Mord an der Salzach - Walter Bachmeier - E-Book

Mord an der Salzach E-Book

Walter Bachmeier

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Ein neuer Fall für Inspektorin Tina Gründlich Gerade ist wieder Ruhe eingekehrt im idyllischen Alpendorf, da wartet auch schon der nächste Fall auf die Inspektorin Tina Gründlich. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen im Salzburger Land. Zwei Jungen wurden brutal zugerichtet und ermordet von der Polizei aus der Salzach gefischt. Gemeinsam mit ihrer neuen Partnerin Bärbel macht sich Tina an die Ermittlungen. Doch wer ist skrupellos genug für eine solche Tat und warum wurden die Jungen umgebracht? Die Polizei tappt im Dunkeln, bis ein weiteres Opfer auftaucht … Von Walter Bachmeier sind bei Midnight by Ullstein erschienen: Mord in der Schickeria (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 1) Mord an der Salzach (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 2) Mord in der Alpenvilla (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 3) Mord im Pinzgau (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 4) Mord in der Berghütte (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 5) Mord am Wildkogel (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 6) Affären, Alpen, Apfelstrudel (Chefinspektor Egger Fall 1) Berge, Brotzeit, Bauernherbst (Chefinspektor Egger Fall 2) Koppeln, Kühe, Kaseralm (Chefinspektor Egger Fall 3) Morde, Matsch, Marillenknödel (Chefinspektor Egger Fall 4) Diebe, Dörfer, Dampfnudeln (Chefinspektor Egger Fall 5) Gauner, Glühwein, Geigenklänge (Chefinspektor Egger Fall 6)

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Der AutorWalter Bachmeier, geboren 1957 in Karlsruhe, wuchs in Münchsmünster in der Hallertau auf. Nach seiner Ausbildung zum Koch begann er unter dem Pseudonym zu schreiben. Sein erstes Werk war ein Kochbuch, das sehr erfolgreich verkauft wurde. Dies gab ihm den Ansporn, seinen Beruf aufzugeben und weiter zu schreiben. Im Laufe der Jahre entstanden so mehrere Erzählungen, Kinderbücher und Artikel in verschiedenen Tageszeitungen. Seit etwa 2012 widmet er sich voll und ganz der Literatur. Immer wieder finden in seinen Büchern auch Erlebnisse aus seinem Leben Platz.

Das BuchEin neuer Fall für Inspektorin Tina Gründlich  Gerade ist wieder Ruhe eingekehrt im idyllischen Alpendorf, da wartet auch schon der nächste Fall auf die Inspektorin Tina Gründlich. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen im Salzburger Land. Zwei Jungen wurden brutal zugerichtet und ermordet von der Polizei aus der Salzach gefischt. Gemeinsam mit ihrer neuen Partnerin Bärbel macht sich Tina an die Ermittlungen. Doch wer ist skrupellos genug für eine solche Tat und warum wurden die Jungen umgebracht? Die Polizei tappt im Dunkeln, bis ein weiteres Opfer auftaucht …

Walter Bachmeier

Mord an der Salzach - Gründlich ermittelt

Ein Alpenkrimi

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei Midnight Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Oktober 2016 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016  Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95819-091-7  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Kapitel 1

»Kannst mir dein Auto leihen?«, fragte Tina ihre Freundin Bärbel.

»Ja freilich. Wo willst denn hin?«

»Auf Neukirchen rüber zum Einkaafn. Wir habn kaa Milli mehr und Farin und Nudeln brauch mer aa.«

»Fia wos? I hob denkcht murgn gibt’s Fisch?«

»Des scho, aba wenn i schnö amoi Palatschinkn oda an Kaiserschmoarrn fia de Kinder mochn muass, nacha hob i nix dafia daham.

»Bringst nacha a an klaan Kübl Buttaschmaoiz mit? Des is nämli aa aus.«

»Freili. Warum steht des ned aufm Einkaufszettl?«

»I hob vogessen das is aufschreib.«

»Oiwei des gleiche mit dia. Du hoist de Sachan ausm Keller und i soi nacha wissen, wos mia brauchn«, lachte Tina.

Tina besaß zwar selbst ein Auto, aber das befand sich wieder mal in der Werkstatt. Normalerweise reparierte Günther, Tinas Exmann, ihr Auto, aber diesmal hatte er keine Zeit, denn er war in Graz zu einer Besprechung.

»I muass mi dummeln. Da Lodn macht glei zua«, sagte Tina zu Bärbel. »Wo host deine Schlüssel?«

»De hengan wia oiwei am Bord im Hausgang.«

»Danke. I bin glei wieda do. Sog de Kinder bittschön, dass eahna Zimmer endle aufraama soin.«

»Schon erledigt!«, rief eine helle Stimme von der obersten Treppenstufe.

»Kathi? Ihr habt das endlich geschafft? Ich dachte schon, das wird gar nichts mehr.«

»Nachdem du uns gesagt hast, dass wir nicht nach Salzburg in den Tierpark fahren, wenn wir so einen Saustall im Zimmer haben, haben wir uns gedacht, dass wir besser nachgeben«, antwortete Tommy, Tinas zwölfjähriger Sohn, der neben der achtjährigen Kathi oben an der Treppe stand.

»Ich fahr jetzt einkaufen. Wollt ihr mit?«

»Ja!«, riefen die beiden unisono und kamen die Treppe herunter gerannt.

Tina zog sich eine leichte Jacke über und gab auch den Kindern ihre Westen, die an der Garderobe hingen. Gemeinsam verließen sie das Haus und fuhren mit Bärbels Wagen nach Neukirchen zum Supermarkt, in dem sie bereits Stammkunden waren.

Tina holte sich einen Einkaufswagen und betrat, gefolgt von den beiden Kindern, den Markt. Sie begab sich zum Obststand. Die Kinder liefen zum Regal mit den Süßigkeiten, denn sie gingen davon aus, dass ihnen ihre Mutter wieder einmal etwas kaufen würde. Während Tina in der Lade mit den Bananen kramte, dachte sie: Alle schon alt. Keine frischen dabei. Schade!

Jemand räusperte sich laut und vernehmlich hinter ihr. Tina drehte sich um und erkannte das Gesicht des Ladeninhabers Christopher Langer.

»Ja, bitte? Kann ich Ihnen helfen?«

Der Mann scharrte mit den Füßen und hielt sich die Hand vor den Mund, während er sich noch einmal räusperte. »Frau Gründlich, es ist mir äußerst unangenehm, aber würden Sie mich bitte in mein Büro begleiten?«

Neugierig fragte sie: »Wieso? Glauben Sie, ich hätte was gestohlen?«

»Nein, Frau Gründlich. Es ist nur – es ist mir unangenehm, aber ich möchte nicht hier vor allen Leuten … Sie verstehen?«

»Ich verstehe gar nichts! Also? Was wollen Sie?«

Langer zeigte den schmalen Gang entlang. »Bitte kommen Sie mit. Ich erkläre Ihnen alles!«

Tina suchte ihre Kinder, konnte sie aber nirgends entdecken. »Kathi! Tommy! Wo steckt ihr?«, rief sie laut.

»Hier Mama!«, kam Kathis Stimme aus der Richtung der Schokoladenregale.

»Kommt mal her!«

Die beiden kamen sofort angerannt und blieben vor Tina mit fragenden Augen stehen. »Was gibt’s, Mama?«, fragte Tommy.

»Ich muss mal mit Herrn Langer reden. Nehmt bitte den Wagen und holt ein Kilo Mehl, eine Packung Nudeln, einen kleinen Eimer Butterschmalz und zwei Liter Milch. Ich bin gleich wieder da.«

»Dürfen wir uns auch was Süßes raussuchen?«, fragte Kathi und blickte Tina mit ihren dunkelbraunen Augen an.

»Ja, aber keine Schokolade«, lächelte Tina. Sie drehte sich zu Langer und nickte ihm auffordernd zu. »Gehen wir? Ich bin gespannt, was Sie mir zu sagen haben.«

Wieder zeigte ihr Langer die Richtung. »Bitte, folgen Sie mir!«

Tina ging hinter ihm her bis zur Fleischtheke. Sie folgte ihm auch durch den schmalen Durchgang bis zu einer Türe, die augenscheinlich in Langers Büro führte. Er zeigte auf einen Stuhl gegenüber seines Schreibtisches und bat sie: »Nehmen Sie doch bitte Platz!«

»Nein, danke. Ich will jetzt sofort wissen, was los ist.«

Langer verzichtete nun ebenfalls darauf, sich zu setzen und schnaufte tief durch, bevor er begann. »Nun, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll …«

»Fangen Sie einfach von vorne an«, unterbrach ihn Tina mit freundlicher Stimme. »So schlimm kann es doch wohl nicht sein.«

»Nun, schlimm sicher nicht.« Langer versuchte ein Lächeln, was ihm aber gründlich misslang.

