Mediengeschichte - Frank Bösch - E-Book

Mediengeschichte E-Book

Frank Bösch

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Beschreibung

Medien beeinflussen schon seit Jahrhunderten Wahrnehmungen und Wissen, Politik und Kultur, Freizeit und Kommunikation. Frank Bösch zeigt in diesem Studienbuch die historische Entwicklung und gesellschaftliche Bedeutung der Massenmedien in der Neuzeit - vom Buchdruck, dessen Geschichte bereits im 11. Jahrhundert in Asien begann, über Zeitungen und Zeitschriften bis hin zu Film, Funk, Fernsehen und Computer. Dabei verdeutlicht er die Rolle, die Medien für zentrale historische Prozesse gespielt haben, etwa für die Reformation, für Revolutionen, Kriege und Globalisierungsprozesse, für die Formierung sozialer Gruppen sowie die Diktaturen und die Demokratien des 20. Jahrhunderts. "Die vorliegende Mediengeschichte führt den aktuellen Stand der Forschung konzise zusammen … und skizziert zusätzliche, gerade in der Geschichtsschreibung bisher zu wenig bearbeitete Forschungsfelder. … Eine Einführung, die vorbehaltlos empfohlen werden kann." Archiv für Sozialgeschichte

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Frank Bösch

Mediengeschichte

Vom asiatischen Buchdruck zum Computer

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Medien beeinflussen schon seit Jahrhunderten Wahrnehmungen und Wissen, Politik und Kultur, Freizeit und Kommunikation. Frank Bösch zeigt in diesem Studienbuch die historische Entwicklung und gesellschaftliche Bedeutung der Massenmedien in der Neuzeit - vom Buchdruck, dessen Geschichte bereits im 11. Jahrhundert in Asien begann, über Zeitungen und Zeitschriften bis hin zu Film, Funk, Fernsehen und Computer. Dabei verdeutlicht er die Rolle, die Medien für zentrale historische Prozesse gespielt haben, etwa für die Reformation, für Revolutionen, Kriege und Globalisierungsprozesse, für die Formierung sozialer Gruppen sowie die Diktaturen und die Demokratien des 20. Jahrhunderts.

»Die vorliegende Mediengeschichte führt den aktuellen Stand der Forschung konzise zusammen … und skizziert zusätzliche, gerade in der Geschichtsschreibung bisher zu wenig bearbeitete Forschungsfelder. … Eine Einführung, die vorbehaltlos empfohlen werden kann.«

Vita

Frank Bösch ist Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF).

Inhalt

1. Wege zur Mediengeschichte

2. Der Durchbruch des typographischen Drucks

2.1 Ostasien als Wiege des Drucks

2.2 Die Ausbreitung von Gutenbergs Erfindung

2.3 Soziale und kulturelle Folgen des Drucks

3. Die Etablierung von Periodika

3.1 Zeitungen als neues Medium

3.2 Der Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt des 18. Jahrhunderts

3.3 Deutungen, Wirkungen und Nutzungsweisen der Periodika

4. Medien und der Weg zur Moderne

4.1 Medien, Revolutionen und Nationalismus 1760–1848

4.2 Politik und Gesellschaft im Zeitalter der Illustrierten- und Massenpresse

4.3 Globalisierung, Kolonialismus und Medienwandel

5. Moderne, Weltkriege und Diktaturen

5.1 Film und Medienkultur vor und im Ersten Weltkrieg

5.2 Goldene Jahre? Die »Massenkultur« der 1920er

5.3 Diktaturen und Zweiter Weltkrieg

6. Medien im Zeitalter des Kalten Krieges

6.1 Medien in der DDR und im kommunistischen Osteuropa

6.2 Medien und Demokratiegründung nach 1945

6.3 Ein globales Fernsehzeitalter?

7. Das Internetzeitalter aus medienhistorischer Perspektive

Nachwort zur 2. Auflage

Bibliographie

Personen- und Sachregister

1. Wege zur Mediengeschichte

Die gesellschaftliche Bedeutung von Medien lässt sich kaum überschätzen. Medien vermitteln, schaffen und speichern Informationen und beeinflussen so Wahrnehmungen, Wissen und Erinnerungen. Sie prägen Politik, Wirtschaft und Kultur, sind ein wichtiger Teil der Freizeitgestaltung und alltäglicher Gespräche. Außergewöhnliche Ereignisse wie Kriege und Revolutionen sind ebenso mit Medien verbunden wie langfristige Deutungsmuster und Entwicklungen – etwa des Nationalismus, weltanschaulicher Milieus oder der Geschlechterrollen. Medien sind dabei nicht einfach ein virtueller Spiegel von etwas »Realem«, sondern selbst Teil sozialer Wirklichkeiten. Die Familie vor dem Fernseher oder zeitunglesende Politiker sind ebenso real wie die Medien selbst, ihre Inhalte oder ihre Produzenten. Oft scheinen sie unsichtbar. Aber bereits der Glaube an die Macht der Medien kann dazu führen, dass Menschen ihr Handeln oder Sprechen verändern. Ihre große Bedeutung unterstreichen die Medien heute selbst regelmäßig, sei es in »Medienseiten« in den Feuilletons, sei es in Berichten über ihre eigene Rolle bei Wahlen oder Kriegen.

Medien haben nicht erst seit dem Internetzeitalter eine markante historische Bedeutung. Fasst man Medien im weiten Sinne als Mittler von Kommunikation, sind sie seit Beginn der Menschheitsgeschichte konstitutiv, da Zeichen, Sprache oder Schrift schon immer die menschliche Verständigung strukturieren. Aber selbst, wenn man »nur« technische »Massenmedien« betrachtet, spielen diese spätestens seit Einführung des Drucks eine entscheidende Rolle, da nun zahlreiche Menschen regelmäßig Zugang zu ähnlichen Kommunikationsangeboten erhielten. Die jeweils neuen Medien änderten Vorstellungen, Inhalte, Handlungen und Bedeutungen, da der gleiche Gedanke auf Pergament, auf einem Flugblatt oder im Fernsehfilm anders formuliert, verstanden und verarbeitet wird.

Dieses Buch zeigt deshalb, wie neue Medien seit Erfindung des Drucks aufkamen, wie sie genutzt wurden und welchen Einfluss sie auf gesellschaftliche Entwicklungen hatten. Im Vordergrund steht die Sozial- und Kulturgeschichte der Medien, weniger eine Technik- und Ideengeschichte. Die deutsche Entwicklung wird dabei so weit wie möglich in international vergleichende und transnationale Perspektiven eingebettet, um gängige Thesen zu diskutieren und spezifische Medienkulturen auszumachen. Neben Westeuropa und den USA werden insbesondere China, Japan und gelegentlich Südamerika einbezogen. Das Buch soll so einen Überblick bieten und unterschiedliche Zugänge und Desiderate aufzeigen, um künftige Forschungen anzuregen.

Frühe Zugänge

Die Reflexion über Medienentwicklungen hat eine lange Tradition. So häuften sich bereits im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts Studien über die Zeitung (Kurth 1944; Pompe 2004: 35 f.). Insbesondere Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden im Kontext der liberalen Bewegungen in vielen westeuropäischen Ländern umfangreiche Geschichten der Presse, die historisch deren Macht unterstreichen sollten: in Frankreich etwa aus der Feder von Léonard Gallois (1845) und Eugène Hatin (8 Bde. 1859/61), in England von Frederick Knight Hunt unter dem programmatischen Titel The Fourth Estate (1850), und in Deutschland von Robert Prutz, der den Journalismus als eines der »vorzüglichen Werkzeuge« des »demokratischen Prinzips der Geschichte« bezeichnete (1845: 84). Sogar eine frühe internationale Zeitungsgeschichte mit deskriptivem Überblick lässt sich in dieser Zeit finden (vgl. Coggeshall 1856; vgl. Hinweise im Internet unter www.campus.de). Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert folgen zahlreiche Studien zu verschiedenen Medien aus Disziplinen wie der Nationalökonomie, der Geschichtswissenschaft, der Soziologie oder den Philologien.

Neues medienhistorisches Interesse

Zugleich ist die historische Auseinandersetzung mit Medien etwas Neues. Das gilt insbesondere für die Geschichtswissenschaft, die sich erst seit den 1990er Jahren intensiver mit deren Bedeutung auseinandersetzt, aber auch für die Medienwissenschaft, deren Forschung nun erst stark expandierte. Das verstärkte historische Interesse an Medien erklärt sich aus ihrer Allgegenwart im Internetzeitalter. Computer und Internet trugen zur Historisierung der nunmehr »alten« Medien als Forschungsgegenstände bei. Zudem verstärkte der Cultural Turn den Blick auf die Kommunikation, durch den sowohl die Populärkultur in den Blick der Forschung geriet als auch Wahrnehmungen und Diskurse, die wiederum, was Michel Foucault noch kaum bedachte, medial grundiert sind.

