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Antonia lebt für ihr Studium und verbringt ihre Zeit vorwiegend mit Lernen. Als ihre besten Freundin Judit ihr Fabian vorstellt, wirbelt dieser Tonys Leben durcheinander. Fabians Ruf als Frauenheld ist legendär. Bereits von der ersten Minute an bringt Fabian Tony mit seiner Arroganz und Frivolität auf die Palme. Er scheint ein wahres Vergnügen daran zu finden, sie auf 180 zu bringen. Doch nach und nach muss Tony feststellen, dass sie mehr für ihn empfindet. Als sie sich endlich eingesteht, sich in Fabian verliebt zu haben, erklärt dieser ihr, wie sehr er sie als gute Freundin schätzt. Um Fabian zu zeigen, dass sie mehr als nur eine gute Freundin ist, verführt sie ihn. Doch um ihn für mehr als ein paar Nächte an sich zu binden, muss sie danach wieder zu ihrer normalen Freundschaft zurückfinden; ein Vorhaben, das Tony alles abverlangt, da die Sehnsucht nach Fabian jeden Tag größer wird.
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Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Michaela Santowski
Moira
Das Schicksal, das dem Menschen zugeteilt ist
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Moira
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Epilog
Impressum neobooks
WIDMUNG
Für meine Töchter – ich hab euch lieb
Bis zum Mond und zurück
Weitere Romane:
Ohne dich
Schatten und Licht
„Was machst du denn so lange?“, rief Judit Tony ein wenig entnervt zu. Sie stand vor dem Spiegel im Flur und brachte ihre kurzen blonden Haare mit den Händen in Form während sie das ungefähr tausendste Mal ihre Freundin verfluchte. Das Tony sich auch nicht einmal ein wenig beeilen konnte. „Sie können jeden Moment hier sein!“, rief Judit der geschlossenen Badezimmertür zu.
Antonia ignorierte ihre Freundin und Mitbewohnerin, die sie schon seit einer halben Stunde nervte und schaltete demonstrativ den Fön ein.
Sie kannte Judit bereits seit der fünften Klasse. Damals, vor ziemlich genau achtzehn Jahren, war Tony mit ihren Eltern neu in die Stadt gezogen und Judit war die erste gewesen, die sich um sie gekümmert hatte. Tony wusste noch genau, wie dankbar sie gewesen war, gleich eine Freundin gefunden zu haben. Judit und sie waren vom ersten Augenblick an unzertrennlich. Sie hatten jeden Mist zusammen durchgestanden; angefangen von den ersten wirklich schlechten Noten und dem folgenden Riesenärger ihrer jeweiligen Eltern, über den ersten Kuss bis hin zu dem ersten Liebeskummer und des darauffolgenden Katzenjammers. Zwischendurch hatten sich ihre Wege kurzzeitig getrennt als Judit eine Ausbildung zur Bürokauffrau begann und Tony ihrerseits eine Lehre zur Hotelkauffrau. Dazu musste Tony wiederum in eine andere Stadt ziehen. Aber sie hatten sich nie aus den Augen verloren. Schließlich gab es Email und Telefon. Tony beschloss nach ihrer Ausbildung zu studieren und bewarb sich in der Stadt, in der Judit lebte. Diese suchte zu der Zeit eine neue Wohnung, da die Beziehung zu ihrem damaligen Freund ein unspektakuläres Ende nahm als dieser Judit heiraten wollte, sie sich aber mit Mitte zwanzig zu jung dafür fühlte. Abgesehen davon, dass sie ihn nicht so sehr liebte, um den Rest ihres Lebens mit ihm zu verbringen, wie sie Tony anvertraute. Als Tony dann die Zusage von der Uni bekam, zog sie mit Judit zusammen. Und sie hatten es beide noch nicht einen Tag bereut.
Während Tony ihre hüftlangen schwarzen Haare trocknete, überlegte sie, warum sie sich überhaupt dazu überreden lassen hatte, den Bruder von Judits derzeitigem Freund Jonas kennenzulernen. Normalerweise hatte sie gar keine Zeit, den Abend in irgendeiner Kneipe zu verbringen. Und dann auch noch mit einem Typen, von dem sie weiß Gott nichts Gutes gehört hatte. Es hieß, Fabian, so hieß Jonas Bruder, sei ein typischer Frauenheld. Und auf solche Typen stand Tony absolut nicht. Meistens waren die arrogant und herablassend. Erschwerend kam auch noch hinzu, dass Tony in den seltensten Fällen verstehen konnte, warum die Frauen auf die Kerle so abfuhren. Aber anscheinend hatte sie einfach einen anderen Geschmack bei Männern als die meisten Frauen. Judit pflegte immer zu sagen, dass sie zu anspruchsvoll sei. Tony sah das anders. Sie wusste eben einfach, was sie wollte. Einen gut erzogenen, liebevollen Mann, der seine Aufmerksamkeit auf sie richtete, und zwar nur auf sie und nicht noch gleichzeitig auf die hübsche Frau, die vielleicht zufällig im Restaurant neben ihnen saß. Gegen flirten hatte sie nichts, aber sich überflüssig zu fühlen, obwohl der Mann ihr Partner war, ging entschieden zu weit. Da sprach sie aus bitterer Erfahrung. Und Manieren sollte er haben. Auch wenn man das 21. Jahrhundert schrieb, fand Tony nichts Falsches daran, sich die Tür aufhalten oder in den Mantel helfen zu lassen. Das hatte nichts mit „zu anspruchsvoll“ zu tun.
Tony schaltete den Fön aus und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel, aus dem ihr ihre dunkelbraunen Augen müde entgegenblickten. Kein Wunder, wenn man die halbe Nacht für das Studium büffeln musste, dachte sie. Und genau das war es, was sie jetzt auch tun sollte: lernen! Stattdessen hatte sie Judits Drängen nachgegeben. Seufzend nahm sie ihren Eyeliner aus der Tasche. Ihre Kosmetikerin hatte ihr mal gesagt, dass die Augen größer und dadurch wacher wirken würden, wenn man nur auf dem oberen Lid einen dünnen Strich zog. Tony konnte nur hoffen, dass das auch wirklich stimmte.