»Nun reden Sie endlich. Ich hab nicht ewig Zeit. Was ist los?« Tina wurde ungeduldig und ging auf Langer zu: »Jetzt sagen Sie endlich, was Sie zu sagen haben, sonst verlasse ich auf der Stelle Ihr Büro!«

Langer holte tief Luft und blickte Tina um Nachsicht heischend an: »Nun, Frau Gründlich. Wie gesagt, es ist mir äußerst unangenehm, aber ein paar Kundinnen haben sich beschwert und ich …«

»Kundinnen? Beschwert? Über mich?« Tina wurde neugierig. »Wer hat sich warum über mich beschwert?«

Langer knetete seine Hände und mit seinem Dackelblick erreichte er, dass er Tina fast leid tat: »Frau Gründlich. Ich muss zuerst betonen, dass es nicht meine Einstellung ist. Aber es ist nun mal so, dass ein paar Kundinnen mir damit gedroht haben, nicht mehr bei mir einzukaufen, wenn Sie oder Ihre …«, er zögerte, »Lebensgefährtin, wenn ich das so sagen darf, weiter bei uns anzutreffen sind.«

Zunächst war Tina sprachlos und sie versuchte ruhig zu bleiben. »Ein paar Kundinnen? Wie viele denn? Waren es zwei oder drei oder gar hundert? Wie viele Einwohner hat Neukirchen? Zweitausend? Dreitausend? Wie hoch ist der Prozentsatz der Kundinnen, die sich über meine Freundin und mich beschwert haben? Ein halbes Prozent?«

Langer schluckte hörbar. »Naja, wissen Sie, es waren nur ein paar Stammkunden. Ich hab mich auch umgehört. Die meisten haben ja gar nichts gegen Sie. Sie sind sogar der Meinung, dass es ganz in Ordnung ist, wie Sie leben.«

»Aha? Also nur ein paar? Wie viele sind denn ein paar und wer sind sie?«

»Ich kann und darf Ihnen das nicht sagen. Verstehen Sie, man hat mich zum Stillschweigen verpflichtet.«

»Ach? Feige sind die auch noch? Teilen Sie doch bitte den Damen mit, sie möchten zu mir kommen und mir das persönlich ins Gesicht sagen, ansonsten sehe ich dieses Gespräch als nicht geführt und gegenstandslos an.«

»Ich werde versuchen …«

»Sie werden nichts versuchen, Herr Langer. Sie werden es tun. Ganz einfach tun.«

Langer gab nach: »Gut, ich werde es den Damen ausrichten.«

»Sagen Sie den Damen bitte, dass Sie sich nicht scheuen sollen, denn selbst der Pfarrer und sämtliche Nachbarn in Wenns akzeptieren unsere Lebensweise.«

Tina wartete keine weitere Antwort ab und verließ das Büro. Sie zog die Türe schwungvoll hinter sich zu, so dass es krachte und die Scheibe in der Türe und der venezianische Spiegel zum Laden hin zitterten. Tina ging eilig in den Verkaufsraum und suchte ihre Kinder. Natürlich fand sie die beiden dort, wo sie sie vermutete. Tommy streckte sich gerade nach einem Beutel Gummibärchen und Kathi hatte bereits eine Tüte mit Marshmallows in der Hand.

»Kommt, Kinder«, sagte sie und nahm den Wagen. Tommy warf noch eine Tüte Gummibärchen hinein und Kathi die Marshmallows. Tina bemerkte gerade noch, wie Tommy auch eine Tafel Milchschokolade in den Korb des Wagens warf. Sie machte nur: »Hmmm?«, und schüttelte den Kopf. Tommy wusste sofort Bescheid, nahm die Schokolade wieder heraus und legte sie zurück in das Regal.

Tina erledigt noch ihre weiteren Einkäufe, da die Kinder sich offenbar zu lange an dem Regal mit den Süßigkeiten aufgehalten und keine Zeit für die aufgetragenen Sachen hatten. An der Kasse beobachtete sie die anderen Frauen, die ebenfalls etwas warten mussten. Einige grüßten sie sogar freundlich:»Grüß Gott Frau Gründlich. Na? Auch Einkäufe machen? Ist es Ihnen auch aufgefallen, dass alles schon wieder teurer geworden ist? Man weiß ja kaum noch, wo man das Geld hernehmen soll.«

Eine der Frauen, die Tina schon länger kannte, staunte: »Sand des de Kathi und der Tommy? Mein Gott! Seind die groß wordn.«

Eine andere wiederum blickte sie nur abschätzig an, sagte aber kein Wort. Tina bezahlte und schob den Wagen zum Ausgang. Kurz vor der Schiebetüre rannte Kathi zu einem Regal, auf dem Blumenstöcke zum Verkauf angepriesen wurden. »Guck mal, Mama! Die schönen Blumen! Nehmen wir da welche mit?«

»Nein, Kathi. Wo soll ich mit denen denn noch hin? Unsere Fensterbänke sind doch voll davon.«

»Aber Mama, in meinem Zimmer steht gar keiner!«

»Du kannst dir daheim einen vom Küchenfenster aussuchen. Aber nicht wieder das Gießen vergessen«, lächelte sie mühsam. Sie lud die Waren in den Kofferraum und setzte sich ins Auto. Dort wartete sie, bis auch Tommy und Kathi saßen und ließ den Motor an. Tommy saß vorne auf dem Beifahrersitz und beobachtete Tina, die soeben schniefte. Auch Kathi war dies nicht entgangen und fragte deshalb:

»Was ist, Mami? Haben wir etwas falsch gemacht?«

»Nein, meine Kleine. Ihr habt nichts falsch gemacht.«

»Was wollte Herr Langer eigentlich von dir?«, fragte Tommy.

»Ach nichts Besonderes. Er hat mich nur gefragt, ob ich wüsste, wer bei ihm ständig die Süßigkeiten aus dem Laden rauskauft. Er hatte euch in Verdacht«, versuchte Tina lächelnd zu erklären.

»Und deshalb weinst du?«, fragte Kathi.

»Nein, mir ist nur eine Fliege ins Auge geflogen!«

»Du lügst!«, sagte Tommy ernsthaft.

Tina wollte sich nicht aus dem Konzept bringen lassen, obwohl sie die Aussage Langers doch sehr ärgerte. Zuhause erzählte sie Bärbel lieber nichts davon, denn diese hätte sich nur unnötig aufgeregt. Die Kinder halfen ihr beim Ausladen und Verräumen der eingekauften Lebensmittel. Danach gingen sie zuerst ins Bad und dann ins Bett.

Natürlich hatte Tina auch noch etwas Obst mitgenommen, denn es war ihr immer wichtig, dass die Kinder gesundes Essen bekamen. Die Süßigkeiten waren nur eine Ausnahme, die Tina den beiden gerne zugestand. Schweigend legte sie die Bananen in die Obstschale, die im Wohnzimmer auf dem Tisch stand.

»Is irgendwos passiert?«, fragte Bärbel.

»Wos? Naa, es woar ois so wia oiwei«, log sie zerstreut. Bärbel kam auf sie zu und nahm sie in die Arme:

»Kumm Tina, liag mi ned o. I siech doch, das wos vorgfoin is.« Nun konnte Tina ihre Tränen nicht zurückhalten und erzählte Bärbel von dem Vorfall. Bärbel drückte sie und sagte:

»So schlimm is des iatz aa wieda ned. Es gibt ja no andane Gschäfta, wo mia einkaafn kennan. Notfois foahrn ma em aaf Mittersüi.«

»Ja, aba …«

»Nix aba! Auf den Deppn kenna mia zwoa vozichtn, maanst ned aa?«

Tina schniefte und nickte.

Kapitel 2

Plötzlich ertönte aus Tinas Handtasche, die im Flur hing, die Österreichische Bundeshymne: »Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome, Land der Hämmer, zukunftsreich …« Tina ließ Bärbel los und rannte in den Flur. Sie zog das Smartphone aus der Tasche und hielt es sich ans Ohr: »Ernstl? Wos gibt’s?«

Bei Ernstl handelte es sich um niemand anderen als ihren Vorgesetzten, den Hofrat Ernst Steiger. Tina hatte das Privileg, ihn beim Vornamen anreden zu dürfen. Damit sie sofort erkannte, wenn er anrief, hatte sie ihm die Bundeshymne zugeordnet. Auch Bärbel durfte ihn mit seinem Vornamen anreden, aber nur mit dem Zusatz »Onkel«. Der Hofrat war ihr Gedi, also ihr Taufpate, und er hatte sie dazu gebracht, in den Polizeidienst einzutreten. Tina lauschte in ihr Smartphone und hörte Steiger zu.

»Tinakind! I brauch di do! Dringend! Du muasst so schnö wia möglich aktiv wern. Mia hamma an Serienmörder!«, rief er hektisch.

»Wos? Jetzt? Waaßt du, wie spät es ist? Ich foahr jetzt in der Nacht nimmer nach Soizbuag!«

»Aba Tinakind …«

»Nenn mich ned immer Kind! Des hab ich dir schon dausendmal gsagt!«

»Na guat, ich werd mich dran hoitn, wann ichs ned vergess!«

»Oiso? was gibt’s? Wos is mit dem Serienmörder?«, fragte Tina versöhnlich.

»I versuachs kurz zu macha. Du waaßt, mia hamma in de letzten zwaa Wochn zwaa junge Manner aus der Soizach gfischt! Olle zwaa grausig misshandelt und zuagricht!«

»Ja, waaß i! Was hab i damit zduan?«

»Mir ham heut Abend no aan gfunden! Des werd zur Serie. I möcht, dass du und Bärbel a Sonderkommission zsammenstellts und euch um die Sache kümmerts!«

»Aber doch nimmer heut?«

»Naa, aber glei murgn in da friah! Ihr kummts in mei Büro und dann erklär ich euch des ganze Schlamassel.«

»Konnst du mir ned oafach de Akchten schickn?«

»Hob i scho! Die sand bei dir! Ich hob dir die Unterlagen per Mail zuaschickchen lossn. Lests es durch und murng redn mia dann drüber!«

Tina nickte: »Guat, nacha sehng mia uns murng früh?«

»Glei nach Dienstantritt bitte!«

»Guat Nacht, Ernstl!«

»Guat Nacht, Tina!«

Tina war verblüfft. Er sagte nicht mal Kind zu ihr! Sie trennte die Leitung und ging zu Bärbel, die im Wohnzimmer auf der Couch saß.

