Migrantenmutti - Elina Penner - E-Book
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Migrantenmutti E-Book

Elina Penner

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Beschreibung

»Elina Penners Sprache ist genau das, was wir brauchen. Klüger, lustiger, unentbehrlich.« Yasmine M‘Barek.

In Elina Penners fulminantem Sachbuchdebüt geht es um Dinge, die auf den ersten Blick wenig kontrovers anmuten: den Kauf eines Schulranzens, das Sitzenbleiben der Kinder am Tisch nach dem Essen oder Medienkonsum. All das wird von Eltern mit Migrationshintergrund, Alleinerziehenden oder Eltern aus der sogenannten »Arbeiterschicht« oft anders gehandhabt als von ihren »bessergestellten« Pendants. Pointiert zeigt Elina Penner, wie politisch Elternschaft ist. 

»Elina Penners Texte ziehen Leser:innen in den Bann, indem sie ohne Brüche von einem sehr direkten, ungefilterten Ton in kluge und warme Reflexionen wechselt. So macht sie die allgegenwärtigen Widersprüche unseres Denkens und Alltags sichtbar.« Teresa Bücker.

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Seitenzahl: 257

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Über das Buch

»Ich wusste nicht, wie migrantisch ich bin, bis ich Kinder hatte. Wie streng oder wie pragmatisch. Ich wusste nicht, wie heftig sich meine Art, Mutter zu sein, von der meiner nicht-migrantischen Freundinnen unterschied. Ich habe es probiert, aber ich lese keine Elternblogs, Familienmagazine, und ich folge aktiv keinen Insta Moms, um an ihrem Alltag teilzuhaben. Nicht nur, weil sie mich langweilen. Ich verstehe viele der Probleme der schreibenden Eltern bis heute nicht. (…)

Wenn ihr Leute seid, die diesen Text in einer Buchhandlung lesen, um zu entscheiden, ob ihr das Buch kaufen sollt, kriegt ihr sogar umsonst die Kernaussage mit auf den Weg. Und zwar die: Ich finde, ein bestimmter Teil nicht-migrantischer Eltern macht es sich unnötig schwer. Ich habe ein paar Theorien, warum das so ist. Ich finde auch, dass wir Migras es anders schwerer haben und hatten – und es deshalb als Eltern ›leichter‹ haben wollen. Das Gute an einer traumatischen Kindheit ist allerdings, dass man extrem guten Humor entwickelt, wenn auch etwas dunkel.«

Über Elina Penner

Elina Penner, 1987 noch gerade so als Sowjet-Bürgerin geboren, erklärt seit über 30 Jahren, wieso sie mennonitisch-plautdietsche Deutsche und nicht Russin ist. Dank ihres 2022 erschienen Debütromans »Nachtbeeren« wird das mit dem Erklären weniger. Da sie Gegensätzliches liebt, hat sie sowohl in Bayern als auch in Berlin studiert. Die USA hat sie dann irgendwann ganz verlassen und lebt seit Jahren wieder in der ostwestfälischen Heimat, von wo aus sie höchst erfolgreich das Online-Magazin »Hauptstadtmutti« betreibt. Wie gesagt, Gegensätzliches. Texte von ihr erscheinen bei Der Spiegel, Vogue,11 Freunde.

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Elina Penner

Migrantenmutti

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Vorwort

Fernsehen

Hausschuhe

Vorbilder

Fleiß

Kusengs

Essen

Alman

Geburtenrate

Tisch

Haare

Mikrowelle

Feuer

Einschulung

Freundschaft

Mutterschaft

Erziehung

Zahlen

Epilog

Danksagung

Anmerkungen

Erläuterungen

Impressum

Vorwort

»Wir waren Premiumflüchtlinge, Oberschicht.«

Emilia Smechowski, Wir Strebermigranten1

Ihr habt das Buch gekauft, weil ihr Kinder habt und glaubt, ich sage euch, wie ihr die erziehen sollt? Argh, Missverständnis. Es geht in diesem Buch auch um Elternschaft. Aber aus einer migrantischen Perspektive. Konkret und in meinem Fall aus der Sicht einer Person, die gar nicht wusste, wie migrantisch sie ist, bis sie Kinder hatte.

Ich wusste nicht, wie streng oder wie pragmatisch ich bin. Ich wusste nicht, wie heftig sich meine Art, Mutter zu sein, von der meiner nicht-migrantischen Freundinnen unterschied. Ich habe es probiert, aber ich lese weder Elternblogs noch Familienmagazine und ich folge aktiv keinen Insta Moms, um an ihrem Alltag teilzuhaben. Nicht nur, weil sie mich langweilen, ich habe viele der Probleme der schreibenden Eltern nicht verstanden.