„Und wenn nicht, dann eben nicht“, sagte sie laut zu ihrem Spiegelbild. „Schließlich liegt mir nichts ferner als für diesen Fabian gut auszusehen.“
Wie aufs Stichwort klingelte es in dem Moment an der Tür.
„Sie sind da!“, rief Judit ihr überflüssigerweise zu. „Ich hoffe, du bist endlich fertig.“
Anstatt einer Antwort, öffnete Tony die Badezimmertür und trat in den Flur und fast in Jonas und Judit hinein, die eng umschlungen in dem kleinen Flur standen.
„Hallo, Jonas“, begrüßte sie Judits Freund und reichte ihm die Hand. „Ihr seid auf die Minute pünktlich“, betonte Tony mit einem Blick in Judits Richtung, der soviel bedeutete wie „du musst dich nicht aufregen, ich bin genau rechtzeitig fertig“.
Jonas wandte sich lächelnd von Judit ab und ergriff Tonys Hand.
„Hallo, Tony“, sagte er mit seiner angenehmen dunklen Stimme. „Freut mich, dass du auch mal mitkommst.“
„Ich bin ja auch gefahren“, hörte sie eine weitere dunkle jedoch etwas rauere Stimme. „Wenn mein Bruder gefahren wäre, wären wir immer noch unterwegs.“
Tony warf einen Blick an Judit vorbei. Fabian lehnte lässig mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen. Er war groß, mindestens 1,90 Meter schätzte sie. Seine Haare trug er ebenso modisch kurz geschnitten wie sein Bruder. Doch im Gegensatz zu Jonas` braunen Haaren waren Fabians dunkelbraun, fast schwarz. Selbst auf diese Entfernung konnte sie erkennen, dass seine Augen grün waren, nicht braun wie Jonas`. So grün, wie man es manchmal vom Ozean her kannte, wenn die See etwas stürmisch war und das Licht in genau dem richtigen Winkel auf die Oberfläche traf, dachte Tony unwillkürlich. Diese Augen schienen sie ein wenig spöttisch anzublicken, während er an seinem Bruder vorbeischaute und sie musterte. Er trug verwaschene Blue Jeans, ein rotes T-Shirt, das keinerlei Zweifel an seinem durchtrainierten Körper ließ, und eine schwarze Lederjacke. Alles in allem musste Tony sich eingestehen, dass sie bei diesem Mann durchaus verstehen konnte, warum die Frauen reihenweise auf ihn reinfielen. Da er keinerlei Anstallten machte, die Wohnung zu betreten, schob Tony sich an den anderen beiden vorbei und reichte ihm die Hand. „Hallo, Fabian. Freut mich, dich kennen zu lernen. Ich bin Antonia.“
Fabian taxierte sie mit hochgezogenen Augenbrauen langsam von oben bis unten. Tony merkte, wie leichter Ärger in ihr aufstieg. Wenigstens stimmte ihre Einschätzung hinsichtlich der Arroganz, die diese Typen meistens an den Tag legten. Fabian ignorierte ihre dargebotene Hand. Stattdessen fand sie sich in seinen Armen wieder und spürte nur Sekunden später seine vollen Lippen auf ihrem Mund. „Hi, Tony“, sagte er mit dieser dunklen Stimme, die sie trotz ihres Ärgers sehr anziehend fand. Einen kurzen Moment sah er sie mit seinen grünen Augen so intensiv an, dass Tony unwillkürlich schlucken musste. Dann war der Zauber vorbei. „Seid ihr fertig?“, wandte Fabian sich fragend an Judit. „Ich parke im Halteverbot.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging die Treppe runter.
Tony starrte ihm perplex hinterher. Das hatte sie wohl hoffentlich grade geträumt. Wenn sie eins nicht leiden konnte, dann war es, wenn sich jemand die Frechheit herausnahm, ihr ohne ihre Erlaubnis zu nahe zu kommen. Und sie dann auch noch für einen kleinen Augenblick aus der Fassung zu bringen. Hinter sich hörte sie Judit lachen. Tony erwachte aus ihrer Erstarrung, schnappte sich ihre Jacke und stürmte Fabian nach.
Als Judit und Jonas, die Tony grinsend gefolgt waren, aus der Haustür traten, bot sich ihnen ein interessantes Bild. Fabian lehnte entspannt am Auto und schaute die um einen Kopf kleinere Tony spöttisch lächelnd an, während diese ihn anschrie.
„Hey, Mister, um eins gleich klarzustellen: wir kennen uns nicht gut genug als das du das Recht hättest, mich zu küssen. Auch nicht zur Begrüßung.“
Fabian zog die Augenbrauen hoch. Dann zuckte er mit den Schultern als wolle er sagen `Wenn du meinst` und öffnete die hintere Autotür, um Tony beim Einsteigen zu helfen. Erbost schlug diese die Tür wieder zu. Sie war noch nicht fertig mit ihm.
„Das wird erst geklärt. Ich mag es nicht, so behandelt zu werden!“
„Wie habe ich dich denn behandelt?“, fragte Fabian sichtlich amüsiert.
Tony schnappte hörbar nach Luft. „Als wüsstest du nicht genau, was ich meine.“
Fragend blickte Fabian sie an. Tony kochte innerlich. Das machte dieser Kerl mit voller Absicht. Und das brachte sie erst recht auf die Palme.
„Ich bestimme, wer mich küssen darf. Und du gehörst ganz gewiss nicht dazu.“
„OK, Spatz. Können wir dann fahren, jetzt, wo das geklärt ist?“
Tony blieb ob soviel Frechheit der Mund offen stehen. Sie hatte das deutliche Gefühl, dass er sie absolut nicht ernst nahm. Was sich auch bestätigte als Fabian erneut die hintere Tür öffnete. Wieder schlug Tony diese zu.
„Was bildest du dir eigentlich ein?“ Böse funkelte sie ihn an. „Es mag ja sein, dass es Frauen gibt, die auf dieses Macho-Gehabe stehen. Zu denen gehöre ich allerdings nicht.“
„Und was gefällt dir?“ Ruhig blickte Fabian sie an.
Einen kleinen Moment geriet Tony etwas aus der Fassung, da sie mit so einer Äußerung nicht gerechnet hatte. Dann antwortete sie heftig: „Zu einem Mann gehört jedenfalls mehr als nur gutes Aussehen. Höflichkeit und Respekt wären für den Anfang nicht schlecht.“
„Vielen Dank.“
„Wofür?“, fragte Tony verwirrt.