Ebenfalls recht jung ist der heutige Begriff »Medien«. Er etablierte sich erst in den 1960er Jahren im öffentlichen Sprachgebrauch, um Kommunikationsmittel mit massenhafter Reichweite zu beschreiben. Wort und Bedeutung wurden dabei aus dem amerikanischen Begriff Mass Media übertragen, der bereits in den 1920er Jahren aufkam. Auch in der Forschung sprach man zunächst von Publizistik oder Kommunikation. So benannte sich die 1957 gegründete »International Association for Mass Communication Research« erst 1996 in »International Association for Media and Communication Research« (IAMCR) um. Ein Handbuch, das den Bedeutungswandel von kommunikationshistorischen Grundbegriffen klärt, liegt bislang leider noch nicht vor.

Wie der Begriff »Medien« definiert wird und mit welchen Methoden und Schwerpunkten man Medien historisch untersuchen sollte, ist gerade in der deutschen Forschung sehr umstritten. Angelsächsische Mediengeschichten sind deutlich pragmatischer: Meist verzichten sie auf Begriffsdiskussionen und setzen die alltagssprachliche Bedeutung von Medien im Sinne von »Massenmedien« voraus, die dann auch im Mittelpunkt ihrer Media History stehen (vgl. Chapman 2005; Williams 2010; Briggs/Burke 2010). In Deutschland firmiert dagegen unter den Begriffen »Medien« und »Mediengeschichte« je nach Forschungsdisziplin sehr Unterschiedliches. Dabei lassen sich vor allem die Ansätze der Sozial- und Kommunikationswissenschaften von denen der Kultur- und Medienwissenschaften unterscheiden. Von außen gesehen erstaunt, wie wenig diese Disziplinen ihre medienhistorischen Arbeiten gegenseitig wahrnehmen und getrennte Fachorgane, Vereinigungen und Tagungen pflegen. Die medienhistorischen Ansätze der Geschichtswissenschaft wiederum stehen oft zwischen und neben den Zugängen dieser Disziplinen.

Kommunikationswissenschaft

Die Kommunikationswissenschaft ist die Disziplin, die sich am längsten mit der Geschichte von Medien auseinander gesetzt hat. Sie formierte sich in den 1920er Jahren in den USA, um sozialwissenschaftlich die Funktionsweise der Public Opinion zu untersuchen. Vor allem die Propaganda der europäischen Diktaturen führte im folgenden Jahrzehnt zur empirischen Medienwirkungsforschung, wobei Paul F. Lazarsfelds Arbeiten zum Radio und zur Meinungsforschung wegweisend waren. In Deutschland etablierte sich hingegen zur gleichen Zeit die eher geisteswissenschaftlich ausgerichtete Zeitungswissenschaft an einigen Universitäten. Auch Verleger und der Reichsverband der deutschen Presse unterstützten sie, da sie sich eine praxisnahe Ausbildung erhofften. Zugleich scheiterten Versuche, das Fach für eine gemeinsame Analyse anderer Medien zu öffnen, sodass Studien zum Film und Radio zunächst eher in benachbarten Fächern wie der Soziologie entstanden. Beginnend mit den 1960er Jahren griff die westdeutsche Zeitungswissenschaft zunehmend amerikanische, eher sozialwissenschaftliche Ansätze auf und nannte sich von da an Kommunikationswissenschaft. Bis heute dominiert bei ihr ein enger Medienbegriff, der Medien vor allem als jene technischen Mittel fasst, »die zur Verbreitung von Aussagen an ein potentiell unbegrenztes Publikum geeignet sind (also Presse, Hörfunk, Film, Fernsehen)« (Wilke 2008: 1; ähnlich Stöber 2013: 20). Insofern konzentrieren sich auch ihre wichtigsten medienhistorischen Studien vor allem auf die Druckmedien seit dem 16. Jahrhundert und die elektronischen »Massenmedien«. Ihre Betonung des Begriffs »Kommunikationsgeschichte« unterstreicht, dass es weniger um das technische Medium selbst als um dessen soziale Bedeutung geht. Die Medieninhalte, aber auch ihre Organisation und Reichweite stehen dabei im Vordergrund.

Der wachsende sozialwissenschaftliche Einfluss führte in den letzten Jahrzehnten dazu, dass medienhistorische Arbeiten in der Kommunikationswissenschaft an Bedeutung verloren, während quantifizierende Gegenwartsanalysen zunahmen. Auch bei medienhistorischen Arbeiten neigt die Kommunikationswissenschaft dazu, Medieninhalte quantifiziert zu erfassen. Bei Printmedien wird etwa die Häufigkeit bestimmter Themen, Bewertungen oder Platzierungen im Zeitverlauf ausgezählt und bei Fernsehsendungen per Sequenzanalyse die Dauer und Positionierung ausgewählter Inhalte. Dabei arbeitet die Kommunikationswissenschaft mit systematischen Stichproben. Neben der Inhaltsanalyse sind die Erforschung von journalistischen Rollen und Organisationsformen, von Öffentlichkeitsstrukturen und von Mediennutzungen und Medienwirkungen Bereiche, in denen vielfältige theoretische und empirische kommunikationswissenschaftliche Studien entstanden (vgl. Pürer 2014; Beck 2015). Diese sind zwar meist gegenwartsbezogen, lassen sich aber durchaus auf historische Zugänge beziehen. Organisiert sind die kommunikationshistorischen Aktivitäten in der »History«-Sektion der IAMCR sowie in Deutschland in der Sektion »Kommunikationsgeschichte« der »Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft« (DGPuk), die auch methodische Studien ediert (vgl. Arnold u. a. 2008). Medienhistorische Beiträge finden sich gelegentlich in ihren Fachzeitschriften wie der Publizistik oder dem European Journal of Communication. Durchweg medienhistorische Analysen vorwiegend aus der Kommunikationswissenschaft bieten etwa Rundfunk und Geschichte, medien&zeit oder das Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte. Das internationale Organ Media History versammelt Beiträge zu »Massenmedien« der Neuzeit, vornehmlich zum Journalismus des 19. und 20. Jahrhunderts.

Medienwissenschaft

In markanter Abgrenzung dazu etablierte sich, besonders in Deutschland, seit den 1980er Jahren die kulturwissenschaftlich ausgerichtete Medienwissenschaft. Sie entstand aus den Film-, Theater- und Literaturwissenschaften. Die literaturwissenschaftliche Öffnung zur Populärkultur bildete einen Ausgangspunkt, ein anderer war die breite Rezeption von Marshall McLuhans Neudeutung des Medienbegriffs der 1960er Jahre, der diese als Körperausweitungen fasste, wozu er etwa Brillen, Geld oder das Rad zählte (McLuhan 1992 [1964]). Als eigentliche Botschaft eines Mediums sah er dessen soziale Auswirkungen, »die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt« (ebd.: 18; vgl. auch Grampp 2016: 10). Entsprechend entstanden nun in vielen westlichen Ländern Studien, die nach dem Zusammenhang von Medien- und Kulturtechniken fragten und die prägende Kraft von Medientechniken postulierten. Innerhalb der Medienwissenschaft bestehen wiederum heterogene Schulen mit ästhetischen, philosophischen oder technischen Schwerpunkten. Überwiegend eint sie ein kulturwissenschaftlicher Ansatz und ein weiter Medienbegriff. So definieren ihre Mediengeschichten ihren Gegenstand recht offen als »Interaktionskoordinatoren« (Hörisch 2004: 66) oder als »komplexe, etablierte Vermittlungseinrichtungen, die Kommunikation organisieren und regulieren« (Faulstich 2006a: 8). Dies reicht bis zum Postulat von Joseph Vogl, »dass es keine Medien gibt, keine Medien jedenfalls in einem substanziellen und historisch dauerhaften Sinn« (Vogl 2001: 121). Aufgrund des weiten Medienbegriffs setzen ihre Mediengeschichten oft bereits in der Vor- und Frühgeschichte oder Antike ein. So wurden »die Frau und das Opferritual« als die ersten Medien verstanden, da diese für ein »sakrales Kommunikationsprinzip« stünden (so Faulstich 2006b: 18), ebenso das Feuer, Werkzeug oder die Stimme (Hörisch 2004: 30–39). McLuhan prägte zudem den Schreibstil einiger Medienwissenschaftler, der Fachfremden oft ungewöhnlich essayistisch und schwer zugänglich erscheint. In Abgrenzung zu den kommunikationswissenschaftlichen Quantifizierungen dienen oft einzelne historische Quellen, Erfindungen oder Filme als Ausgangspunkt für größere Thesen.

