Mord in der Alpenvilla - Walter Bachmeier - E-Book

Mord in der Alpenvilla E-Book

Walter Bachmeier

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Der dritte Fall für Inspektorin Tina Gründlich Tina und Bärbel sind gerade dabei, im Garten Äpfel zu pflücken, da klingelt das Telefon. Die Polizeizentrale aus Zell hat einen neuen Fall für sie. Die Tochter eines bekannten Neukirchener Heilers ist ohne erkennbaren Grund beim Mittagessen tot vom Stuhl gefallen. Tina und Bärbel beginnen sofort zu ermitteln. Schon bald stellt sich heraus, dass das Mädchen vergiftet worden ist. Als kurz darauf eine weitere Leiche gefunden wird, ist schnelles Handeln gefragt! Von Walter Bachmeier sind bei Midnight by Ullstein erschienen: Mord in der Schickeria (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 1) Mord an der Salzach (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 2) Mord in der Alpenvilla (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 3) Mord im Pinzgau (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 4) Mord in der Berghütte (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 5) Mord am Wildkogel (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 6) Affären, Alpen, Apfelstrudel (Chefinspektor Egger Fall 1) Berge, Brotzeit, Bauernherbst (Chefinspektor Egger Fall 2) Koppeln, Kühe, Kaseralm (Chefinspektor Egger Fall 3) Morde, Matsch, Marillenknödel (Chefinspektor Egger Fall 4) Diebe, Dörfer, Dampfnudeln (Chefinspektor Egger Fall 5) Gauner, Glühwein, Geigenklänge (Chefinspektor Egger Fall 6)

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Der AutorWalter Bachmeier, geboren 1957 in Karlsruhe, wuchs in Münchsmünster in der Hallertau auf. Nach seiner Ausbildung zum Koch begann er unter dem Pseudonym zu schreiben. Sein erstes Werk war ein Kochbuch, das sehr erfolgreich verkauft wurde. Dies gab ihm den Ansporn, seinen Beruf aufzugeben und weiter zu schreiben. Im Laufe der Jahre entstanden so mehrere Erzählungen, Kinderbücher und Artikel in verschiedenen Tageszeitungen. Seit etwa 2012 widmet er sich voll und ganz der Literatur. Immer wieder finden in seinen Büchern auch Erlebnisse aus seinem Leben Platz.

Das Buch

Der dritte Fall für Inspektorin Tina GründlichTina und Bärbel sind gerade dabei, im Garten Äpfel zu pflücken, da klingelt das Telefon. Die Polizeizentrale aus Zell hat einen neuen Fall für sie. Die Tochter eines bekannten Neukirchener Heilers ist ohne erkennbaren Grund beim Mittagessen tot vom Stuhl gefallen. Tina und Bärbel beginnen sofort zu ermitteln. Schon bald stellt sich heraus, dass das Mädchen vergiftet worden ist. Als kurz darauf eine weitere Leiche gefunden wird, ist schnelles Handeln gefragt!Von Walter Bachmeier sind bei Midnight erschienen:Mord in der Schickeria (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 1)Mord an der Salzach (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 2)Mord in der Alpenvilla (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 3)

Affären, Alpen, Apfelstrudel (Chefinspektor Egger Fall 1)

Walter Bachmeier

Mord in der Alpenvilla

Ein Alpenkrimi

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei Midnight Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Januar 2017 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95819-097-9  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Kapitel 1

»Du soist de Äpfe nit essen, sondern in Korb eini doa!«, rief Tina Bärbel zu, die auf einer hohen Leiter in einem Apfelbaum stand.

»Wenns aba so guat sand?«, antwortete Bärbel mit vollem Mund.

»Deswegen sollns ja aa a Most werdn!«

»Hoitst amoi de Loater fest? I kumm jetz obi. Des Körberl is voi!«, rief Bärbel von oben.

Tina hielt die Leiter fest, die bedenklich schwankte, als Bärbel Sprosse für Sprosse nach unten stieg. Sie schaute nach unten, damit sie nur ja keine Sprosse übertrat. Sie warf nur einen kurzen Blick über die Schulter und stieß einen Schrei aus: »Poldi!«

Tina erschrak und schaute zu ihr nach oben: »Was ist denn los? Was schreist du so?«

Bärbel zeigte hinüber zu Tinas sorgfältig gepflegtem Blumenbeet: »Do! Schau eahm an, den Fallott! Deine Bleamal!«

Tina drehte sich um und schaute in die Richtung, in der sie ihre Blumenrabatten wusste. Tatsächlich! Da stand Poldi inmitten der Gladiolen und grub mit seinen Pfoten ein Loch. Die Erde flog nur so zwischen seinen krummen Dackelbeinen heraus. Ab und zu zog er die Nase aus dem Loch, nieste kurz, um gleich darauf wieder weiterzugraben. Tina ließ die Leiter los und rannte zu ihren Blumen. Die erste von ihren besonders schönen rosa Gladiolen fiel soeben um, als sie Poldi erreichte. Sie packte ihn am Genick und zog ihn von dem Loch weg. Poldi jaulte auf, worauf ihn Tina sofort wieder losließ, denn sie glaubte, sie hätte ihm wehgetan. Wahrscheinlich war er aber nur erschrocken ob des plötzlichen Angriffs. Sofort steckte Poldi wieder seine Nase in das Loch und grub weiter. Wieder packte ihn Tina und zog ihn davon weg. Poldi zappelte und jaulte, was aber Tina nicht davon abhielt, ihn weiter weg zu tragen. Kaum hatte sie ihn ein paar Meter entfernt wieder auf den Boden gesetzt, rannte er los und war schneller wieder an seinem Loch, als Tina reagieren konnte. Wieder buddelte er und Tina musste beinahe lachen, als sie sah, wie angestrengt und verbissen er an dem Loch arbeitete.

Bärbels Ruf: »Deine Dahlien!«, holte sie wieder zurück in die Wirklichkeit. Entsetzt sah sie, dass ihr ganzer Stolz, ihre dunkelroten Ponpondahlien, die sie mit viel Sorgfalt und Liebe viele Jahre lang gehegt und gepflegt hatte, umgeknickt am Boden lagen.

»Jetzt langt’s aber!«, rief sie und packte Poldi erneut am Kragen. Er jaulte auf und zappelte, wohl in der Hoffnung, dass Tina ihn wieder loslassen würde. Da hatte er aber die Rechnung ohne Tina gemacht.

»Holst mir bitte die Hundeleine?«, rief sie Bärbel zu, die bereits am Boden vor der Leiter stand.

Bärbel rannte über die Terrasse ins Haus und kam kurz darauf mit Poldis Hundeleine zurück. Das Halsband hatte er ohnehin um, so war es für Tina ein Leichtes, ihn an die Leine zu nehmen. Poldi merkte augenscheinlich, dass es jetzt mit seiner Freiheit vorbei war, zog und zerrte verzweifelt daran und versuchte auch, seinen Kopf aus dem Halsband zu bekommen. Tina zog ihn an der Leine bis zum Zaun und band ihn dort fest. Sie klopfte sich die Hände an der Jeans ab und schaute Poldi triumphierend an: »So! Das hast jetzt davon! Zwei Stunden Leinenhaft sind dir sicher!«

Selbst sein leises Winseln und kurzes bettelndes Kläffen brachten sie nicht dazu, sich umzudrehen. Ihr fiel es zwar schwer, aber was sein musste, musste eben sein. Sie ging zurück zu Bärbel und gemeinsam hoben sie den inzwischen vollen Korb hoch und trugen ihn ins Haus. »Bring mer den glei ins Bad. De muass ma waschn. Do is a Haufn Vogelschiss drauf und den möcht i nit in meim Most drin hobn«, sagte Tina.

Bärbel schaute sich um. »Wiavui Baam ham mia denn no?«

»Fünfe«, antwortete Tina.

»Des gibt aba an Haufn Most«, lachte Bärbel.

»So vui aa wieda nit. Da Günther hoit se gwieß sein Anteil«, erwiderte Tina.

