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Der ehemalige Soldat Mateo, der im Krieg seinen Lebensgefährten verloren hat, verliebt sich auf einer Raumstation ausgerechnet in einen Androiden. Als dieser eine Emotionenprogrammierung erhält, wirbelt das ihrer beider Alltag durcheinander … und das ist nicht das einzige Problem. Eine in sich abgeschlossene Science-Fiction Novelle.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Titelei
Hinweis zu Inhaltswarnungen
Inhaltswarnungen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Epilog
Impressum
Mikaels Entscheidung
Science-Fiction Novelle
Amalia Zeichnerin
Zu den Inhaltswarnungen
Inhaltswarnungen überspringen und direkt zum ersten Kapitel
Inhaltswarnungen
sexuelle Inhalte, aber keine expliziten Szenen. Gewalt (wird nicht direkt geschildert), sexuelle Nötigung (wenig), Tod/Verlust eines geliebten Menschen (in der Vergangenheit), Trauer, Depression, PTBS (nur angedeutet)
Kapitel 1
Mateo stieg aus dem Raumschiff, das ihn in seine neue Heimat gebracht hatte: Die Raumstation Andromeda_414, die sich nicht weit vom Planeten CV3RS_1 entfernt befand. Nur 20 x 24 Stunden, nach der alten irdischen Rechnungsweise, die noch immer weithin verbreitet war. Er zog seinen Rollkoffer hinter sich her. Der Armeerucksack, den er auf dem Rücken trug, war unangenehm schwer.
Aus dem Dienst auf CV3RS_1 war er entlassen worden, als er an der Front eine Beinverletzung erlitten hatte. Wenig später war der Krieg beendet worden. Zwar konnte Mateo dank der Heilkünste der Medibots aus dem Lazarett wieder gehen, aber die Funktionen seines linken Beins waren dennoch eingeschränkt – an schnelles Laufen, Kriechen oder gar Klettern war nicht mehr zu denken. Ein Arzt hatte ihm zu Fitnessübungen geraten, die er im Sitzen, Liegen oder Stehen machen konnte.
Seine Gedanken flogen zurück zu jener schrecklichen Zeit. Er war zu Kanonenfutter geworden, in einem sinnlosen Krieg. Eine Kameradin hatte versucht, ihn aufzumuntern; er sei ja immerhin nicht gestorben. Aber die Wut über all das flammte noch immer von Zeit zu Zeit in seinem Inneren auf, wie ein Schwelbrand, der sich nicht löschen ließ.
Er straffte sich und atmete tief durch. Mateo erinnerte sich daran, dass all das nun hinter ihm lag. Außerdem galt die Raumstation als sicher – ein neutrales, autonomes Gebiet, das zu keinem der Planeten im Umkreis gehörte.
Vor ihm breitete sich der Hangar der Station aus. Überall wuselten Menschen und humanoide Roboter um kleinere Raumschiffe und Shuttles herum. Die Humanoiden, oder Androiden, waren mittlerweile so ausgefeilt, dass sie von Menschen nicht mehr zu unterscheiden waren, zumindest optisch gesehen. Das Knacken einer Funkanlage ertönte, eine blecherne Stimme hieß die Neuankömmlinge willkommen. Mateo schluckte. Wie gern hätte er das alles Teem gezeigt, seinem Freund. Der in einem Krematorium auf CV3RS_1 eingeäschert worden war, schon vor über zwei Jahren. Dieser verdammte Krieg hatte Mateo das Liebste auf der Welt genommen. Mit einem frustrierten Seufzen fuhr er sich durch das ohnehin schon zerstrubbelte Haar. Zum Glück war er dieser Hölle entkommen. Aber er war nicht nur wütend, sondern hatte auch ein schlechtes Gewissen, an jedem verdammten Tag. Warum hatte er überlebt, aber Teem nicht? Mit einem Seufzen schüttelte er diesen Gedanken ab und zog sein Datenpad aus der Jackentasche hervor. Dort leuchtete die schriftliche Begrüßung einer KI der Raumstation auf:
Guten Tag und herzlich willkommen auf Andromeda_414, Mateo. Hier ein Lageplan, der dir den Weg zu deinem Quartier zeigt.