Durch ihre Herkunft aus der Literatur- und Filmgeschichte sind viele medienwissenschaftliche Arbeiten historisch ausgerichtet. Inhaltlich im Vordergrund stehen – je nach Schule – ästhetische Analysen zu einzelnen Medienprodukten (besonders von Filmen) sowie der Wandel von Wissensordnungen, Praktiken und Wahrnehmungen im Zuge der Mediengenese (vgl. etwa Kümmel u. a. 2004; Fahlenbrach 2018). Ihre »Archäologie der Medien« untersucht Wissensordnungen und Medientechniken vor und bei ihrer Entstehung, da sich diese dauerhaft in die Medien einschreiben würden (vgl. Kittler 2002: 21). Während Massenmedien wie Zeitungen in diesen Mediengeschichten so gut wie keine Rolle spielen, finden literaturaffine Gegenstände wie Bücher, Theater oder Bildende Künste oft ausführliche Berücksichtigung (vgl. etwa Faßler/Halbach 1998; Schanze 2001; Leonhard u. a. 1999–2002). Als Quellen dienen oft Aussagen von Philosophen und Schriftstellern wie Kant, Goethe und Kafka, während man nach Medienzaren wie Axel Springer oder August Scherl vergeblich sucht (so in Hörisch 2004; Schanze 2001; Peters 1999).

Für eine Auseinandersetzung mit den aktuellen Ansätzen der deutschen Medienwissenschaft empfiehlt sich die Zeitschrift für Medienwissenschaft oder das jährlich publizierte Archiv für Mediengeschichte der »Weimarer Schule«. Hier finden sich kulturwissenschaftliche Beiträge im weitesten Sinne, zudem insbesondere Filmanalysen und Artikel zum Selbstverständnis der Disziplin. Weitere Fachperiodika wenden sich besonders der Filmgeschichte zu, wie Nach dem Film, montage av oder Fotogeschichte. International wichtige Zeitschriften sind etwa Film History, Cinema Journal oder Screen. In anderen westlichen Ländern wie den USA oder Frankreich lässt sich vor allem eine Trennlinie zwischen der Kommunikationswissenschaft und den Film Studies ausmachen, während der Begriff Media Studies vielfältige Bedeutungen haben kann. Dass die Grenzen ansonsten im Ausland weicher sind, zeigt auch ein Blick in internationale medienhistorische Fachzeitschriften wie das Historical Journal of Film, Radio and Television, das kommunikations- und medienwissenschaftliche Elemente aufweist und auch für Historiker anschlussfähig ist.

Geschichtswissenschaft

Die medienhistorischen Forschungen der Geschichtswissenschaft stehen in gewisser Weise zwischen diesen Disziplinen. Die Analyse von Medien war in der Geschichtswissenschaft lange verpönt, da publizistische Quellen als unseriös galten und sich das Fach gerade durch seine Archivquellen abgrenzte. Einen frühen Vorstoß zur Neubewertung von Medienquellen machte der Historiker Martin Spahn 1908 auf dem »Internationalen Kongreß für historische Wissenschaften«, wo er prognostizierte, dass die Presse »allen Geschichtsschreibern der jüngsten Geschichte die wertvollste Quelle von allen werden wird« (Spahn 1908). Entsprechend forderte er ein Reichszeitungsmuseum und förderte an seinem Kölner Lehrstuhl zahlreiche pressegeschichtliche Arbeiten, gründete ein Institut für Zeitungskunde und pflegte die Archivierung von Pressequellen. Zudem entstanden seit dem späten 19. Jahrhundert immer wieder geschichtswissenschaftliche Studien zu einzelnen Medien. Sie bezogen sich etwa auf Aspekte der Pressepolitik und -kontrolle, auf einzelne Verlegerpersönlichkeiten oder Einzelmedien wie Flugschriften oder Zeitungen.

Für die meisten Historiker blieben Medien jedoch Quellen, die man gelegentlich zur farbigen Veranschaulichung oder stillschweigend zur Ermittlung von Zusammenhängen heranzog. Ein erster Anstieg geschichtswissenschaftlicher Medienstudien lässt sich in den 1970er Jahren ausmachen. So sorgte das Aufkommen der Sozial- und Alltagsgeschichte dafür, dass Quellen der Populärkultur und damit auch Medien zu relevanten Gegenständen wurden. In Frankreich entstanden etwa grundlegende Schriften zur Untergrundpresse und Gerüchten im Vorfeld der Französischen Revolution (Darnton 1985) und auch die internationale Erforschung des Drucks im Kontext der Reformation gewann an Dynamik (Eisenstein 2005 [1979]). Aber erst mit den späten 1990er Jahren kam es zu einem gewaltigen Anstieg medienhistorischer Publikationen, die sich auch methodisch ausdifferenzierten. Im letzten Jahrzehnt verstärkte sich dieser Trend. Während zunächst eher die Vormoderne im Mittelpunkt stand, nahmen nun besonders Studien zum 19./20 Jahrhundert zu.

Medienbegriffe der Historiker

Der Medienbegriff der Geschichtswissenschaft ist mittlerweile recht vielfältig. Besonders Zeithistoriker, die das 20. Jahrhundert untersuchen, präferieren eher einen engen Medienbegriff im Sinne der Kommunikationswissenschaft und untersuchen technisch erstellte »Massenmedien«. Da der Begriff »Masse« ein pejorativ belegter historischer Quellenbegriff ist, sprechen sie dennoch meist nur von Medien. Spezialisten für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit stellen zwar ebenfalls die gedruckte Publizistik in den Mittelpunkt (vgl. etwa Arndt/Körber 2010; Würgler 2009), neigen aber etwas häufiger zu einem weiten Medienbegriff, der selbst symbolische Kommunikationsmittel wie den Körper gelegentlich einbezieht, da er performativ Bedeutungen und Wahrnehmungen generiere. Insgesamt sprechen sie seltener von Medien als von Kommunikation (vgl. Burkhardt/Werkstetter 2005; Spieß 2003). Generell anschlussfähig erscheint etwa die offene Mediendefinition des Frühneuzeit-Historikers Markus Sandl: »Medien können als Artefakte beschrieben werden, deren Zweck es ist, Kommunikation zu ermöglichen. Als Artefakte erfüllen sie Leistungen wie Aufnahme, Speicherung, Übertragung, Vervielfachung und Reproduktion, Wiedergabe und Ver- bzw. Bearbeitung von Informationen« (Crivellari/Sandl 2003: 633).

Die medienhistorische Forschung in der Geschichtswissenschaft ist mittlerweile durch zahlreiche Publikationen, Qualifikationsarbeiten und Verbundprojekte etabliert. Dennoch hat sie weder eine eigene bundesweite oder internationale medienhistorische Arbeitsgruppe, noch eine eigene Fachzeitschrift. Medienhistorische Beiträge erscheinen verstreut in allen Fachzeitschriften, häufiger etwa in WerkstattGeschichte, den Zeithistorischen Forschungen oder in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Insgesamt ist der medienhistorische Schwerpunkt in der deutschen, britischen und amerikanischen Geschichtswissenschaft am stärksten ausgebildet. In den USA erscheint sogar die Zeitschrift Film & History in Verbindung mit der »American Historical Association«. Dagegen zeigten die Historiker der romanischen und osteuropäischen Länder bislang kaum Interesse an der Mediengeschichte, weshalb auch in diesem Buch Osteuropa mangels Forschungen nur eine geringe Berücksichtigung finden kann.

Medien und Politik

Im Vergleich zur Kommunikations- und Medienwissenschaft geht es den medienhistorischen Arbeiten der Geschichtswissenschaft weniger um die Medien selbst als um deren jeweilige soziale, kulturelle oder politische Bedeutung. Einführend lassen sich acht Forschungsschwerpunkte exemplarisch hervorheben. Da Historiker lange Zeit politische Perspektiven privilegierten, fand erstens das Verhältnis von Medien und Politik größere Beachtung. Ältere Arbeiten stellen Techniken der Zensur und Repression von Medien und Öffentlichkeiten heraus, sei es in absolutistischen Regimes, konstitutionellen Monarchien und Diktaturen oder den Demokratien der 1950er Jahre. Neuere Studien untersuchen stärker die gezielte Beteiligung von Herrschenden an der öffentlichen Kommunikation, von der »Propaganda« durch Fürsten bis hin zur Kommunikation in Kriegen oder Wahlkämpfen (Gestrich 1994; Burkhardt 2002). In jüngster Zeit wird nun umgekehrt gefragt, wie der Medienwandel die Politik veränderte. Diese wird als ein Kommunikationsraum analysiert, dessen symbolische Konstitution stark durch Medien geprägt ist (vgl. etwa Vogel 2010; Bösch 2009) und in dem Journalisten und Politiker um Macht ringen (Daniel 2018). Selbst für klassische »Arkanbereiche« wie die Außenpolitik lässt sich somit deren jeweilige mediale Grundierung erforschen (Geppert 2007; Bösch/Hoeres 2013).

