Monde der Finsternis - Kim Landers - E-Book

Monde der Finsternis E-Book

Kim Landers

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Beschreibung

Monde der Finsternis Band 1 Düstere Legenden ranken sich um Amber Sterns neues Zuhause in Schottland Schloss Gealach, dessen Erbauer seine Seele an Dämonen verkaufte und zu dem Vampir Lord Revenant wurde. Noch immer fürchten sich die Bewohner Gealachs vor seiner Rückkehr, denn einst hat er ihnen für seine Verbannung in die Schattenwelt Rache geschworen. Ausgerechnet in seinen Nachkommen, den attraktiven Aidan Macfarlane, verliebt sich Amber. Doch sein Vater ist der Anführer eines dunklen Druidenordens, der das Tor zur Schattenwelt wieder öffnet. Lord Revenant will seinen blutigen Feldzug beenden. Immer mehr verfällt auch Amber dem Ruf des mächtigen Vampirs. Aidan spürt, dass er Amber verliert, und will Revenant zurück in die Schattenwelt verbannen. Doch die Befreiung Ambers, und Revenants Bann, birgt die Gefahr, selbst ein Geschöpf der Finsternis zu werden. Monde der Finsternis Teil 2 Aidan ist nun ein Vampirkrieger, dessen menschliche Seite immer mehr verblasst. Es scheint nur eine Frage der Zeit, wann er dem Ruf der Finsternis für immer folgen wird. Amber begegnet dem attraktiven und verwegenen Samuel, der sie vom ersten Moment an fasziniert. Aber auch ihn umgeben düstere Geheimnisse. Gemeinsam müssen Amber und Aidan neuen Gefahren trotzen, und dabei ihre Liebe zueinander zu einem starken Band werden lassen, das sie vor der Finsternis bewahren kann. Monde der Finsternis Teil 3 Um nach ihrem Vater zu suchen, beschließt Amber, nach England zu reisen. Dort begegnet sie Charles, ihrer ersten Liebe. Aidan kann nicht gegen seine Eifersucht an, und es kommt unausweichlich zu einer Trennung. Doch ohne Amber erscheint Aidan das Dasein sinnlos, so beschließt er, Revenant zu folgen. Als Amber nach Gealach zurückgerufen wird, wo Hermit ihr das Versprechen abringt, die Wächterin des Schattentores zu werden, ereignet sich Unheilvolles. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass jemand das Schattentor geöffnet hat. Um das Schlimmste zu verhindern, begibt sich Amber in die Schattenwelt und gerät in die Gewalt Lord Revenants. Nur einer kann sie befreien, doch ist die Liebe stärker als der Ruf der Dunkelheit?

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Kurzbeschreibung: 

Monde der Finsternis Band 1

Düstere Legenden ranken sich um Amber Sterns neues Zuhause in Schottland Schloss Gealach, dessen Erbauer seine Seele an Dämonen verkaufte und zu dem Vampir Lord Revenant wurde. Noch immer fürchten sich die Bewohner Gealachs vor seiner Rückkehr, denn einst hat er ihnen für seine Verbannung in die Schattenwelt Rache geschworen. Ausgerechnet in seinen Nachkommen, den attraktiven Aidan Macfarlane, verliebt sich Amber. Doch sein Vater ist der Anführer eines dunklen Druidenordens, der das Tor zur Schattenwelt wieder öffnet. Lord Revenant will seinen blutigen Feldzug beenden. Immer mehr verfällt auch Amber dem Ruf des mächtigen Vampirs. Aidan spürt, dass er Amber verliert, und will Revenant zurück in die Schattenwelt verbannen. Doch die Befreiung Ambers, und Revenants Bann, birgt die Gefahr, selbst ein Geschöpf der Finsternis zu werden. 

Monde der Finsternis Teil 2

Aidan ist nun ein Vampirkrieger, dessen menschliche Seite immer mehr verblasst. Es scheint nur eine Frage der Zeit, wann er dem Ruf der Finsternis für immer folgen wird. Amber begegnet dem attraktiven und verwegenen Samuel, der sie vom ersten Moment an fasziniert. Aber auch ihn umgeben düstere Geheimnisse. Gemeinsam müssen Amber und Aidan neuen Gefahren trotzen, und dabei ihre Liebe zueinander zu einem starken Band werden lassen, das sie vor der Finsternis bewahren kann.

Monde der Finsternis Teil 3

Um nach ihrem Vater zu suchen, beschließt Amber, nach England zu reisen. Dort begegnet sie Charles, ihrer ersten Liebe. Aidan kann nicht gegen seine Eifersucht an, und es kommt unausweichlich zu einer Trennung. Doch ohne Amber erscheint Aidan das Dasein sinnlos, so beschließt er, Revenant zu folgen. Als Amber nach Gealach zurückgerufen wird, wo Hermit ihr das Versprechen abringt, die Wächterin des Schattentores zu werden, ereignet sich Unheilvolles. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass jemand das Schattentor geöffnet hat. Um das Schlimmste zu verhindern, begibt sich Amber in die Schattenwelt und gerät in die Gewalt Lord Revenants. Nur einer kann sie befreien, doch ist die Liebe stärker als der Ruf der Dunkelheit? 

Hinweis: Diese Romane erschienen zuvor unter dem Namen Elke Meyer!

Kim Landers

Monde der Finsternis - Gesamtausgabe

Drei Romane in einem Band

Edel Elements

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- ein Verlag der Edel Verlagsgruppe GmbH

© 2022 Edel Verlagsgruppe GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

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Copyright © 2022 by Kim Landers

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-485-1

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Kurzbeschreibung:

Monde der Finsternis Band 1

Düstere Legenden ranken sich um Amber Sterns neues Zuhause in Schottland Schloss Gealach, dessen Erbauer seine Seele an Dämonen verkaufte und zu dem Vampir Lord Revenant wurde. Noch immer fürchten sich die Bewohner Gealachs vor seiner Rückkehr, denn einst hat er ihnen für seine Verbannung in die Schattenwelt Rache geschworen. 

Ausgerechnet in seinen Nachkommen, den attraktiven Aidan Macfarlane, verliebt sich Amber. Doch sein Vater ist der Anführer eines dunklen Druidenordens, der das Tor zur Schattenwelt wieder öffnet. Lord Revenant will seinen blutigen Feldzug beenden. Immer mehr verfällt auch Amber dem Ruf des mächtigen Vampirs. 

Aidan spürt, dass er Amber verliert, und will Revenant zurück in die Schattenwelt verbannen. Doch die Befreiung Ambers, und Revenants Bann, birgt die Gefahr, selbst ein Geschöpf der Finsternis zu werden. 

Hinweis: Dieser Roman erschien zuvor unter dem Namen Elke Meyer!

Kim Landers 

Mond der Unsterblichkeit

Monde der Finsternis 1

Edel Elements

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Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2019 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

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Copyright © 2009 by Elke Meyer

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur Kossack

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-324-3

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Prolog

Das Beltanefeuer loderte in der Dunkelheit, um die letzten Geister des Winters fortzutreiben.

Eine rothaarige, junge Frau näherte sich und starrte fasziniert in die Flammen. Feuer zog sie magisch an, es besaß etwas Gefährliches und Sinnliches zugleich.

Über die Köpfe der anderen hinweg winkte sie ihrem Freund zu, der auf der anderen Seite des Feuers stand, die Hände tief in den Taschen seiner Jeans vergraben. Seine breiten Schultern steckten in einem weißen Hemd, das bis zum Hosenbund aufgeknöpft war und seine muskulöse Brust entblößte. Sie leckte sich über die Lippen. Er war sexy, und ließ andere Männer blass erscheinen.

Stimmengewirr und Gitarrenklänge vermischten sich zu einer immer lauter werdenden Geräuschkulisse. Viele Bewohner Gealachs hatten sich auf der Lichtung versammelt. Unter Gelächter prosteten sie sich zu oder tanzten ausgelassen ums Feuer, das in dieser Nacht jedem magische Kräfte versprach. Einem alten Brauch zufolge, hielt das Glück von Liebespaaren ein Leben lang, wenn sie Hand in Hand über die Flammen sprangen, die aus dem niedrig aufgeschichteten Reisighaufen züngelten. Diese Chance bot sich nur ein Mal im Jahr, und viele stellten sich an, um diesen Sprung zu wagen.

Auch die Rothaarige wurde aufgefordert, lehnte aber ab. Stattdessen ging sie ums Feuer zu ihrem Freund, zupfte ihm am Ärmel, und warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. Ein lüsternes Grinsen erschien auf dem gut geschnittenen Gesicht mit dem Dreitagebart, als er ihre Hand ergriff. Heimlich stahlen sie sich von der Feier. Hand in Hand rannten sie durch den Wald den Hügel empor, auf dessen Kuppe sie ungestört sein würden.

Nur spärlich fiel das silbrige Mondlicht durch die dichten Baumkronen. Ausgelassen sprangen sie über Moospolster und Baumwurzeln. Es war herrlich, sich frei und unbeobachtet zu fühlen. Eine leichte Böe fegte die letzten Regentropfen von den Blättern als Sprühregen auf sie herab. Die Frau schrie erschrocken auf, als sich ein Schwall Wasser über sie ergoss. Während sie stehen blieb, und die Nässe aus Haaren und Kleidung schüttelte, war ihr Begleiter bereits weitergelaufen. Ein kühler letzter Apriltag. Seit Tagen hatte es fast ununterbrochen geregnet. Der Waldboden war matschig, und der würzige Duft von feuchter Erde und Moos schwebte in der Luft.