Natürlich hatte die KI im Vorfeld seine Daten erhalten und konnte ihn nun über alles informieren, was er wissen musste. Die kleine Gruppe an Passagieren zerstreute sich im Hangar, jede Person mit einem anderen Ziel vor Augen. Mateo folgte dem Lageplan, der ihm auf dem Display angezeigt wurde. Die Flure der Raumstation waren zweckmäßig eingerichtet und sauber, mit allerhand grünlich leuchtenden Lampen, einem beigefarbenen Boden und technischen Gerätschaften in der Decke, die Mateo nicht genauer einordnen konnte, da ihm das entsprechende Wissen fehlte. Als Soldat auf CV3RS_1 hatte er sich mit anderer Technik befassen müssen. Er war nicht freiwillig zum Militär gegangen, man hatte ihn in den Wehrdienst eingezogen, als der Krieg ausgebrochen war. Teem war es ebenso ergangen … und er hatte dafür mit dem Leben bezahlt.
Mehrere Leute kamen Mateo entgegen, darunter auch einige in fremden hellgrauen Uniformen. Sie nickten ihm knapp zu, manche mit einem Lächeln, was er mit höflicher Miene erwiderte. Beinahe stieß er mit einer langhaarigen Person in einem kurzen dunkelroten Kleid zusammen, die es offenbar eilig hatte. Überrascht entschuldigte er sich, doch sie hastete bereits weiter.
Moment mal, dachte er bei sich. War das ein Mensch oder ein Roboter gewesen? Er war sich nicht sicher. Möglicherweise gab es hier eine ganze Menge an Humanoiden? Mateo ärgerte sich über seine eigene Nachlässigkeit, diese Frage hätte er längst recherchieren können. Aber vermutlich gab es noch mehr Ungeklärtes, das er hier kennenlernen würde.
Schließlich erreichte er den Trakt, in dem sich seine Wohnung befand, gekennzeichnet mit einer aufgemalten 24A an der Eingangstür. Die Tür verfügte über einen Sensor, dieser erfasste sein Gesicht. Fast geräuschlos öffnete die Tür sich und verschwand teilweise in einem länglichen Schlitz in der Wand.
Mateo betrat sein neues Heim. Ein Wohnraum, in dem eine Küchennische integriert war, das Bad und ein kleines Schlafzimmer, immerhin mit einem relativ breiten Bett. Alles wirkte ordentlich und sauber, die Einrichtung war in hellen Grautönen und Weiß gehalten.
Einen Moment lang blickte er aus dem kleinen runden Fenster in die sternenfunkelnde Dunkelheit des Weltraums. Plötzlich musste er wieder an den Geschichtsunterricht in der Schule auf CV3RS_1 denken. Nachdem die Menschheit vor mehreren Jahrhunderten von der Erde aus in Richtung All aufgebrochen war, hatte sie genau das getan, was sie schon all die Zeit vorher perfektioniert hatte: neue Gebiete kolonialisieren und deren Rohstoffe ausbeuten. Entgegen vieler Geschichten und Theorien, die es damals gegeben hatte, waren die Menschen im All nicht auf Außerirdische gestoßen. Dafür aber auf viele unbewohnbare und vereinzelte bewohnbare Planeten, mit einer eigenen Flora und Fauna, die erforscht werden wollte. Auf einem dieser Planeten war allerdings die gesamte Besatzungskolonie einem tödlichen Virus zum Opfer gefallen, das von Tieren übertragen worden war.
Seitdem herrschten stärkere Sicherheitsmaßnahmen als früher. Der Krieg, in den sich die Regierung des Landes Gamma_CV3RS_1 mit anderen Ländern verstrickt hatte, basierte wie so oft auf dem Streit um Rohstoffe, die heiß begehrt waren und für die viele Leute über Leichen gingen.