„Für das Kompliment über mein Aussehen.“ Fabian öffnete zum dritten Mal die hintere Tür.
Tony starrte ihn ungläubig an. Dieser Mann war absolut unfassbar. Und völlig von sich überzeugt.
„Lasst uns endlich fahren“, schaltete Judit sich dazwischen, bevor Tony die Tür zum dritten Mal zuschlagen konnte und stieg ins Auto. „Wenn ihr das unbedingt ausdiskutieren wollt, könnt ihr das auch noch in der Kneipe tun.“
Fabian warf Tony ein charmantes Lächeln zu und hielt ihr weiterhin die Autotür auf. Mit der Hand deutete er ins Innere. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, stolzierte sie an ihm vorbei und setzte sich.
„Na, dann auf“, sagte Jonas und nahm neben seinem Bruder Platz. Bevor Fabian los fuhr, stellte er den Spiegel so ein, dass er sowohl den hinteren Verkehr als auch Tony beobachten konnte. `Diese Frau ist eine echte Herausforderung`, dachte er und fuhr los.
Tony blickte stur aus dem Fenster. Nach einer Weile jedoch drehte sie den Kopf in Richtung Frontscheibe und begegnete Fabians Blick im Spiegel, der sie unverhohlen anstarrte. Es schien ihm nicht mal peinlich, dass sie ihn dabei erwischt hatte. Schnell schaute sie wieder nach draußen. Fabian lächelte still vor sich hin.
Eine halbe Stunde später betraten sie den Irish-Pub. Jonas und Fabian wurden herzlich begrüßt. Die Gruppe, die aus drei Männern und einer Frau bestand, rückte sofort zusammen. Jonas besorge noch vier weitere Stühle, während Fabian seine Aufmerksamkeit der einzigen Frau der Clique zukommen ließ anstatt seinem Bruder zu helfen.
War ja klar, dachte Tony und registrierte, dass die Frau Fabians Charme nicht abgeneigt war. Ganz im Gegenteil, sie genoss es seine volle Aufmerksamkeit zu haben. Gleich wird mir schlecht. Tony hielt eine Kellnerin an und bestellte sich einen Prosecco.
„Hey, Fabian“, hörte sie einen der Männer sagen. „Möchtest du uns nicht deine neueste Flamme vorstellen?“ Entsetzt bemerkte Tony, dass der junge Mann auf sie deutete. Anscheinend ging man automatisch davon aus, dass sie zu Fabian gehörte, da Judit eindeutig Jonas´ Freundin war. Und Fabian tat nichts, das ganze richtig zu stellen. Ganz im Gegenteil.
„Spatz, das ist Matze, Matze, das ist Tony“, stellte er die beiden vor und wandte sich wieder der anderen Frau zu.
„Freut mich, dich kennen zu lernen“, sagte Matze zu Tony.
„Ich bin nicht seine Flamme“, entgegnete Tony empört. Es ärgerte sie, dass Fabian sie so nebenbei vorstellte. Er hatte nicht mal genug Anstand, dabei seinen Flirt zu unterbrechen. Wäre sie wirklich mit ihm hier, hätte er spätestens jetzt ihren Prosecco im Gesicht. „Etwas mehr Geschmack kann man mir ruhig zutrauen“, fügte sie verärgert hinzu.
„Hört, hört“, lachte Matze auf. „Da scheinst du es diesmal nicht ganz so einfach zu haben wie sonst immer, Fabian.“
Fabian ignorierte ihn.
Matze bestellte eine Runde Whiskey für alle. Als die Kellnerin das Glas vor Tony stellte, betrachtete diese skeptisch die goldene Flüssigkeit. Normalerweise trank sie keinen Schnaps und erst recht keinen Whiskey. Aber heute war eindeutig ein Tag für eine Ausnahme. Augen zu und durch. Tony nahm einen tiefen Schluck. `Na hoppla`, dachte sie. Schmeckt gar nicht so schlecht und brennt überhaupt nicht in der Kehle. Anscheinend gab es gravierende Unterschiede zwischen Whiskey und Whiskey.
Ungewollt ging ihr Blick in Richtung Fabian. Dessen Glas stand noch unberührt vor ihm.
„Ich muss noch Auto fahren. Also keinen Alkohol für mich.“ Fabian schien das allgemein zu sagen, blickte dabei allerdings Tony direkt in die Augen. Und wieder fühlte sie sich ertappt. Dieser arrogante selbstgefällige Kerl. Was musste er auch ausgerechnet in dem Moment hochgucken, wo sie ihn anschaute?! Dabei hatte sie nur sehen wollen, ob er den Whiskey trank. Schließlich musste sie noch mit ihm zurückfahren. Da war es ihr gutes Recht abzuchecken, ob der Fahrer auch nüchtern blieb.
„Und Matze“, wandte sie sich demonstrativ an den neben ihr sitzenden, „woher kennen Jonas und du euch?“
Während Matze zu erzählen anfing, registrierte Tony aus den Augenwinkeln, dass Fabian mit der Frau aufstand und die Kneipe gemeinsam mit ihr verließ. Tony konnte sich vorstellen, was draußen vor der Tür jetzt ablief. Sie hoffte nur, dass er nicht allzu spät zurückkam.
„Hörst du mir überhaupt zu?“, hörte sie Matze fragen. „Oder interessiert es dich mehr, wohin Fabian mit Susi verschwunden ist?“
Tony blickte ihn ruhig an und sagte: „Das einzige, was mich daran interessiert, ist, was sie bewogen hat mit ihm rauszugehen. Ich persönlich ziehe eure Gesellschaft der von Fabian eindeutig vor.“
Matze lächelte. Das war eine Frau nach seinem Geschmack. Nicht, dass er etwas gegen Fabian hatte. Im Gegenteil, er zählte ihn durchaus zu seinen Freunden. Aber es gefiel ihm nicht, dass Fabian niemals Schwierigkeiten hatte, dem weiblichen Geschlecht nahe zu kommen, während andere, sich selbst einbezogen, sich da wesentlich schwerer taten. Aber Tony schien anscheinend keinerlei Interesse an Fabian zu haben. Im Gegenteil; irgendwie machte Fabian sie eher wütend. Na ja, konnte Matze nur recht sein. So hatte er wenigstens bei dieser einen Frau mal keine Konkurrenz von Seiten Fabians zu befürchten. Tony, die ihre Aufmerksamkeit jetzt ganz Matze zugewandt hatte, hörte ihm zu, wie er von seinem ersten Treffen mit Jonas erzählte. Sie unterhielten sich auch noch zwei Stunden später als Fabian den Pub wieder betrat; natürlich ohne Susi. Er setzte sich schweigend an den Tisch und beobachtete Tony durch seine langen dunklen Wimpern. Diese saß mittlerweile fast auf Matzes Schoss und war nicht mehr ganz nüchtern. Als sein Blick auf die vielen leeren Whiskeygläser fiel, schmunzelte er.
