Mord auf Rezept - Rita Mae Brown - E-Book

Mord auf Rezept E-Book

Rita Mae Brown

0,0
7,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es ist Winter in Crozet, Virginia, als plötzlich Unfassbares passiert: Hank Brevard, der Leiter des Krankenhauses von Crozet, kommt unter mysteriösen Umständen zu Tode. Die Bewohner des Städtchens stehen vor einem Rätsel. Licht ins Dunkel bringt erst die samtpfötige Detektivin Mrs. Murphy, die durch die Schattenwelt des Krankenhauses schleicht, dem Geheimnis auf der Spur. Doch dann wird Frauchen Harry angegriffen und ein Doktor eiskalt umgebracht. Schon bald stehen nur noch die gewitzte Katze, ihre Vertraute Pewter und Corgihündin Tee Tucker zwischen Harry und dem Rezept, auf dem Mord steht ?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Winter herrscht in Virginia und jeder leidet unter der unerbittlichen Kälte, sogar Mary Minor »Harry« Haristeen, die Postmeisterin von Crozet. Das gesellschaftliche Leben in der Kleinstadt ist eingefroren, so scheint es. Und so freuen sich alle im Postamt über jede Abwechslung – und sei es nur der neueste Klatsch und Tratsch aus dem örtlichen Krankenhaus. Bis plötzlich Hank Brevard, der technische Leiter des Krankenhauses, unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt. Schon bald findet Harry heraus, dass die Klinik ein einziger Sumpf aus Eitelkeiten, Eifersucht und heimlichen Affären ist. Aber erst Mrs. Murphy, die durch die dunklen Gänge des Krankenhauses schleicht, kommt dem Geheimnis auf die Spur. Und wie so manches Mal muss die samtpfötige Detektivin zusammen mit ihren tierischen Freunden zu Höchstform auflaufen, um den Fall zu lösen und den Absender für das Rezept zu finden, auf dem Mord steht …

Die Autorin

Rita Mae Brown, geboren in Hanover, Pennsylvania, wuchs in Florida auf. Sie studierte in New York Anglistik und Filmwissenschaften und war in der Frauenbewegung aktiv. Berühmt wurde sie mit Rubinroter Dschungel und durch ihre Romane mit der Tigerkatze Sneaky Pie Brown als Koautorin. Weitere Informationen finden Sie unter:www.ritamaebrown.com

Von Rita Mae Brown sind in unserem Hause bereits erschienen:

Die Mrs.-Murphy-Krimis:

Schade, daß du nicht tot bist – Rache auf leisen Pfoten – Mord auf Rezept – Die Katze lässt das Mausen nicht – Maus im Aus – Die Katze im Sack – Da beißt die Maus keinen Faden ab – Die kluge Katze baut vor – Eine Maus kommt selten allein – Mit Speck fängt man Mäuse – Die Weihnachtskatze – Die Geburtstagskatze – Mausetot – Vier Mäuse und ein Todesfall

Die Krimiserie mit Sister Jane:

Auf heißer Fährte · Fette Beute · Dem Fuchs auf den Fersen · Mit der Meute jagen · Schlau wie ein Fuchs

Rita Mae Brown &Sneaky Pie Brown

Mord auf Rezept

Ein Fall für Mrs. Murphy

Roman

Aus dem Englischenvon Margarete Längsfeld

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-taschenbuch.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen,wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung,Speicherung oder Übertragungkönnen zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage Juni 2003

5. Auflage 2010

© für die deutsche Ausgabe by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2004

© 2003 für die deutsche Ausgabe by

Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG

© 2002 für die deutsche Ausgabe by

Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München/Ullstein Verlag

© 2001 by American Artists, Inc.

Illustrationen © by Itoko Maeno

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Claws and Effect

(Bantam Books, New York)

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Illustration: Jakob Werth, München

E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-8437-1466-2

All denen gewidmet, die sich für den Tierschutz engagieren.Sie sind überarbeitet und unterbezahlt,aber Sie haben Ihr Leben einer anderen Formder Belohnung gewidmet.Gott segne Sie.

Personen der Handlung

Mrs. Murphy, schön, klug und kess, ist sie die vollkommene Katze. Sie brauchen sie nur zu fragen.

Pewter, die graue Katze mit strengen Ansichten wird oft widerwillig in Mrs. Murphys Machenschaften hineingezogen.

Tee Tucker, eine couragierte Corgihündin, die Harry liebt. Mrs. Murphy und Pewter liebt sie auch, findet aber, dass die Katzen mitunter schreckliche Snobs sein können.

Mary Minor Haristeen, (Harry), tatkräftig, gut organisiert, sehr pflichtbewusst, bringt ihre Freunde zum Lachen, einfach, indem sie sich gibt, wie sie ist. Sie ist Posthalterin von Crozet, obwohl sie einen College-Abschluss hat. Viele Leute halten sie für eine Versagerin.

Mrs. Miranda Hogendobber, älter als die gut dreißigjährige Harry und eine gute Freundin von ihr. Ihr Ehemann war einst der Posthalter von Crozet. Sie ist verwitwet und ziemlich fromm.

Big Mim Sanburne, die Queen von Crozet, eine Altersgenossin Mirandas, ist gebieterisch und unerbittlich in ihren Bemühungen, Crozet und seine Einwohner zu »verschönern«.

Little Mim Sanburne, die Prinzessin von Crozet, ist es oft leid, im Schatten ihrer Mutter zu stehen, aber sie fängt an sich aufzulehnen.

Es wird langsam Zeit; sie ist über dreißig.

Jim Sanburne, der Bürgermeister von Crozet und der gutmütige Ehemann von Big Mim. Er hat weit über seinem Stand geheiratet.

