MM - Von Liebe, Wut und Regenbogentorte - Christiane Risse - E-Book

MM - Von Liebe, Wut und Regenbogentorte E-Book

Christiane Risse

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Beschreibung

Monas Beziehung zu Tobias ist lieblos, ihre Träume von einem eigenen Café unerfüllt und dann stirbt auch noch ihr Vater. Maik pendelt zwischen Hamburger Verlagsmeetings und seinem Hof auf dem Land. Gefühle hält er für überbewertet, Nähe für gefährlich. Als ihre besten Freunde ausgerechnet sie zu ihren Trauzeugen erklären, prallen zwei beschädigte Herzen mit voller Wucht aufeinander. Während die Hochzeit geplant werden soll – inklusive einer völlig überambitionierten Regenbogentorte – führt ein gemeinsames Buchprojekt sie nach Paris. Zwischen Küchenchaos, Verlagsstress und Tagen voller unausgesprochener Spannung geraten Mona und Maik ins Schleudern. Zurück in Deutschland droht alles zu zerbrechen: ein einziger Abend, ein einziger Fehler – und plötzlich steht nicht nur das Topping auf dem Spiel. Doch manchmal braucht es Schmerz, Entfernung – und die Freiheit hinzusehen-, um zu erkennen, was das Herz schon längst wusste. Christiane Risse erzählt mit Witz, Gefühl und einer Prise Erotik von zwei Menschen, die den Glauben an die Liebe und ihre Träume verloren haben. MM – Von Liebe, Wut und Regenbogentorte ist eine Geschichte über verletzte Seelen, die zwischen Leidenschaft, Widerstand und Selbstfindung lernen, sich zu öffnen – und über eine Torte, die mehr verändert, als man denkt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 352

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Christiane Risse

Für meine Schmatzebacke

So wie du bist, lieb ich dich!

Verliere niemals den Glauben an deine Träume!

Christiane Risse

MM – Von Liebe, Wut und Regenbogentorte

© 2025 Christiane Risse

Coverdesign von: Jennifer Steinchen

Illustration von: Christiane Risse

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Softcover978-3-384-28983-4

Hardcover978-3-384-28984-1

E-Book978-3-384-28985-8

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Prolog

6 Monate zuvor

Jedes Jahr hat unser kleiner Weihnachtsmarkt ein anderes Thema, dieses Mal war es Licht in unseren Herzen. Ein schönes Motto, dachte ich. Zu dieser Jahreszeit brauchten wir alle Licht im Herzen – da reichte auch eine große Dosis Vitamin D3 nicht aus. Sämtliche Buden waren mit tausenden winzigen Lichtern dekoriert. Über dem zentralen Platz war ein großes Lichternetz montiert, so dass man sich fühlte, als würde der Sternenhimmel immer näherkommen. In der Mitte war der übergroße Weihnachtsbaum aus mehreren kleinen Bäumen errichtet worden. Warum mussten nur so viele Bäumchen für Das Fest der Liebe ihr Leben lassen?! Fast zwei Meter große Kerzen waren auf jeder zweiten Tanne befestigt, so dass er in hellem rotem Licht erstrahlte. Entlang der Gassen sah man weitere große Lichter stehen, die alle an einem großen Stromkabel hingen. Wer bezahlte eigentlich die Stromrechnung?

Die Schönheit der Umgebung zu genießen, weckte meine tiefe Sehnsucht – mit einem Mann die Weihnachtsstimmung zu genießen, die Lichter zu betrachten und den sinnlich süßen Duft nach Mandeln und Keksen durch die Nase aufzusaugen. Schnell vertrieb ich den Wunsch und konzentrierte mich auf den allgegenwärtigen Glühweinduft. Denn meinem ach so geliebten Lebensabschnittsgefährten Tobias war es viel zu kalt, um mit mir den Schnee zu genießen. Nach einem heftigen Streit über das Für und Wider von dicken Stiefeln, Pudelmütze und Fäustlingen war ich wutentbrannt wie ein eingeschnapptes Kind im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Haus gestiefelt.

Eva, die Arbeitskollegin meiner besten Freundin Charlotta, liebevoll Charly genannt, hatte mir erzählt, dass eben diese auf den Weihnachtsmarkt gelotst wurde, damit es endlich zu einer Aussprache mit ihrem Richard kam. Das war auch dringend nötig, denn sie hatte sich Hals über Kopf in den angeblich verwitweten Richard verknallt und kam wutentbrannt von ihrer Arbeitsreise nach Hamburg zurück, als sie das Foto seiner Frau auf der Nachtkonsole entdeckte. Unfassbar, sie sollte doch eigentlich wissen, dass kopfloses Verlieben nur in Unheil endete. Ströme an Tränen und schlaflose Nächte waren da doch vorprogrammiert. Aber nun gut, sie war erwachsen und musste es schließlich selbst wissen. Auf jeden Fall wollte ich mir dieses Spektakel einmal angucken und ich hielt auf dem Weihnachtsmarkt Ausschau nach Charly und Eva. An der Glühweinbude sah ich auf einmal eine rote Mütze aus der Menschenmenge hervorstechen – das musste sie sein. Ich mochte ihre Art aufzufallen und authentisch zu bleiben. Wahrscheinlich lag es daran, dass es mich immer wieder an die Zeit erinnerte, in der ich es ihr gleichtat. Vor Tobias war mir auch egal, was die Leute dachten oder sagten. Heute trug ich meine schwarze Winterjacke, einen grauen Schal und eine weiße dicke Mütze.

Das Hexenhäuschen, vor dem ich Charly fand,war nicht nur ein Glühweinstand, es war vielmehr wie ein Glühweinhaus. Außen auf der Holzveranda standen robuste Holzbänke, innen war auch alles bayrisch eingerichtet: viel Holz, viel Weihnachtsdeko und natürlich viele Lichter. Kleine Weihnachtsbäume standen an jeder Ecke und wer mochte, konnte die hölzerne Treppe in die erste Etage mit Blick über den Weihnachtsmarkt emporsteigen.

Charly saß inzwischen mit ihrer Kollegin Eva und zwei Männern draußen auf der Holzbank an einem mit kleinen Tannenzweigen und vielen roten Teelichtern dekorierten Tisch. Den einen Mann erkannte ich, das war Chris, Evas Ehemann seit fünfzehn Jahren. Den anderen Mann erkannte ich nicht, da er mir den Rücken zudrehte. Als meine Freundin mich durch die Menschenmenge entdeckte, winkte sie mir euphorisch zu.

„Mona“, rief sie so laut über die Gäste hinweg, dass sich alle umblickten. Wie peinlich! „Komm her, setz dich zu uns!“

„Ein kräftiges Hohoho in die Runde!“, begrüßte ich die Anwesenden.