Morgens um halb vier setzte Fabian die beiden Frauen vor ihrer Haustür ab. „Ich hoffe, ihr habt euch amüsiert“, sagte Jonas und gab Judit noch einen Abschiedskuss.
„Tony bestimmt“, erwiderte Fabian und hielt ihr die Hand hin, um ihr aus dem Auto zu helfen.
„Wie meinst du denn das?“, fragte Tony seine Hand ignorierend. Sie kam auch ohne Hilfe aus dem Auto; wenn es auch etwas länger dauerte und nicht ganz so elegant aussah.
„Fabian spielt bestimmt auf deine Knutscherei mit Matze an“, schaltete sich Judit ein.
„Eifersüchtig, weil er mich küssen durfte?“, fragte Tony keck und warf Fabian einen frechen Blick zu. Fabian ersparte sich die Antwort. Stattdessen öffnete er die Fahrertür und wollte sich grade hineinsetzen, als Tony diese wieder zuschmiss.
„Das scheint ein Hobby von dir zu sein“, stellte er ruhig fest.
Tony stellte sich vor Fabian. Da sie auf dem Fußweg stand während er noch auf der Straße war, waren sie genau auf Augenhöhe. Erwartungsvoll schaute Fabian sie an. Tony hob ihre Hand und strich leicht über seine Wange. Dann bewegte sie ihre Finger weiter über die empfindliche Haut an seinem Hals entlang bis hin zu seinem Nacken und zogen ihn sanft aber bestimmt zu sich herunter. Als sich ihre Lippen berührten, schloss sie die Augen. Er hatte weiche Lippen, die sie vorsichtig mit ihrer Zunge berührte. Fabian öffnete nach kurzem Zögern leicht den Mund. Tonys Hand wanderte von seinem Nacken hin zu seiner Schulter, wo sie ihn vorsichtig ein Stück von ihr weg drückte. „Ich hoffe, du bist jetzt nicht mehr eifersüchtig“, bemerkte sie mit fast lautloser Stimme und einem zynischen Lächeln, drehte sich um und verschwand im Hausflur.
Fabian blickte ihr verblüfft hinterher.
Jonas sah Fabian ins Gesicht und fing schallend an zu lachen. „Und?“, fragte er nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. „Bist du noch eifersüchtig?“
„Steig ein und halt den Mund!“
Grinsend wandte sich Jonas an Judit, während er auf dem Beifahrersitz Platz nahm. „Wir sehen uns morgen, Schatz. Und grüß Tony von mir.“
Fabian erwachte am nächsten Morgen ziemlich früh. Da er nicht mehr einschlafen konnte, stand er auf, zog seine Jogging-Klamotten an, nahm den MP 3 Player und verließ die Wohnung. Er lief jeden Tag die gleiche Strecke, insgesamt zwölf Kilometer. Während seine Beine automatisch den Weg fanden, dachte er über den vergangenen Abend nach. Tony hatte ihn überrascht. Jonas hatte ihm bereits vor drei Wochen von ihr erzählt. Was er erwähnte, war allerdings, dass sie, wie nannte er es, verklemmt sei. Als er sie mit Matze knutschend in der Ecke sitzen sah, bekam er nicht grade den Eindruck, dass sie verklemmt sei. Genauso wenig wie in dem Moment als sie ihn geküsst hatte. Gut, er musste zugeben, dass er sie vom ersten Augenblick an provoziert hatte. Und es hatte ihm Spaß gemacht. Tony schien nicht ganz so zu sein, wie Jonas sie schilderte. Fabian lachte bei dem Gedanken an den letzten Abend in sich hinein. Er wusste von Anfang an, dass diese Frau eine Herausforderung war und hatte sich nicht getäuscht. Mal sehen, wo das alles hinführte. Er beendete sein Jogging und setzte sich auf eine Bank. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er heute zwanzig Sekunden schneller gewesen war als sonst.
„Hallo, Fabian. Was machst du denn auf einem Sonntag so früh hier?“ hörte er eine weibliche Stimme.
„Hallo, Katrin“, begrüßte er die junge Frau, die lächelnd auf ihn zukam. „Ich konnte nicht mehr schlafen. Also bin ich joggen gegangen, in der Hoffnung auf eine hübsche Frau zu treffen, der es ähnlich geht.“
Katrin lachte auf. „Charmant wie immer. Dabei hat dein Körper so ein Training gar nicht mehr nötig“, erwiderte sie mit einem bewundernden Blick auf ihn und setzte sich.
„Vielen Dank“, antwortete Fabian mit einem Lächeln und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Er hatte Katrin vor etwa drei Wochen in einer Disko kennen gelernt und die Nacht mit ihr verbracht.
„Hast du nicht Lust, mit mir Eis essen zu gehen? Es wird bestimmt ein sehr heißer Tag“, stellte sie fest und wedelte sich demonstrativ mit der Hand Luft zu. Dabei achtete sie darauf, dass ihr T-Shirt ein wenig höher rutschte, sodass Fabian einen Blick auf ihren schlanken Bauch werfen konnte. „Oder hast du schon andere Verpflichtungen?“, fragte sie mit einem sehr gelungenen Schmollmund.
Fabians Blick fiel ungeniert auf ihren Bauch. „Und wenn, würde ich sie kurzerhand absagen“, entgegnete er.
„Du bist wirklich der charmanteste One-night-stand den ich je hatte“, gab Katrin zu und legte ihre Hand auf seine.
Fabian lachte auf. „Ich hoffe doch, dass du so viele One-night-stands noch nicht hattest“, ging er auf ihren Flirt ein.
