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Als Mia eines Tages einen Brief erhielt, ahnte sie nicht, dass die vier Worte die darin geschrieben standen ihr Leben verändern würden. Zwei Jahre waren vergangen seit sie ihren Ex-Freund Duncan Solo den Weltbekannten Singer und Songwriter zuletzt gesehen hatte. Eine Einladung zu seinem Konzert würde alles wieder öffnen was sie in den letzten zwei Jahre versucht hatte zu vergessen. Sollte sie dennoch der Einladung folgen und ihn wiedersehen?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Widmung
Teil 1
Kapitel I
Kapitel II
Teil 2
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Teil 3
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Kapitel XV
Kapitel XVI
Kapitel XVII
Kapitel XIII
Epilog
Danksagung
Dieses Buch ist Anneli und Willi gewidmet.
Ihr hattet eine Vision für meine Geschwister und mich,
die unser Vorstellungsvermögen übertraf.
Ich kann euch nicht genug danken.
Wir lieben und vermissen euch so sehr.
Mit pochendem Herzen stand Mia vor dem Eingang der riesigen Konzerthalle. Wochenlang war sie sich nicht sicher, ob sie wirklich hingehen sollte. Natürlich hatte sie die vielen Plakate mit seinem Gesicht gesehen. Sie wusste ganz genau, dass er für zwei Konzerte in die Schweiz kommen würde und doch, hätte in ihrem Briefkasten nicht eine Eintrittskarte für sein Konzert gelegen, wäre sie nicht hingegangen. Dass nicht Duncan ihr das Ticket zukommen liess, verriet die kleine Notiz dabei:
«Wenn du Lust hast, er würde sich freuen.»
Wenn er sich freuen würde, Mia zu sehen, hätte er ihr das Ticket selbst geschickt, ging es ihr durch den Kopf. Im Gegensatz zu der Person, war sich Mia nicht sicher, ob Duncan sie wiedersehen wollte.
Im Stadion hatte Mia einen Sitzplatz ganz am Rande zugewiesen bekommen, nicht den besten Platz, aber genau den richtigen für sie. Derjenige, der den Platz ausgesucht hatte, musste sie gut genug kennen, um zu wissen, dass sie nicht gerne im Mittelpunkt stand. Als sie sich setzte, schossen ihr Erinnerungen wie Lichtblitze durch den Kopf – an die Zeit, in der sie am glücklichsten war. Zwei Jahre war es inzwischen her, seit Mia ihn verlassen hatte. Zwei Jahre in denen sie versuchte, ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen. Sie hatte vielen Leuten weh getan, in erster Linie ihren Eltern. Damals hatte sie alles stehen und liegen lassen, um Duncan auf seinen Reisen zu begleiten.
Schon immer hatte Mia eine Vorliebe für seine Musik, was die Trennung umso schmerzhafter machte. Egal wo Mia war, sie hörte seine Stimme, die ihr erzählte, wie sie ihm das Herz gebrochen hatte. Wusste er denn nicht, dass es ihr genauso ging?
Heute würde Mia die Büchse der Pandora öffnen, aber sie musste Duncan wiedersehen. Aufmerksam sah Mia den anderen Zuschauern zu, wie sie sich positionierten. Jeder versuchte, den besten Blick auf die Bühne zu haben. Einige hatten riesige Plakate, auf denen stand, wie sehr sie Duncan liebten. Diese Menschen würden alles tun, um an der Stelle zu sein, wo sie einst war.
Eine gutaussehende junge Frau mit langem schwarzem Haar kam mit einer akustischen Gitarre auf die Bühne. Von den Plakaten wusste Mia, dass sie eine von zwei Vorgruppen war. Als die junge Frau anfing zu spielen, sang sie ein trauriges Soul Lied.
Warum spielt man vor einem Popkonzert Soulmusik? Die Aufgabe einer Vorband war es, nach Mias Meinung, den Fans einzuheizen und nicht, sie zu Tode zu betrüben. Mias Stimmung sank auf den Nullpunkt. War es das wirklich wert, hier zu sein und alte Gefühle wiederzubeleben? Fest entschlossen nahm Mia sich vor, nur einen Song lang zu bleiben und dann zu verschwinden. Auf was in Gottes Namen hatte sie sich da eingelassen, ärgerte sich Mia über sich selbst. Sie hätte die Eintrittskarte ihrer kleinen Schwester schenken können, Lisy hätte sich darüber gefreut. Aber nicht einmal ihr hatte Mia davon erzählt, dass sie auf Duncans Konzert gehen würde. In der Zwischenzeit hatte die schwarzhaarige Frau ihren Auftritt beendet und eine neue Gruppe kam auf die Bühne. Diese Band gefiel Mia schon besser. Sie hatten einen guten Rhythmus und schon bald klatschten alle Zuschauer im Takt, auch Mia liess sich mitreissen. Zwischen zwei Liedern bedankte sich die Band bei den Fans und bei Duncan für die grossartige Möglichkeit, mit auf Tour sein zu können. Langsam wurde es ernst. Noch ein, zwei Lieder und Duncan würde auf die Bühne treten. Mias Hände fingen an zu schwitzen und ihr Puls begann zu rasen. Hatte er sich verändert? War er immer noch der bodenständige Mann, den Mia gekannt hatte? Dass er äusserlich nicht mehr der Gleiche war, war Mia aufgefallen. Er trug längere Haare, die er blond färbte und am markantesten waren die neuen Tattoos. Als sie sich kennengelernt hatten, trug er nur eines an jedem Oberarm.
Von den Bildern in der Regenbogenpresse wusste Mia, dass Duncan sich die ganzen Arme, den Brustkorb und ein Sujet am Hals hatte tätowieren lassen.