Öffentlichkeiten

Ein damit verbundener zweiter medienhistorischer Schwerpunkt ist die Erforschung von Öffentlichkeiten. Viele frühe programmatische Artikel zur Mediengeschichte sahen ihre Analyse als einen Zugang, um mediale Kommunikation mit dem sozialen Wandel zu verbinden (Requate 1999; Führer/Hickethier/Schildt 2001). Öffentlichkeiten werden dabei recht offen als allgemein zugängliche Kommunikationsräume definiert. Der Plural unterstreicht die Annahme, dass es weltanschaulich, funktional, regional, aber auch je nach Kommunikationsebene unterschiedliche Teilöffentlichkeiten gibt (etwa Medien-, Versammlungs- und Encounter-Öffentlichkeiten der alltäglichen Gespräche). Zunächst dominierte die kritische Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas’ Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), die nach der Übersetzung ins Englische international fortgeführt wurde (vgl. etwa Barker/Burrows 2002; Calhoun 1992). Im Vordergrund stehen dabei die Fragen, wer an der öffentlichen Kommunikation partizipieren kann, welche Folgen dies für soziale Gruppenbildungen hat und wie sich mediale und persönliche Kommunikation zueinander verhalten. Für die Frühe Neuzeit liegen bereits zahlreiche Arbeiten dazu vor, für die Moderne kaum. Forschungsfragen wären dabei etwa, wie Medien- und Versammlungsöffentlichkeiten interagierten (etwa bei Protesten, Vereinen oder Parlamenten), wie Teilöffentlichkeiten sich formierten und zueinander verhielten oder wie die mediale öffentliche Selbstbeobachtung der Gesellschaft Handlungen prägte (zur Meinungsforschung etwa: Kruke 2007). Zudem wurden selten Film, Fernsehen und Radio als Teil der Öffentlichkeit untersucht.

Akteure

Drittens lassen sich biographische Zugänge hervorheben. Nachdem die westdeutsche Kommunikationswissenschaft seit den 1970er Jahren ihre Ansätze entpersonalisiert hatte, stammen jüngere akteursbezogene Analysen eher aus der Geschichtswissenschaft. Vor allem in den USA und Großbritannien sind biographische Zugänge etabliert. Während für große angelsächsische Verleger wie Lord Northcliffe oder William Hearst mehrere Biographien vorliegen, findet man für die deutschen Medienzaren wie Ullstein, Scherl oder Mosse bislang nichts Vergleichbares, und erst jüngst zu einer Schlüsselfigur wie Axel Springer (Schwarz 2008). Ertragreich wären vor allem gruppenbiographische Studien, die etwa sozialgeschichtlich die Sozialstruktur und Arbeitsbedingungen von Journalisten im 19. Jahrhundert (Requate 1995) oder generationsgeschichtlich den Übergang zum kritischen Journalismus um 1960 (Hodenberg 2006) untersuchen. Ein besonders großes Desiderat bilden Studien zum Berufsalltag »gewöhnlicher« Journalisten im 20. Jahrhundert (Esser 1998; Bösch/Geppert 2008). Große Aufmerksamkeit fanden in jüngster Zeit Auslandskorrespondenten (vgl. etwa Hillerich 2018) und Reporter (Homberg 2017).

Inhaltsanalysen

Vielfältige Studien entstanden viertens zu den Inhalten von Printmedien. Bis in die 1980er Jahre betrachteten viele Arbeiten historische Ereignisse »im Spiegel« einzelner Zeitungen oder Zeitschriften, gelegentlich auch Filme, kaum hingegen Radio- oder Fernsehinhalte. Obgleich sie das weltanschauliche Profil einzelner Medien aufzeigen, hat dieser Ansatz aus guten Gründen an Bedeutung verloren. Denn Medien sind nicht einfach »Spiegel« des »Realen«, sondern haben eine eigene Realität, die wiederum Handlungen auslöst, was Inhaltsanalysen einzelner Zeitungen kaum erfassen. Neuerdings florieren stattdessen diskursanalytische Ansätze, die aus Inhalten unterschiedlicher Medien den Wandel von Deutungsmustern ausmachen und in Beziehung zu generellen Veränderungen setzen (Greiner 2014; Hannig 2010). Eine derartige Kulturgeschichte kann an Ereignissen und Prozessen erklären, welche Deutungen Medien aufbringen und welche Folgen dies hat.

VisualHistory

Eng damit verbunden ist fünftens das Feld der Visual History. Besonders bei der Erforschung der Frühen Neuzeit etablierte sich in Anlehnung an die Ikonographie eine »Historische Bildkunde«, die wiederkehrende Formen und deren Symbolgehalt analysiert. Seit den 1990er Jahren löste sie sich dabei von der hochkulturellen Ästhetik der Kunstgeschichte und erschloss Bildquellen wie einfache Drucke, Postkarten, Fotos, Filme, Karikaturen oder Werbeplakate (Jäger 2009). Das Plädoyer für einen Iconic Turn (Mitchell) oder Pictorial Turn (Boehm) unterstrich zeitgleich den Anspruch, dass Bilder nicht einfach etwas illustrieren, sondern eine eigenständige Sinnbildung jenseits der Textquellen generieren. In der Geschichtswissenschaft hat sich nunmehr der Begriff Visual History etabliert, um Bildquellen »als Medien zu untersuchen, die Sehweisen konditionieren, Wahrnehmungsmuster prägen, historische Deutungsweisen transportieren und die ästhetische Beziehung historischer Subjekte zu ihrer sozialen und politischen Wirklichkeit organisieren« (Paul 2006: 25). Für Schlüsselbilder des 20. Jahrhunderts zeigen dies die von Gerhard Paul edierten Bände Das Jahrhundert der Bilder (Paul 2008/09). Zunehmend berücksichtigen auch Historiker die bewegten Bilder des Fernsehens. Arbeiten zur NS-Erinnerungskultur (Horn 2009) oder zum Jahr 1968 im Fernsehen (Vogel 2010; Stallmann 2017) setzen Akzente.

Mediennutzungen

Eine sechste, eher sozialgeschichtliche Forschungsrichtung beschäftigt sich mit der konkreten Nutzung von Medien und deren alltäglicher Bedeutung. Auch hier kamen wichtige Anstöße aus der Frühen Neuzeit, etwa durch Studien zu Lesepraktiken (Würgler 2009: 97). Zum 20. Jahrhundert entstanden Arbeiten, die die schichtspezifische öffentliche und private Gebrauchsweise von »Massenmedien« untersuchen (Schildt 1995; Führer 1996; Ross 2008). Welche Medien Menschen überhaupt auswählten, welche Bedeutung diese in ihrem Alltag hatten und wie sie darüber sprachen, lässt sich bis in die 1950er Jahre oft nur schwer ausmachen, da keine Umfragen zur Mediennutzung vorliegen. Für die Zeit der Diktaturen wurden deshalb Spitzelberichte herangezogen, um etwa das Zuschauerverhalten im Kino auszumachen (Stahr 2001), oder Gespräche über Zeitungen im Kaiserreich (Bösch 2004). Mit Zeitzeugenbefragungen wurden Mediennutzungen in der DDR ermittelt (Meyen 2003). Eine Geschichte der Kinozuschauer liegt jedoch erst in Ansätzen vor (mit eher literarischen Quellen: Paech/Paech 2000), gleiches gilt für eine Sozialgeschichte des Zeitunglesens. Noch ganz in den Anfängen steckt eine Geschichte der Computernutzung, die von den Großrechnern der 1950er Jahre ausgehen sollte (Bösch 2018).

Soziale und kulturelle Wirkungen

Eine siebte Forschungsrichtung beschäftigt sich mit der Frage, wie neu aufkommende Medien die Gesellschaft, soziale Praktiken und Wahrnehmungen veränderten, auch im Alltag (Kortti 2017). Zugleich werden neue Medien selbst als Teil, Ausdruck und Folge des Gesellschaftswandels gefasst. Arbeiten zu den gesellschaftlichen Folgen neuer Medientechniken entstanden früh zum Buchdruck (Eisenstein 2005), dann auch zu Feldern wie der Kriminalitätsgeschichte (Curtis 2001; Müller 2005), der Konsumgeschichte und zu Markenprodukten im Alltag (Gries 2003) oder auch zur Rolle von Medien in der Großstadtkultur (Fritzsche 1996). Neuerdings wurde die soziale Bedeutung des Fernsehens einbezogen (zu Familienserien: Hodenberg 2015). Dabei etablierte sich der Begriff »Medialisierung«, um die zunehmende Durchdringung sozialer Systeme durch Medien, ihre vergesellschaftende Wirkung und die wechselseitige Beeinflussung des Medien- und Gesellschaftswandels zu erfassen (Meyen 2009; Daniel/Schildt 2010: 23). Auch der Begriff Medienkultur soll auf die historische Verbindung der beiden Sphären hinweisen (Faulstich 2006a: 9). Mitunter wird auch von »Mediatisierung« gesprochen, obgleich dieser Begriff historisch anderweitig belegt ist.