Beim Betrachten des fremden Mannes wurde mir klar, dass es Richard sein musste. Seine Augen fixierten Charly und strahlten so hell, dass der Weihnachtsbaum sicherlich neidisch war. Beide hatten ein breites Grinsen auf dem Gesicht und ich zählte eins und eins zusammen. Hatten sie sich ausgesprochen? Glaubte sie etwa seinen Lügen? Ich kannte diese Art von Männern – groß, verwuschelte dunkle Haare, Lederhose, muskulös. Und meistens immer nur auf Sex aus. Wobei, Evas Mann war genauso gebaut und sogar ähnlich angezogen und sie hatte sich noch nie beklagt.

Charly stand von der hölzernen Bank auf und umarmte mich mit einer Wucht, die den Schnee schmelzen ließ. Genau das war es, was ich nach dem Streit mit meinem Geliebten brauchte - eine herzliche Umarmung meiner besten Freundin.

„Schön dich hier zu sehen. Setz dich zu uns und trink einen Glühwein mit.“

„Gerne, das kann ich gut gebrauchen!“

Eva rutschte näher an ihren Mann heran und patschte mit der Hand auf das dunkle Holz neben sich.

„Komm, hier ist noch ein Platz frei, Maik kann sich gleich woanders hinsetzen.“

Wer war Maik? Noch ein Rocker aus dieser Truppe? Na dann würde aber das Testosteron den Glühweinduft übertünchen.

„Danke dir, ich bleibe auch nicht lange“, setzte ich mich.

Wie gelogen das doch von mir war! Ich würde so lange bleiben, bis dass ich den ganzen Beziehungsstress mit stark alkoholisierten Getränken betäubt hatte. Dabei war es mir egal, ob es Glühwein, Lumumba oder Heißer Hugo war. Ich bräuchte wahrscheinlich sowieso nicht viel, denn mit Alkohol kam ich sonst nur als Backzutat in Berührung. Gleichzeitig wollte ich die traute Runde aber auch mit meiner miesen Laune nicht stören, diese ganzen Pärchen und verliebten Gesichter konnten keine Miesepeterin gebrauchen. Ich betete zum goldenen Engel, der über der angrenzenden Himmelspforte schwebte, dass dieser Maik genügend Glühwein mit viel Schuss mitbrachte.

„Mona, ist alles in Ordnung?“, fragte mich Charlotta mit einem Stirnrunzeln.

Meiner Freundin konnte ich wie immer nichts vormachen, dafür kannten wir uns schon zu lange. Aber sie musste nicht gleich wissen, dass ich schon wieder Zoff mit Tobias hatte. Ich wollte ihre Freude nicht mindern.

„Ja, klar. Ist nur etwas kalt“, folgte mein Blick dem zimtigen Geruch zur Theke, damit sie mir nicht in die Augen sehen konnte.

Bei meinem Ablenkungsmanöver entdeckte ich eine Gestalt, die mich mit ihrem Blick fast hypnotisierend anstarrte. Lässig lehnte er rücklings am Tresen, die Ellbogen abgestützt und – schon beim Anblick bekam ich eine Gänsehaut – mit einer luftig lockeren braunen Lederjacke. Lediglich ein dicker beiger Schal spendete ihm etwas Wärme. Er hatte etwas längere gelockte Haare und ein kantiges Gesicht mit einem kleinen Muttermal über seinen wohl geformten Lippen. Sie sahen unheimlich weich aus – wie zum Küssen gemacht. Ich schüttelte mich kurz. An was dachte ich da nur? Aber er war genau mein Typ – verwegen, ein bisschen milchbubihaft, aber aufgrund seiner muskulösen Schulterpartie definitiv ein starker Mann. Ich starrte ihn genauso an wie er mich und - grinste über beide Ohren! Er lächelte mich an! Ich fühlte mich, als wäre ich wieder vierzehn Jahre alt, als wenn mein Lieblingssänger Morton Harket mir auf einem Konzert persönlich zulächelte. Dieses Lächeln schoss direkt in meinen Unterleib und mein Puls raste. Tief durchatmen, Mona. Die Zeiten, in denen du mit diesen Machos geflirtet hast, sind vorbei! Aber irgendwas oder besser gesagt mein Bauchgefühl konnte nicht anders – ich lächelte zurück. So funktionierte also Konditionierung, dachte ich mir. Vor zehn Jahren wäre er nicht sicher vor mir gewesen, da wäre ich schnurstracks zu ihm hin und hätte gleich das nächstgelegene Hotel vorgeschlagen. Und am nächsten Morgen wäre er direkt gegangen und ich hätte nie wieder was von ihm gehört. Genau deswegen war ich mit Tobias zusammen - er war geblieben. Zum Glück drehte sich dieser Kerl nun nach hinten und nahm die fünf Glühweintassen entgegen, zahlte und schaute mich wieder an, setzte dieses gigantische Lächeln erneut auf und setzte sich in Bewegung in …

„Ah, da kommt Maik endlich mit den Getränken“, wies Charly mit einem Kopfnicken auf einen Mann hin, als ich mich zu ihr umdrehte. Sie lehnte sich zu mir über den mit rot-grünen Servierten belegten Tisch herüber und flüsterte mir zu:

„Sei vorsichtig Mona. Ich kenne dich schon zu lange, Maik ist definitiv genau der Macho, der Herzen bricht.“

Ihre Worte drangen wie durch Nebelschwaden zu mir durch. Stattdessen versank ich im Lächeln des Mannes, der von der Theke direkt auf uns zukam.

„Na endlich, Alter“, schreckte mich Richard aus meiner Lächeleuphorie, „Ich habe schon gedacht, du verschwindest mit den Getränken und der Bar-Elfe“, sagte Richard.

Selbst als der Mann die Getränke auf dem Tisch abstellte, ließ er mich nicht aus den Augen. Tiefbraune Augen. Mein Herz raste immer schneller und mir wurde so warm, dass ich meine Pudelmütze ablegte, nur um sie dann in meinen Händen fast in tausend Stücke reißen zu wollen. Plötzlich wurde mir bewusst, dass sie mich vor genau diesem Mann warnen wollte.

„Richy, du weißt doch, Freunde gehen vor. Außerdem…“, wurde sein Lächeln zu mir noch breiter, „sitzt hier doch die wunderschönste Elfe der Welt. Eva, rutsch mal beiseite.“

Ohne weiter um Erlaubnis zu bitten, drückte er sie auf der Bank zur Seite. Ich spürte seine dominante Präsenz, seinen muskulösen Körper, der sich zwischen uns quetschte und schlagartig auch seinen Arm, den er hinter meinen Rücken auf der Bank positionierte.

„Hey Engel!“, kommentierte er sein dreistes Verhalten zu mir gewandt.

