Meditationen eines Christen - Robert Spaemann - E-Book

Meditationen eines Christen E-Book

Robert Spaemann

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Beschreibung

Die 150 aus vorchristlicher Zeit stammenden hebräischen Psalmen – Gedichte, Gebete, Jubelgesänge und Verzweiflungsschreie – gehören zum universalen Kulturgut der Menschheit. Sie sind präsent im Zitatenschatz unserer Dichter und Schriftsteller, in Redewendungen und Redensarten, in Sentenzen und Sprichwörtern. Vertont wurden sie von fast allen großen Komponisten vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Die vorliegenden Meditationen dienten dem Autor der Selbstverständigung eines Philosophen und Christen im meditativen Umgang mit dem Psalter. Sie erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch und argumentieren nicht. Sie gehen von der Erfahrung aus, dass das Ergebnis der Selbstverständigung im Umgang mit diesen alten Texten auch anderen hilfreich sein kann, die sich auf ähnlichen Wegen befinden.

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Robert Spaemann

MEDITATIONENEINESCHRISTEN

ÜBER DIE PSALMEN 1 – 51

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Klett-Cotta

© 2014 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94887-5

E-Book: ISBN 978-3-608-10693-0

Dieses E-Book beruht auf der 1. Auflage 2014 der Printausgabe

INHALT

Vorrede

Psalm 1

Psalm 2

Psalm 3

Psalm 4

Psalm 5

Psalm 6

Psalm 7

Psalm 8

Psalm 9

Psalm 10

Psalm 11

Psalm 12

Psalm 13

Psalm 14

Psalm 15

Psalm 16

Psalm 17

Psalm 18

Psalm 19

Psalm 20

Psalm 21

Psalm 22

Psalm 23

Psalm 24

Psalm 25

Psalm 26

Psalm 27

Psalm 28

Psalm 29

Psalm 30

Psalm 31

Psalm 32

Psalm 33

Psalm 34

Psalm 35

Psalm 36

Psalm 37

Psalm 38

Psalm 39

Psalm 40

Psalm 41

Psalm 42

Psalm 43

Psalm 44

Psalm 45

Psalm 46

Psalm 47

Psalm 48

Psalm 49

Psalm 50

Psalm 51(Das Miserere)

VORREDE

Der hebräische Psalter ist eine Sammlung von Liedern, Gebetstexten, Meditationen und Gedichten aus verschiedenen Epochen. Entstanden sind diese sogenannten Psalmen aus verschiedenen geschichtlichen oder persönlichen Anlässen. Gebetet, rezitiert, gesungen oder gesprochen werden sie von Juden und Christen sowohl in gottesdienstlicher Funktion als auch in persönlichen Situationen, die denen irgendwie verwandt sind, aus denen der jeweilige Psalm entstand. Der Psalter ist das klassische Gebetbuch von Synagoge und Kirche. Er bildet den größten Teil des täglichen Stundengebetes der christlichen Mönche in Ost und West sowie des kürzeren täglichen Stundengebets der Priester. Die Psalmen gehören – unabhängig von der Gläubigkeit der Leser oder Sänger – zum fundamentalen Kulturgut Europas. Einige gehören zum Gebetsschatz im Leben aller Christen, so zum Beispiel der 23. Psalm »Der Herr ist mein Hirt«. Zwei Psalmen tragen ihre lateinischen Anfangsworte als Titel, das »Miserere« und das »De profundis«. Der 51. und sechs andere Psalmen gelten als »Bußpsalmen«. Der heilige Augustinus hat sie an seinem Sterbebett so befestigt, dass er sie im Bett liegend lesen konnte.

Übersetzt ins Griechische wurde der Psalter um 100 v.Chr. von, wie man sagt, siebzig gelehrten Diaspora-Juden in Alexandrien, zusammen mit dem ganzen Alten Testament, es entstand die sogenannte Septuaginta. Diese und deren lateinische Übersetzung, die Vulgata, bildeten für Jahrhunderte die Basis der Interpretation durch die Kirchenväter sowie der mittelalterlichen Kommentatoren. Die modernen Kommentare bedienen sich weitgehend der historisch-kritischen Methode. Sie versuchen, die Psalmen durch Rekonstruktion ihrer Ursprungsbedingungen dem Verständnis zu erschließen.

Wissenschaftliche Kontroversen können den Erkenntnisgewinn nicht rückgängig machen, den wir – und zwar auch als Psalmenbeter – der modernen Bibelwissenschaft verdanken. Wissen, das über den Ursprung eines Textes informiert, kann der persönlichen Aneignung dieses Textes nicht abträglich, sondern für sie ein Gewinn sein. Allerdings erfordert das nun eine Aneignung zweiter Stufe, nämlich der Rezeption der Rezeptionsgeschichte und ihres heutigen Standes. Am Ende aber müssen wir – um Wittgensteins Metapher zu gebrauchen – die Leiter wegwerfen, auf der wir hinaufgestiegen sind. Das Studium kann ins Gebet münden. Studium und Gebet sind aber nicht dasselbe. Die reflexive Vermittlung lohnt sich nur, wenn sie in eine neue Unmittelbarkeit mündet.

Die hier vorgelegten Meditationen über die ersten 51 Psalmen sind die Gedanken eines Laien, eines offenbarungsgläubigen Christen und vernunftgläubigen Philosophen, Gedanken, die keinerlei Kompetenz beanspruchen und niemanden überzeugen wollen, aber mir bei der betenden Aneignung der Psalmen hilfreich waren. Gedanken früherer Interpreten sind in sie eingegangen, die Tradition christlicher Aneignung ebenso wie das, was man den »Stand der Wissenschaft« nennt. Bei diesem »Meditieren bei Tag und bei Nacht« (Psalm 1) stößt man auf Menschen, die ähnlicher Denkart, oder doch aufgrund ihrer Denkart disponiert sind, sich diese Sicht ihrerseits anzueignen. Das heißt: Eigentlich habe ich für mich selbst geschrieben.

Begonnen habe ich damit vor Jahrzehnten. Hans Urs von Balthasar (1905–1988) war es, dem einige dieser Texte in die Hand gerieten und der mir eine Veröffentlichung nahelegte. Ich wollte das aber erst ins Auge fassen, wenn ich aufgehört hätte, als Lehrer der Philosophie tätig zu sein. Das ist nun seit Langem der Fall.

Mein Schlüssel zum Verständnis der Psalmen ist die Auslegung, die wir Jesus und den Aposteln verdanken. Sie setzt voraus, dass die Verfasser der Psalmen »vom Geist erleuchtet« waren, dass es sich also um prophetische Texte handelt, die – oft ohne Wissen der Verfasser – auf eine messianische Zukunft verweisen. Christus betet nicht nur den 22. Psalm »Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen« am Kreuz. Er zitiert öfter Psalmen mit der Absicht, zu zeigen, dass sie eigentlich von ihm handeln. Er ist der exemplarische Beter des Psalters. Die vierzig Tage nach seiner Auferstehung widmet er einer Katechese seiner Apostel, die genau dieses Ziel hat. Ein Beispiel für solche Doppeltkodierung gibt Johannes im 11. Kapitel seines Evangeliums. Da ist vom Hohen Priester Kaiphas die Rede, der empfiehlt, Jesus zu töten, weil er ein Risiko darstellt für die Beziehung zur römischen Besatzungsmacht. Es ist, so sagt er, »besser für euch, dass ein Einziger für das Volk stirbt, als dass das ganze Volk zugrunde geht«. »Das aber«, so kommentiert der Evangelist, »sagte er nicht aus sich selbst, sondern weil er in jenem Jahre Hoher Priester war, weissagte er aus prophetischer Eingebung, dass Jesus für das Volk sterben werde.« (Joh 11,49–51) Und dann fügt der Evangelist hinzu: »Aber Er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln.« (Joh 11,52)

Diese Öffnung für alle »versprengten Kinder Gottes« ist der Beginn des messianischen Zeitalters. Dass dieses mit Jesus Christus angebrochen ist, liegt den folgenden Meditationen als Grundüberzeugung zugrunde. Es unterscheidet auch das christliche Psalmengebet vom jüdischen, dem die »zweite Kodierung« verborgen ist. Die zweite Kodierung hebt indessen die erste so wenig auf, wie der Glaube an die zweite Ankunft Christi »in Herrlichkeit« die Bedeutung seiner »Ankunft im Fleisch« und den Status der Hoffnung auf das triumphale »Sichtbarwerden der Kinder Gottes« nicht aufhebt.

Die christliche Aneignung des Alten Testaments ist niemandes »Enteignung«. In den letzten Jahrzehnten wurden die Juden von den Christen oft unter dem ehrwürdigen Bild des »älteren Bruders« gefasst. Der ältere Bruder im Gleichnis vom verlorenen Sohn ist immer beim Vater geblieben, während sich der jüngere so lange draußen herumgetrieben hat, bis ihm nur noch der Weg zurück nach Hause bleibt. Der Vater, der für den Heimgekehrten ein Fest feiert, nimmt dessen älterem Bruder nichts weg. Aber das Fest ist nicht, was es sein könnte, solange der ältere nicht mitfeiert und die »versprengten Kinder Gottes« (Joh 11,52) als »Anbeter im Geist« (Joh 4,24) im durch Christus erneuerten Israel willkommen heißt. Die Christen aber glauben sich vom Vater ermächtigt, in der Liturgie der Osternacht von »unseren Vätern« zu sprechen, »die in dieser Nacht aus Ägypten befreit wurden«. Und sie halten sich für berechtigt, in dieser Nacht Gott zu bitten, dass »die Fülle der ganzen Welt eingehe in die Kindschaft Abrahams und die Würde Israels«. Die Gottlosen, die im 20.Jahrhundert Millionen von Juden ermordet haben und eigentlich alle ermorden wollten, gleichen Herodes, der alle Neugeborenen Bethlehems ermorden ließ, um den Einen zu töten. Sie sagten »Juden«, und sie meinten den Einen, der allein wirklich für sie gefährlich war: Jesus. Mit sicherem Instinkt für die Gefahr hat dann auch später die römische Staatsmacht zwar die jüdische Religion toleriert, nicht aber die universalistische und missionarische Sekte der Christen, die Kirche, die alle Menschen zu Israeliten machen will.

