Mensch der neuen Zeit - Herausforderungen und Chancen - Antje Bek - E-Book

Mensch der neuen Zeit - Herausforderungen und Chancen E-Book

Antje Bek

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Beschreibung

Wir alle sind Kinder einer neuen Zeit, deren Beginn Rudolf Steiner etwa auf den Beginn des 20. Jahrhunderts datiert hat. Nach dem Ende des spirituell betrachtet ´finsteren Zeitalters´ begann vor etwas mehr als 100 Jahren eine Zeit, in der jeder Mensch die verschlossenen Tore zur geistigen Welt öffnen und wieder Licht hereinlassen kann. Im Oktober 1922 sprach Rudolf Steiner zur ersten Generation der neuen Zeit, zu jungen Menschen, die wenig bis gar nicht mit der Anthroposophie vertraut waren. In den dreizehn Kapiteln dieses Buches werden Aspekte der hochaktuellen Ausführungen Rudolf Steiners verständlich gemacht und Bezüge zur Schicksalssignatur des Menschen in den heutigen Zeitgeschehnissen hergestellt. Ein Buch nicht nur für Eltern und Großeltern der neuen Zeit.

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Seitenzahl: 105

Veröffentlichungsjahr: 2023

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„Aber was in einer Zeit den Ton angegeben hat, das wurde vielfach bald ersetzt durch das, was unterdrückt war.“

Rudolf Steiner am 23. April 1924 in Dörnach1

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Macht die Fensterläden auf!

Die Unmenschlichkeit objektiver Wissenschaft

Trockene und eisige Gegenwartskultur

Vom Durst der Seele

Kinder sind Boten des lebendigen Denkens!

Für eine Pädagogik der Zukunft

Wie kommt das Neue in die Welt?

Die Göttlichkeit des Denkens und künstliche Intelligenz

Sehnsucht nach Spiritualität

Biografiearbeit und die Kette der Generationen

Den Erzieher in sich erwecken

Begegnung auf Augenhöhe

Ein Herz für die Erziehung

Schlussworte

Danksagung

Literaturhinweise und Anmerkungen

Autoren Notiz

EINLEITUNG

Die „Neue Zeit", „Kinder der neuen Zeit", darüber wird heute viel gesprochen, verbunden mit einem diffusen Gefühl, dass sich die Zeitqualität ganz offensichtlich immer wieder zu verändern scheint. Wir alle sind Kinder einer neuen Zeit, deren Beginn Rudolf Steiner etwa auf den Beginn des 20. Jahrhunderts datiert hat. Nach dem Ende des spirituell betrachtet „finsteren Zeitalters" begann vor etwas mehr als 100 Jahren eine Zeit, in der jeder Mensch die verschlossenen Tore zur geistigen Welt öffnen und wieder Licht hereinlassen kann.

Im Oktober 1922 sprach Rudolf Steiner zur ersten Generation der neuen Zeit, zu jungen Menschen, die wenig bis gar nicht mit der Anthroposophie vertraut waren.

Aspekte der neuen Zeit beschreibt Rudolf Steiner in seinen Vorträgen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die großartigen Entwicklungsmöglichkeiten, die mit ihr verbunden sind, beinhalten jedoch auch Herausforderungen an diejenigen, die aktiv werden möchten. Da wir noch immer am Beginn des „lichten Zeitalters" stehen, kann uns als Nachgeborene das, was Rudolf Steiner damals erläuterte, auch heute noch berühren und manche Zeiterscheinung verständlicher machen.

Die dreizehn Vorträge, die Rudolf Steiner vom 3. bis 15. Oktober 1922 in Stuttgart hielt, sind unter dem Titel „Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation" erschienen. Sie werden auch als „Pädagogischer Jugendkurs" bezeichnet und sind jetzt im Band 217 der Gesamtausgabe zu finden.2

In jedem Kapitel des Buches gehe ich in der entsprechenden Reihenfolge auf einen der dreizehn Vorträge Rudolf Steiners ein. Es werden nur ausgewählte Gesichtspunkte, die in mir besondere Resonanz gefunden haben, behandelt. Mir ist bewusst, dass dadurch andere wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt werden.

Die Beiträge der einzelnen Kapitel sind zunächst auf dem Blog meiner Website erschienen, für dieses Buch wurden sie aktualisiert und überarbeitet. Wenn sich Menschen angeregt fühlten, anschließend selbst die erwähnten Vorträge zu lesen, wäre es mir eine große Freude!

MACHT DIE FENSTERLÄDEN AUF!

Wie ist menschliche Gemeinschaft möglich?