Mir fehlten die Worte. Dieser Mann, dieses Lächeln saß direkt neben mir, mein Puls raste. Er sah aus der Nähe noch besser aus. Ich konnte nicht sagen, was mir mehr gefiel – diese vollen Lippen oder die strahlenden Augen. Wir waren uns so nah, dass mir sein herbes After Shave in die Nase zog – Hugo Boss. Na super, mein Lieblingsparfum! Zumindest früher, heute gab ich mich mit Nivea Men zufrieden. Tobias legte nicht viel Wert auf teures Parfum.

„Maik, lass meine Freundin bitte am Leben!“, feixte Charlotta ihn an und schnipste mit den Fingern vor seine Nase.

Schlagartig wurde ich aus meiner Trance gerissen, so dass ich ganz schnell meine Mauern hochfahren konnte.

„Ich krieg das schon hin, Charly. So mordsmäßig ist er ja nun auch nicht! Du weißt doch – Hunde, die bellen, beißen nicht“, antwortete ich ihr.

Kapitel 1

MONA

„Mein herzliches Beileid!“, umarmte mich irgendeine wildfremde Person, während meine Tränen einfach stumm die Wangen hinunterliefen. Kannte ich diese Person? Kannte sie ihn? So, wie ich es tat? Wenn ja, hätte sie ihre Wortwahl überdacht. Herzlich – das gehörte nicht zu dem Wortschatz, dem ich ihm zuschreiben würde. Manchmal vielleicht, da hatte er seine guten Tage gehabt und überschüttete mich und meine Mutter regelrecht mit Herzlichkeit – aber halt auch alle anderen Menschen in seiner Umgebung, vorwiegend weiblicher Natur. So war es nicht verwunderlich, dass eine Menge betagter Frauen auf dem Friedhof anwesend war, alle in ihren eigenen Tränen versunken. Heinrich, Spitzname Henry, war aber auch ein Mann gewesen, der jede Frau um den kleinen Finger wickelten konnte – sehr groß, dunkles volles Haar, strahlend blaue Augen und immer durchtrainiert. Zumindest in seinen besten Jahren. Seine andere Seite kannte kaum jemand, nur meine Mutter und ich hatten das Privileg den dunklen Henry zu kennen, wenn er an schlechten Tagen einfach nicht nach Hause kam oder, wenn doch, absoluten Gehorsam verlangte. Immer schön im Gegenzug mit einer Prise von Zärtlichkeit versteht sich. Mit diesen Gedanken stand ich nun hier vor seinem Grab – meinem Helden, der trotz allem immer für mich da war, mir Halt gab und mich aus jeder Patsche herausboxte.

Heinrich - mein geliebter und mausetoter Vater.

Ich spürte, wie sich aufkeimende Wut zwischen mein Gefühl der Trauer mischte. All diese Menschen kannten ihn nicht wirklich, wussten nichts von den Qualen, die er meiner Mutter beschwert hatte. Oder sie wollten es nicht wissen. Ich tippte eher auf Letzteres, denn schließlich wurde auf dem Lande immer alles hinter verschlossenen Türen getratscht, damit die Nachbarn ja nichts mitbekamen. Die glitzernde Fassade sollte doch nicht bröckeln. Wo kämen wir denn hin, wenn sich jemand schwach oder verletzlich zeigte? Das war nur auf Beerdigungen erlaubt. Es war auch derselbe Glaubenssatz, in dem mich meine Eltern erzogen hatten. Die Streitigkeiten, die bei meinen Eltern an der Tagesordnung standen, wurden im stillen Kämmerlein ausgetragen. Meine Rolle war dann die der Trösterin, vorwiegend meiner Mutter, wenn sie abends an mein Bett kam und ihre Tränen meine Barbie-Bettwäsche durchtränkten. So sehr, wie ich über meinen Vater fluchte, liebte ich ihn paradoxerweise jedoch von ganzen Herzen. Als Kind verstand ich nie, warum sich meine Mutter immer so aufregte, wenn er wieder einmal zu spät kam oder schwieg oder sie keines Blickes würdigte. Schließlich liebte er mich und brachte mir Dinge bei, die eine selbstständige Frau können musste. Reifen wechseln, hämmern, nageln, Ölwechsel machen. Er schenkte mir, wenn er mal zuhause war, seine ganze Aufmerksamkeit. Und zwar nur mir, ich war sein Mittelpunkt und seine Stütze. Als Jugendliche zerbröckelte dieses Bild, als ich aufgrund der Überliebe meines Vaters mit Hilfe von zahlreichen Jungsgeschichten rebellierte. Noch heute überlege ich, ob der Satz meines Patenonkels Sie wird mal eine Rassefrau den Startschuss dazu gegeben hatte. Und im Sinne einer traditionellen Frauenvorstellung wurde ich diese sogar – groß, Rundungen an den passenden Stellen und dunkle, lockige, lange Haare. Ich konnte einen Mann ansehen und es war um ihn geschehen. Ob ich es wollte oder nicht.

Meine Mutter sorgte als Gegenpol zu den handwerklichen Fähigkeiten meines Vaters für die hausfraulichen. Sie meinte immer, dass ich auch lernen musste, wie eine Mutter und Hausfrau zu agieren. Zeitgleich entwich ihr aber wütend im Nebensatz – das Leben ist unfair, trau keinem Mann. Sie war so voller Wut und Zorn, dass sich die Gefühle schon psychosomatisch bemerkbar machten. So sehr, dass sie heute vollgepumpt mit irgendwelchen Antidepressiva keine einzige Träne vergoss. Im Gegenteil – ihr verstecktes Grinsen blitzte derweil durch ihre aufgesetzte Witwen-Fassade.

Egal welche Tätigkeiten, oberstes Ziel meiner Eltern war, mich zu einer selbständigen Frau heranzuziehen, vollkommen unabhängig von einem männlichen Wesen. Und wo stand ich nun? Neben meinem Lebensabschnittsgefährten Tobias – die Erziehung hatte wohl ihre Tücken.

Langsam leerte sich der Friedhof und das dunkle Schwarz machte der hellgrünen Farbe des Rasens wieder Platz. Passend zum Frühlingsbeginn riss die Wolkendecke auf und wärmende Sonnenstrahlen trockneten meine Tränen. Wie sagt man doch gleich? Wenn bei einer Beerdigung die Sonne scheint, ist der Verstorbene gerne gegangen. War es wirklich so? Wollte mein Vater von dieser Welt? Verübeln konnte ich es ihm nicht, die letzten Monate seiner Krankheit hatten nichts mehr mit Leben zu tun. Ganz im Gegenteil. Er war nicht mehr der starke Mann von früher, der Krebs hatte ihn gebeugt und sämtlichen Lebenswillen aufgefressen. Selbst mein „Bitte Papa, versuch für mich zu essen und die Tabletten zu nehmen“ lief ins Leere und er verweigerte sämtliche Hilfe. Er wollte nicht mehr.