Günther war Tinas Exmann, mit dem sie aber immer noch eine gute Freundschaft verband. Stets war er zur Stelle, wenn sie ihn brauchte. Dabei war es egal, ob tagsüber oder auch mitten in der Nacht. Er war gelernter Schreiner und hatte ihr kleines Häuschen von außen mit Lärchenbrettern verschlagen, als er noch hier wohnte. Diese Bretter waren inzwischen aber schon stark angegraut, was dem Haus ein gewisses Flair verlieh. Noch war schönstes Wetter und die Luft roch nach Kräutern und frisch gemähtem Gras. Die Bauern hatten es an diesem Tag eilig, ihre Heuernte einzubringen, denn über dem westlich von Wenns gelegenen Steinkarkopf tauchten die ersten dunklen Wolken auf. Die Wiesen der Bauern allerdings lagen am Fuße des Elferkogels, der sich südlich von Wenns befand. Auf dem Hang, der nur leicht abfiel, hatte Tina mit ihren Eltern die ersten Schwünge auf Skiern gelernt. Dort hatte sie auch ihrem inzwischen dreizehnjährigem Sohn Tommy und der achtjährigen Kathi das Skifahren beigebracht. Die Hänge oben am Wildkogel waren für die Kinder als Anfänger nach Tinas Meinung noch zu steil.

Als Tina und Bärbel den Korb geleert hatten, schaute Tina aus dem Fenster. »Mia müssn uns tummeln, wenn mer no an Kurb schaffn wolln. Glei fangst an zum renga.«

Sie packte den Korb und ging damit wieder hinaus in den Garten. Bärbel folgte ihr bis zur Leiter. Poldi jaulte und bellte, da er sich freute und offenbar hoffte, endlich von der Leine gelassen zu werden. Tina tat so, als sähe sie ihn nicht. Bärbel nahm den kleinen Korb und stieg die Leiter empor. Das Donnergrollen, das anfangs noch leise von den Bergen herunter zu hören war, wurde immer lauter. Es hörte sich an, als würde irgendjemand auf einer überdimensionalen Kegelbahn kegeln. Der helle Widerschein in den Wolken zeigte, dass es auch gehörig blitzte. Schon fielen die ersten Tropfen. Nun kam auch noch Wind auf, der an den Ästen der Bäume zog, als ob er sie umknicken wollte. Der Wind peitschte ihnen den Regen ins Gesicht. Es fühlte sich an wie tausend Nadelstiche.

»Lass mas guat sein fia heit. De Äpfe laffn uns schon nit davo«, meinte Tina.

»I ram blos no de Loater weg. Nacha kennen mia abwoartn bis wieda aufhört«, erwiderte Bärbel, die sofort wieder von der Leiter stieg.

Poldi jaulte herzzerreißend, denn er hatte augenscheinlich fürchterliche Angst. In seinem jungen Leben hatte er wohl noch nie ein Gewitter erlebt. Während Bärbel die Leiter in die kleine Werkstatt neben dem Haus brachte, ging Tina zu Poldi und ließ ihn von der Leine. Der kleine Hund schüttelte sich kurz und rannte sofort zur Terrasse, wo er vor der Türe stehen blieb und sich noch einmal schüttelte.

»Poldi! Hör auf damit!«, rief Tina, als sie dies sah. Die Glasscheibe der Türe war übersät von Spritzern, die nicht nur aus Wasser bestanden, sondern auch noch eine Menge Dreck beinhalteten, der aus Poldis Fell herausgewaschen wurde. Der Wind wurde immer heftiger und schon bald blies ein Sturm durch das Tal wie schon lange nicht mehr.

Plötzlich ein greller Blitz, gefolgt von einem Donnerschlag, der die Scheiben in Tinas Haus erzittern ließ. Poldi jaulte auf und rannte zu Bärbel, die soeben aus der Werkstatt kam. Bärbel blieb stehen, als das kleine braune Bündel auf sie zurannte. Der Hund drückte sich an ihre Beine und blickte sie ängstlich an. Bärbel bückte sich und streichelte ihn. Dabei spürte sie, wie der kleine Kerl zitterte. Dann begann er auch noch zu winseln. Bärbel nahm ihn und hob ihn hoch. Mit dem Hund auf den Armen rannte sie zur Terrasse, wo Tina schon die Türe aufhielt.

»Schau eahm an, dea klaane Kerl. Dea hot Aungst«, sagte sie zu Tina und trug ihn ins Haus.

Tina schaute durch die Scheibe nach draußen. »Mir is aa nit wohl, wann i mia des so anschau. So a Weda hom mer scho lang nimma khob.«

»I geh eahm schnö woschn. Dea is ja stermsvoi Dreck«, meinte Bärbel und ging mit Poldi ins Bad. Kurz darauf hörte Tina, wie Bärbel mit Poldi werkte: »Do bleibst! Naa, nit do aussi! Jetz hob di nit a so! Heast auf! Du mochts mi ja ganz noß! Herrschaftszeitn! Naa! Nit oda?«

Offenbar wollte Poldi nicht geduscht werden, denn kurz darauf kam Bärbel pitschnass aus dem Bad, gefolgt von einem siegessicher dreinblickenden Dackel.

»Schau mi an! Wascherlnass hot ea mi gmocht!«, schimpfte Bärbel, als sie ins Wohnzimmer kam.

»As obtrocknen host scheints aa vogessn«, meinte Tina und zeigte auf Poldi, der sich mitten im Zimmer noch einmal ordentlich schüttelte, wobei das Wasser in alle Richtungen davonspritzte.

»Geh, hör auf Poldi! Do muass i aa no oisse putzn!«, schimpfte Bärbel. Poldi lief ungerührt in die Küche und legte sich dort in sein Körbchen.

Tina Gründlich, die Polizeimajorin, inzwischen dreiunddreißig Jahre alt, lebte mit ihrer Lebensgefährtin Barbara Kürzinger, kurz Bärbel genannt, nun schon seit einiger Zeit zusammen. Eine schwere Verletzung, die Bärbel bei einem gemeinsamen Einsatz zugefügt worden war, hatte die beiden zusammengeführt. Damals hatten die beiden bemerkt, dass sie mehr als nur kollegiale Gefühle füreinander hegten und wurden ein Paar. Tina war zu diesem Zeitpunkt bereits geschieden. Ihr Beruf, den sie ebenso liebte, wie auch manchmal verfluchte, war schuld daran gewesen. Sie hatte einfach zu wenig Zeit für Günther, ihren Ehemann, gehabt, und so beschlossen sie eines Tages, sich zu trennen. Der ständige Streit war zu einer Zerreißprobe geworden, der ihre Ehe nicht standhielt. Die Kinder, Tommy und Kathi, sollten nicht darunter leiden. Günther war ihr aber trotzdem ein guter Freund geblieben, der immer dann da war, wenn sie ihn brauchte. Tina war eine hübsche junge Frau, etwa einmetersiebzig groß, schlank, sportlich, mit langen, schwarzen Haaren. Ihre dunkelbraunen Augen leuchteten manchmal bernsteinfarben, wenn sie in eine extreme psychische Situation geriet.

Bärbel war zunächst als Kommissäranwärterin zu Tina versetzt worden, da Hofrat Steiger, Bärbels Patenonkel, der Meinung war, dass Tina ihr ein Vorbild sein sollte. Außerdem benötigte Tina zu diesem Zeitpunkt dringend eine Assistentin, die sie bei ihrer Arbeit tatkräftig unterstützte. Bärbel war bei ihrem Antritt in Tinas Team Mitte zwanzig, verheiratet, aber noch kinderlos. Sie hatte schulterlange, blonde Haare, strahlend blaue Augen und ein madonnenhaftes Gesicht. Mit ihrer Größe von knapp einmetersiebzig war sie annähernd so groß wie Tina. Damals war sie noch schlank und sportlich gewesen, was sie nicht zuletzt ihrer Ausbildung an der Polizeischule in Großgmain verdankte, wo sie regelmäßig Sport trieb. Mit der Zeit aber hatte Bärbel etwas zugenommen, was ihr ab und zu den Spott ihrer Freundin einbrachte.