Das ganze Stadion wurde schlagartig dunkel, nur auf der Bühne leuchteten Scheinwerfer auf wie Blitze. Eine Gruppe junger Frauen fing an zu kreischen, ohne dass Duncan überhaupt zu sehen war. Von der Seite kamen viele Tänzer auf die Bühne gesprungen und klatschten in die Hände, bis alle Zuschauer mitmachten. Langsam stieg Duncan von einem Podest herunter, man hatte ihn gar nicht gesehen bis zu dem Zeitpunkt, als die Scheinwerfer auf ihn zielten. Die Fans kreischten noch lauter – dass dies überhaupt noch möglich war?
Der Bass dröhnte in Mia, oder war es ihr Herz, das wie wild pochte? Blut rauschte in ihren Ohren, als er anfing, einen seiner Hits zu singen. Auf einmal hörte Mia nur noch Duncan. Der ganze Lärm der kreischenden Fans verblasste. Mia fühlte sich um Jahre zurückversetzt und hörte nur noch seine Stimme, die ihr ins Ohr flüsterte, dass er sie liebte und alles gut werden würde. Wie sehr wünschte Mia, dass er recht behalten hätte. Wie würde ihr Leben aussehen, wenn sie ihn nicht verlassen hätte? Die alten Dämonen zerrten wieder an ihr. Was wäre, wenn? Eine dumme Frage, die sie sich doch immer wieder stellte.
Mia hielt es nicht mehr aus. Die alten Verletzungen schmerzten zu sehr. Sie musste fort, fort von hier und fort von Duncan. Durch die vielen Leute drängelte Mia sich nach draussen und verfluchte sich selbst fürs Kommen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht!?
Schnell begab sie sich Richtung Ausgang. Sie wollte nicht auffallen, was ihr natürlich nicht gelang, schliesslich war sie die einzige Person, die das Stadion verliess. Dennoch blieb sie verblüfft stehen, als jemand ihren Namen rief. Verdutzt sah sie sich um. Ein grosser glatzköpfiger Mann trat auf Mia zu. Schon von weitem sah man, dass er einer der Sicherheitsleute war. Seine Visage sah aus, als wäre er ein wütender Pitbull, doch jeder, der ihn kannte, wusste, dass er ein gutmütiger Riese war, der mehr mit seinem Äusseren agierte, als wirklich handgreiflich zu werden. Sergei war der Sicherheitschef von Duncan. Bei jedem Konzert sorgte er für Ruhe und Ordnung.
Auch wenn Mia so schnell wie möglich verschwinden wollte, fand sie es schön, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Selten hatte Mia mit Sergei zu tun gehabt, trotzdem hatte sie ihn immer zu schätzen gewusst. Er war ruhig, verständnisvoll und immer einhundert Prozent auf Duncans Sicherheit bedacht.
Als er auf Mia zukam, musterte Sergei sie kritisch. «Willst du gehen, ohne mit Duncan gesprochen zu haben?» Er hatte wohl anhand der Richtung, die Mia einschlug, erahnt, was sie vorhatte.
«Ich kann nicht», versuchte sie sich zu erklären und hob resigniert die Hände.
«Du bist extra hierhergekommen und jetzt kannst du nicht?», fragte er sie verständnislos. Was sollte Mia auf diese einfache, aber sehr effektive Argumentation erwidern?
«Warte hinter der Bühne auf ihn, ihr habt einiges zu klären!» Dies war keine Bitte, sondern ein Befehl eines Mannes, der es gewohnt war, dass ihm niemand widersprach. Widerwillig liess sich Mia hinter die Bühne begleiten. Glücklicherweise überliess Sergei sie einer Person, die Mia nicht von früher kannte. Offensichtlich hielt die fremde Frau Mia für einen Fan, der einen Backstage-Pass gewonnen hatte.
Nervös strich sich Mia über ihre Arme, die sie verschränkt vor dem Körper hielt. Sie war so aufgewühlt, dass ihr schlecht wurde. Hier konnte Duncan sie nicht übersehen. Hoffentlich falle ich nicht in Ohnmacht, schoss es ihr durch den Kopf.
Ihre Nervosität steigerte sich noch mehr, als die Tänzer sich verneigten und die Leute nach einer Zugabe schrien. Von den vielen Konzerten, zu denen sie Duncan begleitet hatte, wusste Mia, dass Duncan vier Zugaben geben würde. Unter den vier Liedern waren auch zwei seiner bekanntesten Hits. Das eine Lied schrieb Duncan, als sie noch glücklich zusammen waren, das andere nachdem Mia ihn verlassen hatte. Die Worte waren ihr nur zu vertraut, schliesslich hatte Mia sie Duncan an den Kopf geworfen. So wie die Zeile: ‘Du versprichst mir, alles zu geben, doch deine Worte bedeuten nichts. Du nimmst mir alles, ich habe nur noch dich.’ Das hatte Mia ihm vorgeworfen, bevor sie auch nur darüber nachgedacht hatte, ihn zu verlassen. Was am Ende eher eine spontane Flucht gewesen war, als wirklich geplant. Die Musik verklang und Duncan verabschiedete sich zum letzten Mal. Hinter der Bühne kam Duncan auf Mia zu. Er hatte sie nicht entdeckt und hätte Sergei Mia nicht frontal in ihn geschubst, wäre er an ihr vorbeigegangen. Sergei musste extra für das Ende des Konzerts wiedergekommen sein, um dafür zu sorgen, dass sie sich auch wirklich trafen. Duncan schien verärgert, dass ihn jemand angepöbelt hatte, doch die Verärgerung wich sogleich Erstaunen, als er Mia erkannte. Die Betreuerin, die Mia für einen Fan hielt, wollte sie gerade weg von Duncan ziehen, als Duncan Mia auch schon in die Arme schloss. Tausende Szenarien hatte Mia durchgespielt, wie sie sich nach zwei Jahren wiederbegegnen würden. Unsicher anschauend, peinlich berührt, aber in keinem der vielen Szenarien freute er sich, sie zu sehen oder umarmte er sie gar.
