uns Verletzlichkeit, Selbstfürsorge und gegenseitige Liebe lehren: Teile deine Fähigkeiten mit jedem, damit sich alle akzeptiert, wertgeschätzt und respektiert fühlen können, so wie sie sind.

Ich bin mir sicher, sie würde lächeln und wäre zugleich begeistert, wenn sie wüsste, dass ihre ›Familie‹ zusammengefunden hat und über die Jahre gewachsen ist. Wir; Familie Ayim, sind von Herzen dankbar, dass wir unsere Geschichte teilen konnten. Wir danken Dagmar, Ika, Abenaa, Ute[27] und Hermann und all den anderen, die wir bisher kennengelernt haben. Wir danken Euch für die Liebe, die May zu einem Teil Eurer Familie machte.

Die Familie am Grab von May Ayim Berlin, Alter Matthäus Kirchhof 2018 © D.Schultz

Wir können die Welt zu einem besseren Ort machen. May hat ihren Teil dazu beigetragen. Davon können wir lernen und zum Wohl aller fortfahren.

May, wir lieben Dich. Wir vermissen Dich. Danke!

Eric Ayim

Mays jüngster Bruder begeistert sich in seiner Freizeit für Musik, Motorsport, Kraftfahrzeuge, Technologie allgemein und für die Natur. Außerdem ist er liebend gern auf Reisen. Derzeit lebt er in den USA. Wenn sicheres Reisen wieder möglich sein wird, möchte er den Kontakt zur Familie in Deutschland intensivieren. Außerdem will er die Welt sehen; er hat das Ziel, sechs der sieben Kontinente zu bereisen. Dich nicht, Antarktis!

© privat

Jasmin Ayim Schüler

Du bist da

Traurigerweise war es mir nicht vergönnt, Dich im Leben kennen und lieben zu lernen. Ich hätte gern, Dir freudig in die Augen geschaut, mit Dir gelacht, ja ich hätte gern mit Dir diskutiert und gestritten. Leider waren Deine Versuche mich zu finden erfolglos, und meine Unternehmungen, meinen Vater zu entdecken, führten erst durch Dein Gehen aus dieser Welt zu einer überraschenden Wende in meinem Leben. Ich möchte an dieser Stelle besonders allen Menschen aus der Community danken, die sich die Mühe machten, mich zu finden und mit meinem Vater und meiner afrikanischen Familie in Verbindung zu bringen. So wurde durch Deinen Tod und ihre Hilfe mir eine Familie geschenkt, die ich bis dahin vergebens gesucht hatte. Auf berührende Art hast Du so über Dein eigenes Leben hinaus, mir Wurzeln gegeben und ich kam in das Erleben, eine Schwester zu finden, die gegangen war. Aus diesem Grunde hat die unten beschriebene Begegnung mit Dir nie stattgefunden. Durch unseren gemeinsamen Vater, seiner Frau Seyena und unseren Bruder Eric sowie vor allem Deine Freundinnen Dagmar und Ika bekam ich allmählich Zugang zu Deinem Lebenswerk und zu Dir. Dafür Ihnen und all den Menschen, die Dich lieben von Herzen Danke.

Traum und Wirklichkeit

Während der Löffel in der Tasse singt, lausche ich Deiner Stimme, die melodisch und aufrüttelnd klingt, dabei bist Du mir eigenartig vertraut und doch fühle ich mich fremd, während Du so ganz energisch wirkst. Ich bin so fasziniert von Deiner Gestik und dem, wie Du kämpfst, dass ich vergesse, um was es geht. Mich interessiert, wer Du bist, und nicht so sehr, wovon Du sprichst. Dich sehend denke ich, dies ist ein Traum. Ein Mensch, den ich lieben kann, eine Schwester einsam und dennoch völlig ausgebucht, und keine Nummer von Dir in meinem Telefonbuch? Ja, du wirkst stark und bist wohl dennoch zart, dabei ist Deine Rede unmissverständlich und manchmal auch scharf und hart. Du bist vergnügt, selbstbewusst und lebensfroh, jedenfalls scheint es so. Oder ist dahinter doch eine andere Welt? Und so wie ein Baum durch seine Rinde seine Geschichte erzählt, scheint es mir, fange ich vorsichtig an, zu den Ringen unter der Haut durchzudringen, immer näher rückt der Kern, da ist Schmerz, Sehnsucht, Liebe und ein Leben in der Nähe, trotzdem sind andere Liebende fern. Es scheint kaum jemand kann mit Dir weinen, obwohl Du viele scheinst zu einen. Und auch da, wo Du alles zeigst, bleibt ein Schatten und viel Licht, natürlich das ist wichtig und richtig. Jeder geht so seinen Weg und Du hast sehr viel erfragt und vieles, was verändert uns gesagt, dennoch würde ich lieber mit Dir lachen oder auf einer Bank sitzen und in der Sonne träumen. Und während ich langsam die Augen öffne, wird mir klar, Du und Dein Leben: großartig, schwer und dennoch unglaublich wunderbar.