Es ist beschämend, wie lange ich gebraucht habe, um zu realisieren, dass ich als Migrantin natürlich auch migrantisch erziehe. Ich muss noch weiter ausholen. Dass ich Migrantin bin. Und von Leuten wie mir gibt es einige in Deutschland. Es muss also noch mehr Eltern da draußen genauso geben. Eltern, die nicht nur den Standard-Eltern-Kram machen müssen, sondern den ganzen Extra-Migra-Kram auch (konservative Enkelwünsche von den eigenen Eltern mit schlechten Deutschkenntnissen, Polizeigewalt, Racial Profiling, Diskriminierung bei der Arbeits- und Wohnungssuche, Lebensabschnittsgefährten, die glauben, Salz wäre ein Gewürz, Mord, wohin mit den ganzen Töpfen, die wir ungefragt geschenkt bekommen?).

Vielleicht hast du das Buch aber auch gekauft, weil du einfach nur das Cover geil fandest. Es könnte bald als Starschnitt über deinem Bett oder in der Küche hängen, zumindest habe ich diesen sehr guten Vorschlag an die Marketingabteilung des Verlags herangetragen, bisher keine Antwort. Für alle Fußfetischisten: Ich bin barfuß auf dem Bild. Und falls sich irgendwer Sorgen macht, wer die ganzen Pommes vom Coverfoto essen musste: meine Kinder schon mal nicht, sie hassen Pommes. Sie lieben (unfrittierte) Kartoffeln, was an ihrer Herkunft väterlicherseits liegen könnte. Oder Reis. Das liegt dann an mir. Ich bin weitestgehend ohne Nudeln aufgewachsen, es sei denn, Glasnudeln zählen auch. Reis muss aber fluffig sein, Kochbeutel-Langkorn kommt uns leider nicht auf den Tisch, damit kann man auch keinen Plov kochen.

Sehr schön, wir sind mitten im Thema. Migra-Elternschaft. Es wird kompliziert werden. Ihr werdet in diesem Buch neue Wörter lernen, manche davon habe ich mir ausgedacht, andere in einer Insta-Infokachel gelesen, oder vielleicht sogar während meines Studiums an einer der 50 besten Unis weltweit! Ich werde versuchen zu gendern, ich werde mitunter kläglich scheitern. Ich werde viele, sehr, sehr viele Anglizismen verwenden, ich nenne das dann aber einfach Englisch.[1] 

Ich werde es hier nicht schaffen, jede Identität abzubilden. Das Buch ist aus meinem Blickwinkel geschrieben, auch wenn ich versuchen werde, andere so gut es geht miteinzubeziehen. Eine Schwarze Frau, die hier geboren ist, hat andere Erfahrungen gemacht als ich. Genauso hat ein türkischer Mann, der in der dritten Generation in Deutschland lebt, ein anderes Leben als ich. Wir haben aber ähnliche Erfahrungen gemacht und machen sie weiterhin.

Ich glaube, wenn man migrantisch aufwächst, hat man selten das Gefühl, auch nur ansatzweise zur Mehrheitsgesellschaft dazuzugehören. Auch Ostdeutsche kennen das. Menschen mit Behinderung. Erststudierende, auch Arbeiterkinder. Sie alle haben einen gemeinsamen Feind, es ist …: DER WESTDEUTSCHE. Neeeeeeeein, natürlich nicht. Wir wollen ja aufstehen, aufeinander zugehen, voneinander lernen, ihr wisst schon. Doch schaut man sich deutsche Vorabendserien, den Vorstand einer beliebigen Firma, die erfolgreichsten Insta Moms dieses Landes oder jede x-beliebige Redaktion an, würde man meinen, in Deutschland findet man fast ausschließlich diese ominösen Westdeutschen. Doch dieses Wort bringt uns nicht weiter.

Deshalb bleiben wir bei »Mehrheitsgesellschaft«. Den Begriff habe ich von Naika Foroutan und Jana Hensel gelernt, er funktioniert für mich am besten. Ihr Buch Die Gesellschaft der Anderen ist augenöffnend.

Es wird in diesem Buch sehr oft um Klasse gehen. Darum, dass statistisch gesehen viele Familien mit Migrationshintergrund weniger Geld haben und wie das Elternschaft verändert. Ich kenne keine Russlanddeutschen, die hier mit einem Koffer voll Geld angekommen sind. Vererbt werden hauptsächlich Traumata und Schubarezepte. Die meisten Migras leben zudem in Ballungsräumen. Klasse ist also Thema. Es kann sein, dass ihr euch, wenn ihr in Armut oder an der Armutsgrenze aufgewachsen seid, in vielem wiederfinden werdet.

Ach so! Wer spricht hier eigentlich zu euch? Ich heiße Elina Penner, das ist kein Künstlername. Es ist einer der ältesten mennonitischen Namen, auch der verbreitetste. In Kanada oder Belize gibt es noch viel mehr Penners. Ich bin Mennonitin, nach dem Erscheinen meines Debütromans Nachtbeeren 2022 ist der Begriff für diese religiöse und ethnische Minderheit zumindest etwas geläufiger. Ich bin nicht religiös, ich bin nicht fromm, ich bin nicht bekehrt. Wen das Thema interessiert: Ich habe ungefähr 200 Interviews gegeben, ansonsten sind die Podcasts Steppenkinder oder X3 immer eine gute erste Anlaufstelle.