ZUM ERSTEN VORTRAG VOM 3. OKTOBER 19223

Vom 3. bis 15. Oktober 1922 hielt Rudolf Steiner einen Kurs für junge Menschen in Stuttgart. Diesem Kurs waren Auseinandersetzungen innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft zwischen älteren und jüngeren Mitgliedern vorausgegangen, die Jüngeren hatten sich daraufhin an Rudolf Steiner gewandt und ihn um einen Kurs gebeten.

Den Vortrag des ersten Tages beendet Rudolf Steiner mit einem Bild, das die Kluft zwischen älterer und jüngerer Generation charakterisieren möchte: Er spricht über Goethe und dessen angeblich letzte Worte, kolportiert als Ruf an seine Nachwelt: „Mehr Licht!" Diese Worte entsprächen jedoch nicht der Wahrheit und seien letztlich im Laufe der Zeit zu einer reinen Phrase geworden. Tatsächlich hätte Goethe in einem Liegestuhl gelegen, schwer geatmet und gerufen: „Macht die Fensterladen auf!"4 Dieser Ausspruch sei im Sinne eines Rufes an seine Nachwelt vielleicht besser zu gebrauchen.

Was meint Rudolf Steiner damit? Er macht den vor ihm sitzenden jungen Menschen deutlich, dass ihnen eine Generation vorangeht, die in einer völlig anderen seelischen Verfassung lebe, als sie selbst, ein tiefer Graben tue sich auf. Die alte Generation hat die Fensterläden zugemacht, was in gewissem Sinne Folge einer notwendigen Entwicklung über mehrere Jahrhunderte hinweg war, wie sie von Rudolf Steiner in diesem Vortrag ausführlicher beschrieben wird. Es wurde dunkel und am Ende fehlte die frische Luft zum Atmen. Die junge Generation, die mit einer ganz anderen Seelenkonfiguration geboren wurde, spürt in sich eine Sehnsucht, diese Fensterläden wieder zu öffnen. „Mehr Licht!" kommt jedoch nicht von allein herein, sondern dazu ist eine seelische Aktivität notwendig, die die geschlossenen Fensterläden wieder zu öffnen vermag.

SEELENPRÜFUNGEN

Rudolf Steiner beschreibt, in welche äußere Situation die jungen Menschen hineingeboren wurden, ohne Anklage, aber mit klarem Blick. Im Jahre 1922, als er diesen Vortragszyklus hielt, war der erste Weltkrieg gerade vier Jahre vorüber. Ein Teil der Menschen, die vor ihm saßen, hatten dieses Geschehen als Jugendliche miterlebt, andere mögen selbst als Soldaten dabei gewesen sein. Was hatte das in ihren Seelen bewirkt?

„Ich kann Ihnen zunächst nur einige Empfindungen schildern, um zu zeigen, was da alles in chaotischer Weise durcheinanderstrebte, als das zwanzigste Jahrhundert herankam, jenes Jahrhundert, das Sie, meine jüngeren Freunde, vor harte innere Seelenprüfungen gestellt hat.“5

Harte, innere Seelenprüfungen haben die damaligen Zeitereignisse für die „jüngeren Freunde" bedeutet – wie sieht es gegenwärtig für junge Menschen aus, die mit individuellen Impulsen auf die Erde gekommen sind? Was bedeutet es für einen jungen Menschen, der sein Leben vor sich sieht – wenn auch vielleicht nur schemenhaft und undeutlich – und nun feststellen muss: So, wie ich immer dachte, wird das Leben nicht weitergehen. Dem, was ich machen wollte, was ich an Impulsen in mir trage, stellen sich unerwartete, bis dato unvorstellbare Hindernisse entgegen? Welche Seelenprüfungen haben junge Menschen während der Zeiten von Lockdowns sowie der Ausgrenzung von Ungeimpften durchmachen müssen? Einige mehr als vorher „üblich" haben diese Seelenprüfungen nicht überwinden können und ihrem Leben ein Ende gesetzt. Welche Prüfungen mögen aktuell junge russische und ukrainische Seelen durchleben?

ÄUßERS ALS AUSDRUCK DES INNEREN

Dann beschreibt Rudolf Steiner, dass die Ereignisse des ersten – wie er es nennt – „furchtbaren, grausigen" Weltkrieges lediglich der Ausdruck dafür seien, was in den Seelen der Menschen generell herrsche. All die Ereignisse des letzten Jahrhunderts, aber auch die aktuellen Geschehnisse, können auf diese Weise betrachtet werden: Als Ausdruck dessen, was in den Seelen der Menschen lebt, zeigen sie im Außen lediglich ein Inneres. Und an diesem Inneren, so lautet die damit verbundene Aufforderung an uns, sollten wir vor allem arbeiten.