„Und wenn, würde ich es nicht zugeben“, antwortete sie verwegen und schlug gespielt schüchtern die Augen nieder, was Fabian besonders reizend fand.
„Ich gehe nur kurz nach Hause, duschen. Dann hole ich dich ab. Hast du was dagegen, wenn mein Bruder und seine Freundin mitkommen?“
Katrin schüttelte den Kopf.
„Dann bis gleich. Ich freue mich.“
Sie stand auf. „Vielleicht können wir aus dem One-night-stand ja einen Two-night-stand machen“, fügte sie herausfordernd und sehr direkt hinzu.
„Wer könnte so einer netten Aufforderung widerstehen.“ Fabian zwinkerte ihr zu und lief in Richtung seiner Wohnung davon.
Als er dort angekommen war, rief er seinen Bruder an und fragte ihn, ob sie sich auf ein Eis treffen wollten. Dieser stimmte begeistert zu. Ihm wäre sowieso zu heiß für irgendwelche anderen Aktivitäten. Fabian legte auf. Sie waren so verblieben, dass er Jonas gleich abholen und sie gemeinsam zu Judit fahren würden. Das wiederum bedeutete, dass er Tony wiedersehen würde. Fröhlich vor sich hin pfeifend ging er duschen.
„Guten Morgen, junge Dame“, begrüßte Judit Tony. „Hast du gut geschlafen?“
„Geht so“, murmelte sie. „Ich glaube mit soviel Alkohol im Blut schläft man nicht gut.“
„Möchtest du einen Kaffee oder verträgt das dein Magen noch nicht?“
Tony hielt ihr schweigend die Tasse hin, die Judit schmunzelnd füllte.
Nachdem Tony einen Schluck genommen hatte, blickte sie Judit über den Rand ihrer Tasse an. „Sag mal, das mit Fabian und dem Kuss zum Schluss war kein Traum, oder?“
„Sein Gesicht war göttlich. Ich glaube, das war das erste Mal in seinem Leben, dass er sprachlos war.“
„Ich hab’s befürchtet. Es war kein Traum“, seufzte Tony verzweifelt.
„Mach dir keinen Kopf!“, entgegnete Judit und stellte ihr Geschirr in den Spüler.
„Du hast leicht reden. Sowas ist normalerweise gar nicht meine Art.“
„Das kannst du ihm ja gleich erklären. Ach ja, Matze hat vorhin angerufen und wollte dich sprechen.“
„Auch das noch. Matze ist zwar ganz nett, aber...Moment mal!“, rief Tony entsetzt aus als ihr klar wurde, was ihre Freundin grade gesagt hatte. „Fabian kommt gleich?!“
Judit nickte. „Jonas, Fabian, Katrin und ich wollen Eis essen gehen.“
„Katrin?“, fragte Tony verwirrt.
„Scheint eine Freundin von Fabian zu sein. Ich hätte dich gefragt, ob du mitkommen möchtest, aber du wolltest ja lernen.“
„Ja, muss ich auch dringend. Viel Spaß.“ Tony nahm die Kaffeekanne und ihre Tasse und ging in ihr Zimmer. Entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten schloss sie die Tür hinter sich.
Judit grinste. „Falls du nachkommen möchtest, wir sind bei Piedro´s!“, rief sie ihr noch hinterher.
Tony setzte sich an ihren Schreibtisch und schlug das Buch über Algebra auf. Sie hatte nur noch wenig Zeit sich den ganzen Kram zu merken. Das Sommersemester war in vier Wochen zu Ende und dann folgten die Klausuren. Sie schenkte sich Kaffee nach und begann zu lernen. Tatsächlich schaffte sie es, sich so sehr zu konzentrieren, dass sie die Klingel völlig überhörte.
„Na, Spatz“, hörte sie plötzlich Fabians Stimme hinter sich. Erschrocken zuckte sie zusammen.
„Ganz ruhig, ich bin’s nur.“
„Mein Gott, Fabian. Kannst du nicht anklopfen?“ Böse funkelte sie ihn an und registrierte kurz, wie gut er aussah in seinen ausgewaschenen Jeans und dem dunklen T-Shirt. Seine Haare waren noch feucht und leicht strubbelig.
Ohne auf ihre Frage einzugehen, schaute er ihr über die Schulter. „Algebra?“, fragte er mit einem Blick auf ihr Buch.
„Erstaunlich, dass du das erkennst.“ Spöttisch blickte sie ihn an.
„Ich bin nicht ganz so dumm wie du das anscheinend gerne hättest.“
Tony wurde rot. „Entschuldige, das war gemein.“
„Schon OK. Du willst also wirklich lernen anstatt mit uns Eis essen zu gehen?“
„Ich muss.“
„Dann viel Spass“, wünschte Fabian und ging.
Ärgerlich knallte Tony das Buch zu. Was hatte er überhaupt in ihrem Zimmer zu suchen, wenn er doch nur blöde Kommentare abgeben wollte. Das hätte er sich auch sparen können. Mit ihrer Konzentration war es jetzt jedenfalls vorbei.
Resignierend stand sie auf und ging in die Küche. Die anderen waren bereits gegangen. Sie warf einen Blick auf das Außenthermometer. 29 Grad im Schatten. Sie sollte doch lieber Eis essen gehen als in dem viel zu warmen Zimmer zu lernen. Frische Luft würde ihr ausserdem gut tun. Sie schnappte sich ihr Portemonnaie und die Schlüssel. Grade als sie die Wohnung verlassen wollte, klingelte das Telefon.
„Antonia Nesser“, meldete sie sich.
„Hi, ich bin’s, Matthias. Hallo, Tony.“
Sofort meldete sich ihr schlechtes Gewissen.
„Hallo, Matze. Sorry, hab ganz vergessen, dich zurückzurufen.“
„Habe ich mir schon fast gedacht. Was hältst du davon, wenn ich dich auf ein Eis einlade? Fabian hat mir grade eine SMS geschickt, dass er mit Katrin bei Piedro´s ist und hat gefragt, ob ich nicht auch vorbei kommen möchte. Und bei dem Wetter ist das doch eine klasse Idee.“
Tony schnappte hörbar nach Luft. So ein hundsgemeiner Kerl, dachte Tony. Fabian hatte bestimmt genau gewusst, dass Matze sie anrufen würde. Schließlich lag die Eisdiele ganz in ihrer Nähe. „So, hat er das?“, fragte sie laut.