Dass ich zu den mennonitischen zehn Prozent der Russlanddeutschen gehöre, soll in diesem Buch nur am Rande eine Rolle spielen. Für die Einordnung ist aber wichtig zu erwähnen, dass ich in der Sowjetunion geboren wurde und 1991 als Viereinhalbjährige in die BRD … uhm … mitgenommen wurde. Ich gehöre zur Generation der Aussiedler. Ich bin Deutsche mit einem deutschen Pass, meine Einbürgerung wurde 1997 innerhalb von 5 Minuten durchgezogen. Im selben Raum, in dem mein Vater seinen Angelschein geholt hat. Dazwischen hatten wir »Papiere« und haben den halben Balkan kennengelernt, im Urlaub. Reisen ging also.

Ich teile das gleiche Schicksal wie alle Russlanddeutschen: Begrifflichkeiten und Historie machen keinen Unterschied, für die Welt da draußen bin ich Russin, vielleicht manchmal auch Deutschrussin. Immer mal wieder wird auch irgendwas mit Wurzeln ergänzt. Es ist schon alles sehr cringe, vor allen Dingen, da wir ja tatsächlich Begriffe für Menschen wie mich haben.

Ich bin als Mennonitin christlich sozialisiert, nicht nur das, ein paar Jahre Sonntagsschule und kluge Eltern haben aus mir jemanden gemacht, den ihr bei Wer wird Millionär? als Telefonjoker für Bibel- oder Beyoncé-Fragen einsetzen könnt, beides göttlich.

Ich bin eine weiße Frau, die Critical Whiteness und White Privilege als Begriffe und Seminarinhalte kennenlernen durfte, bevor sie ein Hashtag waren bzw. der Grund für viele White Tears in Entschuldigungsvideos in den sozialen Netzwerken. Ich werde auf diese Privilegien eingehen, aber halt witzig. Ja, ich finde, das geht. Schließlich ist das hier keine wissenschaftliche Arbeit. Ich bin keine Journalistin. Ich schreibe hier über mein Leben, meine Wahrnehmung, aber auch die Erlebnisse von anderen.

Ich freue mich sehr, wenn ihr mich nicht witzig findet, und mir das auch schreibt (warum erkläre ich in der Danksagung). Noch besser ist es, wenn ihr das öffentlich macht. Erzählt der ganzen Welt davon! Einfach Buch kaufen, mich taggen, den Verlag taggen und erzählen, wie krass scheiße ihr mein Buch findet. Das wäre richtig lieb, danke. Ihr könnt das auch als YouTub-Video machen, ist das nicht so ein Manifest-Ding bei jungen Männern? #migrantenmutti nicht vergessen.

Abschließend: Es ist möglich, über Elternschaft zu schreiben, ohne die eigenen Kinder als Content zu benutzen. Ich nehme die Privatsphäre meiner Familie sehr ernst und wenn ich Geschichten teile, sind sie häufig auch anonymisiert. Wenn es Geschichten von meinen Kusengs sind, die ihr, liebe Kusengs, erzählt habt, als ihr besoffen wart, sorry, aber das ist fair game.

Wenn ihr Leute seid, die dieses Vorwort gerade in einer Buchhandlung lesen, um zu entscheiden, ob ihr das Buch kaufen sollt, kriegt ihr sogar umsonst die Kernaussage mit auf den Weg. Und zwar die: Ich finde, ein bestimmter Teil nicht-migrantischer Eltern macht es sich unnötig schwer. Ich habe ein paar Theorien, warum das so ist. Ich finde auch, dass wir Migras es anders schwerer haben und hatten – und es deshalb als Eltern »leichter« haben wollen. Das Gute an einer traumatischen Kindheit ist allerdings, dass man extrem guten Humor entwickelt, wenn auch etwas dunkel.

Es gibt nebenbei bemerkt keinen Pokal dafür, wenn man ein Buch an einem Abend durchliest, die meisten von euch wurden eh schon viel zu viel gelobt in ihrer Kindheit, ihr könnt euch gerne Zeit nehmen. Manchmal lohnt es sich, ein Kapitel zu lesen und zu warten, drüber nachzudenken. Ihr müsst mir überhaupt nicht recht geben, ich weiß ja, was ich erlebt und daraus gelernt habe, ihr könntet aber annehmen, dass es die Erfahrungen von vielen migrantischen Eltern in diesem Land widerspiegelt.

Es geht auch um meine Ängste, es wird persönlich werden, aber vor allen Dingen geht es darum, dass ich froh bin, was in den letzten Jahren alles aufgebrochen ist: diese ewige Scham, was Akzente, Essensgerüche und Vornamen angeht. Es wird besser! Und guck mal, wir Russlanddeutschen haben nur 30 Jahre gebraucht. Jetzt haben wir alle Deutsche geheiratet und kriegen deutsche Kinder in Deutschland, wie schön. Aber bleiben Migrantenmuttis.