„Hey, warte doch! Nicht so schnell!“, rief sie ihrem blonden Freund zu, der mit weit ausholenden Schritten bereits den Hügel erklomm. Da er nicht auf sie wartete, rannte sie hinter ihm her, stolperte über eine Baumwurzel, und fluchte. „Warte! Ich bin nicht so sportlich wie du. So habe ich mir das nicht vorgestellt!“, rief sie ihm hinterher, ohne eine Antwort zu erhalten. „Bitte bleib stehen. Verdammt!“ Tränen schossen in ihre Augen, als sie auf dem matschigen Untergrund erneut ausglitt, und mit dem Fuß umknickte. Leise schimpfte sie vor sich hin, weil er auf ein Schäferstündchen an seinem Lieblingsplatz bestanden hatte, einem Viehunterstand in der Nähe des Steinkreises. So eine blöde Idee.

Bevor sie sich vom Boden aufrappelte, war er bei ihr und fasste sie am Ellbogen.

„Komm schon, Honey, ich kann’s kaum erwarten, an diesem unheimlichen Ort mit dir Sex zu haben.“ Er grinste. Seit sie denken konnte, rief man sie Honey. Die meisten kannten ihren richtigen Namen nicht. Aus seinem Mund klang es sinnlich, begehrenswert.

„Mist, ich hab mir den Knöchel verknackst, und meine Schuhe sind durchweicht. Ich hab das Gefühl, auf Schwämmen zu laufen“, jammerte sie.

Er lachte rau. „Wir haben es gleich geschafft. Es wird unvergleichlich. Über uns der Vollmond, die laue Nacht. Wir beide ganz allein. Wir lieben uns auf Moos …“

„Und kriegen einen nassen Hintern. Darauf kann ich verzichten.“

„Vielleicht liegt noch Heu im Unterstand.“

Honey legte die Hände auf seine Schultern. „Lass uns wieder zurückgehen, und ein warmes Plätzchen suchen. Mir wird kalt.“

„Ich wärme dich.“

Er zog ihren Körper an sich. Sie kicherte, als er seinen Unterleib an dem ihren rieb. Seine Lippen trafen die ihren. Sie schlang die Arme um seinen Hals, und erwiderte den Kuss. Er stöhnte auf, schob seine Hände unter ihren Pullover, um ihre nackten Brüste zu umfassen.

„Deine Haut ist so warm und riecht süß. Ich möchte dich am liebsten gleich ausziehen.“

Seine Hand glitt in den Bund ihrer Jeans, um noch mehr von ihr zu spüren.

In dem Augenblick, als er ihr lockiges Dreieck ertastete, schraken sie durch einen lauten Knall zusammen.

„Was war das?“ Honeys zitternde Hand suchte die seine.

„Vielleicht haben die Bengel von den McCormicks was ins Feuer geworfen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das klang eher wie ein gewaltiger Trommelschlag, und kam aus der Nähe des Menhirs. Vielleicht der alte Hermit? Der besitzt eine Trommel. Lass uns nachsehen. Nicht auszudenken, wenn uns jemand beim Sex beobachten würde!“

„Ach, Quatsch. Und wenn schon? Gäbe doch den Kick! Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass da oben auf dem Hügel niemand ist. Die sind alle beim Fest“, wehrte er ab, und zog sie erneut in die Arme. Sie stemmte sich gegen seinen Brustkorb.

„Ich möchte lieber nachsehen, ob es wirklich nur Hermit ist. Den werden wir schnell los, der verpfeift uns nicht. Nun sei kein Spielverderber, lass uns weitergehen. Wir haben noch die ganze Nacht Zeit. Meine Eltern glauben eh, dass ich bei Jenni übernachte.“

„Na gut, aber danach gehen wir direkt zu meinem Lieblingsplatz, um endlich zur Sache zu kommen. Versprochen?“

„Versprochen.“

„Okay, lass uns nachsehen.“

Er zog Honey hinter sich her. Sie erreichten den Waldessaum und überquerten die Wiese, auf der ein einzelner Menhir vom Mond bestrahlt wurde, als stünde er unter einem Spotlight.

„Hier ist es irgendwie unheimlich.“ Honey blickte sich ängstlich nach allen Seiten um. Von Hermit war nichts zu sehen. Plötzlich hörten sie einen tiefen, monotonen Gesang. Wieder folgte ein Trommelschlag.

„Vielleicht tanzen dort oben die Hexen auf den Steingräbern.“ Ihr Freund zog eine Grimasse, hüpfte mit einem imaginären Besen zwischen den Beinen herum, und lachte dabei.

„Oder Revenant ist zurück und will dein Blut aussaugen!“

„Hör auf mit dem Blödsinn. Es gibt keine Hexen und Vampire.“ Sie stieß ihm den Ellbogen in die Rippen.

„Und es gibt sie doch! Meine Tante Cecilia ist eine Hexe“, behauptete er.

Honey winkte ab. „Das sagst du nur, um dich wichtig zu machen. Es gibt keine Hexen!“

Der anschwellende, tiefe Gesang ließ sie innehalten.

„Wir sollten doch lieber gleich zu deinem Lieblingsplatz gehen.“

„Du wolltest wissen, ob es der alte Eremit ist. Jetzt kneif nicht, lass uns nachsehen, was er dort treibt. Ich bin neugierig geworden. Anscheinend ist er nicht allein. Vielleicht macht er was Verbotenes?“

„Ach, ich weiß nicht. Und wenn er uns erkennt und verrät?“

„Eben hast du noch was anderes gesagt. Aber der wird uns nicht erwischen. Ich kenne mich hier gut aus.“

Ohne ein weiteres Wort folgte sie ihm. Als sie sich dem Steinkreis näherten, sahen sie mittendrin ein offenes Feuer, viel beeindruckender als das Beltanefeuer. Ein Dutzend dunkler Kuttenträger scharten sich um einen Mann, der als Einziger unter ihnen eine weiße Kutte trug, und einen hölzernen Stab zum Himmel hob. In der anderen Hand hielt er eine dampfende Schale. Immer wenn er etwas daraus ins Feuer goss, schlugen zwei die Trommel. Alle Gesichter lagen tief in den Kapuzen und waren nicht zu erkennen.

„Das ist bestimmt nicht Hermit“, flüsterte Honey.

Als sie anhob, mehr zu sagen, verschloss ihr Freund mit seiner Hand ihren Mund. Dann zog er sie in den Schutz der Bäume zurück. Wütend schob sie seine Hand fort.

„Was soll das?“, zischte sie und stemmte die Hände in die Hüften.

„Sei leise, sonst entdecken die uns. Ich möchte noch ein wenig näher ran und hören, was da abgeht“, flüsterte er, und wollte sich an der Baumreihe entlang zum Steinkreis bewegen. Sie hielt ihn am Arm zurück.

„Sag mal, spinnst du? Dort erwischen die uns doch sofort, und zählen eins und eins zusammen. Da können wir gleich in Gealach erzählen, dass wir die ganze Nacht zusammen verbracht haben. Ich will mir gar nicht ausmalen, was alle dazu sagen werden.“

„Die werden uns schon nicht erwischen, vertrau mir“, antwortete er voller Zuversicht, und lief weiter, sodass Honey nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen, denn sie kannte den Rückweg zum Beltanefest nicht.

Sie umrundeten den Steinkreis, und verbargen sich an der Stelle im Unterholz, der den besten Ausblick auf das Geschehen bot. Honey würgte, als sie erkannte, wie der in Weiß Gekleidete einem Raben mit bloßen Händen den Kopf abdrehte, und das Blut aus dem Rumpf in die dampfende Schale tropfen ließ. Vom Ekel überwältigt, barg sie ihren Kopf an der Schulter ihres Freundes, und schloss die Augen.

„Der Weiße ist ein Druide. Ich frage mich, welches Ritual der hier praktiziert. Meine Tante hat mir von so was nichts erzählt“, flüsterte er, und verfolgte neugierig jede Handbewegung.

„Ist mir egal. Ich finde es nur eklig. Wir haben genug gesehen, komm. Das ist sowieso nicht Hermit. Die hier interessieren mich nicht. Wo ist denn nun dein Lieblingsplatz? Lass uns gehen.“ Sie wollte ihn fortziehen, aber er streifte ungeduldig ihre Hand ab.

Inzwischen waren die Trommelschläge verklungen, und der Druide rief Worte in einer fremden Sprache. Ein zustimmendes Raunen der anderen folgte. Dann herrschte Stille, die nur vom Knistern des Feuers unterbrochen wurde. Honey machte einen Schritt rückwärts. Dabei trat sie auf einen Ast. Das knackende Geräusch durchschnitt die Stille. Alle Köpfe drehten sich ruckartig in ihre Richtung.

„Mist! Jetzt hast du uns verraten! Nichts wie weg hier.“ Ihr Freund packte sie am Arm und riss sie mit sich.

Sie liefen in die gleiche Richtung, aus der sie glaubten, gekommen zu sein. Aber als sie die Baumgrenze auf der gegenüber liegenden Seite des Steinkreises erreichten, stoppte er.

„Scheiße! Welches ist bloß der richtige Weg?“, rief er aus, und fuhr sich durch die blonden Haare.

„Ich dachte, du kennst dich hier aus“, warf Honey ihm vor.

„Nach links“, entschied er, und zog die humpelnde Freundin erneut hinter sich her. „Scheiße, die folgen uns!“, rief er.

Dumpfe Schritte näherten sich den beiden in raschem Tempo.

„Ergreift sie! Sie dürfen nicht entkommen!“, brüllte einer der Kuttenträger.

Sofort erhöhten beide das Tempo. Unter Tränen hielt Honey so gut es ging mit. Endlich erreichten sie den Waldweg, der zum Parkplatz führte, auf dem sie den Wagen vor dem Beltanefest geparkt hatten.

„Da lang!“, trieb ihr Freund sie an.

Honeys Knöchel knickte erneut um. Sie schrie auf und stoppte. „Ich kann nicht mehr, es tut so weh“, japste sie und rieb sich den Knöchel.