Zu den »Meditationen« ist noch Folgendes zu sagen. Religion hat eine »fromme« Innenseite und eine psychologische, soziologische, kulturwissenschaftliche und phänomenologische Außenperspektive. Lebendig ist eine Religion nur kraft ihrer Innenseite. Wie es ist, verliebt zu sein, kann uns keine Psychologie oder Kultursoziologie nahebringen. Wir müssen es schon erfahren haben. Aber es gehört zum Bildungsprozess des Menschen, von der Außenseite seines Erlebens zu wissen und beide Sprachen sprechen zu können, ohne sie zu vermischen. Die »Meditationen« sprechen die fromme Sprache der Glaubenserfahrung, die durch die Zudringlichkeit der Außenperspektive angefochten und beirrt wird, ohne doch vor ihr zu kapitulieren. Das hat eine Nebenfolge, die die Übersetzung betrifft. Die Psalmen werden in der Version der Vulgata beziehungsweise in deren unvergleichlicher deutscher Übersetzung von Joseph Franz von Allioli wiedergegeben, die einmal für deutsche Katholiken ähnlich kanonischen Status hatte wie Luthers Bibelübersetzung aus dem Urtext für Protestanten (die Zählung orientiert sich allerdings nicht an der Vulgata, sondern an der Einheitsübersetzung). Im Text der Meditationen aber habe ich mir teilweise auch die Freiheit genommen, die Verse so zu zitieren, wie sie mir im Gedächtnis gegenwärtig sind, also gelegentlich in eigener Übersetzung, in der Einheitsübersetzung oder anderen. (Die jeweiligen Verse, auf die sich mein Text bezieht, sind aber auf jeden Fall durch die Versangabe als Marginalien am Rand auffindbar.)

Alle traditionellen Übersetzungen, Luther ebenso wie Allioli, haben ein Gemeinsames: Sie vermeiden es, den geoffenbarten Namen Gottes JHWH auszusprechen, und sagen an seiner Stelle, dem jüdischen Brauch folgend, »der Herr«. Erst im 20.Jahrhundert sind Bibelübersetzungen erschienen, die sich über das Verbot, den Namen Jahwe auszusprechen, hinwegsetzen. Papst Benedikt XVI. hat das missbilligt und für den liturgischen Gebrauch des Psalters verlangt, zur Tradition zurückzukehren. Man muss dann aus dem Kontext erschließen, ob »der Herr« in einem bestimmten Zusammenhang den Gottesnamen meint oder nicht. Wenn es zu Beginn des 139. Psalms heißt: »Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten«, dann ist klar, dass das erste »Herr« Gott meint und das zweite den Messiaskönig. Luthers Übersetzung begegnet der möglichen Verwirrung dadurch, dass das Wort »Herr« überall dort, wo es den Namen bedeutet, durch Großbuchstaben hervorgehoben wird. Und erwähnt zu werden verdient auch, dass die schöne Psalmenübersetzung in Zürichdeutsch »D’ Psalme Züüridütsch« anstelle des Namens das großgeschriebene Wort ER setzt, eine Hervorhebung, die man auch mündlich leicht hörbar machen kann. In allen traditionellen Bibelausgaben ist es im Übrigen üblich, die Pronomina großzuschreiben, wenn sie sich auf Gott beziehen, eine Praxis, die auch im Folgenden beibehalten wurde.

Stuttgart, im September 2013Robert Spaemann

PSALM 1

1Glückselig der Mann, der nicht wandelt nach dem Rate der Bösen und auf dem Wege der Sünder nicht steht und nicht sitzt, wo die Spötter sitzen,

2sondern der am Gesetze des Herrn seine Lust hat und das Gesetz desselben betrachtet Tag und Nacht!

3Er ist wie ein Baum, der gepflanzt ist an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und dessen Laub nicht abfällt, und alles, was er tut, gelingt ihm wohl.

4Nicht also die Gottlosen, nicht also; sondern sie sind wie Staub, den der Wind von der Erde verweht.

5Darum werden die Gottlosen im Gerichte nicht bestehen und die Sünder nicht in der Gemeinde der Gerechten.

6Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten und der Pfad der Gottlosen führt ins Verderben.

Das Gebetbuch Israels und der Christenheit, der Psalter, beginnt in der Vulgata mit dem Wort beatus – »glücklich«, »selig« –, mit dem auch die Proklamation des Gesetzes des Neuen Bundes beginnt, die Bergpredigt. Alle Gottesbeziehung des Menschen hat zum Inhalt und Ziel die Teilhabe des Menschen an dem Zustand, der Gott selbst eigen ist: der Seligkeit. Seligkeit meint nicht irgendeine Art von Wohlbefinden, sondern Erfüllung, die nichts unerfüllt lässt, intensivstes Leben und vollkommene Ruhe. Gott ist selig. Der Mensch wird es im Maße der Vereinigung mit Gott, seinem unbedingten Sinn. Die Verheißung, die die Offenbarung gibt, ist eine absolute, durch nichts überbietbare. Und das heißt: Sie verheißt Seligkeit.

Die Verheißung der Seligkeit wird geknüpft an eine Entscheidung, die Entscheidung angesichts einer alternativen Möglichkeit. Da wir uns in einer Welt befinden, die schon durch die Wahl der falschen Möglichkeit, der Unseligkeit, gekennzeichnet ist, hat die Wahl des richtigen Weges zunächst den negativen Charakter der Abwendung von …: »Kehrt um!«, diese Aufforderung steht am Anfang des Wirkens Jesu. Der Psalm charakterisiert ein dreifaches Wovon der Abkehr: Rat der Gottlosen, Weg der Sünder, Sitz der Spötter. Der Weg der Unseligkeit ist gekennzeichnet durch Abwesenheit von Wahrheit als Grundorientierung des Menschen – Gottlosigkeit –, durch Verkehrtheit der Willensrichtung und des Handelns – Sünde – und durch ein in beiden wurzelndes negatives Affektverhältnis zur Wirklichkeit.

Gottlosigkeit ist jene Grundorientierung, in welcher der Mensch entweder Gott leugnet oder lebt, als ob Gott nicht wäre. Der Gottlose rückt sich selbst als Individuum oder als Kollektiv in den Mittelpunkt, von wo aus er urteilt, was gut und schlecht, was schön und hässlich, was zu tun und zu lassen ist. Der Psalm spricht vom »Rat der Gottlosen«, in dem der Unselige aus- und eingeht. Die Menschen mit der gottlosen Perspektive bilden einen »Rat«, das heißt eine Verständigungsgemeinschaft. Zwar herrscht in dieser kein wirklicher Friede, denn wo Menschen sich selbst zum Mittelpunkt machen, wo sie einen babylonischen Turm bauen, da entsteht babylonische Verwirrung. Der Konflikt ist vorprogrammiert. Aber hinsichtlich der anthropozentrischen Perspektive sind sich die Gottlosen dennoch einig. Dass man keine »übernatürliche Hypothese« in die Beratung irdischer Dinge einführen dürfe, das bildet die gemeinsame Basis dieses »Rates«. Wer den Weg der Seligkeit wählt, verkehrt nicht in diesem Rat, denn er kann sich mit jenen nicht verständigen, deren fundamentale Prämisse die Lüge ist.

Aus der Gottlosigkeit folgt die Sünde, das heißt das von Selbstsucht regierte Handeln, das bei aller Verschiedenheit in einem Punkt übereinstimmt: nicht mit der Ordnung Gottes übereinzustimmen. Die Sünder gehen einen »Weg«. Dass der selige Mann ihn nicht geht, versteht sich von selbst. Aber so wie er im Rat der Gottlosen nicht beiläufig verkehrt, so »steht« er auch nicht am Weg der Sünder, das heißt, er hält sich gar nicht in diesem Umkreis auf, weil er nämlich gar nicht »steht«, sondern selbst geht, aber einen anderen Weg.