» Ich kam als Mutter nach Deutschland und unterlag auf einmal einem »Code of Conduct«, bestimmten Verhaltensregeln, die ich noch nicht entschlüsseln konnte. Ich bin in Südafrika relativ entspannt in meine Rolle als Mutter hineingewachsen. Eine Gesellschaft, die Kinder als das Normalste der Welt betrachtet, in der Muttersein keine Sonderrolle einnimmt und es völlig okay ist, für die Weihnachtsfeier des Kindes kurz das Büro zu verlassen. «

Aileen Puhlmann, Lieber Social Impact Sektor: Ich bin Müde!2

» Ich kam nach Hause und guckte fernsehen. Egal, wie alt ich war. Andreas Türck, Arabella Kiesbauer, die Anime-Sendungen auf RTL II, und Sabrina – Total Verhext!. Abends lief Buffy. Die Talkshows halfen mir zu verstehen, dass auch Deutsche „asozial“ sein konnten. «

Elina Penner, Nachtbeeren

Fernsehen

Wir haben ja keinen Fernseher. Ich korrigiere, wir besitzen kein Fernsehgerät, mit dem wir lineares Fernsehen konsumieren könnten. Das war mal eine bewusste Entscheidung. Genauso, wie ich zu Beginn meiner Mutterschaft recht vehement die Salzkristalle vom Laugengebäck mit einer Handbewegung abrasierte, war es mir mal wichtig zu betonen, dass wir keinen Fernseher haben.

Bis zu einem gewissen Grad ist es mir das noch heute. Nach »Wir haben ja keinen Fernseher« müsste allerdings der Satz folgen: »Wir haben einen Beamer.« Und mehrere Laptops. Und wir gucken das, was alle gucken. Bzw. wir streamen, bzw. bingen eher noch. Ich habe außerhalb meines Elternhauses noch nie einen eigenen Fernseher besessen, was nicht mal ansatzweise bedeutet, dass ich nicht ferngeschaut hätte. Bevor diverse Streaming-Plattformen unser aller Leben vereinfachten, musste meine Generation noch illegal streamen und downloaden, inklusive jedem erdenklichen Trojaner und Virus. Früher haben wir das Risiko in Kauf genommen, nur um die aktuelle Folge Gossip Girl zu sehen.

Serien zu bingen ist also nichts, was uns diese Plattformen gebracht haben, wir bingen, seitdem das Internet uns lässt. Und für Fernsehkinder wie mich gilt das seit ihrer Kindheit. Die Lieder von Rolf Zuckowski werden mich niemals da berühren können, wo »Mila ist 12 Jahre alt und lebt im fernen Japan« ein Gefühl auslöst, das ich nur als völlige Ekstase beschreiben kann. Ihr könnt mich nachts um zwei Uhr wecken, ich werde nichts von Pythagoras wissen, aber bis zum letzten »Irgendwann ist sie ein Superstar« mitsingen können, Wort für Wort. Wie soll man das erklären, was passiert, wenn »Hurra« erklingt und ich sofort weiß, dass jeden Tag ein anderes Spiel zu Ende ist, und bevor man nach Haus’ geht, reicht man sich einander die Hände und hat was gelernt? Ob am Boden oder oben. Dieses Pink, Orange und Grün kann mich bis heute mehr verzaubern als ihr Geheimnis. Sie waren für mich da, wenn ich sie gebraucht habe. Pluto und Goofey, alle waren bei mir. Der erste Anglizismus meines Lebens sagte mir, dass Sailor Moon wie ein Mann fighten kann. Ich habe den Mondstein festgehalten und wollte ihm folgen, meinem Traum von Gerechtigkeit. Ich kannte sie, die Melodie, die Katzen haben mich gerufen zum Mitternachtstanz. Wie selbstverständlich waren später auf meinen ersten selbstgebrannten CDs neben nicht-amerikanischem Hip Hop auch die Intros zu meinen Lieblingsserien aus der Kindheit, völlig unironisch.

Ich verbinde diese Songs, die Serien, die Farben mit meiner Kindheit. Genau wie das Ping der Mikrowelle oder die Tür, die aufgeht, wenn meine Mutter nach Hause kam, voll beladen mit Einkaufstaschen. Kinder gucken aus dem gleichen Grund Fernsehen wie Erwachsene auch: um sich berieseln zu lassen und um sich auszuruhen.

Bevor ich wusste, dass Deutsche Bürgi-Familien über ein Problem mit kindlichem Fernsehkonsum verfügen, wusste ich, dass gläubige Mennoniten keinen Fernseher haben. Entfernte Verwandte oder gute Freunde meiner Eltern hatten wirklich kein TV-Gerät, und ich akzeptierte das als etwas, was fromme Christen halt so handhaben. Ich wusste nicht, dass man sich gegen das Fernsehen aus »Bildungsgründen« (der Sorge um die Entwicklung des eigenen Nachwuchses) entscheiden kann. Es war mir einfach nicht klar, dass es wohl allgemeiner Konsens ist, dass Fernsehen angeblich »dumm«[2]  macht, nun, zumindest nicht klüger.

Bis ich Mutter wurde. Schnell war klar, wenn mein holder Nachwuchs keinen Zucker und kein Salz haben durfte, durfte er definitiv auch nicht fernsehen. Das flackernde Licht? Die sich viel zu schnell bewegenden Bilder? Zu laut, zu grell, zu viel von allem. Die Recherche, die ich als junge Mutter betrieb, führte in ein bodenloses Loch der Ratschläge. Eine Grauzone gab es nicht wirklich, Fernsehen war des Teufels. Hier waren sich die Bürgi-Großstadtfamilien um mich herum mal mit den strenggläubigen Mennoniten einig.