„Wir könnten uns dort treffen“, schlug Matze vor. „Ist doch bei dir um die Ecke.“
Da Tony aus der Situation nicht mehr rauskommen würde, gab sie klein bei. Zwar hatte sie keinerlei Lust, Matze so schnell wiederzusehen, da sie sich doch ein wenig schämte wegen der Hoffnung, die sie anscheinend in ihm geweckt hatte, aber ewig aus dem Weg gehen konnte sie ihm sowieso nicht. Sie hätte nur gerne den Zeitpunkt selber bestimmt und sich nicht von Fabian diktieren lassen. Ausserdem wollte sie mit Matze alleine sprechen und nicht, wenn noch vier andere dabei waren. Aufgeschoben war ja nicht aufgehoben. Sie würde eben ein anderes Mal mit ihm reden müssen.
„Schön. Ich freue mich. Bis gleich.“ Matze legte den Hörer auf.
„Hey, Tony!“, rief Judit als sie ihre Freundin entdeckte. „Schön, dass du doch noch kommst.“
„Hallo alle zusammen. Ich musste einfach kommen. Anscheinend gibt es hier jemanden, der es ohne mich nicht aushält.“
Fabian saß lächelnd da, den Arm um Katrin gelegt und blickte Tony an.
„Ja, ich habe schon gehört, dass Matze auf dem Weg hier her ist“, stellte er fest. „Hast ihn wohl schwer beeindruckt.“
„Ich kann jemanden, der solche Sehnsucht nach mir hat, nicht einfach enttäuschen“, erwiderte sie mit einem Blick auf Fabian.
„Auf gar keinen Fall“, sagte er schmunzelnd und gab Katrin einen Kuss.
Judit, die ihre Freundin ziemlich gut kannte, blickte sie verwundert von der Seite an. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass Tony wegen Matze hergekommen war. Dafür war ihre Reaktion auf seinen Anruf heute Morgen nicht freudig genug. Sie schien eher im Gegenteil genervt zu sein. Andererseits konnte sie sich auch nicht vorstellen, dass Tony nur hier war, um Eis zu essen. Für sie gab es nichts Wichtigeres als ihr Studium möglichst gut abzuschließen. Und dazu gehörte nun mal das Lernen. Auch bei Temperaturen, bei denen andere sich lieber im Freibad als in der Wohnung aufhielten. Was soll´s, dachte sie. Ich bin jedenfalls froh, dass sie mal rauskommt.
In dem Moment traf Matthias ein und freute sich sichtlich, Tony wiederzusehen. Als er sie zur Begrüßung auf den Mund küssen wollte, schaffte sie es grade noch, ihm die Wange hinzudrehen. Fabian lächelte amüsiert vor sich hin.
„Und was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Nachmittag?“ Jonas blickte fragend in die Runde.
„Wir könnten ein bißchen spazieren gehen“, schlug Katrin vor.
„Oder wir kaufen an der Tankstelle ein paar Sachen ein, gehen zu Tony und Judit und kochen gemeinsam“, erwiderte Fabian.
„Sehr gute Idee“, stimmte Jonas zu. „Mein Bruder ist ein hervorragender Koch.“
Eine Dreiviertelstunde später ließen sich die fünf gemütlich auf dem Balkon nieder, während Fabian anfing, in der Küche zu hantieren.
„Ich störe euch nur ungern in eurer wohlverdienten Ruhe“, hörten sie keine drei Minuten später Fabians Stimme hinter sich, „aber ich kenne mich leider nicht gut genug in eurer Küche aus, um ohne Hilfe die ganzen Dinge, die ich benötige, zu finden.“
Seufzend wollte Judit aufstehen.
Fabian drückte sie sanft wieder in ihren Stuhl zurück. „Das kann Tony machen. Ich möchte deine Schmuserei mit Jonas nicht stören.“
„Und meine Schmuserei mit Tony willst du stören?“, fragte Matze empört.
„Du bist nur ein Freund, Jonas ist Familie. Und Blut ist dicker als Wasser.“
Tony stand auf. „Du gönnst mir auch gar nichts.“
„Oh doch, mein Spatz. Nur das Beste“, sagte er leise.
„Ich helfe euch“, bot Katrin sich an.
„Das musst du nicht, meine Hübsche“, erwiderte Fabian charmant. „Bleib ruhig in der Sonne liegen und hol dir ein bißchen Farbe. Das passt gut zu deinen blonden Haaren.“
Katrin lächelte ihn an. „Da hast du recht. Aber ihr sagt Bescheid, falls ihr doch Hilfe braucht.“
„Selbstverständlich.“
„Hast du keine angst, dass du eines Tages auf deiner Schleimspur ausrutscht?“, fragte Tony als sie in der Küche waren und drehte sich zu ihm um.
Anstatt ihr einen Antwort zu geben, legte er seine rechte Hand auf ihren Rücken und zog sie mit sanfter Gewalt zu sich heran. Mit seiner linken hob er ihr Kinn an. Er blickte ihr tief in die Augen. Tony kam nicht umhin, zu bemerken, dass seine Augen von einem dunklen Grün waren, das sie so noch nie gesehen hatte. Verwirrt stellte sie fest, dass sie Herzklopfen bekam. Langsam beugte er sich herab und küsste sie. Als seine Zunge behutsam ihre Lippen öffnete, erschauerte sie leicht. Fabian vergrub seine Hände in ihrem vollen Haar. Tony seufzte gegen ihren Willen auf. So war sie noch nie geküsst worden. Es lag eine Sanftheit in diesem Kuss, die sie bis in die Zehenspitzen erwärmte. Verdammt, Fabian hatte eindeutig sehr viel Erfahrung in diesen Dingen. Oder er war ein Naturtalent. Jedenfalls wünschte Tony sich, der Kuss möge ewig weitergehen. Nach einer Weile löste er sich sachte von ihr. Mit einem zärtlichen Blick strich er ihr noch einmal übers Haar bevor er sie los ließ. Dann wandte er sich wieder dem Gemüse zu und sagte: „Den war ich dir noch schuldig. Und ich habe nicht gerne Schulden. Könntest du bitte die entsprechenden Töpfe für das Gemüse und den Reis herausholen? Und eine Pfanne brauche ich auch.“
Tony starrte fassungslos auf Fabians Rücken. Sie wusste nicht über was sie sich mehr ärgern sollte: über Fabians kühle Art oder darüber, dass sie so auf ihn reagiert hatte. Fast hatte sie angenommen, dass er sie gerne geküsst hatte. Und das wiederum machte sie wütend auf sich selber. Sie wusste doch von Anfang an, was für ein Typ er war. Macho durch und durch. Zornig suchte sie die gewünschten Töpfe heraus und knallte sie auf den Herd.