Schließlich die Spötter. Sie sitzen. Sie sind Zuschauer – Zuschauer, die ihr Vergnügen daran haben, wenn das Gute »entlarvt« wird. Sie liegen immer auf der Lauer, das Gute zu entlarven, weil sie seine Echtheit nämlich gar nicht wahrnehmen können. Sie lachen über die Tanzenden, weil sie die Musik nicht hören. Sie freuen sich, wenn der Gute der Dumme ist, denn für sie ist ein Leben aus göttlicher Perspektive ohnehin Dummheit. Sie behalten in einer Welt des Unheils natürlich meistens recht. Die Fälle, wo sie unrecht haben, sehen sie nicht. Dass sie am Ende ganz und gar unrecht haben werden, glauben sie nicht. Die Versuchung, auf der Seite derer zu sein, die nicht enttäuschbar zu sein scheinen, weil sie von vornherein alles Schöne und Gute zur Illusion erklären, ist groß. Man ist nie der Blamierte, wenn man sich auf die Seite der Blamierer stellt. Aber man ist auch nie selig. Die Spötter freuen sich über die Niederlage der Guten. Sie »schütteln den Kopf und sagen: Wo ist denn ihr Gott?« (Ps 42,11–79,10–115,2)

Der selige Mann kann dem Spötter nicht antworten. Der Spötter würde auch über die Antwort nur lachen. Der Unterschied ist der: Beide freuen sich über Entgegengesetztes. Und das ist die tiefste Kluft, die es gibt. Woran freut sich der selige Mann? (Vers 2) Am »Gesetz des Herrn«. In einer Welt, in der es den Guten schlecht und den Schlechten gut geht, kann der selige Mann mit dem Spötter nicht auf gleicher Ebene konkurrieren. Er ist nicht Zuschauer, sondern Zuhörer. Er sieht Gott nicht, aber er hört Ihm zu. Er hat ein Wort Gottes, und zwar eine Wegweisung: das Gesetz, das heißt den Entwurf eines richtigen Lebens, eine »Anweisung zum seligen Leben«. Das Erste, was der Psalter über den seligen Mann sagt, ist, woran er sich freut. Davon hängt alles andere ab. Der selige Mann freut sich am »Gesetz des Herrn«. Die Juden haben ein »Fest der Gesetzesfreude« (Simchat Thora). Wer umherirrt, für den gibt es keine größere Freude, als auf einen Wegweiser oder auf eine Landkarte zu stoßen, auf der auch der Punkt, wo man sich selbst befindet, markiert ist. Er wird diese Landkarte gründlich studieren, sich auf den Weg machen und sie bei jedem veränderten Sonnenstand, bei jeder veränderten Umgebung erneut genau zu Rate ziehen. So »betrachtet« der selige Mann »im Gesetz des Herrn bei Tag und bei Nacht«.

Das Bild von der Landkarte ist aber noch zu dürftig. Das richtige Leben ist ja nicht mit dem bloßen Finden eines Weges nach bekannten Methoden zu vergleichen. Zum richtigen Leben gehört auch das Erlernen der Methoden selbst, zum Beispiel des Kartenlesens, oder aber des Lesens überhaupt. Die Sprache im Rat der Gottlosen ist nicht die Sprache der Seligen. Die »Betrachtung im Gesetz des Herrn« ist zugleich dem Studium einer Grammatik, dem Vokabellernen, dem Üben eines Instruments, dem Sich-Versenken in eine Bilderwelt vergleichbar. Die Weisung des Herrn ist die Offenbarung einer Welt, der Welt im Lichte Gottes. Dies freilich nicht als theoretische Belehrung, sondern als Anweisung zum Einüben. Das Gesetz des Herrn ist die Partitur des richtigen Lebens. Es sind Noten zu einer Musik, die man nur hört, indem man sie zugleich spielen lernt. Aus den Weisungen des Herrn, aus der Bergpredigt vor allem leuchtet uns der Glanz einer göttlichen Wirklichkeit entgegen. Darum können sie Gegenstand der »Betrachtung« bei Tag und bei Nacht sein und sind nicht nur pragmatische Anweisungen, die ihren Sinn darin haben, äußerlich erfüllt zu werden.

Nachdem die beiden Wege miteinander konfrontiert wurden, werden nun die verglichen, die diese Wege gehen. Nun aber in umgekehrter Reihenfolge, nicht mehr in der chronologischen, nach welcher der gute Weg voraussetzt, dass man sich vom schlechten abkehrt. Vom seligen Weg aus betrachtet verschwindet der unselige zur Unkenntlichkeit. (Vers 3) Der selige Mann wird verglichen mit einem Baum. Der Vergleichspunkt ist auf den ersten Blick klar: Der immergrüne Baum am Wasser, der Früchte trägt, das ist ein Bild vollen, gelingenden Lebens. Das Leben in der Ordnung Gottes ist volles Leben. Seligkeit ist gesteigertes Leben. Warum dient die Pflanze als Symbol des seligen Lebens? Hier der Baum, bei Jesus Christus dann die Lilien des Feldes? Wir müssen das Symbol gestalthaft verstehen. Der Mensch steht – im Unterschied zu allen Tieren – aufrecht, wie Blumen und Bäume. Das Tier ist von Begierde getrieben, um seine Selbst- und Arterhaltung zu sichern. Es ist auf äußere Zwecke fixiert, die die Mittel zu seiner Erhaltung darstellen. Der Baum ist Bild in sich ruhenden Lebens. Er nimmt aus Boden und Luft kontinuierlich Nahrung auf in dem Maße, wie sie sich bietet. Er verfolgt keine äußeren Zwecke. »Die Ros’ ist ohn’ Warum, sie blühet weil sie blühet« (Angelus Silesius). Das ist ein Bild der Seligkeit dessen, der das »Weil« gefunden hat. Schließlich: Der Baum bringt Früchte, weit über die Notwendigkeit der Arterhaltung hinaus. Das selige Leben ist wie das göttliche diffusivum sui: Es teilt sich mit. Es strahlt aus. Niemand behält seine Seligkeit für sich. Der Baum, der keine Früchte trägt, ist kein guter Baum. Er wird »abgehauen und ins Feuer geworfen« (Mt 7,19). Dass der Mensch wie ein Baum Frucht zu bringen hat, die Gott ernten kann, das ist ein häufiges Bild Jesu. Und der heilige Paulus schreibt von »Früchten des Geistes«: »Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung« (Gal 5,22–23). Menschliches Leben, das Leben des Geistes, objektiviert sich und kann aufgrund seiner Objektivierung beurteilt werden. »An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.« (Mt 7,16) Und zwar werden die Früchte des guten Baumes »zur rechten Zeit« gebracht. Fruchtbringen ist kein absichtliches Machen, sondern ein Reifen. Im Leben des Geistes kann nichts forciert werden. Alles, was hier geschieht, muss mit Freude geschehen, sonst ist es nichts wert. »Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.« (2. Kor 9,7) Die Freude ist eine Sache des Seins, nicht des Machens. Die guten Früchte wachsen zur richtigen Zeit, wenn der Baum gut genährt und gepflegt ist, wenn der selige Mann aus den Bächen der göttlichen Weisung lebt.

(Vers 3) »Alles, was er macht, gerät wohl.« Der selige Mann, der aus der Mitte lebt, tut nichts vergeblich, er hat einen sicheren Griff, handelt ruhig und bestimmt, ist aufs Wesentliche konzentriert, und so fügen sich ihm die Dinge. Und wo sie sich nicht fügen, hat er dennoch nicht vergeblich gehandelt. Wer den Weisungen des Herrn folgt, dessen Handeln ist schon wohlberaten, weil es »richtig« war. Wenn der äußere Erfolg ausbleibt, ist die richtige Gestalt des Handelns schon der Erfolg. Denn sie stellt Gottes Herrlichkeit dar.

Und noch einmal der Kontrast, die Gottlosen. Sie sind (Vers 4) »wie Spreu, die der Wind von der Erde verweht« – das äußerste Gegenteil zum festgewurzelten Baum. Auch dieses Bild greift Christus auf: Der göttliche Bauer wird die Spreu vom Weizen scheiden (Mt 3,12; Lk 3,17). Das Bild der Spreu trifft das Wesen der Gottlosigkeit. Sie ist das Nichtige. Person ist der Mensch als Ebenbild Gottes. Als solches hat er unendliche Bedeutung, kein Haar fällt von seinem Haupt, ohne dass der Vater es will. Der Gottlose ist bedeutungslos. Er hat kein Gewicht. Es ist so gut, als hätte er nicht gelebt. Das ist die Hölle: der Zustand reiner Kontingenz, reiner Gleichgültigkeit. Ein Zustand, dem nicht einmal Mitleid oder Trauer gilt: »ewiger Tod« (Offb 20,14; 21,8). Der endliche Geist ist entweder mehr oder weniger als die Dinge. Mehr, wenn die Leere zur Transparenz, zur »Lichtung« des Göttlichen wird; weniger, wenn er bei sich bleibt, sich »in sich verkrümmt« (Augustinus). Dann schrumpft er an Bedeutung unter die Amöbe. (Vers 5) »Darum werden die Gottlosen nicht bestehen im Gericht …« Was ist der Maßstab für Groß und Klein, Bedeutend und Unbedeutend, an dem gemessen der Gottlose und der Sünder den Kürzeren ziehen? Was heißt es, recht zu haben, wenn man nicht Recht bekommt? Wenn der Gerechte, das heißt der, der sein Leben an der Ordnung Gottes orientierte, der Dumme bleibt, dann wäre eben Gott nicht Gott. Hier fällt nun das Wort vom Gericht; natürlich ist damit nicht irgendein Gericht gemeint. Vor irgendeinem Gericht kann der Gerechte Unrecht bekommen. Der Psalmist spricht von jenem endgültigen Gericht, von dem Johannes der Täufer spricht: »Er [sc. Christus] wird die Wurfschaufel nehmen und die Tenne reinigen; Er wird die Spreu vom Weizen trennen und ins Feuer werfen.« (Mt 3,12) Das Gericht über die Gottlosigkeit begann, als Jesus in die Welt kam und das Wesen der Gottlosigkeit offenbar machte: »Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt. Jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen.« (Joh 12,31)