EIGENER STANDPUNKT UND MENSCHLICHE GEMEINSCHAFT

Welche innere Verfassung der Menschheit zeigt sich im Außen, z.B. in aktuellen Ereignissen, und wie hängen die „geschlossenen Fensterläden" damit zusammen? Im Kern geht es um die Beziehungen zwischen den Menschen, in denen jeder schon „geschlossene Fensterläden" erlebt haben wird. Wer hat nicht Begegnungen gehabt, in denen er sich unverstanden fühlte oder in denen er einen Mitmenschen nicht verstehen konnte? Rudolf Steiner charakterisiert die Ursache dieser Erlebnisse knapp und präzise:

„Das meiste Interesse hat jeder Mensch nur an sich selber."6

Er erläutert diese Worte wiederum mit Hilfe eines Bildes: Solange wir uns in der physischen Welt bewegen, steht jeder auf einem anderen Fleckchen Erde und sieht daher einen anderen Ausschnitt der Wirklichkeit. Jeder hat seinen eigenen, berechtigten Standpunkt. Und obwohl jeder etwas anderes sieht, gehört doch alles, was wir als individuelle Menschenwesen wahrnehmen, einer Welt an. Mit genügend „Herz und Willen" könne sich jeder doch leicht auch auf den Standpunkt des anderen stellen und von dort aus die Welt betrachten. Doch an diesem Herz und Willen fehle es heute. Jeder hat seinen „Standpunkt", jeder hat seine Meinung und macht den Fensterladen zu, indem er sich von seinem Nebenmenschen abschließt. Er macht sich nicht auf den Weg, fasst sich kein Herz, die Welt einmal aus dessen Blickwinkel zu betrachten in dem Bewusstsein, dass auch dessen Sicht zu einer gemeinsamen, nicht nur physischen, sondern auch geistigen Welt gehört. Der Historiker Daniele Ganser rät, bei hitzigen Diskussionen dem anderen zu sagen: „Du hast ja auch ein wenig Recht." Darin spricht sich aus, dass der Blick des anderen auf die Welt zu einer gemeinsamen Welt gehört, selbst wenn ich ihm gar nicht zustimmen kann.

SEHNSUCHT NACH WAHRHEIT

Rudolf Steiner selbst ging in seinem Leben noch einen Schritt weiter, den man anhand seiner Autobiographie „Mein Lebensgang"7 an vielen Beispielen eindrucksvoll nachvollziehen kann. Er konnte sich ganz auf die Gedankenart und die Gedankengänge seiner Mitmenschen einlassen, er konnte aus tiefstem Herzen verstehen, dass sie aufgrund ihrer Wesensart so denken mussten, wie sie dachten, selbst wenn dies in vollkommenem Gegensatz zu seinem eigenen Denken stand. Wir können also unseren eigenen Standpunkt auf eine Weise verlassen, durch die wir ganz in das Wesen des anderen Menschen untertauchen, um ihm dann innerlich von Herz zu Herz zu begegnen. Auf diesem Weg könnte in Zukunft wahre menschliche Gemeinschaft ermöglicht werden.

SEHNSUCHT NACH GEMEINSCHAFT

Rudolf Steiner erinnert die jungen Menschen daran, dass die Sehnsucht nach wahrer menschlicher Gemeinschaft in ihren Seelen sitze, und er sagt, dass sich diese Art der Sehnsucht in der Zukunft noch verstärken werde und damit zusammenhängend die Sehnsucht, Wahrhaftigkeit in der menschlichen Begegnung zu erleben, jenseits von Phrase, Routine und Konvention. Heute würde man vielleicht sagen: Jenseits von Lüge, Heuchelei und Vorgaben für „korrektes" Denken und Sprechen – Political Correctness eben. Als Sehnsucht nach „Herzhaftigkeit des Geisteslebens" charakterisierte Rudolf Steiner diese Seelenregung, nach einem Geistesleben, in dem Herz zu Herz spricht, ein Geistesleben, in dem Herz lebt. Aus der Sehnsucht nach „Herzhaftigkeit des ganzen Geisteslebens" entstand in den jungen Menschen die Frage, wo diese Art der menschlichen Gemeinschaft denn zu finden sei; eine Frage, die heute so brennend ist wie damals.