Sollte man dem eigenen Kleinkind irgendwann einmal sogenannte Screentime erlauben, dann am besten mit einer Stoppuhr und nur mit Sendungen aus der Liste der zugelassenen, also pädagogisch wertvollen Serien. Diese Liste existiert wirklich, man erhält sie beim Kauf des ersten Wollwalkanzugs oder Lastenrades. Kauft man beides, gibt es auch Konzerttickets für Deine Freunde dazu. Aber eigentlich sollte das Kind die ersten Jahre (Plural!) seines Lebens nicht in den Genuss des Bewegtbildes kommen.

An dieser Stelle lachen alle Eltern, die mindestens ein Kind haben, das, sagen wir mal, schon laufen kann, laut auf. Denn spätestens mit 18 Monaten kann dieses Kind Bücher aus Regalen reißen, auf Fensterbänke klettern, oder wie im Falle meines sehr großen ersten Kindes, Wohnungstüren öffnen. Duschen? Kochen? Mal schnell aufs Klo? Boah, es gibt da so drei bis sechs Monate im Leben eines Kleinkindes und seiner Eltern, da geht das de facto gar nicht, nicht ohne Konsequenzen. Drei bis sechs Monate? Der Protest ist mir sicher. Manche behaupten ein bis zwei Jahre. Doch das können wir dann im Kapitel zu »Erziehung« diskutieren.

Lasst uns festhalten, dass ich hier gerade nur die absoluten Basics menschlicher Existenz aufgezählt habe, die natürlich auch Müttern erlaubt sein sollten. Väter sind hier ausgenommen, die gehen duschen, kacken und trainieren, als wären sie Menschen, und nicht ebenfalls Eltern.

Wohnräume kann man durchsichern, aber lasst es euch sagen, der ein oder andere Wonneproppen kriegt sogar Backofensicherungen auf. Sprich, für manche Eltern sind fünf Minuten Peppa Wutz oder zehn Minuten Oonas und Babas Insel die einzige Möglichkeit, etwas in Ruhe zu erledigen.

Oder sich selbst eine Pause zum Klarkommen zu gönnen. Beides legitim. Ich kann nach zwei Kindern sagen, dass der Zeitpunkt, an dem sie sich dann mal endlich fürs Fernsehen interessiert haben, für uns der Gamechanger war. Soweit ich das mitkriege, interessieren sich nämlich die wenigsten wirklich kleinen Kinder für Bewegtbilder, zumindest nicht länger als ein paar Minuten.

Es gibt aber nicht nur die Eltern, die es ablehnen, dass ihr Nachwuchs fernsieht, sondern auch solche, die ihre Glaubenssätze wiederum in Content verwandeln. Dieser Content findet heutzutage in den sozialen Netzwerken statt. Da ich alt bin und keine Ahnung von TikTok habe, konzentriere ich mich auf Instagram.

Instagram ist nicht die reale Welt und anstelle von einem Spiegel, der uns dort vorgehalten würde, glaube ich, dass viele Accounts so was wie den Turmbau zu Babel vorspielen: Sie gerieren sich als die Art von Eltern, die sie und wir gerne wären, warum auch immer; ihre Kinder sind die Art von Kindern, die wir gerne hätten, deren Verbreitung aber stark eingeschränkt scheint. Wenn auf Insta also (meist) Frauen in Handykameras sprechen und davon berichten, wie sie Medienkonsum handhaben, dann muss man ein paar Dinge beachten.

Erstens: Sie könnten lügen. Das ist die naheliegendste, realistischste Annahme für so ziemlich alle Menschen, die im Internet etwas über ihren Lebensstil berichten. Da hat sich viel getan in den letzten Jahren, sicherlich, dennoch.

Zweitens: Es ist ihr Job. Influencen ist ein Job. Bäcker backen Brot, Pilotinnen fliegen Flugzeuge, Influencer*innen produzieren Content. Deshalb bevorzugen viele auch den Begriff des Content Creator. Es ist Arbeit und im Fall von so einigen Insta Moms ist nun mal das Zuhause der Arbeitsplatz, die Erziehung der Kinder Teil der medialen Selbstdarstellung und eure Reaktion Grundlage ihres Einkommens. Wirklich, die klügsten Content Creator wissen, dass es völlig egal ist, ob ihr sie feiert oder verabscheut, every klick is a good klick. Wenn eine Person es also durchzieht, dass ihre Kinder vor dem dritten Lebensjahr keine App öffnen, keine Serie und keinen Film schauen dürfen, und sie dann darüber im Internet spricht, dann weiß sie, dass ihr darauf reagieren werdet. Clickbait. Ihr werdet es entweder screenshotten und einer anderen Person schicken, oder einen Post direkt teilen und euch vielleicht darüber lustig machen, oder ihr schreibt ihr bzw. noch besser, kommentiert den Post. Hauptsache ihr reagiert, und solange Kooperationen abhängig von Story Views und Interaktionsraten bezahlt werden, werden Menschen, die Content produzieren, versuchen, diesen so zu steuern, dass er bei der Followerschaft eine Reaktion hervorruft.