Tante Tally Urquhart, die Königinwitwe, über neunzig, hat die Kontrolle über die Stadt vor Jahren an ihre Nichte abgegeben. Was keinesfalls bedeutet, dass sie nicht dennoch wünscht, ihren Willen durchzusetzen.

Reverend Herb Jones, der beliebte Pastor der lutheranischen Kirche. Dank seines Standes und seiner Natur kann er anderen oft helfen.

Seine zwei Katzen Cazenovia und Eloquenz scheinen fromme Neigungen zu haben.

Dr. Bruce Buxton, ein berühmter Kniespezialist, der von Sportlern aufgesucht wird, aber auch von allein stehenden Frauen, weil er allein lebt.

Bruce ist ziemlich eingebildet.

Sam Mahanes, der Verwalter vom Crozet Hospital, jongliert sowohl mit dem Budget als auch mit der Selbstgefälligkeit der Ärzte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, kommt er gut mit den Leuten aus.

Tussie Logan, Oberschwester der pädiatrischen Abteilung, geht in ihrer Arbeit auf. Sie ist attraktiv und noch zu haben.

Hank Brevard, technischer Leiter vom Crozet Hospital, ist der geborene Nörgler. Die Leute graben ihm einfach das Wasser ab.

Susan Tucker, Harrys beste Freundin, deshalb muss sie ein guter Kumpel sein. Sie ist Ehefrau und Mutter und empfindet ihre Familie als eine Wohltat. Sie hat Tee Tucker gezüchtet.

Ned Tucker, Susans Mann, Rechtsanwalt, der schwer arbeitet und seine Familie liebt.

Danny Tucker und Brooks Tucker, Sohn beziehungsweise Tochter von Susan Tucker, beides Teenager.

BoomBoom Craycroft, ein Superweib, die andere Frauen schon aus der Fassung bringt, wenn sie nur einen Raum betritt. Zu viele Leute nehmen an, nur weil sie schön ist, ist sie dumm. Irrtum!

Dr. Larry Johnson, ein älterer, beliebter praktischer Arzt, der einmal vergeblich versuchte, sich zur Ruhe zu setzen. Er kennt viele Geheimnisse und behält alle für sich.

Sheriff Rick Shaw, überarbeitet, unterbezahlt und mit zu wenig Personal, liebt seinen Beruf dennoch und richtet sich streng nach den Vorschriften – nun ja, meistens.

Polizistin Cynthia Cooper, intelligent, beruflich im Aufstieg, auch sie liebt den Polizeidienst. Sie treibt sich in ihrer Freizeit mit Harry und der Truppe herum und fragt sich allmählich, ob es wohl einen Mann gibt, der eine Polizistin heiraten möchte.

Fair Haristeen, Doktor der Veterinärmedizin, Harrys Ex-Mann und ein gefragter Pferdearzt, der Harry immer noch liebt. Er ist Manns genug, aus seinen Fehlern gelernt zu haben, ist aufgeschlossen und nachdenklich.

1

Die Menschen erzählen mir ‘ne Menge. Klar, ich hab ein nettes Gesicht und ich kann gut zuhören, aber im Grunde erzählen sie mir deshalb so viel, weil sie denken, ich kann ihre Geheimnisse nicht weiterquatschen. Da sind sie aber schief gewickelt.«

»Auch mir erzählen die Menschen Geheimnisse.« Die Corgihündin sah zu Mrs. Murphy hoch, der Tigerkatze, die sich im Postamt auf der Fensterbank rekelte.

»Du raubst einem aber auch alle Illusionen. Hunde plaudern alles aus.«

Sie schnippte lässig mit der Schwanzspitze.

»Du hast gerade gesagt, dass die Menschen denken, du kannst ihre Geheimnisse nicht weiterquatschen, und dass sie da schief gewickelt sind. Siehste, du plauderst auch aus.«

»Tu ich gar nicht. Ich kann quatschen, wenn ich will, das wollte ich damit sagen, weiter nichts.«

Tucker stand auf, schüttelte den Kopf und trat dicht vor die Fensterbank. »Und, weißt du ‘n paar Geheimnisse?«

»Nee, Saure-Gurken-Zeit.« Sie seufzte. »Nicht mal Pewter hat was Schmutziges ausgegraben.«

»Das verbitte ich mir.« Eine kleine Stimme kam von unten aus einem Leinenpostsack.

»Warte nur, bis Miranda sieht, was du mit ihrem Garten angestellt hast. Nicht eine einzige Tulpenzwiebel ist ihr geblieben, Pewter. Und alles bloß, weil du letzte Woche gedacht hast, da ist ein Maulwurf drin.«

»Ihre Tulpen waren krank. Ich hab ihr ‘ne Menge Arger erspart.« Sie machte eine kurze Pause. »Und ich hab das Loch sogar mit Mulch zugedeckt. Sie merkt es frühestens in ein, zwei Monaten. Wer weiß, wann der Frühling kommt?«

»Wann der Frühling kommt, weiß ich nicht, aber Mim, die Mächtige, kommt jetzt.« Tucker stand auf den Hinterbeinen und sah aus dem Fenster.

Mim Sanburne, die tonangebende und reichste Bürgerin der Stadt, schloss die Tür ihres Bentley Turbo und trat, ganz vorsichtig, weil große Flächen Mittelvirginias von einer Eisschicht bedeckt waren, auf den geräumten Gehweg, der zum Postamt führte.

Eigenartig, dass Mim einen Bentley fuhr, war sie doch in Virginia geboren und aufgewachsen, wo ihre Familie schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts ansässig war. Ein so auffälliges Auto wie einen Bentley zu fahren überschritt die Grenzen des Schicklichen. Nur ein Rolls-Royce wäre noch schlimmer. Und Mim protzte nicht mit ihrem Reichtum. Miranda, die Mim zeit ihres Lebens kannte, mutmaßte, dass es sich hier um eine stumme Rebellion ihrer Freundin handelte. Als sie beide in die Sechziger kamen, was sie natürlich nicht an die große Glocke hängten, war dies Mims Aufruf an die Jugend: Platz da!