Wieder einmal überraschte Duncan sie positiv. Für einen Moment liess sich Mia in die Vergangenheit ziehen, als diese Arme sie jede Nacht umschlossen hielten, und atmete tief seinen Duft ei, der sehr
intensiv war. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Duncan ganz verschwitzt war. Niemals würde er seine Fans mit einer halbherzigen Show abspeisen. Wenn Duncan etwas tat, dann immer mit vollem Einsatz.
«Entschuldige, dass ich so verschwitzt bin.» Er hatte offensichtlich wahrgenommen, wie sie leicht zurückgewichen war.
«Schon okay…», war das Einzige, das Mia sagen konnte. Es hatte ihr die Sprache verschlagen.
«Können wir reden?» Mia wusste nicht, wie sie darauf antworten sollte. Eigentlich hatte sie keine Lust, über ihre Vergangenheit zu sprechen, aber da sie an sein Konzert gekommen war, konnte Mia nicht ablehnen.
«Musst du nicht noch irgendwo hin?», erkundigte sie sich mit einem kleinen Hoffnungsschimmer. Wenn sie Glück hatte, würde Duncan keine Zeit haben.
Er sah auf seine Armbanduhr. «Es ist fast Mitternacht, um diese Zeit will niemand mehr etwas von mir.» Mia nickte schwach, ihr blieb keine Wahl, als ihm zu folgen. Die ganze Situation war so surreal. Wie konnte er so locker sein nach allem, was vorgefallen war?
Kurz entschlossen nahm Duncan Mias Hand und führte sie durch die Katakomben. Das Personal sah Mia verwundert an, einige kannten sie noch von früher und waren umso erstaunter, sie wiederzusehen. Duncan führte sie zu seiner Garderobe und öffnete ihr höflich die Tür.
«Ich möchte kurz duschen. Bitte bleib», forderte er sie auf und verschwand im Badezimmer. Unsicher sah Mia sich im Raum um. Die Einrichtung war spartanisch gehalten, ein grosser Spiegel hing an der Wand mit einem Stuhl davor. Ein Kleiderhaken stand neben der Tür und ein kleiner Kühlschrank in der Ecke. Zu guter Letzt stand noch ein blaues Dreiersofa daneben, auf dem Mia Platz nahm. Im Badezimmer drehte Duncan die Brause auf. Von aussen konnte Mia das Rauschen hören. Trotz ihres Unbehagens versuchte Mia, es sich auf dem Sofa bequem zu machen und wartete, bis Duncan fertig geduscht hatte. Als er aus dem Badezimmer trat, hatte er sich nur ein Handtuch um die Hüften gebunden, da alle seine frischen Kleider in einer Tasche neben dem Sofa lagen. Mia erhaschte einen kurzen Blick auf Duncans neue Tattoos. Gerne hätte sie seine Kunstwerke genauer betrachtet, aber Duncan bückte sich bereits nach der Tasche und streckte ihr ungewollt den Hintern entgegen. Peinlich berührt wandte Mia den Blick ab. Es war gefährlich, ihn so zu sehen. Offensichtlich hatte Mia noch immer eine Schwäche für ihn, wie gross diese war, konnte sie nur erahnen. Wieder verschwand er im Badezimmer und kam angezogen zurück.
«Gehen wir?» Erwartungsvoll sah er sie an.
«Wohin?» fragte Mia verwundert.
«In mein Hotel.»
«Bitte was?» Ungläubig sah sie ihn an.
«In mein Hotel», wiederholte er ganz deutlich, als hätte Mia ihn nicht verstanden.
«Warum können wir uns nicht hier unterhalten?», wehrte sie sich.
«Weil ich müde bin und ein Helikopter auf mich wartet.»
«Duncan, ich denke, das ist keine gute Idee. Wollen wir uns nicht morgen treffen?», schlug Mia stattdessen vor.
«Du würdest nicht kommen. Das ist eine deiner Eigenschaften, du läufst fort, sobald es kompliziert wird.» Das war nicht fair, aber er hatte recht. Sobald etwas schief lief, liess Mia alles stehen und liegen und verschwand. Trotzdem war es keine gute Idee, mit ihm ins Hotelzimmer zu gehen. Leider hatte Mia keine Ahnung, wie sie sich davor hätte drücken sollen und stimmte widerwillig zu. Duncan nahm abermals Mias Hand und führte sie durch die vielen Gänge zum Helikopterlandeplatz. Aus Angst davor, Mia könnte davonrennen, hielt Duncan ihre Hand fest umklammert.
Als erstes stieg Mia in den Helikopter, Duncan folgte ihr. Sorgfältig legte er ihr die Kopfhörer über die Ohren und kontrollierte, ob sie richtig sassen. Dabei sah Mia ihm in die Augen und lief zum zweiten Mal an diesem Abend rot an. Beschämt sah sie zu Boden. Sobald Duncan neben ihr platzgenommen hatte, gab er dem Piloten das Zeichen zu starten. Die Aussicht war atemberaubend – Zürich bei Nacht. Früher flog Mia oft mit Duncan im Helikopter, das änderte sich aber, als sie ein Paar wurden. Je länger ihre Beziehung dauerte, desto weniger Zeit verbrachten sie miteinander. Schon von weitem sah Mia das Hotel, auf dem sie landen würden. Der ganze Flug hatte nicht länger als fünf Minuten gedauert, trotzdem war er ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen. Aus dem Augenwinkel sah sie immer wieder zu Duncan hinüber, als wäre alles ein Traum und sie müsse sich vergewissern, dass alles Realität sei. Sobald der Helikopter landete, schlug Mias Herz schneller, bald würde Duncan Fragen stellen, die Mia nicht beantworten wollte und konnte.