Meine Mutter und ich standen allein vor diesem großen schwarzen Loch und schauten auf den hölzernen Sarg, der nun fast gänzlich mit dunkelroten einzelnen Rosen bedeckt war. Mein Vater liebte rote Rosen, so wie ich.

„Tja, Mona. Das war es nun wohl“, lehnte meine Mutter ihren Kopf auf meine Schulter.

Ich umarmte sie. Sie war so klein und in sich zusammengesackt, dass sie fast vollständig unter meinen Armen verschwand. Ich spürte erneut die aufkommende Wut – die Wut auf meinen Vater, auf den Mann vor mir und das Leben überhaupt. Aber ich musste jetzt stark sein.

„Ach Mama, der Schmerz wird nachlassen. Und du hast doch noch mich.“

Glaubte ich das wirklich? Oder wollte ich nur stark sein? War mir bewusst, welche Last ich mir damit auflud?

„Mhm…“, rollte eine Träne über ihre Wange, „Aber du bist nicht bei mir, sondern beim ihm.“

Mit einem leichten Kopfnicken wies sie auf Tobias hin. Er stand ein paar Schritte hinter mir und kam nun auf uns zu. Er war der Meinung, dass es sich für ihn nicht gehörte, bei der Familie zu stehen. Er hasste Beerdigungen und alles, was mit Tränen zusammenhing. Generell hatte er für Gefühlsduseleien nichts viel übrig.

„Können wir gehen? Die anderen sind schon alle los“, unterbrach er die Zweisamkeit meiner Mutter und mir. Für ihn war der ganze Tag nur eine lästige Pflichtveranstaltung, die man dringend hinter sich bringen musste.

Ich schaute mich um, tatsächlich stand nur noch eine kleine Gruppe von Menschen etwas abseits an der Hecke, die den Friedhof umgab. Ich erkannte sie sofort, auch wenn sie in schlichten schwarzen Hosen und Jacken fast alle gleich aussahen – meine besten Freundinnen. Ihre Nähe und Wärme konnte ich sogar auf die Entfernung spüren. Sie waren da und halfen mir in dieser schweren Stunde. Und sie waren nicht allein, ihre Männer begleiteten sie und auch er war dabei. Ich spürte seinen Blick schon während der ganzen Zeremonie in meinem Rücken. Und seltsamerweise beruhigte es mich.

Kapitel 2

MONA

„Mona, so langsam reicht es jetzt mal. Sie kann doch nicht immer noch heulen wegen ihm – das ist jetzt sechs Wochen her. Es ist passiert, es ist vorbei und nun muss es wieder normal weitergehen! Sie muss wieder nach Hause.“

Tobias stand mit hochrotem Kopf im Türrahmen unseres Mini-Badezimmers, während in der Küche meine Mutter die zutiefst trauernde Witwe spielte. Ich hasste es, wenn er mir meine Styling Prozedur mit solchen Themen ruinierte.

„Sie muss weg, Mona. Wenn du ihr das jetzt nicht sagst, dann werde ich es tun.“

Während ich im Spiegel mein Mascara fein säuberlich zu Ende auftrug, antworte ich ihm:

„Ist ja gut, ich werde gleich mit ihr darüber reden. Aber lass mich eben schminken.“

Seine Wutausbrüche waren mir nur allzu gut bekannt und auch das leidige Thema meiner Mutter war nicht unüblich. Mach mal schneller, musst du sie schon wieder anrufen, gib dir mal Mühe… Immer öfter übernahm mein Rebellionswille die Oberhand, was mir langsam Sorgen bereitete. Nicht laut, nicht schimpfend – langsam und leise vollzog ich mein Bockigsein. Tobias brauchte nicht zu wissen, was in mir vorging, er musste nur mein Partner sein.

„Unfassbar, dass du immer so viel Zeit dafür verwendest. Vollkommen unnütz, du bist doch nur mit den Mädels verabredest und gehst auf keinen Maskenball.“

Ja, auch diese Sätze kannte ich von ihm und mein Puls schlug gleichmäßig weiter. Wie immer. Er konnte es nicht verstehen, dass auch die Pflege von Äußerlichkeiten zum Frausein gehörte. Ich musste innerlich schmunzeln, Frausein war bei ihm wirklich nicht von Nöten. Bei seiner Leidenschaft würde ein Faultier neidisch werden.

Tobias verließ seinen sicheren Türrahmen und ging in die Küche zurück. Ich konnte wieder atmen und mein Werk vollenden. Kurze Zeit später ging ich zu meiner Mutter, die zusammen mit ihm am Esstisch saß. Sie löffelte in meinem laktosefreien Pudding, daneben lag eine große Packung Taschentücher.

„Mama, wir müssen reden“, setzte ich mich zu ihnen.

Mein mulmiges Gefühl im Magen, etwas Falsches zu tun, breitete sich aus. Sollte ich das wirklich? Konnte ich meine Mutter aus der Wohnung werfen? Sie würde kein Wort mehr mit mir reden. Seit der Beerdigung war sie täglich bei mir – und zwar von morgens sieben Uhr bis abends zehn Uhr. Sie schaffte es nicht, den Tag ohne meinen Vater zu verbringen und brauchte meine Nähe. Oder wusste sie nur nichts mit ihrer Zeit anzufangen? Zum Glück war ich oft zuhause und konnte meine Arbeit hier erledigen. Sie allein hier zu wissen, wäre eine Katastrophe. Obwohl, auf jeden Fall bräuchte ich nicht mehr zu putzen. Ich wusste auch gar nicht, was Tobias sich darüber so aufregte, schließlich war er tagsüber auf seiner Arbeit in der Bank. Engelchen und Teufelchen stritten sich heftig auf meiner Schulter. Sie ist deine Mutter, sie will nur dein Bestes versus sie zerstört deine Beziehung, schmeiß sie raus. Tobias stechender Blick und mahlende Wangenknochen waren das Zeichen, das ich brauchte. Was ich hier wollte, spielte wohl keine Rolle.

„Weißt du, es wird Zeit, dass du so langsam in dein Leben zurückkehrst. Ich meine, du musst dich mit der Realität auseinandersetzen und überlegen, was du mit Papas Sachen machst und so. Und…“, ich atmete tief durch, „Tobias und ich brauchen die Zeit für uns. Ich muss auch mal wieder in die Firma.“

Ihr Kopf schnellte hoch und ich blickte in ihre rotunterlaufenen Augen. Erneut füllten sie sich mit Tränen.

„Du schmeißt mich raus? Darf ich etwa nicht bei meiner Tochter sein? Dafür sind doch Töchter da, wenn es der Mutter schlecht geht. Tobias, sag doch auch mal was.“

Ich wusste, dass sie diese Keule rausholen würde. Schon als Kind musste ich mir anhören, dass ich für ihre Gefühle verantwortlich war. Komm, iss noch eine Scheibe Brot, das macht mich glücklich – dass es schon die sechste Scheibe war, interessierte sie nie.