In dem für die jüdische Literatur charakteristischen Parallelismus wird dem Gericht Gottes der »Rat der Gerechten« zur Seite gestellt, vor dem der Sünder nicht besteht. Dieser Rat entspricht offenbar komplementär dem »Rat der Gottlosen«. Es sind zwei Gemeinschaften, von denen hier die Rede ist, die civitas Dei und die civitas terrena. Sie haben nichts gemeinsam, da sie Gott nicht gemeinsam haben. Jede der beiden Kommunikationsgemeinschaften hält die Maßstäbe der anderen für unsinnig. Aber nicht mit dem gleichen Recht. »Der geistliche Mensch beurteilt alles, er selbst wird aber von niemandem beurteilt« (1. Kor 2,15), schreibt der Apostel Paulus. Die Maßstäbe des »Rates der Gerechten« sind die des göttlichen Gerichtes. Hier zählen die oben bereits erwähnten Früchte des Geistes (vgl. Gal 5,22–23). Der Rat der Gerechten kann warten, bis sich sein Maßstab im Gericht als der wahre erweist. Der Rat der Gottlosen erwartet kein göttliches Gericht. Er muss darum selbst versuchen, sein Urteil zu exekutieren, und den Gläubigen aus der »universalen« Verständigungsgemeinschaft exkommunizieren. Er merkt nicht, dass er sich selbst aus einer viel universaleren Gemeinschaft exkommuniziert und in die Bedeutungslosigkeit sinkt. Letzten Endes ist nichts, was er sagt und tut, mehr sinnvoll. Er glaubt, von Gott nichts mehr zu wissen, in Wirklichkeit wird er von Gott nicht mehr gewusst. Denn was macht es, dass der Mensch eine Bedeutung hat? Dass Gott ihn kennt.

Kennen ist in der Sprache der Schrift ein zentrales Wort. »Adam erkannte sein Weib« (1. Mose 4,1), »Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich« (Joh 10,14); »Niemand kennt den Vater außer dem Sohn« (Mt 11,27); »Ich kenne euch nicht« (Mt 25,12). Kennen ist Einswerden, Symbiose, Stiftung von Einheit. »Das wirklich Erkennende und das wirklich Erkannte sind eines.« (Aristoteles) Von Gott gekannt werden, von Ihm einen Namen erhalten haben ist Bedingung des Lebens, das einen Sinn, eine Bedeutung hat. Gott kennt den Gerechten, das heißt den seligen Mann, der Seinen Weisungen folgt. Er kennt ihn, weil Er seinen Weg kennt. Denn dieser Weg ist ja der Weg der göttlichen Weisung. Gottes Kennen hat seinen Ursprung nicht im Menschen, der Mensch hat seinen Ursprung im Gekanntwerden durch Gott. (Vers 6) »Der Herr kennt den Weg der Gerechten.« Was ist dieser Weg? Jesus sagt von sich: »Ich bin der Weg.« (Joh 14,6) Und er sagt: »Niemand kennt den Sohn außer dem Vater.« (Mt 11,27) Der Herr kennt den Weg der Gerechten, das heißt nun: Der Vater kennt den Sohn. Im ewigen Kennen des Sohnes durch den Vater sind die Jünger Jesu, die ihn als Weg ergriffen haben, inbegriffen. Sie nehmen teil an der dreifaltigen Gemeinschaft Gottes, seit der Sohn der Weg der Gerechten geworden ist.

Aber »der Gottlosen Weg führt ins Verderben«. Der heilige Hieronymus hat das Wort »Weg« hier nicht mit via, sondern mit iter übersetzt. Der Weg der Gottlosen ist nämlich kein Weg, da er von Gott nicht gekannt wird. Er ist ein autonomer Marsch, der kein Ziel, sondern nur ein Ende hat: den Tod.

Der erste Psalm enthält in nuce alles das, worauf es ankommt. Und wenn der Sohn Gottes selbst »sich für uns« – wie der heilige Augustinus sagt – »zum Weg ins Vaterland gemacht hat«, so ist es kein anderer Weg als der, von dem der erste Psalm spricht: »Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit unseres Gottes und Retters. Sie erzieht uns, der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden zu entsagen, nüchtern, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben, die selige Hoffnung und Erscheinung erwartend der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus.« (Tit 2,11–13)

PSALM 2

1Warum toben die Heiden und sinnen die Völker Eitles?

2Es treten die Könige der Erde auf und die Fürsten kommen zusammen wider den Herrn und wider seinen Gesalbten.

3Lasset uns ihre Fesseln zerreißen und von uns werfen ihr Joch!

4Der im Himmel thront, lacht ihrer und der Herr spottet ihrer.

5Dann redet er zu ihnen in seinem Zorne und schreckt sie in seinem Grimme.

6Ich aber bin von ihm zum König über Sion eingesetzt, seinen heiligen Berg, sein Gesetz zu verkünden.

7Der Herr sprach zu mir: Du bist mein Sohn, ich habe dich heute gezeugt.

8Begehre von mir, so will ich dir die Völker zu deinem Erbe geben und zu deinem Besitztume die Grenzen der Erde.

9Mit eisernem Zepter wirst du sie beherrschen und wie Töpfergeschirr sie zertrümmern.

10Nun denn, ihr Könige! kommet zur Einsicht; lasset euch weisen, ihr Richter der Erde!

11Dienet dem Herrn in Furcht und jauchzet ihm zu mit Zittern!

12Nehmet die Mahnung an, auf dass der Herr nicht etwa zürne und ihr zugrunde gehet, fernab vom rechten Wege.

13Wenn in Bälde sein Zorn entbrennt, glückselig alle, die auf ihn vertrauen!

Der erste Psalm ist eine Einleitung in das Psalmengebet. Er stellt den Psalmenbeter selbst vor, »im Gesetz des Herrn betrachtend Tag und Nacht«. Im zweiten Psalm geht es unmittelbar um den Adressaten und den Inhalt allen Betens, um Gott. Wer ist Gott? Die erste Antwort lautet und muss lauten: Gott ist der allmächtige Herr. Es ist heute nicht üblich, Herrschaft und Allmacht als Kennzeichen Gottes hervorzuheben. Gott soll »Partner«, »Lebenshilfe« usw. sein. Seinen absoluten Anspruch zu betonen und Seine Macht, diesen Anspruch durchzusetzen, das weckt den Protest des Menschen, der nach Selbstbestimmung verlangt, als wäre die Fähigkeit eines Geschöpfes zur Selbstbestimmung nicht das überwältigendste Zeichen der Macht seines Schöpfers. Tatsächlich leugnen ja auch die, die Gott leugnen, in der Regel die menschliche Freiheit. Denn wie sie sehr richtig wissen, kann bloße Natur so etwas wie Freiheit nicht hervorbringen. Der Protest gilt so der Zumutung des göttlichen Gebotes, wirklich frei und nicht »Knecht der Sünde« zu sein.

(Vers 1) Der Psalm beginnt mit der Erfahrung des Protestes. Der israelitische Beter erfährt die Diskrepanz zwischen dem universalen Anspruch seines Gottes und der Nichtanerkennung dieses Anspruchs durch die umliegenden Völker. Er verknüpft mit dem Herrschaftsanspruch Gottes unmittelbar den des auserwählten Volkes und seines Königs. Die Diskrepanz ruft nicht Zweifel an diesem Anspruch hervor, sondern umgekehrt: Dieser wird mit herausfordernd-triumphalem Gestus erneut proklamiert. In Christus erst erhalten die orientalisch-metaphorischen Redewendungen des Psalms ihren nichtmetaphorischen, ihren vollen und eigentlichen Sinn. Der Hebräerbrief bezieht den Psalm ausdrücklich auf Ihn. Es ist wichtig, sich dies klarzumachen: Das christliche Verständnis verleiht dem Psalm seine entscheidende Bedeutung.

(Vers 1 – 3) Die ersten Verse sprechen von einer Verschwörung der Völker »gegen den Herrn und Seinen Gesalbten«, deren Herrschaft als Knebelung empfunden wird. Warum? Der Beter weiß es nicht. Er fragt selbst: warum? Es gibt auf dieses Warum keine Antwort. Nicht einmal Gott kennt den »Weg der Gottlosen«. Wie kann Er dann das Warum dieses Weges kennen? Der Aufstand der Menschen gegen die Allmacht des Schöpfers ist ebenso sinnlos wie vergeblich. Aber er findet statt. Er bestimmt das Gesicht der Welt, in der wir leben, er ist die »Normalsituation«, in der sich der Beter befindet. Der Mensch, der aus der Ordnung Gottes herausgetreten ist, empfindet nun diese Ordnung als Fremdbestimmung. Er empfindet sie vor allen deshalb als Fremdbestimmung, weil Gott Seinen Anspruch geltend macht durch einen »Gesalbten«. Gott als transzendentales Prinzip oder Ähnliches lässt sich vom Menschen zur »Idee« degradieren, die er sich nach seinen jeweiligen Wünschen und Vorstellungen modelliert. Er kann sogar zum bloßen Symbol menschlicher Selbstbestimmung gemacht werden. Aber wenn sich der Anspruch Gottes konkretisiert als Anspruch Seines Gesalbten, das heißt als Anspruch Christi, dann wird er zur Herausforderung. »Hätte ich nicht zu ihnen geredet, so hätten sie keine Sünde«, sagt Jesus (Joh 15,22).