Vergleich und Transfer

Eine achte und letzte historische Forschungsperspektive, die hier exemplarisch erwähnt werden soll, sind transnationale und vergleichende Ansätze. Einige der frühen Schlüsseltexte waren bereits international vergleichend angelegt. So vergleicht Harold Innis’ (1951) Grundlagenwerk für die späteren Medienwissenschaften die mediale Struktur von Weltreichen und Jürgen Habermas (1962) die Entwicklung von Öffentlichkeiten westeuropäischer Länder. Dennoch blieb die mediengeschichtliche Forschung in allen Disziplinen lange national ausgerichtet. Vergleiche der Medienentwicklungen ermöglichen jedoch erst, die jeweiligen kulturellen und sozialen Einflüsse auf und durch Medien genauer zu ermitteln. Sinnvoll wären zudem Studien zur »transkulturellen Kommunikation« (Hepp 2006), zur grenzübergreifenden Aneignung von Medien und zu länderübergreifenden Mediensystemen (vgl. Thomaß 2007). Aktuell unterschieden wird etwa das »demokratisch-korporatistische Modell« (etwa in Deutschland, den Niederlanden, in Österreich und der Schweiz) vom »mediterranen polarisiert-pluralistischen Modell« mit starkem Staatseinfluss in Südeuropa und dem »nordatlantisch-liberalen Modell« (USA, Kanada, Großbritannien), das kaum reguliert Mediennutzer als Konsumenten anspreche (Hallin/Mancini 2004).

In jüngster Zeit entstanden besonders in der Geschichtswissenschaft transnationale Studien, die länderübergreifend nach Wechselbeziehungen und Transfers fragen; etwa für die Kriegspublizistik der Frühen Neuzeit (Schultheiß-Heinz 2004), zur Kommunikation im britischen Empire (Kaul 2003) oder zur »cold war diplomacy« (Schwoch 2009; Lindenberger 2006). Für eine transnational oder gar global ausgerichtete Geschichtsschreibung bietet es sich künftig an, die jeweiligen medialen Strukturen zu berücksichtigen, die oft erst Transferprozesse ermöglichen. Bislang ist dieser Ansatz vor allem auf die Telegrafie im 19. Jahrhundert bezogen worden (Wenzlhuemer 2013), während etwa die Arbeits- und Wirkungsweise transnationaler Nachrichtenagenturen für Deutschland wenig erforscht ist (jetzt: Tworek 2019, Barth 2019). Künftig dürften Studien zum Aufkommen des digitalen Zeitalters diese Perspektive weiter entwickeln.

Medialität der Geschichte

Bilanziert man die nur exemplarisch angedeuteten Forschungstrends, so lässt sich in allen Disziplinen eine ähnliche Veränderung ausmachen: Während sie zunächst die Geschichte einzelner Medien und Journalisten analysierten, rückt zunehmend die gesellschaftliche Bedeutung von Medien in den Vordergrund. In gewisser Weise zeichnet sich hier ein Wandel von der Geschichte der Medien hin zur Erforschung der Medialität der Geschichte ab (Crivellari u. a. 2004: 30; Engell/Vogl 2001). Aus dieser Perspektive ist die historische Berücksichtigung von Medien nicht nur eine neue Spezialdisziplin in der Geschichtswissenschaft (wie die Politik-, Sozial- oder Wirtschaftsgeschichte), sondern sie grundiert in der Neuzeit und besonders in der Moderne historische Prozesse und die Erfahrung der Zeitgenossen (Lindenberger 2004). Dies bedeutet nicht, von einem medientechnischen Determinismus auszugehen, wie einige Medienwissenschaftler postulieren. Welche Rolle Medien spielen, hängt von den jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Nutzern ab. Zudem ist vor einer zu starken Fixierung auf die Wirkungsweise von Medien zu warnen, die ohnehin kaum en detail auszumachen ist. Vielmehr schaffen Medien, genau wie andere Quellen oder Lebensbereiche, eine eigene Realität, die bereits der Untersuchung wert ist.

Medienwandel

Medien sind eine Antwort auf gesellschaftliche Bedürfnisse und insofern ein Teil der allgemeinen Geschichte. Die millionenfache Nachfrage prägte ihre Funktion und ihre Gebrauchsweise und entsteht nicht allein durch technische Erfindungen, sondern durch den gesellschaftlichen Rahmen und die Nutzer, was dann wiederum Bedürfnisse weckt. Neue Medien veränderten zugleich die alten. Mitunter verdrängten neue Medien die alten – entgegen dem oft postulierten »Riepl’schen Gesetz«, das das Aussterben von einmal etablierten Medien ausschließt (kritisch zur Rezeption: Peiser in Arnold 2008: 155–189). Mitunter nehmen neue Medien Strukturen der alten auf und etablieren dann eigene Logiken, die wiederum auf die Gesellschaft zurückwirken. Warum neue Medien überhaupt entstehen oder sich durchsetzen, wird auf diverse Bedürfnisse zurückgeführt: nach neuen Geschwindigkeiten als Machtressource (Virilio), neuen Kriegstechniken (Kittler), einer stärkeren Sinnesfokussierung (Hörisch 2004: 14) oder nach einer verbesserten Funktion der bisherigen Medien (Stöber 2013).

Der Annahme einer kontinuierlichen Medieninnovation wurde das Konzept verdichteter »Medienumbrüche« gegenübergestellt, welche sich diskursiv, sozial und technisch abzeichneten (Käuser 2005). Solche medienhistorischen Zäsuren gehen zumindest tendenziell mit dem Epochenwandel der allgemeinen Geschichte einher. So markiert die Einführung des Drucks in Westeuropa das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit, das bürgerliche Zeitalter des 18. Jahrhunderts geht mit der Etablierung der Zeitschriften einher, und das späte 19. Jahrhundert, als »Massenpresse«, Telegrafie, Fotografie, Schallplatte und schließlich der Film aufkamen, gilt als Beginn der klassischen Moderne. Auch die Ausbreitung digitaler Medien in den 1990er Jahren korrespondiert mit einem erneuten Epocheneinschnitt.

Vorliegende Mediengeschichten

Wer sich über die Grundzüge der Mediengeschichte informieren will, kann bereits auf einzelne sehr unterschiedliche Überblicksdarstellungen zurückgreifen. Eine Darstellung der literatur- und kulturwissenschaftlichen Medienwissenschaft liegt von Jochen Hörisch (2004) vor, der essayistisch Medien im weitesten Sinne reflektiert und dabei originelle Zuschreibungen über Medien seit dem Feuer aufführt, weniger hingegen zu konkreten Medienproduzenten, -nutzern oder -inhalten. Eine ebenfalls medienwissenschaftliche, aber stärker systematische Darstellung liegt von Werner Faulstich vor, der in seiner »Medienkulturgeschichte« fragt, welche Steuerungs- und Orientierungsfunktion Medien jeweils übernahmen (Kurzfassung: Faulstich 2006a/b; mehrbändig 1996 ff.) – von den »Menschmedien« (Frau, Priester, Narr u. a.) und »Gestaltungsmedien« (Wand, Blatt u. a.) hin zu Druckmedien, elektronischen und digitalen Medien. Stärker auf hochkulturelle Medien (wie Theater, Musik, Bücher, Film) fokussiert sind das Handbuch der Mediengeschichte und das teilweise historische Handbuch der Medienwissenschaft, die zudem knapp in unterschiedliche Zugänge einführen, wie das Medienrecht, die Mediensoziologie oder Medienpädagogik, wobei beide Bücher die Geschichtswissenschaft nicht eigens berücksichtigen (Schanze 2001; Leonhard u. a. 1999–2002). Knappe typologische Merkmale der einzelnen Medieninnovationen bietet ein Einführungsbuch für Bachelor-Studenten (Böhn/Seidler 2014). Die bisherigen Mediengeschichten der Kommunikationswissenschaft setzen deutlich andere Akzente, indem sie sich vor allem auf die Presse, das Radio und Fernsehen konzentrieren sowie systematischer auf deren Produzenten, Verbreitung, Kontrolle und Rezeption (Wilke 2008; Birkner 2012; Stöber 2013). Derartige Einführungswerke existieren auch für einige westliche Länder, etwa für Großbritannien (Williams 2010) und die USA (Fellow 2005).