Mateo wandte sich vom Fenster ab. Seine wenigen Habseligkeiten räumte er aus Rollkoffer und Rucksack in Schränke und Schubladen. Danach stellte er einen digitalen Bilderrahmen auf den Nachttisch und schaltete diesen ein. Das Display leuchtete auf und zeigte ihm eine Diashow mit Bildern von Teem, teilweise auch sie beide gemeinsam. Der Anblick bescherte ihm ein bittersüßes Gefühl, wie so oft.
Bis seine neue Arbeit in der Raumstation begann, hatte er noch rund 24 Stunden Zeit. Das diente der Akklimatisierung, war ihm mitgeteilt worden. Vielleicht war es nicht verkehrt, sich später ins Nachtleben zu stürzen? Vielleicht würde er Personen kennenlernen, mit denen er sich ein wenig anfreunden konnte … außerdem würde er sich auch beruflich mit dem hiesigen Nachtleben beschäftigen müssen, aber das hatte noch Zeit. Er schaute auf die digitale Uhr, die in dem Wohnraum hing. Sie zeigte auch das Datum und die Raumtemperatur an. 20 Uhr. Noch zwei Stunden bis zur Nachtruhe. Die allerdings nicht für das Vergnügungsviertel galt, so viel hatte er bereits herausgefunden. Natürlich war auf der Station gewissermaßen immer Nacht, da sich keine Sonne oder ein anderes helles Gestirn in der Nähe befand. Also hatten sie hier Zyklen von 24 Stunden künstlich eingeteilt in Nacht- und Tagphasen.
Mateo gähnte. Die Reise war lang gewesen und hatte ihn erschöpft. Er beschloss das Bett zu testen und ein Nickerchen zu machen. Das Nachtleben würde er später noch erkunden können. Er stellte seinen Wecker auf 21:30 Uhr und stellte bald fest, dass das Bett angenehm bequem war …
Als der Wecker schrillte, schrak Mateo aus dem Schlaf hoch. Herabstürzende Bomben, donnernde Explosionen, Feuer und Schüsse aus nächster Nähe … er schüttelte die grauen, grellen Eindrücke aus dem Krieg ab. Das war vorbei. Der Krieg war beendet und seine zerstörte Heimat wurde mittlerweile wieder aufgebaut. Die grausigen Bilder, das war nur ein verdammter Albtraum gewesen. Aber wann würde das endlich aufhören? Er hatte diese Träume noch immer viel zu oft und bekam jedes Mal Herzrasen.
In dem kleinen, aber zweckmäßigen Bad machte er sich frisch. Das kalte Wasser im Gesicht half ihm ein wenig, sich von den Eindrücken des Albtraumes zu distanzieren. Ein kritischer Blick in den Spiegel: Da starrten ihm seine 37 Jahre entgegen, auch die kleine Narbe an der Schläfe, die er sich bei einem Kampftraining zugezogen hatte. Seine hellbraunen Augen sahen so müde aus, wie er sich fühlte. Und er hatte einiges an Gewicht zugelegt, seit er aus dem Dienst entlassen worden war. Er gähnte verhalten und zog sich im Schlafzimmer Freizeitkleidung an: eine Hose, die sich eng um seine Beine schmiegte, ein Shirt mit einem silbrigen Print, dazu eine lockere Jacke mit einem Stehkragen.
Er warf noch einen Blick auf den digitalen Bilderrahmen, aus dem Teem ihn fröhlich anlächelte. Die Erinnerung schmerzte ihn. Aber er hatte Angst, zu vergessen, wie Teem ausgesehen hatte. Also sah er sich noch immer jeden Tag die Fotos an. Mateo schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Du willst hier einen Neuanfang machen, erinnerte er sich. Mateo wandte sich von dem Bilderrahmen ab, steckte das Datenpad in seine Jackentasche und verließ die Wohnung.
In dem weitläufigen Korridor, der vom Wohntrakt wegführte, begegneten ihm wieder einige Leute, die ihm höflich zunickten, außerdem ein Putzroboter, der quietschte und kleine fiepende Geräusche von sich gab, während er mit ruckartigen Bewegungen den Boden wischte. Das Teil erinnerte Mateo an einen überdimensionierten Käfer und ließ ihn schmunzeln.