„Mama, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich kann dich ja besuchen kommen.“

„Das sagst du jetzt und wenn ich erst fort bin, vergisst du mich genauso wie dein Vater es getan hat.“

Ich hasste es, wenn sie mich mit meinem Vater verglich. Und ich hasste es, wenn sie so über ihn sprach.

„Stimmt doch gar nicht!“

„Sieh es als Chance neu anzufangen“, mischte sich nun auch Tobias mit einer klaren, kühlen Stimme in das Gespräch ein. „Du musst lernen klarzukommen. Die Versicherungen müssen gekündigt werden, die Dokumente geändert und das Testament endlich geöffnet werden.“

War klar, dass er nur wieder ans Geld dachte. Typisch Banker. Dass er nicht gleich Vaters gesamtes Geld auf sein Konto überwiesen hatte, war alles.

„Ich helfe dir auch bei allem“, versuchte ich die Situation nicht eskalieren zu lassen.

„Ihr – ihr“, rang sie sichtlich nach Luft, „Ihr seid doch nicht besser als er. Und du Tobias, bist doch eh nie zuhause. Wer weiß, wo du immer bist! Aber von dir hätte ich es am wenigsten erwartet. Pah“, wutentbrannt schob sie ihren Stuhl nach hinten, „Ich brauche euch doch gar nicht. Ich kann das gut selbst regeln. Und glaubt ja nicht, dass ihr nur einen Pfennig sehen werdet!“

Mit erhobenem Zeigefinger bohrte sie Löcher in mein Herz.

„Aber Mama, so ist das doch alles gar nicht gemeint. Sei nicht böse. Bitte!“

„Papperlapapp, ich gehe. Hier bin ich eh nicht willkommen. Und du wirst schon sehen, dass nichts für ewig ist, auch nicht deine angebliche Liebe zu Tobias, auch wenn er wenigstens noch der Blinde unter den Einäugigen ist. Du wirst es verbocken und dann wirst du irgendwann zu mir angekrochen kommen. Dein Vater ist nicht mehr da, um dich in Schutz zu nehmen.“

Ich starrte ihrem wehenden schwarzen Mantel hinterher, als sie durch die Wohnungstür nach draußen stürmte. Nun war es an mir, dass sich meine Augen mit Tränen füllten. Das hatte sie wirklich nicht verdient. Sie war immerhin meine Mutter und hatte ihren Mann gerade verloren.

„Gottseidank hat das eine Ende!“, stieß Tobias laut hervor, als die Haustür ins Schloss fiel.

Ich spürte, wie heiße Wellen meinen Körper erfassten. Mein Atem beschleunigte sich. Wusste er, was Ende bedeutete? Seine Eltern und sogar Großeltern lebten noch und erfreuten sich bester Gesundheit. Seine Eltern legten ihm Goldbarren zum Kuscheln ins Kinderbett. In seiner Familie regierte das Geld, Gefühle wurden als Todesurteil angesehen.

„Das ist alles, was du zu sagen hast, Tobias?“

„Ja, jetzt haben wir endlich wieder unsere Ruhe. Dieses ständige Heulen vermiest einen voll die Stimmung.“

Fassungslos starrte ich ihn an. Nichts sagen, Mona, sonst geht er auch noch. Reiß dich zusammen. Er meint es nur gut.

„Jetzt guck nicht so, sonst gehe ich ihr gleich hinterher!“

Ich schluckte den bitteren Kloß hinunter, der sich in meiner Kehle zusammengeschnürt hatte. Nein, er durfte nicht gehen. Er war der einzig bodenständige Mann in meinem Leben. Ich wollte nicht wieder von Null anfangen. Also tat ich, was ich schon als Kind immer getan hatte.

„Wahrscheinlich hast du Recht.“

„Ja, habe ich auch.“

Ich spürte, wie die Küche immer enger zur Größe einer Abstellkammer schrumpfte. Ich konnte nicht mehr atmen. Der ganze Raum drehte sich und der Boden unter meinen Füßen wankte, als würde ich auf Pudding stehen. Ich musste hier raus!

„Ich muss nun aber wirklich los.“

„Ja, geh du nur zu deinen Freundinnen und lass mich hier allein. Was ist mit Essen?“

Ich wollte nicht mehr an mir halten. Du bist alt genug, dass du dir selbst was machen kannst. Ich dachte daran, wie meine Mutter gerade das Haus verlassen hatte. Der kalte Luftzug, der von draußen reingeweht war, hing wie ein schwerer, schwarzer Vorhang im Raum. Ich wollte nicht, dass er abgerissen wurde.

„Im Kühlschrank steht noch der Rest von Mamas Eintopf glaube ich. Bis später!“

Ich schnappte mir meine Handtasche von der Kommode und stürmte aus dem Haus. Ich wusste schon, warum wir nach sieben Jahren immer noch nicht verheiratet waren.

Eine Stunde später betrat ich das Café Teichblick. Dank der strahlenden Maisonne war meine Wut während der Fahrradtour mit jedem weiteren Meter abgeflaut und der Schwindel ließ nach. Ich war bereit für unser vierwöchiges Frühstück.

Als einziges Gebäude am See war das Café ein Anziehungspunkt für Genussmomente. Klein, aber fein. Außen mit einer Sonnenterasse, innen liebevoll rustikal eingerichtet und einer Speisekarte, die keine Wünsche offenließ. So ähnlich sah mein eigenes Traum-Café aus, nur müsste es noch gemütlicher, naturverbundener und lebhafter sein. Und natürlich müsste ich in der Küche stehen. Ein kleines Bauernhaus wäre perfekt für meinen Wunsch, mich endlich selbständig zu machen. Nur, das passte so gar nicht zu den Vorstellungen meines geliebten Freundes Tobias oder in mein finanzielles Budget. Er hasste das Landleben und alles, was nur im Entferntesten mit Dreck zu tun hatte - zu viele Bazillen und Viren. Und Stroh erst! Grauenvoll, was diese piekenden, gestorbenen Gräser mit der Haut machten.

Ich fragte mich öfter, warum er überhaupt in dieser zwölftausend Seelen Stadt wohnte, wenn er es so hasste?

„Hallo ihr Lieben, schön euch zu sehen!“, setzte ich mein strahlendstes Lächeln auf, das ich in meiner Trickkiste finden konnte. Ich nahm auf dem Sofa neben Jana Platz, schloss die Augen und lehnte mich in den weichen Stoff. Sekunden später tauchte auch schon Bärbel, das gute Herz des Cafés auf, als hätte sie schon auf ihren Einsatz gewartet.

„Guten Morgen die Damen!“, begrüßte sie uns. „Dasselbe wie immer?“

„Guten Morgen und sehr gerne, wie immer das Genießer-Frühstück für vier“, bestellte Sabine.