Nebeneinander gingen sie zu Duncans Hotelzimmer. Natürlich hatte er die grösste Suite mit der besten Aussicht gebucht. Das Zimmer war elegant eingerichtet, aber die persönliche Note fehlte. Weil Mia nicht wusste, was sie mit sich anfangen sollte, setzte sie sich kurzerhand aufs Sofa und wartete ab, was Duncan tun würde. Sein erster Gang führte ihn zur Minibar, um eine Flasche Rotwein herauszuholen.
«Dürfte ich auch ein Glas bekommen?», erkundigte sich Mia. Wein war genau das Richtige für ein solches Gespräch, er würde Mia helfen, die Zunge zu lösen. Als er ihr das Etikett zeigte, staunte sie nicht schlecht, denn er tischte ihren Lieblingswein auf. Er gehörte nicht zu den Standardweinen in einer Minibar, weil er den meisten Menschen zu herb war. Hatte er ihn extra gekauft, weil er gehofft hatte sie wiederzusehen, oder war es nur ein Zufall? «Das ist mein Lieblingswein», erörterte Mia das Offensichtliche.
«Wie könnte ich das vergessen», lächelte er. «Egal wo wir waren, dieser Wein war das Einzige, das du getrunken hast.»
«Das klingt so, als hätte ich ein Alkoholproblem!» Was überhaupt nicht der Wahrheit entsprach. Mia trank wenig bis selten Alkohol.
«Entschuldige, ich wollte nur darauf hinweisen, dass du keinen anderen Alkohol getrunken hast als diesen Wein.»
«Das hat sich nicht geändert.»
«Dafür viel anderes», stellte er betrübt fest. Duncan stand neben ihr und betrachtete sie von Kopf bis Fuss, während er den Wein im Glas drehte, damit er atmen konnte.
«Ich sollte dir wohl erklären, weshalb ich dich verlassen habe», setzte Mia an.
«Ich weiss, warum du gegangen bist», unterbrach Duncan sie. Überrascht sah sie ihn an.
«Du hast es verstanden, obwohl ich es dir nie erklärt habe?»
«Ich kenne dich.» Er sah sie durchdringend an. «Du hast es gehasst, im Mittelpunkt zu stehen. All die Leute, die dich verfolgten und dir gedroht haben. Es war dir zu viel. Das verstehe ich.» Bis jetzt hatte er alles in einem verständnisvollen Ton gesagt, sodass Mia doch noch die Hoffnung hatte, glimpflich davonzukommen. «Was ich nicht verstehe, ist, warum du nicht mit mir darüber gesprochen hast!» Er wurde wütend. «Du warst eines Abends einfach verschwunden und hattest mir nur diesen Brief hinterlassen!», schrie er sie an. Mia wusste, wie sehr sie ihn verletzt hatte. Schuldgefühle kamen in ihr hoch, dennoch schwieg sie. Aber das machte Duncan nur noch wütender. «Ich will wissen, warum du ohne etwas zu sagen verschwunden bist!»
«Glaubst du, dass es einfach für mich war zu gehen?» Mia war den Tränen nahe. «Ich hatte dir gesagt, dass ich unglücklich war. Das Einzige was du getan hattest, war, mich in den Arm zu nehmen und zu sagen, dass alles wieder gut werden würde.»
«Was hätte ich deiner Meinung nach denn tun sollen?» Frustriert warf er die Hände in die Luft und verschüttete beinahe seinen Wein.
«Mich danach fragen, warum ich unglücklich sei!» entgegnete sie. «Du wolltest nie wissen, was in mir vorging!»
«Gut, dann frag ich dich jetzt! Warum warst du nicht glücklich?»
«Weil ich meine Familie zwei Jahre lang nicht gesehen hatte.»
«Du wusstest, dass ich immer unterwegs war, als du mich kennengelernt hattest. Damals hatte es dich nicht gestört.»
«Das war auch zwei Jahre zuvor!» Mia atmete tief durch, bevor sie ruhiger weitersprach. «Denkst du nicht, dass ich nach zwei Jahren meine Meinung geändert haben könnte? Ich hatte mit deiner Mutter mehr Zeit verbracht als mit meiner!»
«Warum warst du nicht nach Hause geflogen?», fragte Duncan hilflos, nachdem er sich wieder beruhigt hatte.
«Weil mein Leben sich nur um dich drehte. Ich wollte dich nicht verlassen.»
«Und deshalb bist du gegangen, weil du mich nicht verlassen wolltest?» Mias Herz stockte. Es stimmte, was sie gesagt hatte, aber es war nicht die ganze Wahrheit. Sie hatte sich geschworen, Duncan gegenüber niemals zu verraten, was der wahre Grund gewesen war. Er würde es ihr nicht verzeihen.
Um Zeit zu gewinnen, trat Mia auf den Balkon, sie brauchte frische Luft. Duncan folgte ihr. Tränen liefen ihr übers Gesicht, Mia konnte sie nicht mehr zurückhalten. «Meinst du, dass ich diese Art von Leben wollte? Einen Mann, der jeden Tag an einem anderen Ort aufwachte.» Mit dem Handrücken strich sie sich die Tränen von der Wange.