„Du willst doch nicht, dass die uns einfangen. Komm schon, wir haben es gleich geschafft.“

Er klang verärgert und zerrte an ihrem Arm. Honey strauchelte und fiel mit einem Aufschrei der Länge nach hin. Im gleichen Moment wurden sie von den Kuttenträgern umringt, die an Mitglieder des Ku-Klux-Clans erinnerten. Ihr Freund zog sie hoch, und umfing stützend ihre Taille. Er versuchte, mit ihr aus dem Kreis zu fliehen. Doch zwei Hünen versperrten den Weg.

„Was soll das? Wir haben nichts getan. Lassen Sie uns gehen.“ Honeys Freund stellte sich schützend vor sie.

„Bist du nicht der Neffe von Cecilia, der Hexe?“ Der Druide in der weißen Kutte drängte sich durch die Umstehenden, und trat auf ihren Freund zu. Noch immer war dessen Gesicht tief in der Kapuzenhöhle verborgen und nicht zu erkennen.

„Ja“, antwortete ihr Freund atemlos, und starrte den Druiden fragend an. „Ich kenne Sie nicht. Wer sind Sie? Und was wollen Sie von uns? Wir sind nur im Wald spazieren gegangen.“ Er zog die zitternde Honey schützend an sich.

Ohne auf die Fragen einzugehen, befahl der Druide, ihnen zu folgen. Als sie sich zur Wehr setzten, wurden sie mit Stößen in den Rücken vorwärts getrieben. Man führte sie zum Steinkreis zurück.

„Was wollen die von uns?“, wisperte Honey mit tränenerstickter Stimme.

„Ich weiß es nicht. Aber sie werden uns schon nichts tun“, versuchte er sie zu beruhigen.

Die Kuttenträger zwangen sie, niederzuknien. Einer von ihnen band ihnen die Hände hinter dem Rücken mit einem Strick zusammen. Dann trat der Druide auf sie zu, fasste sie nacheinander derb am Kinn und zwang sie, den Mund zu öffnen. Ihr Freund wehrte sich, aber die Kuttenträger drückten ihm unerbittlich die Schultern nach unten, und hielten seinen Kopf fest. Honey hingegen ließ alles ohne Gegenwehr über sich ergehen. Sie warf einen Blick auf ihren Freund, der bleich und zitternd ihr gegenüber am Boden kniete. Die gewohnte Selbstsicherheit in seinen Augen hatte sich in Furcht verwandelt. Der Druide holte eine kleine, bauchige Flasche aus seiner Hosentasche, und flößte ihnen nacheinander den Inhalt ein. Kurz darauf stöhnten beide auf.

Dann erlahmte jede Gegenwehr, ihre Schultern sackten kraftlos herab, und der Kopf kippte nach vorn, dass das Kinn auf der Brust lag. Einer der Hünen trat vor Honey, zog ihr die Jacke aus und riss ihr mit derben Griffen die Bluse vom Leib. Sie zitterte und Tränen liefen ihre Wangen hinab. Nur ein leises Wimmern kam über ihre Lippen. Sie flüsterte ein Gebet, und bat darin, in Ohnmacht zu fallen.

Der Hüne schlitzte mit einem Messer das Hemd ihres Freundes am Rücken auf. Mit der dampfenden Schale in der Hand beugte sich der Druide zu Honey, tauchte seine Hand in die rote Flüssigkeit, und bestrich damit ihr Gesicht und den nackten Oberkörper. Es war das Blut des Raben, vermischt mit einem unbekannten, nach Schwefel riechenden Sud. Sie begann zu würgen. Der Druide murmelte erneut Worte in der fremden Sprache, und wandte sich ihrem Freund zu, um auch ihn mit dem Sud zu bestreichen. Die Schale stellte er zurück auf die Steine und streckte die Arme gen Himmel.

„Dämonen, nehmt diese Opfer an, in der Nacht des Mondes der Unsterblichkeit!“

Honey zitterte, ihr Atem bildete in der plötzlichen Kälte weiße Wolken vor ihrem Mund. Ihre Lippen formten tonlose Worte. Tränen liefen unaufhaltsam über ihr verschmiertes Gesicht, und tropften vom Kinn auf ihre Brust. Ihr Blick sah flehend zu den Umstehenden, die mit verschränkten Armen, Statuen gleich, dastanden.

Sie schluchzte auf. „Bitte … Bitte lassen Sie … uns gehen.“

Die Temperatur sank weiter rapide. Nebelschwaden zogen heran und hüllten sie in einen Gazeschleier. Daraus griffen Hände nach ihr, deren Besitzer nicht zu erkennen waren, zerrten grob an ihren Haaren und Schultern. Voller Entsetzen weiteten sich Honeys Augen. Krallen bohrten sich in ihren Rücken. Wie Raureif überzog gefrierender Schweiß ihre Haut. Selbst das Blut, das aus ihren Rückenwunden sickerte, begann zu gefrieren. Eine blasse Zunge versuchte gierig das Blut fort zu lecken, bevor es vollends gefror. Honeys Augen rollten unkontrolliert, bis nur noch das Weiß darin zu sehen war.

Andere Hände aus dem Nebel zerrten ihren Freund an den Haaren fort. Er stieß animalische Schreie aus, als Krallen auch in seinen Rücken stießen. Behaarte Hände umschlossen seine Kehle und drückten zu. Seine Augen traten hervor, während er nach Luft rang. Aus seiner Kehle ertönte ein heiseres Gurgeln.

Die Krallenhände wanderten über Honeys nackten Leib, sanft, fast andächtig. Sie mündeten in Pfoten, die gierig ihre Brüste umspannten. Ein tiefes Knurren erklang, das Honey erneut zum Wimmern brachte.

Die Krallen der Kreatur glitten fächerartig über ihre Schultern zu ihrem Brustansatz, scharf wie Rasierklingen. Rote Streifen zogen sich über ihre Brüste bis zum Bauchnabel. Es waren feine Schnitte, die zu dampfen begannen. Langsam sickerte Blut aus ihnen, in einem fadendünnen Strahl, der die roten Streifen in Zickzackbahnen verwandelte. Das Gleiche vollzog sich auf ihrem Rücken. Gierig leckte eine Zunge, dessen Besitzer im Nebel verborgen blieb, über die blutenden Wunden. Eine Kralle drang seitlich in ihren Hals, bohrte sich langsam durch den Kehlkopf nach oben, um die Zunge zu durchstoßen und in ihre Mundhöhle einzudringen. Eine weitere durchdrang erneut ihren Rücken und bohrte sich in ihre Lunge. Warmes Blut floss aus Mund und Hals über ihren kalten, erstarrten Körper. Mit einem Ruck zogen sich die Krallen aus Hals und Rücken zurück. Dann zerrten sie an ihren Armen, fuhren unter ihre Haut und spannten sie so, dass der Feuerschein hindurch leuchtete. Honeys Lider flatterten, während aus ihrer geschundenen Kehle nur ein heiseres Röcheln ertönte. Die Arme der sonst unsichtbaren Kreatur, hieben wie Windmühlenflügel klatschend auf ihren Rücken ein, und zogen sie mit sich in einen Strudel des Schmerzes, der sie in tiefe Dunkelheit versinken ließ.

Auch der Körper ihres Freundes wurde von Klauenhänden gepackt, deren Besitzer noch immer verborgen blieb. Dort, wo die spitzen Klauen sich in sein Fleisch bohrten, floss das Blut zäh, bis es in dicken Tropfen erstarrte. Während sein Körper unkontrolliert zuckte, als jagten Stromstöße hindurch, verzerrte sich sein Gesicht zu einer Fratze. Dann erschlaffte er, das Zucken hörte auf. Sein Schrei hallte durch die Nacht und verstummte dann so plötzlich, als hätte man ihn abgeschnitten. Schließlich verschwand er mit dem Nebel, der sich in Nichts auflöste.

1.

Amber Stern drängte sich mit Einkaufstüten in den Händen gegen den Besucheransturm durch den Haupteingang von Harrods. Schweiß perlte von ihrer Stirn, ihr bernsteinfarbenes Haar klebte am Kopf. Sie war schon spät dran, durfte den Bus nicht verpassen. Schließlich hatte sie Mom und Dad versprochen, wenigstens am letzten Tag pünktlich zu sein. Der letzte Tag in London. Ihr Herz hing an dieser Stadt. Eine unglaubliche Traurigkeit beschlich sie. Schon morgen würden sie London verlassen, um in ein langweiliges Kaff im Norden Schottlands zu ziehen. Und das so kurz vor ihrem Studienabschluss.

Vor zwei Jahren hatte sie keine Lust gehabt, noch länger die Schulbank zu drücken. Sie träumte von einer Schauspielkarriere und pfiff, zum Entsetzen ihrer Eltern, auf einen Collegebesuch. Monatelang jobbte sie an einem kleinen Theater, in der Hoffnung auf ein festes Engagement, durch das ihr schauspielerisches Talent entdeckt würde. Doch die Träume zerplatzten wie Seifenblasen. Ein verlorenes Jahr, in dem sie nicht über schlecht bezahlte Rollen hinauskam, und die sie in ihrer Schauspielkarriere nicht weiterbrachten. Ihre Traumrolle spielte sie nur ein Mal, denn kurz darauf musste das Theater aus finanziellen Gründen schließen.

Hätte sie nicht kurz vor ihrem zwanzigsten Geburtstag Carole und Shannon, ihre alten Schulfreundinnen, wiedergetroffen, wäre sie vielleicht nie aufs College gegangen, um jetzt die Universität besuchen zu können. Gerade an den Studienalltag in London gewöhnt, musste sie schon die Uni wechseln. Amber seufzte. Wie sehr würde sie ihre Freundinnen vermissen, die gemeinsamen Unternehmungen und Ausflüge, bei denen sie so viel Spaß hatten. Amber spürte Tränen aufsteigen, die sie krampfhaft fortzublinzeln versuchte. Daran änderte auch dieser Frustkauf nichts.