Und die Leute machten ihr Platz.

Mary Minor »Harry« Haristeen lächelte, als Mim die Tür aufstieß. »Guten Morgen.«

»Guten Morgen, Harry. Hatten Sie heute auf der Fahrt hierher Probleme?«

»Als ich die Zufahrt hinter mir hatte, ging’s ganz gut. Die Straßen sind geräumt.«

»Mich hast du nicht gefragt, ob ich welche hatte.« Miranda trat an den Schalter, der das Postpersonal von den Kunden trennte. Da sie gleich hinter dem Postamt wohnte – nur eine Gasse lag dazwischen –, war sie zu Fuß zur Arbeit gerutscht und geschlittert.

»Da du dir nichts gebrochen hast, ist ja alles in Butter.« Mim lehnte sich auf den Schalter. »Grau in grau. Kalt. Grässlich.«

»Fünfzehn Grad minus waren’s letzte Nacht.« Miranda, die Gärtnerin aus Leidenschaft, behielt das Wetter stets im Auge. »Auf Dalmally war’s bestimmt noch kälter.« So hieß Mims Anwesen gleich außerhalb der Stadt. Da einige von Mims Vorfahren aus Schottland geflohen waren, hatten sie ihre Farm zum Gedenken an Heide und Heimat Dalmally genannt.

»Minus siebzehn.« Mim schlenderte zu ihrem Postfach und holte ihren Schlüssel hervor. Das Messingschloss klickte, als sie den Schlüssel herumdrehte.

Neugierig ließ Mrs. Murphy sich von der Fensterbank fallen, sprang auf den Schalter, trat dann gewandt vom Schalter auf das Sims, das hinter den Postfächern entlang verlief und die oberen von den unteren, größeren trennte. Zu gerne spähte sie in die Fächer. Zog ein Tag sich hin, griff sie auch mal hinein, scharrte in der Post und biss gar die Ecken ab.

Heute bemerkte sie, dass auf dem Boden von Susan Tuckers Postfach Popcorn klebte.

Mims Hand, behandschuht mit erlesenem, weichem, türkisfarbenem Wildleder, langte in ihr Fach. Murphy konnte nicht widerstehen, sie linste hinab und packte mit beiden Pfoten – ohne ausgefahrene Krallen – Mims Hand.

»Mrs. Murphy, lass mich meine Post rausholen.« Mim bückte sich und sah sich von zwei schönen grünen Augen angestarrt.

»Gib mir deinen Handschuh. Ich rieche Wildleder so gern.«

»Harry, Ihre Katze lässt mich nicht los.«

Harry ging hinüber, steckte die Finger in das Postfach und befreite Mims Hand aus Murphys Pfoten. »Murphy, nicht alle in Crozet finden euch süß.«

»Vielen Dank!«, tönte Pewters Stimme aus dem Postsack.

Harry, eine hübsche Frau, jung und sportlich, setzte ihre Tigerkatze sanft auf den Schalter und streichelte sie.

Miranda sah in den Paketregalen nach. »Mim, hier ist ein Päckchen für dich. Sieht nach deinem Kaffee aus.«

Als Mitglied eines Kaffeeclubs bekam Mim einmal im Monat Bohnen von verschiedenen weltberühmten Kaffeesorten zugeschickt. »Schön.« Sie stand am Schalter und sortierte ihre Post. Dann zog sie einen Handschuh aus und schlitzte die Umschläge mit dem Daumennagel auf, eine Gewohnheit, um die Harry sie beneidete, da ihre Nägel von der Farmarbeit arg mitgenommen waren. Die ältere, elegante Frau öffnete einen weißen Umschlag, las ein paar Sätze, dann warf sie Brief und Umschlag in den Abfall. »Schon wieder so ein Kettenbrief. Ich kann die Dinger nicht ausstehen, ich wünschte, sie würden gesetzlich verboten. Sie sind alle nach dem Pyramidenschema aufgebaut. Dieser hier verlangt, dass man fünf Dollar an den Crozet Hospital Fonds für bedürftige Patienten schickt und dann zwanzig Kopien von dem Brief versendet. Ich möchte bloß wissen, wer meinen Namen auf die Liste gesetzt hat.«

Harry öffnete die Trennklappe, ging zum Papierkorb und angelte den unliebsamen Brief heraus.

»Schwester Sophonisba wird Ihnen Glück bringen.« Sie überflog den Rest. »Da ist keine Namensliste. Hier steht bloß, man soll den Brief an zwanzig Personen weiterleiten, ›wenn Sie wollen‹.« Harrys Stimme wurde lauter. »Schicken Sie fünf Dollar an den Crozet Hospital Fonds für bedürftige Patienten, oder Ihre Mikrowelle stirbt.«

»Das steht da doch nicht wirklich, oder?« Miranda dachte, Harry würde sie aufziehen, aber andererseits …

»Nee.« Harry grinste sie schief an.

»Sehr komisch.« Mim streckte die Hand nach dem Brief aus und Harry gab ihn ihr. »Gewöhnlich ist da eine Namensliste und der obere bekommt Geld. Der eigene Name rutscht nach und nach auf der Liste nach oben.« Sie las den Brief noch einmal, dann lachte sie schallend. »Das ist die Stelle, die mich immer fertig macht bei diesem Zeug.« Sie las vor: »Mark Lintel hat fünf Dollar geschickt und der Herr hat ihn mit einer Beförderung am Arbeitsplatz belohnt. Jerry Tinsley hat diesen Brief zum Abfall geworfen und hatte drei Tage später einen Autounfall.« Mim schaute über den Brief hinweg. »Ich meine mich an Jerrys Unfall zu erinnern. Und ich meine mich auch zu erinnern, dass er reichlich Wodka intus hatte. Wenn er stirbt, ersteht er als gammelige Kartoffel wieder auf.«

Harry lachte. »Vermutlich musste er den alten Camry irgendwie los werden, drum hat er beschlossen, ihn zu Schrott zu fahren.«

»Harry«, sagte Miranda tadelnd.