»Du Bärbel? Dei Gedi hat angrufen. Mia hamma an Serienmörder. Mia soin a Sonderkommission bilden, hat er gmeint.«

Bärbel war entsetzt: »Wos? Heit no?«

»Naa, murng in da Friah solln mia zu eahm kemman. Er hot mir auch scho de Akten zuaschickchn lossn. I drucks glei aus.« Tina ging in ihr kleines Büro, schaltete den Rechner ein und wartete, bis sie die Unterlagen ausdrucken konnte. Mit einem Stapel Papieren in der Hand ging sie zu Bärbel ins Wohnzimmer und setzte sich zu ihr. Sie gab ihr einen Teil des Stapels und nickte ihr zu: »Da hast. Les dia des guat durch, nacha wissen mia murng wenigstns um wos dass es geht.«

Bärbel setzte sich in eine Ecke der Couch und zog die Füße an. Es schien, als ob sie gedankenverloren die einzelnen Blätter durchsehen würde. Auch Tina las aufmerksam und schrak hoch, als Bärbel plötzlich aufschrie: »Naa! Des gibt’s doch goar ned! Hast des glesen? Hast glesn, was der mit de Buama gmacht hot?«

Tina blieb scheinbar gelassen. »Ja, hab i. Du host recht, es is a Sauerei! Des is a Psychopath, a Irrer, a Varruckter!«

»Kannst du dir vorstellen, wie das ist, wenn dir einer einen Besenstiel …? Ich mags gar ned sagn! Mit einem Besenstiel in den …«

»Hintern, wolltst du sagen?«

»Ja, nein, ich weiß ned! Ich möchts mir gar ned vorstelln, wie das ist, wenn man einen Besenstiel reingschoben kriegt!«

»Ja, und das bei lebendigem Leib, sagt der Gerichtsmediziner.«

»Dann auch noch erdrosselt! Mit Handschelln gfesselt und erdrosselt!«

Wieder nickte Tina: »Ja, mit einem Stahlseil oder Ähnlichem, steht hier.«

»Und seine Rippen hat er ihm auch noch gebrochen! Über und über ist er voll mit Hämatomen, steht hier!«

»Bei meinem auch. Das Nasenbein ist gebrochen und das Kiefer auch«, ergänzte Tina.

»Das muss ein ganz brutaler Mensch sein, der so etwas fertig bringt!«

»Und wir müssen ihn fangen.«

»Was heißt müssen?«, fragte Bärbel. »Wir dürfen ihn fangen! Und eins sag ich dir! Wenn ich den in die Finger krieg! Na, der kann sich auf was gfasst machen! Den dreh ich durch den Fleischwolf und mach Faschiertes aus ihm!«

»Nun mal langsam, Bärbel«, bremste Tina ihren Eifer. »Heut machen wir gar nichts mehr, außer ins Bett zu gehen. Und morgen sehen wir weiter.«

»Hast du irgendwo einen Namen der Opfer gesehen?«

»Nein, hab ich nicht. Wahrscheinlich sind die Opfer noch nicht mal namentlich bekannt!«

»Onkel Ernst hat sicher eine Pressemitteilung rausgegeben.«

»Davon geh ich mal aus. Aber wir sollten jetzt schlafen gehen«, sagte Tina und stand auf.

Sie ging ins Bad, um sich zu duschen. Bärbel wartete vor der Türe, nachdem sie sich ihren Bademantel geholt hatte. Tina war bald fertig und so konnte Bärbel ins Bad. Tina ging ins Schlafzimmer und legte sich dort in ihr Bett. Während sie auf Bärbel wartete, dachte sie über den bevorstehenden Fall nach. Wer tut so etwas? Warum tut jemand einem jungen Menschen so etwas an? Wo fange ich an zu recherchieren? Am besten gleich nach den Namen der Jungen suchen, dann hab ich wenigstens schon einen Anhaltspunkt!

»Du schläfst noch nicht?«, fragte Bärbel, als sie ins Schlafzimmer kam.

»Nein, mir gehen die beiden Buben nicht aus dem Kopf.«

Bärbel legte ihren Bademantel ab und kletterte zu Tina ins Bett. Sofort kuschelte sie sich an sie und es dauerte nicht lange, bis Tina Bärbels Atem gleichmäßig und ruhig hörte. Sie schnarchte auch leise und manchmal vernahm Tina ein Schmatzen, als ob Bärbel etwas essen würde.

Sie dachte weiter nach. Ein Profiler! Wir brauchen einen Profiler! Nur der kann uns sagen, was das für ein Mensch ist! Vielleicht gibt es noch mehr Opfer und wir haben sie noch nicht gefunden? Die Vermisstenliste! Ich muss die Vermisstenliste abarbeiten! Sigi! Sigi wäre jetzt der Richtige dafür! Der hatte immer den richtigen Riecher für solche Sachen! Massenmörder waren seine Spezialität! Trotzdem ist es gut, dass er weg ist. Wer weiß, was er sonst wieder angestellt hätt?Im Häfn ist er gut aufghobn.

Plötzlich klammerte sich Bärbel an sie und begann zu schreien: »Tina! Hilf mir!«

Tina blickte sie erschrocken an. Bärbel lag mit weit aufgerissenen Augen neben ihr und schrie immer wieder: »Tina! Tina, hilf mir!«

Tina rückte ein wenig zur Seite und schüttelte sie: »Bärbele! Was ist denn los? Was hast du?«

»Er … er … er wollt mich …«, stammelte sie.

Tina merkte, dass Bärbel schwitzte und vor Aufregung am ganzen Körper zitterte. Sie drückte sie an sich und flüsterte: »Pschsch Bärbele, da ist keiner. Niemand tut dir was. Ich bin doch bei dir.«

»Aber da war doch …«

»Du hast nur schlecht geträumt. Es ist alles gut.«

»Da ist wirklich niemand?«

»Nein, Bärbele, wenn ich es dir doch sage. Nur ich bin da, sonst keiner.«

Bärbel schnaufte tief durch und seufzte: »Dann ist es ja gut.«

Schließlich schlief sie wieder ein. Tina war durch Bärbels Äußerung beunruhigt und lauschte in die Dunkelheit. War da wirklich niemand? Hat sie etwas ghört, was ich nicht ghört hab? Schließlich war ich ja abglenkt. Aber nein, das kann nicht sein! Sie hat tief und fest gschlafen und wenn da was gwesen wär, hätt ich es bestimmt auch gehört.

Plötzlich waren leise Schritte vor dem Schlafzimmer zu hören. Tina schrak hoch. Ist da doch jemand? Schleicht da jemand durchs Haus? Sie hörte die Türklinke, wie sie langsam nach unten gedrückt wurde. Tina schaltete das Nachtlicht ein und blickte angstvoll zur Türe. Langsam, ganz langsam ging die Türe auf und vom Flur her war ein Lichtschein zu sehen, der durch einen dünnen Spalt ins Zimmer fiel. Tina setzte sich auf und hielt ihre Decke vor die Brust. »Ist da jemand?«

Sofort kam die Antwort und die Türe ging weiter auf: »Mama?«

Kathi! Gottseidank, es ist nur Kathi!, dachte Tina und fragte leise: »Was ist denn, meine Kleine?«

Kathi rieb sich die Augen und blinzelte Tina verschlafen an. Sie stand in der Türe, ihren steten Begleiter, den Teddybären Sissi, unter den Arm geklemmt, und fragte weinerlich: »Mama? Ich kann nicht schlafen! Irgendjemand hat so laut geschrien, dass ich Angst bekommen hab! Darf ich zu euch ins Bett?«

Tina ließ die Bettdecke sinken und hob sie hoch: »Natürlich! Komm rein.«

»Was ist denn los?«, fragte Bärbel, die ebenfalls wach geworden war.

»Das ist nur Kathi, sie ist wach gworden und möcht jetzt zu uns ins Bett.«

»Wenns nicht mehr ist?« Bärbel rutschte ein wenig zur Seite, so dass Kathi zwischen ihr und Tina liegen konnte. Kathi kletterte ins Bett und kuschelte sich gleich an Bärbel, die nun auf ihrer Seite im Bett lag.

»Du hast doch nichts dagegen?«, fragte Kathi.

»Nein, natürlich nicht. Aber warum legst du dich nicht zu deiner Mama?«

»Du bist viel kuscheliger! Du hast nicht so viele Knochen überall. Mama ist so dürr, dass es weh tut.«

»Ist das jetzt ein Kompliment?«, lachte Bärbel.

»Nein, das ist die Wahrheit. Du bist einfach weicher und fast so wie mein Sissibär.«

Tina war zunächst sprachlos, meinte aber dann: »Das hat man davon, wenn man zusieht, dass man schlank bleibt! Knochen! Dürr! Also weißt du, Kathi!«

»Es stimmt doch, Mama! Es wär sicher nicht verkehrt, wenn du ein wenig mehr auf den Hüften hättest. Einen Mann brauchst du ja sowieso nicht mehr! Du hast ja jetzt Tante Bärbel!«

Tina sagte nichts mehr und drehte sich auf die Seite. Sie versuchte einzuschlafen, was ihr aber nicht gleich gelang.

Unvermittelt fragte Kathi: »Wer hat eigentlich so geschrien vorher?«

»Das war ich«, antwortete Bärbel. »Ich hab schlecht geträumt.«

»Ach so? Sonst war nichts?«, antwortete Kathi.

»Nein, sonst war nichts. Aber jetzt wird gschlafen.«

Kathi drückte sich noch näher an Bärbel und bald hörte Tina nicht nur Bärbel leise schnarchen, sondern auch Kathi gab diese Geräusche von sich. Tina schloss die Augen und schlief ebenfalls ein.