„Wenn das alles ist, was du brauchst, gehe ich wieder auf den Balkon, zu Matze“, fügte sie hinzu. Sie machte erst gar nicht den Versuch, ihren Missmut zu unterdrücken.
„Tu das“, entgegnete er mit einem kurzen Blick.
Während des Essens würdigte Tony Fabian keines Blickes. Es ärgerte sie, dass sie sich so wenig unter Kontrolle gehabt hatte. Als sie fertig mit Essen waren, stand Tony auf und verkündete, dass sie jetzt wirklich lernen müsse. Matze bedauerte, dass sie nicht mehr mit in die Stadt kommen wolle. Tony gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor er auf die Idee kommen konnte, sie auf den Mund zu küssen, und versprach, das nächste Mal mitzugehen. Bevor sie ging, warf sie Fabian noch einen giftigen Blick zu, den er mit einem leichten Kräuseln der Lippen beantwortete.
„Ich muss jetzt zur Arbeit“, weckte Katrin Fabian am nächsten Morgen. „Du kannst aber gerne noch etwas liegen bleiben. Schließ bitte nur die Wohnungstür ab, wenn du gehst und schmeiß den Schlüssel in den Briefkasten.“
„Normalerweise sind das die Sprüche von uns Männern“, gab Fabian grinsend zurück. Katrin lächelte.
„Kaffee ist in der Küche. Und Fabian?“
Fragend blickte er hoch.
„Ich hätte nichts dagegen, wenn du noch hier wärst, wenn ich wiederkomme.“
„Sehr schmeichelhaft“, entgegnete er. „Aber du weißt doch, ich bin kein Mann für mehr als zwei Nächte.“
„Leider“, seufzte sie.
Er zog sie zu sich. „Aber zwei Nächte und ein Morgen sind durchaus drin“, murmelte er, während er ihren Mund mit seinem verschloss.
„Jetzt komme ich wirklich zu spät“, stellte Katrin eine halbe Stunde später nach einem Blick auf ihre Uhr fest. „Aber für einige Dinge lohnt es sich, zu spät zu kommen.“ Mit diesen Worten ließ sie ihn allein.
Fabian stand auf und ging ins Bad. Nachdem er sich fertig gemacht hatte, betrat er die Küche und nahm sich eine Tasse Kaffee. Seine Gedanken schweiften zu dem gestrigen Tag und zu Tony.
Ihm war keineswegs entgangen, wie sie auf seinen Kuss reagiert hatte. Genauso wenig war ihm ihre Wut auf sein Verhalten danach entgangen. Normalerweise benahm er sich nicht so gegenüber Frauen. Er hatte durchaus Respekt vor ihnen. Und wenn er ehrlich war, hatte Tony ihn sogar ein wenig beeindruckt als sie ihn an dem ersten Abend geküsst hatte. Aber er ließ sich nun mal nicht gerne die Zügel aus der Hand nehmen. Und nichts anderes wollte er ihr mit seinem Kuss zeigen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er los musste. Er stellte die leere Tasse in die Spüle und verließ Katrins Wohnung.
„Wie war dein Wochenende?“, fragte Silke, eine Kommilitonin und Freundin von Tony als sie am nächsten Tag völlig fertig die Uni verließen und in Richtung Parkplatz gingen.
„Algebra lastig. Ich träume schon davon.“
„Du hast doch nicht etwa dein Wochenende damit verbracht, die kompletten zwei Tage zu lernen?“, fragte Silke fassungslos.
Tony zuckte mit den Schultern. Silke kannte sie lange genug als das sie sich die Antwort auf diese Frage selber geben konnte. Nun gut, diesmal war sie Samstagabends ausgegangen. Aber im Großen und Ganzen war es ein solches Desaster gewesen, dass sie Silke nicht unbedingt davon erzählen wollte. Als sie ihre Autotür aufschloss, sah sie aus den Augenwinkeln Fabian, der sich grade von einer jungen Frau verabschiedete. Auch das noch, war ihr erster Gedanke.
„Was ist denn das für ein Wahnsinnstyp“, machte Silke sie auf ihn aufmerksam. „Den habe ich hier ja noch nie gesehen. Der wäre mir bestimmt aufgefallen.“
Tony drehte sich in Fabians Richtung. Er trug wieder Blue Jeans und dazu ein schlichtes weißes T-Shirt. Und war sich seiner Wirkung absolut bewusst, dessen war sich Tony sicher. Scheinbar uninteressiert warf Tony ihre Bücher auf den Beifahrersitz. Fabian hatte die beiden entdeckt und kam auf sie zu.
„Hallo“, begrüßte er sie.
Silke blickte ihn erstaunt an, während Tony genervt die Augen verdrehte.
„Verfolgst du mich?“, fragte sie ihn gereizt.
Er blickte sie belustigt an und entgegnete: „Das ist wohl eher ein Wunschgedanke von dir, Spatz. Ich habe eine Freundin hergefahren.“
Bevor Tony zu einer Erwiderung ansetzen konnte, wandte Fabian sich an Silke: „Da Antonia keinerlei Anstalten macht, dich mir vorzustellen, muss ich das selber in die Hand nehmen. Mein Name ist Fabian und ich freue mich sehr, dich kennenzulernen.“
„Ich heiße Silke“, antwortete sie mit ihrem besten Augenaufschlag und ergriff seine dargebotene Hand.