Wie schwer ist es in der aktuellen Zeit – auch für junge Menschen –, in diesem Sinne wahre menschliche Gemeinschaft zu erleben, in einer Zeit, wo viele Gedanken nicht mehr geäußert werden „dürfen"? Wo Pädagogen, Ausbilder, Dozenten oder Lehrer sich über gewisse Aspekte des aktuellen Zeitgeschehens – wenn überhaupt – gegenüber jungen Menschen nur auf eine vorgegebene Weise äußern sollen? Dies nur als ein Beispiel dafür, wie viel Phrase, d.h. Unwahrhaftigkeit das gegenwärtige Geistesleben durchzieht. Wie sehr wird dadurch echte menschliche Gemeinschaft, nach der sich heute im Grunde jeder Mensch sehnt, verhindert?

Und wo die Phrase zu herrschen beginnt, da erstirbt die innerlich seelisch erlebte Wahrheit. Und mit der Phrase geht einher ein anderes: Der Mensch kann den Menschen nicht mehr finden im sozialen Leben.7

Rudolf Steiner

AUS DEM 1. VORTRAG

Aber das Wertvollste ist, wenn die Gedanken ein Herz haben.8

Am schwierigsten hat es in dieser Beziehung derjenige, der heute versucht, aus seiner gelehrten Bildung heraus sich in die Zeit hineinzufinden. Was sich dem darbietet, das sind die ganz bewußt als «herzlose» Gedanken angestrebten Gedanken.9

Mit Bewahrung des Herzblutes muß man Licht finden können.10

Rudolf Steiner

DIE UNMENSCHLICHKEIT OBJEKTIVER WISSENSCHAFT

Vom innersten Anliegen der Waldorfpädagogik

ZUM ZWEITEN VORTRAG VOM 4. OKTOBER 192212

STEHEN VOR DEM NICHTS

Im zweiten Vortrag des so genannten „Jugendkurses" bemüht sich Rudolf Steiner, von verschiedenen Gesichtspunkten aus die innere seelische Verfassung der vor ihm sitzenden jungen Zuhörer, aber auch der Menschheit im Allgemeinen zu charakterisieren. Mit den geschlossenen Fensterläden, als Bild für unsere innere Verfassung, hatte er den ersten Vortrag beendet. Mit einem anderen Bild beschreibt er im zweiten Vortrag, in welchem Verhältnis sich die menschlichen Seelen zum „allgemeinen Strome des Weltgeschehens"13 befinden. Verstehen wir diesen Strom des Weltgeschehens zunächst einmal als einen einheitlichen, lebendigen Organismus, betrachten wir ihn wie einen lebendigen Menschen. Nun können wir uns vorstellen, dass von diesem Organismus die Hand abgehackt oder abgeschnürt wird. Wenn wir uns nun in diese Hand einfühlen, was mit ein bisschen Phantasie durchaus gelingen kann, wie empfindet sich diese Hand jetzt selbst? Sie fühlt sich (ab-)getrennt vom Ganzen, verdorrt, abgestorben. Rudolf Steiner spricht durch dieses Bild über Empfindungen, die tief in der Seele der Menschen liegen. Auch wenn sie dem Einzelnen nicht immer bewusst sind, so sind sie doch vorhanden. Häufig wird das Bewusstsein dafür durch schicksalsmäßige, tiefe Einschläge im Leben herbeigeführt. Viele Menschen hatten dieses Erlebnis – wie als ein gemeinsames Schicksal – während der Coronazeit. Menschen etwa, die aus einer beruflichen Tätigkeit, einem Berufsleben wie herausgerissen wurden, das ihnen viele Jahre oder Jahrzehnte Freude und Erfüllung gebracht hat. Besonders betroffen davon sind Berufe, die mit Menschen zu tun haben: Lehrer, Pfleger, Ärzte, Polizisten oder Künstler und Selbständige etc. Durch eine völlig unerwartet neue Lebenssituation trat ins Bewusstsein: Ich fühle mich wie abgeschnitten vom allgemeinen Strom des Weltgeschehens, mit dem ich mich vorher noch durch meine Tätigkeit verbunden fühlen konnte. Ich stehe vor dem Nichts.

SCHLÄFEND-TRÄUMERISCHES BEWUSSTSEIN BLEIERNE SCHWERE

Noch auf eine andere Weise charakterisiert Rudolf Steiner den Seelenzustand der Menschheit, der das Ergebnis einer Entwicklung ist, die im 15. Jahrhundert begann und mit dem Aufkommen der modernen Wissenschaft am Ende des 19. Jahrhunderts ihren vorläufigen Endpunkt erreicht hat. Er verwendet das Bild eines Menschen, der morgens aus dem Schlafe erwacht, aber