Und schon war Bärbel wieder genauso schnell in der Küche verschwunden. Irgendwann musste ich ihr doch einmal folgen, was in den abgelegenen Räumen des Cafés so vor sich ging.

„Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Warum sitzen wir immer hier und nicht bei Mona? Sie könnte uns viel besseres Essen zaubern und es wäre sicherlich kostengünstiger“, ergänzte sie.

Sabine war die älteste von uns, hatte einen Sohn und war schon lange Single. Seit der Trennung vom Vater des Kindes, so nannte sie ihren Ex immer, hatte sie ihre Mauern so hoch gebaut, dass der fehlende positive Lebensblick uns manchmal Sorgen bereitete. Sie tauchte immer öfter in depressive Phasen ab und es gestaltete sich immer schwieriger ihr darüber hinwegzuhelfen. Dazu kam ihre ausgeprägte Geldkontrolle, die ihr nur allzu oft das Leben schwer machte. Als gelernte Finanzbeamtin kannte sie alle Kniffe, um ihr Leben mit ihrem Sohn unabhängig vom Unterhalt des Vaters zu führen. Sie musste sich allein durchkämpfen, dachte sie zumindest. Wenn wir sie unterstützen wollten, musste es immer im Geheimen stattfinden. Für meine Mutter und Tobias war sie die perfekte Traumfrau – bis auf das Gehorchen, das lag ihr nicht so.

„Ach Sabine, lass Mona doch auch mal zur Ruhe kommen. Hier werden wir wenigstens von vorne bis hinten bedient und keiner von uns muss in der Küche stehen“, antwortete Charlotta für mich.

„Süße, ich bin anwesend und nicht irgendwo unterm Tisch. Und nur fürs Protokoll: Ich würde euch sehr gerne einmal zum Kaffeekränzchen einladen. Nur…“.

„Ist schon in Ordnung“, fiel mir Charlotta ins Wort, „wir wissen doch, dass Tobias nicht gerne Gäste zu Besuch hat. Liegt nicht an dir.“

„Lieb von dir Charly, das ist die eine Sache. Ehrlicherweise muss ich Sabine jedoch Recht geben. Ich würde euch zu gerne irgendwann einmal in mein Bistro oder Café einladen. Natürlich vollkommen kostenlos für die besten Freundinnen, die man haben kann. Aber mein Traum wird wohl ewig nur ein Traum bleiben. Das nötige Kleingeld fehlt.“

Charlotta, Jana, Sabine und ich. Seit fast dreißig Jahren existierte dieser Mädelsclub. Wir wussten alles voneinander. Es war eine Freundschaft, die alle stürmischen Zeiten mit Höhen und Tiefen überdauerte. Und die hatten wir alle. Mein Beitrag dazu waren abgebrochene Studiengänge, niederschmetternde Männergeschichten, Auszug bei meinen Eltern und nun auch der Tod meines Vaters. Das Einzige, von dem nur Charlotta wusste, waren meine jetzigen Beziehungsprobleme. Und das auch nur, weil ich manchmal in ihrer Praxis eine Best-Friends-Therapiestunde erhielt. Für die anderen lebte ich in einer funktionierenden, glücklichen Dauerfreundschaft mit Tobias. Auf der einen Seite brauchte ich ihre gut gemeinten Ratschläge nicht und auf der anderen Seite wollte ich ihnen auch nicht mit unbedeutenden Streitigkeiten den Tag verderben. Es war mein Strudel, in dem ich lebte.

Charlotta war von Haus aus Psychologin und wollte im Sommer nach Hamburg zu ihrer großen Liebe Richard ziehen. Mir grauste schon davor, nicht mehr Hals über Kopf in ihre Praxis stürmen zu können. Obwohl ich mich für sie freute, dass sie mit ihren 46 Jahren nach ewig langem Single-Dasein endlich ihren Traummann gefunden hatte, würde sie mir fehlen. Und ich war neidisch. Neidisch auf ihr Glück, obwohl man das unter guten Freundinnen nicht sein sollte. Unbewusst glaubte ich jedoch, dass auch ihre Liebe nicht auf Dauer sein sollte. Sie war viel zu verliebt und schloss die Augen vor der Realität, dass es wahre Liebe nur in Filmen gibt. Sissi war ihr da zu Kopf gestiegen.

„Mona, wie geht es dir überhaupt? Die letzten Wochen waren bestimmt nicht leicht für euch“, fragte mich Jana.

Es war so typisch für sie. Sie interessierte sich immer mehr für andere als für sich selbst und war in der Runde diejenige, die immer mehr hinter dem Gesagten entdeckte, als einem selbst lieb war. Glücklich verheiratet mit zwei Kindern, war sie die Vorzeigefrau in unserer illustren Runde. Allerdings machte ihr manchmal ihre anerzogene Unterstützerrolle gesundheitlich zu schaffen. Schlaflose Nächte und Migräne standen oft an der Tagesordnung. Ein Nein gehörte nicht in ihren Grundwortschatz. Da sie die Jüngste von uns war, gab es immer mal wieder Phasen bei ihr, in denen sie immer noch das Ziel ihres Lebens suchte. Mal widmete sie ihre Zeit voll und ganz einem Ehrenamt, mal versank sie in künstlerischen Tätigkeiten und am nächsten Tag studierte sie die Stellenanzeigen.

„Lieb von dir, dass du fragst, Jana. Es geht mir schon wieder ganz gut.“

Sie schaute mich mit einem Stirnrunzeln an.

„Oooookkkk… Gut sagst du also. Und woher kommen dann die dunklen Augenringe?“

Mist. In der Hektik des Streites von vorhin hatte ich wohl vergessen, den Concealer aufzulegen. Ich konnte doch die Stimmung jetzt hier nicht verderben, indem ich erzählte, wie es mir wirklich ging. Jede Nacht vermisste ich meinen Vater, jede Nacht heulte ich mich still und leise in den Schlaf, nur damit Tobias nichts davon mitbekam. Er verabscheute Gefühle und jegliche Art von Schwäche. Es sei denn, die theatralische Darbietung der Emotionen diente einem höheren Zweck oder beschränkte sich auf Wut. Also hieß es für mich Tag ein Tag aus ein wenigstens annähernd fröhliches Gesicht zu machen, so dass sich keiner der beiden angegriffen fühlte.

„Och, es ist wirklich nichts. Die letzte Nacht war nur etwas kurz, ich habe ein neues Rezept ausprobiert und die Küche etwas überstrapaziert.“

„Mhm, lecker! Das klingt gut – was hast du gemacht?“

Das war meine Art mich abzulenken – Kuchen backen. Schon als Kind verarbeitete ich meine Gefühle wortwörtlich im Teig. Ich liebte das Spiel mit den bunten Backfarben genauso wie das anschließende Dekorieren. Je nach Laune entstanden blutrote Cupcakes, dunkelgrüne Muffins oder strahlend gelbe Sahnetorten. Dass mein letztes Kuchen Experiment schon Tage zurücklag, musste niemand wissen.