Während ihrer gemeinsamen Arbeit beförderte Tina Bärbel kurzerhand zur Kommissärin, da sie dringend eine aktive Kollegin brauchte, die auch mal zur Waffe greifen durfte. Nicht bei allen war ihre Entscheidung gut angekommen, aber Hofrat Steiger unterstützte sie, wo er nur konnte.

Hofrat Steiger war ein Mann in den Sechzigern, der Tina schon seit ihrer Ausbildung kannte. Sie war damals bei ihm Praktikantin gewesen und hatte ihm einmal das Leben gerettet. Seither waren sie sehr gute Freunde. Steiger war ihr ein väterlicher Freund geworden, der immer für sie da war, wenn sie ihn brauchte. Nur eine Angewohnheit hatte er, die sich Tina ab und zu in freundschftlichem Ton verbat. Er nannte sie Tinakind. Meistens auch dann, wenn er für sie einen besonderen Einsatz hatte. Kurz nach Tinas Scheidung hatte er sich erhofft, der neue Mann an Tinas Seite zu werden. Sie aber war der Meinung, dass er für sie und ihre Kinder eigentlich schon zu alt wäre. Zu seinem ausdrücklichen Bedauern musste er das wohl oder übel so akzeptieren.

Ernst Steiger sah sich auch als Protéger Tinas, den sie in privatem Kreis auch mal Ernstl nennen durfte. Er hatte eine lange und erfolgreiche Karriere hinter sich, der er auch seine Ernennung zum Hofrat verdankte. Er verfügte über ein ansehnliches Einkommen und ein großes Haus in einem Vorort Salzburgs. Seine Schwester Kordula, liebevoll Kurdel genannt, sorgte für ihn wie eine Mutter. Um nicht selber mit dem Auto fahren zu müssen, stand ihm sein Fahrer, Franz-Josef stets zur Seite.

Kapitel 2

Das Telefon in der Diele schellte laut und durchdringend. Poldi gab seinen Kommentar dazu, indem er laut aufheulte. Er mochte dieses Geräusch offenbar nicht leiden, denn er jaulte jedes Mal, wenn er das Klingeln hörte. »Entweder er gwöhnt sich dran oder ich muss ein anderes Telefon kaufen«, hatte Tina schon des Öfteren gesagt. Nun nahm sie den Anruf an: »Gründlich?«

»Polizeizentrale Zell, Frau Gründlich. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie am Wochenend stör, aber wir haben hier einen Todesfall mit ungeklärter Ursach. Könnten Sie sich drum kümmern? Die Kollegen sind anderweitig eingsetzt«, vermeldete der Anrufer.

»Schon gut. Wir haben eh schlechts Wetter«, erwiderte Tina. »Worum geht’s denn?«

»In Neukirchen ist ein junges Mädchen tot von einem Stuhl gefallen. Die Ursache, so meinte der Notarzt, ist unklar.«

»Vom Stuhl gfalln? Einfach so? Wo ist das denn? Wo müssen wir hin?«

»Nach Neukirchen zum Heiler Gallenberger. Das Maderl ist augenscheinlich tatsächlich einfach tot umgfalln. So sagt ihre Mutter wenigstens.«

Tina ließ sich noch die Adresse geben und rief Bärbel, die einstweilen damit begonnen hatte, den Fußboden im Wohnzimmer zu wischen: »Bärbel! Mia miassn los! Es gibt Oabat!«

»I kumm schon! Lass mi des no firti mochn!«

»Jetz dummel di! Mia miassn noch Neikircha!«

»Jaja, so pressant werds aa nit sein.«

Obwohl sich Bärbel sichtlich beeilte, ging es Tina immer noch zu langsam: »Iatz mach endlich!«

»I muass mi aa no umziang! Du übrigens aa. Schau di amoi an. So konnst nit unter die Leit geh.«

Tina blickte an sich herunter und stellte fest, dass Bärbel durchaus recht hatte. So konnte sie wirklich nicht zu einem Tatort, wenn es denn einer war, fahren. Ihre Jeans waren schmutzig und ein Bein hatte sogar ein Loch. Ihr Sweatshirt hatte offenbar auch schon bessere Zeiten gesehen, denn es war über und über mit geflickten Stellen übersät.

»Du host recht. Gehng ma uns umziahng«, bestätigte sie und ging mit Bärbel ins Schlafzimmer, um dort ihre Kleidung zu wechseln. »Wos is jetz? Host as scho boid?«, trieb sie Bärbel an, die sinnierend vor ihrem Kleiderschrank stand.

»Glei! I hobs ja glei. I waaß blos nit, wos i anziahng soi.«

»Nimm oafach des blaue Kostüm, des passt dann scho.«

Bärbel nahm das Kostüm, das ihr Tina empfohlen hatte, aus dem Schrank und zog es an. Auch Tina hatte sich ein neues Kostüm aus dem Schrank geholt und angezogen. Bärbel hatte Mühe, den Reißverschluss am Rock zu schließen, worauf ihr Tina lachend half: »Du soitast wirkli amoi obnehma. Du werst ganz schee rund.«

»Rund und gsund«, erwiderte Bärbel und lachte ebenfalls.

»Naa ohne Gspass. Du muasst endlich amoi wos fia dei Figur doa.«

Bärbel schaute bedauernd in ihren Schrank. »Vielleicht host ja recht. De meistn Sochan do drin passn mir eh scho nimma.«

»Siehgst as? Obnehma is billiger ois wia ois nei kaffn.«

»Überredt! As nächste moi geh i mit dia ins Fitnessstudio«, gab Bärbel nach.

»Bist jetz fertig?«, fragte Tina, die sich soeben noch ihr Kostüm glattstrich.

»Ja, i hobs aa schon. Mia kennan foahn.«

»An Poldi miass ma aa mitnehma. Den bring ma zur Frieda. De konn scho auf eahm aufpassn«, sagte Tina. Tante Frieda war die Schwester von Günther, Tinas Exmann. Sie freute sich immer, wenn sie Tinas Kinder oder Poldi zum Aufpassen bekam. So hatte ihr ansonsten eher langweiliger Tag ein wenig Abwechslung.

Die Frauen verließen das Schlafzimmer und gingen in Tinas Büro, wo sie ihre Waffen in einem kleinen Tresor aufbewahrten. Das diente der Sicherheit, vor allem der Kinder wegen. Diese wussten zwar, dass die Pistolen kein Spielzeug waren, aber sicher ist nun mal sicher.

Tina holte die Hundeleine vom Haken in der Diele, wo sie sie kurz zuvor aufgehängt hatte. Schon kam Poldi angerannt, der annahm, dass er jetzt Gassi gehen durfte und sich entsprechend freudig benahm. Tina und Bärbel zogen ihre Jacken an, steckten die Waffen in ihre Taschen und verließen das Haus. Eilig rannten sie zu Tinas Dienstfahrzeug, denn es regnete noch immer in Strömen. Der Wind hatte zwar nachgelassen, aber das Gewitter selbst tobte in dem kleinen Tal. Das Echo der Donnerschläge hallte an den Bergen ringsum wider, als würde die Welt untergehen. Tina öffnete die hintere Türe, durch die Poldi auf den Rücksitz springen konnte. Tina hatte ihm dort schon vor einiger Zeit eine alte Decke hingelegt, da er des Öfteren mitfahren durfte und so die Sitze nicht so stark verschmutzten. Schließlich war das Auto ja ein Dienstfahrzeug und Tina als Fahrerin war verantwortlich für den Zustand des Wagens.

Als sie im Wagen saßen, fuhr Tina zuerst zu Tante Frieda. Dort stand Günthers Auto.

»Was macht der denn hier?«, wunderte sich Tina. Als sie vor dem Hoftor anhielt, wurde die Haustüre geöffnet und die Kinder kamen heraus. Sie blieben aber vor der Türe stehen, denn es regnete immer noch stark. Tina stieg aus und holte Poldi vom Rücksitz. Sie brachte ihn mit der Leine zu den Kindern und sah sie erstaunt an: »Was macht ihr denn hier? Wo ist euer Vater?«

»Wir waren auf dem Spielplatz drüben und wie es angfangen hat zu regnen, sind wir mit Papa einfach zu Tante Frieda gegangen. Das ist ja nicht weit gwesen«, erklärte Kathi.