»Hm, Ihre Todesdrohung gegen Mikrowellen fand ich gut.« Mim reichte Harry den Brief über den abgenutzten Schalter. Harry zielte auf den Papierkorb und beglückwünschte sich zu dem »Korbleger«.

Harry lächelte. »Zwei Punkte.«

»Scheint jemand von hier zu sein. Die Hinweise betreffen Hiesige. Nichts von ›Harold P. Beecher aus Davenport, Iowa, hat das große Los gewonnen‹«, sagte Mim. »Tja Mädels, da sieht man mal wieder, wie gemächlich es bei uns zugeht, wenn wir so viel Zeit für einen Kettenbrief verschwendet haben.«

»Der Februar ist langweilig.« Harry streckte die Zunge heraus.

»Ist euch schon mal aufgefallen, dass Menschenzungen nicht so rosa sind wie unsere?« Tucker, die Corgihündin, legte den Kopf schief und streckte ebenfalls die Zunge heraus.

»Sie sind, was sie sind«, tönte es mit Grabesstimme aus dem Postbehälter.

»Oh, wie tiefsinnig, Pewts.« Mrs. Murphy kicherte.

»Die Weise von Crozet hat gesprochen«, grollte Pewter und ließ ihre Katzenstimme noch tiefer klingen.

»Also, ich weiß gar nichts. Und ihr zwei?«

»Mim, wir dachten, Sie wissen alles. Sie sind die …« Harry hielt eine Sekunde inne; denn ihr lag »die Queen von Crozet«, wie Mim hinter ihrem Rücken genannt wurde, auf der Zunge. »… ah, die Anführerin der Bande.«

»Wenigstens haben Sie nicht Rasselbande gesagt.«

»Wie geht’s Jim?«, erkundigte sich Miranda nach Mims Ehemann.

»Viel zu tun.«

»Marilyn?« Miranda fragte jetzt nach Mims Tochter, die in Harrys Alter war, Ende dreißig.

»Immer dasselbe, was heißen soll, sie hat kein Ziel in diesem Leben, sie hat keinen Liebhaber und existiert nur, um mir zu widersprechen. Und was meinen Sohn betrifft, da du gerade die Familie durchgehst, er und seine Frau sind noch in New York. Keine Enkelkinder in Sicht. Was ist nur mit Ihrer Generation los, Harry? Wir waren mit dreißig voll etabliert.«

Harry zuckte mit den Achseln. »Wir haben mehr Möglichkeiten.«

»Was soll das denn heißen?« Mim stemmte die Hände in ihre schmalen Hüften. »Das bedeutet doch bloß, dass Sie nachgiebiger gegen sich selbst sind. Ich habe nichts gegen Frauen mit Ausbildung. Auch ich habe eine vorzügliche Ausbildung genossen, aber ich kannte meine Pflicht, und zwar zu heiraten und Kinder zu bekommen und sie zu guten Menschen zu erziehen.«

Miranda lenkte das Gespräch geschickt in eine andere Richtung. »Nicht hinsehen, aber Dr. Bruce Buxton rodelt auf dem Rücken die Main Street runter.«

»Ha!« Mim lief zum Fenster, Mrs. Murphy und Tucker hinterher. »Hoffentlich ist er von Kopf bis Fuß grün und blau!«

Bruce drehte sich herum und bekam schließlich ein Parkverbotsschild zu fassen. Schwer atmend zog er sich hoch, seine Füße aber wollten partout in verschiedene Richtungen. Als er endlich Halt gefunden hatte, begab er sich halb rutschend, halb schlitternd zum Postamt.

»Da kommt er.« Mim lachte. »Aufgeblasen wie immer, aber er sieht gut aus, das muss ich ihm lassen.«

Dr. Bruce Buxton stampfte mit den Füßen auf den Stufen, dann stieß er die Tür auf.

Noch ehe er etwas sagen konnte, bemerkte Mim trocken: »Ich gebe Ihnen eine 9,4.« Damit huschte sie an ihm vorbei und winkte Harry und Miranda zum Abschied.

»Eingebildete Ziege«, sagte er, aber erst, als die Tür zu war, denn es war nicht ratsam, Mim öffentlich in die Quere zu kommen. Selbst Bruce Buxton, als Kniespezialist am Crozet Hospital eine Koryphäe, hütete sich, »die Diva«, wie er sie nannte, zu beleidigen.

»Also, Dr. Buxton, von mir haben Sie Punkte für die Strecke bekommen, von Mim für den künstlerischen Ausdruck.« Harry lachte lauthals.

Bruce, Ende dreißig und allein lebend, konnte einer hübschen Frau nie widerstehen, deshalb lachte er gleichfalls über sich. »Ich bin ganz gut vorangekommen. Wenn’s schlimmer wird, ziehe ich meine Golfschuhe an.«

»Gute Idee.« Harry lächelte, als er sein Postfach öffnete.

»Rechnungen über Rechnungen.« Er öffnete einen weißen Umschlag, dann warf er ihn weg. »Mist.«

»Doch nicht etwa ein Brief von Schwester Sophonisba?«, fragte Harry.

»Schwester Soundso. Kettenbrief.«

»Mim hat auch einen bekommen. Ich nicht.« Harry lachte über sich. »An mir gehn die guten Sachen immer vorbei. Sagen Sie, wie geht’s Isabelle Otey?«

Harry erkundigte sich nach der begabten Stürmerin der Basketballmannschaft der Virginia University. Sie hatte sich bei einem harten Spiel gegen Old Dominion einen Kreuzbandriss zugezogen. Die Virginia University hatte das Spiel gewonnen, aber Isabelle für die Saison verloren.