Mithilfe des Lageplans auf seinem Pad konnte er sich gut orientieren und fand schon bald das Vergnügungsviertel. Eine Ansammlung verschiedener Etablissements, die auf dem Plan mit jeweils wenigen Zeilen beschrieben wurden. Eine Bar, ein Restaurant, ein kleines Theater, ein Tanzclub und etwas weiter abseits … ein Bordell. Er lachte beinah auf, als er die Beschreibung sah: Humanoide für euer sinnliches Vergnügen! Aber es war offensichtlich kein Scherz, sondern eine offizielle Ankündigung.
In Mateos Inneren kribbelte plötzlich eine ungeahnte Neugier. Auf seinem Heimatplaneten hatte er kaum näher mit humanoiden Robotern zu tun gehabt, erst recht nicht in einem sinnlichen Kontext.
Aber war es tatsächlich möglich, sie so zu programmieren, dass sie … Mateo dachte nach. Zum letzten Mal Sex hatte er mit Teem gehabt, als sie beide in einem kurzen Fronturlaub gewesen waren. Kurz darauf war Teem gefallen. Seitdem hatte Mateo es nicht gewagt, sich wieder mit jemanden einzulassen. Aber er hatte ja auch kaum die Gelegenheit dazu gehabt. Erst die Kämpfe, dann seine Beinverletzung, die immer noch manchmal für Schmerzen sorgte. Aber bei der bloßen Vorstellung, mit einem anderen Mann Sex zu haben, hatte sich ihm in den vergangenen Monaten der Magen umgedreht. Weil er nur wieder an Teem denken musste.
Er betrat das Vergnügungsviertel, das mit bunten Laternen geschmückt war. Um ihn herum lachende Gesichter und plaudernde Stimmen, im Hintergrund Musik, die zum Tanzen einlud. Die Türen der verschiedenen Lokalitäten waren farbig bemalt und teilweise mit Plakaten beklebt. Er blieb vor der Bar stehen. Nein, es war sicherlich keine gute Idee, sich wenige Stunden vor seiner ersten Arbeitsschicht die Kante zu geben. Das hatte er in letzter Zeit viel zu häufig getan. Weil er Teem vergessen wollte … und sein eigenes armseliges Leben, das ihm so leer erschien, seit er seinen Freund verloren hatte. Weil er die Einsamkeit ertränken wollte, wenigstens für einige Stunden. Aber er wollte seine neue Arbeit nicht in den Sand setzen und lieber einen guten Eindruck hinterlassen.
Weiter hinten sah er eine Wandmalerei, die angedeutete, halb abstrakte ineinander verschlungene Körper zeigte, in Rot- und Blautönen. Das musste das Bordell sein.
Wieder fühlte er diese seltsame Unruhe und Neugier in seinem Inneren. Vielleicht war es keine schlechte Idee, in den Armen eines humanoiden Roboters für eine Stunde oder so ein wenig Entspannung zu suchen? Wie würde sich das wohl anfühlen? Auf jeden Fall musste Mateo sich in diesem Fall nicht darum sorgen, die Gefühle eines Menschen zu verletzen – wenn er feststellte, dass dieser Teem nicht das Wasser reichen konnte.
»Ach, was soll’s«, sagte er zu sich selbst und trat zielstrebig auf das Bordell zu. Als er gerade die Tür öffnen wollte, kam gerade ein Mann mittleren Alters in einem silbrig glänzenden Anzug heraus, der verschwitzt, aber glücklich wirkte. Nein, glücklich war wohl das falsche Wort. Eher … befriedigt.
Mateo trat ein und fand sich in einem Eingangsbereich wieder, der mit einem plüschigen roten Teppich ausgelegt war. Drei Türen zweigten davon ab. Rechts Toiletten, geradeaus der Eingang, wie ein Schild mit roten, verschnörkelten Buchstaben mitteilte. Links die Anmeldung. Er öffnete die entsprechende Tür.