International ausgerichtete Darstellungen sind jedoch rar. Neben älteren internationalen Handbüchern zu Einzelmedien wie der Zeitung (Smith 1979) oder dem Film (Nowell-Smith 1996) liegen einzelne Darstellungen vor, die ausgehend von der britischen und amerikanischen Perspektive den internationalen Vergleich suchen: Ein Textbook der britischen Kommunikationswissenschaftlerin Jane Chapman führt in die Geschichte von Medien und Journalismus seit 1789 ein, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit nach dem späten 19. Jahrhundert liegt (Chapman 2005). Noch stärker nach der jeweiligen historischen Rolle fragt die Social History of the Media der Historiker Asa Briggs und Peter Burke (2010), die besonders die Massenmedien seit Erfindung des Buchdrucks thematisiert. Überblicksdarstellungen von Seiten der Geschichtswissenschaft sind jedoch bislang selten. Die zahllosen historischen Einführungsreihen sparen die Mediengeschichte aus. Lediglich in der Reihe »Enzyklopädie der Neuzeit« des Oldenbourg-Verlags erschien ein entsprechender Band, aber nur für die Frühe Neuzeit (Würgler 2009).

Zuschnitt des Buches

Das vorliegende Buch ist aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft geschrieben, greift aber vielfach Ansätze und Ergebnisse anderer Disziplinen auf. Es soll forschungsorientiert die Entwicklung neuer Medien und deren jeweilige gesellschaftliche Bedeutung aufzeigen. Damit geht es um die epochale Rolle der jeweiligen Medien, also etwa um ihre Bedeutung in der Reformation, den Revolutionen, Kriegen oder Diktaturen. Eigene Akzente setzt das Buch zudem durch die vergleichende und transnationale Ausrichtung. Die begrenzte Seitenzahl zwingt jedoch zu Einschränkungen. So konzentriert sich das Buch auf »Massenmedien«, also technische Medien, die eine indirekte Kommunikation mit einem unbekannten, räumlich verstreuten Publikum ermöglichen. Auch wichtige technische Kommunikationsmittel, wie die Schallplatte oder das Telefon, deren Sozialgeschichte gerade für Deutschland bisher kaum erforscht ist, werden daher nur am Rande behandelt, ebenso die Fotografie und Bilder, da die Reihe »Historische Einführungen« dazu eigene Bände hat (bisher: Jäger 2009). Zeitlich werden »nur« die 500 Jahre seit dem Ende des Mittelalters einbezogen. Zudem werden Computer und Internet nur im Rahmen eines bilanzierenden Abschlusskapitels berücksichtigt, da die Digitalisierung erst seit kurzem sozial- und kulturgeschichtliche Breitenwirkung erfährt und in ihrer gegenwärtigen Unabgeschlossenheit noch kaum die archivgestützte Forschung der Historiker berührt (erste Studien in: Bösch 2018). Deutschland steht zwar im Mittelpunkt der Darstellung, aber es wird immer wieder versucht, vergleichende und transnationale Bezüge zu setzen. Gerade für das medienhistorisch komplexe 20. Jahrhundert sind hierbei jedoch nur exemplarische Vergleiche möglich. Auch die Forschungslage setzt Grenzen, da medienhistorische Arbeiten vornehmlich nur zu den westlichen Industrieländern vorliegen, nur eingeschränkt zu Osteuropa, Südamerika, China und Japan, und fast gar nicht zu Afrika und dem arabischen Raum.

Quellen und Archive

Dass die medienhistorische Forschung bislang wenig entwickelt ist, hängt auch mit der Quellenlage zusammen. Hier besteht ein eigenwilliges Konglomerat von Quellenfülle und -mangel: Einerseits sind massenmediale Quellen wie Flugblätter, Zeitungen oder Fernsehprogramme in einem fast schon abschreckend großen Umfang überliefert. Dies erfordert eine methodisch reflektierte Auswahl, während Historiker bislang eher die vollständige Auswertung von Quellen eines Themas gewohnt sind. Andererseits herrscht eine ausgesprochen schlechte Überlieferungslage bei allen Quellen vor, die der historischen Kontextualisierung dienen: Redaktionsakten von Zeitungen, Verlagen und Rundfunkstationen sind meist nicht vorhanden, Nachlässe von Journalisten oder Quellen zu den Mediennutzern und Daten zur Rezeption vor 1945 ebenfalls kaum. Radiosendungen der 1920/30er und Fernsehsendungen der 1950/60er sind zudem nur spärlich überliefert. In Deutschland ist dabei die Quellensituation schlechter als in den westlichen Nachbarländern. Während etwa britische Journalisten früh Memoiren schrieben und ihre Briefe Archiven übergaben, sind in Deutschland selbst die Bestände großer Verlage für die Zeit vor 1933 nur sehr begrenzt vorhanden. Besonders schwer ist in Deutschland der Zugang zu Rundfunkquellen. Während Länder wie Italien, Frankreich oder die USA wichtige Film- und Fernsehquellen teilweise online zugänglich machen, ist deren Einsicht in deutschen Rundfunkarchiven extrem kostspielig und der Zugang schwieriger. Aufgrund begrenzter Digitalisierung sind diese Quellen zudem vom Verfall bedroht. Ebenfalls vergleichsweise rückständig ist bislang die Digitalisierung deutscher Zeitungen vor 1945, während in den USA, Großbritannien oder Österreich größere historische Pressebestände digital zugänglich sind.

Dennoch sind Quellen für künftige medienhistorische Arbeiten zur Genüge vorhanden. So liegen zahlreiche umfangreiche Editionen von Druckgraphiken vor, teilweise auch auf DVD (etwa: Harms 1985 ff.; Paas 1985 ff.). Zeitungen des 17./18. Jahrhunderts sind etwa in den Sammlungen am Bremer »Institut für deutsche Presseforschung« archiviert, für das 19./20. Jahrhundert beispielsweise am Dortmunder »Institut für Zeitungsforschung« und der Zeitungsabteilung der Berliner Staatsbibliothek. Der »ZDB-Opac« zeigt bundesweit Ausgaben und Standorte aller Zeitungen und Zeitschriften an. Zudem sind zumindest einige deutsche Blätter digital benutzbar – teilweise kostenfrei wie die Augspurgische Ordinari Postzeitung (1770–1795), andere nur in großen Bibliotheken mit Lizenzen, wie die Vossische Zeitung (1918–1934) oder die FAZ (seit 1949).

Deutsche Filmquellen seit den Anfängen des Films sammelt für alle Genres die Berliner Filmabteilung des Bundesarchivs. Das EU-geförderte Internet-Portal Europeana vereint Links zum filmischen Erbe, ebenso zu Fotos, Bildern oder Tönen. Schwieriger ist der Zugang zu Radio- und Fernsehsendungen. Das Deutsche Rundfunkarchiv in Frankfurt und Babelsberg (für DDR-Bestände) ermöglicht einen ersten Zugriff. Quellen zu einzelnen (west-)deutschen Sendungen finden sich in den Archiven der einzelnen Sendeanstalten. Allerdings wurden die begleitenden Akten der Redaktionen häufig vernichtet. Eine gute Alternative sind die universitären Mediatheken, die zu Forschungszwecken benutzt werden können. Nicht zugängliche alte Sendungen müssen ansonsten über Radio- und Fernsehzeitschriften und Sendemanuskripte erschlossen werden.

Archivquellen zu Journalisten lassen sich über die »Zentrale Datenbank Nachlässe« ausmachen. Da Medien und Journalisten häufig vom Staat beobachtet und verfolgt wurden, finden sich in staatlichen Akten zahlreiche relevante Quellen, etwa in Polizei- und Gerichtsakten, in Aufzeichnungen der Innenministerien oder auch des Auswärtigem Amts, wo In- und Auslandskorrespondenten beobachtet wurden. Die Spitzelberichte der Diktaturen, wie des SD und der Stasi, geben auch erste Hinweise zur Mediennutzung. Generell gilt: Wenn man Medialität als einen integralen Teil der allgemeinen Geschichte fasst, finden sich entsprechende Quellen im Kontext des Untersuchungsthemas; zum Beispiel Quellen zur Medialität der Religion in Kirchenarchiven oder zur Politik in Partei- und Regierungsakten. An der Quellenlage sollte eine künftige Ausweitung der Mediengeschichte daher nicht scheitern.

2. Der Durchbruch des typographischen Drucks

2.1 Ostasien als Wiege des Drucks

Die Erfindung des Drucks ist fest mit dem Namen Gutenberg verbunden. Gutenberg galt amerikanischen Wissenschaftlern als »Mann des Jahrtausends« und sein Werk als ein zentraler Anstoß für den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Dies ist jedoch eine sehr westliche Sicht. So wurde der Druck mit beweglichen Schriftzeichen bereits vier Jahrhunderte zuvor in China erfunden, wo dann ein florierender Markt mit xylographisch gedruckten Büchern entstand. Den Druck mit beweglichen Metallschriftzeichen praktizierte man in Korea seit dem 13. Jahrhundert. Ebenso ist die berühmte Gutenberg-Bibel nicht das älteste überlieferte gedruckte Buch. Vielmehr befindet sich in der Pariser Bibliothèque nationale ein Exemplar des koreanischen Jikji, das bereits 1377 mit beweglichen Schriftzeichen gedruckt wurde, wenngleich mit differenter Technik. Eine nicht-eurozentristische Geschichte der modernen Massenmedien sollte insofern in Ostasien einsetzen. Eine relativ neue, umfassende und kommentierte Bibliographie bietet dafür einen guten Einstieg (Walravens 2007). Nachdem die Gutenberg-Bibel und der koreanische Jikji in den letzten Jahren gemeinsam öffentlich ausgestellt wurden, dürften die unterschiedlichen Wege zur Mediengesellschaft künftig mehr öffentliche Aufmerksamkeit finden (Engels 2003).