Sie hastete die Brompton Road entlang zur Bushaltestelle. Die Trageriemen der Tüten schnitten in ihre Finger, ebenso wie die neuen, ultramodernen Pumps in ihre Fersen. Es brannte höllisch. Und auch ihre hautenge Jeans erwies sich beim Einkaufsbummel nicht gerade als bequem. Alles nur der Schönheit Willen. Immer wieder zog sie ansprechendes Design legerer Kleidung vor, weil Charles es sich so gewünscht hatte. Verfluchter Charles! Sie musste ihn sich endlich aus dem Kopf schlagen. Es war aus und vorbei. Endgültig. Sie hatte ihm nicht mehr zu gefallen.

In Schottland begann ein neues Leben.

Sie hielt kurz an, setzte die Tüten ab, um ihren Fingern eine Auszeit zu gönnen. Wie im Rausch hatte sie Bücher gegen Langeweile gekauft, warme Socken zum Vorbeugen gegen die schottische Kälte, und unzählige CDs, die ihre Stimmung aufhellen sollten. Sie zwängte sich durch die enge Bustür und ließ sich erleichtert auf einen der Sitze fallen. Das Gesicht gegen die Scheibe gedrückt, sog sie während der Fahrt jedes Detail des Stadtbildes in sich auf, als kehre sie nie mehr zurück. Jedes Haus, jede Straßenecke war ihr vertraut.

Überall lagen Erinnerungen, schöne und auch traurige. An der einen Straßenecke vor dem Coffeeshop hatte Charles sich von ihr wegen Janice getrennt. Mein Gott, wie sehr war sie in ihn verliebt gewesen, diesen schwarzhaarigen Sunnyboy, der jedes Frauenherz in der Universität höher schlagen ließ. Eben jedes, darüber konnte auch der unschuldige Blick aus seinen blauen Augen nicht hinwegtäuschen. Das Gefühl der Einsamkeit und Demütigung würde sie nie vergessen. Die Tage nach der Trennung wurden zur Qual, denn sie begegnete ihm fast täglich nach den Vorlesungen, wenn er Janice abholte. Wenigstens würde der Umzug nach Schottland helfen, das unselige Ende ihrer Beziehung zu vergessen.

Vaters Entscheidung, die Stellung in Schottland anzunehmen, rettete die Familie aus der finanziell misslichen Lage. Nett umschrieben. Amber lächelte bitter, denn alle Ersparnisse waren verbraucht und Vater verschuldet. Ihre letzte Gage der Laienbühne befand sich nach ihrem Frustkauf in den Tüten zu ihren Füßen. Lange hatte ihr Vater vergeblich nach einem Job gesucht, der besser bezahlt wurde, und ihn gleichzeitig erfüllte, bis er zufällig auf das Angebot der Macfarlanes Whisky-Brennerei stieß, die einen Geschäftsführer suchte. Für Dad, der selbst aus einer Familie schottischer Whiskybrenner stammte, ging ein Wunschtraum in Erfüllung. Natürlich wäre sie lieber in London geblieben, um das Studium zu beenden, aber dazu reichten die finanziellen Mittel nicht. Wohnungen in Londons City waren kaum bezahlbar.

Der Bus hielt. Amber raffte die Tüten zusammen, und zwängte sich an den stehenden Fahrgästen vorbei zum Ausgang. Glücklich, der stickigen Luft im Bus entronnen zu sein, atmete sie tief durch. Der Weg bis zur Haustür kam ihr endlos vor, und führte sie an viktorianischen Häuserzeilen vorbei, in denen im vergangenen Jahrhundert reiche Bürger Londons gelebt hatten. In den winzigen Vorgärten, eingezäunt von spitzzackigen Metallzäunen, blühten noch die letzten Rosen. Zwischen den einzelnen Häuserblocks führten schmale Gassen zu Hinterhöfen, in denen Amber oft mit Shannon als Kind gespielt hatte.

Eine plötzliche Welle der Verzweiflung durchflutete Amber, und verursachte ein unangenehmes Kribbeln in ihren Adern, als fließe Strom hindurch. Sie spürte, wie jemand verzweifelt um sein Leben kämpfte. Die Gabe, tiefe Empfindungen anderer aufzunehmen, gar zu teilen, besaß Amber schon, seit sie denken konnte. Weshalb gerade sie diese Fähigkeit besaß, konnte sie sich nicht erklären. Niemand in ihrer Familie verfügte darüber. Eine Gabe? Eher eine Last, denn überall traf sie auf Unverständnis, manche hielten sie für hysterisch. Deshalb vermied sie es, darüber zu reden. Bei jedem Menschen verspürte sie Wellen, die ihn wie eine Hülle umgaben, und die bei Stimmungslagen variierten. Negative Gefühle wie Furcht und Trauer trafen sie wie Schwingungen und lösten die gleichen Empfindungen bei ihr aus. Auch in diesem Moment breitete sich ein unangenehmes Gefühl wie Schallwellen in ihrem Körper aus. Sie schloss die Augen, um den Ort der Verzweiflung zu erspüren. Ein leichter Wind wehte zu ihr und mit ihm ein unbestimmtes Angstgefühl.

Kurz darauf betrat sie einen der Hinterhöfe, in denen sich vollgestopfte Mülltonnen drängten. Alles sah heruntergekommen aus. Das Milieu verstärkte ihr beklemmendes Gefühl. Es roch penetrant nach fauligem Obst und verdorbenem Fisch. Widerlich. Amber hielt sich die Nase zu. Dort, zwischen den Mülltonnen, verstärkten sich die Schwingungen.

In einer der Tonnen raschelte es und ein klägliches Miauen erklang. Amber hob den Deckel an. Im selben Augenblick sprang ihr ein schwarzes, zerzaustes Bündel fauchend entgegen, und landete auf ihrer Schulter. Das Kätzchen war ausgemergelt und zitterte am ganzen Leib. Irgendjemand musste es in die Mülltonne gesteckt haben, in der Hoffnung, sich des Tieres auf diese Weise zu entledigen. Vorsichtig nahm Amber das Tierchen von der Schulter und hielt es in der Hand. Jede einzelne Rippe konnte sie ertasten.

„Du Armes. Wer mag dir das nur angetan haben? Du hast bestimmt Hunger.“

Als hätte es ihre Worte verstanden, miaute es leise.

„Ich nehm dich einfach mit.“ Sie steckte das erschöpfte Tier in ihre Jackentasche und marschierte zu den Tüten zurück.

„Mein Gott, Amber, hast du mal auf die Uhr gesehen, wie spät es ist?“

Mit wütendem Blick stand ihre Mutter im Flur, die Hände in die Hüften gestemmt, das Gesicht geschwollen, und das Haar hing ihr wirr in die Stirn. Wahrscheinlich war sie noch immer am Packen. Über einer zerschlissenen Jeans trug sie eins von Vaters übergroßen Baumwollhemden und machte keinen Hehl aus ihrer augenblicklichen Hässlichkeit. Noch immer behandelte Mom sie wie einen Teenager, der herumgetrödelt hatte, wenngleich sie es nicht so meinte.

„Sorry, Mom, aber ich habe den ersten Bus verpasst.“ Das stimmte zwar nicht, aber ihr war spontan nichts Besseres eingefallen. Mom war von Anfang an mit ihrem Ausflug in die City nicht einverstanden gewesen.

Nun rollte sie mit den Augen und stöhnte. „Kannst du nicht mal pünktlich sein? Du musstest nicht noch am letzten Tag in die City fahren. Seit einer geschlagenen Stunde warten wir auf dich. Schließlich musst du deine restlichen Sachen in den Karton packen.“

„Es tut mir wirklich leid, aber ich wollte für Shannon und Carole noch ein Abschiedsgeschenk kaufen.“

„Was hast du denn da in der Tasche?“ Mom streckte den Arm aus und deutete auf die ausgebeulte Jackentasche, in der sich etwas bewegte.

„Eine Katze.“ Amber versuchte, möglichst unschuldig dreinzuschauen.

Scharf sog Mom die Luft ein. „Die musst du sofort zurückbringen. Auf der Stelle“, befahl sie.

Sie mochte es nicht, wenn Tiere im Haushalt lebten. Der alte Kater Willy war vor einem Jahr gestorben. Ständig hatte sie über das Katzenhaare von den Möbeln entfernen geschimpft, aber sie besaß ein weiches Herz, und das war, was Amber in diesem Moment zu ihren und des Kätzchens Gunsten nutzte.

„Sie war in einer Mülltonne eingesperrt.“ Hoffentlich würde diese schreckliche Tatsache Moms Herz erweichen.

„Wer tut denn so was? Armes Ding!“

Es funktionierte. Sanft streichelte sie über das Köpfchen der Katze, das neugierig aus der Tasche hervor lugte.

„Wenn wir in dem Schloss wohnen, ist doch genügend Platz“, wagte Amber sich auf dünnes Eis.

„Wir können doch nicht einfach ein Tier mitbringen, ohne Mr. Macfarlane zu fragen. Vielleicht hat er eine Allergie. Am besten, die Katze kommt in ein Tierheim oder so“, entschied Mom, und wandte sich wieder dem Stapel beschrifteter Umzugskartons zu.

„Mom, das ist doch nicht dein Ernst.“

„Mein voller Ernst.“

Bevor Amber erwiderte, sie würde Macfarlane anrufen, bemerkte sie ihren Vater. Der lehnte lächelnd mit verschränkten Armen im Türrahmen. Der Blick aus seinen grauen Augen flog von ihr zu Mom. Er wusste um Ambers Tierliebe genauso wie um den Reinlichkeitsfimmel seiner Frau, der keinen Platz für Tierhaare und Kot einsammeln ließ. Er rückte seine Brille zurecht und räusperte sich.

„Dana, in Macfarlanes Mietvertrag steht, dass Haustiere erlaubt sind. Damit ist das Thema doch erledigt, oder?“ Verschwörerisch zwinkerte er Amber zu und ignorierte den missbilligenden Blick seiner Frau.