«Warum hattest du nie mit mir darüber gesprochen?»
«Was hätte das geändert?» Müde sah Mia in seine Augen. «Nie hätte ich von dir verlangt, die Musik aufzugeben.» Duncan antwortete nicht. Was hätte er auch sagen sollen? Wenn er zurückdachte, hatte er immer angenommen, dass sie glücklich gewesen war. Er hatte sie nicht ernst genommen, als sie ihm erzählte, dass es ihr nicht gut ging. Sanft hob Duncan Mias Kinn an, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. Mit dem Daumen verwischte er die übriggebliebenen Tränen. «Du weisst doch, Tränen machen schön.» Das hatte Mias Mutter ihr immer erzählt, als sie noch ein kleines Kind war. Aufgrund dieses unerwarteten Satzes musste Mia laut lachen, brach aber jäh ab als sie in seine Augen sah. Er hatte den gleichen Gesichtsausdruck wie früher, wenn er sie küssen wollte. Duncan trat auf sie zu, doch Mia legte ihre Hand abwehrend auf seine Brust und hielt ihn von sich fern. Wenn er sie küsste, wäre sie verloren. Aber Duncan hatte andere Pläne, trotz des Widerstands zog er sie bestimmt an sich. Seine Lippen schmeckten wie Mia sie in Erinnerung hatte, oder noch besser? Dennoch wollte Mia sich aus seiner Umarmung lösen, jedoch liess Duncan sie keinen Zentimeter zurückweichen. Sein Kuss wurde schnell intensiver und nach anfänglicher Zurückhaltung gab Mia nach. Wie von alleine öffneten sich ihre Lippen, um ihn besser schmecken zu können. Duncan bewegte sich langsam zurück. Mia wusste ganz genau, was er vorhatte, als er sie ins Schlafzimmer führte.
Etwas sanftes an Mias Wange weckte sie. Verschlafen öffnete sie die Augen. Vorsichtig streiften Duncans Lippen wieder ihre Wange.
«Gut geschlafen?», erkundigte er sich.
«Ich schlafe immer noch.» Schlaftrunken schloss Mia abermals die Augen. Es konnte sich nur um einen Traum handeln. «Wie fühlst du dich?» Mit der Hand strich Duncan ihr die Haare aus dem Gesicht.
«Verwirrt», brachte Mia hervor. «Ich kann es nicht glauben, dass wir miteinander geschlafen haben. Das war nicht meine Absicht, als ich herkam.»
«Was wolltest du dann?», wollte er wissen.
«Ich wollte dich nur kurz sehen und gleich wieder verschwinden. Aber auf dem Weg nach draussen hat mich Sergei abgefangen.» Duncan hob überrascht eine Augenbraue. Mia fuhr fort. «Er hat mich gezwungen hinter die Bühne zu gehen, um dich zu treffen.» Ohne darüber nachzudenken, neigte Mia sich vor und gab Duncan einen ausgiebigen Kuss. «Und du hast mich gekidnappt», schloss sie ihre Erzählung und küsste ihn abermals.
«Erinnere mich daran, Sergei eine Gehaltserhöhung zu geben.» Mit den Fingern fuhr er ihr durch die Haare.
«Wirst du mich wieder verlassen?», fragte er unvermittelt. In seinen Augen konnte Mia den Schmerz erkennen. «Es hat sich nichts geändert.» Mia schloss die Augen.
«Für mich auch nicht. Ich liebe dich noch immer», sagte er in vollem Ernst.
«Ich weiss», antwortete sie nur.
«Dann müssen wir unsere gemeinsame Zeit so gut es geht geniessen.» Mia hatte mit vielem gerechtet, aber nicht mit Akzeptanz. Vor zwei Jahren hätte er alles versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Vielleicht war er doch nicht mehr der gleiche Mann wie der, den sie gekannt hatte.
«Es wird das Beste sein.»
«Das Beste für dich!», stellte er klar.
«Das Beste für uns.» Mit diesen Worten stand Mia auf und ging unter die Dusche. Das heisse Wasser war eine Wohltat für ihre Haut. Erst jetzt wurde ihr die Tragweite ihrer Entscheidung bewusst. Was hatte sie nur getan? Die letzte Trennung hatte sie beinahe zerstört.
Als Mia aus der Dusche trat, fiel ihr auf, dass sie nichts Sauberes anzuziehen hatte. Hilfesuchend wandte sie sich an Duncan.
«Wieso etwas anziehen? Nackt gefällst du mir besser.» Provokativ musterte er sie von oben bis unten.
«Vielen Dank. Aber der Zimmerservice sollte nicht die gleiche Meinung von meinem Körper haben wie du.» Aus dem Koffer holte Duncan ein Hemd und eine kurze Hose. Die Kleider passten Mia wie angegossen, da Duncan nur wenige Zentimeter grösser als sie war. Wenn sie hohe Schuhe trug, was nicht oft geschah, überragte sie ihn um ein kleines Stück.
Jemand klopfte an der Tür und kam herein, ohne dass Duncan ihn dazu aufgefordert hatte.
«Duncan hast du Besuch?» Ihre Kleider mussten im ganzen Hotelzimmer verstreut liegen, stellte Mia peinlich berührt fest. Kurz überlegte sie, ob sie sich im Badezimmer verstecken solle, entschied sich aber dagegen.
«Hallo Rick», begrüsste Mia den Eindringling «lange nicht mehr gesehen.» Überrascht blieb er vor Mia stehen, fassungslos sah er sie an. «Ich hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen», stellte er fest. Rick war Duncans Manager. Die einzige Person von Duncans Crew, die Mia nicht mochte. Er war schleimig, ungehobelt und nur an Erfolg interessiert. Deshalb war er nach Duncans Ansicht auch so gut in seinem Job. Keine Möglichkeit liess er aus, um Duncan von einer Veranstaltung zur nächsten zu schleppen, was dazu führte, dass er Duncan bis zur Erschöpfung verplante.