»Gut. Ein arthroskopischer Eingriff wird ambulant vorgenommen. In sechs Wochen ist sie so gut wie neu, vorausgesetzt, sie hält sich in diesen sechs Wochen an die Anweisungen. Das Knie des Menschen ist ein faszinierendes Gebilde …« Als er sich in sein Thema hineinfand – er war einer der führenden Kniechirurgen im Lande –, hörte Harry aufmerksam zu. Miranda ebenfalls.

»Meine Knie sind besser.« Mrs. Murphy kehrte Bruce, den sie für einen eingebildeten Esel hielt, den Rücken zu. »Alles an mir ist besser. Wenn die Menschen auf vier statt auf zwei Beinen gingen, würden sich ihre meisten Probleme in Luft auflösen.«

»Deswegen wäre ihr Verstand auch nicht besser«, kam die Stimme, die jetzt leicht hallte, aus dem Postkarren.

»Dagegen ist kein Kraut gewachsen.« Tucker seufzte, denn sie liebte Harry; doch selbst diese Liebe konnte der Langsamkeit der menschlichen Denkweise nicht beikommen.

»Pewter, wie wär’s, wenn du deinen Hintern mal aus dem Postkarren hieven würdest? Du bist seit heute Morgen acht Uhr da drin, und jetzt ist es halb zwölf. Wir könnten rausgehen und Mäuse aufspüren.«

»Du willst genauso wenig raus in die Kälte wie ich. Du willst bloß, dass ich blöd dastehe.« Es lag ein Fünkchen Wahrheit in Pewters Anschuldigung.

Bruce ging hinaus und trat bedächtig, geradezu respektvoll auf das Eis.

Zehn Minuten später kamen Hank Brevard, der technische Leiter vom Crozet Hospital, und Tussie Logan, die Oberschwester der pädiatrischen Abteilung, in Tussies kleinem silbernen Tracker vorgefahren.

»Guten Morgen.« Tussie lächelte. »Ist schon fast Mittag. Wie geht’s, wie steht’s im Postamt?«

»Kompostamt«, sagte Hank wehleidig.

Er hatte dauernd was zu meckern.

»Ich muss doch sehr bitten«, empörte sich Mrs. Miranda Hogendobber.

»Katzendreck.« Hank schnüffelte.

»Hank, wir haben kein Katzenklo hier drin. Die Tiere gehen nach draußen.«

»Ja, vielleicht bist du’s selber«, zog Tussie ihn auf.

Er grunzte, achtete nicht auf die Frauen und öffnete sein Postfach. »Alles nur Rechnungen. Mist.«

Obwohl er über seine Post nörgelte, machte er die Umschläge auf und stapelte sie sorgfältig auf dem Tisch. Er war ein akribischer Mensch, dem nie ein Fehler entging.

Tussie dagegen mischte ihre Umschläge wie Karten und warf Werbung, Ankündigungen und Formbriefe in den Papierkorb.

Miranda öffnete die Trennklappe, ging nach vorne, nahm den Papierkorb und wollte zurück in den Postsackraum, wie sie den Arbeitsbereich des Postgebäudes getauft hatte.

»Warten Sie.« Tussie warf noch zwei Briefe hinein. »Wer Formbriefe nicht öffnet, verlängert sein Arbeitsleben um drei Jahre.«

»Tatsache?« Miranda lächelte.

»Im Ernst«, neckte Tussie sie.

Miranda trug den Metallkorb um den Tisch herum zu Hank. »Noch was?«

»Ah, nein.« Er blätterte in seinem ordentlich gestapelten Haufen.

»Kannst du nie was spontan tun?« Tussie zog ihre Fäustlinge aus der Manteltasche.

»Eile mit Weile. Du müsstest bloß mal die beschädigten Geräte sehen, die ich sehe, und alles nur, weil sich irgendein Trottel keine Zeit nehmen kann. Gestern kam eine Trage mit zwei blockierten Rädern runter. Das passiert nur, wenn ein Sanitäter sich nicht die Zeit nimmt, auf die kleine Fußbremse zu tippen. Er drückt, nichts passiert und dann tritt er mit aller Macht drauf.« Hank fuhr fort, erfüllt von der Bedeutung seiner Aufgabe. »Gerade hab ich in der Kantine eine Sicherung angeguckt, die dauernd rausgeflogen ist. Hängen einfach zu viele Geräte an dem Stromkreis.« Er holte Atem, bereit, von weiteren Problemen zu berichten.

Tussie unterbrach ihn. »Dem Krankenhaus fehlt so manches.«

Er nahm den Faden wieder auf. »Eine komplette Überholung der elektrischen Anlagen. Ein neuer Heizkessel für den Altbau, aber auf mich hört ja keiner. Ich halte den Laden bloß am Laufen. Quäkt aber ein Doktor nach was, ja, dann hört die Erde auf sich zu drehen.«

»Das ist nicht wahr. Bruce Buxton schreit regelrecht nach einem neuen MRT und …«

»Was ist das?«, fragte Harry.

»Magnetresonanztomograph. Tomographie ist eine Methode, um in den Körper zu gucken, ohne ihn aufzuschneiden«, erklärte Tussie. »Die Technik auf unserem Gebiet explodiert geradezu. Die neuen MRT schaffen es in der Hälfte der Zeit. Aber ich will mich jetzt nicht über die Technik auslassen.« Sie hielt einen Moment inne. »Wir alle werden noch ein Heilmittel für Krebs erleben, für Kinder-Diabetes, für viele Krankheiten, die uns plagen.«

»Ich verstehe nicht, wie du mit kranken Kindern arbeiten kannst. Ich kann ihnen nicht in die Augen sehen.« Hank runzelte die Stirn.