Eine Person mit schwarzen Locken lächelte ihn an, die an einem Empfangstresen saß. Rechts davon befand sich eine Sitzbank, davor ein niedriger Tisch mit einer Glasplatte. »Guten Abend. Bist du neu hier?«
»Guten Abend. Ähm, ja.« Mateo fühlte sich mit einem Mal verlegen, trotz der freundlichen Anrede.
Er sah auf das kleine Namensschild auf ihrer Bluse: Dianni, sie/ihr.
Auffordernd hielt sie ihm die Hand hin. »Bitte dein Datenpad. Für die Registrierung. Damit wir wissen, dass du volljährig bist. Und für unseren Fragebogen.«
Verwirrt blickte er sie an. »Was denn für ein Fragebogen?«
Ihr geschäftsmäßig freundliches Lächeln verschwand nicht. »Du beantwortest uns einige Fragen über deine Vorlieben und ich berechne für dich, welche unserer Humanoidenpersonen am besten zu dir passt.«
Das klang nicht schlecht, dachte er bei sich und reichte ihr sein Pad.
Sie scannte seine Daten in eines ihrer Geräte. »Ich habe dich nun registriert. Die Fragen kannst du durch Anklicken ausfüllen. Nimm gern Platz.« Die Mitarbeiterin des Bordells wies auf die Sitzbank.
Mateo setzte sich, scrollte durch die Fragen und klickte einige der zur Verfügung stehenden Antworten an. Seine Genderidentität? Cis männlich. Seine Pronomen? Er/ihm. Seine sexuelle Orientierung? Schwul. Bevorzugte er beim Sex die Top- oder Bottom-Positionen? Flexibel. Äußerliche Vorlieben bei einem Partner? Keine bestimmten. Und so ging es weiter mit noch weiteren Fragen, auch zu Kinks und BDSM. Damit kannte er sich allerdings nicht aus und verneinte Entsprechendes. Auch seine Interessen, Hobbys und Weltanschauung wurden abgefragt, außerdem seine Lieblingsfarbe. Er tippte auf Türkis. Schließlich war er fertig und reichte Dianni ein weiteres Mal sein Datenpad.
»Ich habe eine Frage«, begann er zögernd.
»Ja?«
»Wie werden die Humanoiden hier eigentlich betrieben?«
»Elektrisch. Sie verfügen über Akkus, die in regelmäßigen Abständen an einer Ladestation aufgeladen werden müssen.«
Mateo nickte. »Ich verstehe.«
Sie machte sich mit ihren Geräten an die entsprechende Berechnung und lächelte ihn schließlich wieder höflich an. »Perfekt. Unser Humanoide M1KA3L passt mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% zu deinen Vorlieben. Ich bitte ihn gleich her. Wenn du erst etwas trinken möchtest, teile ihm das bitte mit.« Dianni reichte ihm sein Pad und er steckte es ein.
Sie drückte auf den Knopf eines Mikrofons. »M1KA3L bitte in die Anmeldung, hier ist ein neuer Kunde für dich.«
Es gab keine Antwort. Zumindest keine hörbare.
»Einen Moment bitte«, sagte Dianni.
Etwa zehn Minuten später wurde eine Nebentür des Raumes aufgeschoben und ein Mann mit sehr aufrechter Haltung kam herein. Ein Humanoide, verbesserte sich Mateo im Stillen. Dieser trug einen schlichten schwarzen Abendanzug und dazu ein graues Hemd mit silbernen Knöpfen und einem Stehkragen. Seine Augen glänzten bläulich. Das dunkelbraune Haar war in einer modischen Kurzhaarfrisur gehalten und wirkte täuschend echt.
»Guten Abend. Ich bin M1KA3L«, sagte er mit der Andeutung eines Lächelns.