«Ich hätte auch nicht damit gerechnet.»
«Seid ihr wieder zusammen?», fragte er und zeigte mit dem Finger zwischen Duncan und Mia hin und her. «Das sind wir nicht», entgegnete Mia. Duncan sagte nichts dazu.
Rick sah verwirrt aus und schüttelte den Kopf, als müsse er sich in Erinnerung rufen, warum er eigentlich gekommen war.
«Ich wollte dich noch fragen, ob du Zeit hättest, mit ein paar Reportern zu sprechen. Aber das hat sich gerade erledigt. Geniesst euren freien Tag!» Rückwerts verliess er das Zimmer und hob noch schnell die Hand zum Abschiedsgruss, ehe er aus der Suite verschwunden war. Kritisch sah Mia Duncan an und fragte: «Denkst du, dass ihm meine Kleidung gefallen hat?»
«Fast so gut wie mir.» Duncan zog Mia in seine Arme und küsste sie gierig.
«Ich habe Hunger», brachte Mia zwischen zwei Küssen hervor.
«Ich kümmere mich darum.» Duncan griff zum Hörer, wählte die Nummer des Zimmerservices und bestellte Frühstück für zwei.
«Der arme Kerl denkt jetzt sicher, du hättest ein Groupie auf deinem Zimmer.»
«Habe ich doch», meinte er in gespieltem Ernst, worauf er einen Ellenbogenstoss in die Rippen einfing.
«Nicht frech werden», warnte Mia mit einem Lächeln. Als der Zimmerservice klingelte, ging Mia in Deckung. Viele Leute kannten ihr Gesicht noch aus der Klatschpresse. Was für eine Schlagzeile würde es geben, sollte die Presse davon erfahren, dass sie zusammen die Nacht verbracht hatten! Leider waren Mias Begegnungen mit der Regenbogenpresse meist von unangenehmer Natur. Nach der Trennung hatten sie Mia noch monatelang verfolgt. So unangenehm es für Mia war, für ihre Familie war es noch schlimmer. Bis heute gab es Fans von Duncan, die sie offen auf der Strasse anfeindeten, sobald sie Mia erkannten.
Zusammen setzten sie sich auf die Terrasse. «Ich bin von zuhause ausgezogen», eröffnete Mia das Gespräch. «Wirklich? Wo wohnst du?»
«In einer Miniwohnung im Kanton Appenzell, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Herisau.»
«Warum bist du ausgezogen?» Mia antwortete nicht. Anhand ihres Gesichtsausdrucks musste Duncan den Grund erkannt haben, denn er sagte: «Weil die Presse dich verfolgte und du es deiner Familie nicht zumuten wolltest».
Mit einem Nicken gab Mia zu verstehen, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
«Das tut mir leid», entschuldigte sich Duncan.
«Es war nicht deine Schuld. Ich habe mich selbst zur Zielscheibe gemacht!» Mia ergriff Duncans Hand. «Wird es je wieder eine Unterhaltung zwischen uns geben, die nicht schmerzt?» Lange sah er sie an. «Ich weiss es nicht. Schlimmer noch, finde ich die Frage, ob wir uns je wieder unterhalten.»
«Das habe ich das letzte Mal auch gedacht und jetzt sitzen wir hier.» Mia griff nach seiner Hand und drückte sie fest.
«Heute Abend gebe ich noch ein Konzert, dann fliege ich weiter nach Wien», wechselte Duncan das Thema.
«Dann wissen wir jetzt, wie viel Zeit uns noch bleibt.»
«Zwischen den Auftritten könnte ich zu dir kommen», gab Duncan leise von sich.
«Ich kann das nicht.»
«Ich will dich nicht nochmals verlieren!» Das Flehen in seiner Stimme erreichte Mias Herz. Langsam stand sie auf, ging zur anderen Seite des Tisches und setzte sich auf Duncans Schoss.
«Ich liebe dich», flüsterte sie. Voller Verzweiflung küsste Mia ihn. Ihre Hand glitt über seinen Körper, sogleich tat es Duncan ihr nach. Mia löste sich von ihm und stand auf. Auf dem Weg zum Schlafzimmer öffnete sie ihr Hemd und ließ es zu Boden sinken. Verblüfft folgte Duncan ihr.
«Wann beginnt dein Konzert?» Mia lag geborgen in seiner Armbeuge.
«Wir haben noch etwas Zeit.» Von früher kannte Mia seinen Tagesablauf. Vor langer Zeit war auch sie ein Teil davon gewesen.
«Darf ich dich etwas fragen?» Ein zustimmendes Gemurmel kam von seiner Seite. Er hatte die Augen geschlossen.
«Was bedeuten deine neuen Tattoos?»
«Nichts.» Unschuldig zuckte er mit den Schultern.
Kritisch reckte Mia ihren Hals, um sein Gesicht zu sehen. Langsam öffnete er die Augen.
«Glaub ich nicht», erwiderte sie mit einem Lächeln.
Verwundert sah Duncan sie an. «Du glaubst mir nicht?»
«Ich kenne dich, du machst nichts ohne Hintergedanken.» Duncan verdrehte spielerisch die Augen.
«Also gut», gab er nach. Er zeigte auf sein neuestes Tattoo an der Innenseite seines linken Oberarms. Eine grosse Eiche prangte auf seinem muskulösen Bizeps.