»Sie brauchen mich.«

»Hört, hört«, sagte Miranda und Harry nickte beifällig.

»Wir brauchen eine Menge Zeug«, bemerkte Hank. »Trotzdem glaube ich, die im OP kriegen, was sie wollen, bevor ich kriege, was ich will.« Er holte Luft. »Ich hasse die Ärzte.« Hank steckte die Umschläge in die große Innentasche seines schweren Overalls.

»Deswegen verbringst du dein Leben im Keller.« Tussie zwinkerte. »Er sucht noch immer nach Spuren der Underground Railroad.«

»So ‘n Krampf.« Hank schüttelte den Kopf. Wäre er draußen gewesen, hätte er ausgespuckt.

»Ich hab die Geschichte seit meiner Kindheit gehört.« Miranda beugte sich über die Trennklappe. »Dass der alte Steinbau des Krankenhauses der Underground Railroad diente, um Sklaven in die Freiheit zu schleusen.«

»Jedes Haus und jeder Strauch in Crozet ist von historischer Bedeutung. Kommt man an eine Straßenecke, erklärt einem ein Schild, ›Hier hat Jefferson sich die Nase geputzt.‹ Komm, Tussie. Ich muss wieder an die Arbeit.«

»Was machen Sie hier mit dem Trübsalbläser?« Harry zwinkerte Tussie zu.

Hank unterdrückte ein Lächeln. Er war gerne Mr. Negativ. Man fiel auf bei den Leuten. Meinte er jedenfalls.

»Chuckles Auto ist in der Werkstatt.«

»Nenn mich nicht so«, wies Hank sie zurecht. »Was, wenn meine Frau das hört? Dann nennt sie mich auch so.«

»Oh, ich dachte, du würdest sagen, ›die Leute werden reden‹.« Tussie zeigte tiefe Enttäuschung.

»Ach, das tun sie sowieso. Man sollte ihnen die Zungen rausschneiden.«

»Hank, du hättest gut ins neunte Jahrhundert vor Christus gepasst. Da wärst du in deinem Element gewesen.« Tussie folgte ihm zur Tür.

»Tja, Hank. Warum bei rausgeschnittenen Zungen aufhören? Schneiden Sie den Leuten die Kehle durch.« Harry zwinkerte Tussie zu, die zurück zwinkerte.

Mrs. Murphy lachte. »Mom wird richtig blutrünstig.«

»Ich muss Chuckles wieder in seinen Bau bringen.« Tussie winkte zum Abschied.

»Du sollst mich nicht Chuckles nennen!« Er kabbelte sich mit ihr, als sie in den Tracker stiegen.

»Die sind mir vielleicht ein Paar.« Miranda beobachtete den gestikulierenden Hank.

»Ein Paar wovon?« Lachend leerte Harry den Papierkorb in einen großen Müllsack.

Der Tag zog sich hin, kroch geradezu. Der einzige weitere bemerkenswerte Vorfall ereignete sich, als Sam Mahanes, der Krankenhausdirektor, seine Post abholte. Miranda erzählte dann ganz nebenbei, dass Bruce Buxton auf dem Rücken über die Main Street gerutscht war.

Sams Gesicht lief dunkelrot an und er erwiderte: »Zu schade, dass er sich nicht das Genick gebrochen hat.«

2

Juhuu!« Harry schlitterte über die vereiste Farmstraße und ruderte dabei wild mit den Armen.

Die Pferde sahen von der Weide aus zu, mehr denn je überzeugt, dass Menschen nicht ganz dicht waren. Mrs. Murphy durchstreifte den Heuboden. Tucker rannte neben Harry her, und Pewter, nicht dumm, rekelte sich behaglich vor dem Kamin in der Küche, den Schwanz über die Nase drapiert.

Susan Tucker, von der Wiege an Harry beste Freundin, schlitterte mit ihr. Die zwei Freundinnen lachten, ihre Augen tränten von der beißenden Kälte.

Sie kamen langsam zum Stehen, fassten sich an den Händen und drehten sich gegenseitig im Kreis, bis Harry Susan losließ und diese dreißig Meter »Eis lief«, ehe sie hinfiel.

»Das war klasse.«

»Du bist dran.« Susan rappelte sich hoch. Anstatt Harry zu drehen, trat sie hinter sie und stieß sie an.

Eine halbe Stunde später sausten die zwei erschöpften Frauen zum Stall. Sie füllten Wassereimer auf, brachten Heu aus und riefen die drei Pferde Poptart, Tomahawk und Gin Fizz in ihre Boxen. Danach eilten sie in die Küche.

»Ich leg Holz nach, wenn du Kakao machst. Das kannst du besser als ich.«

»Bloß, weil du nicht die Geduld hast, die Milch warm zu machen. Du schüttest einfach heißes Wasser über das Kakaopulver. Mit Milch schmeckt’s besser, auch wenn du das Fertigzeug nimmst, wo schon Milchpulver drin ist.«

»Ich mag Kakao.« Pewter hob den Kopf.

»Sie hat das Wort Milch gehört.« Harry stocherte im Feuer, dann legte sie ein trockenes Holzscheit auf die aufzüngelnden Flammen. Sobald es brannte, legte sie ein zweites Scheit parallel daneben, dann zwei Scheite quer obenauf.

»Ich hätte gern Milch.« Mrs. Murphy platzierte sich mitten auf den Küchentisch.

»Runter, Murph.« Harry ging auf die schöne Katze zu, die auf einen Stuhl hinuntersprang; ihr Kopf lugte über die Tischplatte.