Drittens: Natürlich kann es sein, dass manche Eltern es wirklich hinbekommen, dass ihre Kinder ohne irgendeine Form von Bewegtbildern aufwachsen und sie diese Tatsache dann wiederum als Bewegtbild durch YouTube oder Reel-Formate monetarisieren. Und das ist fein. Das ist total klasse, dass Eltern da draußen ihre kleinen Kinder nicht fernsehen lassen. Das hat nichts mit eurem Leben zu tun, das machen die so, und damit sind sie eine große Ausnahme.

Welche Botschaft bleibt also bei euch hängen? Dass Medienkonsum kleinen Kindern schadet? Auch wenn ich jetzt in die Whataboutismfalle tappe, aber können wir uns zumindest, trotz aller bestehenden Forschungsergebnisse zu dem Thema, darauf einigen, dass es Schlimmeres gibt? Denn was bei solchen Botschaften immer ignoriert wird, ist die Frage, wie es dir als Mutter dabei geht: Hi, wie geht’s dir? Ich warte die Antwort nicht ab, denn sie ist irrelevant, was zählt ist, wie es deinen Kindern geht. Heute schon genug aufgeopfert? Heute schon getragen, gestillt, gekocht, geputzt, nicht geschrien, nicht geflucht, nicht bestraft, nicht »Nein« gesagt?

Dieser Fernsehkonsum-Glaubenssatz ist dann irgendwann so tief eingeschraubt im elterlichen Rest-Hirn, dass er sich nicht nur einnistet, sondern zum Stamm eines riesengroßen Baums wird, an dem weitere Äste/Glaubenssätze, was alles vermeintlich »asozial«[3]  ist, fri-fra-fröhlich weiterwachsen. Je älter die Kinder werden, desto mehr Annahmen kommen hinzu.

Fernsehen ist und bleibt jedoch die Königsdisziplin der »Asozialität« in den Augen angeblich perfekter Eltern. Es vereint die zwei Lieblingsaspekte des ultimativen Bösen: Verblödung und Faulheit. Deshalb sollen ja die Babys nicht fernsehen, das Gehirn könnte darunter leiden. Das Kind könnte »dumm« werden! Und dann unter Umständen kein Abitur machen. (Beruhigt euch mal wieder: Wenn ihr Abi habt, werden eure Kinder statistisch gesehen Abi machen, auch wenn sie »dumm« sind. Ihr zahlt dann einfach für die Nachhilfe.)

Zurück zu meiner Situation als junge Mutter. Wir befinden uns also in einem meiner ersten großen Erwachungsmomente als Migrantenmutti. Das Kind ist schon lange nicht mehr klein, es ist immer noch Einzelkind, aber ich bin noch mitten in der »Wenn eine Serie, dann aber eine gute«-Phase. Für mich war das ganz klar Janoschs Traumstunde, finde ich immer noch hervorragend, auch Oonas und Babas Insel, mega, dicke Props an Christian Ulmen, wir haben viel gelacht.

Es folgt nun der deutscheste Satz meines Lebens: Als ich im Dänemarkurlaub die Janosch-Biographie von Angela Bajorek las, wurde mir klar, was ich einfach nicht gewusst hatte: Janosch ist ein Migra-Boy. Seine Figuren, angelehnt an Familienmitglieder, transportieren Migra-Humor vom Feinsten, seine Bücher sind krass klug, wenn auch sexistisch. Bis dato war ich fest davon überzeugt gewesen, dass die Tigerente Diddl für Bildungsbürger ist. Ich bin ja Generation Tigerenten Club, lebte in der Hochzeit der Janosch-Kommerzialisierung. Mir wird gerade mitgeteilt, dass es den Tigerenten Club noch gibt, na denn, Mazel.

Jedenfalls, ich wusste nicht, dass Janosch wirklich schöne Sachen geschrieben hat und ein krasses Leben hatte. Das war eure Kindheit, mit diesen Geschichten, liebe Mehrheitsgesellschaft? So schön! Wir hatten auch alle einen Onkel Popoff, also meistens hieß er Wowa, aber die Ähnlichkeit ist verblüffend. Also kaufte ich so gut wie jedes Buch auf so gut wie jedem Flohmarkt und verlor mich in den schönsten Geschichten über Freundschaft und Kleinsein und Großsein und Gerechtigkeit. Dem Kind war es relativ wumpe, Hauptsache, irgendwer las irgendwas vor.

Bis wir uns eines Nachts in der Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses fanden, unser Kind an einem Sauerstoffgerät angeschlossen, und ich vor lauter Mutterliebe nicht mehr wusste, was ich fühlen sollte, ich war überfordert. Es sollte nicht der letzte Krankenhausbesuch bleiben. Genaue Ursachen konnten nicht festgestellt werden, aber es wurde uns dringend geraten, das Kind aus der Kitabetreuung zu nehmen und erst nach einer längeren Pause einen Platz bei einer Tagesmutter zu finden.