»Hallo, mein Name ist Mateo.«
»Es freut mich, dich kennenzulernen. Möchtest du erst in unserer Lounge etwas trinken? Oder auf unserem Zimmer?«
Mateos Mund war mit einem Mal ganz trocken. »Ich … ähm, ich würde mir gern die Lounge ansehen und dort etwas trinken.«
Die Vorstellung, mit diesem Roboter allein auf einem Zimmer zu sein, behagte ihm nicht, aber er konnte nicht genau sagen, woran es lag. Vielleicht würde es helfen, wenn sie erst einmal Smalltalk machten?
M1KA3L lächelte ihn erfreut an. »Komm, ich zeige dir gern die Lounge und bestelle dir etwas zu trinken.«
»Alles Weitere kannst du ihn fragen«, erklärte Dianni.
Mateo bedankte sich und folgte dem Humanoiden, der nun die Tür mit dem Eingangsschild öffnete.
Die Lounge dahinter war in hellen und dunklen Rottönen gehalten und voller Leute. Ein leiser Luftfilter flirrte im Hintergrund, dennoch waberten mehrere Gerüche herum: Parfüm und fruchtige alkoholische Cocktails, Schweiß und Aftershaves. Und unter all dem ein Raumduft mit einer frischen Orangen- und einer zarten Blumennote, der vielleicht für eine gemütliche Atmosphäre sorgen sollte. Mateo ließ seinen Blick durch die Lounge schweifen. Diese war eiförmig und ringsum gab es Türen, auf die Zahlen gemalt worden waren. Der weitläufige Raum verfügte über bequeme Sessel, Sofas und gepolsterte Stühle, auch mehrere weiße Tische. Einige der Anwesenden knutschten ungeniert miteinander, begehrliche Blicke wurden getauscht, hier und da Knöpfe geöffnet und Reißverschlüsse aufgezogen, Haut erforscht. Dazu Gelächter, Gekicher, leise Gespräche, aber auch stöhnende Laute.
»Such dir gern einen Platz«, sagte M1KA3L ruhig. »Und was möchtest du trinken?«
Mateo verwarf den Gedanken an den Wein. Er wollte lieber nüchtern bleiben. Das alles war so fremd für ihn. Und dass die Anwesenden so offen mit ihrer Sinnlichkeit spielten … er war noch nie an solch einem Ort gewesen, höchstens in feuchten Träumen. Er wandte den Blick von den halb ineinander verschlungenen Körpern zu seiner Linken ab und bat M1KA3L um eine Limonade.
Der Humanoide nickte. »Ich bin gleich wieder da.«
Die lustvollen Geräusche im Raum blieben nicht ohne Wirkung auf Mateo. Er fühlte eine ungewohnte Erregung in sich aufkeimen. Plötzlich dachte er wieder an Teem und bekam ein schlechtes Gewissen. Er hätte nicht hierherkommen sollen, das führte doch alles zu nichts!
In diesem Moment setzte sich M1KA3L direkt neben ihn auf das Sofa und reichte ihm ein hohes Glas mit orangefarbener Limonade.
Mateo stürzte die erfrischend-fruchtige Flüssigkeit fast in einem Zug herunter und wandte sich an den Humanoiden. »Ich glaube, ich gehe lieber wieder.«
Ein bestürzter Ausdruck bewölkte M1KA3Ls ebenmäßiges, bartloses Gesicht. »Habe ich einen Fehler gemacht? Möchtest du ein anderes Getränk?«, fragte er.
»Nein, du hast nichts falsch gemacht. Ich fühle mich einfach nicht wohl unter all diesen Fremden«, erwiderte Mateo und stellte sein Glas auf einem Beistelltisch ab.
M1KA3L erwiderte: »Ich mache dir einen Vorschlag. Komm mit auf das Zimmer. Wenn du dich dann weiter unwohl fühlst, kannst du immer noch gehen.«
Mateo blickte dem Humanoiden direkt in dessen künstliche Augen, die so echt wirkten. Wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, verspürte er noch immer Neugier. Wie würde es sich anfühlen, wenn er, wenn sie beide ...