Tina hielt Kathi die Hundeleine hin: »Da, passt gut auf ihn auf. Tante Bärbel und ich müssen arbeiten. Ich weiß noch nicht, wann wir wieder daheim sind.«

Nun kam auch Tante Frieda an die Türe: »Hallo Tina. Wollt ihr reinkommen, eine Tasse Kaffee trinken?«

»Nein danke Frieda. Ich muss gleich weiter. Wir haben eine Tote drüben in Neukirchen.«

Frieda schlug die Hand vor den Mund: »Um Gotts wülln! Wea is es denn? Is sie umbracht wordn? Waaß ma scho wers woar?«

»Nein, Frieda. Wir wissen noch gar nichts. Außerdem … du weißt ja.«

»Jaja, i waaß scho. Du derfst as mia nit song.«

»Genau! Jetzt muss ich aber los. Bis später.«

»Jo, bis spater.«

Tina wandte sich noch den Kindern zu: »Ihr seid schön brav und folgt der Tante.«

»Das machen wir doch immer. Außerdem ist der Papa ja auch noch da«, antwortete Tommy, der hinter Kathi stand. Tina wandte sich um und ging zum Auto.

Da es von Wenns nicht weit bis nach Neukirchen war, trafen sie kurz darauf bei der angegebenen Adresse ein. Das Haus, nein, eigentlich war es eine großzügige Villa, stand am Hang. Eine breite Treppen aus Marmor führte hinauf. Vor den Garagen, die unten an der Straße waren, standen zwei Streifenwagen und das Fahrzeug der Spurensicherung. Tina stellte ihr Auto hinter den anderen Fahrzeugen ab. Bärbel folgte ihr, als sie die Treppen nach oben stieg. An der mächtigen Haustüre, die aus geschnitzter Eiche war, erwartete sie bereits Dienstgruppenleiter Hutterer, der militärisch grüßte: »Guten Tag, Frau Major. Guten Tag Frau Kommissär.«

»Guten Tag, Herr Hutterer«, grüßten ihn die beiden Frauen unisono.

Hutterer öffnete die Türe und zeigte in den Flur: »Ganz hinten, am Ende des Ganges. Im letzten Zimmer rechts liegt das Opfer.«

»Opfer?«, fragte Tina verwundert. »Wieso Opfer? Ist es denn schon sicher, dass ihr Gewalt angetan wurde?«

»Das nicht, aber sie ist jedenfalls tot und keiner weiß warum.«

»Na, dann handelt es sich wahrscheinlich doch zumindest vorerst eher um eine weibliche Leiche und nicht um ein Mordopfer. Meinens nicht auch, Herr Hutterer?«

Hutterer nahm seine Dienstmütze ab und kratzte sich am Kopf: »Ja, da könntens schon recht haben, Frau Major.«

Tina betrat gemeinsam mit Bärbel den langen Flur. Schon bei den ersten Schritten dachte sie, sie ginge auf Wolken. Sie blickte nach unten und erkannte, dass sie auf einem weichen Berberteppich lief, der sicher handgeknüpft und daher nicht billig war. Entlang des Flures standen alte, beinahe schon antik wirkende Bauernmöbel und an den Wänden hingen offensichtlich sehr wertvolle alte Gemälde, denen ihr vergoldeter Stuckrahmen ein noch edleres Aussehen verliehen. Tina und Bärbel liefen weiter, bis sie an der von Hutterer bezeichneten Türe ankamen.

Bei dem Zimmer handelte es sich offenbar um das Esszimmer, denn hier standen neben einer barocken Anrichte auch etliche mit rotem Samt bespannte Stühle vor einem mit Porzellangeschirr gedeckten Tisch. Vor dem Tisch kniete Otto, der Gerichtsmediziner, neben einer weiblichen Leiche, die er soeben einer peniblen Untersuchung unterzog. Dazu hatte er die Bluse des Mädchens aufgeknöpft und ihr eine lange Nadel etwas oberhalb des rechten Hüftknochens hineingestochen. Diese Nadel, an der sich am oberen Ende ein Thermometer befand, zeigte offenbar die Temperatur der Leber an, anhand derer sich die ungefähre Todeszeit bestimmen ließ. Tina und Bärbel ließen sich von einem der Spurensicherungsbeamten Latexhandschuhe geben und beugten sich zu der Leiche. Tina nahm den Kopf vorsichtig zwischen ihre Hände und wendete ihn sanft in ihre Richtung. Sie blickte dabei in ein Gesicht, das sicher noch vor wenigen Stunden lachen, reden und singen konnte. Goldblondes Haar umrahmte die Gesichtszüge, die Augen, sicherlich blau, waren geschlossen und den zartrosa, fein gezeichneten Mund umspielte ein leises Lächeln, so als ob sie den Himmel sehen würde.

Tina war zunächst fassungslos, behielt aber die Ruhe. »Wie lange ist sie tot?«, fragte sie Otto. »So ein zwei Stunden vielleicht?«

Auch Bärbel beugte sich hinunter und betrachtete das Kind, das sie eigentlich noch gewesen war. »Wie alt war sie?«, fragte sie Otto.

»Siebzehn. Siebzehn unschuldige Jahre alt. Sie hieß Selina Gallenberger …«, antwortete er.

»Selina«, wiederholte Bärbel nachdenklich. »Ein schöner Name findet ihr nicht? Klingt irgendwie nach tausendundeiner Nacht.«

»Das war es auch«, war eine Stimme von der Türe her zu hören.

Tina und Bärbel drehten ruckartig den Kopf dorthin, wo die Stimme herkam. Vor ihnen stand ein Mann in Maßanzug und blitzblank geputzten Schuhen und machte einen sehr eleganten Eindruck. Beinahe konnte man meinen, Omar Sharif stünde vor einem. Graue, wellige Haare, nach hinten gekämmt, braune Augen und kleine Lachfältchen in den Augenwinkeln. Dazu trug er noch einen gepflegten Schnäuzer.

Tina schluckte erst, bevor sie fragte: »Wer sind Sie, bitte?«

»Na, wer soll ich schon sein? Ich bin der Hausherr hier. Also Selinas Vater.«

»Wie meinten Sie das vorhin?«

»Was? Was soll ich gemeint haben?«

»Na, Sie sagten doch, dass es so war, als meine Kollegin sagte, dass der Name klingt wie aus tausendundeiner Nacht.«

»Ach so? Das meinen Sie? Ja, das war tatsächlich so. Wissen Sie, meine Frau und ich haben lange geglaubt, dass uns der Herrgott keine Kinder schenken wollte. Bis Selina kam. Selina war wie ein Wunder für uns. Die Erfüllung eines lang gehegten Traumes. Wie ein Märchen aus tausendundeiner Nacht. Ihre Kollegin hat sozusagen den Nagel auf den Kopf getroffen. Der Name kommt übrigens aus dem Spanischen und bedeutet so viel wie ›die Himmlische‘«

Tina blickte noch einmal dem Mädchen in das Gesicht und nickte: »Ja, sehr treffend. Sie sieht auch aus wie ein Engel.«

Während Tina aufstand, blieb Bärbel noch in gebeugter Haltung stehen. Nun kniete sie sich auch noch hin und schien mit der Toten zu reden. Bevor sie aufstand, bekreuzigte sie sich und schwieg.

»Kann ich jetzt die Leiche wegbringen lassen?«, fragte Otto und zeigte auf das Mädchen.

»Ja, du kannst. Woran sie gestorben ist, kannst du mir jetzt sicher nicht sagen?«

»Nein, erst nach der Obduktion.« Tina wandte sich an Gallenberger: »Wer hat sie gefunden? War sie alleine zu Hause?«

»Nein, meine Frau war bei ihr, als …« Er schluckte und drehte sich weg. An seinen zuckenden Schultern glaubte Tina zu erkennen, dass er weinte. Er verließ das Zimmer und Tina folgte ihm. Draußen wollte sie ihm zunächst nachgehen, ließ es aber dann bleiben. Bärbel stand plötzlich neben ihr und nahm ihre Hand.