Das Kind sollte ruhen, es sollte vor allen Dingen während der Krankheitsphasen ruhen. Nun war das aber ein Kind, das mit Ruhen nicht viel anfangen konnte. Also guckten wir Janosch. Die gleiche Folge. Immer wieder. Stundenlang. Das Kind schlief ein, das Kind guckte, das Kind wurde getragen, geschoben, und es ging ihm besser. Den Tagesmutterplatz kriegten wir auch. Außerdem war es uns ab dem Zeitpunkt krass egal, wie lange das Kind die Traumstunde schaute. Manchmal tagelang gar nicht, dann wieder eine Stunde am Tag, oder einen Film in der Woche. Oder auch mal stundenlang durch.

Diese neu etablierte Ambivalenz in meinem Leben hielt sich bis zum Januar 2021. Das Leben in Deutschland war geprägt von Lockdowns, Homeschooling, Burnouts, Erschöpfungszuständen bei Eltern, kurzum, geil war anders. Nach fast einem Jahr Corona lagen die Nerven verständlicherweise blank.

Während des ersten Lockdowns hatten sie auch blank gelegen. Die Hoffnung war noch stark gewesen, dass es bald vorbei sein würde, und alle versuchten weiterzumachen. So wie vorher. Aber nichts war wie vorher. Spielplätze waren abgesperrt, Familien sollten parallel in Wohnungen arbeiten, zur Schule gehen und in Elternzeit sein. Während manche Bananenbrot backten oder Tiger King guckten, wussten Eltern irgendwann nicht mehr weiter. Wir können hier eigentlich von Müttern sprechen, es sollte inzwischen allen bewusst sein, dass Müttern in dieser Zeit klar wurde, dass sich niemand für sie interessiert.

In meinem Kopf war dieser erste Lockdown eine Ausnahmesituation. Niemand wusste, was noch kommen würde, was richtig war, und die meisten von uns hatten auch wirklich Angst. Ich meine, wir haben Supermarktverpackungen desinfiziert. Ich wiederhole: Es war eine nie zuvor dagewesene Situation, eine globale Pandemie. Ein echter, wirklicher Ausnahmezustand.

Doch auf Instagram galt die Devise: business as usual, nur mit farblich unterlegten Stundenplänen. Nach ein bis zwei Wochen verkündeten die ersten Muttiaccounts ganz, ganz vorsichtig, sie hätten nun doch nachgegeben und die Medienzeit erhöht. Gerechnet wurde in Minuten, erhöht wurde von 20 auf 30, andere wiederum schmissen ihre »Geguckt wird nur am Wochenende«-Regel radikal über Bord und siehe da, es gab alte Sendung mit der Maus-Folgen auch am Mittwoch. Wow.

Gerechtfertigt wurde dieser unfassbare Ausbruch des Hedonismus damit, dass Mutti einen Videocall hatte. Und den Rest der Zeit? In dem sie ja auch arbeiten musste? Rastete sie aus, aber ganz leise. Allein mit keine Ahnung wie vielen Kindern in einer Wohnung, der Mann entweder im Büro oder ganz chillig am Rechner im Schlafzimmer, er musste ja in Ruhe arbeiten. Denn: Er verdiente mehr. Denn: Sein Job war mehr wert. Denn: Sie kann das auch abends noch nacharbeiten. Gibt es schon Zahlen zu den Scheidungsraten nach Corona?

Ich schrieb also Anfang 2021 online:

»Bitch, mach den Kack Fernseher an und arbeite. VER-ARSCH-ST du mich? Und wenn du dabei bist: schmeiß Tiefkühlpizza in den Ofen, Dino Nuggets, mach dir ein Bier auf und rock die Exceltabelle! Was geht ab?«

Ich konnte es nicht glauben, mir fehlte jedes, aber wirklich jedes Level an Verständnis gegenüber diesem Festhalten an den eigenen Glaubenssätzen. Vielleicht wollte ich es auch nicht glauben. Die Konstellationen sind ja immer anders, mal verzichtet eine Mutter in Elternzeit mit zwei kleinen Kindern auf Medienkonsum, mal eine mit Schul- und Kitakind. Oder eine mit mehreren Kitakindern? Puh.

Erschöpfte Menschen sprachen in Kameras und zählten auf, welche Bastelaktivitäten sie am zu Ende gegangenen Tag unternommen hatten. Mach den Fernseher an! Sie erzählten, wie schwierig es mit einem Fünf- und einem Dreijährigen ist, zwei bis drei Stunden am Tag in Videocalls zu sein. Mach den Fernseher an! Das Schulkind war ab 12 Uhr fertig mit Schule und Hausaufgaben, der Arbeitstag war dann aber erst zur Hälfte absolviert. Mach den Fernseher an!

Aber. Sie können doch nicht Kinder stundenlang vor den Fernseher setzen!? Über Tage, wenn nicht über Wochen? Doch. Geht. Geht sogar richtig gut. Wisst ihr, wer echte Probleme im Lockdown hatte? Eltern, die während des Lockdowns arbeiten gehen mussten. Auswärts. Nicht via Zoom. Für die gab es Notbetreuung, richtig.