Die tobenden Völker sinnen auf »Vergebliches«, wie schon der erste Psalm sagte. Was nun folgt, ist die Rede Gottes. (Vers 4) Gott lacht über den Aufstand. Kein verständnisvolles Lächeln, sondern Spott. Gott »thront im Himmel«. Das heißt, der Versuch eines Aufstands gegen die Allmacht des Schöpfers ist lächerlich. Er kann nie zur Entthronung Gottes, sondern nur zur Selbstzerstörung des Menschen führen. Die Situation ist objektiv absurd, was die Metapher vom Spott Gottes ausdrückt. (Vers 5) Wo es freilich um den Gesalbten geht, da verwandelt sich der Spott in Zorn und Schrecken. (Vers 6) Der Gesalbte thront nämlich nicht schlechthin im Himmel, sondern auf dem heiligen Berg Zion – von Gottes Gnaden. Man kann Ihm sehr wohl etwas anhaben. Man kann Ihn als König anerkennen oder verwerfen. Man hat Ihn verworfen und getötet. Und dann wurde der Berg Zion selbst eine Beute der Heiden. Das Königtum Christi ist aber von seiner Anerkennung durch die Völker unabhängig. Sie richten sich, nicht Ihn. Die Stunde Seines Todes wird von Ihm selbst als Stunde des Gerichtes bezeichnet. Es ist die Stunde Seiner definitiven Einsetzung auf Zion: »Wenn ich erhöht sein werde, werde ich alles an mich ziehen.« (Joh 12,32)

Aber dieses Zion ist nun nicht nur das irdische, sondern die »Stadt von oben«, das »himmlische Jerusalem«. Diese christliche »Umdeutung« ist nicht eine spiritualistisch-moralische Verdünnung der Sätze des Alten Testaments. Sie ist vielmehr die aus Sicht des Neuen Testaments hinzugefügte reale Erfüllung des in der spezifischen Sprache des Psalms Gesagten. (Vers 8) Denn welchem anderen König auf Zion wären denn »die Enden der Erde zum Eigentum« gegeben worden? Die Übertragung alttestamentlicher Sätze auf Christus ist daher keine uneigentliche. Sie bringt die Sätze erst in ihre Wahrheit. Dass nicht der Mensch Herr des Menschen, sondern Gott Herr des Menschen ist, das hat Platon schon gewusst. Israels Wunsch, einen König zu haben wie die Heiden, wird von Gott missbilligt. Aber Gott lässt sich ein auf den Wunsch. Er selbst gibt Israel einen König. Der legitime König indessen musste selbst Gott sein. Die Idee des Gottkönigs, die noch in der römischen Cäsarenverehrung gegenwärtig ist, ist vernünftig. Nur Gott ist legitimer Herr des Menschen. Der König muss deshalb, wenn er legitim sein soll, als Repräsentant Gottes erscheinen. Und so symbolisiert die orientalische Sitte die Inthronisierung des Königs als »Zeugung durch Gott«. In Christus erfüllt sich diese symbolische Antizipation. Er ist der Sohn, der im ewigen Heute des Vaters gezeugt wird.

(Vers 8f.) »Fordere von mir, und ich gebe Dir das Erbe der Völker, die Enden der Erde zum Eigentum. Zerschlage sie mit eisernem Stab und zerschmettere sie wie ein Töpfergeschirr.« Die Auflehnung gegen den Herrschaftsanspruch Gottes bedeutet die Selbstzerstörung der Rebellen. Denn das Gesetz Gottes ist das Gesetz des eigenen Wesens des Geschöpfes. »Fordere von mir, und ich gebe Dir …«, sagt Gott zu Seinem Gesalbten. Im Bewusstsein, dieser Gesalbte zu sein, sagte Christus zu Pilatus: »Meinst du, dass ich nicht meinen Vater bitten könnte, dass Er mir mehr als zwölf Legionen Engel zur Hilfe schickte?« (Mt 26,33) Aber Jesus fordert sie nicht an. Das Gericht Gottes über die Sünde, die Zerschmetterung der rebellischen Menschheit geschieht auf eine Weise, die dem Psalmisten noch verborgen war: Der Gesalbte, dem die Auflehnung gilt, »tötet die Feindschaft durch das Kreuz in Seinem eigenen Leibe« (Eph 2,16). Er repräsentiert stellvertretend die Menschheit und lässt sich »mit eisernem Stab« durchbohren. Die Kirche liest daher diesen Psalm am Karfreitag.

(Vers 10) Der Psalmist versteht die Rede Gottes als Warnung: »Nun denn, ihr Könige, werdet weise! Lasst euch warnen, ihr Richter auf Erden.« Die Zweideutigkeit, Voraussage oder Warnung zu sein, haftet der prophetischen Drohung immer an. Sie erreicht im letzten Vers ihren Gipfel: (Vers 12) »Wenn in Kurzem Sein Zorn entbrennt, selig, die auf Ihn vertrauen.« Gottes Zorn ist die Kehrseite zur »Normalsituation« der Rebellion, in der sich die Welt befindet. Es gibt keine Flucht vor diesem Zorn von Gott weg, denn Gott entgeht man nicht. Es gibt nur die Flucht zu Ihm hin. Der heilige Paulus schreibt: »Gottes Zorn wird vom Himmel offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen.« (Röm 1,18) Worin besteht dieser Zorn? Er besteht darin, dass Gott sich zurückzieht und die Menschen der Hölle überlässt, die sie sich selbst bereiten – »sie, die erfüllt sind mit jeglicher Art von Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habsucht, Bosheit, Neid, Mord, Hader, Betrug, Tücke, Ohrenbläser, Verleumder, Gottesfeinde, Frevler, Hochmütige, Prahler, erfinderisch im Bösen, ungehorsam gegen die Eltern, unvernünftig, treulos, lieblos, unbarmherzig« (Röm 1,29–31).

Ist die prophetische Rede vom Zorngericht Weissagung oder Warnung? Sie ist beides. Als Weissagung hat sie sich bereits erfüllt im stellvertretenden Leiden Christi. Als Warnung fordert sie auf, sich die bereits erfolgte Verzeihung nicht zu verscherzen, wie jener Knecht, der seinem Bruder die Schuld nicht nachlassen wollte, nachdem ihm die seine nachgelassen worden war (Mt 18,23 ff.). Der Nachlass wird daraufhin rückgängig gemacht. Der Zorn Gottes besteht, solange es den Aufstand gegen Gott gibt. Der zweite Psalm warnt insbesondere die Könige und Richter. Alle Macht über Menschen ist illegitim, wenn sie nicht Repräsentation der Macht Gottes ist. Das gilt für demokratische so gut wie für monarchische Obrigkeiten. Wo die Mehrheit König ist, gilt die Warnung, weise zu werden und Gott die Füße zu küssen, der Mehrheit. Gottes Macht – die Macht, zu töten und lebendig zu machen – ist die einzige absolute Macht. Vor ihr, vor dem Zorn Gottes gibt es keinen Fluchtweg außer dem in die Arme Gottes selbst: »Selig alle, die sich bergen in ihm.« Das Gebet dieses Psalms gipfelt in dieser Seligpreisung. Seine Sache ganz in Gottes Hand geben ist keine »Möglichkeit« des Menschen, und es ist kein Verdienst, wenn er es tut. Wir sind nämlich ohnehin in Gottes Hand. Es fragt sich nur, ob widerwillig oder gutwillig. Wenn wir weise werden, dann sehen wir, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt, als vor Gott zu Gott zu fliehen. Die Meditation der Vergeblichkeit des Aufstandes gegen Gott ist der »Anfang der Weisheit«.

PSALM 3

1Ein Psalm Davids, da er vor Absalom, seinem Sohne, floh.

2O Herr, wie sind meiner Bedränger viele geworden! Viele erheben sich wider mich.

3Viele sagen zu meiner Seele: Es gibt kein Heil für ihn bei seinem Gott!

4Du aber, Herr! bist mein Beschützer, bist mein Ruhm und richtest mein Haupt empor.

5Mit lauter Stimme rief ich zum Herrn und er erhörte mich von seinem heiligen Berge.

6Ich legte mich nieder und entschlief und ich stand wieder auf, denn der Herr beschirmte mich.

7Nicht fürchte ich Tausende von Kriegsvolk, das mich umringt; erhebe dich, Herr! rette mich, o mein Gott!

8Denn du schlägst alle, die mir ohne Ursache feindlich gesinnt sind, zerschmetterst die Zähne der Sünder.

9Von dem Herrn kommt Heil und auf deinem Volke ruht dein Segen.