«Die Wurzeln eines Baumes sind tief verankert, man kann sie nicht verpflanzen. Aber die Äste, bei denen ist es anders. Jeder Baum entscheidet selbst, wohin sie wachsen.» Mia kannte Duncan gut genug, um zu verstehen, was es bedeutete. «Woher du kommst, spielt keine Rolle, denn du entscheidest selbst, wohin du gehst», fasste sie zusammen.
«Genau. Jeder Mensch hat seine eigene Startlinie. Für manche ist das Leben härter als für andere. Aber du kannst mitbestimmen, wie es verlaufen soll, aufgrund davon, wie du reagierst und dich entscheidest.»
«Und dieses hier?» Mia zeigte auf das Augenpaar einer Eule, das seinen Unterarm zierte.
«Wofür steht die Eule?»
«Gute Sehkraft?», riet Mia.
«Sie ist das Zeichen der Athene, der Göttin der Weisheit. Versuche dein Leben weise und mit Bedacht zu leben.» Mia musste sich ein Grinsen verkneifen, denn Duncan war nicht dafür bekannt, mit Bedacht zu handeln. Oft reagierte er voreilig und ungestüm.
«Und der Kompass?», fragte Mia weiter.
«Das war das erste Tattoo, dass ich mir stechen liess, nachdem du mich verlassen hattest. Ich hoffte, dass du den Weg zu mir zurückfinden würdest.»
«Was bedeutet der Schriftzug darunter?» Mit dem Finger strich sie die feinen Linien nach.
«Lies», forderte Duncan sie auf.
«Im Schatten bist du gekommen und im Licht bist du gegangen.» Verständnislos sah sie Duncan an. Darauf konnte sie sich keinen Reim machen. «Als wir uns das erste Mal getroffen hatten, war es Nacht – und als du gingst, war es Tag.» Mit dem Finger strich er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. «Er hat noch eine andere Bedeutung. Als niemand von dir wusste, hatten wir eine wunderschöne Zeit zusammen. Doch als die Presse von dir erfuhr, und du ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurdest, zerbrach alles.» Das Tattoo traf den Nagel auf den Kopf, es fasste ihre ganze Beziehung in einem Satz zusammen.
«Es war nicht leicht für mich.»
«Ich weiss.» Sanft strich Duncan über Mias Wange.
«Was bedeutet das Tattoo an deinem Hals?», nahm Mia das Thema wieder auf.
«Du hast sicher mitbekommen, dass Jason an einer Überdosis gestorben ist.»
«Ich hörte es. Es tut mir so leid. Ich wusste nicht, dass du wieder Kontakt zu deinem Bruder hattest.»
«Hatten wir nicht», erwiderte Duncan betrübt.
«Wann wurde er aus dem Gefängnis entlassen?»
«Sieben Monate zuvor.» Wütend ballte er seine Hand zur Faust. «Sieben Monate hätte ich Zeit gehabt, ihm zu helfen, einen Job zu geben oder vielleicht…», gedankenverloren schüttelte er den Kopf. «Ich weiss auch nicht…»
«Hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Ich glaube nicht, dass es etwas geändert hätte. Er ist deinem Vater zu ähnlich.»
«Aber er ist mein Bruder und ich war nicht für ihn da.»
«Auch wenn du ihm geholfen hättest, hätte das nichts geändert. Er kam nicht von den Drogen los.»
«Vielleicht.» Duncan machte eine Pause. «Vielleicht aber auch nicht.»
«Es hat keinen Sinn, darüber zu spekulieren, was gewesen wäre, wenn… War dein Vater bei der Beerdigung?»
«Nein. Vermutlich lag er besoffen in einer Bar.»
«Wie kommt deine Mutter mit Jasons Tod zurecht?»
«Es hat sie schwer getroffen, obwohl er ja nicht ihr leiblicher Sohn war. Du kennst doch meine Mum, sie ist weich wie Butter.»
«Ich werde nie verstehen, wie sie als so tolle Frau sich mit so einem Ekel wie deinem Vater einlassen konnte.»
«Mum sagte immer, dass er ein guter Mensch gewesen war, bevor er anfing zu trinken. Und als sie mitbekam, dass er mich schlug, hatte sie ihn sofort verlassen.» Von früheren Erzählungen wusste Mia, wie hart Duncans Kindheit gewesen war. Eine Mutter, die wegen ihrer drei Jobs nie da war, ein Vater, der immer betrunken war, und ein Bruder, der seine Wut auf die Welt an ihm ausliess. Das Einzige, was sich Duncan immer gewünscht hatte, war eine intakte Familie. Deshalb war seine Mutter auch das Wichtigste in seinem Leben und wichtig war ihm auch, dass Mia und Linda sich gut verstanden. Seine Mutter war sehr von Mia angetan. Oft erwähnte sie, dass Mia das Beste aus Duncan herausholen würde.
«Was ist mit deiner Familie, wie läuft es bei euch?» Nun war Duncan mit dem Fragen dran.
«Mein Dad denkt darüber nach, sich pensionieren zu lassen. Ich fände es großartig, wenn er sich mehr Zeit für meine Mutter nehmen würde.» Unbewusst strich sich Mia die Haare aus dem Gesicht. «Seitdem ich ausgezogen bin, habe ich ein viel besseres Verhältnis zu Lisy. Das erste Mal in meinem Leben finde ich es toll, eine Schwester zu haben.» Überrascht sah Duncan sie an. Er wusste, dass das Verhältnis der beiden Schwestern schwierig war. Mia war die Ruhige und Besonnene, ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester, die laut, aufmüpfig und frech war und die alles wollte – und zwar sofort. Mia hatte die Hoffnung, dass es sich bessern würde, wenn Lisy aus der Pubertät kam, schliesslich waren die Schwestern auch sechs Jahre auseinander geboren.