»Da.« Susan goss für die zwei Katzen Milch in eine große Schüssel, dann holte sie für Tucker Hundeknochen aus der Keramik-Keksdose. Susan, die Tee Tucker gezüchtet hatte, liebte den Hund. Sie hatte ein Tier von dem Wurf behalten und wollte eines Tages wieder welche züchten.

»Hab ich dir erzählt, was Sam Mahanes heute gesagt hat? Das war ungefähr das einzig Interessante, was heute passiert ist.«

»Ich hab Mistpost weggeworfen, zusammen mit dem Popcorn, das in meinem Postfach lag. Das war das große Ereignis meines Tages«, erwiderte Susan.

»Ich hab’s nicht reingetan.«

»Warum hast du’s dann nicht rausgeräumt? Du hast doch das Postamt picobello sauber zu halten.«

»Weil, wer immer das Popcorn da reingelegt hat, wollte, dass du es kriegst.« Harry lächelte.

»Das reduziert die Missetäter auf meinen geschätzten Ehemann Ned, aber er ist nicht der Typ dafür. Danny, hm, hm, der ist mehr wie sein Vater. Es muss Brooks gewesen sein.« Sie sprach von ihrer Teenager-Tochter.

»Ich verrate nichts.«

»Brauchst du auch gar nicht; denn wenn ich nach Hause komme, wird sie darauf warten, dass ich was sage. Gebe ich nichts von mir, wird sie sagen: ›Mom, war heute Post da?‹ Je länger ich schweige, desto verrückter macht es sie.« Susan lachte. Sie liebte ihre Kinder, und sie trieben sie zum Wahnsinn, wie es nur Heranwachsende können, trotzdem waren sie gute Kinder.

»Das Schwierige war, Mrs. Murphy und Pewter davon abzuhalten, mit dem Popcorn zu spielen.«

»Wie hast du das hingekriegt?«

Mrs. Murphy hob den Kopf von der Milchschüssel. »Katzenminze im Fach von Reverend Jones.«

Beide Frauen lachten, als die Katze sprach.

»Sie hat ihre eigenen Ansichten«, bemerkte Susan.

»Ich hab Katzenminze in Herbs Postfach gelegt.« Harry kicherte. »Wenn er nach Hause kommt und seine Post auf den Tisch legt, werden seine zwei Katzen sie zerfetzen.«

»Weißt du noch, wie Cazenovia die Hostien gefressen hat?« Susan brüllte vor Lachen, als sie sich daran erinnerte, wie Herbs frechste Katze einmal in den Kirchenschrank gelangte, den man unvorsichtigerweise offen gelassen hatte. »Und wie ich höre, lernt seine jüngere Katze Eloquenz von Cazenovia. Stell dir vor, du kniest an der Kommunionbank und kriegst eine Hostie mit Abdrücken von Fangzähnen gereicht.«

Harry lachte. »Der beste Gottesdienst, den ich je besucht habe. Aber das muss ich Herb lassen, er hat Brotrinde zerbröckelt und die Kommunion fortgesetzt.«

»Was war mit Sam Mahanes?«, fragte Susan. »Ich wollte nicht vom Thema abkommen. Das mach ich dauernd, dabei bin ich noch nicht mal alt. Kannst du dir vorstellen, wie ich mit achtzig sein werde?«

»Kann ich. Du wirst mal so ‘ne liebenswürdige Alte, die in anderer Leute Küche geht und sich ‘ne Tasse Tee macht.«

»Hm, dann bin ich wenigstens nicht langweilig. Exzentrik hat was für sich. Aber du wolltest mir erzählen, was Sam Mahanes heute im Postamt gesagt hat.«

»Ach ja. Miranda hat ihm erzählt, dass Bruce Buxton kopfüber aufs Eis gestürzt ist. Sam wurde puterrot und sagte: ›Zu schade, dass er sich nicht das Genick gebrochen hat‹, und dann ist er aus dem Postamt gestürmt.«

»Aha.« Susan stützte ihr Kinn in die Hand, während sie ihren Kakao umrührte. »Ich dachte, die zwei wären dicke Freunde.«

»Ja, obwohl mir unbegreiflich ist, wie jemand Bruce über längere Zeit ertragen kann.«

Susan zuckte mit den Achseln. »Ich nehme an, um ein guter Chirurg zu sein, braucht man ein dickes Ego.«

»Das braucht man als Posthalterin auch.«

»Um gut zu sein, egal wobei, braucht jeder ein gewisses Ego. Der Trick ist, es zu verstecken. Bruce mag ja exzellent sein in seinem Beruf, aber von Menschen versteht er nichts. Das habe ich an Fair immer bewundert. Er ist großartig in seinem Beruf, aber er lässt es nie raushängen.« Sie trank einen Schluck. »Und wie geht’s deinem Ex-Mann?«

»Gut. Jetzt ist Zuchtsaison, da werde ich ihn nicht oft zu sehen kriegen, bis die Stuten gedeckt sind. Und die im Vorjahr Gedeckten fohlen.« Fair war Experte für Pferdezucht, ein sehr gefragter Tierarzt.

»Ach Harry.« Empört schlug Susan mit ihrem Löffel auf Harrys Knöchel.

»Du hast gefragt, wie’s ihm geht, nicht wie’s mit uns läuft.«

»Gott, bist du spitzfindig.«

»Schon gut, schon gut. Bis jetzt haben wir unsere Mittwochabendverabredungen eingehalten. Wir amüsieren uns.«

Sie zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, ob der Blitz zweimal einschlagen kann.«

»Ich auch nicht.«

»Ich hab die Leute so satt, die uns wieder zusammenbringen wollen. Wir sind jetzt vier Jahre geschieden. Das erste Jahr war die Hölle …«

Susan unterbrach sie. »Ich erinnere mich.«

»Ich weiß nicht, ob die Zeit alle Wunden heilt, oder ob man einfach bloß klüger wird. Ob man realistischer wird, was die Ansprüche an andere und sich selbst betrifft.«

»Gott, Harry, das hört sich an wie der Beginn von Reife.« Susan tat erschrocken.