Der erste Psalm spricht vom seligen Mann, der zweite Psalm vom Aufstand gegen Gott, im dritten Psalm wendet der Beter sich erstmals unmittelbar an Gott selbst. Und zwar so, dass er Gott um Hilfe ruft. »Beten« entstammt derselben etymologischen Wurzel wie das Wort »bitten«. Gegenüber Gott sind wir nicht Gebende, sondern Bittende. Leben ist in jedem Augenblick eine Gabe. Die Bedürftigkeit ist es, die unser Sein unzertrennlich mit Gott verbindet. Der Aufstand des Menschen gegen Gott, von dem der zweite Psalm spricht und der seinen Grund in der Nichtanerkennung der Bedürftigkeit hat, hat eine paradoxe Konsequenz: Er steigert die Bedürftigkeit dessen, der sich an diesem Aufstand nicht beteiligt. Er stürzt den Gottesfürchtigen in Not. Zu seiner natürlichen Bedürftigkeit kommt nun noch die Bedrohung durch jene hinzu, die dem Zeugen Gottes zusetzen. Die Feindschaft gegen Gott führt, wie die Geschichte vom Brudermord des Kain zeigt, zur Feindschaft des Menschen gegen den Menschen. (Vers 2) Der Zeuge Gottes aber lenkt die Feindschaft der Vielen auf sich. Für ihn potenziert sich die natürliche Bedürftigkeit, und wo die anderen Gott nicht bitten und Ihm nicht danken wollen, wird seine Bitte zum Hilfeschrei in Todesnot. Das ist die Situation Jesu Christi: »Er hat in den Tagen Seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen dargebracht dem, der ihn vom Tode retten konnte.« (Hebr 5,7) Und Er hat es noch am Kreuz mit Worten des Psalmisten getan. Das Lachen Gottes über den Aufstand des Menschen heißt nicht, dass Sein Zeuge etwas zu lachen hätte. Er gerät in die Enge. Die natürliche Bedürftigkeit des Menschen verwandelt sich für ihn in Angst. Die Situation der Enge und der Angst, von der die Psalmen so oft sprechen, reicht von der politisch-geschichtlichen bis zur existenziell-persönlichen Dimension.

(Vers 7) Der dritte Psalm spricht von Tausenden, die den Beter umlagern. Es geht um die Herrschaft Gottes durch die Herrschaft Seines Gesalbten. Sie erscheint in aussichtsloser Lage, scheint ohne Perspektive. Aber zugleich geht es um die Ehre und um die Existenz dessen, der auf den Anspruch nicht verzichten kann, die Königsherrschaft Gottes zu repräsentieren. Und es geht um die Existenz des Volkes Gottes. Niemand, der diesem Volk angehört, kann sich in eine bloß private Existenz retten. Es nützt den Juden nichts, keine Juden sein zu wollen. Die Belagerung durch die Vielen nötigt sie zu sein, was sie sind. Christen können scheinbar aufhören, Christen zu sein, und die Truppe verlassen. Objektiv vermehren sie damit die Bedrängnis der Eingeschlossenen. Denn zu dieser Bedrängnis gehört ja, dass die Vielen sagen: (Vers 3) »Er findet keine Hilfe bei seinem Gott.«

(Vers 9) Die Gewissheit, die der letzte Vers des Psalms ausspricht – »Bei Gott ist Hilfe« –, ist eine angefochtene Gewissheit, solange der Beter mit ihr allein ist. Die natürliche Situation der Wahrheit ist es nämlich, von allen gesehen zu werden. Das Wissen, das von den Vielen bestritten wird, wird für den Wissenden selbst fraglich. Es gerät in den Verdacht der Idiosynkrasie, der Illusion, des Zweckoptimismus, ja des Fanatismus. In der Welt des Aufstands gegen Gott gerät die Wahrheit des Glaubens in diese Situation. Der Glaube widerspricht der Meinung der Vielen, und er widerspricht dem Augenschein. »Es ist der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.« (Hebr 11,1) Die Gewissheit dieses Glaubens sprechen Vers 4 und 5 aus.(Vers 4) »Du aber, Herr, bist ein Schild für mich.« Der Schild hält den Lebensraum um den Menschen aufrecht. Er verhindert, dass die Enge total wird. Er ist eine Art zweite Haut. »Du bist meine Ehre.« Die Ehre ist die soziale Existenz des Menschen. Als sprechende und soziale Wesen existieren wir nicht nur physisch, sondern zugleich im Anerkanntsein durch die andern. Dem Zeugen Gottes wird heute in vielen Ländern sogar die Ehre genommen, Zeuge seines Glaubens an Gott zu sein. Er ist psychisch krank, oder er ist ein bezahlter Agent interessierter Mächte. Hier wird die Zuversicht, dass »Gott meine Ehre ist«, auf die äußerste Probe gestellt. Aber jeder Gläubige kommt in Situationen, wo offenkundig wird, ob er wirklich glaubt: dann nämlich, wenn die Frage ansteht, ob die Anerkennung durch Gott, die Ehre bei Gott für ihn wirklich Realität hat, mehr Realität als jede andere Anerkennung. »Ich nehme nicht Ehre von Menschen … Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt? Die Ehre, die vom alleinigen Gott ist, suchet ihr nicht.« (Joh 5,41–44)

Der Hilferuf des Beters ist begleitet von der Gewissheit der Erhörung. (Vers 5) Gott erhört den Bedrängten »von seinem heiligen Berg«. Der Gott, auf den der Beter seine Hoffnung setzt, ist nicht der ferne Gott des Universums, der in Distanz zu jedem menschlichen Schicksal lebt, Er ist der Gott des Bundes mit Seinem Volk, und Er hat Seine Wohnung genommen auf dem Berg Zion. Die Gewissheit des Beters gründet im Bunde Gottes mit Israel, der im Neuen Bund in Christus seine Besiegelung erfahren hat. Er gründet in der Zugehörigkeit des Beters zum Volk des Bundes, zum Volk der Freunde Gottes.

Wer zu diesem gehört, dem bleiben auch die Zeichen der rettenden Gegenwart Gottes nicht verborgen. Alles wird ihm zum Zeichen. (Vers 6) »Ich liege, schlafe und erwache, denn der Herr hält mich.« Die Geborgenheit des Schlafens ebenso wie die kraftvolle Neuheit der Welt beim Aufwachen sind solche Zeichen. Es ist das tiefste Unterscheidungsmerkmal zwischen Glauben und Unglauben, dass im Unglauben die Welt ihr Sein aus sich selbst hat. Das aber heißt, dass der Zustand der Welt im jetzigen Augenblick nur die Folge des Zustandes der Welt im vorigen Augenblick ist. Es ist immer dasselbe Rad der Notwendigkeit, das sich fortdreht. Für den Gläubigen geht das Sein der Welt in jedem Augenblick aus der Hand des Schöpfers hervor. Das Neuheitserlebnis des Erwachens am Morgen ist nicht eine psychologische Illusion, sondern die Erfahrung einer Realität, die durch das Alltagsbewusstsein verdeckt wird, so wie auch erst die Augen der Liebe die volle Realität eines Menschen zur Erscheinung bringen. Der Beter erfährt im täglichen Rhythmus des Lebens unmittelbar das Unalltägliche, die Nähe Gottes. »Im Atemholen sind zweierlei Gnaden: / Die Luft einholen, sich ihrer entladen; / Jenes bedrängt, dieses erfrischt; / So wunderbar ist das Leben gemischt. / Du danke Gott, wenn er dich preßt, / Und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt.« (Goethe, West-östlicher Divan, »Talismane«) Das Geheimnis von Schlafen und Aufwachen ist das tägliche Zeichen jenes Schlafens und Auferwecktwerdens, das für uns nicht als ungewisse Zukunft vor uns liegt, sondern in Tod und Auferweckung des Herrn schon bestimmende Macht unseres Lebens ist.

Niederliegen und Aufstehen sind die zentralen Bilder dieses Psalms. (Vers 2) Auf der einen Seite das Aufstehen der Feinde und das Niedergedrücktsein der Zeugen Gottes.Auf der anderen Seite die Aufforderung an Gott (Vers 7): »Steh auf!«, »Richte mich auf!«. Dazwischen aber die Gewissheit der rettenden Nähe Gottes aus der Auferstehung Seines Sohnes und aus dem täglichen Bild der Auferstehung: dem Aufstehen am Morgen. »Wach auf, du Schläfer, steh auf von den Toten. Und Christus wird dich erleuchten!« (Eph 5,14)

Der Beter überwindet die Angst, indem er sich der Dimension, die das Gebet eröffnet, überlässt. Die Tausende, die ihn umlagern, sie schrecken nicht mehr. Der Ruf »Steh auf, Herr!« geht bereits aus der Gewissheit des Beters hervor, einen mächtigen Bundesgenossen zu haben. (Vers 8) Der Vers rühmt Seine Macht in archaischer Weise: Er zerschlägt den Feinden die Zähne. Die Feinde werden im Psalter oft unter dem Bild von Raubtieren dargestellt. Gott ist nicht ein bloß moralischer Tröster. Er ist Macht, reale, unwiderstehliche Macht, die jede Gegengewalt bricht, zuletzt die des Todes selbst. Alles Vertrauen auf Gott wäre vergeblich, wenn Gott nicht der wäre, der das Böse im Bösen – »die Zähne« – wirklich zu zerschlagen imstande wäre, sei es durch die Vernichtung der feindlichen Macht, sei es durch ihre innere Wandlung zum Guten, sei es durch ihre »Umfunktionierung«, durch welche dem, der Gott liebt, alles zum Besten gereicht und durch die die feindliche Macht zu jener Kraft wird, »die stets das Böse will und stets das Gute schafft« (Mephisto im Faust). Das Feindliche siegt nicht, denn »beim Herrn ist Rettung«, das ist die (Vers 9) Gewissheit des Beters.