Wir begeben uns jetzt mal auf eine Ebene, die wehtun wird und die wirklich, wirklich unangenehm, vielleicht auch unfair erscheinen könnte, aber here we go:

»Wie fucking privilegiert musst du sein, dass du a) im Homeoffice arbeiten kannst und b) anscheinend deine reguläre Arbeitswoche von 20 bis 30 Stunden die Woche irgendwie an zwei bis drei Stunden am Tag hinkriegst? Ist hier eigentlich irgendwem auf dieser komischen App bewusst, dass Homeofficegelaber schön und gut (danke auch an die Einrichtungstipps) ist, aber am Ende des Tages krass viele Menschen ihre, Entschuldigung, echten Jobs, nicht im Homeoffice machen konnten? Während ihr GEKLATSCHT und davon Videos gemacht habt???«

Auch das schrieb ich im Januar 2021. Noch nie wollte ich so gerne »Heul leise« in die Welt hinausschreien. Um mich herum verloren Menschen ihre Existenzen, lebten nur noch von ihren Ersparnissen, Musiker*innen, Künstler*innen deutschlandweit gaben online Konzerte, lasen vor Ringlichtern, lebten am Existenzminimum. Für Fotograf*innen brach von einem Tag auf den anderen ihr Leben zusammen. Gastro-Menschen? Done.

Die Restaurants, Clubs, Bars, Theater und Cafés, die über Monate unregelmäßig schließen mussten? Viele machten nie wieder auf. Die freiberuflich Arbeitenden, die erst Coronahilfen erhielten und sie dann zurückzahlen mussten? Viele von ihnen wurden in die Festanstellung gezwungen.

Corona hat uns gezeigt, was dieses Land von Familien hält, sicherlich, aber auch, was es von Menschen hält, die nicht festangestellt in einem Büro arbeiten. Interessantes Gefühl, nicht wahr, wenn man denkt, das eigene Land kann einen nicht ab? Seine Gesetze, seine Hilfsprogramme …, alles nicht für einen selbst? Beschissenes Gefühl ist das.

Also entschuldigt bitte, dass Eltern von gelangweilten Kindern, die kein Fernsehen gucken durften, the least of my problems waren.

Ich gab auf. Ich gab auf, immer Verständnis für eine Schicht zu zeigen, für Menschen, die nicht mit Zugehörigkeit hadern müssen, für Einkommen, die gesichert waren, für Eltern, die selbst eine Tigerenten-KiKa-Kindheit hatten. So wurde aus Unverständnis ein Lachkrampf der eigenen Erschöpfung, mithalten zu wollen.

»Ich dachte mir echt, ich kann noch so viel studieren, fette Jobs machen, Buchdeals an Land ziehen, aber ich bleibe ein ›Assi‹-Migrantenkind, denn Freundin, ich sehe deinen Stress nicht. Wo isser, was da los? Welchen Komplex lebst du da gerade aus? Was passiert da gerade in deinem Kopf? Wenn du die Kinder stundenlang Fernsehgucken lässt, was passiert dann? Werden sie dann zu kleinen ›Assi‹ Schlüsselkindern? So wie die anderen Kinder, die du von der Grundschule aus deiner Straße vom Vorbeigehen her kennst, während du schnell zur guten Schule deines Kindes schreitest, damit du dann zu deiner Bullshit-Arbeit gehst, wo du irgendwelchen Marken irgendwelche Zahlen oder Claims präsentierst?

Hast du Angst, dass das Fernsehen aus deinen Kindern ›Assis‹ macht?

Zahlst du Miete? Zahlst du Strom? Zahlst du ein Haus ab? Zahlst du für die Lebensmittel? Zahlst du für die Reitstunden, den Sportverein und die ganzen Nexo-Knights-Spielkarten? Haben Jonas Jasper oder Marie Magdalena einen Job? Nee, oder? Da du also eine berufstätige Mutter bist, die mit ihrer Berufstätigkeit RECHNUNGEN bezahlt, die allen helfen, zu leben, zu essen, und zu duschen, sollte deine Arbeitszeit während einer weltweiten Pandemie unter Umständen wichtiger sein als die vermeintlich verblödenden Gehirnzellen deines Grundschulnachwuchses. Who the fuck cares, jetzt mal ganz im Ernst. 

Oder warte mal ganz kurz, arbeitest du nicht, um diese Rechnungen zu zahlen? Doch, oder? Oder arbeitest du für das Teakregal, den Winter auf Bali und die veganen Turnschuhe? Für deine Putzfrau? In dem Fall lass dir von meiner Kindheit erzählen, und der von jedem anderen kleinen Migra-Kind, das ich kenne, voll süß. Da war es im Normalfall so, dass die Mütter, die wir so hatten, putzen gegangen sind, nach ihrer Festanstellung. Weil sie mussten. Voll witzig. Aber wenn man Mütter hat, die im Schichtdienst arbeiten und nebenher putzen, wisst ihr, wer dann mindestens 50 Prozent der Hausarbeit macht? Richtig, die Männer. True Story. Weil sie mussten.«