„Ich habe eine Regenbogentorte ausprobiert. Mein Cousin hat bald Kommunion und wünscht sich unbedingt etwas Farbenfrohes. Jede einzelne Lage musste eingefärbt und gebacken werden. Jeweils 9 Minuten. Dann auskühlen, dann wurde die Sahne geschlagen und mit einer Prise echter Bourbonvanille…“.

„Stopp, Mona, ich brauche hier keine Rezept Beschreibung. Wir haben es verstanden – du bist die Expertin und wir kaufen den Fertigteig“, unterbrach mich Jana und hielt mir ihre Hand wie damals meine Erdkundelehrerin vors Gesicht, wenn ich ruhig sein sollte.

Wir mussten alle herzhaft lachen, vor allem, weil genau in dem Moment Bärbel unser Frühstück brachte. Der Duft nach frischem Cappuccino, Croissants und – iiiiihhh – Camembert stieg mir in die Nase.

„Jetzt mal Spaß beiseite. Schaut euch dieses Frühstück an und dann stellt euch das Frühstück bei Mona vor“, schloss Charlotta ihre grasgrünen Augen. „Frisch gepresster Orangensaft, Rührei in allen Variationen mit viel Speck, frische Erdbeeren, selbst gemachte Marmelade, Nutella, frisch gebackenes Landbrot, Gläser mit prickelndem Sekt, eine Holztablett mit geräuchertem Schinken. Seht ihr es vor euren Augen? Riecht ihr es?“, forderte uns Charlotta auf.

Selbst ich schloss meine Augen, nur um sie schnell wieder zu öffnen. Der Stich in meinem Herzen tat zu weh. Sabine schaute den beiden lächelnden Mädels nur kopfschüttelnd zu und nippte an ihrem Kaffee. Mit Träumen, Fantasiereisen oder anderen meditativen Übungen stand sie auf Kriegsfuß.

„Traumhaft“, ergänzte Jana.

„Charly, lass bitte gut sein. Ich weiß, dass du mich nur überreden willst, den Catering Service gegen ein Café auszutauschen. Ich habe kein Geld, keinen Ort und … Ach, du weißt schon!“, beendete ich ihre Mini-Traumreise.

Dass sie immer wieder Salz in die Wunde streuen musste, ärgerte mich. Ich war zufrieden mit meiner Catering Firma. Hier mal ein paar Häppchen für Beerdigungen, da mal ein paar größere Schnittchen für Hochzeiten. Torten und Kuchen konnte ich nicht an den Mann bringen, es gab genug Bäckereien.

„Süße, ich möchte dich nur ab und zu an deinen Traum erinnern. Ist mein Job, sorry! Apropos Job, ich habe euch etwas mitzuteilen!“

Ich verschluckte mich beinahe am Cappuccino und Sabines riss ihre Augen weit auf. Gab meine Freundin etwa ihren Beruf auf - nur für Richard? Charlottas Lächeln reichte mittlerweile bis zum Hinterkopf und nach der theatralischen Pause fuhr sie fort:

„Ihr alle habt einen Job – ihr werdet meine Brautjungfern. Ich heirate Richard im August!“, klatschte sie wie ein kleines Kind in ihre Hände und hüpfte auf dem gepolsterten Sessel auf und ab.

Wow, Beerdigungen und Hochzeiten gingen anscheinend Hand in Hand. Wir schluckten den Bissen herunter und drückten und knuddelten und beglückwünschten Charlotta. Hoffentlich ist sie sich der Konsequenzen bewusst! Eine Hochzeit bedeutete immer, dass Selbständigkeit verloren geht. Und Liebe ist niemals für ewig, allein der Verstand zählt.

„Und Mona, du wirst meine Trauzeugin. Du kannst auch mal etwas mehr Farbe und Freude in deinem Leben gebrauchen, anstatt nur die Kuchen zu backen! Und…“, legte sie erneut diese theatralische Pause ein, „du wirst Richards Freund Maik an deine Seite bekommen.“

Kapitel 3

MAIK

SIE: Mein Schatz, wie geht es dir? Ich hoffe, die Arbeit nimmt dich nicht zu sehr in Anspruch und dein ach so süßes Köpfchen platzt nicht!

Schatz? Ich glaubte mich verlesen zu haben! Ich war nicht ihr Schatz und schon lange hatte ich kein süßes Köpfchen! Als wenn sie sich je Sorgen um mein Wohlergehen gemacht hätte, dann wäre sie damals nicht von heute auf morgen aus meinem Leben verschwunden.

SIE: Ist in Deutschland schlechtes Wetter? Ernährst du dich auch gut? Treibst du genügend Sport? Mir geht es hervorragend! Ich liege den ganzen Tag nur am Pool in der Sonne oder bin mit Harald im Theater oder Restaurant auf dem Eiffelturm. Gestern haben wir einen Hubschrauberflug entlang der Seine gemacht. Er scheut keine Kosten und Mühen.

Mein Brustkorb schnürte sich immer enger zusammen und meine Fingerknöchel wurden weiß. Was war sie nur für eine Frau? War sie es überhaupt? Mit ihrer Geldgeilheit konnte sie glatt Krösus Konkurrenz machen. Hauptsache ihr ging es gut, war ja klar.

ICH: Alles bestens. Viel Spaß weiterhin und pass du lieber auf deinen Alkoholkonsum auf! Maik

So, das sollte reichen. Mehr war sie nicht wert. Wer dieser Harald nun schon wieder war, interessierte mich nicht die Bohne. Ich hatte im Leben meiner Mutter schon so viele Männernamen gehört, dass es sich nicht lohnte ihn zu behalten. Immer nur auf Kohle aus, immer unterwegs – typisch Frau. Das hatte mein Vater schon vor dreißig Jahren gesagt, als sie uns verlassen hatte. Und meine erste große Liebe Pia war auch nicht besser gewesen. Die zweite auch nicht. Da kam irgendein Knilch mit viel Kohle daher und zack - waren sie weg. Oder er hatte mehr Muskeln, mehr Tattoos oder wollte ihr die Welt zeigen. Ich wusste schon, warum ich mir die Damen der Schöpfung lediglich fürs Bett aufhob. Die sexuelle Nähe war vollkommen ausreichend, mehr brauchte ich nicht. Liebe bedeutete später nur Schmerz.