„Danke, Dad, du bist der Beste.“ Amber stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Dad einen herzhaften Kuss auf die stoppelige Wange. Sie hörte, wie Mom wütend schnaubte.

„Es war ja klar, dass du mir in den Rücken fällst, Finlay. Du hast Amber viel zu sehr verwöhnt. Seit ihrer Geburt ist sie mit allem bei dir durchgekommen.“

Dad antwortete ihr nicht. Amber wusste, jedes Widerwort führte nur zu Streit. Wütend lief Mom die Treppe nach oben. Ihr Ärger würde nur einen Augenblick anhalten, sie konnte nicht lange nachtragend sein. Dad wandte sich Amber zu, und breitete die Arme aus.

„Eine Umarmung muss für deinen Vater jetzt drin sein.“

Amber schlang die Arme um seinen Hals und drückte ihn. Wann immer sie in Schwierigkeiten geriet und Trost suchte, war er für sie da.

2.

Amber legte ihre Wange an die kühle Wagenscheibe, und sah zum sternklaren Himmel hinauf. Seit dem frühen Morgen befanden sie sich auf dem Weg nach Schottland. Ihre Glieder waren vom langen Sitzen schon ganz steif. Sie sehnte sich danach, endlich anzukommen. Gealach. Was für ein langweiliger Name. Genauso langweilig wie diese Gegend. Selten sah man am Straßenrand ein Haus. Hier existierten nur Moore, Berge, zerklüftete Felsen, Seen und Schafsbauern. Landschaftliche Idylle à la sterbenslangweilig.

Das gleichmäßige Brummen des Motors wirkte einschläfernd. Immer wieder fielen ihr die Augen zu. Sie gähnte und streckte die Beine aus, so weit es der Vordersitz zuließ. Und das war nicht gerade viel. Das Kätzchen schlief zusammengerollt auf ihrem Schoß und schnurrte. Amber warf einen Blick zu Kevin, der glücklicherweise schlummerte. Sein gegeltes Bürstenhaar glänzte im matten Schein der Innenbeleuchtung. Ihr Bruder hatte sie während der Fahrt mit seinen flapsigen Sprüchen genervt. Warum mussten pubertierende Jungs so anstrengend sein? Amber sah zu ihrer Mutter, die noch immer in dem Buch mit dem Titel „Mein Traumprinz“ las. Dieser Anflug von Romantik entlockte Amber ein Schmunzeln. Typisch Mom. Sie war in ihre Lektüre immer so vertieft, dass sie alles andere vergaß. Was las sie nur über einen Traumprinzen, wenn der tollste Mann der Welt, an ihrer Seite saß? Trotz der Geheimratsecken, dem graumelierten Haar, und dem leichten Bauchansatz war Dad noch immer ein attraktiver Mann. So etwas blieb anderen Frauen auch nicht verborgen, weshalb ihre Mutter im letzten Jahr von ihm verlangt hatte, den Job als Teppichvertreter an den Nagel zu hängen.

Über diese Gedanken döste Amber ein und erwachte erst, als ihre Mutter sie stupste, weil sie sich Gealach Castle näherten. Verschlafen rieb sie sich die Augen. Auch Kevin wachte auf und verbreitete sofort schlechte Laune.

„Na endlich. Ey, nicht noch mal so ne lange Fahrt, nicht mit mir. Wir hätten fliegen sollen, first class.“ Knurrend verschränkte er die Arme vor der Brust und zog einen Schmollmund.

Amber betrachtete das Schloss, dessen Konturen sich scharf vom dunklen Nachthimmel abhoben, als hätte sie jemand mit einem spitzen Stift gezeichnet. Gealach Castle, das Mondschloss, thronte imposant auf einem Hügel. Ihm zu Füßen lag Loch Gealach, auf dessen schwarzer Wasseroberfläche sich silbern die Mondsichel spiegelte, und dem Namen alle Ehre machte.

In die mächtige Steinmauer waren kleine, quadratische Fenster eingelassen, die feindselig wie Schießscharten aussahen, und nur im Erdgeschoss vergittert waren. Die Mauer mündete in einen Wehrturm, dessen Zinnen wie spitze Zähne emporragten. Die strenge Architektur des Schlosses erinnerte an ein Gefängnis. Bei dem Gedanken daran, in diesem düsteren Gemäuer gefangen zu sein, lief eine Gänsehaut über ihren Körper. Sie spürte eine dunkle Aura, die das Schloss umgab. Für einen Moment schloss sie die Augen. An diesem Ort hatten Schmerz und Verzweiflung geherrscht. Drohendes Unheil schwebte wie eine schwarze Wolke über den Mauern.

„Oh, Mann, total abgefahren! Wie in nem Horrorfilm“, rief Kevin aus.

„Richtig bedrückend“, bestätigte Amber. Am liebsten wäre sie auf der Stelle umgekehrt. Aber die anderen würden sie für hysterisch halten, und behaupten, ihre Fantasie ginge mal wieder mit ihr durch.

Mom starrte auf die Schlosskulisse. „Imposant! Diese wuchtigen Mauern. Die konnte bestimmt keiner einnehmen. Finlay, du hast nicht zuviel versprochen. Dieses Schloss besitzt das gewisse Flair.“

Dad klopfte mit der Faust gegen das Eingangsportal, da nirgendwo eine Klingel zu finden war. Amber schüttelte den Kopf. Okay, hier war also die Zivilisation zu Ende. Wahrscheinlich gab es auch keinen Fernsehanschluss, und Internet gehörte hier noch in Sciencefiction-Filme.

Knarrend öffnete sich ein Flügel des Portals. Ein Mann mit unfreundlicher Miene und schulterlangem, schlohweißem Haar blickte auf sie herab. Er hob fragend die Augenbrauen. Sein dunkler Anzug entstammte einem vergangenen Jahrhundert. Mit einem hageren, bleichen Gesicht über einem weißen Stehkragen wirkte er wie ein Totengräber.

„Sie wünschen?“

„Ich bin Finlay Stern, Sir, der neue Geschäftsführer der Brauerei. Ich wollte zu Mr. Macfarlane. Ist er zu Hause?“

„Ich bin Gordon Macfarlane. Hatte Sie nicht mehr erwartet. Aber wenn Sie nun da sind, kommen Sie rein.“ Macfarlane ignorierte die Hand ihres Vaters und öffnete stattdessen die Flügeltür, um die Familie einzulassen.

„Es tut mir leid, Mr. Macfarlane, dass wir nicht pünktlich heute Nachmittag eingetroffen sind, aber auf der Fahrt mussten wir wegen einer Straßensperre einen großen Umweg fahren. Und dann haben wir ein Schild übersehen und uns verfahren.“ Dad lachte auf, ihm war diese Situation sichtlich unangenehm. Das erste Treffen mit seinem zukünftigen Arbeitgeber, das bereits unter keinem guten Stern stand.

„Hatten Sie Ihre Ankunft für heute avisiert?“

Eine gewisse Feindseligkeit lag in Macfarlanes Stimme, bei der sich Ambers Nackenhaare aufstellten. In Nachbarschaft mit diesem aristokratischen Snob sollte sie sich wohlfühlen? Das von ihrem Vater beschriebene Bild eines gutmütigen Mannes traf jedenfalls nicht zu. Das konnte ja heiter werden. Dad sah seinen neuen Chef irritiert an.

„Verzeihen Sie, Sir, aber wir hatten den Termin bei unserem letzten Telefonat besprochen.“

Macfarlane würdigte ihn keines Blickes, sondern ging voran in die Mitte einer riesigen Halle und bedeutete mit einem Handzeichen, ihm zu folgen. In Amber sträubte sich alles. Das Gemäuer wirkte genauso abweisend wie dieser Macfarlane. Eine gewisse Verschlagenheit lag in seinem Blick, die ihr Furcht einflößte. Die schaurige Aura des Schlosses schien auch ihn in Besitz genommen zu haben.

„Mag sein“, kam es knapp zurück.

Mom schaltete sich ein, und setzte ihr betörendes Lächeln auf, das bislang nie die Wirkung verfehlt hatte. „Mr. Macfarlane, ich kann nur sagen, dass es uns unendlich leidtut, zu so später Stunde einzutreffen. Wir wollen Sie auch nicht länger behelligen, aber wir sind müde. Könnten Sie uns bitte nur unsere Wohnung zeigen?“

„Das wollte ich soeben tun. Folgen Sie mir.“

Sein Gang war hölzern. Das Wort ‚bitte’ schien ein Fremdwort für ihn zu sein. Sicher war er es gewöhnt, ausschließlich Befehle zu erteilen. Seine arrogante Art ließ Amber zweifeln, ob es wirklich die richtige Entscheidung gewesen war, hierher zu kommen. In ihr regte sich die Hoffnung, Dad würde vielleicht den Job nicht mehr annehmen wollen. Doch stattdessen buhlte er förmlich um die Aufmerksamkeit seines neuen Arbeitgebers. Er eilte Macfarlane hinterher und erzählte von seinem letzten Job in London. Schweigend hörte der Schlossherr zu.

Kevin stieß Amber an. „Der Kerl hat bestimmt was gegen Heavy Metal, wetten? Der sieht genauso zerknittert aus wie seine Vorhänge.“

Sie stiegen eine breite Treppe zu einer Galerie hinauf. Das gedrechselte Geländer mit aufwändigen Schnitzereien, Darstellungen von verschiedenen Blättern der Umgebung, war eine Augenweide. Oben angekommen staunte Amber über die zahlreichen Gemälde, die den Flur zu beiden Seiten flankierten. Es handelte sich um die Ahnengalerie der Macfarlanes. Damen in mittelalterlichen Gewändern, schottische Krieger, die meisten mit auffallend maisblondem Haar. Mit düsteren Mienen sahen die Ahnen auf die Besucher herab.

„Das reinste Gruselkabinett“, gab Kevin flüsternd zum Besten.

Amber hatte das Gefühl, als folgten ihnen die Blicke misstrauisch, und wäre am liebsten schnell vorbei gelaufen. Doch dann hätten ihre Eltern sie wieder als albern bezeichnet. Sie schenkten den Gemälden keine Beachtung, sondern waren in ein Gespräch mit dem Schlossbesitzer vertieft. Amber folgte ihnen in einigem Abstand. Plötzlich hielt Kevin sie am Ärmel fest.

„Sieh dir das mal an“, flüsterte er und deutete auf die Wand neben ihnen.

Ein goldumrahmtes Gemälde, größer als die anderen, zog sie in ihren Bann. Schwarze Augen in einem klassisch schön geschnittenen Gesicht blickten spöttisch auf sie herab. Auf den vollen Lippen lag der Hauch von einem Lächeln. Goldblonde Locken umrahmten den Kopf des jungen Kriegers. Sein muskulöser Oberkörper war unbekleidet. Er trug eine Art schwarze Lederhose und in seinen Händen hielt er Schild und Schwert. Alles an ihm strahlte Dominanz und gleichzeitig Sinnlichkeit aus. Es war die Mischung aus Ästhetik und Gefahr, die Amber an diesem Porträt faszinierte. William Macfarlane, Erbauer von Gealach Castle, stand darunter auf einer goldfarbenen Tafel eingraviert.

Kevin boxte sie gegen den Arm. „Das meine ich doch gar nicht, sondern das.“ „Aua, spinnst du?“ Sie rieb sich die Stelle, an der morgen bestimmt ein blauer Fleck prangen würde, und warf einen ärgerlichen Blick zu ihrem Bruder.

„Sorry“, sagte er kleinlaut. Dann hob er seinen Arm und deutete auf ein anderes Bild.

Auf dem Gemälde war eine Landschaft zu sehen. Sie erkannte ein Hügelgrab, das in helles Licht getaucht war, was sie an Darstellungen christlich heiliger Orte erinnerte.

„Sieht fast so aus wie der Stall von Bethlehem“, sagte Kevin und kicherte. „Das passt gar nicht hierher, zwischen diese Zombies.“

„Sei nicht so respektlos“, wies sie ihn zurecht. Du kannst froh sein, dass Mom das nicht gehört hat. Komm, wir sollten ihnen lieber folgen, sonst dürfen wir uns einen Vortrag anhören.“

Macfarlane führte sie eine Treppe hinauf zu einem anderen Flügel des Schlosses, der mit dem Haupttrakt durch einen Wehrgang verbunden war. Im Vorbeigehen spähte Amber durch die Schießscharten. Wieder drängten sich Bilder in ihr auf. Blut rann an den steinernen Wänden hinunter, begleitet von den Schreien Sterbender. Ein Zittern erfasste ihren Körper.

Macfarlane schloss eine Holztür auf, die ihm knarrend entgegen sprang. Zunächst erwartete Amber den Anblick eines nüchtern eingerichteten Raumes. Doch zu ihrer Überraschung betraten sie im Schein brennender Fackeln einen quadratischen Raum, an dessen weiß gekalkten Wänden Dudelsäcke hingen. Zu ihren Füßen lag ein Schafwollteppich, in dem man knöcheltief versank. Ein eichener Schrank mit einem aufgemalten Entenidyll war der Blickfang. Dieser Raum strahlte eine unerwartete Behaglichkeit aus, und stand im krassen Gegensatz zur Einrichtung des Haupttraktes, den Macfarlane nutzte.

„Oh, wie wundervoll!“ Mom konnte ihre Begeisterung nicht verbergen, und presste die Hände an ihre geröteten Wangen.

„Meine Frau war Innenarchitektin und hat die Einrichtung dieses Flügels entworfen“, erklärte Macfarlane.

„Das trifft genau unseren Geschmack, nicht wahr, Finlay? Wir werden uns hier sicher wohlfühlen, Mr. Macfarlane. Vielen Dank.“

Angesichts Moms übertrieben gezeigter Freude verdrehte Amber die Augen. Die wollte nur Pluspunkte für Vater sammeln. Aber auch sie musste gestehen, dass die Wohnung ihre Erwartungen übertraf. Überall spürte man die Hand einer Frau. In den verspielten Motiven der Dekoration, wie in den Blümchenmustern der Tapete oder dem großen Himmelbett, das Amber von nun an ihr Eigen nennen konnte.

„Im Erdgeschoss ist ein separater Eingang. Weitere Fragen morgen. Ich werde mich jetzt zu Bett begeben. Stern, ich erwarte Sie morgen früh um neun in der Brennerei, im Büro. Gute Nacht.“ Bevor Macfarlane die Tür schloss, legte er einen Schlüsselbund auf den kleinen Beistelltisch in der Diele. „Die Schlüssel für Ihre Haustür und den Keller.“ Schon verschwand er hinter der Tür, durch die sie vorhin getreten waren. Er schloss hinter sich ab, als befürchtete er, belästigt zu werden.

Amber wachte auf, als sich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durch die leichten Vorhänge bahnten. Das Kätzchen, das sie Morgaine genannt hatte, lag zu ihren Füßen und blinzelte sie verschlafen an.

Amber räkelte sich in dem pastellfarbenen Himmelbett mit den vielen Kissen, das herrlich bequem war. Sie hatte unruhig geschlafen. Immer wieder träumte sie von Blut und hörte Schreie.

Gähnend stand sie auf, und öffnete die Vorhänge. Sie liebte die Morgenstimmung, wenn das Leben allmählich erwachte. Der Ausblick aus dem Fenster war atemberaubend. Zu ihren Füßen lag der Loch Gealach. Eine Schar Enten flog über ihn hinweg, um im Uferschilf zu landen. Das grauschimmernde Wasser kräuselte sich wie ein Waschbrett. Auf der linken Seite schmiegte sich der Wald wie ein grüner Teppich an den Hügel, auf dessen Kuppe ein einzelner Menhir stand. Wie ein warnender Finger reckte er sich aus dem Grün. Amber verspürte plötzlich ein flaues Gefühl im Magen.

Der Anblick erschien ihr vertraut. Sie erinnerte sich, ein ähnliches Foto in dem Bildband gesehen zu haben, den sie von den Freundinnen zum Abschied geschenkt bekommen hatte. Er befand sich noch im Koffer. Sie zog ihn heraus und blätterte, bis sie das Foto fand.

Der Menhir gehörte zum Steinkreis von Clava Cairn, einer Grabhügelanlage.

„Clava Cairn, Clava Cairn“, murmelte Amber vor sich hin. Irgendwo hatte sie diesen Namen schon einmal in einem anderen Zusammenhang gelesen. Sie wühlte wieder im Koffer, bis sie ein in Leder gebundenes Buch herauszog, das sie in einem Londoner Antiquariat gekauft hatte. Es war ein besonders wertvolles Stück. Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben, über keltische Legenden. Amber schlug das Kapitel „Die Legenden von Clava Cairn“ auf.

 

An den Festen des Mondes öffnet sich an diesem Ort das Tor zur Anderswelt.

 

Dieser letzte Satz hallte in ihrem Kopf nach, nachdem sie das Buch zugeschlagen hatte. Lange saß sie am Fenster und blickte zu dem Menhir hinauf. Obwohl im Zimmer warme Temperaturen herrschten, begann sie zu frösteln. Sie zog die Knie an, und schlang die Arme darum. Wie gestern, als sie den Wehrgang hinter sich gelassen hatten, beschlich sie ein ungutes Gefühl, das sie sich nicht erklären konnte. Irgendetwas Bedrohliches schwebte über dem Schloss und dieser Gegend.

3.

Eine Woche war vergangen. Der Alltag hatte Amber eingeholt. Fast, denn noch waren Semesterferien. Der Start an der neuen Uni stand erst bevor. Gleich schossen ihr unzählige Fragen durch den Kopf, was sie dort erwartete. Nein, besser nicht darüber nachdenken, sondern alles auf sich zukommen lassen, entschied sie. Aber sie langweilte sich. Ihr fehlten die Freundinnen und Unternehmungen. Alle kulturellen Einrichtungen waren zu weit entfernt, und allein machte nichts Spaß. Zum ersten Mal seit Jahren sehnte sie den Schulanfang herbei.

Umso mehr freute sie sich darüber, wenn ihr Vater mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen früh das Haus verließ, und abends ebenso gut gelaunt zurückkehrte. Das wirkte ansteckend. Selbst ihre Mutter sprühte vor Elan. Sie ging darin auf, den Räumen mit Accessoires eine eigene Note zu verleihen.

Nur Kevin war der Alte geblieben, und verbrachte die meiste Zeit wie üblich vor dem Computer mit Online-Spielen.

In den Tagen bis zum Semesterbeginn erkundete Amber die Gegend um Gealach. Nur Clava Cairn ließ sie aus. Eine Scheu hielt sie davon ab. Erst am letzten Ferientag, einem nebligen Spätsommermorgen, beschloss sie, doch den Hügel nach Clava Cairn hinaufzugehen. Weil es in Schottland weitaus kühler war als in London, streifte sie die Jeansjacke über. Hier war eben alles anders, die Natur rauer, die Luft kühler, und die Menschen verschlossener als sie es vom quirligen London gewöhnt war. Ein kräftiger Wind schlug ihr entgegen, als sie am Ufer des Loch Gealach entlang stapfte, um den Trampelpfad zu erreichen, der zur Hügelkuppe führte. Im Vorbeigehen scheuchte sie eine Schar Enten auf, die sich am Ufer niedergelassen hatte. Quakend flatterten sie davon.

Amber beobachtete einen Haubentaucher, der im Wasser gründelte, bis ihn der Nebel verschluckte. Das seichte Plätschern des Wassers, und die natürliche Idylle wirkten beruhigend. Doch als sie sich dem Wald näherte, begann ihr Herz schneller zu klopfen. Sie schalt sich hysterisch und ging energischen Schrittes weiter. Bevor sie den Trampelpfad betrat, drehte sie sich um, und sah zum Schloss zurück. Aber das verbarg sich hinter der inzwischen dichter gewordenen Nebelwand. Nur die Spitze des Wehrturms lugte heraus. Amber hatte den Anstieg unterschätzt. Der Boden war glitschig. Immer wieder rutschte sie aus. Nach der Hälfte der Strecke krampften ihre Waden, weshalb sie eine Pause einlegen musste. Was für eine blöde Idee.

Sie überlegte, umzukehren, doch dann trieb die Neugier sie weiter. Schließlich erreichte sie nach einer Weile die Lichtung, in dessen Mitte sich der Steinkreis befand. Atemlos näherte Amber sich den aufrechtstehenden Menhiren, die wiederum den Steinkreis umrahmten. Die Bäume hinter dem Steinkreis verschwanden im Nebel, sodass man glauben konnte, diese Stätte sei eine Insel im Nirgendwo. Hatte sie nicht eben einen vorbeihuschenden Schatten gesehen? Ein Flüstern gehört? Sie zuckte zusammen. Amber spürte die Kräfte, die von diesem Ort ausgingen, als unangenehmes Prickeln auf der Haut. Sie entschloss sich zur Rückkehr, doch etwas sog sie fest, ihre Beine klebten am Boden, und in ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Sie sackte mit dem Hinterteil auf die Steine. Was war mit ihr los? Noch immer drehte sich alles. Sie schloss die Augen, in der Hoffnung, das Schwindelgefühl möge vorübergehen.

Amber schrak zusammen, als eine Hand sich auf ihre Schulter legte. Sie hatte keine Schritte gehört.

„Entschuldigen Sie bitte, Miss, ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber ich dachte, Sie bräuchten vielleicht Hilfe.“

Die Stimme des Mannes klang freundlich und voller Mitgefühl. Amber sah zu ihm auf. Sofort fielen ihr die über der Nasenwurzel zusammengewachsenen, grauen Augenbrauen des Alten auf, die auf den ersten Blick einen strengen Eindruck vermittelten. Aber der warme Ausdruck in seinem Blick milderte dies. Sein wettergegerbtes Gesicht zeugte von häufigem Aufenthalt im Freien. Amber schätzte ihn auf siebzig, vielleicht auch älter.

„Schon gut, es geht schon wieder. Mir war nur einen Moment schwindelig. Liegt wohl an dem Aufstieg und der ungewohnten Anstrengung auf dem matschigen Boden.“ Amber wischte sich mit dem Handrücken Schweiß von der Stirn.

„Sie kommen von Gealach Castle, Miss?“ Es blitzte interessiert in seinen grauen Augen auf, während er lächelte.

„Ja.“

„Sind Sie ein Gast der Macfarlanes, Miss?“

Amber schüttelte den Kopf. „Nein, mein Vater ist der neue Geschäftsführer der Brennerei.“

„Dann sind Sie die Stern-Tochter?“ Er lachte rau und rieb sich mit der Hand über den Stoppelbart, was ein kratzendes Geräusch verursachte.

„Stimmt genau. Kennen Sie meinen Vater?“

„Nein, aber hier in unserem kleinen Ort spricht sich alles schnell rum. Darf ich mich Ihnen vorstellen? Mein Name ist Ambrose Hornby, aber alle nennen mich Hermit, der Eremit.“

Er streckte ihr die Hand entgegen. Sie fühlte sich warm und wider Erwarten bei einem Mann seines Alters fest und fleischig an. Doch sie spürte auch die Verdickungen an seinen Fingern. Als hätte er ihre Gedanken gespürt, streckte er ihr seine Hände entgegen.

„Gicht. Sie hat sich über Nacht in meine alten Knochen geschlichen. Muss damit Leben.“

„Meinen Namen kennen Sie ja schon.“ Sie lächelte schief. Amber wollte aufstehen, doch sie begann erneut zu schwanken und sank zurück.

„Haben Sie Geduld, das vergeht gleich wieder. Liegt an dieser Aura, diesem bösen Ort.“ Er blickte sich ängstlich um, als erwarte er, irgendjemand nähere sich, um ihn am Kragen zu packen.

„Böser Ort? Ich dachte, das hier sei eine Grabstelle, ein Ort des Friedens.“

„Ist es. Und noch viel mehr.“

„Sie sprechen in Rätseln, Mr. Hornby.“

„So nennt mich hier niemand. Nennen Sie mich Hermit. Passt schon.“

„Also gut, Hermit, ich verstehe nicht, was Sie mir damit sagen wollen. Liegt hier vielleicht ein Massenmörder begraben oder ist der Platz verflucht?“ In Ambers Kopf spielten tausend Teufelchen auf der Pauke und verursachten Migräne.

„So in etwa. Passt schon.“

Amber stöhnte auf. Sie wollte nach Hause zurück, und sich nicht mit diesem seltsamen Hermit unterhalten. „Ich muss jetzt gehen“, sagte sie und erhob sich. Zwar schwankte sie noch ein wenig, aber sie fühlte sich nicht mehr so benommen. Er hielt sie am Arm zurück.

„Ich möchte Sie nur warnen“, raunte er.

„Wovor?“ Amber versuchte, sich seinem Griff zu entziehen.

„Vor Macfarlane.“

„Aber weshalb?“

„Das werden Sie bald selbst herausfinden.“

Hermits Worte brachten in Amber eine Saite zum Klingen, die unangenehme Schwingungen auslöste. Dennoch wollte sie ihm nicht zeigen, wie sehr er sie verunsichert hatte. Amber spielte mit den Knöpfen ihrer Jacke. Vielleicht war dieser Hermit nur geistig verwirrt? Oder abergläubisch?

„Halten Sie Augen und Ohren offen. Ich möchte Sie nur warnen.“

Hermit ließ sie endlich los. Plötzlich wirkte seine Miene versteinert, und sein Blick richtete sich ins Leere. Die Begegnung wirkte so irreal, dass sie zu träumen glaubte. Nur seine Gegenwart holte sie in die Realität zurück.

„Danke, aber ich kann gut auf mich selbst aufpassen.“

„Versprechen Sie mir, Miss, dass Sie an Halloween nicht heraufkommen werden?“

Amber zweifelte an seinem Verstand. Der Alte hatte wohl zu viele Gruselfilme gesehen. Doch das Flehen in seinem Blick bezeugte, dass seine Bitte ernst gemeint war. „Hermit, es ist wirklich rührend, wie Sie sich um mich sorgen, aber bitte glauben Sie mir, dass ich auf mich selbst aufpassen kann. Außerdem bin ich kein Freund von Halloween, wenn es Sie beruhigt. So, aber jetzt muss ich wirklich nach Hause, sonst geben meine Eltern noch eine Vermisstenanzeige auf. Es war nett, Sie kennengelernt zu haben. Leben Sie wohl.“

Diese düstere Stimmung, die auch Hermit verbreitete, missfiel Amber. Sie lief auf den Trampelpfad zu, der hinab zum Loch führte. Sie drehte sich noch einmal kurz um, um dem Alten zuzuwinken, aber dieser war bereits im Nebel verschwunden. Nachdenklich stieg Amber den Hügel hinab. Sie hatte die Worte des Alten nicht hören wollen, weil er ihre Empfindungen spiegelte. Sie legte die deprimierende Stimmung erst ab, als sie das Schloss betrat.

Morgen begann ihr erster Tag in der neuen Uni. Sie fühlte sich etwas beklommen, die vertrauten Gesichter würden ihr fehlen. Sicherlich konnte diese kleine Universität nicht mit der renommierten in London konkurrieren, dennoch hoffte sie auf ein abwechslungsreiches Studienangebot.

Es war ihr zur abendlichen Gewohnheit geworden, sich in den Sessel ans Fenster zu setzen, und in die Dunkelheit hinauszusehen. Sie nahm gerade Platz, als ihr Vater eintrat.

„Na? Wie geht es meiner Großen?“

Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe. Die Brille steckte in seiner Jacketttasche und seine Kleidung roch nach Alkohol.

„Hallo, Dad, gut.“

Selbst in ihren Ohren klangen die Worte wenig überzeugend. Er kam auf sie zu und beugte sich zu ihr herunter.

„Du kannst mir nichts vormachen. Es ist wegen morgen, nicht wahr? Ich weiß, dass ich viel von dir verlangt habe, als ich den Job annahm, und dich damit zwang, die Uni zu wechseln. Aber ich habe Schulden und wir hätten aus der Wohnung ausziehen müssen …“

„Du brauchst mir das nicht zu erklären, Dad. Ich mache dir keine Vorwürfe, ehrlich. Ein guter Studienabschluss ist mir nur sehr wichtig, und ich stand in London so kurz davor.“

„Ich weiß. Doch ich bin davon überzeugt, dass du auch das mit Bravour auch hier schaffen wirst. Mach dir nicht so viele Gedanken.“ Er strich ihr liebevoll über das Haar. Amber ergriff seine Hand und drückte sie.

„Danke für dein Vertrauen, Dad.“

Er lächelte. „Übrigens sind wir heute Abend zu Mr. Macfarlane zum Essen eingeladen. So in einer halben Stunde.“ Er wandte sich zum Gehen.

Amber stöhnte innerlich auf. Nach der Begegnung mit Hermit war ihr Macfarlane noch unsympathischer geworden. „Ach, Dad, kann ich nicht hierbleiben?“

„Wir wollen doch meinen Chef nicht verärgern. Sein Sohn wird vielleicht mit uns essen. Vielleicht ist er ja dein Typ?“ Er zwinkerte ihr zu.

„Dad!“ Sie warf ein Kissen nach ihm, das er lachend auffing.

„Seit der Sache mit Charles bist du nur noch selten ausgegangen. Du solltest dich nicht nur hinter deinen Büchern vergraben, sondern das Leben genießen.“

Dann warf er das Kissen zurück, und schloss die Tür.

Amber verspürte nicht die geringste Lust den Abend am Tisch dieses sonderbaren Macfarlane zu verbringen, nur Dad zuliebe folgte sie der Einladung. Moms übertriebene Aufregung wegen des Essens ging ihr auf die Nerven. Sie brauchte jetzt dringend frische Luft.

Draußen war es dunkel, der Himmel wolkenverhangen. Süßer Blütenduft aus dem Garten wehte herüber. Der kühle Wind ließ sie frösteln, tat aber gut. Stille. Alles wirkte so friedlich, und doch konnte dieser Eindruck nicht das Echo der Verzweiflung und Furcht unterdrücken, das die dicken Mauern bargen. Sie hörte ein Flüstern, das aus jeder Mauerritze zu dringen schien, als wollte ihr das alte Gemäuer von seiner schrecklichen Vergangenheit erzählen.

„Verloren, wir sind verloren“, flüsterten geisterhafte Stimmen. Amber schrak zusammen. Sie fühlte, es waren die Stimmen ruheloser Seelen. Eine Hand an die Kehle gepresst, drehte sie sich im Kreis. Die Stimmen kamen von überall, schlossen sie ein. „Verloren, alle verloren.“ Hier war die dunkle, furchterregende Macht zu spüren, die dieses Schloss seit Langem beherrschte und den gepeinigten Seelen keine Ruhe gönnte, die sich nach Erlösung sehnten.

Amber hielt sich die Ohren zu. Das sind nur Visionen, reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Mein Gott, wie konnte sie sich nur in die Enge treiben lassen? Sie zwang sich, die negativen Schwingungen zu ignorieren. Eine Weile verharrte sie auf der Stelle, bis das Geflüster verstummte. Erleichtert atmete sie auf und folgte langsam dem schmalen Weg an der Schlossmauer entlang. Vor ihr befand sich der Torbogen, auf dem das Wappen der Macfarlanes prangte. Fasziniert sah sie zu dem von Halogenlicht angestrahlten Wappen hinauf, das einen Krieger darstellte, der in der rechten sein Schwert und in der linken Hand eine Krone hielt.

Plötzlich nahm sie seitlich eine Bewegung wahr. Zwei rotglühende Augen fixierten sie aus der Dunkelheit. Ein tiefes, drohendes Knurren folgte. Amber blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete, wie sich ein Körper geschmeidig aus dem Gebüsch schob. Ein Wolf, größer als ein Löwe, baute sich zähnefletschend vor ihr auf. Wilde Wölfe in Schottland? Unmöglich! Und doch stand sie einem gegenüber.

Gefahr, echote es in ihrem Kopf, worauf ihr Herz im Höllentempo Adrenalin durch den Körper pumpte. Das Tier duckte sich und näherte sich ihr im Zeitlupentempo. Im Schein des Halogenlichts erkannte sie das Spiel der Muskeln unter dem dunklen Fell. Panik stieg in ihr auf, wenn sie an die vielen Schlagzeilen dachte, die von Kampfhunden berichteten, die Menschen angefallen hatten. Und dieses Exemplar war nicht nur groß, sondern auch angriffslustig. Langsam, ohne das Tier aus den Augen zu lassen, ging Amber Schritt für Schritt rückwärts. Jeden Moment rechnete sie damit, dass es ihr an die Kehle springen würde. Bei einem Raubtier dieser Größe hatte sie keine Chance zu entkommen.

Schon setzte der Wolf zum Sprung an. Amber wich nach hinten aus und stieß zu ihrem Entsetzen mit dem Rücken gegen die Mauer. Wie gelähmt beobachtete sie jede Bewegung des Tieres, was ihr die Situation nicht gerade erleichterte. Zu spät. Tränen schossen in ihre Augen. Die riesigen Reißzähne des Wolfes schimmerten wie Elfenbein und waren beeindruckend groß. Zitternd erwartete sie seinen Angriff. Wie hypnotisiert starrte sie in die rotglühenden Augen, die ihren Blick festhielten. Die Pupillen erweiterten sich und ihr Geist versank darin, tauchte in eine Welt unvorstellbarer Grausamkeit ein. Die Szenen, die sich im Zeitraffer vor ihr abspulten, waren beängstigend real. Sie sah, wie der Wolf sich auf ein Mädchen stürzte. Seine Fangzähne verbissen sich in ihrer Kehle und zerfetzten diese in seiner Blutgier. Die Arme des Mädchens, die eben noch versucht hatten, die Bestie von sich zu stoßen, sanken schlaff herab. Der Blick des Mädchens war starr. Dann wechselte das Bild abrupt. Auf einem steinernen Altar lag ein Mann mit angstgeweiteten Augen. Seine nackte Brust war blutbesudelt und mit unzähligen, tiefklaffenden Wunden übersät. Das Blut schoss in einer Fontäne aus seiner Halsschlagader, das ein Mann in weißer Kutte mit einem Pokal auffing. Amber ahnte, er würde das Blut des Geopferten trinken wollen. Von Entsetzen gepackt, versuchte sie sich von diesen Bildern zu befreien, aber irgendeine Kraft kontrollierte ihr Hirn.

Plötzlich hörte sie einen schrillen Pfeifton, der von einer Art Flöte stammte. Die entsetzlichen Szenen verschwanden wie bei einem Filmriss. Benommen erkannte sie das Rucken, das durch den Körper des Wolfes ging. Ehe sie es sich versah, verschwand er jaulend in der Dunkelheit. Ambers Blick fiel auf einen Mann in weißer Kutte, der im Torbogen stand. Sein Gesicht war unter einer Kapuze verborgen. Er hielt einen hölzernen Druidenstab in der Hand. Eine Aura des Bösen umgab sie, die von dem Mann in der weißen Kutte ausging, und schnürte ihr die Kehle zu. Als sie ihre Augen wieder öffnete, war er verschwunden, wie ein Trugbild, das sich in Nichts auflöste. Sie wusste nur eins: Sie musste hier weg. Womöglich kehrte die Bestie zurück. Wie von Furien gehetzt, rannte sie zum Hauptportal des Schlosses zurück. Atemlos erreichte sie die Stufen, hastete hinauf und klopfte ans Tor.

Bei Tisch herrschte eine gespannte Atmosphäre. Gordon Macfarlane wirkte noch mürrischer als sonst und war wie immer kurz angebunden. Amber dachte an die Szene vorhin. Die Furcht saß ihr noch immer in den Gliedern, aber sie hatte niemandem etwas davon erzählt. Nur mit Mühe unterdrückte sie das Zittern, das ihren Körper durchlief. Wer hätte ihr auch schon die Geschichte von einem Wolf abgekauft, hier in Schottland, wo es seit Urzeiten keine mehr gab?

Ihre Eltern bemühten sich ein Gespräch aufrecht zu erhalten, an dem weder sie noch Kevin sich beteiligten. Letzterer stocherte nur lustlos im Essen herum, und fixierte den Gastgeber misstrauisch aus den Augenwinkeln.

„Mr. Macfarlane, es ist zu schade, dass Ihr Sohn nicht mit uns essen kann. Wir hätten ihn sehr gern kennengelernt.“ Mom tupfte sich mit der Serviette den Mund ab, und lächelte.

„Hm. Andere Sachen sind ihm wichtiger als sein Vater.“ Macfarlane schnaubte.

„Ach, das ist es bestimmt nicht, junge Leute sind manchmal gedankenlos“, versuchte Mom ihn zu beschwichtigen.

„Sie kennen ihn nicht. Er ist ein Träumer, dem jeglicher Bezug zur Realität fehlt.“

Amber sah erschrocken zu Macfarlane, der seine Gabel in das Roastbeef stach, als wolle er es noch einmal ermorden. Wieder spürte Amber die unangenehmen Schwingungen, die von Macfarlane ausgingen, wie oben beim Steinkreis. Hermits Warnung ging ihr erneut durch den Kopf.

„Aber ist das nicht das Vorrecht der jungen Generation?“ Obwohl ihre Mutter den Sohn nicht kannte, schien sie ihn verteidigen zu wollen.

„Er ist fast dreißig Jahre alt und kein Teenager mehr, Mrs. Stern. Ich will jetzt nicht mehr über diesen Taugenichts reden.“ Zur Bekräftigung schlug er mit der flachen Hand auf die Tischkante.

Amber schüttelte innerlich den Kopf. Ein Vater, der so schlecht über seinen Sohn sprach, war keinen Penny wert. Sie sehnte das Ende des Essens herbei, und stand gleich nach dem Dessert auf, froh, dieser bedrückenden Atmosphäre nach dem emotionalen Ausbruch des Gastgebers entfliehen zu können. Dieser Macfarlane gewann bei ihr keinen Sympathiepunkt.

Als Amber ihren Eltern später ihre Empfindungen über Gordon Macfarlane mitteilte, überraschte sie deren heftige Reaktion.

„Amber, komm mir bloß nicht wieder mit diesem ich-kann-seine-negative-Aurafühlen-Geschwätz. Ich dachte, das Thema hätten wir ein für alle Mal ausdiskutiert“, echauffierte sich Mom. Sofort verstand Amber die Anspielung auf ihre Fähigkeiten, Empfindungen anderer zu spüren. Es war der einzige Punkt, an dem ihre Eltern sie nicht verstanden. „Mr. Macfarlane hat sich nur über seinen Sohn geärgert. Vielleicht hat er ja auch recht, und der ist wirklich nur ein Tagträumer. Schließlich braucht er einen Erben, der sich um alles kümmert, das Schloss, die Brauerei. Das bedeutet Verantwortung. Und das könnte man von einem Dreißigjährigen weiß Gott erwarten.“

Amber konnte nicht verstehen, weshalb ihre Mutter diesen griesgrämigen Schlossbesitzer auch noch in Schutz nahm.