»Was war das denn eben?«, fragte sie Bärbel.

»Ich hab für sie gebetet. Sie ist doch gestorben und ich hab mir gedacht, ein kleines Gebet schadet sicher nicht.«

Tina lächelte sie an und sagte: »Naja, da hast du sicher recht, aber dafür ist der Pfarrer zuständig und nicht wir. Du lässt das wieder viel zu nahe an dich heran.«

»Vielleicht hast du ja recht, aber mir war eben so danach.«

Tina nahm Bärbel am Arm und zog sie mit sich: »Komm jetzt. Wir müssen unsere Arbeit tun.«

Aus dem Raum, der sich neben dem Esszimmer befand, hörte Tina jemanden kräftig schnäuzen. Neugierig ging sie dorthin und sah hinein. Eine ältere, verhärmt aussehende Frau saß dort auf einem Sessel, der mit edlem Gobelin bestickt zu sein schien. Tina klopfte kurz an die Türe. Die Frau hob den Kopf und blickte sie fragend an: »Ja, bitte?«

»Sind sie Frau Gallenberger?«

»Ja, bin ich.«

»Sie haben Selina gefunden?«

»Nein«, antwortete die Frau kopfschüttelnd. »Ich hab sie nicht gefunden. Sie ist vor meinen Augen gestorben.«

Tina betrat das Zimmer und zeigte auf einen weiteren Sessel: »Darf ich mich setzen?«

»Ja«, schniefte Frau Gallenberger und deutete auf das Kanapee, das an der Wand gegenüber der Sessel vor einem niedrigen Tischchen stand. »Bitte, nehmen Sie Platz.«

»Danke«, antwortete Tina und setzte sich. Auch Bärbel kam in das Zimmer, das offenbar das Wohnzimmer war, und setzte sich neben sie. Tina schaute um sich. Auch hier war alles vom Feinsten. Die Sitzmöbel mit Gobelin bestickt, ein großer alter Schrank, daneben eine Vitrine, die alte medizinische Werkzeuge beinhaltete und auch hier, wie im Flur, Werke alter Meister, die Tina nicht kannte. Tina zog ihr Handy aus der Tasche und schaltete die Diktierfunktion ein. »Frau Gallenberger. Ich hab da ein paar Fragen an Sie. Darf ich unser Gespräch aufzeichnen?«

»Wer sind Sie eigentlich?«, fragte Frau Gallenberger.

»Ach, entschuldigen Sie, wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Major Gründlich und das«, sie zeigte auf Bärbel, »ist meine Kollegin Kommissär Kürzinger. Wir sind von der Kripo Zell am See und ermitteln im Fall Ihrer Tochter Selina.«

Frau Gallenberger sprang plötzlich auf: »Fall? Meine Tochter ist kein Fall! Meine Tochter ist tot und das ist nur die Schuld von ihm! Seine Schuld allein. Er ist verantwortlich, dass Selina jetzt tot ist!«, schrie sie beinahe.

»Wer ist er?«, fragte Tina verwundert.

»Er? Er ist mein Mann! Herr Vincent Gallenberger ist schuld am Tod unserer Tochter! Er hat sie umgebracht! Er alleine ist verantwortlich dafür!«

»Wie soll ich das verstehen? Warum glauben Sie soll Ihr Mann schuld am Tod Ihrer Tochter sein?«

»Er ist schuld! Er wollte sicherlich mich umbringen, aber er hat dabei einen Fehler gemacht! Einen Fehler, der Selina das Leben kostete.«

Bärbel war verwirrt: »Wieso sollte Ihr Mann Sie umbringen wollen?«

»Weil er mich loswerden will! Er will alles hier haben! Er will alles für sich und seine Schnoin!«

»Langsam, langsam, Frau Gallenberger!«, versuchte Tina sie zu beschwichtigen, denn die Frau redete sich in Rage. Tina schnaufte tief durch: »So, Frau Gallenberger. Fangen wir von vorne an. Sie sagen, Ihr Mann trachtet Ihnen nach dem Leben? Warum sollte er das tun?«

»Weil ich mich scheiden lasse. Ich war schon beim Anwalt und der hat ihm das bereits schriftlich mitgeteilt.«

»Warum wollen Sie sich scheiden lassen?«

»Weil er fremdgeht! Ganz offensichtlich und er macht nicht einmal den Versuch, es vor mir zu verbergen.«

»Warum hat Ihr Mann etwas gegen die Scheidung, wenn er sich augenscheinlich anderweitig orientiert hat?«

Frau Gallenberger hob die Schultern: »Weil er dann auf der Straße steht. Wie ein Bettler. Ihm gehört nichts, gar nichts.«

»Wie darf ich das verstehen?«, fragte nun Bärbel wieder.

Frau Gallenberger holte weit mit der Hand aus: »Das alles hier, alles was Sie hier sehen, gehört mir. Ist mein Eigentum, mein ganz persönliches Eigentum. Ihm gehört gar nichts.«

»Aber das versteh ich jetzt nicht. Herr Gallenberger sagte vorhin, dass er der Hausherr sei.«

»Der Hausherr? Dass ich nicht lache! Das hätte er gerne! Ich bin der Hausherr. Das alles ist mein Eigentum. Er darf es zwar besitzen, aber es ist und bleibt meins und wenn ich mich scheiden lasse, kann er hier ausziehen. Egal wohin. Meinetwegen in den nächsten Müllcontainer!«

»Besitz? Eigentum?«, fragte Bärbel verständnislos »Wo ist da der Unterschied?«

»Das ist eine komplizierte Sache, junge Frau. Sie sollten das als Polizistin eigentlich wissen«, antwortete Frau Gallenberger. »Sehen Sie, wenn Sie sich etwas kaufen, sind Sie Eigentümer. Wenn Sie sich aber etwas nur ausleihen, sind Sie zwar Besitzer, aber nicht der Eigentümer. Falls Ihnen meine Erklärung nicht ausreicht, fragen Sie doch Ihren Vorgesetzten. Der weiß es vielleicht auch.«

»Aha? Und Sie haben dies alles hier gekauft? Von welchem Geld, wenn ich fragen darf?«, fragte Bärbel nach.

»Nun, die Sache war so. Mein Mann war Heilpraktiker in München und hatte eine große Praxis in Grünwald. Beste Lage. Dagegen ist das hier nur eine Hundehütte auf einem alten Bauernhof. Wir hatten viele Klienten aus der Oberschicht. Politiker, Schauspieler, Sportler und so weiter. Alle sind sie gekommen. Alle, die man so aus der Zeitung und dem Fernsehen kennt. Sogar Professoren aus der Uni waren da, wenns nicht weiter gewusst haben. Da sind sie gerannt gekommen. Herr Gallenberger hier, Herr Gallenberger da! Sie sind um ihn herumgeschwänzelt wie ums goldene Kalb. Dabei hat er sie ausgenommen wie sonstwas. Am meisten hat er von den Arabern kassiert. Tausende, nein hunderttausende Euros sind da zusammengekommen, wenn sie mit der ganzen Sippschaft da waren.«

»Und jetzt? Warum sind Sie jetzt hier?«, fragte Tina neugierig.