»Aufstehen! Frühstück ist fertig!«, weckte sie Tommy lautstark. Tina war wie gerädert, da sie viel zu wenig geschlafen hatte. Kathi und Bärbel rekelten sich neben ihr und Kathi maulte:

»Schon? Ich bin noch müde. Lass mich noch ein wenig schlafen.«

Tommy kam zu ihrem Bett und zog die Decken weg: »Nichts da! Raus aus den Federn! Wir müssen zur Schule und Mama mit Bärbel zur Arbeit!«

Tina schlug ihre Bettdecke zurück und schwang die Beine nach draußen: »Er hat recht! Los, raus ihr Faulpelze!«

»Manno! Jetzt noch nicht, Mama!«

»Nichts da! Raus aus dem Bett!«

Schließlich drehte sich auch Bärbel zum Bettrand und kletterte mühevoll und mit lautem Gähnen aus ihrem Bett. Kathi, die nun niemanden mehr zum Kuscheln hatte, blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Sie streckte sich und gähnte ebenfalls laut und herzhaft.

»Was machst du eigentlich in Mamas und Tante Bärbels Bett?«, fragte Tommy seine Schwester.

»Ich hab nicht schlafen können, weil Tante Bärbel einen schlimmen Traum ghabt hat und so geschrien hat. Aber du hörst ja nichts. Dir könnte man einen Luftballon neben den Ohren platzen lassen und du würdest weiter schlafen.«

Sie gingen nacheinander ins Bad und als sie fertig waren, trafen sie sich am Frühstückstisch.

»Aber Hallo!«, rief Bärbel. »Sogar frische Semmeln gibt’s heute! Wo hast du die denn her?«

»Ich war schon drüben in Bramberg beim Bäcker«, strahlte Tommy stolz.

Der Tisch war vorbildlich gedeckt, nur Kathis Müsli fehlte noch, was sie gleich reklamierte: »Was ist mit mir? Warum steht mein Müsli noch nicht auf dem Tisch?«

»Das kannst du dir selber machen! Dein Kakao steht jedenfalls schon da!«

Murrend ging Kathi zum Kühlschrank und holte sich alles, was sie brauchte. Nur die Haferflocken nahm sie aus dem Vorratsschrank.

Nach dem Frühstück holten die Kinder ihre Schulsachen aus ihrem Zimmer und gingen zur Bushaltestelle, von wo aus sie zur Schule gebracht wurden. Tina rief ihnen noch nach: »Nach der Schule geht ihr zu Tante Frieda! Dort bleibt ihr, bis ich euch abhole!«

»Ja, Mama!«, riefen die beiden ihr zu.

Tante Frieda war die Schwester von Günther, Tinas Exmann. Sie war wegen eines Unfalls bereits in Rente und hatte somit viel Zeit, sich um die Kinder zu kümmern. Sie hatte sich erst vor kurzem ein kleines Häuschen ganz in der Nähe gekauft und war dort eingezogen. Tina wusste, dass sie Tommy und Kathi nicht extra anmelden musste, da sich Tante Frieda immer freute, die beiden zu sehen.

Tina und Bärbel blieben noch eine Weile sitzen, da sie dachten, sie hätten noch Zeit genug, bis sie nach Salzburg fahren mussten.

»Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome, Land der Hämmer, zukunftsreich! Heimat großer Töchter und Söhne, Volk, begnadet für das Schöne, viel gerühmtes Österreich!«

»Ernstl! Was will der denn schon so früh am Morgen?«, fragte Tina und holte das Smartphone, bevor es die Strophe wiederholen konnte. »Ernstl? Was gibt’s?«

»Seids schon auf dem Weg? Ich wart auf euch!«

»Schlafen haben wir schon noch dürfen? Wir sind noch daheim.«

»Dann dummelts euch! Die Kollegen werden gleich da sein! Ihr müsst doch die Sonderkommission zsammenstellen!«

»Jaja! Wir machen uns gleich auf den Weg!«

Tina legte grußlos auf und forderte Bärbel auf: »Komm Bärbel. Wir müssen los. Ernstl wird ungeduldig.«

»Der soll sich nicht so haben. Ob wir in zwei Stunden dort sind, oder erst in zweieinhalb is doch eh wurscht.« Bärbel stand auf und ging ins Wohnzimmer, wo noch die Unterlagen vom Vorabend lagen. Sie nahm sie und betrachtete den Stapel: »Hoffentlich haben wir nichts übersehen?«

»Ich glaub nicht, und falls doch, wird uns Ernstl schon draufhelfen.«

Sie verließen das Haus und fuhren mit Bärbels Auto nach Salzburg, wo Hofrat Steiger schon ungeduldig auf sie wartete. Er lief vor dem Gebäude auf und ab und schien offenbar erleichtert, als er die beiden erblickte: »Da seidʼs ja endlich. Ich hab die Kollegen derweil in die Kantine gschickt. Die Kosten gehen aber auf dich, Tina!«

»Vergiss es. Du hast doch die Leut hingschickt, also zahlst du auch.«

Steiger nahm dies zur Kenntnis, sagte aber nichts weiter darauf. Er zeigte zur Türe: »Geht’s schon mal rein. Ich bring euch die Kollegen dann in den Besprechungsraum.«

»Kommst du dann auch? Wir brauchen den neuesten Stand.«

»Du meinst wegen dem Toten von gestern?«

»Ja, natürlich. Vielleicht hat die Kriminaltechnik oder die Gerichtsmedizin neue Ergebnisse?«

»Ja, haben wir. Ich komm dann mit den anderen nach.«

Tina und Bärbel betraten das Gebäude und liefen zum Besprechungsraum. Die Türe war weit geöffnet und Tina hörte Stimmen, die ihr bekannt vorkamen.

Sigi!, durchfuhr es sie. Ernstl wird doch wohl nicht …

Sie blieb ruckartig stehen und hielt Bärbel fest.

»Was ist? Wollen wir nicht reingehen?«, fragte Bärbel erstaunt.

»Ich geh da nicht rein! Auf keinen Fall geh ich da rein, solange der Kerl da drin ist!«

»Wen meinst du? Wer soll da drin sein?«, fragte Bärbel.

»Sigi! Hast du nicht seine Stimme ghört? Da ist Sigi drin! Der Sigi, der mich entführen und umbringen wollt! Ich geh da auf keinen Fall rein! Keine zehn Pferde bringen mich da hinein!«

»Sigi? Meinst du den Ladurner? Der sitzt doch im Häfn!«

»Mich wundert das auch. Aber ich kenn doch seine Stimm. Das ist Sigi! Kein Zweifel.«

»Aber geh! Wenn der sitzt, wie soll er denn jetzt auf einmal da sein?«

»Hallo Tina!«, rief plötzlich die Stimme, die Tina gehört hatte, von der Tür zum Besprechungsraum. Tina fuhr herum und war entsetzt: »Sigi?«

Er lächelte sie wortlos an. In seinen Augen blitzte es.

»Was zum Teufel noch mal machst du denn hier? Ich denk du sitzt …«

»Ja, Tinakind! Unser lieber Herr Hofrat hat mich da auf Befehl von ganz oben rausgeholt. Die da oben meinen, dass ihr mich braucht. Voraussetzung war aber, dass ich den Fall lös!«

»Aber du bist doch …«

»Rausgschmissn worden? Ja, das stimmt. Ich bin kein Polizist mehr. Ich hab hier nur eine beratende Funktion!«

»Das heißt also, dass ich mit dir …?«

»Zusammenarbeitst? Ja, das heißt es wohl. Du bist zwar die Chefin hier, aber du wirst dich wohl oder übel damit abfinden müssen, dass du dir von mir was sagen lassen wirst.«

Tina wurde wütend: »Das kommt gar nicht in Frage! Ich werde mit dir nicht zusammenarbeiten! Du kannst wieder in deine Zelle zurück!«

»Das wird wohl nicht gehen«, grinste er sie an. »Ich hab einen ganz offiziellen Vertrag als Berater mit den Herren abgeschlossen, und den muss ich erfüllen.«

»Das werden wir noch sehen!«, fauchte Tina, nahm Bärbel am Arm und zog sie nach draußen.

Als sie dort stehen blieben, fragte Bärbel Tina: »Warum willst du nicht mit ihm …?«

»Warum? Ich sag dir eins! Wenn ich nicht unbändig Glück ghabt hätt, wär ich jetzt tot! Der Kerl da drin wollt mich umbringen! Schad, dass ich nicht besser gezielt hab. Dann wär dieses Problem jetzt gar nicht vorhanden!«

»Aber das ist doch schon eine Weile her!«

»Eine Weile her? Ich trau ihm keinen Millimeter über den Weg! Ich will ihn nicht in meiner Näh haben!«

»Wo steckt ihr denn?«, rief Hofrat Steiger, als er aus der Türe kam.