Der Psalm endet mit einem Segensruf: »Dein Segen über Dein Volk.« Der Segen ist das Einrücken des Gesegneten in den göttlichen Bereich, den Bereich, wo alles in seinem Wesen geborgen und aufgehoben ist. Wer aus diesem Bereich kommt, wer in ihm steht, kann auch in ihn hineinholen, das heißt, er kann selbst segnen. Der Beter segnet. Er ruft Segen herab, nicht nur über sich, sondern auch über das Volk Gottes. Das Volk Gottes lebt im Segen, es lebt sein Wesen, dank der Beter, die Tag für Tag, bei jedem Aufwachen ihr Leben aus der Hand Gottes entgegennehmen und den Segen auf das Volk Gottes herabrufen. »Segen über Dein Volk«, das sollte das Amen jedes christlichen Gebetes sein.

PSALM 4

1Zum Ende, unter den Liedern, ein Psalm Davids.

2Wenn ich rufe, erhört mich der Gott meiner Gerechtigkeit, aus der Drangsal schaffst du mir Befreiung. Erbarme dich meiner und erhöre mein Gebet!

3Ihr Menschenkinder! wie lange bleibt noch euer Herz verhärtet? Warum liebt ihr Eitles und sinnet auf Lüge?

4Wisset, dass der Herr Wunder getan an seinem Heiligen, der Herr wird mich erhören, wenn ich zu ihm rufe.

5Wenn ihr zürnt, so sündiget nicht; was ihr in euren Herzen sprecht, bereuet auf eurer Lagerstatt.

6Bringet rechte Opfer und vertrauet auf den Herrn! Viele sagen: Wer wird uns Gutes schauen lassen?

7Es strahlt wie ein Panier über uns die Leuchte deines Angesichtes, o Herr! du gibst mir Freude in mein Herz.

8Sie wurden reich von der Frucht des Getreides, des Weines und Öles.

9In Frieden zumal lege ich mich nieder und ruhe,

10denn du allein, Herr, lässt mich sorglos ruhen.

Der vierte Psalm wird von der Kirche zum Abend gebetet. Die Lage des Beters ist eine andere als jene, die der dritte Psalm ausspricht. Auch hier ist von Bedrängnis, von Isolierung des Gottesfürchtigen gegenüber den Vielen die Rede. Aber die Vielen sind nicht mehr jene, derer er sich zu erwehren hat, sondern jene, die selbst verzweifeln und denen der Beter etwas von seiner Erfahrung mitteilen möchte, der Erfahrung der Geborgenheit in Gott.

Der Anfang des Psalms ist wie der vieler Psalmen und Gebete dreiteilig: Gott wird mit einer seiner Eigenschaften angerufen, der Beter beruft sich Gott gegenüber auf vergangene Erfahrungen mit Seiner Hilfe, und schließlich bittet er Ihn, der vergangenen Erfahrung entsprechend, den Beter erneut zu erhören. Wir können uns ja Gott gegenüber nur stets auf Gott berufen. Er ist Sinn und Grund, und wir können Ihm gegenüber nur Ihn geltend machen. Und zwar nicht den Begriff von Ihm, den wir uns zu Recht oder Unrecht gemacht haben, sondern unsere Erfahrung mit Ihm, das heißt die Weise, wie Er sich uns schon gezeigt hat. Wir als Bittende haben Gott nichts zu bieten, was nicht wieder von Ihm stammte und ohnehin Sein wäre. Die Bitte um Erhörung hat als stärksten Grund, dass Er der Erhörer; die Bitte um Erbarmen, dass Er der Erbarmer ist.

(Vers 2) Der zu Beginn des vierten Psalms Angerufene ist der »Gott meiner Gerechtigkeit«. Die Bedürftigkeit, aus der der Psalm spricht, ist nicht die aktuelle der Bedrängnis durch Feinde, sondern sie ist durch das Wort »Gerechtigkeit« oder »Rechtfertigung« bezeichnet. Unsere Existenz ist ja nie eine bloß physische. Schon im dritten Psalm wird Gott nicht nur als Schild des nackten Lebens, sondern als Hüter unserer Ehre angerufen. Unsere Existenz als die geistiger, sprechender, in einer Sprachgemeinschaft existierender Wesen bedarf eines Sinn- und Rechtfertigungszusammenhangs. Der Zusammenhang der »Gerechtigkeit« ist ebenso wenig wie das nackte Leben ein sicherer Besitz, sondern wir sind seiner von Augenblick zu Augenblick bedürftig und können ihn selbst nicht stiften, so wenig wie wir die Sprache erfinden können. Die Kontingenz, die Sinnlosigkeit zufälliger Faktizität bedroht unsere Existenz. Auch die Geborgenheit in einer menschlichen Gemeinschaft ist keine definitive Aufhebung dieser Situation, denn jede Gemeinschaft kann ihrerseits als ein sinnloses, ungerechtfertigtes bloßes Faktum im sinnlosen Universum betrachtet werden. Grund unserer Rechtfertigung ist Gott. Der Beter erinnert sich: Er ist kein ungewolltes Kind, sondern ein im liebenden Plan Gottes vorgesehenes. Nachdem die Menschheit als Ganze aus dem Rechtfertigungszusammenhang herausgetreten ist, stiftet Gott einen neuen Anfang im Bund mit Abraham. Das Gesetz des Bundes gibt dem Menschen eine inhaltlich bestimmte Ordnung gerechtfertigten Handelns. Und als der Mensch seine Ohnmacht erfährt, dieser Ordnung zu entsprechen, stellt Gott durch Seinen Sohn jenen kosmischen Zusammenhang der Gerechtigkeit wieder her. Im Glauben tritt der Mensch in diesen Zusammenhang unbedingten Sinnes wieder ein. Seine Existenz hört auf, zufälliger Fall eines abstrakt Allgemeinen zu sein. Sie wird als diese zu einem unbedingt Sinnvollen, weil mit dem Sinn, der Gott ist, unzertrennlich Verknüpften, so dass Angelus Silesius schreiben kann: »Ich weiß, dass Gott ohn’ mich / nicht einen Nu kann leben.« Er ist »Gott meiner Gerechtigkeit«. Dieser Titel drückt das tiefste Vertrauen in eine durch nichts zu verletzende Geborgenheit aus.

Geborgenheit ist das Gegenteil von Gefangensein. Es ist das Wohnendürfen im Zugehörigen, dort, wo wir frei sein, wo wir unser Wesen entfalten können. Dass Gott es ist, der uns den offenen Raum einräumt, ist eine häufige Aussage des Psalmisten. Nicht nur für den Wüstenbewohner ist Enge ein widerwärtiger Zustand. Auch in unserer Sprache hängen Enge und Angst zusammen. Schon das Tier braucht Lebensraum, um es selbst sein zu können. Für uns Menschen gehört zum Lebenkönnen jenes Offene, das sich uns im Wohlwollen anderer erschließt. Wir kennen jene Enge, die uns einschränkt und uns das Atmenkönnen nimmt, wenn wir von Menschen umgeben sind, die uns nicht wohlwollen, die uns das Wort im Munde umdrehen, statt es mit freundlicher Gesinnung zu nehmen, wie es gemeint ist. Der Beter spricht aus der Erfahrung, dass Gott ihn in der Bedrängnis weit gemacht, ihm Luft geschaffen hat. Schon dass jener Baum dort drüben für mich »da ist«, dass ein Raum des Lichten und des Offenen zwischen uns und den Dingen ist, der uns voneinander trennt und so erst füreinander da sein lässt, ist Geschenk der Liebe. Dies als solches wissen und glauben heißt in jene Weite gelangen, von der der Psalter, etwa im 18. Psalm, spricht. Die tiefste Beengung ist die durch den Tod, der uns allen den Raum des Offenen zu nehmen droht. Indem Gott uns den Glauben an die Rettung vom Tod geschenkt hat, hat Er uns »Weite geschaffen«.

(Vers 2) Aus dieser Erfahrung entspringt die Zuversicht des Rufes: »Erbarme Dich und erhöre mein Gebet.« Welches Gebet soll Gott erhören? Worum betet der vierte Psalm? Es folgt gar kein bestimmter Gebetsinhalt. Die Bitte »Erbarme Dich, erhöre mich, wenn ich zu Dir rufe« ist bereits das Gebet selbst. Vom ersten Gebet des Abel und des Kain an ist das Entscheidende für den Menschen, sich zu vergewissern, ob er mit seiner Zuwendung zu Gott letzten Endes doch nur bei sich selbst bleibt oder ob die Verbindung, die hier intendiert ist, eine reale ist, das heißt eine gegenseitige; ob der Sinn nur ein von uns gemeinter ist oder einer, in dem wir aufgehoben, von dem wir gemeint sind. Dieses von Gott Gemeint-, Gewollt- und Geliebt-Sein hat stets den Charakter des freien Geschenks, der »Erbarmung« Dessen, der durch sich alles ist, gegenüber dem, der, was er ist, nur aus Gnade ist. Das Kyrie eleison ist daher elementarer Ausdruck des Verhältnisses des Menschen zum »Gott seiner Gerechtigkeit«.