Bislang klammerten westliche Studien zu gesellschaftlichen Wirkungen des frühen Drucks jedoch die ostasiatische Entwicklung weitgehend aus oder negierten ihre Relevanz. Bereits Marshall McLuhans medienwissenschaftliche Arbeiten erwähnten den ostasiatischen Druck nur en passant als »ein Gegenstück zu den Gebetsmühlen und ein visuelles Mittel, um Beschwörungssprüche zu vervielfältigen, ähnlich der heutigen Reklame« (McLuhan 1968: 51). Auch Michael Gieseckes medienwissenschaftliche Studie zum Buchdruck maß dem Druck in Ostasien nur eine »sehr begrenzte Wirkung« bei (Giesecke 1991: 128–130; vergleichend dagegen: Giesecke 2007). Historiker oder Kommunikations- und Buchwissenschaftler ignorierten meist die ostasiatischen Erfindungen und Medienmärkte oder verwiesen knapp auf die technische Überlegenheit der deutschen Innovation (etwa Füssel 1999: 9; Stöber 2014: 18; Wilke 2008: 13; unerwähnt in Schanze 2001).

Entstehung in China und Korea

Als Forschungsperspektive erscheint weder ein derartiger »Überlegenheitsdiskurs« noch eine Gleichsetzung der Drucktechniken sinnvoll. Technisch und begrifflich unterscheiden sich die Erfindungen, sodass eine sprachliche Trennung zwischen der Typographie im Westen und dem »Schriftstempeldruck« in Ostasien vorgeschlagen wurde, um Quellenbegriffe wie »Lettern« zu vermeiden (Yukawa 2010: 284 f.). Dennoch ist eine vergleichende Berücksichtigung Ostasiens sinnvoll, um die soziale und kulturelle Dimension der neuen Drucktechniken auszumachen, um unterschiedliche Entwicklungen zu erklären und die oft recht teleologischen Thesen zur Wirkung des Drucks zu diskutieren.

Dabei fällt zunächst auf, dass die Erfindung des Drucks in Ostasien nicht als ein einzelner Geniestreich erinnert wird. Was im Westen als revolutionärer Akt gilt, war im Osten eher eine unauffällige längerfristige Evolution über tausend Jahre hinweg. Weder ein genaueres Datum noch Namen von Erfindern sind überliefert, ebenso thematisieren die chinesischen Quellen bis zum 16. Jahrhundert die Einführung des Drucks selten (McDermott 2006: 9–13). So verwendeten die Chinesen schon im ersten Jahrhundert nach Christus qualitativ hochwertiges Papier, das sich in den folgenden Jahrhunderten in ganz Zentralasien verbreitete. Bereits in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts kam in China und Korea der Blockdruck auf, den im gleichen Jahrhundert Japan übernahm. Bis ins 10. Jahrhundert dominierten noch religiöse Drucke, darauf dann weltliche (Chia/Weerdt 2011: 8). Die Blüte des Buchmarktes im 11. Jahrhundert führte dazu, dass in China um 1040 mit beweglichen Drucklettern aus Keramik experimentiert wurde, wobei diese Erfindung sich nicht durchsetzte und der florierende chinesische Buchmarkt auf der Xylographie beruhte, also dem Blockdruck mit geschnitzten Holztafeln. Alle diese Erfindungen sieht der Kunsthistoriker Lothar Ledderose als Teil eines chinesischen »Modulsystems«, bei dem über Jahrhunderte hinweg neue Ausprägungen massenhafter Serienproduktionen entstanden – wie Porzellan oder die Terrakotta-Soldaten (Ledderose 2000).

Die chinesischen Drucktechniken wurden in Korea mit Metalllettern aus Bronze aufgegriffen. Einige koreanische Forscher haben die ersten Drucke mit Lettern bereits auf das 11. Jahrhundert datiert, aber die Mehrheit der Wissenschaftler nimmt die Zeit um 1230 als Entstehungsphase an, obgleich keine entsprechenden Drucke aus der Zeit überliefert sind (Moon-Year 2004: 32; Seong-Rae 2004: 26 f.). Die bronzenen Stempel wurden dabei in mit Wachs beschichtete Metallrahmen gesetzt und dann, ohne Druckpresse, abgerieben. Dieser Reibedruck mit beweglichen Stempeln unterscheidet sich somit deutlich von Gutenbergs Apparatur (mit Gießinstrument, Druckpresse, Patrize/Matrize) und seinen Arbeitsprozessen (wie Stempelschneiden, Einschlagen, Gießen) (Yukawa 2010: 284f, 356 f.; vgl. Quelle Nr. 1 unter www.campus.de).

Gründe für die Verbreitung

Die Drucktechniken entstanden in Ostasien durch die große Nachfrage nach Büchern. Diese ergab sich erstens aus dem gut organisierten chinesischen Bildungs- und Prüfungssystem für Verwaltungsstellen, das die Koreaner im 10. Jahrhundert übernahmen (Sohn 1972: 218). In China waren Bücher deshalb bereits in der Song-Periode (960–1279) ein Mittel zum sozialen und politischen Aufstieg in prestigereiche Posten (McDermott 2006: 85). Und obgleich der Staat eine Standardisierung der Lernmaterialien verlangte, entwickelte sich bei der prüfungsvorbereitenden Literatur ein großer Buchmarkt mit konkurrierenden Werken. Bewerber für den Staatsdienst machten sogar mit eigenen Schriften auf sich aufmerksam (Chow 2004: 242).

Zweitens förderten die Herrscher direkt die Expansion des Drucks. In China stellten die amtlichen Druckereien nicht nur Verwaltungsanordnungen, offizielle Dynastiegeschichten und Prüfungsliteratur her, sondern die Herrscher vertrieben auch Bücher, die sie als weltanschaulich und kommerziell bedeutend erachteten (Brokaw 2005: 17). Noch deutlicher war dies in Korea ausgeprägt. Hier ließ der König 1403 eine Metallletterngießerei einrichten, die Drucke initiierte, Drucktypen entwickelte und selbst die Papier- und Tintenproduktion sowie den landesweiten Vertrieb organisierte. Die koreanischen Herrscher ließen außer in der königlichen Zentraldruckerei und den Regierungsstellen auch in Klöstern, privaten Studienanstalten, Ortsbehörden auf dem Land sowie von Privatpersonen drucken. Dennoch schränkte die zentrale Organisation die Expansion der neuen Medien in Korea eher ein (Lie 2003: 19, 36–43).

Zugleich förderten die Herrscher in Ostasien die Wissensspeicherung in großen Bibliotheken. Um 1420 umfasste die kaiserliche Bibliothek in China bereits rund 20.000 Titel mit 100.000 Druckwerken. Schüler hatten Zugang zu Bibliotheken der kaiserlichen Ausbildungsstätten (McDermott 2006: 50 f., 116). Dabei unterlag der Buchmarkt in China scheinbar nicht größeren Zwängen als in Europa: So betont Kai-Wing Chow, dass in China bis ins 18. Jahrhundert weder die Druckinhalte noch die Zahl der Drucker in ähnlicher Weise durch die Herrscher geregelt wurden wie in Europa (Chow 2004: 251), was deren Verbreitung ebenfalls erleichterte.

Bedeutung im Alltag

Drittens ist der neu aufkommende Markt für Bücher und Drucke nicht nur als Teil der Herrschaftssicherung zu verstehen, sondern auch im Kontext sozialer und kultureller Alltagspraktiken. Bücher spielten eine zentrale Rolle als Geschenk, da sie als ästhetisches Objekt für private Sammlungen geschätzt wurden. Derartige Gaben dienten oft der Loyalitätssicherung (McDermott 2006: 85; Seong-Rae 2004: 31). Die Profitausrichtung, die im Westen dem Buchmarkt seine Dynamik gab, blieb in Korea bis Mitte des 17. Jahrhunderts gering, was sicherlich die zunächst von den Herrschern angestoßene Produktionsdynamik bremste. Hingegen expandierte in China insbesondere Mitte des 16. Jahrhunderts ein kommerzieller Buchmarkt. Inhaltlich umfassten die chinesischen Bücher durchaus ein breiteres Spektrum, das von religiösen Fragen über Ratgeberliteratur bis zur Unterhaltung reichte (Chow 2004: 245). Dass der Buchdruck nicht automatisch das Aufkommen einer individualisierten Autorschaft förderte, zeigen auch die Buchinhalte, die vielfach diverse Texte vereinten oder mit unterschiedlichen Titeln neu herausgaben (Brokaw 2005: 20).