Tina drehte sich um. Sie bebte vor Zorn, was man ihr auch ansah. Aber sie riss sich zusammen und fragte betont ruhig: »Sog amoi Ernst? Wos denkst du dir eigentlich dabei, den da drin ins Team zu holn? Host du vogessn, was er mit mir machen wollt? Verlangst du wirklich, dass ich mit dem zsammoarbat?«

Steiger wurde verlegen: »Ja, oiso waaßt, Tinakind …«

»Nenn mich bitte nicht Kind.«

»Na guat, also dann muaß ich es wohl so song: Die Entscheidung, dass er im Team dabei sei soy, is ned auf meim Mist gwachsen. Des kummt von ganz oben. Außerdem brauch ma eahm. Er is und woar der Beste in dem Bereich und es dadat uns sicher höfn …«

»Höfn? Dea und uns höfn? Dea werd des Versäumte nochholn und mi umbringan. So wird dea höfn!«

Steiger hob die Schultern: »Wos soll i doa? Wia gsagt, die Anordnung …«

»Die Anordnung? Waaßt wos mi de Anordnung intressiert?«

»Aber Tina, i muaß doch …«

»Bist iatz mei Vorgsetzter oda ned?«

»Ja scho, aba …«

»Oiso? Dann host aa a gewisse Fürsorgepflicht deine Untergebenen gegenüber und genau de Pflicht miassat dia song, dass du des ned zualassn deafst, dass i mit dem do zsammoabatn muaß!«

»Wos soi i denn mochn? De Anordnung … und außerdem hot er an Vertrog mitn Minsteri.«

Tina lief aufgeregt auf und ab und konnte nur mit größter Mühe ihre Erregung unterdrücken. Sie blieb vor Steiger stehen: »I sog dia iatz oans. Wenn de vom Ministeri drauf bstehnan, dass i mit dem zsammoarbatn muaß, nacha schmeiß i hin und kündig. Mein Resturlaub nimm i aa glei und wenn des ned langt, laß i mi krankschreim!«

»Oiso Tina, des deafst mia ned odoa. I brauch di doch.«

»Übalegs dia. Wenn dea dobleibt, nacha konnst dia a andane Tina suachn!«

Steiger schien verzweifelt: »Hör mal Tina …«

Nun reichte es Tina. »Nix do!«, ihre Stimme überschlug sich förmlich, als sie schrie: »Du konnst as aussuachn! Sofurt zruck in Häfn mit eahm oder ich foahr glei wieder haam! Die Kündigung findst heit no auf deim Schreibtisch!«

»Tina! Das geht nicht! Das ist eine Anordnung von ganz oben!«

»Des ist mir so wurscht wia sunst wos! Frog doch moi die Herren da oben, ob sie mit ebbatn zsammenoabeitn dadn, der sie umbringan wollt!«

Steiger hob hilflos beide Arme: »Na gut, dann werd ich eben in den sauren Apfel beißen müssen!«

»Wos haaßt des?«, fragte Tina.

»Ich werd ihn zurückschicken! Wie ich das oben erklärn soll, ist mir zwar noch schleierhaft, aber ich werd es schon irgendwie hinkriegen!«

Tina klopfte ihm auf die Schulter. »Tut mir leid, dass ich dich damit in so eine Lage bring, aber das hättst du dir auch denken können.«

Steiger forderte sie auf: »Also? Gehen wir? Die Kollegen warten schon!«

»Ich geh da erst wieder rein, wenn der weg ist!«

Er nickte: »Gut, ich geh vor. Ihr kommt dann nach?«

»Ja, wenn er weg ist!«, antwortete Tina.

Tina und Bärbel setzten sich heraußen auf die Stufen und warteten. Bald hörten sie von drinnen lautes Geschrei: »Das könnt ihr mit mir nicht machen! Schließlich hab ich einen Vertrag mit dem Ministerium! Ich lass mich doch nicht so behandeln!«

Kurz darauf kam Steiger aus der Türe und winkte ihnen zu: »Ihr könnts reinkommen! Er is weg!«

Erleichtert standen sie auf und gingen zu Steiger, der an der Türe auf sie wartete und sie weit aufhielt. Vorsichtig, sich nach allen Seiten umblickend, betraten sie den Vorraum: »Ist er wirklich weg? Wo hast du ihn hingebracht?«, fragte Tina.

»Er ist im Keller in einer Zelle. Ich lass ihn nachher abholen«, sagte Steiger.

»Er wird wohl Ärger machen?«, fragte Bärbel.

»Davon geh ich mal aus«, sagte Steiger.

Steiger ging voraus zum Besprechungsraum. Tina und Bärbel folgten ihm, bis sie dort ankamen. Im Raum saßen zwölf Beamte, die sie neugierig musterten. Steiger stellte die beiden vor und Tina blickte in der Runde um sich: »Ein paar von Ihnen kennen mich ja!«, meinte sie lächelnd.

»Davon kannst du ausgehen!«, rief einer aus dem Raum.

Tina überging die Bemerkung und meinte: »Wer mich noch nicht kennt, hat sicher die Gelegenheit, mich kennenzulernen!« Sie setzte sich auf einen freien Stuhl, der an der Stirnseite des großen Besprechungstisches stand. Neben ihr nahm Bärbel Platz. Tina ließ sich auf den neuesten Stand bringen und sowohl der Mann von der Spurensicherung als auch der Gerichtsmediziner berichteten lange und ausführlich. Als sie sich ihre Notizen gemacht hatte, resümierte sie: »Also, wenn ich das richtig zusammenfasse, dann haben wir jetzt drei tote junge Männer, deren Namen uns bisher nicht bekannt sind. Sie wurden auf die gleiche Weise misshandelt und getötet, was darauf schließen lässt, dass wir es mit einem Serientäter zu tun haben. Ich möchte nun darum bitten, die Damen und Herren, die mich bereits kennen, hierzubleiben und die anderen, sich in Bereitschaft zu halten. Ich bitte, dies nicht falsch zu verstehen, ich will nur sicherstellen, dass ich weiß, mit wem ich es zumindest am Anfang zu tun habe.«

»Sonst lässt du uns auch einsperren wie den Sigi?«, fragte einer aus der Runde.

Tina warf ihm einen wütenden Blick zu: »Du weißt, warum ich das getan habe?«

»Ja schon, aber …«

»Kein aber! Wenn dir das nicht passt, kannst du auch gleich gehen!«

Bei dem Fragenden handelte es sich um einen langjährigen Freund und Kollegen Ladurners, den Tina zwar als guten Kollegen schätzte, sich aber nicht sicher war, ob er loyal genug sein würde, sie so zu unterstützen, wie sie es brauchte. Prompt stand der Mann auf und verließ den Raum. Als die Kollegen, die Tina gemeint hatte, den Raum ebenfalls verließen, blickte sie sich um. Nur noch fünf Beamte saßen am Tisch, die Tina sogleich instruierte und ihnen ihre Aufgaben zuwies. Für sich selbst behielt sie die Koordination und Sammelstelle der Infos vor. Bärbel bekam den Auftrag, alle relevanten Ergebnisse auszuwerten und zusammenzufassen.

Als die Besprechung beendet war, entließ sie die Kollegen: »Ich hoffe auf eine gute und fruchtbare Zusammenarbeit!«

Gemeinsam mit Bärbel ging sie hinaus und traf dort auf Hofrat Steiger, der sie gewinnend anlächelte: »Nun? Wie ist es gelaufen? Wie ist dein Gefühl? Glaubst du, dass du es mit den Leuten schaffen wirst?«

»Natürlich. Wir schaffen das«, sagte Tina und lächelte ihn ebenfalls an.

Tina und Bärbel gingen zum Ausgang und Steiger folgte ihnen. Es hatte den Anschein, als ob er noch etwas sagen wollte. Tina bemerkte dies und blieb stehen: »Was gibt es noch? Hast du noch eine Überraschung für mich?«

Er hob die Schultern: »Naja, wie manʼs nimmt! Ich hab mit denen vom Ministerium geredet. Du weißt schon, wegen Sigi und …«

»Was haben sie gsagt?«, unterbrach ihn Tina.

»Sie waren nicht gerade begeistert, da in dem Vertrag eine Klausel ist, die Sigi eine Entschädigung zuspricht, falls der Vertrag seitens des Ministeriums gebrochen werden sollte.«

»Das dürfte doch kein Problem sein, oder?«

»Nein, eigentlich nicht, aber …«

»Was aber? Soll das heißen, er kommt doch wieder?«, fragte Tina, sichtlich angespannt.

»Nein, das nicht. Aber man hat mich beauftragt, dich zu einer Veranstaltung am Samstag einzuladen.«

»Veranstaltung? Samstag? Was ist das für eine Veranstaltung?«

»Das darf ich dir leider noch nicht sagen. Ich wurde eindringlich gebeten, dir nichts davon zu erzählen.«

»Dann komm ich auch nicht! Ich geh doch nicht irgendwo hin, wo ich nicht weiß, was mich erwartet!«

»Ich muss dich aber dringend bitten, zu kommen! Unser Bärbele darf natürlich auch kommen.«

»Wirst du auch da sein?«

»Ja, sicher. Ich bin doch sozusagen mitverantwortlich.«

»Ich werde es mir überlegen!«

»Die Einladung bekommst du natürlich noch schriftlich von mir! Wo wollt ihr jetzt hin?«

»Wir fahren in mein Büro im Dezernat!«

»Dort kann ich euch jederzeit erreichen?«

»Ja, natürlich! Ansonsten gibt es auch so etwas wie ein Handy!«

»Mit der Bundeshymne?«

»Mit der Bundeshymne!«, bestätigte Tina.

Tina und Bärbel stiegen in Bärbels Wagen und fuhren zum unweit entfernten Dezernat, in dem Tina gemeinsam mit Bärbel ihr Büro hatte. Bärbel durfte, obwohl nur Kommissär, bei Tina im Büro ihren Arbeitsplatz besetzen. Dies blieb natürlich nicht ohne entsprechende Folgen unter den Kollegen: »Treibens die jetzt schon im Büro? Reichts nicht, wenn sie daheim Tisch und Bett teilen? Eine ausgschamte Frechheit sowas. Erst wird Bärbel von Tina protegiert, kriegt ihren Beamtenstatus sogar ohne Prüfung und dann darf sie sich auch noch im Chefbüro breitmachen!«

Tina und Bärbel war dies egal, obwohl sie auch von Hofrat Steiger deswegen angesprochen wurden: »Ihr zwei! Seids bitte vorsichtig mit dem, was ihr treibt! Da sind ein paar Neidhammel unterwegs, die euch nichts Gutes wollen. Also seids vorsichtig. Ihr wissts ja, dass ihr in mir einen Fürsprecher habt. Aber alles muss noch im Rahmen bleiben.«

Tina nahm die Ermahnung zwar ernst, meinte dazu aber nur: »Geh Ernstl! Nimms nicht so streng! Ich hab die Bärbel zu mir ins Büro gholt, weil sie eine zuverlässige Hilfskraft ist.«

Als Tina und Bärbel das Dezernat betraten, kam ihnen bereits ein Kollege entgegen, der ein Blatt Papier in der Hand hielt. Er gab es Tina und warf einen verächtlichen Blick auf Bärbel. »Hier Frau Major! Das ist eben reingekommen! Es scheint, es handelt sich um die Serienopfer. Anscheinend weiß man jetzt die Namen!«

Tina nahm das Blatt und überflog es kurz: »Ja, Sie haben recht. Aber wir haben erst einen einzigen Namen. Das ist der von dem ersten Opfer!«

»Sollen wir um die anderen Namen nachforschen?«, fragte der Beamte eifrig.

»Nein, das brauchens nicht! Das machen schon die Kollegen von der Sonderkommission!«

»Ist da auch einer von uns dabei?«, wollte der Mann wissen.

Er schien aus allen Wolken zu fallen, als Tina bestätigte: »Ja natürlich! Frau Kürzinger ist mit dabei!«

»Frau Kürzinger? Bärbel? Sie ist …?«

»Ja, selbstverständlich! Erstens leite ich die Sonderkommission und da wäre es zweitens ziemlich dumm von mir, Frau Kürzinger nicht mit im Boot haben zu wollen. Meinens nicht auch?«

»Ja … ja selbstverständlich, Frau Major!«

Tina gab das Papier an Bärbel weiter. »Hier. Überprüf den Namen mal. Bertram Hofer heißt er. Ich will wissen, wer das war, was er getan, also gearbeitet hat, und wo er zuletzt gesehen wurde.«

»Mach ich sofort«, sagte Bärbel und ging voraus in ihr Büro.

Tina bemerkte, dass der Beamte irgendwie beleidigt war. »Machen Sie sich nichts draus. Frau Kürzinger hat noch viel zu lernen und sie können das doch sicher bereits.«

»Ja …jawohl Frau Major«, antwortete der Mann und ließ sie stehen.

Tina hörte ihn noch vor sich hinschimpfen: »Wenn ich das schon kann, warum darf ich es dann nicht machen? Immer diese Weiber! Ständig bevormunden sie einen! Frau Kürzinger muss das noch lernen! Warum sagt sie nicht gleich, dass ihr Liebling dazu noch zu blöd ist? Bla bla bla!«

Tina grinste in sich hinein, denn sie verstand den Mann durchaus. Er war wohl auch einer von denen, die sich bereits beim Hofrat beschwerten. Nun ging auch sie in ihr Büro und bemerkte, wie Bärbel am Computer saß und Daten eingab.

»Nun? Hast was gefunden?«

»Nein, bisher noch nicht viel! Die Adresse haben wir ja! Aber das wird wohl einer von den anderen machen?«

»Was meinst du?«

»Ich mein damit die Angehörigen informieren! Da muss es doch Eltern geben, Geschwister oder andere Verwandte?«

»Ja, sicher! Schau mal auf das Blatt, wie man den Namen gefunden hat!«

»Eine Vermisstenanzeige! Aber eine seltsame, muss ich schon sagen. Der Bub war grad mal drei Jahre jünger als ich. Den nehmen wir doch sonst nicht als Vermissten auf? Ab achtzehn kann doch jeder machen, was er will.«

Tina hob die Schultern: »Noja, vielleicht hat jemand die Anordnung gegeben, dass jede Vermisstenanzeige überprüft werden muss?«

»Ja, könnt schon sein. Da sind übrigens im letzten halben Jahr noch einhundertdreißig Vermisste gemeldet worden. Zwölf davon in ähnlichem Alter.«

»Du meinst, da könnt es einen Zusammenhang geben?«, fragte Tina.

»Könnt sein? Wer weiß? Ein Serienmörder? Vielleicht treibt der sein Unwesen schon länger?«

»Hoffen wir mal, dass das nicht so ist. Sonst hätten wir wesentlich mehr Opfer.«

»Aber wenn? Wo sind die Leichen? In der Salzach waren sie jedenfalls nicht.«

Tina setzte sich an ihren Tisch, der Bärbels Schreibtisch gegenüber stand. Sie stütze ihren Kopf in beide Hände und schien zu überlegen. Plötzlich beugte sie sich vor: »Frag mal bei den Kollegen nach, ob da schon jemand bei den Eltern war.«

»Mach ich.« Bärbel nahm das Telefon und rief bei einem der Kollegen an, der in der Besprechung dabei war: »Sers Martin. Ich hab hier den Namen und die Adresse von einem der Opfer. War schon jemand von euch bei den Eltern?Ja? Und was ist dabei rausgekommen?«

Bärbel lauschte und schrieb auf ihrem Notizblock mit. Tina hörte nur: »Aha? Ja? Seit wann ist er weg? Ach so ja. Fünf Tage. Weiß man, wo er zuletzt war? Ja, ist gut. Ich sags ihr.«

Bärbel legte wieder auf. »Also die Kollegen waren schon bei den Eltern. Sie sagen, er sei seit fünf Tagen überfällig. Zuletzt war er als Aushilfskellner bei einer Party. Du weißt schon, bei so einem Großkopferten. Seitdem wurde er nicht mehr gesehen.«

Verwirrt fragte Tina: »Sonst nichts? Hat man denn nicht gefragt, wo er nach der Party hin ist? Ich mein, er muss doch irgendwo abgeblieben sein. Hat man Kollegen gefunden und befragt? Er war doch sicher nicht der einzige Kellner. Irgendwer muss ihn doch da hingeschickt haben. Wer gab ihm den Lohn? Wie ist er dort weggekommen? Hat er ein Auto? Ist er mit dem Taxi gfahrn?«

Bärbel zuckte mit den Schultern: »Da hab ich gar nicht nachgefragt!«

»Das hab ich gemerkt. Also Bärbel, so geht das nicht! Du musst schon selber auch dein Hirn einschalten! Ich weiß, ich hätts dir anschaffen sollen, aber du musst schon auch ein wenig mitdenken!«

Betroffen sagte Bärbel: »Tut mir leid. Ich habs halt einfach vergessen.«

»Also ich will dich ja nicht unter Druck setzen und ich weiß, dass du nicht viel Erfahrung hast, aber ein wenig mehr Hilfe wär mir schon recht.«

Bärbel standen Tränen in den Augen als sie Tina ansah: »Es tut mir wirklich leid, Tina. Aber ich hab halt noch zu wenig Erfahrung mit solchen Sachen. Es passiert auch sicher nicht wieder. Nicht böse sein, bitte.«

Als Tina keine Antwort gab, sagte Bärbel mit weinerlicher Stimme: »Hast du gehört? Es tut mir leid und es wird sicher nicht mehr vorkommen!«

Wieder gab Tina keine Antwort. Bärbel stand auf und ging zu ihr. Tina drehte sich zu ihr:

»Ist ja schon gut. Ich sag eh nichts mehr. Weißt, es geht mir um uns beide. Wir zwei – du und ich. Wir sind doch ein Team oder?«

Bärbel nickte, ging zurück zu ihrem Platz und setzte sich. Sie blickte Tina aufmerksam an. Diese fuhr fort: »Und als Team müssen wir zusammenarbeiten so gut es geht. Du hast Ernstl gehört. Er hat gsagt, dass es da welche gibt, die uns loswerden wollen. Denen dürfen wir keinen Anlass geben. Wir müssen einfach zsammhalten. Die warten nur drauf, dass wir einen Fehler machen. Verstehst du?«

Bärbel nickte, zog ein Papiertaschentuch aus einer Schreibtischschublade und schnäuzte sich laut und ergiebig: »Ja, ich weiß! Es tut mir auch leid, dass ich so dumm bin.«

Tina stand auf, ging um die Tische herum zu Bärbel und beugte sich zu ihr hinunter. Sie legte einen Arm um ihre Schultern und sagte leise: »Bärbele, du bist nicht dumm! Im Gegenteil, du bist eins der klügsten Mädchen, die ich kenne. Es muss dir auch nichts leid tun. Jeder macht mal Fehler, und die sind nun mal dazu da, um daraus zu lernen.«

Noch einmal schnäuzte sich Bärbel und versuchte ein Lächeln: »Danke, Tina. Danke für deine Geduld. Ich werde jetzt gleich noch mal den Kollegen anrufen und nachfragen.«

Tina erhob sich und nickte: »Tu das. Es ist wichtig, das zu wissen.«

Bärbel griff nach dem Telefon und rief noch einmal bei dem Kollegen an. Sie notierte sich die Antworten und legte wieder auf. Tina blickte sie erwartungsvoll an. Bärbel nahm das Notizblatt zur Hand. »So. Jetzt glaub ich, hab ich alles.«

»Ja und? Wie ist er dort weg gekommen? Taxi oder Auto? Was sagen die Kollegen?«

»Also die Kollegen sagten, er sei mit einem Fahrrad dort gewesen. Den Lohn sollte er später bekommen, weil er noch mehrere Aufträge hatte, die noch offen standen. Wo er nach der Arbeit hin ist, wusste keiner.«

»Der Auftraggeber? Wer war der Auftraggeber? Wer hat ihn eingestellt?«

»Da gibt es keinen. Das Angebot stand auf einem Zettel, der in der Uni ausgehängt war. Offensichtlich war das der Gastgeber selbst, der ihn angestellt hat. Er gab ihm auch den Lohn noch nicht, weil er noch andere Partys in nächster Zeit habe.«

»War das bei den Kollegen ebenso?«

Bärbel nickte. »Ich glaub, ja!«

»Was heißt, du glaubst?«

»Naja, unser Kollege hat gesagt, dass es nach Aussage der Kellner so üblich ist.«

»Der Gastgeber? Wer war der Gastgeber?«

»Das war ein Bauunternehmer aus Golling. Ein Herr Oberhofer, hat man mir gesagt.«

»Wurde dieser Bauunternehmer schon befragt?«

Bärbel schüttelte den Kopf: »Nein, bisher nicht.«

»Dann werden wir zwei das jetzt machen. Wir fahren nach Golling. Ist ja nicht weit.«

»Soll ich den Kollegen Bescheid sagen? Ich mein, nicht, dass die auch noch da hinfahren.«

»Ja, tu das. Ruf sie an.«

Bärbel nahm wieder das Telefon und sagte bei den Kollegen Bescheid.

Tina wartete in der Türe auf sie und als Bärbel aufgelegt hatte, gingen sie gemeinsam hinunter zum Parkplatz, wo Bärbel ihr Auto abgestellt hatte. Nach etwa einer halben Stunde kamen sie in Golling bei der Baufirma Oberhofer an. Bärbel stellte ihren Wagen vor dem großen Gebäude, das augenscheinlich das Büro beherbergte, ab. Sie stiegen aus und Tina blickte um sich. Auf dem Werksgelände standen etliche Hallen, die vermutlich die Werkstätten waren. Einige Lkws und Lader fuhren scheinbar ziellos umher und weit hinten, am Ende des Geländes, stand eine große, alte Villa, die vermutlich dem Chef der Firma gehörte.

Sie betraten das Gebäude, das schon in der Halle einen überwältigenden Eindruck machte. Der Boden und die Wände aus Adneter Marmor, die Decke bestand aus geschnitzten Kassetten, die vermutlich aus edlem Holz waren. Ein junges Mädchen, das hinter einem Tresen stand, der aus Eiche gefertigt war, begrüßte sie freundlich: »Guten Tag meine Damen. Zu wem möchten Sie?«

Tina betrachtete das Mädchen aufmerksam. Sie war klein und zierlich, hatte rehbraune Augen und ein madonnenhaftes Gesicht. Ihre kastanienbraunen Haare hingen ihr bis über die Schultern.

Tina ging auf sie zu und zog ihren Ausweis: »Major Gründlich, Kripo Salzburg. Ich möchte Herrn Oberhofer sprechen.«

»In welcher Angelegenheit?«

»Es geht um einen Mord, und Herr Oberhofer kannte das Opfer.«

»Tut mir leid, Frau Major. Herr Oberhofer befindet sich nicht im Haus.«

»Wo finde ich ihn?«

»Er ist in seiner Villa. Die ist ganz hinten am Ende des Geländes.«

»Ist das das Gebäude, das man von draußen sieht?«

»Ja, das ist es.«

»Vielen Dank. Dann werden wir mal nach hinten fahren.«

Bärbel und Tina verließen das Gebäude und stiegen in ihr Fahrzeug. Bärbel fuhr langsam zur Villa, denn unterwegs kamen ihnen immer wieder schwer beladene Lkws und Lader entgegen. Vor der Villa stellte Bärbel den Wagen ab und sie stiegen aus.

Tina zog die Nase hoch: »Riechst du das? Hier stinkt es nach Verwesung.«

Bärbel nickte: »Ja, wie in einem Leichenschauhaus.«

»Oder eher wie in unserer Gerichtsmedizin«, ergänzte Tina.

Die Haustüre wurde von innen geöffnet und ein wohlbeleibter Mann kam heraus. Er ging mit ausgestreckter Hand auf Tina zu und lächelte sie verbindlich an: »Guten Tag. Sie sind wohl die Damen von der Polizei?«

Tina wunderte sich: »Sie wissen, dass wir kommen?«

»Ja, natürlich. Frau Elsinger von der Rezeption hat mich soeben informiert, dass ich hohen Besuch bekomme.«

Tina gab ihm die Hand und zog sie sogleich ekelerregt zurück, denn die Hand des Mannes war schweißnass, was Tina absolut nicht leiden konnte. Verstohlen wischte sie ihre Hand an ihrem Rock ab.

Er schien dies nicht zu bemerken, denn er lächelte Tina an und machte eine leichte Verbeugung: »Oberhofer mein Name. Sie sind …?«

»Mein Name ist Gründlich. Major Gründlich.« Sie zeigte auf Bärbel: »Das ist meine Kollegin, Frau Kommissär Kürzinger.«

»Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ich habe ein paar Fragen, um deren Beantwortung ich bitten möchte.«

»Sehr gerne. Worum geht es?«

»Zunächst mal um diesen Leichengeruch hier. Woher kommt der?«

»Das? Das sind die Abfälle aus meiner Metzgerei. Die werden erst morgen abgeholt und deshalb stinkts hier ein wenig.«

Tina war verblüfft. »Metzgerei? Ich dachte …«

»Ja, ich weiß. Ich bin Inhaber einer großen Baufirma. Eine der größten Österreichs überhaupt. Aber ich bin eigentlich gelernter Metzger und betreibe die Metzgerei sozusagen als mein Hobby«, lächelte er immer noch.

»Sie stellen also Wurst und Fleischwaren her?«

»Ja. Wenn sie mitkommen wollen? Ich zeige Ihnen gerne meinen Laden.«

Tina hob abwehrend die Hand: »Nein danke. Ich hab nur noch ein paar Fragen an Sie.«

Oberhofer schien enttäuscht, lächelte aber trotzdem: »Bitte, fragen Sie. Ich werde versuchen, Ihre Fragen bestmöglich zu beantworten.«

Bärbel zückte auf einen Wink Tinas hin einen Notizblock und einen Stift.

Tina fragte mit neugierigem Blick: »Also Herr Oberhofer. Sie hatten vor ein paar Tagen eine Party?«

»Ja, vor fünf oder sechs Tagen, wenn ich mich richtig erinnere. Wissen Sie, durch meine Metzgerei bin ich in der glücklichen Lage, Partys kostengünstig abhalten zu können. Ich habe sogar einen eigenen Partyservice, mit dem ich andere Kunden beliefere und auch mit allem Nötigen ausstatte.«

»Gehört dazu auch Servicepersonal? Ich denke da an Kellner und Hostessen.«

»Kellner ja. Aber Hostessen? Auf keinen Fall. Wir sind ja keine Zuhälter.«

»Woher haben Sie Ihre Kellner? Die sind doch nicht fest angestellt?«

»Nun ja, ab und zu bedienen ein paar meiner Leute aus der Baufirma. Ich bezahle nämlich nicht gerade gut und die Männer sind froh, sich ein paar Euro dazu verdienen zu können.«

Bärbel schrieb eifrig mit, was Tina ihr mit einem dankbaren Lächeln quittierte.

Sie fragte weiter: »Haben Sie auch Servicepersonal, das sie von auswärts holen? Aus der Universität zum Beispiel?«

»Ja selbstverständlich. Die jungen Leute sind richtig dankbar, wenn sie sich ein paar Euro verdienen können. Sie reißen sich förmlich darum, bei mir arbeiten zu dürfen.«

»Sagt Ihnen der Name Bertram Hofer etwas?«

Oberhofer griff sich ans Kinn und schien nachzudenken. Plötzlich erhellte sich sein Gesicht und er lachte: »Ja, Bertram. Sicher. Der war auch da. Ein sehr guter und umsichtiger Junge. Er war immer sofort da, wo er gebraucht wurde. Ich hab ihm auch gesagt, dass er öfter bei mir aushelfen darf. Kennen Sie ihn etwa?«

»Nein! Aber er ist der Grund, weshalb ich hier bin!«

Oberhofer schien sich zu wundern: »Wieso das denn? Hat der Junge etwas angestellt? Ich helfe ihm natürlich. Braucht er einen Anwalt?«

Tina schüttelte den Kopf: »Nein, helfen können Sie ihm nicht und einen Anwalt braucht er auch nicht mehr. Er ist nämlich tot.«

Oberhofer war sichtlich betroffen: »Tot? Aber wie das denn? War er krank? Hatte er einen Unfall?«

»Nein. Er wurde umgebracht. Auf eine brutale und scheußliche Art umgebracht.«

Oberhofer schien aufgeregt: »Umgebracht, sagen Sie? Wie wurde er …?«

»Das darf ich Ihnen leider nicht sagen«, sagte Tina und nickte Bärbel zu.

Bärbel blickte von ihrem Block auf: »Wir brauchen dann noch eine Gästeliste von Ihnen sowie eine Aufstellung aller Bediensteten, die an Ihrer Party beteiligt waren. Sie haben doch eine solche Aufstellung? Wegen der Steuer, meine ich.«

»Ja. Ja, selbstverständlich. Ich lasse sie Ihnen schnellstmöglich zukommen.«

»Gut, hier haben Sie meine Karte. Ich brauche diese Aufstellung möglichst noch heute«, sagte Tina und überreichte Oberhofer ihre Visitenkarte. Er nahm sie, warf einen kurzen Blick darauf und steckte sie ein.

»Ich werde mein Bestes geben. Ich beauftrage sofort meine Sekretärin damit.«

Tina sagte zu Oberhofer: »Eine Frage hätte ich noch. Ihr Laden – Ihre Metzgerei. Wie läuft die so? Machen Sie gute Umsätze damit?«

Er lächelte verlegen: »Nun, reich werde ich damit nicht. Die Anzahl meiner Kunden ist durchaus überschaubar.«

»Was machen Sie dann mit den Waren, die Sie nicht verkaufen?«

»Nun, die gebe ich an Bedürftige weiter. An Altersheime, an die Sozialstationen. An Organisationen, die sich um Obdachlose und arme Leute kümmern.«

»Aha? Und Sie bekommen dafür Geld?«

Er hob abwehrend beide Hände: »Wo denken Sie hin? Ich verlange nichts dafür. Ich bin doch froh, wenn ich nicht alles wegwerfen muss.«

»Aber eine gewisse gesellschaftliche Anerkennung bekommen Sie doch sicher?«

Er hob scheinbar verlegen die Schultern: »Naja ein paar Aufträge für meinen Partyservice bekomme ich dafür schon, aber sonst?«

»Sonst nichts?«, fragte Tina misstrauisch.

»Doch. Mir wurde bei der letzten Party, also die vor fünf Tagen, zugetragen, dass ich am Samstag eingeladen sei und dort im Rahmen einer Veranstaltung eine offizielle Anerkennung für meine soziale Tätigkeit bekommen soll. Aber das ist noch nicht spruchreif.«

»Sie haben also noch keine schriftliche Einladung?«

»Nein, nicht direkt. Aber ich habe den Auftrag bekommen, die Feier auszurichten. Bei dieser Gelegenheit sagte mir der Herr Staatssekretär, dass auch ich zu den geladenen Gästen gehören werde.«

»Aha? Ist das nicht seltsam?«

»Es mag Sie vielleicht verwundern, dass ausgerechnet ich zu dem Fest geladen bin. Das hat aber absolut nichts damit zu tun, dass ich für die Feierlichkeiten einen Sonderpreis gemacht hab.«

»Sie haben sich also eingekauft?«

Er hob abwehrend die Hände: »Nein. Um Gottes Willen, nein! Wo denken Sie hin? Ich kaufe mich nirgendwo ein. Das Geschäft mit dem Partyservice macht normalerweise mein Sohn. Das heißt, er übernimmt die organisatorischen Aufgaben, und für den Rest sorge ich.«

»Gut, dann weiß ich Bescheid. Auf Wiedersehen«, verabschiedete sich Tina, vermied es dabei aber, Oberhofer die Hand zu geben, die er ihr hinreckte.

Auch Bärbel übersah die Hand und verabschiedete sich: »Auf Wiedersehen, Herr Oberhofer.«

»Auf Wiedersehen die Damen.«

Tina und Bärbel gingen zu ihrem Fahrzeug zurück. Als sie eingestiegen waren, fragte Tina: »Was hältst du von dem Typen?«

»Ich würde sagen, ein aalglatter Geschäftsmann, der überall seine Vorteile zu nutzen weiß!«

»Und was ist mit seinem sozialen Engagement?«

»Nichts. Aufgeblasene Luftballons würde ich sagen.«

»Nun ja, wir werden sehen.«

»Du meinst wegen der Veranstaltung? Kann es sein, dass es dieselbe ist, zu der uns Onkel Ernst eingeladen hat?«

»Ich hoff nicht.«

»Mir fällt grad ein: Ich hab nichts zum Anziehen für so eine Veranstaltung. Ich hab kein gscheits Dirndl, kein Abendkleid oder so etwas.«

»Dann besorgen wir dir was«, lachte Tina Bärbel an.

»Aber wo? Die Läden hier sind doch sauteuer. Da kann ich mir nichts leisten.«

»Wir fahren heut noch mal heim. Dann schaun wir mal in Mittersill, obʼs da nicht was für dich gibt. Die Läden sind zwar auch nicht grad billig, aber was sollʼs?«

»Gut, einverstanden. Aber du kommst mit in den Laden.«

»Wozu? Du kannst dir doch dein Kleid selber kaufen.«

»Ich brauch dich aber als Beraterin.«

»Jetzt fahren wir erst einmal ins Dezernat. Dann sehen wir weiter.«

»Ich hätt aber Hunger.«

»Gut, dann fahr wir noch zu einem Standl, der Würstl hat.«

»Würstl? Mir wär aber jetzt eher nach einem Schnitzel.«

»Du bist ganz schön anspruchsvoll, weißt du?«

Bärbel lächelte zu Tina hinüber. »Ich weiß. Drum bin ich auch, wie Kathi sagt, kuscheliger.«

»Also, dann fahr mal zu einem Restaurant.«

»Danke! Dafür lad ich dich auch ein!«

Bärbel steuerte das nächste Lokal an, das auf ihrem Weg lag. Sie stellte den Wagen ab und sie betraten die Gastwirtschaft. Es war eine kleine Wirtschaft, die man in Wien wohl als Beisl bezeichnen würde. Gemütlich eingerichtet und augenscheinlich gut besucht. Tina und Bärbel hatten Mühe, einen freien Platz zu finden.

Sie sahen sich suchend um, bis ein Kellner zu ihnen kam und sie ansprach: »Guten Tag, die Damen. Sie brauchen einen Platz?«

»Ja, bitte«, lächelte Bärbel ihn an.

»Bitte folgen Sie mir.«

Er winkte ihnen kurz zu und ging voraus in einen kleinen Nebenraum, der sehr modern eingerichtet war. Der Kellner rückte ihnen die Stühle zurecht und schien von Bärbel fasziniert zu sein: »Sie sand wohl das erste Mal bei uns?«

»Ja, wir sind sozusagen auf der Durchreise«, antwortete Tina, die Bärbel belustigt beobachtete, da sie den Kellner offenbar sympathisch fand. Dieser verbeugte sich leicht vor Bärbel und flüsterte ihr zu: »Darf ich Ihnen etwas empfehlen?«

»Ja, bitte«, lächelte ihn Bärbel an.

»Also wir hätten heut ganz frisch eine Paradeisercremesuppe mit Ochsenschwanztascherl und ein gebratenes Hendl auf Kukuruzpolenta mit Zitronenconfit.«

Bärbel war begeistert: »Das klingt ja köstlich. Bringen Sie mir eine Portion davon.«

»Sehr gerne, die Dame«, antwortete der Kellner und fragte Tina: »Was darf ich Ihnen bringen?«

»Nur die Suppe bitte.«

»Was hätten die Damen gerne zu trinken?«

»Mir ein Skiwasser bitte«, bestellte Bärbel.

Der Kellner blickte wieder zu Tina: »Und Sie? Was darf ich Ihnen anbieten?«

»Mir bitte ein Viertel Gspritzten.«

»Sehr gerne, die Dame.«

Der Kellner notierte alles und ging weg.

»Musst du denn gleich mit dem Kellner flirten?«, fragte Tina leicht amüsiert.

»Ich hab doch gar nicht …«

»Ich hab doch gsehn, wie du ihn anglächelt hast!«

»Darf ich nicht mehr freundlich sein?«, fragte Bärbel beleidigt.

»Doch! Aber nicht gleich so!«, sagte Tina mit einem leichten Augenzwinkern.

»Weißt was Tina? Du bist unmöglich! Ziehst mich hier auf. Ich kann doch auch nichts dafür, wenn der Kellner mich falsch versteht.«

»Bitte, die Damen!«, unterbrach sie der Kellner und stellte ihnen die Getränke auf den Tisch. »Das Essen kommt gleich!«, sagte er noch mit einem schmachtenden Blick auf Bärbel, ehe er entschwand.

»Da hast es. Der macht sich schon Hoffnungen.«

»Aber wieso denn? Ich hab doch gar nichts gmacht?«

»Das nicht, aber dein Lächeln hat mehr gsagt als tausend Worte.«

»Gut, dann sag ich jetzt gar nichts mehr und mach die Augen zu, wenn er wiederkommt.«

»So ein Blödsinn«, sagte Tina und nahm ihr Glas. Sie trank einen Schluck daraus und verzog den Mund: »Pfui Teifel! Ein Sauerampferzeugs ist das!«

»Hättst dir auch was anders bstelln solln! Alkohol im Dienst? Na, ich weiß nicht?«, sagte Bärbel kopfschüttelnd.

»Ich bin aber jetzt nicht im Dienst. Wir haben Mittagspause und da trink ich, was ich will.«

»So! Bitte, die Damen. Die Suppe«, sagte der Kellner und stellte ihnen die Suppenteller auf den Tisch.

»Vielen Dank«, lächelte ihn Bärbel wieder an.

»Sehr gerne«, lächelte der Kellner zurück.

Als er sich abwandte, um zu gehen, rief ihm Tina noch nach: »Sagen Sie mal, Herr Ober! Was für einen sauren Wein nehmen Sie für die Gspritzten?«

»Warum? Stimmt etwas nicht?«, fragte der Kellner erstaunt.

»Das will ich meinen! Das schmeckt ja ekelhaft sauer! Wo haben Sie den Wein dafür her?«

»Tut mir leid, meine Dame. Ich bring Ihnen gleich einen neuen. Derfs ein Chardonnay sein?«

»Ja, Hauptsache nicht so sauer!«

Der Kellner nahm das Glas weg. »Kommt sofort, meine Dame.«

Kurz darauf kam er mit einem neuen Glas zurück und stellte es vor Tina auf den Tisch: »Zum Wohl, die Dame.«

Tina nahm es zur Hand und trank, argwöhnisch vom Kellner beobachtet, einen kleinen Schluck daraus.

»Darf ich annehmen, dass er jetzt so passt?«, fragte der Kellner überfreundlich.

»Ja, so kann man ihn trinken. Vielen Dank«, lächelte nun auch Tina ihn an.

Der Kellner verbeugte sich und ging weg.

»Jetzt hast du ihn aber auch angelächelt«, rügte Bärbel Tina.

»Na und? Das war ganz etwas anderes. Ich hab mich nur bedankt.«

»Ich war auch nur freundlich.«

»Schluss jetzt mit dem Schmarrn. Essen wir, damit wir weiter kommen.«