Frau Gallenberger holte tief Luft und erzählte weiter: »Na ja, irgendwann ist das Finanzamt auf ihn aufmerksam geworden. Einer vom Ministerium, auch einer unserer Klienten, hat uns vorgewarnt, dass wir auf der Liste stehen. Wisssen Sie, die Liste mit den Verdächtigen der Steuerhinterziehung, hat er gesagt. Dann haben wir einfach alles auf mich überschrieben, so dass er nichts mehr gehabt hat, was man ihm hätt wegnehmen können. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Ja, ich versteh schon. Aber Sie sind doch verheiratet? Da sind Sie doch …?«

»Nein, liebe Frau Kommissar! Mein Vater hat damals bei der Hochzeit darauf bestanden, dass wir Gütertrennung machen sollen. Bei einer Scheidung hätt auch keiner was bekommen.«

»Das heißt also?«

»Ja, das heißt, dass alles jetzt mir gehört und immer gehören wird. Nicht einmal ein Hemd bleibt ihm, wenn er geht. Das ist jetzt alles meins.«

»Aha«, meinte Tina. »Und wie ist das jetzt mir den Patienten?«

»Nichts Patienten! Klienten heißt das hier. Hier gibt’s keine Patienten. Aber auch hier ist es so, dass nur die Reichen kommen. Die armen Würstl bleiben draußen. Das war Aufwand genug, bis die Reichen wieder gekommen sind.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Das heißt, als wir hierher gekommen sind, hat uns natürlich kaum jemand gekannt. Die paar Leute, die uns von München her kannten, haben dann Werbung für uns gemacht. Dann sind sie gekommen. Haufenweise. Genauso wie früher in München. Alle sind sie vor der Türe gestanden und haben um Hilfe gewinselt. Mit den großen Geldscheinen haben sie gewunken und gebettelt, dass Vincent ihnen hilft.«

»Und er hat ihnen geholfen?«

»Ja und wie! Er hat sie erst mal um ihr Geld erleichtert. Er predigte ihnen, dass Geld nicht nur den Charakter, sondern auch die Gesundheit ruiniert.«

»Und die haben das so einfach geglaubt und bezahlt?«

»Ja, meistens! Er hat es aber auch gut verkauft und ihr Geld in Verbindung mit Behandlungen eingenommen. Erst einen kleinen Teil und dann immer mehr, bis sie geglaubt haben, dass sie gesund seien.«

»Und? Waren Sie es?«, fragte Tina gespannt.

»Nicht immer. Dann gabs schon Ärger, weil die Klienten ihm sauber eingeheizt haben. Sie haben mit einer Anzeige gedroht, weil er als Heilpraktiker, wie man es in Deutschland kennt, gearbeitet hat, und das ist hier in Österreich verboten. Wegen dem Kurpfuscherparagrafen.«

Tina sah sie erstaunt an. »Kurpfuscherparagraf? Was ist das denn?«, fragte sie.

Frau Gallenberger stand auf und holte ein Buch, offenbar ein Gesetzbuch, aus dem Schrank. Sie bätterte eine Weile darin und sagte dann: »Hier hab ich es. Der Gesetzestext dazu lautet, Paragraph einhundertvierundachtzig Strafgesetzbuch, Kurpfuscherei: Wer, ohne die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung erhalten zu haben, eine Tätigkeit, die den Ärzten vorbehalten ist, in Bezug auf eine größere Zahl von Menschen gewerbsmäßig ausübt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.«

»Also ein Straftatsbestand?«

»So ist es!«, antwortete Frau Gallenberger.

»Hat ihn jemand körperlich bedroht?«

»Sie meinen, ob ihm jemand Prügel angedroht hat?«

»Ja, das mein ich.«

»Ja, der eine oder andere hat das schon gemacht. Es waren aber auch welche dabei, die damit gedroht haben, Selina und mir etwas anzutun.«

»Können Sie mir Namen nennen?«

»Nein, das kann ich leider nicht! Sie glauben doch wohl nicht, dass einer von denen? Nein! Das kann ich mir nicht vorstellen!«

»Mit welchen Methoden heilt denn Ihr Mann? Sie sagten vorhin etwas von Heilpraktiker?«

»Na ja, er macht eben alles, was er früher auch gemacht hat. Sogar Operationen, wenn sie notwendig sind. Ansonsten hat er sich an die Gesetze hier gehalten. Er legt Hand auf, betet manche gesund, heilt mit Kräutern, spricht mit Engeln, macht Geistheilungen und all das.«

»Nun gut, ich verstehe. Das bringt uns so nicht weiter. Dann zu einem anderen Thema. Was hatte Selina für Freunde? Wer waren sie?«

Frau Gallenberger sah verklärt nach oben. »Wissen Sie, meine Selina ist ein Mädchen, das man einfach gern haben muss. Ob man nun will oder nicht. Sie ist ein offenes und lustiges Kind, überall beliebt und gerne gesehen. Es gab viele junge Männer, die ihr mehr sein wollten als nur ein Freund, Sie verstehen?«

»Hatte sie denn einen festen Freund? Einen, der ihr mehr war, als nur ein Freund?«

»Nein! Das wusste er zu verhindern!«

»Wer? Wer wusste das zu verhindern und warum?«

»Vincent! Vincent hat alles getan, um solche Freundschaften von Grund auf zunichte zu machen!«

»Und warum, wenn ich fragen darf?«

Sie lachte spöttisch. »Weil er sich für sie verantwortlich fühlte. Er war der Meinung, sie würde sich nur immer die falschen Männer aussuchen. Er hat Besitzansprüche gestellt. Er wollte ihr den Mann zubringen, den er für geeignet hielt. Nicht so einen Bauernburschen von hier. Die waren ihm alle nicht gut genug für Selina.«

»Dann hatte sie aber sicher eine gute Freundin? Eine, mit der man über alles reden kann. Eine Vertraute sozusagen?«

Frau Gallenberger nickte, als sie antwortete: »Ja, die hatte sie. Vroni heißt sie. Ein ganz liebes Mächen. Die beiden verstehen …«, wollte sie sagen, verbesserte sich aber sofort, »haben sich sehr gut verstanden.«

»Ihr Mann war deshalb eifersüchtig?«, fragte Tina nach.

»Ja und wie! Er hat Vroni sogar des Hauses verwiesen!«

»Warum das denn? Wenn die beiden gute Freunde waren, gab es doch eigentlich keinen Grund dafür? Ein junges Mädchen wie Selina braucht doch jemanden, mit dem sie über alles reden kann. Bei Manchen Dingen, denke ich, sind die Mutter oder der Vater nicht die richtigen Ansprechpartner.«

Frau Gallenberger hob die Schultern und meinte bedauernd: »Na ja, er war der Meinung, dass Vroni Selina mit ihren Ideen und Gedanken nur verderben würde. Dass sie einen schlechten Einfluss auf sie habe.«

»Aha?«, antwortete Tina kurz.

Frau Gallenberger wurde zunehmend unruhiger und platzte plötzlich mit einer Frage heraus: »Ist das denn alles so wichtig? Selina ist tot! Das tut doch alles nichts mehr zur Sache! Wichtig ist, dass Sie wissen, wer der Täter ist und nun verhaften Sie ihn endlich!«

»So schnell geht das nun auch wieder nicht, Frau Gallenberger. Erstmal brauchen wir Beweise für Ihre Behauptung.«

»Behauptung? Das ist keine Behauptung! Das ist eine Tatsache!«, rief Frau Gallenberger aufgebracht.

»Nun Frau Gallenberger. Bevor wir uns über diese Angelegenheit weiter unterhalten, brauche ich noch ein paar Informationen von Ihnen. Wie war das mit Selinas Tod? Wie ging das vor sich?«

Frau Gallenberger schien sich nur langsam zu beruhigen, denn sie überlegte lange, bevor sie fortfuhr. »Also das war so. Selina ist vom Sport heimgekommen und …«

»Welche Sportart betreibt sie denn und wo?«, unterbrach Bärbel.

»Ja, Selina läuft. Sie betreibt Leichtathletik, wissen Sie? Sie läuft und macht alles, was dazu gehört. Zurzeit läuft sie viel.«

»In einem Verein?«

»Ja, im hiesigen Sportverein. Der Vorstand, Herr Langenmeier, hat sie sehr gefördert. Er meinte, sie hat großes Talent zu mehr.«

»Warum fragen Sie mich nicht selbst?«, kam plötzlich Herrn Gallenbergers Stimme von der Türe her.