Tony gab es langsam auf, sich über Fabian zu ärgern. Hatte ja sowieso keinen Sinn. Anscheinend legte er es jedes Mal, wenn sie sich trafen, darauf an, sie zu provozieren. Oder warum sonst gab er Silke lediglich die Hand, während er sie gleich geküsst hatte? Mit Sicherheit hatte er von seinem Bruder gewusst, dass sie Begrüßungen solcher Art überhaupt nicht leiden konnte. Und dann hatte er sie den ganzen Abend und den folgenden Tag kühl und arrogant behandelt, während er Silke mit Respekt gegenübertrat. Tony verabschiedete sich von Silke, ignorierte Fabian absichtlich und fuhr nach Hause.
Als sie grade den Wohnungsschlüssel in die Tür stecken wollte, wurde diese von Judit aufgerissen.
„Oh, ich dachte es sei Jonas. Er wollte für uns was vom Griechen holen. Ich rufe ihn schnell an und sag ihm, er soll dir auch was mitbringen. Du hast doch Hunger?“
Tony, die tatsächlich den ganzen Tag über nur zwei Bananen gegessen hatte, nickte. Während Judit ihren Freund anrief, ging Tony in ihr Zimmer und pfefferte wütend ihre Tasche in die Ecke. Dann atmete sie tief durch. Warum ließ sie sich von Fabian bloß so aus der Fassung bringen? Noch bevor sie ihn kennengelernt hatte, hatte sie doch schon gewusst, dass solche Typen keinen einzigen Gedanken wert sind. Und trotzdem ließ sie sich provozieren. Tony beschloss, sich über Fabian kein Kopfzerbrechen mehr zu machen und holte ihr BWL Buch aus der Tasche, um die Zeit bis zum Essen nicht ungenutzt zu lassen.
Eine halbe Stunde später rief Judit, dass das Essen da sei. Tony klappte den Wälzer zu. Sie streckte sich. Langsam merkte sie doch, dass es ein langer Tag war. Für heute reicht es mit dem Lernen, beschloss sie und verließ ihr Zimmer. Als sie die Küche betrat, blieb sie abrupt stehen. Nicht nur Judit und Jonas sassen am Tisch, auch Fabian war da und griff grade nach dem Besteck.
„Was willst du denn hier?“, fragte sie erstaunt. „Ich dachte, du seiest mit Silke beschäftigt.“
Fabian blickte sie amüsiert an. „Eifersüchtig?“
„Ist wohl ein Wunschgedanke von dir“, schlug Tony ihn mit seinen eigenen Worten. „Ich hatte nur gehofft, dich so schnell nicht wiedersehen zu müssen.“
„Mit Silke treffe ich mich morgen Abend. Wir wollen ins Kino“, erwiderte er ohne auf Tonys Provokation einzugehen.
„Tolle Idee fürs erste Date. Da kann man sich auch so gut kennen lernen“, bemerkte Tony sarkastisch.
„Das kann man allerdings“, entgegnete Fabian mit einem schmutzigen Grinsen. „Muss an der Dunkelheit liegen. Soll ich dich aufklären, was genau man alles im Kino anstellen kann?“
Tony rollte genervt mit den Augen. Hatte sie noch vor einer halben Stunde beschlossen, sich nicht mehr von ihm herausfordern zu lassen, sprang sie doch sofort auf seine letzte Äußerung an.
„Du bist echt ein absolut oberflächlicher Typ“, regte sie sich auf und setzte sich ihm gegenüber. „Frauen sind nicht nur auf der Welt, um dir Freude zu bereiten.“ Seine letzte Anspielung ignorierte sie einfach.
„Ich schätze die Frauen, sogar sehr“, entgegnete Fabian.
„So sehr, dass du mit ihnen ins Kino gehst anstatt irgendwo hin, wo man mit ihnen reden kann“, konterte Tony ironisch.
„Ist dir schon mal die Idee gekommen, dass manche Frauen gar nicht reden wollen?“
Erstaunt blickte Tony Fabian an. „Was meinst du denn damit?“
„Dass es Silkes Idee war, ins Kino zu gehen“, antwortete er gelassen.
„Niemals“, protestierte Tony, obwohl sie dich durchaus vorstellen konnte, dass dem so war. Aber sie wollte einfach nicht klein beigeben. „Das glaube ich nicht.“
Fabian zuckte mit den Schultern. „Ist mir ziemlich egal, ob du es glaubst oder nicht.“
Da war sie wieder, seine Arroganz. Warum ließ sie sich mit ihm auch auf eine Diskussion ein? Und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, fügte er hinzu: „Manche Frauen wollen im Gegensatz zu dir eben ein wenig Spass im Leben haben.“
Tony, der grade eine bissige Antwort auf der Zunge lag, blieb der Mund offen stehen. Empört funkelte sie ihn über den Tisch hinweg an.
„Nur weil ich nicht dahin schmelze, wenn ich in deiner Nähe bin, heißt das noch lange nicht, dass ich keinen Spass haben kann. Du bist ein bisschen zu sehr von dir eingenommen.“
„Ich weiß eben, was ich wert bin“, entgegnete er und stand auf. Und wieder mal hatte Fabian es geschafft, Tony auf 180 zu bringen.
„Da fällt mir echt nichts mehr zu ein“, presste sie mühsam hervor.
Fabian wandte sich an Judit und Jonas: „Macht´s gut, ihr zwei. Danke für das Essen. Ich muss jetzt los.“ Tony warf er ein charmantes Lächeln zu. „Und dir viel Spass beim Lernen, Spatz!“
„Ich lerne heute nicht mehr!“, rief sie ihm wütend hinterher. Gleichzeitig ärgerte sie sich, dass sie sich zu so einer Aussage hatte hinreißen lassen. Sie war Fabian schließlich keine Rechenschaft schuldig.
Fabian traf sich am folgenden Abend mit Silke vor dem Kino.
„Hallo, Schönheit“, begrüßte er sie. „Pünktlich auf die Minute.“
„Meine Mutter hat mir beigebracht, gutaussehende Männer nicht warten zu lassen. Sonst schnappt sie dir eine andere weg, hat sie immer gesagt.“
„Ich wäre mit keiner anderen mitgegangen“, gab Fabian zurück. „Schließlich weiß ich, auf was für eine hübsche Frau ich hier warte.“ Er warf einen bewundernden Blick auf ihre langen, roten Haare, die sie heute offen trug. Ihre Sommersprossen hatte sie überschminkt, was Fabian ein wenig bedauerte. Ihn faszinierten rothaarige Frauen mit grünen Augen und Sommersprossen.
„