Mel macht´s anders - Sina Seeland - E-Book

Mel macht´s anders E-Book

Sina Seeland

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Beschreibung

Ist "Mr. Right" ein Mythos? Wird Sex nicht grandios überbewertet? Ist das BDSM oder kann das weg? Und warum zum Teufel kriegen alle Frauen über 30 die große Nummer hin, nur ich nicht? Mel ist 34 und fragt sich allmählich, ob das Konzept "Liebe" für sie einfach nicht funktioniert. Vielleicht sollte sie sich falsche Fingernägel und Strähnchen zulegen? Für andere Frauen scheint das der Schlüssel zum Erfolg zu sein. Vielleicht sollte sie aber auch einfach aufhören, auf DEN EINEN zu warten, den Traumprinzen der ihr Leben zu einem Hollywoodfilm werden lässt. Experimentierfreudig beschließt sie, alle Konzepte von "Happy Ever After" in den Wind zu schießen und eine neue Lebensphase ohne faule Kompromisse und ohne schlechten Sex einzuläuten. Entschlossen legt sie sich ein Online-Profil bei einer Erotik-Kontaktbörse zu, mietet sich einen Callboy und trifft "Volker mit dem Köfferchen." Doch leider gibt es da noch Tom. Ebenfalls auf der Suche, ebenfalls Kompromisslos und leider Gottes der Traumprinz - der sie aber einfach nicht um ein Date bittet ..

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Seitenzahl: 345

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Sina SeelandMel macht´s andersEin erotisches Tagebuch

Sina Seelandist das Pseudonym einer Autorin, die 1973 in Hamburg geboren wurde. Nach Studium der Anglistik und Literturwissenschaft arbeitete Sina teils freischaffend, teils angestellt, als Übersetzerin, Ghostwriterin und Lektorin. Ihre Liebe zur erotischen Literatur entdeckte sie vor einigen Jahren. Seitdem wurden Texte von ihr in verschiedenen Online- und Printmagazinen sowie in zwei Kurzgeschichtenbändern veröffentlicht. «Mel macht´s anders” ist ihr erstes Romanprojekt. Sina lebt zurzeit mit Mann und Kind in Nordrhein-Westfalen.

Sina Seeland

Mel macht´sanders

ein erotisches Tagebuch

ELYSION-BOOKS TASCHENBUCHBAND 40741. Auflage: Februar 2014

VOLLSTÄNDIGE TASCHENBUCHAUSGABE

ORIGINALAUSGABE© 2014 BY ELYSION BOOKS, LEIPZIGALL RIGHTS RESERVED

UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinertwww.dreamaddiction.deFOTOS: © fotolia/YSLAYOUT &WERKSATZ: Hanspeter Ludwigwww.imaginary-world.deKorrektorat und Lektorat: Inka-Gabriela Schmidt

PRINTED IN POLANDISBN 978-3-942602-53-2eISBN 978-3-945163-13-9Mehr himmlisch heißen Lesespaß finden Sie auf:www.Elysion-Books.com

Inhalt

Prolog

Mo. 27.08.12

Mi. 29.08.12

Mo. 03.09.12

So. 09.09.12

Fr. 21.09.12

Di. 02.10.12

Fr. 12.10.12

So. 14.10.12

So. 21.10.12

Fr. 02.11.12

So. 04.11.12

Mo. 05.11.12

Mi. 07.11.12

Do. 08.11.12

Fr. 09.11.12

Fr. 09.11.12 (später)

Mi. 14.11.12

Fr. 16.11.12

Di. 20.11.12

Mi. 21.11.12

Do. 22.11.12

Fr. 23.11.12

Sa. 24.11.12

So. 25.11.12

Mi. 28.11.12

Do. 29.11.12

Fr. 30.11.12

Sa. 01.12.12

So. 02.12.12

Mi. 05.12.12

Fr. 07.12.12

Sa. 08.12.12 (spät nachts)

So. 09.12.12

Mo. 10.12.12

Di. 11.12.12

Sa. 15.12.12

Sa. 15.12.12 (spät nachts)

So. 16.12.12

So. 23.12.12 (eine Woche später)

So. 30.12.12 (wieder eine Woche später)

Fr. 04.01.13

Di. 08.01.13

So. 13.01.13

Do. 17.01.13

Fr. 18.01.13 (spät nachts)

Epilog

Prolog

Die junge Frau bemühte sich nach Kräften. Sie kniete nackt zwischen den Beinen ihres Partners, der lang ausgestreckt auf dem Bett lag und nicht sehr glücklich aussah. Er starrte mit zusammengepressten Zähnen an die Decke und sein ganzer Körper schien seltsam verkrampft.

»Jetzt, ja, so, ja, weiter … gut so, Mel!«, stieß er ruckartig hervor und Mel war einmal mehr froh darum, dass ihr langes, dunkles Haar ihr wie ein Schleier vor das Gesicht fiel, während sie blies. So sah er wenigstens nicht, dass sie mit den Augen rollte. Ihr Nacken tat ihr weh, die Muskeln in ihren Wangen waren bereits verkrampft und wenn sie ganz ehrlich war, dann hatte sie schon vor einigen Minuten die Lust an diesem Blowjob komplett verloren. Sie kam sich unzulänglich vor, denn an der Art, wie die Erektion ihres Freundes in ihrem Mund immer wieder in sich zusammenfiel, war unschwer zu erkennen, dass sie irgendetwas wohl nicht richtig machte.

Noch schlimmer war, dass sie dieses Gefühl ständig hatte. Denn der Sex mit Tilo war … mies. Man konnte es einfach nicht anders sagen und auch nicht netter umschreiben. Während sie sich weiter abmühte, saugte, lutschte, umspielte, massierte und knetete und mit allem ihr gegebenen Ehrgeiz zum Abschluss kommen wollte, wanderten ihre Gedanken. Es war doch am Anfang nicht so gewesen. Nun ja, in der ersten Phase der Verliebtheit wachsen einem immer Flügel, auch im Bett … aber jetzt? Jetzt, nach sechs Jahren, war sie an dem Punkt angekommen, den sie nur zu gut kannte. Die Lust verließ sie. Und diese Erkenntnis frustrierte sie nicht nur, sie machte ihr regelrecht Angst. Was lief da falsch bei ihr? Was für ein Problem hatte sie, um Himmels Willen? Tilo war ein netter Mann. Ein treuer Mann. Ein Mann, mit dem sie lachen konnte, dem sie vertraute und der sie liebte. Er war nie anders als freundlich und liebevoll zu ihr gewesen. Was also war los mit ihr? Am Anfang hatte ihr der Sex doch gefallen. Naja … soweit ihr Sex eben gefiel. War sie frisch verliebt, ließ sie sich einfach vom hormonellen Überschwang leiten und hatte so schon sehr viele sehr schöne Momente erlebt. Mit Tilo, und auch in vorangegangenen Beziehungen. Melanie war 34 und hatte genug Erfahrungen gesammelt, um nunmehr der Meinung zu sein, dass Sex als solcher vollkommen überbewertet wurde. Jawohl. Klar, Sex war … nett. Aber nachdem der erste Gefühlsüberschwang vorüber war, war er für sie in jeder ihrer Beziehungen und auch jetzt mit Tilo zu einer Art Pflichtübung geworden. Etwas, zu dem sie sich immer öfter überwinden musste. Ein schrecklicher Gedanke, aber genauso fühlte es sich an. Von selbst hatte sie kaum noch Lust und wenn, dann endete es meistens … so.

»Ja. Hm. Gut so. Weiter. Oh. Mel«, murmelte Tilo über ihr noch immer. Ihr Nacken schmerzte inzwischen so sehr, dass sie beschloss, dem ganzen Schauspiel endlich ein Ende zu bereiten. Sie nahm die Hand zu Hilfe und packte zu. Während ihre Lippen noch die Eichel und den Eichelkranz umspielten und daran saugten, fuhr sie mit der Hand in festen Bewegungen den Schaft auf und ab. Auf und ab. Sie wich mit dem Mund bis an die Spitze zurück und schob die Hand bis fast ganz nach oben, immer über die empfindlichste Stelle. Das war geschummelt. Hand ist nicht gleich Mund. Aber dies war nicht der Moment für übertriebene Blowjobethik. Ihr tat der Rücken weh und so entschied sie sich kurzfristig für die ergebnisorientierte Variante. Was soll’s. Wahrscheinlich hatte sie es einfach nicht drauf. Vielleicht hätte sie es eher drauf, wenn sie es selbst auch nur ansatzweise aufregend gefunden hätte, was sie da tat. Noch zweimal, dreimal bewegte sie die Hand über Tilos Schaft, dann ergoss er sich endlich mit einem Seufzer über ihre Finger. Sie richtete sich vorsichtig auf, verzog vor Schmerz das Gesicht ein wenig, schob sich die Haare aus dem Gesicht und versuchte ein vorsichtiges Lächeln, als sie sagte:

»Tilo … wir müssen reden.«

Mo. 27.08.12

Also gut. Es muss sich etwas ändern.

Ach ja, ich vergaß: es hat sich ja schon etwas geändert. Mit Tilo ist Schluss. Nach sechs Jahren. Ich fühle mich … keine Ahnung. Ich glaube, unfähig trifft es am ehesten. Es gab kein großes Drama, er hat mich nicht betrogen (soviel ich weiß), ich habe keine Szene gemacht. Wir haben uns einfach angesehen und wussten, dass es das jetzt war. Ok, vielleicht hat er doch ein ganz klein wenig trauriger ausgesehen als ich. Aber als ich mein Köfferchen gepackt habe und gegangen bin, hat er mich nicht aufgehalten und ich denke, das spricht doch irgendwie für sich. Unfähig, ja. Ich bin jetzt 34 Jahre alt und irgendwie dachte ich, Tilo wäre der Mann für die »große Nummer«. Naja, Haus bauen und Familie gründen halt. Wenn ich mit 34 nicht mal langsam zu Potte komme damit, wann bitteschön dann?? Andererseits kann das aber nicht der einzige Grund sein, um mit einem Mann zusammen zu bleiben, oder? Und da war eben immer diese kleine fiese Stimme, die mir ins Ohr raunte: »Er ist es nicht, Mel … du merkst es doch auch. Er ist toll, schon gut. Er ist lieb und nett und treu und er liebt Dich … aber er ist es einfach nicht.«

Nein, er war es nicht. Und darum ist es jetzt auch vorbei. Und ich bin die Unfähige. Ich habe überhöhte Ansprüche. Ich will, dass mein Partner auch der Stimme in meinem Ohr gefällt. Ich will, dass sie Ruhe gibt. Dass sie sich in ihren Ohrensessel verzieht und Socken strickt und zufrieden ihren Tee schlürft. Oder so etwas in der Art. Jedenfalls soll sie mich nicht mehr nerven. Aber bisher habe ich es nicht geschafft, sie dauerhaft zum Schweigen zu bringen. Immer hatte sie etwas zu meckern. Immer hat sie mich daran erinnert, dass irgendetwas … fehlt. Ich lernte einen Mann kennen, war begeistert, hatte leuchtende Augen … und sie verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Ich kann es ihr einfach nicht recht machen, der Stimme in meinem Ohr. Ich frage mich übrigens, woher die ihr Männerbild hat. Kann es sein, dass sie eines der hundert Bücher, die ich gelesen habe oder einen der hundert Filme, die ich gesehen habe, irgendwie zu ernst genommen hat? Seitdem glaubt sie nämlich, dass Liebe einen umhauen, einen innerlich zum Brennen bringen muss, einen Dinge versprechen und schwören lässt, für die man sich zuvor für verrückt erklärt hätte. Ich selbst glaube ja, dass es da einen traurigen, aber wahren Unterschied gibt zwischen Literatur und Realität. Aber die Stimme in meinem Ohr hört nicht auf, Jane Austen zu zitieren und die Brontë-Schwestern und in unpassenden Momenten ganze Passagen aus Julia-Roberts-Filmen aufzusagen und sie besteht darauf, dass es so etwas auch für mich geben muss. Für weniger ist sie nicht bereit, ihr OK zu geben.

Und darum bin ich jetzt nicht mehr mit Tilo zusammen. Darum habe ich mein Köfferchen genommen und wieder von vorn angefangen. Neue Wohnung, neue Möbel, neues Leben. Das Gute ist: Ich kann es mir leisten. Wenigstens im Job läuft es gut. Die Agentur mag mich, die Auftragslage stimmt. Ich schreibe Werbetexte und kann damit Leute von allem möglichen Unsinn überzeugen. Aber mich selbst und vor allem die Stimme in meinem Ohr nicht. Der kann ich keinen Kerl anpreisen, als sei er ein Hauptgewinn. Sie merkt sofort, wenn es in Wirklichkeit wieder nur ein Trostpreis ist. Nun ja. Im Job jedenfalls ist alles ok. Das ist nicht alles, aber es ist viel wert. Ich bin unabhängig. Ich brauche keinen Mann. Jedenfalls nicht so. Nicht, um mich zu ernähren oder um mein Leben zu finanzieren oder mich auszuhalten oder dergleichen. Das kann ich alles selbst und das fühlt sich ziemlich gut an. Wenn ich überhaupt einen Mann brauche, dann aus anderen Gründen.

Was denn? Eine Frau hat eben Bedürfnisse! Und die lassen sich nun einmal nicht alle im Alleingang stillen. Zehn gesunde Finger? Ja, sicher. Einen Nachttischschrank voller netter kleiner Spielsachen? Ja, auch das. Aber seien wir doch mal ehrlich: Das Gleiche ist das nicht. Es ist … einsam. Auf Dauer. Was tut man also als Single - dieses Wort allein, oh je! Ich muss mich erst einmal daran gewöhnen – gegen diese Form von Einsamkeit? Meine Antwort lautet: Man wirft sich ins pralle Leben und sucht sich was zum Vögeln, wenn einem danach ist. Männer können sowas auch. Und auch viele Frauen. Einige meiner Freundinnen konnten das. Bevor sie dann selbstverständlich allesamt ihrem »Mr. Right« begegnet sind und schwanger wurden und heirateten und nun keine anderen Gesprächsthemen mehr haben als die Konsistenz des Windelinhalts ihrer Sprösslinge oder die tausend Vorzüge ihrer wundervollen Ehemänner. Wieso ist denen das alles passiert und mir nicht? Vielleicht, weil meine Freundinnen alle weniger Brontë und Austen gelesen haben, sondern mehr Gala und Bild der Frau? Weil sie sich Strähnchen und schicke Kunststofffingernägel haben machen lassen und ausgegangen sind, während ich meine Nägel lieber bis aufs Nagelbett abkaue und blass und ungesträhnt in meiner Bude hockte und Bücher lese? Ich kann nichts dafür, dass ich gern lese und Plastiknägel scheußlich finde und dass mein Haar nur eine einzige, langweilige Farbe hat. Ok, ich kann was dafür. Aber ich bin eben auch nicht bereit, mich in etwas oder jemanden zu verwandeln, der ich nicht bin (in eine Tussi, zum Beispiel), nur um endlich dem Traumprinzen zu begegnen. Der würde sich dann ja in die Tussi verlieben, die ich eigentlich gar nicht bin, und nicht in mich.

Ok ok, ja, ich gebe es zu: »Tussi« ist fies und vielleicht bin ich ein wenig neidisch. Ich wollte das auch. Ehemann und Windelinhalt und so. Ich wollte es mit Tilo. Eigentlich. Nur irgendwann wollte ich es nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr mit ihm. Und inzwischen weiß ich gar nicht mehr, ob ich es überhaupt noch will. Dieser ganze Familienkram … wird der nicht grandios überbewertet? Davon abgesehen: Wie viel Zeit habe ich noch, um einen Mann kennenzulernen, der bei dem Gedanken, eine Familie zu gründen, nicht schreiend davonläuft, als hätte man ihm mit der beidseitigen Daumenschraubenfolter gedroht? Bis wir uns dann zusammengerauft haben, bin ich fast 40 und dann fange ich mit dem ganzen Mist auch nicht mehr an. Ist doch wahr.

Nein, Schluss. Ich werde ab sofort viel mehr im Hier und Jetzt leben. Ich bin Single und das ist gut so. Es ist kein Stigma, kein scharlachroter Buchstabe auf der Bluse, kein Mal, das man auf die Stirn gebrannt bekommt und dessen man sich schämen muss. Im Gegenteil. Es bedeutet Freiheit. Es bedeutet, so viele Bücher lesen zu können - und das auch bis weit nach Mitternacht - wie ich will. Es bedeutet, BH und Slip nicht immer zueinander passend aussuchen zu müssen. Es bedeutet mehr Tage in meinen heißgeliebten Chucks und weniger in widerlich unbequemen High Heels. Es bedeutet mausfarbenes Haar ohne erkennbare Frisur und absolut kein Problem damit. Es bedeutet: was geschieht, ist meine Entscheidung und meine allein. Es bedeutet: sich vor niemandem und für gar nichts rechtfertigen und entschuldigen zu müssen. Es bedeutet: eine unendliche Vielzahl von Möglichkeiten. Jawohl. Ich werde gern und mit Begeisterung Single sein. Gleich morgen fange ich damit an.

Mi. 29.08.12

Hatte ich nicht erwähnt, dass zu viel Selbstbefriedigung und zu viele Sextoys in der Schublade einsam machen? Nun ja …

Frei nach dem Motto »kein Alkohol ist auch keine Lösung« habe ich den Beginn meines Single-Daseins dennoch ganz für mich allein gefeiert. Mit einem Sexshop-Besuch. Nein, ich war nicht ganz allein dort, das wäre mir dann noch etwas zu armselig vorgekommen. Es war so ein klassisches Mädelsabend-Ding. Angeheitert durch diverse Proseccöchen verkündete Jule (beste Freundin und auch einzige, die bisher zwar nicht von Strähnchen und Plastiknägeln, dafür aber von Ehemann und Kindern verschont geblieben ist), dass sie mir jetzt den besten Männerersatz der Welt beschaffen würde. Einen, der immer genau dann will, wann man selbst auch Lust hat, der immer sofort die richtigen Punkte findet und einen, der sich hinterher nicht grunzend und schnarchend auf drei Vierteln des Bettes breit macht. Naja, nicht dass ich so einen nicht schon hätte. Ich bin ja eine moderne, aufgeschlossene Frau von heute, also habe ich auch einen Dildo. Und einen Vibrator. Einen, der aussieht wie eine Raupe. Den hat Tilo mir mal geschenkt und fand das irre frivol. Ich weiß bis heute nicht, was ich davon halten soll, es mir mit einer Insektenlarve zu besorgen.

Wir also rein in den Sexshop. Den großen mit der vielen Neonbeleuchtung und den Schaufensterpuppen mit den kunstledernen Domina-Outfits. Soll das eigentlich cool wirken? Oder stylish? Ich finde es immer irgendwie … ja, sagen wir es doch mit gerümpfter Nase: billig, wie diese Läden daherkommen. Da war noch einer, der hatte so einen 70er-Jahre-Vorhang aus bunten Plastikbändern im Eingang hängen. Der war bestimmt auch aus den Siebzigern. Der Vorhang. Und der Laden. Bäh. In den sind wir also nicht, der war uns zu schmuddelig. Wir sind in den großen, steril wirkenden mit dem Neonlicht. Man, sieht man da im Spiegel immer scheiße aus. Kreidebleich, übernächtigt. Ob einen so ein frustrierender Anblick im Spiegel dazu bringt, sich Sexspielzeug zu kaufen? Keine Ahnung. Man weiß es nicht. Ich wäre ja wieder gegangen, aber Jule wollte noch eine Weile herumkichern. Wir also in die Ecke mit den Porno-DVDs. Da, wo die Grenze zwischen Faszination und Ekel am dünnsten ist. Jedenfalls, wenn man sich mal eingehender die Bilder auf den Covern anschaut. Ich weiß eigentlich auch so, dass es in einer Sexshop-Pornoecke keinen Geschmack gibt, der nicht bedient wird. Sowas weiß man ja. Aber sich davon mit eigenen Augen zu überzeugen, das ist nochmal was anderes. Nichts für schwache Mägen. Kein Exkrement, keine Körperausscheidung, die nicht der Befriedigung des sexuellen Spieltriebs dienen kann. Und ich meine keine. Jule kicherte immer noch, aber mir wurde langsam elend und ich sah mich lieber anderweitig um. Im hinteren Teil des Raumes führte eine Treppe ins Untergeschoss. Ah, das Verlies, ging es mir durch den Kopf. Da ist bestimmt die »Schlag mich«-Abteilung untergebracht. Ich stieg hinunter und … richtig. Schwarze Kleidung auf Stangen vor schwarz bemalten Wänden. Lack, Latex und Leder, den ganzen Körper bedecken wollend oder aber nur das Notdürftigste verbergend. Mein Blick fiel auf eine Puppe mit einer Gasmaske, daneben eine weitere mit Ballknebel im Mund. Nicht meine Baustelle. Ich bin klaustrophobisch und habe einen sehr empfindlichen Würgreflex. Und wieso muss das eigentlich immer in den Keller? Hat die Branche ein Imageproblem? Ist das so schmutzig, dass es weggesperrt gehört? Ich weiß es nicht. Aber es interessiert mich auch nicht besonders. Ich habe de Sade auch gelesen – ich lese ja viel – und ja, es ist nicht so, als hätte mich das alles gar nicht angesprochen. Ich finde vor allem die Psychologie dahinter spannend. Irgendwie könnte ich mir schon vorstellen, solche Dinge zu probieren … Aber kein noch so dominanter Dominanter würde mich dazu kriegen, mich in so einen Latexfummel mit Strippen- und Schnallengedöns zu zwängen und mich zu kostümieren wie auf einem Science-Fiction-Fantreffen. Oder diese Nummer mit dem Hundehalsband und der Leine. Bah. Inakzeptabel. Aber da waren doch auch … ich ging noch ein paar Stufen hinab. Da hinten, an der Wand. Ich trat noch näher heran. Dort hingen und lagen diverse kleine und größere Werkzeuge, die ich doch irgendwie spannend fand. Hand- und Fußfesseln aus gepolstertem Leder, versehen mit Ösen und Karabinerhaken aus Metall. Ich fuhr mit den Fingern über das Material - weich und doch fest - und atmete den Geruch ein. Ich stellte mir vor, wie jemand mit energisch zusammengepressten Lippen und Feuer in den Augen meine Hände packte und hinter meinem Rücken fixierte. Ich ging weiter an den Regalen entlang. Dann würde dieser Jemand mir vielleicht die Augen verbinden und ich könnte nichts weiter tun als mit klopfendem Herzen darauf warten, was als nächstes geschah. Und dann … ich blieb stehen und betrachtete einige … ja, was genau war das eigentlich? Ich nahm eines in die Hand. Ein Griff aus dunklem Holz schmiegte sich angenehm in meine Handfläche. Daran befestigt eine Art Paddel. Auf der einen Seite mit Leder bezogen, auf der anderen mit einem samtenen Stoff. »Knie dich hin«, sagt der Jemand zu mir in meiner Vorstellung. Dann schiebt er mir das Höschen vom Po, sodass ich ihm mein nacktes Hinterteil präsentiere. Im einen Moment hocke ich dort, nackt und bloß und ausgeliefert und im nächsten Moment spüre ich dann dieses Paddel auf mir. Erst die samtene Seite, die meine Haut liebkost. Dann ein Zischen, das die Luft durchschneidet und im nächsten Moment die lederne Seite, die mit einem lauten Klatschen meine Pobacke zum Glühen bringt. Mein kurzer Aufschrei. Dann wieder das Streicheln des Samtes. Dann ein erneuter Schlag. So lange, bis mein Hinterteil in Flammen zu stehen scheint … Ich blickte auf und blinzelte meinen Tagtraum fort. Warum nochmal war ich hergekommen? Ach ja. Spielzeug.

Ich legte das Lederpaddel zurück an seinen Platz und stieg die Stufen wieder hinauf. An der Wand direkt gegenüber der Treppe, da hingen sie. Reihe um Reihe von mehr oder weniger naturgetreuen Nachbildungen sämtlicher penetrierbarer menschlicher Körperöffnungen in Gummi. Daneben Schwänze aus Plastik und Silikon in allen Farben des Regenbogens.

Ganz ehrlich? Ich schritt skeptisch das Angebot ab. Je »naturgetreuer« es sein soll, desto mehr stoßen mich diese Sachen ab. Riesenschwänze aus fleischfarbenem, wabbeligem Gummimaterial, das einen unverkennbaren Geruch nach chemischen Lösungsmitteln ausströmt. Igitt. Und diese Verpackungen mit den Fotos von sich willig räkelnden naturgeilen Weibsbildern mit grotesken Körbchengrößen. Und die Namen dieser Spielzeuge. »Horny Hugo«, »Big Jimbo« oder »Wet Dream Deluxe«. Entweder, das Zeug verseucht einem bei der Erstbenutzung den Blutkreislauf mit Giftstoffen oder aber es fällt einem schon vorher zwischen den Fingern auseinander, noch während man versucht, die Batterie reinzufummeln. Das alles ist so abturnend und unsexy, dass ich … aber Moment mal, was war denn das? In einer verschließbaren Vitrine in der Nähe der Kasse präsentierte man offensichtlich die hochpreisigeren Exemplare. Die, die zu klauen sich lohnen würde. In mehr als einer Hinsicht, wie ich bei näherer Betrachtung vermutete. Einige dieser sehr schicken, sehr schnörkellos durchdesignten Teile sahen aus wie Wohnaccessoires. Man könnte sie zu Hause auf der Anrichte platzieren und jeder besuchenden Schwiegermutter mit unbewegter Miene erklären, es handle sich um ein Designobjekt, das man in der letzten Ausgabe von »Schöner Wohnen« entdeckt hätte und sofort haben musste. Skandinavisches Minimaldesign, ist ja total angesagt momentan. Und dann, wenn die Schwiegermutter fort war, nähme man das Schätzchen mit ins Boudoir und führte es seiner wahren Bestimmung zu …

So eines wollte ich mir mal genauer anschauen. Der Typ hinter dem Kassentresen sah schmierig aus, hatte einen Nasenring und schlecht gemachte Tattoos. Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen, ich mag Tattoos und Piercings. Gut gemacht kann beides durchaus dazu beitragen, einen attraktiven Körper noch attraktiver wirken zu lassen. Wenn es das war, was der Kerl an der Kasse beabsichtigt hatte, muss ich leider sagen: schief gelaufen. Ist halt immer alles auch eine Typfrage. Egal. Ich bat ihn jedenfalls, mir eines der skandinavischen Designobjekte aus der Vitrine zu holen. Er kam meiner Bitte nach und hinterließ dabei fettig-feuchte Fingerabdrücke auf dem Glas.

»Gute Wahl, schöne Dame«, nuschelte er, während er einen schlichten, geschwungenen Stab in meine Hände legte. »Wir importieren diese Schätzchen direkt aus den Staaten. So was Feines gibt es bei uns gar nicht. Die sehen nicht nur schick aus, die haben auch mächtig Power. Hier.« Und damit drückte er am Ende des Stabes einen fast unsichtbar angebrachten Knopf. Der Stab begann kaum hörbar zu brummen, dafür aber deutlich merkbar zu vibrieren. Woah! Ich sah den Mann an der Kasse verblüfft an. »Tjaha«, lachte der und ließ dabei eine Reihe gelblicher Zähne sehen, »der geht ab wie Schmidts Katze, das kann ich dir versichern. Hehe.«

Ich war beeindruckt und schielte nach dem Preisschild. Von hinten trat die bereits im Pornodschungel verloren geglaubte Jule an mich heran und spähte mir über die Schulter. »Uuui, sehr nett. Zeig mal.« Der Kassentyp erzählte Jule etwas vom Mercedes unter den G-Punkt-Stimulatoren, während ich schon in meinem Portemonnaie das Geld zusammenkratzte. »Haste gesehen, was der Mercedes kostet!?«, zischte Jule mir zu und ich zischte zurück: »Lass mich, ich will jetzt mal dekadent sein«, und fragte den Kassentypen, ob er das Modell noch einmal originalverpackt da hatte. Ohne dass er bereits mit seinen Patschehänden dran gefummelt hatte, fügte ich im Geiste mit einem Gruseln hinzu. Ja, ich habe eine zuweilen sehr niedrig angesetzte Ekelgrenze.

Fazit meines Besuchs im Sexshop: Ich mag die immer noch nicht. Die allermeisten wirken schmuddelig und billig, ebenso wie 95% der dort angebotenen Ware. Aber für die restlichen 5%, oder genauer für EIN ganz bestimmtes Exemplar dieser 5%, war ich dem schlecht Tätowierten wirklich, wirklich dankbar. Seine Turbovibration setzt bei der kleinsten Berührung alles in mir in Schwingung und es fühlt sich aufregend und intensiv an, wenn ich es über meine Haut führe, über meine Nippel, zwischen meine Schenkel. Es kann und will immer, wenn ich will, es will »danach« nicht kuscheln oder schnarchend einschlafen, es passt mühelos mit mir in meine kleine Badewanne und es hat eine sowas von eingebaute Orgasmusgarantie, dass mir jedes Mal die Ohren klingeln.

Mo. 03.09.12

Ich weiß nicht, ob ich das wirklich für die Nachwelt festhalten sollte, aber ich habe jetzt auch ein Online-Profil. Ein Alter Ego aus Bits und Bytes. Eine virtuelle Identität. Ich zögere deswegen, das hier so offen niederzuschreiben, weil ich eigentlich immer der Meinung war, Online-Partnersuche ist was für karohemdentragende Nerds, Typen, die mit 40 noch bei Mutti wohnen und sonstwelche übriggebliebenen Bedauernswerten. Für alle, die es eben nicht gebacken kriegen, im realen Leben jemanden kennenzulernen.

Schon gut, mir ist bewusst, dass das ein blödes Vorurteil ist, dem ich keine selbst gemachten Erfahrungen entgegensetzen kann. Bis jetzt nicht. Denn gestern habe ich mir auf einer großen deutschen Erotikplattform ein Profil zurechtgebastelt. Ich hätte auch »Partnersuche Online« oder »Akademiker unter sich« wählen können, aber nachdem ich mich da umgesehen hatte, stellte ich fest, dass ich mich so im Moment nicht sehe. Ich suche ja gar nicht. Keine feste Beziehung zumindest. Zu dem Entschluss bin ich wenigstens gekommen. Ich will einfach für den Moment gern Single sein, ein paar Möglichkeiten kennenlernen und mich umsehen, bevor ich wieder in so eine ernste Sache mit Erwartungen und Kompromissen schliddere. Ich bin also nicht auf Partnersuche und auf pseudo-elitäre Vereine, wo man Menschen nach dem Bildungsstand aussortiert, steh ich sowieso schon mal gar nicht. Also keine golfspielenden, kulturinteressierten Rechtsanwälte mit blendend weißen Jacketkronen für mich. Stattdessen habe ich mich auf einer Seite angemeldet, wo es primär um Sexkontakte geht.«Sinnliche Suche«. Ha. ICH. Ich meine, mit 34 bin ich ganz sicher kein unbeschriebenes Blatt mehr. Ich weiß, wie es geht. Denke ich. Dachte ich. Bevor ich angefangen habe, mich auf dieser Seite mal genauer umzuschauen. Seitdem hatte ich das eine oder andere Aha-Erlebnis. Gut, ok, von einigen Dingen hätte ich besser nie erfahren. Es ist schwer, gewisse Bilder wieder aus dem Kopf zu bekommen. Aber andere Dinge … fand ich zumindest interessant genug, um sie meinem Profil als Möglichkeit hinzuzufügen. Ich bin jetzt also die »Waldfee79« und ich möchte meinen Horizont erweitern und suche dafür nette Begegnungen auf freundschaftlicher Basis, vielleicht auch mehr. Blablabla. Wie man das eben so schreibt. Viele Worte und erst mal nichts ausgesagt. Reichte aber vollkommen aus, um mein virtuelles Postfach innerhalb kürzester Zeit überquellen zu lassen. »Sie haben 45 neue Benachrichtigungen.« Hoppla. Ok, die ersten vier waren vom Administrator und hießen mich erst willkommen und wiesen mich dann – mehrfach - darauf hin, dass ich mit einem Premium-Profil ja noch viel mehr Möglichkeiten hätte, mit anderen Usern in Kontakt zu treten. Jaja, vielleicht später. Für den Moment lief es auch so ganz gut. Einundvierzig geöffnete Mails später war ich mir da schon nicht mehr ganz so sicher. Siebenunddreißig dieser Kontaktaufnahmen waren schlicht und einfach unbrauchbar. Geistlose Ein- oder Zweizeiler, zehn Rechtschreibfehler in dem Satz »Hi, wie geht es Dir?«, standardisierte Anfragen ohne Anrede oder Gruß, ungefragt zugeschickte Bilder männlicher Geschlechtsteile, Kontaktwünsche von »Honigbärchen43« mit Bauchansatz und Halbglatze und von »HengstsuchtStute«, der sich in Shorts, Tennissocken und Klettverschlusssandalen irgendwo am Strand von Mallorca ablichten ließ und das Bild mit der Unterschrift »meinereiner« versah.

Ja, vielleicht bin ich ein Snob. Vielleicht fühle ich mich gewissen Menschen intellektuell auf eine Weise überlegen, die ein näheres Kennenlernen von vornherein ausschließt. Ich könnte sagen, das täte mir leid. Tut es aber nicht. Was soll ich mit einer Mail, die aus den beiden Worten »echt nice« besteht? Was soll das sein? Ein deutscher Satz? Ein englischer Satz? Überhaupt ein Satz? Subjekt, Prädikat, Objekt? Fehlanzeige. Erwarten Leute, die so etwas schreiben, darauf eine Antwort? Und wenn ja, was für eine?? You are aber auch nicht schlecht? Fragen über Fragen … Aber hey, immerhin habe ich vier Mails übrig behalten. Das sind vier Männer, deren Profil zumindest nicht ganz und gar abschreckend auf mich wirkte und denen ich sogar zurückschrieb. Einige Mails später stellte sich heraus, dass die Bilder von Thorsten aus Würzburg zehn Jahre alt waren und dass das Alter es nicht unbedingt gut gemeint hatte mit ihm, dass Michael aus Remscheid nur dann Single war, wenn man seine Ehefrau außer Acht ließ (was er regelmäßig tat) und dass Jürgen aus Mühlhausen eigentlich lieber Susanne genannt werden wollte.

Und dann war da noch Tom. Tom hatte offenbar meinen Profiltext gelesen (anscheinend eher die Ausnahme als die Regel im Procedere auf Onlineplattformen) und Tom schrieb ganze Sätze, mit Anrede und Grußformel. Jaja, nennt mich alle spießig, aber das hat ihn schon einmal für mich eingenommen. Dazu kam, dass er einen fiesen kleinen, augenzwinkernden Humor besaß, der meinem nicht ganz unähnlich war. Ich musste mehrmals schmunzeln, als ich seine Mail las. Er hatte kein Bild in seinem Profil und während ich seine Zeilen las, brummelte ich vor mich hin, dass er bei meinem Glück bestimmt aussah wie eine Kreuzung aus Oscar aus der Mülltonne und altersschwachem Grizzlybär. Ich fragte ihn erstmal lieber nicht nach einem Foto. Und er schickte erstmal auch keines. Das machte mich etwas unsicher, aber auch neugierig. Wenn Tom einer dieser durchgeknallten Online-Psychopathen war, dann machte er seinen Job ziemlich gut. Bereits nach wenigen Tagen begann ich, mich auf seine Mails zu freuen. Und mich zu fragen, ob das eine gute oder eine schlechte Entwicklung war. Denn immerhin könnte es so sein, dass Tom gar nicht existiert. Oder aber ganz anderes ist als er in seinen Mails »klingt«. Ich bilde mir eigentlich ein, ein gewisses Gespür für Menschen zu haben, aber wenn man jemanden nur virtuell kennt, dann ist dieses Gespür schwer bis gar nicht anwendbar. Virtuelles Papier ist irre geduldig. Tom könnte ein alter, einsamer Knacker sein, eine Frau oder ein Teenager, der sich einen Jux mit mir macht.

Ich versuche jetzt also, mich verhalten zu freuen. Gleichzeitig überlege ich, was ich Tom bieten will? Soll ich eine Riesenshow machen? So eine Art virtuelle Verkleidung, so ähnlich wie Strähnchen und Plastiknägel? Soll ich mich schicker und begehrenswerter machen, als ich bin und vor allem, als ich mich fühle? Gewicht ein wenig nach unten, Oberweite ein wenig nach oben, und Alter ist ja sowieso relativ … oder? Viele machen das so, das war mir bereits nach wenigen Tagen Mitgliedschaft bei der »Sinnlichen Suche« klar. Alles eine Riesenshow. Nee. Ich glaube, das ist mir viel zu anstrengend. Ich bin da ein eher bequemer Mensch und solche Flunkereien können ganz schön aufwendig werden. Wie alt hatte ich mich jetzt noch gleich gemacht? BH ausstopfen oder nicht? Und wenn er doch dahinter kommt, wie steh ich dann da? Nein danke. Zu stressig. Wozu soll ich mich anders darstellen, als ich wirklich bin? Käme ein Treffen mit Tom je in Frage, dann kämen all meine Ausschmückungen der Wahrheit ohnehin ans Licht und ich sähe aus wie ein unreifes, verunsichertes, Lügen erzählendes Huhn. Käme kein Treffen in Frage und man schreibt sich einfach nur eine Weile nett hin und her, dann ergibt doch dieser ganze Bluff von vornherein keinen Sinn. Ich bleibe also die, die ich bin. Ich werde einfach vorsichtig sein und ihm zunächst nur wenige Details über mich erzählen. Aber das, was ich erzähle, wird die Wahrheit sein. Und warum auch nicht? Tom schrieb mir dazu, er fände es schön, dass ich mich nicht verstellen würde. Ich fragte ihn, woher er das denn wisse und er meinte, er hätte da so eine Ahnung. Aha. Eine Ahnung.

Das meiste, was ich auf dieser Online-Plattform vorfand, interessierte mich ziemlich schnell nicht mehr. Ich las ein wenig im Forum herum, das eine oder andere faszinierte mich auch und machte mich neugierig, aber im Großen und Ganzen wurde meine misanthropische Grundeinstellung durch meinen kleinen Auftritt bei »Sinnliche Suche« mehr als bestätigt. Die meisten Menschen sind einfach wirklich dumm und nervtötend und gerade wenn es um einen rein virtuellen Auftritt geht, geben sie sich auch wirklich keinerlei Mühe, das irgendwie zu verbergen. Geistlos, unhöflich, peinlich. Wieso vergessen Menschen, die sich online austauschen, gern, dass sie es mit anderen Menschen zu tun haben und nicht nur mit einer Maschine? Im Alltag geben sich die meisten Leute zumindest noch einen zivilisierten Anstrich, wahren die wichtigsten Formen und fallen nicht völlig unangenehm auf. Aber online gibt es da ganz offensichtlich keinerlei Hemmungen mehr. Wären da nicht die Mails von Tom gewesen, ich hätte das Experiment Online-Partnersuche recht schnell wieder beendet und mich zu meinen Büchern verkrümelt.

Aber es gibt Tom. Und es gibt Jule, die mein Experiment »Wir suchen uns online einen Kerl« total spannend findet und jeden Tag nachfragt, wer mir denn jetzt wieder geschrieben hätte und wann ich denn nun endlich den ersten Kandidaten treffen würde. Ich gestehe, ich bin da auch ein Stück weit feige. Ich verstecke mich hinter dem Rechner und traue mich nicht so recht hervor. Tom hat mich bisher nicht nach einem Date gefragt und bisher wäre er der einzige, für den ich mich hinter den Tasten hervor in die Realität wagen würde. Aber das habe ich ihm noch nicht gesagt. Er soll ja nicht denken, dass ich es nötig hätte. Hab ich nicht. Und wenn Jule es nicht abwarten kann, soll sie sich selbst ein Profil basteln. So.

So. 09.09.12

Jule ist umgezogen und hat mich zu ihrer Einweihungsparty eingeladen. Natürlich wollte ich nicht gehen, denn Partys – noch dazu welche, auf die ich allein gehen muss und auf denen ich niemanden kenne – stehen auf meiner langen Liste von Dingen, die ich verabscheue, wirklich ganz weit oben. Am schlimmsten ist der Moment, an dem man durch die Tür tritt und alle schauen einen an. Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sein steht natürlich auch auf meiner Liste. Ich meine … ich bin eigentlich nicht so eitel. Ich benutze kaum Make-Up, sondern arrangiere mich mit meiner vornehmen Blässe, ich weiß nie, was ich mit meinen Haaren machen soll, also klemme ich sie meist mit irgendeiner Spange an meinem Hinterkopf zusammen, ich bin ein wenig zu dünn und ein wenig zu flachbrüstig, um irgendwie spektakulär daherzukommen und ich mag meine ausgelatschten Chucks und ich mag Pullis, bei denen die Ärmel so lang sind, dass sie bis über die Hände reichen. Jule weiß das alles und hatte deshalb schon am Telefon gesagt »Gib dir etwas Mühe, es kommen ein paar sehr nette Single-Herren.« Bah. Kuppelaktion! Spätestens da wollte ich gar nicht mehr hingehen. Ich würde Schuhe mit Absatz tragen müssen und damit ständig umknicken und irgendein Outfit, an dem ich den ganzen Abend herumzupfen würde, weil ich mich darin nicht wohl fühlte … und so würde ich dann bei Jule in der Tür stehen und alle würden gucken. Die Männer würden einmal kurz schauen, überlegen, dass ich zu langweilig und unscheinbar wirke und sich dann dankenswerterweise wieder anderen Dingen zuwenden. Frauen sind da anders. Die gucken nicht einfach nur, die mustern. Dieses abschätzige Abscannen von Geschlechtsgenossinnen bei öffentlichen Veranstaltungen ist mir ein Gräuel. Wieso käme ich nie auf die Idee, so etwas zu machen? Ich meine, schließlich bin ich auch eine Frau. Aber mit diesen Damen, die im Partyfummel grüppchenweise herumstehen, zwischen den makellos manikürten Fingernägelchen den Stil eines Proseccoglases drehen, aufgesetzt über die nicht komischen Witzeleien der anderen kichern und die Neuankömmlinge mustern, habe ich etwa so viel gemein wie … keine Ahnung, meine Chucks mit einem Paar von Jules Killerstilettos von Jimmy Choo. Ja, Jule ist auch so eine. Oder eigentlich ist sie das zum Glück nicht. Sie ist unglaublich attraktiv. Ich habe sie vor vier Jahren bei so einem Media Meeting Event kennengelernt. Sie ist Resort-Leiterin in einem Verlag und sie war mir in der Runde am Stehtisch sofort aufgefallen. So wie jedem anderen, der an diesem Tisch stand. Blonde Haare, perfekt gesträhnt und gewellt bis fast in die Taille, veilchenblaue Augen, perfekt manikürte Hände, eine Figur mit sinnlichen Kurven, die sie umwerfend in Szene zu setzen wusste. Jule hat alles. Nur nicht die passende Zickenattitüde dazu. Und dafür liebe ich sie. Sie ist sehr entspannt und hat es nicht nötig, andere Stuten wegzubeißen. Sie ist einfach gern Frau und das merkt man ihr auch an. Dabei lacht sie laut und herzhaft wie ein Kerl und wenn sie Champagner trinkt, dann rülpst sie und murmelt danach »’Tschuldigung« und grinst. Wieso sie keinen Mann hat? Es ist mir ein Rätsel. Sie wurde ein paarmal sehr enttäuscht und ich glaube, sie hat einfach beschlossen, dazu so schnell keinem Mann mehr die Gelegenheit zu geben.

Aber zurück zu den Party-Abscannerinnen. Wenn solche Damen mich sehen, dann schauen sie erst einmal in mein Gesicht, dann wandern ihre Blicke von oben nach unten und wieder nach oben. Dann ziehen sie eine Augenbraue in die Höhe und um ihre Lippen spielt ein kleines, mitleidiges Lächeln. Dann weiß ich, jetzt haben sie mich in die Schublade für kleine graue Mäuse gesteckt, die keine Konkurrenz darstellen, und der Moment ist vorbei. Das Ganze dauert vielleicht drei Sekunden, aber ich hasse jede dieser drei Sekunden mit Leidenschaft, weil sie mir a) immer endlos lang vorkommen und weil sie b) immer das Wenige zerstören, was ich an Selbstbewusstsein überhaupt habe. Ich mag mich so, wie ich bin, verdammt noch eins. Und ich würde nicht ums Verrecken mit einer dieser Proseccotussis tauschen wollen. So sehr kann ich mich nicht verstellen und wenn ich mich noch so anstrenge! Ich bin ok so, wie ich bin. Das Gefühl habe ich eigentlich immer. Also, meistens. Oft. Außer halt in diesen drei Sekunden.

Ich bin trotzdem zu Jule. Sie hätte mir sonst wieder wochenlang ihren »Tja, wenn du glaubst, dass dir die gebratenen Tauben einfach so entgegenfliegen, wenn du nur mit aufgesperrtem Mund dastehst … darauf kannst du lange warten. Die moderne Frau von heute erlegt sich ihre Beute selbst«-Vortrag gehalten. Und weil wir zwei echte Freundinnen sind und Tussikonkurrenz und Stutenbissigkeit bei uns zum Glück keine Rolle spielen, hat sie ihre Beute an dem Abend sogar mit mir geteilt bzw. mir ein paar besonders gute Stücke selbstlos vor die Füße gelegt. Also, was sie so für gute Stücke hielt. Sie schien alles eingeladen zu haben, was bei ihr im Verlag arbeitet, männlich und Single war. Aber weder Karsten aus dem Controlling (Karohemd und Nerdbrille) noch Guido aus dem Lektorat (Rollkragenpulli und Seitenscheitel) noch Stefan aus dem Marketing (T-Shirt mit Atari-Logo, Skinny Jeans und bunte Turnschuhe) fanden an diesem Abend unter meinen Augen Gnade. Karsten hatte sich letzte Woche erst von seiner Freundin getrennt, Guido sprach mit mir so ausführlich über zeitgenössische Literatur, dass ich irgendwann das Gähnen kaum noch unterdrücken konnte (und das, obwohl ich Bücher mag … ich mag es nur nicht, wenn jemand bei einem lockeren Kennenlernen sein ganzes angelesenes Wissen über mir ausschüttet und erwartet, dass ich davon beeindruckt bin) und Stefan war so offensichtlich auf einen One-Night-Stand aus, dass es schon wieder unsexy rüberkam.

Ich bin kein Typ für One-Night-Stands. Ich habe mich schon oft gefragt, wieso das so ist. Nicht, dass ich es nie ausprobiert hätte … aber daher weiß ich eben auch, dass ich das Gefühl danach nicht mag. Selbst wenn es von vornherein klar ist, dass es eine einmalige Sache ist und darum keinerlei Erwartungshaltungen im Spiel sind, geht es mir hinterher schlecht. Das liegt nicht daran, dass ich Sex und Gefühl nicht trennen kann oder will. Ich kann schon sehr spontan Lust auf jemanden entwickeln, auch wenn ich ihn gerade erst kennen gelernt habe. Und Sex mit jemand ziemlich Fremdem ist unbestritten etwas besonders Aufregendes. Fremde Hände, die einen auf eine fremde Art anfassen, fremde Küsse, fremder Atem, fremde Haut. Das ist sexy. Absolut.

Der Punkt ist bei mir aber: Wenn ich jemanden sexy genug finde, um ihn in mein Höschen zu lassen, dann finde ich ihn meistens auch sexy genug, um ihn wiedersehen zu wollen. Es sei denn natürlich, die Nummer war vollkommen gruselig, aber das ist mir irgendwie noch nicht passiert. Wenn ich loslege, dann weil ich denjenigen wirklich gut finde. Und das ist dann auch schon der Grund. Denn wenn ich jemanden gut finde, dann kann ich gar nicht anders, als mir mehr zu wünschen als ein wenig horizontalen Tango und dann ein verlegenes »Hm ja, war nett mit dir, man sieht sich …«. Dann will ich den wiedersehen und noch mehr davon haben. Und wenn das dann nicht passiert, habe ich grundsätzlich das Gefühl, mich zu billig hergegeben zu haben. Für etwas, das gar keine Bedeutung hatte. Nur rein-raus, das war’s. Für mich ist Sex aber grundsätzlich mehr als rein-raus, mehr als mechanische Reibung primärer Geschlechtsorgane zum Zwecke der Orgasmusgewinnung. Orgasmusgewinnung kann ich auch ohne Kerl. Mit meinem neuen dänisch-amerikanischen Designerstück geht das ratz-fatz. Eine Werbepause reicht. Aber wenn da ein anderer Mensch beteiligt ist, dann ist das für mich immer auch ein wenig seelisches Nacktmachen. Der sieht, wie ich ohne Kleidung aussehe. Der fühlt, wie sich meine Haut anfühlt. Überall. Der schaut mir in die Augen, während seine Finger und andere Teile von ihm in mir drinstecken und er hört und spürt, wie sich mein Atem und mein Puls beschleunigen. Der ist dabei, wenn ich komme. Herrjeh, so etwas ist ungeheuer intim! Also, für mich. Das mal eben so zu erledigen und dann trennt man sich und sieht sich im Leben nie wieder … das hat bei mir immer einen schalen Beigeschmack gehabt. Ich bin mir immer irgendwie benutzt vorgekommen. Was blödsinnig ist, denn ich hatte es ja immer gewollt und hatte auch immer Spaß dabei und meistens auch einen Orgasmus. Woher also dieses Benutztgefühl? Ich weiß es nicht. Es fühlt sich immer an, als hätte ich im Verhältnis sehr viel mehr von mir weggegeben als ich zurückbekommen hätte.

Und weil das so ist, hat Stefan mit den Skinny Jeans von mir auch einen Korb gekriegt, auch wenn er so eine schicke verwuschelte Frisur hatte, in der ich gern mal meine Finger versenkt hätte. Naja. Man kann nicht alles haben.

Jule meinte am nächsten Tag, ich wäre selbst schuld gewesen, dass da nichts gegangen wäre. Sie hätte wirklich für jeden Geschmack etwas gehabt, aber mir sei ja nicht zu helfen. Nee, ist mir vielleicht auch nicht. Aber ihre Würstchen im Schlafrock vom Buffet, die waren lecker.

Fr. 21.09.12

Tom ist verheiratet. Gestern hat er es mir geschrieben. Also, noch. Noch ist er verheiratet. Seine Frau will die Scheidung. Warum, das hat er mir nicht gesagt. Das erzählt er mir ein anderes Mal, hat er gesagt.

Ehemänner, die in ihrer Ehe nicht glücklich sind, die von ihren Frauen vernachlässigt werden und deshalb die dringend benötigte Zuwendung woanders suchen, sind ein übles Klischee. Deshalb wollte ich eigentlich auch spontan den Mailwechsel abbrechen, als ich das las. Aber ich dachte mir, was soll’s, ich kenne ihn eigentlich gar nicht, also kann er mir nicht weh tun. Mal sehen, was er noch so an Stereotypen raushaut.

Er schrieb, er wäre nie gern treu gewesen und hätte seine Frau mehrmals betrogen. Das wird ja immer besser, schoss es mir durch den Kopf. Na gut, wieso sollte der Typ auch anders sein als andere Typen. Ob Tilo mich auch heimlich betrogen hat? Irgendwie traute ich ihm das nicht zu. Gemein, ich weiß.