Tina drehte den Kopf zu ihm: »Welche Antwort bekomme ich dann von Ihnen?«

»Dass alles, was Ihnen diese Frau da erzählt, nur dummes Gequatsche ist. Alles Blödsinn! Alles an den Haaren herbeigezogen!«

Tina wollte eigentlich noch eine Frage stellen, wurde aber vom Klingeln ihres Handys unterbrochen. Ungeduldig, weil sie gestört wurde, nahm sie den Anruf an, da er, wie sie am Display sah, von der Dienststelle in Zell kam. »Josef? Was gibt’s? Ich bin mitten in einer Befragung.«

»Das ist jetzt egal. Die kann Bärbel doch auch durchführen. Ich brauch dich hier in der Dienststell und zwar schleunigst.«

»Worum geht’s?«

»Wir haben hier eine größere Sach und da brauch ich dich als Unterstützung. Du hast sowas ja schon mal gemacht. Also beeil dich und komm her.«

Tina wollte noch etwas sagen, aber da wurde bereits aufgelegt. Josef Vorderegger war Dienststellenleiter in Zell am See und somit Tinas direkter Vorgesetzter. Sie mochten sich zwar nicht besonders, aber sie respektierten einander zumindest. Tina legte das Handy wieder auf den Tisch und flüsterte Bärbel ins Ohr: »Ich muss weg. Josef braucht mich. Ein dringender Fall, sagt er. Du schaffst das hier doch alleine?«

Bärbel nickte nur.

Tina stand auf und lächelte Frau Gallenberger entschuldigend an: »Ich muss dringend weg. Sie beantworten bitte Frau Kürzingers Fragen?«

»Ja, mach ich.« Tina verließ das Wohnzimmer und ging aus dem Haus. Sie fuhr nach Zell. Dass ihr dabei ein Wagen folgte, bemerkte sie nicht.

Kapitel 3

Tina parkte ihr Fahrzeug auf dem Hof der Polizeiinspektion und ging hinein. Bereits im Treppenhaus kam ihr Josef entgegen. Er trug dieselbe Kleidung wie immer. Man konnte meinen, er hätte nichts anderes zum Anziehen. Ein rot-kariertes Hemd, darüber ein königsblaues Gilet mit silbernen Knöpfen und eine waldgrüne Jacke. Die Hose war grau und seine schwarzen Schuhe blank geputzt. Er selbst war eine stattliche Erscheinung, allerdings mit seinen einmeterfünfundsiebzig nur unwesentlich größer als Tina. Ein dichter, inzwischen leicht ergrauter Schnäuzer zierte seine Oberlippe. Jovial rief er ihr zu: »Da bist ja endlich! Komm gleich mit, wir müssen reden.«

»Jetzt mach nicht so geheimnisvoll. Worum geht's?«

»Komm erstmal mit in mein Büro.«

Tina folgte ihm und als sie in seinem Büro angekommen waren, bat er sie, sich zu setzen. Er druckste ein wenig herum, bis Tina ungeduldig wurde. »Jetzt red endlich! Was ist los?«

Er knetete seine Hände und sah sie scheinbar mitleidig an. »Nun, die Sache ist die«, offenbar war ihm die Nachricht unangenehm, denn er rang mit den Worten. »Du kennst doch den Ladurner? Ihr warts doch mal gut befreundet? Ihr warts Kollegen und vielleicht sogar ein bisserl mehr?«

»Du meinst Sigi? Ja, aber das ist schon eine Weile her. Bis er mich umbringen wollt. Deswegen sitzt er ja auch. Er hat damals Bestechungsgelder angenommen und Informationen verkauft. Was ist mit ihm?«

Josef schnaufte tief durch: »Die Sache ist die, der Ladurner ist abgehauen.«

Tina sah ihn zweifelnd an: »Was soll das heißen? Er ist abgehauen?«

»So, wie ich es sage. Er hatte Freigang und ist nicht in die Haftanstalt zurückgekommen.«

»Er ist also draußen? Er läuft da draußen frei herum? Warum erfahre ich das jetzt erst? Warum hat mir das keiner gesagt?«

»Jetzt weißt es ja. Pass auf dich auf.«

Tina stand auf und lief nervös auf und ab. Abrupt blieb sie vor Josefs Schreibtisch stehen: »Und jetzt? Was passiert jetzt? Läuft die Fahndung? Wurde er bereits irgendwo gesehen? Wo steckt der jetzt?«

»Wenn wir das wüssten. Die Fahndung läuft natürlich auf Hochtouren. Vermutlich steckt er irgendwo bei einem seiner damaligen Freunde.«

»Werden die überwacht?«

»Natürlich! Die Kollegen in Kitzbühel sind da dran.«

»Und was soll ich jetzt tun? Glaubst du, dass er sich an mir rächen will? Dass er es mir heimzahlen will, dass er jetzt sitzt?«

Josef lachte kurz auf. »Ich glaub nicht, dass er sich das traut. Du solltest aber trotzdem auf dich aufpassen, denn man weiß ja nie.«

»Wie sieht es mit Polizeischutz aus? Ist es möglich, dass du mir ein paar Kollegen zur Seite stellst?«

Josef beugte sich nach vorne, stützte sich mit den Ellbogen auf seinem Schreibtisch ab und sah sie eindringlich an: »Du weißt doch, wie das ist. Auf reinen Verdacht hin können wir in dieser Richtung nichts unternehmen.«

»Das soll also heißen, dass erst etwas passieren muss, bevor wir aktiv werden? Soll das vielleicht auch noch heißen, dass er mich erst umbringen muss, bevor etwas getan wird?«

»Leider sind mir die Hände gebunden. Ich kann dir nur raten, ständig zu kontrollieren, wer hinter dir ist.«

Tina lachte spöttisch auf: »Das heißt auf gut Deutsch, dass ich mich alle fünf Minuten umdrehen muss, um zu kontrollieren, ob mir nicht jemand folgt?«

»Im Grunde genommen, ja. Aber du hast ja auch noch Bärbel, die auf dich aufpassen kann.«

Wieder lachte Tina spöttisch: »Ja, ich habe auch noch meinen Dackel Poldi, dann habe ich meinen Exmann Günther, dann habe ich Tommi und Kathi! Die alle können auf mich aufpassen!«

»Du weißt, dass dieser Vergleich hinkt. Bärbel ist eine sehr gute Polizistin und weiß sicher, was zu tun ist. Du kannst dich auf sie absolut verlassen.«

Tina setzte sich wieder und schwieg zunächst. Hinter ihrer Stirn arbeitete ihr Gehirn auf Hochtouren. Plötzlich sagte sie: »Wurscht! Wenn der mir über den Weg läuft, ist er tot.«

»Ich glaub, das weiß er auch. Deshalb wird er dich vermutlich in Ruhe lassen«, antwortete Josef.

Tina stand wieder auf. »Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«

»Nein, ich wüsste nicht, was.«

»Dann fahr ich jetzt wieder nach Neukirchen.«

Josef nickte nur und Tina verließ das Büro.

Als sie draußen auf dem Parkplatz ankam, schaute sie sich unauffällig um. Sie konnte aber nirgends etwas Verdächtiges entdecken und fuhr nach Neukirchen. Obwohl sie ständig in den Rückspiegel blickte, bemerkte sie nicht, dass ihr wieder ein Fahrzeug folgte.

In Neukirchen fuhr sie sofort zum Haus des Heilers. Da die Einsatzfahrzeuge der Kollegen bereits abgefahren waren, konnte sie ungehindert vor Gallenbergers Garagen parken. An der Haustüre drückte sie den Klingelknopf und wartete ab, bis ihr geöffnet wurde. In der Türe stand Frau Gallenberger und ließ sie wortlos eintreten.

»Ist meine Kollegin noch hier?«, wollte Tina wissen.

»Ja, sie sitzt noch im Wohnzimmer. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«

Tina ging hinter Frau Gallenberger her und fand Bärbel auf dem Kanapee sitzend vor. Bärbel sah sie fragend an. Tina winkte ab und meinte: »Mach einfach weiter.«

Nun setzte sich auch Tina wieder neben Bärbel und hörte den Fragen zu, ohne selbst eine Frage zu stellen. Sie wollte sich auch nicht einmischen, denn schließlich war dies nun Bärbels Fall. Ihre Aufgabe sah sie nur darin, Bärbel zu unterstützen, falls sie nicht weiterkäme. Augenscheinlich war Bärbel nun fertig mit ihrer Befragung, denn sie schaltete das Handy aus. Tina nahm es an sich und schob es in ihre Tasche. Gemeinsam verabschiedeten sie sich von Frau Gallenberger und verließen das Haus.

Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen und so bot sich ihnen ein unwahrscheinlich schöner Ausblick. Tina und Bärbel beachteten dies aber nicht, denn es war für sie bereits alltäglich geworden. Die ganze Bergkette, angefangen von der Hohen Fürlegg, über den kleinen Venediger und den Großvenediger, den Keeskogel, den Großen Geiger hinüber zum Maurerkeeskopf, bestand aus Dreitausendern mit ihren schneebedeckten Gipfeln. Und alle waren von hier aus deutlich zu sehen.

Tina gab Bärbel den Autoschlüssel und ging zur Beifahrerseite.

»Soy i iatz foahrn?«, fragte Bärbel.

»Ja, bitte. Ich kon iatz nit.«

Bärbel schaute Tina fragend an: »Is wos passiert? Worum wüst du nit foahrn?«

»Sperr auf«, bat Tina.

»Iatz sog scho! Wos is passiert?«

»Sperr endlich auf!«, bekam sie zur Antwort.

Bärbel gab nach und betätigte die Fernbedienung. Ein leises Klacken zeigte an, dass die Türen geöffnet waren. Bärbel steckte den Schlüssel ins Zündschloss, ließ aber den Motor nicht an.

»Auf wos woatst no? Lass an Motor o und foahr endli!«

»Erscht wü i wissen, wos los is«, antwortete Bärbel.

»Wos soy scho los sei? Foahr endli!«

»Erscht sogst du mia, wos los is! Vorher foahr i kaan Meta!«

»Da Sigi is draußn«, sagte Tina mit belegter Stimme.

»Wos!? Dea Kerl is frei? Und des sogst du mia erscht iatz?«

»I hobs ja erscht grod erfoahrn! Ea is vo am Freigang nit zruck kemma.«

»Und iatz? Wos machst iatz?«

»Des waaß i aa nit! Aba iatz foahr endli! I wü haam!«

Bärbel ließ den Motor an und fuhr los. Sie verließen den Ort und fuhren zügig in Richtung Mittersill. Bärbel beobachtete durch den Rückspiegel die ihr folgenden Fahrzeuge. In Höhe von Weyer gab sie plötzlich Gas.

Tina blieb dies natürlich nicht verborgen, deshalb fragte sie: »Wos is los? Du foahrst ja wia a Henka!«

Bärbel flüsterte beinahe unhörbar: »I glaub, dea is hinta uns.«

»Wer? Da Sigi?«

Bärbel nickte nur und fuhr weiter.

Tina drehte sich um und versuchte zu erkennen, welches Fahrzeug ihnen folgte. Ihr fiel aber weiter nichts auf, deshalb blickte sie wieder angestrengt nach vorne. Eine innere Unruhe überfiel sie, als Bärbel bei Bramberg abbog und Richtung Wenns fuhr. Bärbel fuhr betont langsam, da sie augenscheinlich hoffte, dass das Fahrzeug hinter ihr sie überholen würde. Wieder drehte sich Tina um und sah einen silberfarbenen SUV hinter ihnen. Welche Marke oder Modell es war, konnte sie nicht erkennen, auch der Fahrer war durch die dunkel getönten Scheiben nicht erkennbar. Bärbel hielt bei dem kleinen Reiterhof, der sich am Ortseingang befand, an.

»Worum hoitst du do?«, fragte Tina.

»Des werst glei sechn«, antwortete ihr Bärbel.

Der Wagen, der sie verfolgt hatte, fuhr langsam an ihnen vorbei. Er bog an der nächsten Kreuzung nach rechts ab.

Bärbel schnaufte tief durch: »Gott sei Dank. Des woar ea nit.«

»Do waar i mia nit so sicha! Du kennst an Sigi nit. Es kannt sei, dass ea dein Trick durchschaut hot.«

»Wurscht! Wenigstns is ea weg«, meinte Bärbel erleichtert. Sie gab Gas und fuhr nun auf direktem Weg nach Hause.

Schon von Weitem sahen sie, dass Günthers Auto vor dem Grundstück stand. Bärbel stellte den Wagen dahinter ab. Als sie auf das Hoftor zugingen, sahen sie schon Poldi, der sie freudig begrüßte.

»Do! Schau moi in den Goarten! De Äpfe!«, hörte sie Bärbel rufen. »De sand olle weg!«

Als Tina ebenfalls dorthin blickte, erkannte sie, dass da tatsächlich keine Äpfel mehr an den Bäumen hingen. »De wird doch nit da Sturm olle …?«

»Na?«, hörte sie eine bekannte Stimme rufen. »Da wunderst du dich, was?« Es war Günther.

Tina zeigte zu den Bäumen. »Wos is denn do passiert? Hot de da Wind olle ro ghaut?« Tina war durch die Nachricht, dass Sigi wieder draußen war, völlig durch dem Wind. Deshalb fiel ihr selbst nicht auf, dass sie plötzlich im Dialekt sprach. Es ging wie von selbst. Normalerweise hielt sie es so, dass sie nicht nur im Dienst, sondern auch in der Familie, den Dialekt vermied. Vor allem der Kinder wegen, die dadurch bessere Noten im Deutschunterricht hatten. Bärbel hielt es dabei ebenso. Der Lehrer der Kinder war ihnen äußerst dankbar deswegen.

»Mindestens die Hälfte. Die haben wir zusammen aufgeklaubt und ins Bad gebracht, um sie zu waschen. Den Rest haben wir gepflückt und ebenfalls gewaschen.«

»Wer ist wir?«, fragte Tina erstaunt.

»Wir natürlich!«, riefen die Kinder.

»Dann kann ich ja heute noch einen Apfelstrudel machen«, versprach Bärbel.

»Vergiss aber deinen Bericht nicht. Den musst du heute noch schreiben«, erinnerte sie Tina.

»Ach so. Dann wird’s wohl nichts mit dem Strudel«, meinte Bärbel enttäuscht.

Sie gingen ins Haus und dort gleich in die Küche. »Ich koche uns Kaffee! Wer möchte eine Tasse?«, bot Bärbel an.

»Kannst du uns eine heiße Schokolade machen?«, bat Kathi.

»Natürlich. Für euch heiße Schokolade und für uns Erwachsenen Kaffee.«

Tina war zurück in den Flur gegangen, um sich ihre Pantoffeln zu holen. Aber so sehr sie auch suchte, sie fand nur einen. Von einer bösen Vorahnung getrieben, rief sie nach Poldi: »Leopold? Wo ist mein Pantoffel?« Schuldbewusst schlich Poldi aus der Küche zu ihr und setzte sich vor ihre Füße. Tina wiederholte ihre Frage: »Wo ist mein Pantoffel? Hast du ihn wieder mal gefressen?«

Poldi sah sie an und wedelte mit dem Schwanz. »Das hilft dir jetzt gar nichts. Ich will meinem Pantoffel haben«, sagte sie.

Die Kinder hatten dies gehört und kicherten laut.

»Was gibt es da zu lachen?«, fragte Tina erzürnt.

Kathi kam mit einem völlig zerfetzten Pantoffel aus der Küche und zeigte ihn Tina: »Hier Mama. Der ist in Poldis Körbchen gelegen. Das ist doch deiner oder?«

Tina nahm ihn und besah ihn sich von allen Seiten. Zustimmend nickte sie: »Das war wohl mal meiner.« Sie warf Poldi noch einen wütenden Blick zu und schmiss den kaputten Pantoffel in der Küche in den Mülleimer. »Jetzt kann ich mir schon wieder neue Pantoffeln kaufen. Das ist das dritte Paar in einem Monat.«

»Tina! Kummst du amoi bitte?«, rief Bärbel.

Tina kam zu ihr in die Küche und Bärbel zeigte zum Fenster: »Schau amoi do aussi. Des Auto durt drent, is des nit da Sigi?«

Tina warf einen Blick aus dem Fenster und schreckte zurück: »Tatsächlich! Dea traut se wos!«

In dem silbergrauen SUV auf der anderen Straßenseite war das Fenster auf der Fahrerseite heruntergelassen und deutlich konnte man Sigi Ladurner erkennen. Er trug sogar wieder denselben Vollbart wie früher.