(Vers 3) Nach dieser Gebetsanrufung wechselt der Psalm den Adressaten. »Ihr Menschen …« – der Beter sieht sich diesmal nicht von einer ihn bedrohenden Menge, sondern von »weltlich gesinnten« Mitmenschen umgeben. Ihre Denkweise ist für ihn eine Herausforderung. Wenn sie recht haben, hat er unrecht, sein Gebet ist sinnlos, und dann ist für ihn alles sinnlos. Die Gegenwart des Unglaubens ist für den Beter beunruhigend, beängstigend, bedrohlich. »Ihr Menschen, wie lang noch bedrückt ihr mein Herz?« Der Glaube weiß, dass der Unglaube unrecht hat. Aber diese Gewissheit bleibt irritiert, angefochten, solange es den Unglauben gibt. Das »wie lange noch?« rufen nach der Apokalypse sogar noch die Heiligen im Himmel, bis die Vollendung kommt, wo Gott alles in allem ist. Der Glaube des Beters ist kein Privatglaube. Er steht mit dem Unglauben nicht im Verhältnis des Lebens und Lebenlassens. Er wird vom Unglauben angefochten, aber er ficht auch den Unglauben an. Jeder Beter ist missionarisch. Er lässt es nicht diskret auf sich beruhen, dass der Nachbar »anders denkt«.

Der Psalmist weist die »weltlich Gesinnten« zurecht. Sie »lieben das Vergebliche und jagen der Lüge nach«. Wer die Welt nicht im Lichte Gottes sieht, wer irdischen Kalkül, irdischen Vorteil, irdische Sicherung für ein in sich konsistentes Koordinatensystem hält, der bewegt sich in einer irrealen Welt, einer Welt der Vergeblichkeit und Lüge. Der Unglaube ist Lüge und Satan der »Vater der Lüge« (Joh 8,44), wie Christus sagt.

Der Irrealität des geschlossenen Systems der Weltlichkeit stellt der Beter die Realität des Wunders gegenüber. Der »Heilige«, das heißt der, welcher der Ordnung Gottes angehört, lebt in der Dimension der wahren Wirklichkeit. Aber diese Dimension erscheint von der irdischen her gesehen als wunderbar, so wie einem zweidimensional wahrnehmenden Wesen die Geschehnisse, die nur aus dreidimensionalen Parametern verstehbar sind.(Vers 4 und 7 – 8) Das Wunderbare wird im Psalm mit den Wörtern »Erhörung, Leuchten, Freude« umschrieben. Dass Gott seinen Heiligen erhört, ist das Wunderbare. Dass das Gebet nicht nur eine Beschäftigung des Betenden ist, mit der dieser bei sich bleibt, sondern dass der Beter wirklich in eine andere Sphäre, in die Sphäre Gottes, hineinreicht, ist das Wunder. Dass der Heilige Gottes, Jesus Christus, jungfräulich geboren wurde, dass Er über den See ging, dass Er in der Verklärung für das Leuchten Gottes transparent wurde, dass das Grab leer war, das alles sind nur die Zeichen, in denen die göttliche Dimension, in der und aus der Er lebt, innerhalb der irdischen Welt sichtbar wird. Dass Gott Ihn von den Toten erweckt, ist die definitive Bestätigung Seiner Erhörung. Es ist das Wunder, das Gott an Seinem Heiligen tut.

Aus der Gewissheit des Wunderbaren, aus der eigentlichen Wirklichkeit, spricht der Beter wieder zu den Menschen und ermahnt sie. Die Mahnung kann nicht die Erfahrung des Heiligen unmittelbar mitteilen. Sie kann nur bezeugt werden, und der Beter des vierten Psalms bezeugt sie auf ergreifende Weise. Ermahnen kann er nur, die göttliche Sphäre zu respektieren. »Der Anfang der Weisheit ist die Furcht des Herrn.« (Ps 111,10)(Vers 5 – 6) Darum die Aufforderung, im Zorn nicht zu sündigen und »Opfer der Gerechtigkeit zu bringen«, das heißt die Aufforderung des Gehorsams gegen die Gebote Gottes und zur rituellen Gottesverehrung. Im Zorn nicht sündigen, sondern »auf seinem Lager still zu bleiben« bedeutet: ein besonnenes Leben zu führen, das sich nicht der Leidenschaft ausliefert, sondern sich der Verantwortung für die Handlungen vor Gott bewusst ist. Das ist die Pflicht jedes Menschen, die erste Bedingung des Zugangs zur göttlichen Sphäre. Die andere: Opfer der Gerechtigkeit – die Verschwendung eines Anteils von Zeit, Geld, Kraft, Aufmerksamkeit für die Verehrung Gottes.

(Vers 7) Noch einmal meldet sich die Gegenstimme: »Wer lässt uns Gutes sehen?« Gutsein lohnt sich nicht. Man ist nur der Dumme. Und wozu der Aufwand für die Gottesverehrung? Wer in der Welt des Eitlen und der Lüge befangen ist, dem erscheint das Leben des Frommen als eitel und illusionär. Der Fromme kann dagegen nicht argumentieren. Die Erfahrung der Freude, die den Einwand zunichte werden lässt, kann nicht erzwungen werden. Es ist die Erfahrung eines Geschenks, einer Gnade. So antwortet der Beter auf den Einwand der Vielen mit einem erneuten Gebet: »Lass leuchten über uns das Licht Deines Angesichts, Herr.« Es ist das schönste und tiefste aller Gebete. Wenn Gott sich zeigt, wenn die Herrlichkeit, wenn der Glanz Gottes aufleuchtet, wenn die Dinge der Welt in diesem Glanz aufscheinen, dann erübrigt sich alles andere. Wenn der Sinn erfahren wird, verschwinden die Fragen. Niemand von uns lebt in der permanenten Erfahrung dieses Sinnes. Es genügt, wenn er einmal im Leben aufleuchtet. Petrus lebte von der Erfahrung des Leuchtens Gottes in der Verklärung Jesu auf dem Berg, von der er in seinem zweiten Brief (1,19) schreibt. Es ist für ihn und für uns »ein Licht, das da scheint an dunklem Ort, bis dass der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen«.

(Vers 8) »Korn und Wein in Fülle« können die Freude nicht geben, die das Aufleuchten des göttlichen Lichtes bedeutet. Der Beter, der um dieses Leuchten betet, steht aber schon in der Erfahrung dieses Lichtes. Er bezeugt schon die Freude. Es ist nicht ein punktuelles, enthusiastisches Erlebnis, sondern durchströmt das ganze Dasein. Die Freude hüllt den Beter im Augenblick des Schlafes ein. (Vers 9) »Friede« ist die Frucht der Freude. Es ist für das Leben des Geistes von großer Bedeutung, in welcher Verfassung wir einschlafen. Der heilige Paulus mahnt im Brief an die Epheser: »Lasst die Sonne nicht untergehen über eurem Zorn.« (4,26) Die das Leben durchdringende Kraft der Freude wird gerade dort spürbar, wo wir gar nicht mehr thematisch auf ihre Begründung gerichtet sind, sondern in der ruhigen Sicherheit, die diese Freude gewährt, uns dem Schlaf überlassen. Das Schlafenkönnen ist für den Gläubigen sogar von sich her ein Zeichen der Geborgenheit in Gott, der das Leben schenkt, auch wenn wir gar nichts zu seiner Erhaltung tun können, sondern ins pflanzenhafte Dasein zurücksinken. Das Bewusstsein, gehalten zu sein, findet im Schlafen seinen Ausdruck. Wie im dritten Psalm das Aufwachen als unmittelbares Zeichen des Gehaltenwerdens durch Gott erfahren wird, so im vierten Psalm das Einschlafen. Es gehört zur Erfahrungsweise, die das Psalmengebet vermittelt, den Rhythmus des Lebensablaufs und die täglichen Ereignisse als Zeichen göttlicher Gegenwart zu erleben. Wer mit dem Psalmengebet lebt, wird sich mit der Zeit diese Erfahrungsweise zu eigen machen. »Ob wir wachen oder schlafen, wir sind des Herrn.« (1. Thess 5,10)

PSALM 5

1Zum Ende, für die Erbin, ein Psalm Davids.

2Lass, o Herr! meine Worte zu deinen Ohren dringen, vernimm mein Rufen!

3Merke auf mein flehentliches Gebet, o mein König und mein Gott!

4Denn ich bete zu dir, o Herr! Früh am Morgen erhörst du mein Rufen.

5Früh am Morgen stehe ich vor dir und schaue aus, denn du bist kein Gott, der Unrecht liebt.

6Und der Frevler darf nicht bei dir weilen noch bestehen die Ungerechten vor deinen Augen.

7Du hassest alle, die Böses tun, vertilgst alle, die Lügen reden, den Mann des Blutes und des Truges verabscheut der Herr.

8Ich aber werde ob der Fülle deiner Barmherzigkeit in dein Haus kommen, anbeten gegen deinen heiligen Tempel hin in Furcht vor dir.

9Herr! leite mich in deiner Gerechtigkeit, um meiner Feinde willen führe mich auf geradem Wege vor dir.

10Denn keine Wahrhaftigkeit ist in ihrem Munde, ihr Herz ist eitel.

11Ein offenes Grab ist ihr Schlund, mit ihren Zungen üben sie Trug, gehe ins Gericht mit ihnen, o Gott! Lass sie mit ihren Anschlägen zu Falle kommen, verstoße sie ob der Menge ihrer Missetaten, denn sie haben dich zum Zorne gereizt, o Herr!

12Und es sollen sich alle freuen, die auf dich vertrauen, sie werden frohlocken immerdar und du wirst unter ihnen wohnen. Und es werden sich rühmen in dir alle, die deinen Namen lieben,

13denn du segnest den Gerechten. O Herr, wie mit einem Schilde umgibst du uns mit deiner Huld.

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