Für mich im Nachhinein ein Geschenk, weil unsichtbare Fäden doch uns verbinden und durch Dich kann ich eine vergessene Wurzel finden. Du erinnerst mich, wie oft ich dieses und jenes nicht wollte und doch leben sollte. Du bleibst für mich mehr als ein Traum, eine Prinzessin in schwarz weiss, die zu wenig um ihr Königtum weiß.

Große Schwester oder Prinzessin

Wer bist Du Prinzessin mit einem Sattel in der Hand?

Manch einer fragt nach Deinem Land,

Heimatfinden scheint schwer

Und so fragt eine Stimme, wo kommst du her?

Manch einer witzelt und scheint es als lustig anzusehen,

wirft gar mit bösem Wort unter Vorwand.

Wie schnell die Zunge wie ein Schwert,

da durch die Luft blitzt und trifft das Herz.

Doch du kennst den Schmerz,

im letzten Augenblick wird der Stoß von dir gelenkt

und dein Wort verständig Gnade schenkt.

Du scheinst den Krieg der Worte gut zu kennen

Sieg, doch wo bist Du? In Liebe finde Deine Ruh!

Ein Geschenk an Dich

Lass mich Dir einen Blumenstrauss schenken,

ein Duftbouquet im gestern für Dich.

Da gibt es liebe Menschen, die an Dich denken.

Lass mich einzeln die Blüten erwählen,

sie sollen von Dir und mir erzählen.

Jede einzelne will ich malen

Mit wunderbaren Farben in rot und blau und gold.

Dein Gesicht es ist so hold.

In meinem Himmel lebst Du im Traum,

da ist eine Welt mit Dschungel und Savanne

und auch Berge mit Schnee.

Es tut weh, ich kannte Dich kaum.

Da ist der Bruder, der Dich liebt

Und Zeit mit Dir mir gibt.

Da lächelt zärtlich Sienna mir

Und umarmt mich für Dich hier.

In uns allen gibt es einen Ort,

da bist Du niemals fort.

Jasmin Ayim Schüler, Eric Ayim, Emmanuel Nuwokpor Ayim, Elsie Seyena Ayim, 2017 © privat

Bist Du da?

Wenn Du nun plötzlich könntest auferstehn,

wie würdest Du Dein Leben sehn?

Würdest Du weinen, ob all der Trauer,

der Sehnsucht nach dir und dem Verlangen.

Oder würdest Du sagen,

»Ich bin gegangen, weil ich alleine war.«

Oder hättest Du Tränen in den Augen

Über all die nicht gelebten Stunden

und die ungetanzten Runden.

Aus dem Jetzt von hier ein Gruß, ein Kuß

Ein Lied, was für dich klingt,

und ein freies neues Leben,

soll wohl doch das Beste sein.

In meinem Leben gab’s Dich nicht

Jasmin Ayim Schüler, Elsie Seyena Ayim, Daniel Reid, Emmanuel Nuwokpor Ayim, Nadine Reid, Eric Ayim, Andreas Schüler, Lawrence Schüler, 2017© privat

Und dennoch bist Du da.

Du übernimmst die Hauptrolle,

wie ein unbekannter Star.

Und doch scheinst Du verborgen.

Ich sehe die Filme,

lese die Bücher und erkenne all die Sorgen,

um ein Morgen,

dass Du nicht mehr wolltest sehn.

Ja, ich muss gestehn,

die Schwere von gestern,

ich kann Dich verstehen.

Und doch will ich wissen,

wer bist Du hinter all den Bildern.

Es wirkt als schien in deinen Worten,

verborgene Sehnsucht nach anderen Orten,

nach Weinen und Lachen.

Du schaust hierher und wir zu Dir.

Eine andere Welt hat Dich geworben,

wer will das glauben, Du bist gestorben,

wo dich doch jeder kennt und sieht.

Was hat den silbernen Faden zerrissen?

Dagmar Schultz, Ika Hügel-Marshall, Jasmin Ayim Schüler © privat

Du hast hier so viel zurückgelassen.

Du glaubtest, andere würden Dich hassen.

Aber wie viele haben Dich geliebt?

Es wirkt, wie ein zarter Schimmer,

dass Du es jetzt siehst…

Unfassbar, wie Leben, Dich die Gegangene, umgibt.

(Gewidmet in Dankbarkeit für Ika und Dagmar)

Jasmin Ayim Schüler

Mays jüngere Schwester, geb. 1963 in Hamburg, aufgewachsen in der DDR, ist Autorin, arbeitete als Erzieherin und Kauffrau. Als Künstlerin beschäftigt sie sich mit Visionen von Wahrnehmung Klang und Raum bis heute. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

© privat

Hildegard Kemper[28]

Unsere gemeinsame Zeit – Brief an May

Liebe May,

jetzt bist Du schon fast 25 Jahre tot. Und ich vermisse Dich noch immer, als Freundin, als gute Zuhörerin, als Ratgeberin. Diese tiefe Verbundenheit hatte ich nicht erwartet. Wenn ich die Zeit mit Dir Revue passieren lasse, kommen mir folgende Gedanken: