Mensch 5.0 - Manfred Sieg - E-Book

Mensch 5.0 E-Book

Manfred Sieg

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Beschreibung

Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind keine Sache weniger Spezialisten und Unternehmen. Sie betreffen uns alle. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, dass wir eine neue technologische Entwicklungsstufe erreicht haben, die plakativ mit Industrie 4.0 umschrieben wird. Von überall her tönt die Botschaft: Alle haben sich dieser neuen Entwicklung anzupassen. Man spricht von HR 4.0 oder Arbeit 4.0. Vielen klingt das bedrohlich in den Ohren. Werden wir zu gläsernen Menschen? Werden wir zur Funktion künstlicher Intelligenzen? Wissen unsere Apps am Ende vor uns, was wir entscheiden? Werden wir nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Führungskräfte und Unternehmer entmachtet? Für die Autoren dieses Buches gibt es nur eine echte Lösung. Wir müssen zu einem neuen Bewusstsein von uns selbst und unserem Wirken vorstoßen: Mensch 5.0. Der Kern dieses Bewusstseins ist ein tieferes Verständnis von Kairos, der bedeutungsvollen menschlichen Zeitdynamik. Sein Nutzen liegt in einer zukunftsorientierten Unternehmens-, Mitarbeiter- und Selbstführung. Jede Lebensphase hat ihren eigenen Charakter und Schwerpunkt. Besonders im Berufsleben erfordert jede Lebensphase eine vernünftige zeitliche und inhaltliche Balance der vier Lebensbereiche: Ich, Beruf, Familie, Gesellschaft. Deswegen ist eine an den Lebensphasen des Personals orientierte Führung hilfreich. Mehr dazu und noch viel mehr erfahren Sie im Buch Mensch 5.0.

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Seitenzahl: 321

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Statt eines Vorwortes: Warum Sie dieses Buch lesen sollten

Wir wissen nicht, warum Sie dieses Buch lesen wollen. Vielleicht gehören Sie zu den vielen Menschen, die ein sorgenfreieres Leben führen möchten. Das heißt

in erster Linie gesund sein

(55 %),

genug Geld zum Leben haben

(15 %),

nicht alleine sein

(15 %),

eine gesicherte Zukunft haben usw.

Vielleicht gehören Sie zu den Führungskräften und Unternehmern, die auf der „Höhe der Zeit“ sein wollen und sollen. Aber was ist das genau? Sie machen es wahrscheinlich fest an der Zufriedenheit Ihrer Mitarbeiter und Kunden, an Rendite, Liquidität und Lebensqualität, an Ihren Überlegungen zur Zukunft.

Für solche Gedanken ist allerdings im Alltag wenig Platz. Was ihn bestimmt, sind eine überfordernde Informationsflut, wachsender Druck von allen Seiten, immer komplexere Zusammenhänge und Herausforderungen. Alles beschleunigt sich – außer der Zukunftssicherheit.

Aber da ist noch etwas. Ein Donnergrollen, das rasch näher zu kommen scheint und immer mehr anschwillt. Auf einmal sind Digitalisierung und künstliche Intelligenz, Industrie 4.0 und Human Resources 4.0 in aller Munde. Es klingt eher bedrohlich als verheißungsvoll. Was kommt auf uns zu aus dem Silicon Valley und anderen „Garagen“ auf der Welt? Wir scheinen als Menschen gläserner und abhängiger, als Führungskräfte und Unternehmer immer mehr entmachtet zu werden.

Wie reagieren Sie?

Viele Entscheider spüren, dass etwas getan werden muss, dümpeln aber weiter vor sich hin. Und dies, obwohl man weiß: wer untätig bleibt, verliert.

Zu dieser Passivität trägt es auch bei, dass gleichzeitig Unsicherheit herrscht hinsichtlich der notwendigen Maßnahmen, Aktionen und deren Erfolgsaussicht. Viele Unternehmer nehmen sich vergleichsweise zu wenig Zeit, um sich Gedanken zu machen, wie sie die Unternehmenszukunft gestalten.

Manchmal beobachten sie den Nachbarn oder schauen, was die Experten oder der Verband empfehlen. Oder sie hoffen, dass das Gewitter doch nicht so schlimm wie befürchtet ausfällt. Wie ist das bei Ihnen?

Wir glauben, dass es nicht genügt, sich den anstehenden technologischen Entwicklungen anzupassen und mehr oder weniger unsere Fachkenntnis in Technik, Betriebswirtschaft, Strategie und Führung zu verbessern.

Wir müssen tiefer ansetzen. Wir brauchen ein neues Selbstverständnis als Menschen. Wir gehen zu oberflächlich mit uns selber, unseren Mitarbeitern und Kunden um. Unsere Welt sieht heute so aus, wie sie ist, weil die Physik von der Mechanik zur Quantenmechanik vorstieß, das alte kausale Denken zu Kybernetik und Chaostheorie, die Biologie zur Genetik. Alles Feste hat sich in Dynamik und unsichtbare Beziehungen verwandelt. Nur wir selbst kleben an dem, was wir Charakter, Potenziale, Vorstellungen nennen. Unser Bild von Zeit ist fixiert auf Uhren und Kalender, unser geistiger Raum auf feste Begriffe und Bilder.

Schon deshalb sind wir nicht auf der Höhe der Zeit, weil wir ein veraltetes Bild von „Zeit“ haben. Wir werden den neuen Entwicklungen nur gewachsen sein, wenn wir unsere ureigene Dynamik in der Tiefe verstanden haben und entsprechend damit arbeiten, wie es die Physik schon lange vormacht.

Darum geht es in Mensch 5.0

Unser Leben, unsere Unternehmungen, unsere Geschichte haben nicht nur eine gewisse Dynamik. Sie sind Dynamik. Wir haben nicht nur Beziehungen. Wir sind Beziehungen. Wir sind Zeit und diese Zeit ist erfüllt von Rhythmen, Krafteinheiten, Entfaltungsmustern, die alle auf unser Optimum ausgerichtet sind.

Das klingt nach Philosophie. In Wirklichkeit geht es um die Entdeckung von etwas äußerst Praktischem: dem menschlichen Kairos. In ihm erfahren wir alle eine Dynamik und Intelligenz, an die keine künstliche Intelligenz je hinreichen kann.

20 Jahre Forschungsarbeit von Dr. Karl Hofmann förderte diesen Erfolgsfaktor menschlichen Lebens zu Tage. Kairos ist eine Art humaner „Navigator“, der unsere aktuelle Situation aus allen Zielen, Fähigkeiten und Hintergründen mit einem „inneren Steuerungssystem“ verbindet, das so persönlich wie universal ist.

Heute wissen wir, dass für jeden Menschen, und demzufolge für jede menschliche Organisation, die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensdynamik ein ungeheuer großes Potenzial an Erkenntnissen in sich trägt. Es geht um nicht weniger als die Resonanz-, Selbst- und Lebensentfaltung, die sich im jeweiligen Kairos in ihrem Optimum zeigen. Und noch mehr: es geht auch um unseren historischen Kairos, unseren „Fluchtpunkt“ in der geschichtlichen Gegenwart.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. Sie werden Denkanstöße und Handlungsimpulse erhalten. Am besten halten Sie das Buch griffbereit und nutzen es als Nachschlagewerk.

Alle Berufs- und Kundenbezeichnungen beziehen sich immer auf Frauen und Männer. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir die männliche Anredeform gewählt. Die Leserinnen, die selbstverständlich gleichermaßen angesprochen sind, bitten wir hierfür um Verständnis.

Wenn Sie Fragen haben, sich für Keynote-Referate oder firmenspezifische Workshops und Kairos-Analysen interessieren, so können Sie uns gerne kontaktieren. Ebenso freuen wir uns über Ihre Anregungen.

An dieser Stelle bedanken wir uns auch bei allen Menschen, die uns mit ihren Erfahrungen, Anregungen, Tipps und in sonstiger Weise unterstützt haben.

im Januar 2018

Dr. Karl Hofmann Manfred Sieg

Inhaltsverzeichnis

Kommentiertes Literaturverzeichnis

Kairos-Werkzeuge für Berater, Coaches und Trainer

Stichwortverzeichnis

Personenverzeichnis

Die Autoren

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1.1 Sache und Bedeutung

Abb. 1.2 Welt 1 und Welt 2

Abb. 1.3 Was ist die Zeit des Menschen?

Abb. 1.4 Zwei Energielinien – Ein Energiequadrat

Abb. 1.5 Stufenalter des Menschen

Abb. 1.6 Phasen und Rhythmen

Abb. 1.7 Die Resonanzentfaltung

Abb. 1.8 Die Selbstentfaltung

Abb. 1.9 Die Lebensentfaltung

Abb. 1.10 Das System der Lebensphasen

Abb. 1.11 Dreifache kairologische Lebenslinie

Abb. 1.12 Übergänge in der Lebensentfaltung

Abb. 1.13 Jeder Zeitpunkt bedeutet etwas anderes

Abb. 1.14 Lebensphasen – Charakteristik und Balance der Lebensbereiche

Abb. 1.15 Die Kairos-Lebensphasen im Beruf

Abb. 1.16 Kairos-Momente

Abb. 1.17 Überblick über die Selbstentfaltung des Okzidentalen Systems

Abb. 1.18 Die aktuellen Kairos-Generationsfelder

Abb. 1.19 Energetische Generationshierarchie

Abb. 1.20 Auto & Verkehr : Ich & Kultursystem

Abb. 1.21 Historischer Kairos und persönlicher Lebensweg

Abb. 1.22 Der Nutzen kairologischer Erkenntnis

Abb. 2.1 Selbstführung zur Balance der Lebensbereiche

Abb. 2.2 Prinzipien der Kairos-Strategie

Abb. 2.3 Problemlösungen

Abb. 3.1 Betriebswirtschaftlich orientierte Führung

Abb. 3.2 Die neue kairologische Führung

Abb. 3.3 Die vier Ebenen des Menschen

Abb. 3.4 Ergebnisse als Resultat der Kreativkraft

Abb. 3.5 Die energetische Hierarchie

Abb. 3.6 Mitarbeiter-Bedürfnisse und deren Abdeckung im Betrieb

Abb. 3.7 Die Mitmacher-Verteilung

Abb. 3.8 Das 7-Mit-Prinzip guter Führung

Abb. 3.9 Die lebensphasen- und lebensereignisgerechte Führung

Abb. 3.10 Mehr Wertschöpfung durch Wertschätzung

Abb. 3.11 Generationen nach dem 2. Weltkrieg

Abb. 3.12 Die 42. Kulturgeneration

Abb. 3.13 Die 43. Kulturgeneration

Abb. 3.14 Herkömmliche und kairologische Einteilung der aktuellen Generationen

Abb. 3.15 Das kairologische Sechseck

Abb. 3.16 Die Energetische Hierarchie

Abb. 3.17 Generationen- und Lebensphasen-Mix

Abb. 3.18 Die Lebensphasenstruktur im Unternehmen

Abb. 3.19 Die Lebensphasenstruktur im Vertrieb

Abb. 3.20 Kairologisch geführte Bewerberinterviews

Abb. 3.21 Neue Führungseigenschaften

Abb. 3.22 Denker – Fühler – Macher

Abb. 4.1 Kairos → das richtige Timing

Abb. 4.2 Die energetische Hierarchie

Abb. 4.3 Die Beziehungen im Unternehmensalltag

Abb. 4.4 Die wichtigsten Merkmale unserer perfekten Firma

Abb. 4.5 Unternehmens-Entwicklungsphasen

Abb. 4.6 Kairologisches Standardmodell

Abb. 4.7 Zukunftsorientierte Unternehmensführung

Abb. 4.8 Besser vorbereitet sein

Abb. 4.9 In welcher Phase befindet sich Ihr Unternehmen?

Abb. 4.10 Opfer oder Schöpfer?

Abb. 4.11 Vision

Abb. 4.12 Ein Marktführer braucht

Abb. 4.13 Kairologische Unternehmensentwicklungs-Analyse

Abb. 4.14 Die Unternehmens-Vitalität

Abb. 4.15 Das magische Dreieck

Abb. 4.16 Führen und managen

Abb. 4.17 Parallele Faktoren von Menschen und Unternehmen

Abb. 4.18 In Beziehung sein

Abb. 5.1 Professionelle Beratung ist sinnvoll

Abb. 5.2 Ein Notfallplan ist Pflicht

Abb. 5.3 Kapitalverlust mangels Investitionen

Abb. 5.4 Kundennutzen

Abb. 5.5 Preisnachlässe vernichten Vermögen (1)

Abb. 5.6 Preisnachlässe vernichten Vermögen (2)

Abb. 5.7 Preisverfall führt zu Gewinnrückgang + Vermögensverlust

Abb. 5.8 Es ist nie zu früh, sich um die Nachfolge zu kümmern

Abb. 5.9 Welcher ist der richtige Zeitpunkt?

Abb. 5.10 Jeder Zeitpunkt bedeutet etwas anderes

Abb. 5.11 Günstige Lebensphasen für die Übergabe

Abb. 5.12 Der Fahrplan eines Nachfolgeprojektes (1)

Abb. 5.13 Der Fahrplan eines Nachfolgeprojektes (2)

Abb. 5.14 Eine erfolgreiche Nachfolgelösung jetzt beginnen

Abb. 6.1 Der Weg zu Mensch 5.0

Die Abbildungen 1.6, 1.7, 1.8, 1.9, 1.20, 1.22, 4.1, 4.11, 4.12, 5.1, 5.2, 5.8, 5.9, 5.11, 5.14 enthalten Bilder von shutterstock.com.

1. Mensch 5.0 – Einführung zu einem neuen Kairos-Bewusstsein

1.0.1 Der Koch und Restaurantbesitzer

Stellen Sie sich vor, Sie seien von Beruf Koch. Sie beherrschen Ihr Geschäft, legen Wert auf die besten Produkte, haben gelernt, wie man aus ihnen schmackhafte Speisen bereitet. Doch dann stellen Sie ein Problem fest: der Herd funktioniert nicht, wie erwartet. Die eine Herdplatte wird nicht heiß, die andere glüht, obwohl sie gar nicht im Einsatz ist. Der Backofen hält die eingestellte Hitze nicht. Sie müssen sich umstellen, fangen wieder von vorne an, werden zu spät fertig. Sobald sie glauben, die Sache wieder im Griff zu haben, ändert sich erneut die Logik, nach der der Herd arbeitet.

In diesem Bild sind Fleisch und Gemüse, ihr Fachwissen und Werkzeug der Input, das servierte Essen der Output. Dazwischen aber geschieht das Eigentliche. Es muss in einer bestimmten Weise Energie zugeführt werden. Ein Schnitzel braucht eine bestimmte Zeit, Kraft und Bearbeitung, damit es wirklich schmeckt. Fällt die Energie ab oder ganz aus, hilft das beste Material und die beste Aufbereitung nichts. Sie mögen als Koch also noch so gut ausgebildet und mit Talenten gesegnet sein. Ihre Wirksamkeit hängt praktisch davon ab, wie ihre Energiequellen funktionieren.

Führen wir das Bild noch weiter:

Nun sind Sie auch noch der Besitzer des Restaurants. Es haben sich viele Gäste angemeldet, aber seltsamerweise bleiben sie fast alle aus. Ein Sturm wird befürchtet, die Ampeln fallen aus, der Verkehr kommt zum Erliegen. Passiert das öfter, hilft Ihnen die beste Küche nicht mehr. Ohne Kunden bleibt alle Mühe fruchtlos. Sie müssen schließen.

Um was geht es in dieser Geschichte?

Zunächst um die Energie, die der Koch benötigt. Früher hätte man vom Feuer geredet. Bei Feuer haben viele konkrete Bilder von Licht, Wärme und glühenden Holzscheiten vor Augen. Aber dieses Feuer meinen wir nicht. Heute sprechen wir meistens vom Elektroherd. Elektrizität ist nicht unmittelbar mit den Sinnen zu fassen.

Ihr Kern ist Kraft. Allerdings ist nicht jene Art von Kraft gemeint, die wir zum Beispiel als Muskelkraft oder Kraftstoff bezeichnen. Die hier gemeinte Kraft ist reine Beziehungskraft zwischen den Atomen bzw. Elektronen. Wer sie fassen will, stellt fest, dass er sie nur als Welle oder Korpuskel (kleinste Masseteilchen) erfassen kann. Die Beziehungskraft als solche ist real, aber unfassbar.

Was das Kochen betrifft, wissen wir durchaus, welche Bedeutung der Herd hat und dass der Koch von dessen Funktionieren abhängt.

Und bei uns selbst? Ist nicht jeder von uns ein solcher Koch? Alles, was wir mit unseren Sinnen aufnehmen, ist der Input. Wie wir damit umgehen, ist unser Output. Entscheidend ist, was dazwischen geschieht. Hier wird die Beziehung zwischen beiden Seiten hergestellt. Wissen wir bisher wirklich darum?

Über die Neurobiologie wissen wir inzwischen recht gut, wie die Küche unseres Gehirns aussieht, was wo steht und was wie gewöhnlich verarbeitet wird. Wir wissen viel über den Zusammenhang von Ursache und Wirkung in unserem Leben. Wir wissen auch viel über all das, was uns oft hindert, an unseren Herd zu kommen. Auch kennen wir viele Rezepte für alle möglichen Arten von Lebensmenü. Wir sehen auch, dass manche es irgendwie im Gefühl haben, wie sie mit ihrem „Strom“ umzugehen haben. Wir bewundern ihre Intuition und ihre großartigen Ergebnisse. Selbst aber arbeiten wir uns oft mühsam über Versuch und Irrtum voran.

Eine weitere Erkenntnis drängt sich auf. Als Gast sehen wir gewöhnlich den Koch nicht. Wie erkennen wir, dass der Herd funktioniert hat? Offenbar nur indirekt. Das Essen entspricht unseren Erwartungen. Es schmeckt. Es erweist sich als bekömmlich. Wir loben. Wir zahlen gern.

Und im menschlichen Leben? Auch da können wir bewusst nur wahrnehmen, was über unsere Sinne läuft. Wir haben im Bewusstsein keinen unmittelbaren Zugang zu jener menschlichen Kraft, die unsere Vergangenheit mit unserer Gegenwart und Zukunft in Beziehung setzt. Wir müssen sie uns immer auf einer sinnlichen oder begrifflichen Ebene bewusst machen. So verwandeln wir diese Kraft des In-Beziehung-seins genauso in alle möglichen Bilder, Texte, Reden, Fakten, wie wir am Handy die elektronische Welt als sinnlich fassbare Abbilder wahrnehmen.

Wir denken diese Kraft zum Beispiel als Sinn, den wir glauben. Wir fühlen sie als Liebe, die uns beglückt. Wir setzen sie als Wille, der uns (und andere) treibt. Wir halten dies für vernünftig und jenes für unvernünftig, dies für objektiv, jenes für subjektiv. Dieses macht uns aufmerksam, jenes nehmen wir gar nicht wahr. Wir werten ständig.

Wenn wir über dieses Bild nachdenken, kommen uns einige Fragen.

Was ist das für eine Beziehungskraft, die in uns wirkt? Wie entsteht sie? Ist sie identisch mit unseren biologischen Kräften oder mit den Kräften unserer Intelligenz? Wozu dient sie? Wie verändert sie sich? Wie erfahren wir sie? Wie also genau funktioniert der eigene Lebensherd? Wie ist er verbunden mit anderen? Wie lange haben wir wofür Zeit? Wann genau haben wir was ins Spiel zu bringen, damit unser Leben möglichst gut gelingt?

Und dann stellen sich auch Fragen zu unseren Wertungen. Was ist für uns bedeutsam? Wie und wann verändert sich die Bedeutung von Menschen, Dingen, Zielen, Sichtweisen? Wie zeigt sich all das auf der Ebene des Berufes, der Karriere, der Unternehmensführung? Und warum ist das so und nicht anders?

Unsere Geschichte führt also zu einer Fülle von Fragen. Aber wir sind noch nicht fertig.

Da ist noch ein zweiter Aspekt: der Restaurantbesitzer.

Mit der Geschichte des Restaurantbesitzers sind wir auf einer ganz anderen Ebene gelandet. Das Kochen hat direkt nichts mit Gästen zu tun. Aber es bleibt sinnlos ohne Bezug zu denen, für die gekocht wird.

Die Beziehung zwischen Koch/Küche/Restaurant und dem Gast beginnt heute meistens im Internet. Wer heute ein Unternehmen hat oder führt, braucht einen Internetzugang, auch wenn seine Vorfahren ohne einen solchen auskamen.

Auch hier stellen sich Fragen: Existiert so etwas wie ein menschliches Internet? Wie funktioniert es? Wie bestimmt es die Sinnhaftigkeit menschlichen Lebens? Was hat es mit Generationen, Epochen, Kulturen, ja mit der Menschheit zu tun? Wie haben wir Zugang zu ihm? Wenn es ein solches Beziehungsnetz gibt, wie hat man es herausgefunden? Wozu dient es? Was bringt es konkret, darum zu wissen?

Eines ist offensichtlich: Sollten sich diese Fragen vernünftig beantworten lassen, folgt daraus eine radikal neue Einsicht:

1.0.2 Der Mensch ist mehr, als man sich bisher vorgestellt hat.

Was wir in unendlich vielen Formen wahrnehmen und was wir wissenschaftlich untersucht haben, ist auf eine genauso tiefe energetische Grundlage zu stellen, wie es Kernphysik und Astrophysik für den Kosmos geleistet haben.

Aus der dynamischen Mechanik des 19. Jahrhunderts ist im 20. Jahrhundert ein radikaleres Verständnis von Kraft und Energie hervorgegangen – und schließlich eine Elektronik, in der alles aus 0 und 1 oder Ja und Nein besteht. So kann der schnellste Computer in China derzeit 300 Milliarden solcher Entscheidungen in der Sekunde durchführen.

Der Kern der modernen Technologie besteht nicht mehr aus Dingen, sondern Beziehungen. Die Beziehungen sind – auch im weitesten Sinne – nicht mehr greifbar. Die digitale Welt ist eine Welt von Kommunikationsfeldern. Wir begreifen sie als Netzwerke. Doch was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können, ist immer nur Vergegenwärtigung einer wesentlich unsichtbaren und quasi ewigen Welt.

Die auf dieser Basis entwickelten Programme erfassen schneller und umfassender als wir Menschen viele Vorgänge. Ein solches Programm kann allerdings nicht mehr leisten, als was der menschliche Programmierer in dieses hineingelegt hat.

Das beruhigt manche. Nicht wenige aber empfinden auch das schon als bedrohlich. Unser Gehirn arbeitet zu langsam. Es ist viel zu sehr bestimmten Vorstellungen verhaftet, die seine Bewegung stören. Je mehr dies der Fall ist, desto leichter können künftig Apps auf den Menschen zugreifen. Er hat mit Recht Angst, zum gläsernen Menschen zu werden. Er wird gleichsam nackt ausgezogen. Seine Bankkarte kennt seine finanziellen Geheimnisse, seine Gesundheitskarte seine gesundheitlichen Verhältnisse, sein Amazon-Account seine konsumpsychologischen Bedürfnisse.

Nun kommt ein Faktor hinzu, der für uns noch bedrohlicher zu werden beginnt: die Entwicklung der künstlichen Intelligenz.

Sie ermöglicht künftig ein autonomes Weiterdenken unserer Maschinen. Sie lernen selbstständig und auch das wesentlich schneller als Menschen. Wir wissen nicht mehr genau, was dabei herauskommen wird, sondern wir wissen nur noch Wahrscheinlichkeiten darüber.

Unsere Rede von HR 4.0 oder Arbeit 4.0 ist keine wirkliche Antwort darauf. Denn sie handelt davon, dass wir uns möglichst rasch der technologischen Ebene der Digitalisierung (Industrie 4.0) anzugleichen haben.

Die große Frage ist: Hat der Mensch angesichts dieser Entwicklung überhaupt noch etwas, was ihn zu etwas Einmaligem, nicht wirklich Erfassbarem macht? Gibt es eine Art natürliche Intelligenz des Menschen, die der künstlichen grundsätzlich überlegen ist und bleibt?

Und, gesetzt den Fall, es gibt sie, - können wir mit ihr so arbeiten, dass sie uns mehr Freiheit und Unabhängigkeit schenkt, als wir jetzt haben?

Ja, antwortet die Kairologie. Wir werden zu einem neuen Bewusstsein von uns selbst und unserem Wirken vorstoßen.

Wir werden erkennen: Der Mensch ist in einer Weise schöpferisch, wie es keine Maschine erreichen kann. Unser Leben hat nicht nur eine gewisse Dynamik, es ist Dynamik. Wir haben keine Zeit, sondern wir sind Zeit. Diese Zeit ist unser eigentliches Leben und seine Kräfte bestimmen, wann was für uns wie bedeutsam ist.

Unser Begriff dafür ist: Mensch 5.0

Zunächst wollen wir einige Fragen beantworten, die das Bild vom Koch und dem Restaurantbesitzer aufgeworfen hat. Wie nützlich ein erstes Verständnis des kairologischen Modells für die Praxis von Führungskräften und Unternehmen ist, werden die weiteren Kapitel entfalten.

1.0.3 Überblick

Unser Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass alles, was wir wahrnehmen oder tun, zwei Aspekte enthält: die Sache selbst und unsere Beziehung dazu.

Davon ausgehend, kommen wir zur Grundlage aller Reflexionen dieses Buches. Sie besteht in einem ersten Verständnis der dreifachen Wirklichkeit, die die menschliche Dynamik begründet: Kreativsein, Kairos, Zeit-Geist.

„Kreativsein“ ist der Fachausdruck für das menschliche Beziehungsfeuer und seine schöpferische Welt (Welt 2).

Im Kairos nehmen wir unser Feuer wahr. Kairos stellt die Beziehung zwischen der Welt des Kreativ-seins (Welt 2) und der bewusst erfahrbaren Welt des Menschen (Welt 1) her.

Der Zeit-Geist ist das mehrdimensionale Beziehungsfeld, in dem sich die Veränderung geschichtlicher Bedeutungen vollzieht.

Zunächst geht es um die Beziehungsfelder, die sich aus dem menschlichen Beziehungsfeuer ergeben. Wie sich die Energie des Universums in atomaren und kosmischen Feldern manifestiert, so auch das menschliche Kreativsein in einem System mikro- und makrohistorischer Kreativfelder.

Jeder Mensch durchläuft Kairos-Lebensphasen. Sein Sinn aber ergibt sich aus der Teilhabe am größeren Ganzen. Darin hat jeder seinen bestimmbaren Platz, wie die Sonne in der Milchstraße.

Wir müssen auch kurz auf die Wissenschaft vom Kairos, die Kairologie, ihren Nutzen und die Arbeit mit der Kairos Analyse eingehen.

Wer sich ausführlicher für die Darstellung des ganzen kairologischen Modells, seiner Entstehung und Ausfaltung interessiert, sei auf die Literaturhinweise am Ende des Buchs verwiesen.

„Nichts ist praktischer als eine gute Theorie.“ So schrieb schon Immanuel Kant. In diesem Sinne geht es in diesem Buch vor allem um den praktischen Nutzen, den das neue Wissen um Kairos für Führungskräfte und Unternehmen haben kann.

Wir vertreten die begründete Auffassung, dass jeder Mensch und jedes Unternehmen, das sich auf seinen Kairos ausrichtet, eine außerordentliche Steigerung seiner Kräfte erfährt. Beim einzelnen zeigt sich das in einem gleichsam „runden“ Leben, bei Unternehmen in ihrer ganzheitlichen Erfolgskraft.

Diese Thesen wollen wir nun schrittweise erläutern.

1.1 Die Welt des In-Beziehung-seins

Wer Auto fährt und ein Navi eingeschaltet hat, hat sich eingeloggt in ein Navigationssystem. Es ändert nichts an den Zielen, die er verfolgt, noch an seinem Auto. Es vergegenwärtigt ihm seine Verkehrswelt hinsichtlich der Beziehungen, die für ihn wichtig sind. Es führt ihn so durch das Straßennetz, wie es für den Fahrer optimal ist. Auf den ersten Blick mag es von außen nicht erkennbar sein, welches Auto im Straßenverkehr nur den anderen folgt oder gar völlig orientierungslos herumkurvt, und welches mit einem unsichtbaren Navigationssystem verbunden ist. Auf Dauer ist es wohl zu unterscheiden. Wer ohne Navi fährt, vergeudet Energie und Lebenszeit, fühlt sich unsicher und gestresst.

Was wir im Auto heute mit einer gewissen Selbstverständlichkeit nutzen (und genießen), erscheint uns im menschlichen Leben immer mehr zu fehlen. Wie gern würden wir hier genauso entspannt, Energie sparend und sicher durch das Leben fahren.

Man sieht es einem Menschen nicht einfach an, wie er wirklich in Beziehung zu sich, seinen Mitmenschen, seiner Arbeit, seiner Welt insgesamt steht, welches Gewicht das genau hat, was er denkt, sagt, fühlt, tut, welche echten Kräfte in ihm wirken.

Das hat für jeden auch im Alltag höchste Bedeutung. Denken Sie nur an folgende Erfahrungen: Zwei Leute teilen das Gleiche mit. Der eine macht uns aggressiv, dem andern stimmen wir sofort zu. Auf die gleiche Schreckensbotschaft reagieren alle etwas unterschiedlich. Ein Kuss kann völlig erfüllend oder absolut blutleer sein. Ein Buch ändert das Leben des einen und wird von andern sofort wieder vergessen.

Es hat auch Bedeutung für Führungskräfte und Unternehmen. Ein Mitarbeiter wird mit besten Zeugnissen und Referenzen eingestellt, und wenig später ist er gescheitert oder abgesprungen. Ein anderer ist schon in der Schule durchgefallen, und auf einmal taucht er als erfolgreicher Geschäftsführer wieder auf. Ein Sohn erklärt, er werde das Unternehmen im Sinne des Vaters weiterführen, und wenig später verkauft er es.

Abb. 1.1 Sache und Bedeutung

Bei Kindern ist noch leicht zu erkennen, wie sich innerhalb kurzer Zeit ihre Beziehung zu sich selbst und ihrer Wirklichkeit verändert. Was gestern spannend war, ist es heute nicht mehr. Der Jugendliche erlebt, wie Lehrer oder Mitschüler auf einmal erotisch wirken können, wie umgekehrt vorher geliebte Eltern oder andere Autoritäten „entzaubert“ werden. Auch bei Erwachsenen verändert sich die Kraft von Begriffen und Entscheidungen, das Verhältnis zu Partner, Familie, Beruf.

Das ist an sich nichts Neues. Alle Humanwissenschaften versuchen zu begründen, was da abläuft. Was wir wirklich sehen, hängt davon ab, so sagen sie,

wie wir in der Kindheit geprägt wurden,

vom sozialen Umfeld,

vom historischen Zeitgeist,

von den Vorgängen im Gehirn,

von unseren Vorstellungen usf.

All diese Erklärungen haben ihre unbestreitbare Wahrheit. Treffen sie aber den Kern des Menschen? Ist die Erfahrung, etwas gerade so und nicht anders zu verstehen, nur die Folge all der vorhandenen (und vielfach noch gar nicht entdeckten) Kausalitäten?

Erklärt die Summe des Früheren wirklich das Spätere? Oder fehlt da nicht ein wesentlicher Faktor?

Ja, es fehlt das Wissen um eine spezifisch menschliche Kraft: Das In-Beziehung-sein. Erst diese Kraft gibt unserer Wahrnehmung die Gewissheit und Entschiedenheit, auf die es ankommt.

1.2 Unsere Welt 2

Was ist das für eine Kraft? Dieser Frage müssen wir kurz nachgehen. Zu schnell wird diese Kraft nämlich mit bestimmten Vorstellungen assoziiert. Und damit in Werte verwandelt. Die Kairologie will sie jedoch nicht werten, sondern als Kraft in ihrer Wirksamkeit verstehen. Wir sehen in ihr eine eigene menschliche Welt. Wir nennen sie Welt 2 – in Abgrenzung zu allem, was wir im Bewusstsein als Welt 1 erfassen können.

Abb. 1.2 Welt 1 und Welt 2

1.2.1 Was kennzeichnet Welt 2 und wie gewinnen wir Zugang?

Welt 2 dürfen wir uns nicht als eine metaphysische Welt von Ideen oder als ein transzendentes Jenseits oder als ein höheres Bewusstsein vorstellen. Sie ähnelt in ihrer Art eher der Welt der Elektronik und dem Internet.

Auf der modernen Ebene von Kommunikation existiert alles nur in der Form energetischer Beziehungen. Ein Dokument auf einer Festplatte hat keine Ausdehnung, sondern einen Beziehungsort. Es ist deshalb für die Sinne ungreifbar und für unser Bewusstsein unbegreifbar. So unvorstellbar der eigentliche Vorgang ist, so wenig käme einer auf die Idee, das alles für eine subjektive Einbildung zu halten. Laden wir es nämlich, erscheint es uns in Schrift, Bild oder Ton.

Welt 2 besteht aus einem System von Beziehungskräften. Von ihm hängt wesentlich ab, wie wir zu unserer Wirklichkeit in Beziehung gehen.

Manchmal heißt es, jede Änderung in unserem Leben beginne mit einem neuen Denken, einem Wechsel der Perspektive, aus der wir auf die Welt, auf uns und unsere Mitmenschen schauen. Das ist für unser Bewusstsein sicher richtig. Kairologisch aber sind all diese Anfänge schon Ausdrucksformen für Änderungen, die sich in Welt 2 abspielen. Erst auf dieser Ebene erklärt sich, welche Bedeutung im Ganzen der Perspektivwechsel hat.

Unsere moderne Kommunikations- und Informationswelt bildet ein Riesensystem, das sich in beliebig kleinere Systeme gliedert. So ähnlich ist auch die menschliche Welt 2 organisiert.

Die Kräfte des Geistes und die der Evolution sind in dieser zweiten Welt so geeint, dass sie eine ureigene menschliche Dynamik mit einer objektiv bedeutungsvollen Zeit bilden können. Es ist die eigentliche Zeit des Menschen.

Sie funktioniert nicht statisch, sondern dynamisch, nicht mechanisch, sondern energetisch, nicht auf einer sinnlichen, sondern auf einer imaginären Ebene. Hier entscheidet sich die Bedeutung von etwas.

Was wir wann für wirklich bedeutungsvoll halten, ist also kein bloß subjektiver oder kausal begründbarer Prozess. Wir sind nicht einfach eine Funktion dessen, was der Geist an Formen des Bewusstseins hervorbringt oder unserer Lebenserfahrungen. Dahinter steht eine Welt, die rein energetisch funktioniert, mathematisch geordnet ist und gleichsam das maximale Beziehungspotenzial zur Verfügung stellt.

Sie begründet, wie unsere eigentliche Lebensdynamik aussieht, welcher Dynamik die persönliche oder makrohistorische Geschichte folgt, wie wir mit unserem Input umgehen.

Unser wissenschaftlicher Konsens ist heute, dass gewisse evolutive Selektionsprozesse die Länge von Kindheit und Jugend so eingerichtet haben, wie wir es beobachten. Weil das von sich aus keinen tieferen Sinn hat, können wir die Prozesse auch nach Gutdünken verändern, verbessern.

In Wirklichkeit hat alles auf der tieferen Beziehungsebene einen ganz bestimmten Sinn, den wir durchaus auch erspüren können. Wir können jederzeit davon abweichen, aber es hat Folgen im Ganzen. Das mag im kleinen Maßstab nicht weiter bewusst werden, aber im Größeren fallen die Folgen bereits auf. Untersuchungen haben z.B. gezeigt: Wer zu lange studiert, hat gewöhnlich nach zehn Jahren faktisch keine Nachteile mehr. Aber er fühlt oft, zu spät dran zu sein.

Die geistigen Räume des Menschen und seine evolutiven Zeitkräfte verbinden sich zu einfachen und zugleich komplex organisierten menschlichen Feldern, die die Selbstentfaltung, das Miteinander, die Lebensgestaltung so steuern, dass alles auf alles auf einer tieferen Ebene bezogen ist. Jeder von uns hat mit diesen Feldern zu tun. Daher ist es sehr nützlich, darüber genauer Bescheid zu wissen. Aber genügt das?

Stellen Sie sich vor, Sie hätten vier gut aufgepumpte Reifen. Sie könnten mit ihnen spielen, sie den Berg hinunterrollen lassen. Dennoch bliebe zuletzt ihre Elastizität und Kraft nutzlos. Erst wenn sie mit einem Fahrzeug verbunden werden und dieses am Verkehr teilnimmt, erfüllen sie ihren Zweck.

Genauso wäre die Welt 2 des Menschen unvollständig, wenn unsere Entfaltungskräfte nicht als „Fluchtpunkt“ ein größeres Ganzes hätten, das sie erst sinnvoll ausrichtet. Aus dieser Beziehung fließt für uns alle jede tiefere Gewissheit von Sinnerfüllung – ganz gleich, in welchen Bewusstseinsformen sie sich festmacht.

Jeder von uns ist also wie eine Sonne, die ihr eigenes Kraftfeld darstellt, und gleichzeitig ihren genau bestimmbaren Platz in einem größeren System hat, das wir auf der kosmischen Ebene „Milchstraße“ nennen und das wir auf der Ebene der Menschheit „Okzidentales Kultursystem“ nennen wollen. Auch dieses besteht aus verschiedenen Beziehungskräften und Feldern wie etwa die Kairos-Generationen.

Von den Wandlungen all dieser Kreativfelder hängt es ab, welche Bedeutung etwas für uns in der Realität hat, mit welchem Ernst und Eifer wir Vorstellungen leben, Ziele verfolgen, Neues angehen, wie sich das Ganze der Prozesse ändert.

1.2.2 Wozu dient Welt 2?

Wir können ganz einfach antworten: Um uns das zu ermöglichen, was jedes sonstige Lebewesen einfachhin hat und tut: uns ganzheitlich zu entfalten.

Jedes Tier weiß, was es zu tun hat. Bei einer Katze sind ihr Potenzial und ihre Wirklichkeit nahezu identisch. Sie muss als Hauskatze ihr Potenzial vielleicht stark eingeschränkt leben und erhält keine Maus zu Gesicht, aber sie ist auch hier als Katze jederzeit unverkennbar – und sähe sie eine Maus, wüsste sie sofort, was zu tun ist.

Wir dagegen wissen nicht einfach, wer wir sind und was zu tun ist. Wir erhalten zwar unser „Lebensmaterial“ aus Erbe und Umwelt, aber wie wir damit umgehen, lässt sich nur energetisch erhellen.

Wir leben dafür, eins zu sein mit uns und unserer Welt.

Wie die Bienen ihren Nektar, so suchen wir in aller Erfahrung und Begegnung die Kraft des In-Beziehung-seins.

Das Baby schaut die Mutter an, das Kind den Lehrer, der Jugendliche das andere Geschlecht, der junge Erwachsene die Welt: Werde ich angenommen, anerkannt, geliebt, einer sinnvollen Welt übergeben?

Wir speichern die Kraft des Liebens, Glaubens, Hoffens und der Sinnhaftigkeit.

Wir empfangen diese Kräfte als Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aber selten in Reinform. Sie sind verknüpft mit Mustern der Wahrnehmung und mit festen Vorstellungen. Sie sind meist auch vermengt mit lebensverneinenden Kräften und einem fehlenden Gefühl für die rechte Zeit.

So erhält jeder seine spezielle Speicherfüllung. Damit arbeiten wir. Das Empfangene geben wir weiter, dass Nichtempfangene suchen wir weiter. Wir sind uns selbst eine lebenslange Aufgabe.

Wie wir im Endeffekt in Beziehung zu unserer Welt gehen, ist völlig offen.

Wir können an unserem Leben und an unseren Träumen trotz bester äußerer Verhältnisse scheitern. Umgekehrt kann ein Mensch im beschränktesten Horizont einer Kloster- oder Gefängniszelle Sinn und Glück erfahren.

Es hängt wesentlich von der Bewegung in Welt 2 ab, wie wir im Hier und Jetzt zu uns selbst, zu anderen, zu unserer konkreten Welt in Beziehung sind. Aus seiner Dynamik fließen unsere eigentlichen Lebensenergien.

1.3 Kairos – unser menschliches Portal zu allem

Wie erfahren wir von dieser zweiten Welt? Gewöhnlich durch das, was wir zumeist „Intuition“ nennen. Sie setzt eine mehr oder weniger bewusste innere Aufmerksamkeit für den Augenblick voraus. Diese zeigt sich in allen Formen eines zeitgerecht optimalen Handelns. Sie erweist sich im Nachhinein, als das dem Ganzen gegenüber vernünftigste Handeln.

Wie ist diese Art von Zeiterfahrung von jener abzugrenzen, die wir aus unserem Alltag kennen? Wir können das klären, indem wir einfach einen genialen Werbetext interpretieren, mit dem die Schweizer Uhrenfirma TISSOT für ihre edle Geschäftsarmbanduhr wirbt. Der Satz lautet: „In touch with your time“. Die Aussage spricht kurz und bündig die vierfache Zeiterfahrung der Kunden an und damit den Menschen in seiner Ganzheit.

„In touch“

Natürlich ist zuerst die sinnliche Erfahrung gemeint: die Uhr als Gegenstand, den Sie berühren und fühlen können. Eine Uhr ist Zeitbewusstsein, das zu einem mechanischen oder digitalen Gegenstand geworden ist. Die unfassbare Zeit begegnet in der Uhr als sein Gegenteil, als verdichtete Form präzisen Handelns.

„with time“

Der Text spricht nicht von der Uhr, sondern von der „Zeit“ als rational fassbarer Zeit, als Chronos. Zweck der Uhr ist, dass wir unseren Ort in einem Zeit-Raum wahrnehmen. Chronos bezeichnet einen leeren Zeitraum. In dieser Leere liegt unsere Chance. Wir haben Handlungsfreiheit. Wir können die leeren Zeit-Räume beliebig füllen mit Aktivitäten.

Zugleich führt uns die Uhr den präzisen Takt vor Augen, in dem sich unser Chronos verändert. Der Takt lässt uns nur eine exakt begrenzte Zeit. Uhren und Kalender erinnern daran, dass alles, was wir tun, Zeiträumen unterliegt, die streng chronologisch getaktet sind.

Je mehr wir in diesen beschränkten Zeiträumen an Aktion, Struktur, Erleben unterbringen, desto mehr scheinen wir gelebt zu haben. Die daraus abgeleitete Rationalisierung nehmen wir als Beschleunigung wahr. Diese Sichtweise erzeugt bei vielen Menschen einen inneren Druck. Unsere Vorstellungen sind meist größer als das, was in solchen Zeiträumen Platz hat.

Abb. 1.3 Was ist die Zeit des Menschen?

„In touch with time“

In dieser Formulierung klingt an, dass Zeit auch etwas ist, was wir fühlen und erleben können. Es ist Bios, Leben. Wir erfahren die Zeit in den Rhythmen unseres Lebens. Sie wiederholen sich für uns wie das Jahr, der Tag, der Herzschlag. Dieses Erleben des Jetzt sollen wir genießen.

Andererseits erleben wir die Unwiederholbarkeit des Augenblicks. Ein deutsches Sprichwort sagt: „Das Wasser rinnt ins Meer zurück, doch kehrt zurück kein Augenblick.“ Es ist der evolutive Zeitpfeil, der bei allen unwiederbringlich vorwärts fliegt.

Die Energie, die alles zusammenhält, nimmt ab. So sind wir aufgefordert, Energie von außen zuzuführen.

„In touch with your time“

Hier wird die höchste Ebene menschlicher Zeiterfahrung erreicht, die Ebene des Kairos. Jeder von uns erfährt die Zeit als seine einmalige Lebensenergie. Es könnte also auch heißen: In touch with your life energy. Der eigentliche Wert der Geschäftsarmbanduhr liegt in dieser Botschaft: energiebewusst leben und führen heißt kairosbewusst leben und führen. Wer dies tut, dessen Leben wird zum Erfolg, ganz gleich, was passiert.

Die wertvolle Uhr erinnert ständig an den je eigenen wertvollen Kairos. Kairos ist jederzeit. Jeder hat seine einmalige Zeit. Jedes Hier und Jetzt hat seine besondere Bedeutung. Menschliche Zeit enthält eine eigene Dynamik, mit der wir alle mehr oder weniger in Berührung kommen können.

Kairos ist hier die Spitze der Zeitpyramide. Die Breite und Länge einer Pyramide erhält ihren Sinn von der Spitze her. Die Pyramidenspitze war einst aus purem Gold. Sie stellte die Verbindung zum Himmel, zur Sonne her. Was am wenigsten sichtbar war, war am bedeutsamsten. Diese Spitze ist der Kairos.

Die Werbung für diese Uhr ist genial. In einem einzigen Satz vermag sie die vierfache Zeiterfahrung des Menschen anzusprechen: Körper (Watch/Uhr) – Verstand (Chronos) – Erleben (Bios) – Intuition (Kairos). Die Uhr lässt sich konstruieren, die Chronologie rational erklären, die Rhythmen statistisch erfassen – was aber ist genau mit „your time“ gemeint?

Viele verstehen unter Kairos die günstige Gelegenheit, die beim Schopfe zu fassen ist, ehe sie verschwindet. Andere sehen darin die Aufforderung, auf die innere Stimme zu hören. Fast alle sind sich darin einig, dass zwischen Chronos und Bios (Leben) auf der einen und Kairos auf der anderen Seite ein wesentlicher Unterschied besteht. Jene seien objektiv gegeben, Kairos dagegen sei die subjektive Erfahrung jedes einzelnen.

In der griechischen Mythologie war Kairos immer schon mehr als eine günstige Gelegenheit. Er stand in der Antike für den göttlich-günstigen Augenblick und in der Bibel für die von Gott her bedeutsame Zeit. Was aber mit „Gott“ verbunden wurde, stand immer für etwas, was für den Menschen wesentlich war.

Wir kennen große Kulturen, in denen Uhrzeiten kaum eine Rolle für eine sinnvolle Selbstorganisation spielten. Und selbst in unserer Kultur wurde Chronos als Basis jeder Geschichte erst im 18. Jahrhundert maßgeblich. Im 19. und 20. Jahrhundert kam der Erkenntniswille hinzu, dass jeder Zeitpunkt durchdrungen sei von „Evolution“, von der Logik zeitlichen Werdens, von Geschichtlichkeit.

Kairos ist ursprünglicher. Wenn es um wichtige Entscheidungen ging, hat sich der Mensch genauso wie ganze Völker immer schon gefragt, wann dafür der richtige und günstigste Zeitpunkt wäre. Was aber früher galt, gilt auch heute. Angela Merkel, gefragt nach der Bedeutung des richtigen Zeitpunkts, antwortete: für politische Entscheidungen sei er existenziell. Nicht weniger gilt das in der Wirtschaft für die richtige Führung und Unternehmenssteuerung.

1.3.1 Was aber ist nun Kairos?

Kairos stellt die Verbindung zwischen Welt 1 und Welt 2 her. Er stellt eine bestimmte Konstellation von sogenannten „