Ich betrat mein Schlafzimmer, das direkt an meine Küche grenzte und legte das Handy auf die Kommode, sonst würde ich es noch gegen die Wand pfeffern. Dieser Raum meines Landhauses, das ich vor einigen Jahren zu meinem zweiten Wohnsitz ernannt hatte, war mein Heiligtum und der Zutritt war nur mir vorbehalten. Sexuelle Aktivitäten hatten hier nichts zu suchen. Am kleinen Doppelflügelfenster mit Blick in den angrenzenden Wald stand mein alter Schreibtisch, der mich seit meinem Studium begleitete. Dort entdeckte ich meine Leidenschaft in die illustren Gedankenwelten der Autoren einzutauchen und ihnen den letzten literarischen Schliff zu geben. Ein großer Dielenschrank und ein rustikales Bett, das ich in einer Laune aus Paletten gebaut hatte, machten meinen nächtlichen Ruheort komplett. Dekorationen oder Fotos waren bei mir fehl am Platz, ich liebte es minimalistisch. Ich atmete tief durch, schloss einmal kurz die Augen, um die Gedanken an meine Mutter in die hinterste Kammer meines Kopfes zu verbannen. Ich widmete mich lieber wieder meiner Arbeit. Mein Job verlangte volle Konzentration, wenn ich das Buch endlich zu Ende lektorieren wollte. Der Verlag hatte mir nur bis kommenden Montag die Frist gesetzt, dann musste eine Entscheidung her. Der zeitliche Druck, den mir mein Chef dauernd auferlegte, war zum Kotzen. Immer öfter ertappte ich mich bei dem Gedanken, alles hinzuschmeißen und mich selbständig zu machen. Aber da die finanzielle Sicherheit mehr wog als nach Lust und Laune arbeiten zu können, schob ich den Gedanken zu meiner Mutter in den Keller. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und nahm das Manuskript dieser sagenumworbenen Pariser Autorin zur Hand. Das Buch von Charlotta zu lesen, hatte wesentlich mehr Spaß gemacht, da ging es wenigstens um Erotik und nicht um irgendwelche französischen Köstlichkeiten. Wobei – Französisch liebte ich, wenngleich auch nicht die Sprache. Konzentrier dich Maik, du hast nur noch eine Stunde. Schweren Herzens widmete ich mich dem vorletzten Kapitel.

Es war ein lauer Frühlingsabend als ich aus meinem Haus nach draußen trat. Die Sonne verschwand hinter den Wäldern und tauchte die ländliche Idylle in zartrosa Licht. Genau das, was ich nach den letzten stressigen Wochen in Hamburg brauchte. Zudem konnte ich endlich mal wieder die Natur fotografieren, die wollte wenigstens nichts von mir. Es gab nichts Schöneres als erwachende Bäume in ihren schillernden Farben festzuhalten, abgesehen von leidenschaftlichem Sex natürlich. Ich liebte mein Wochenenddomizil an der Weser. Hier war es ruhig, keine Abgase und die Frauen hatten wenigstens noch echte Brüste. Umso mehr freute es mich, dass dieses Wochenende alle Jungs mal wieder in der Gegend waren und wir zusammen einen feucht-fröhlichen Abend verbringen wollten. Dazu hatte uns Richard, mein Sandkastenfreund, ins Irish Pub eingeladen. Normalerweise wohnte er in Hamburg, aber seine Zukünftige Charlotta kam hier aus der Gegend. Sie würde im Sommer nach Hamburg ziehen und beide nutzten noch die restliche Zeit, um hier zur Ruhe zu kommen, oder besser gesagt ungestört Zeit für ihre sexuellen Tätigkeiten zu haben. Ich war froh und dankbar, dass mein Freund endlich die Frau fürs Leben fand, nachdem er von so viel Tod und Krankheit die Lebensfreude verloren hatte. Unsere gemeinsamen Motorradtouren halfen ihm nur ansatzweise. Schade, dass mir niemals eine Frau begegnete, bei der ich mir nur ansatzweise eine feste Beziehung vorstellen konnte, geschweigenden sie zu heiraten. Wobei, vielleicht war das auch besser so. Mit mir konnte es sowieso keine länger als drei Stunden aushalten.

Als ich den Pub betrat, sah ich meine drei Freunde schon an einem kleinen Tisch in der Nähe der Theke sitzen. Viel war heute Abend nicht los, über die Hälfte der Tische war noch unbesetzt. Die Kneipe war zwar nicht der Stil, den wir von Hamburg gewohnt waren, aber mit den vielen kleinen, alten Tischchen, den kleinen Fenstern und den alten Holzbänken sehr gemütlich. Wenn hier der Bär tanzte und das Bier in Strömen floss, passten gerade einmal fünfzig Menschen in den Raum. Obwohl die Leuchtreklame ein Pub versprach, konnte das Interieur nicht mithalten. Alles ähnelte eher einer deutschen Kneipe als irischer Geselligkeit. Die Besitzer versuchten mit Fotos von Weiden, Schafen und der Titanic ein bisschen Flair hineinzugeben, aber die deutschen Biermarken hinter der Theke durchbrachen das Muster. Dazu lief irische Folklore. Suspekt, sehr suspekt. Aber es war gemütlich. Ein Großteil trug auf jeden Fall die immer freundliche Bedienung dazu bei.

„Hey Maik, da bist du ja endlich! Wir warten schon auf dich!“, begrüßte mich mein Kumpel Thomas, der älteste und schweigsamste unserer Männertruppe.

Wenn stille Wasser tief waren, war er definitiv der Baikalsee. Vielleicht benötigte sein Job in der IT-Branche aber auch ein gewisses Maß an Introvertiertheit. Ruheloser Single, seit ich denken kann, und mit seinen sexuellen Vorlieben weit ab von der Norm. Ganz Gentleman like erzählte er niemals von seinen Gefährtinnen, anders als ich. Nur seine Redewendungen über Herrinnen und Sklaven ließen erahnen, was er an seinen freien Wochenenden so trieb. Für grandiosen Sex war ich zwar immer zu haben, aber aus dem ganzen BDSM-Bereich gefiel mir lediglich das Wort Bondage.

„Du sprichst, wie habe ich das nur hingekriegt? Sorry Jungs für meine Verspätung, ein paar Fotomotive haben leider meinen Weg hierhin durchkreuzt.“

„Kein Problem, Achtsamkeit ist eine Tugend und ich freue mich, wenn auch du sie wenigstens manchmal für dich entdeckst! Waren bestimmt interessante Motive“, antwortete mir Chris in gewohnt entspannter Stimmung.

Als professioneller Yoga-Lehrer hatte er Aufmerksamkeit sprichwörtlich studiert und es umgab ihn immer eine gewisse Hygge-Aura, die er mit fast jedem seiner Sätze Ausdruck verleihen wollte. Chris war mit Anfang 40 der jüngste Mann in unserer Runde, aber mit Sicherheit einer der weisesten.

Und als vierten im Bunde saß Richard am Tisch. Mein bester Freund und der Gastgeber des heutigen Abends.

„Hey Alter, danke für die Einladung. Ich bin gespannt, warum du heute den Spendierfreudigen gibst“, begrüßte ich ihn mit Faustcheck.

„Und noch einer, der es nicht absausen kann. Jungs, ihr seid alle einfach zu ungeduldig.“