«Freut mich, dass ihr euch besser versteht.» Liebevoll strich er ihr über den Arm. «Und wie geht es Sara?» Sara war Mias beste Freundin und die Erste, die von Duncan erfahren hatte.
«Wir versuchen, uns jede Woche einmal zu treffen. Sie lebt jetzt mit ihrem Freund zusammen und hat seitdem nicht mehr viel Zeit.»
«Bei dir war es damals nicht anders», erinnerte Duncan sie. «Als du mit mir auf Tournee warst, konntest du Sara mehrere Monate nicht sehen.» So hatte es Mia noch nie betrachtet, aber es stimmte. Duncan hatte Sara mehrmals im Jahr in die Vereinigten Staaten eingeladen, damit die Freundinnen wenigstens die Ferien zusammen verbringen konnten. Aber das beschränkte sich meist auf zweimal im Jahr, weil Mia ansonsten immer mit auf Tournee war.
Trotzdem verzog Mia das Gesicht. Nicht genug Zeit für seine Freunde zu haben, war das Eine. ‘Mit jemanden zusammen zu sein, der ein absoluter Idiot war, das Andere’, dachte Mia, sprach es aber nicht laut aus.
«Du magst ihren Freund nicht», schlussfolgerte Duncan anhand Mias Gesichtsausdruck.
«Er ist ein netter Kerl, nur nicht gerade der Hellste.» Amüsiert betrachtete Duncan sie. «Der Typ denkt, dass Astronomie und Gastronomie das Gleiche seien.»
«Du glaubst also nicht, dass die Beziehung der beiden halten wird?»
Mia wählte ihre Worte mit Bedacht. «Sie hat jemand Besseres verdient, und ich glaube, sie wird es bald erkennen.»
«Sehr diplomatisch», erwiderte er.
Mia gehörte nicht zu den Menschen, die schlecht über andere sprechen. Sie machte sich ihre Gedanken, war aber der Meinung, dass nicht alle diese hören mussten.
«Arbeitest du gerade an einem neuen Song?», wechselte sie das Thema.
«Ich habe da ein paar Ideen. Soll ich sie dir vorspielen?»
«Gerne.» Duncan wusste ganz genau, wie sehr Mia es liebte, Songs zu hören, die noch niemand kannte.
Nackt stand er auf und holte seine Gitarre. Geübt liess Duncan seine Finger über die Saiten gleiten. Mia verlor sich ganz in seiner Musik, wie damals, als sie tagelang nichts anderes getan hatten, als über Musik zu sprechen. «Ich habe mich in dich verliebt, weil du die Musik genauso liebst wie ich!»
«Ich weiss», antwortete Duncan.
Zusammen machten sie sich zur Konzerthalle auf. Hinter der Bühne verfolgte Mia die Show. Wie oft hatte sie schon dort gewartet, bis das Konzert vorüber war? Eine alte Vertrautheit machte sich in Mia breit. Im Gegensatz zum gestrigen Konzert, war sie viel entspannter und konnte die Musik geniessen. Von aussen beobachtete Mia, wie Duncan performte. Jede seiner Bewegungen schien ihr vertraut. Auf der Bühne war er ein Perfektionist. Geboren, um vor Tausenden Leuten zu stehen. Manchmal hatte Mia das Gefühl, er lebe nur für diese Augenblicke. Hätte sie ihm damals ein Ultimatum gestellt, so hätte er sich bestimmt für sie entschieden und die Musik aufgegeben. Die Musik jedoch war das, was Duncan ausmachte. Mia durfte nicht der Grund sein, dass er einen so wichtigen Teil von sich selbst aufgab. Eines Tages hätte er es ihr vorgeworfen.
Ihn singen zu sehen, versetzte Mia an den Ort zurück, an dem sie sich zum ersten Mal begegneten. Zusammen mit Sara machte Mia einen Wochenendtrip nach Riga. Sie quartierten sich in einem kleinen günstigen Hotel ganz in der Nähe der Düna, dem Fluss der Riga teilte, ein. Den ganzen Tag über besichtigten sie die Stadt, bis ihnen die Füsse weh taten. Die Hauptstadt von Lettland ist für ihre wunderschönen Jugendstilbauten bekannt. Auch wenn Mia wenig Ahnung von Architektur hatte, gewann diese atemberaubend schöne Stadt schnell ihr Herz.
Zurück im Hotel brauchte Mia noch ein wenig Zeit für sich selbst. Auch wenn Sara ihre beste Freundin war, hatte sie das Potenzial, anstrengend zu sein. Deshalb schnappte sich Mia ihre Gitarre, lief zum Fluss, um den Abend in Ruhe ausklingen zu lassen. Mia liebte es, wenn die Strassen sich leerten und nur wenige Passanten sich draussen blicken liessen. Am Fluss angekommen suchte sie sich ein Plätzchen mit Aussicht auf die Altstadt von Riga. Von Weitem konnte sie den Präsidentenpalast erkennen. Am Vormittag hatte sie mit ihrer Freundin der Wachablösung beigewohnt. Glücklich sah sie nun auf die Düna. Die Schatten der vielen Kirchentürme spiegelten sich im Fluss wider. Mit der Gitarre auf dem Schoss fing Mia leise an zu spielen. Es dauerte, ehe sie bemerkte, dass ein junger Mann sie beobachtete. Abrupt stoppte sie ihr Spiel.
«Bitte hör nicht auf!», sprach er Mia auf Englisch an und kam langsam auf sie zu.
«Spielst du auch Gitarre?», erkundigte sich Mia in der gleichen Sprache.
«Ein wenig.