Religiöse Bedeutung

Viertens trug die Religion entscheidend zum Boom gedruckter Medien bei. In Korea war bis zum Ende der Goryeo-Dynastie (918–1392) der buddhistische Glaube Antrieb für die Blüte des Drucks, wie die zahlreichen buddhistischen Texte und Buchillustrationen unterstreichen. Ihr Druck selbst galt als religiöser Akt, während der später folgende Druck neokonfuzianischer Schriften ähnlich wie in Westeuropa eine gewisse Standardisierung der Texte anstrebte. So ist auch das weltweit älteste überlieferte Buch, das mit Metalllettern gedruckt wurde, eine von einem Zen-Meister verfasste Unterweisung in der buddhistischen Lehre von 1377 (Buljo-Jikji-Simche-Yojeol, meist Jikji genannt; vgl. Quelle Nr. 2 unter www.campus.de). Ebenso diente im nachfolgenden Joseon-Reich (1392–1910) der Druck auch der Durchsetzung des Neokonfuzianismus, der nun als neue Staatsdoktrin aufgebaut wurde. Insbesondere illustrierte Drucke sollten den Wertekanon des Konfuzianismus flächendeckend ab dem 15. Jahrhundert verbreiten. Der Druck bezweckte jedoch nicht nur die Propagierung von Religionen und Verhaltensweisen. Vielmehr galt bereits der Akt der Vervielfältigung religiöser Schriften als eine Handlung, die dem Heil diene, was die gewaltigen Auflagen zusätzlich steigerte. Dies zeigte sich besonders in Japan, wo die Kaiserin in den 760er Jahren circa eine Millionen heilige Schriften für Pagoden (Dhâranî) drucken ließ (Giesecke 2007: 428 f., Yukawa 2010: 246).

Begrenzte Durchsetzung

Der Blick auf Ostasien belegt zudem, dass der Druck mit beweglichen Lettern keineswegs zwangsläufig zur dominanten Medientechnik werden musste. In China spielte er trotz der frühen Erfindung bis ins 19. Jahrhundert hinein nur eine geringe Rolle, und in Korea standen der xylographische Druck (»Holzschnitt«) und der mit Lettern ebenso lang nebeneinander. Bücher für große Auflagen wurden hier weiterhin mit Holzschnitt gefertigt, Luxusausgaben, kleinere Auflagen oder weitgehend standardisierte Texte hingegen mit beweglichen Schriftstempeln. Auch die Japaner lernten in den 1590er Jahren den Druck mit beweglichen Lettern kennen, als jesuitische Missionare die westliche Drucktechnik mitbrachten und die Japaner zeitgleich bei einem Krieg gegen Korea deren Drucktechnik erbeuteten (Yukawa 2010: 282 f.). Für kurze Zeit war die neue Drucktechnik danach in Japan weit verbreitet, wobei die Bronzelettern in Holzkästen mit Leisten gesetzt wurden. Dann trat sie wieder in den Hintergrund, bis sie mit der Öffnung zum Westen in den 1860er Jahren wieder stark expandierte.

Ein Hemmnis war sicher das komplizierte Schriftsystem. Das Setzen der zahllosen chinesischen Lettern lohnte sich rein ökonomisch nicht, da die Arbeitskosten für das Schnitzen deutlich geringer waren. Dies ermöglichte wiederum günstige Buchpreise. Nicht minder bedeutsam war die Macht der typographischen Traditionen. In Korea entfaltete sich zwar in den 1440er Jahren ein vereinfachtes koreanisches Alphabet, es konnte sich aber gegenüber den bislang benutzten chinesischen Zeichen bis zum 19. Jahrhundert nicht durchsetzen, da die Gelehrten eine Verfremdung des Neokonfuzianismus befürchteten. Deshalb wurde vermutet, dass im Falle einer Schriftvereinfachung der Druck mit beweglichen Lettern eine ähnliche Dynamik entfaltet hätte wie im Westen (so Sohn 1972: 227). Dagegen lässt sich anführen, dass Japan über eine vereinfachte chinesische Schrift verfügte, sich aber dennoch keine vergleichbare Drucktradition ausbildete.

Ästhetische Traditionen erklären ebenfalls die differente Entwicklung. Da in China, Korea und Japan die Kalligraphie einen großen Stellenwert besaß, war der Holzschnitt geeigneter. Bei luxuriösen Büchern bestand deshalb sogar die handschriftliche Gestaltung lange fort. Ebenso wiesen Japan, China und Korea ein Wertsystem auf, das das malende Schreiben und die Kombination von Bild und Schrift privilegierte (Giesecke 2007: 437 f.). Zudem minderte die Weiterführung der Xylographie die Investitionskosten beim Startkapital und dem technischen Know-how, was einen breiteren Zugang zu gedruckten Texten erlaubte. Dementsprechend musste in geringerem Maße auf Mindestauflagen geachtet werden, und auch die Mobilität der Drucker war größer (Brokaw 2005: 8, 15). Gerade in China erlaubte das xylographische Verfahren angesichts der hohen Abnehmerschaft, immer wieder Auflagen nachzudrucken, auch wenn die Speicherung der Holzplatten Platz verschlang. Ebenso ermöglichte dies eine Ausübung des Druckhandwerks in zahlreichen Regionen, während sich die kapitalintensiven Druckanlagen im Westen zunächst auf wenige zentrale reiche Städte konzentrierten. Asienwissenschaftler wehren sich deshalb gegen die Abwertung der asiatischen Blockdrucke, die westliche Forscher oft nur als unterentwickelte Zwischenstufe auf dem Weg zum »eigentlichen« Buchdruck bewerten (vgl. Chow in Baron u. a. 2007: 175).

Kulturelle Folgen

Die asiatische Blüte des Buchzeitalters setzte nicht unmittelbar nach den wegweisenden Erfindungen ein, sondern jeweils mit einiger Verzögerung. Da die politischen Herrscher starken Einfluss auf die Buchproduktion nahmen, waren Dynastiewechsel von Bedeutung. So kam es in Korea insbesondere in der Zeit von Sejongs Herrschaft (1418–1450) zu einer starken Expansion des Buchmarktes. Noch heute lassen sich 114 mit beweglichen Lettern gedruckte Titel ausmachen, die Auflagen zwischen 100 und 300 Exemplaren hatten, und 194 Titel mit xylographischem Verfahren mit 300 bis 10.000 Exemplaren Auflage (Sohn 1998: 28). Dabei diente die forcierte Buchproduktion nicht nur der Stabilisierung der neuen Herrschaft, sondern auch der Durchsetzung der neokonfuzianischen Staatsdoktrin, die mithilfe von Lehrbüchern und neuen Ritualen den Buddhismus verdrängen sollte. Die Blüte des chinesischen Buchmarktes zwischen 1550 und 1650 beruhte dagegen auch auf dem starken Bevölkerungsanstieg der Zeit, der die Nachfrage nach Büchern ankurbelte und durch viele Arbeitskräfte die Produktionskosten gering hielt (generell: Chow 2004; Brokaw 2005: 10). Auch der Büchervertrieb wurde in dieser Phase verbessert (McDermott 2006: 55). Da in China trotz Hunderter Dialekte – die freilich selten in Büchern verwendet wurden – eine gemeinsame Schriftsprache bestand, war das gesamte Land Zielgruppe des Vertriebs. Dies war ökonomisch und kulturell von Bedeutung: Der Medienmarkt trug so mit dazu bei, China als Einheit zu imaginieren, und förderte zumindest potenziell eine gemeinsame Öffentlichkeit und kulturelle Kohärenz. Allerdings etablierte der Druck keine einheitliche Umgangssprache (Chow 2004: 245).

Diese Befunde zur Entwicklung des Druckes warnen davor, aus Medieninnovationen zu schnell Kausalitäten abzuleiten. Offensichtlich konnte der Druck sehr unterschiedliche Folgen haben. Zugleich zeigen die skizzierten Beispiele, dass sich aus der technischen Differenz keineswegs eine gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit der Druckmedien in Asien ableiten lässt. Grundsätzlich wäre schließlich zu erwägen, den xylographischen Druck in Asien weniger als eine künstlerische Vorstufe zum Druck mit beweglichen Lettern zu sehen, sondern als eigenständiges Medium in Ostasien (so auch Chow 2004: 246 f.).

2.2 Die Ausbreitung von Gutenbergs Erfindung

Transfer aus Asien?