Er straffte sich. »In Ordnung.«
M1KA3L erhob sich mit einer fließenden, geschmeidigen Bewegung, die so gar nichts von einem Roboter hatte und hielt Mateo seine Hand hin. Nach kurzem Zögern ergriff Mateo sie, ließ sich von seinem mechanischen Gegenüber zu einem der Zimmer führen, die von der Lounge abzweigten. Die Hand war überraschend warm.
Der Raum, in dem sie Augenblicke später standen, durch eine Schiebetür abgeschirmt von den restlichen Anwesenden, war ganz in Nuancen von Türkis eingerichtet, bis hin zu der seidig glänzenden Bettwäsche. Davon abgesehen, gab es nur zwei gepolsterte Stühle und einen Beistelltisch. Die Geräusche aus der Lounge drangen nicht bis ins Zimmer, offenbar waren die Wände gut isoliert.
Mateo wandte sich an M1KA3L. »Dieser Raum gefällt mir, das sind meine Lieblingsfarben.«
Das Lächeln des Humanoiden vertiefte sich. »Wunderbar. Möchtest du erst einmal zur Entspannung eine Massage? Ich habe eine Programmierung für zahlreiche verschiedene Techniken.«
Mateo fiel das Lächeln aus dem Gesicht, denn er musste wieder an Teem denken. Sein Freund hatte ihn oft massiert, er hatte ein Talent dafür gehabt. Aber dann erinnerte er sich: Massage war auch ein Thema in dem Fragebogen gewesen.
»Ja, das würde mir gefallen«, gab er zu.
M1KA3L wies auf das breite Bett. »Bitte zieh deine Oberbekleidung aus und lege dich auf den Bauch, so bequem wie möglich.«
Mateo wagte einen kleinen Vorstoß. »Zieh mich bitte aus.« Er wollte wissen, wie es sich anfühlte, wenn dieser Roboter ihn berührte.
M1KA3L blinzelte kurz, dann trat er näher an Mateo heran. »Wie du wünschst.«
Einem Impuls folgend, schloss Mateo seinen Augen. Die zarten Berührungen, als der Humanoide ihm die Jacke, das Hemd und Unterhemd abstreifte, wobei er Mateo auch darum bat, seine Arme zu heben … sie fühlten sich kaum anders an als die eines Menschen. Die Haut des Roboters war fest und warm. Mateo hatte eine glatte Kühle erwartet, aber irgendwie musste M1KA3L so konstruiert sein, dass seine Haut eine ähnliche Temperatur wie ein Mensch hatte.
»Möchtest du auch schon deine Hose ausziehen?«, schlug er vor.
Mateo öffnete seine Augen. »Gute Idee. Und die Schuhe und Socken.«
»Ja, das wollte ich als Nächstes vorschlagen«, erwiderte der Humanoide.
Nachdem das erledigt war, legte sich Mateo auf den Bauch. M1KA3Ls Berührungen fühlten sich angenehm an, aber einige Muskeln in Mateos Rücken waren so verspannt, dass das Kneten, Streichen, Klopfen und Drücken ihm wehtat.
»Hast du Schmerzen, hier?«, fragte sein Gegenüber.
»Ja, aber mach dir keine Sorgen. Das war zu erwarten, es kommt von der Anspannung.«
M1KA3L erwiderte: »Ich mache mir keine Sorgen. Aber wenn ich dich auf andere Weise massieren soll, sage es mir bitte.«
»Alles klar.«
Allmählich machte ihn die Massage müde, als die Entspannung einsetzte. Er atmete tiefer und ruhiger. Wer immer M1KA3L programmiert hatte, verstand sein Handwerk. Ganz von selbst fielen Mateo die Augen wieder zu. Himmel, solche Empfindungen hatte er schon lange nicht mehr erlebt, nicht seit Teem … er verscheuchte den Gedanken. Teem war nicht mehr da, auch wenn er so oft an ihn dachte. Immer noch, nach all der Zeit.
Etwa eine halbe Stunde später fühlte er sich so weich geknetet und tiefenentspannt, dass er einfach nur noch schlafen wollte.