»Beängstigend, nicht?« Harry stand auf. »Noch Kakao?«

»Ja, trinken wir ihn aus.« Susan erhob sich.

»Setz dich.«

»Nein, ich kann dir deine Tasse bringen. Über der Spüle schenkt sich’s leichter ein.«

»Ja, schätze, du hast Recht.« Harry nahm den Tiegel und goss vorsichtig den Kakao in Susans Tasse, dann in ihre. »Der Wetterbericht sagt, morgen wird es bis zu zehn Grad warm.«

»Davon ist noch nichts zu spüren. Ich hab nichts gegen Schnee, aber Eis raubt mir den letzten Nerv. Vor allem, wenn die Kinder mit dem Auto unterwegs sind. Ihr Reaktionsvermögen ist gut, aber sie haben noch nicht so viel Erfahrung wie wir, und ich frage mich, was sie machen, wenn sie zum ersten Mal ins Schleudern geraten. Was, wenn ihnen einer entgegenkommt?«

»Susan, sie werden ihre Erfahrungen machen und beschützen kannst du sie sowieso nicht.«

»Stimmt. Aber trotzdem.«

»Findest du es nicht erstaunlich, dass Miranda im tiefsten Winter ihre Diät eingehalten hat?«

»Und dabei bäckt sie immer noch für den Laden und für ihre Freunde. Ich hatte keine Ahnung, dass sie so diszipliniert ist.«

»Da sieht man, was die Liebe alles fertig bringt.«

Miranda hatte ihren Mann vor mehr als zehn Jahren verloren. Alles in allem war es eine glückliche Ehe gewesen, und nachdem George Hogendobber das Zeitliche gesegnet hatte, hatte Miranda sich mit Essen getröstet. Es braucht lange, um zehn Jahre Trost zu beseitigen. Der Ansporn war die Wiederkehr ihres Highschool-Freundes, inzwischen verwitwet, der zum Ehemaligentreffen gekommen war. Die Funken flogen, und, wie Miranda es beschrieb, sie »leisteten sich Gesellschaft«.

»Die Footballmannschaft.«

»Was?« Harry, die daran gewöhnt war, dass ihre alte Freundin abrupt das Thema wechselte – ihr selbst ging es oft nicht anders –, konnte ihr diesmal jedoch nicht folgen.

»Bestimmt ist Sam Mahanes deswegen wütend auf Bruce Buxton. Weil Bruce alle Footballspieler operiert. Und stand nicht gerade ein lobender Bericht über seine Arbeit in der Zeitung? Du weißt schon, der Junge, von dem alle denken, dass er es nächstes Jahr zum Spitzensportler bringt, wenn sein Knie wieder mitmacht. Und Isabelle Otey, Basketball-Star der Mädchen. Er kriegt alle Stars. Eifersucht?«

»Buxton hatte immer eine gute Presse. Zu Recht, nehme ich an. Man sollte doch meinen, als Direktor des Krankenhauses würde Sam sich freuen, wenn Bruce berühmt wird, oder?«, fragte Harry.

»Da ist was dran. Komisch, jede Stadt, groß oder klein, hat ihre abgeschlossenen kleinen Welten, wo Ego, Eifersucht, verbotene Liebe kollidieren. Sogar die Errettungsgesellschaft von Crozet kann eine stürmische Brutstätte sein. Guter Gott, die vielen alten Damen, und keine will der anderen eine fürchterliche Missetat von 1952 oder wann auch immer verzeihen.«

»Sex, Drogen und Rock 'n' Roll.« Mrs. Murphy kletterte auf den Stuhl, um sich an dem Küchengespräch zu beteiligen.

»Was ist, Miezekatze?« Harry streichelte das glatte Köpfchen.

»Menschen werden wegen Pikanterien wütend auf andere.«

»Geld. Du hast Geld vergessen.« Tucker putzte den Fußboden, indem sie die Krümel ihres Hundeknochens aufleckte.

»Ein bisschen davon würde hier nicht schaden«, fand Pewter, die aus ihrem Bedürfnis nach Luxus keinen Hehl machte.

»Und?« Mrs. Murphy schob die Schnurrhaare auf einer Seite vor.

»Was, und?« Die rundliche graue Katze sprang auf den letzten freien Küchenstuhl.

»Du willst Geld. Dann beweg deinen dicken Hintern hier raus und verdien welches.«

»Sehr komisch.«

»Du könntest Schutzgelder erpressen. Menschen tun so was. Verlange eine kleine Gebühr dafür, dass du keine Gärten verwüstest, keine halb verdauten Mäuse auf Eingangstreppen legst und den Kühlschrank nicht plünderst.«

Bevor wenig schmeichelhafte Worte fallen konnten, beugte Harry sich hinüber, Auge in Auge mit den Katzen. »Ich kann mich nicht denken hören.«

»Sie sind wirklich sehr gesprächig«, sagte Susan. »Genau wie ihre Mutter.«

»Hm, hm.« Harry sah aus dem Fenster. »Verdammt.«

Susan drehte sich um, um zu sehen, was los war.

»Noch mehr Schnee«, jammerte Tucker. Da sie klein war, musste sie sich regelrecht durch Schnee pflügen. Dann, und nur dann gestattete sie sich, größere Hunde zu beneiden.

3

Schmetterball!«, warnte Isabelle Otey am Spielfeldrand, als Harry, die in der gegnerischen Mannschaft spielte, hoch in die Luft sprang und die Faust gegen den Volleyball stieß. Eigentlich war Basketball Isabelles Sport, aber sie liebte fast alle Mannschaftsspiele, und sie wollte gern die »Townies« kennen lernen, wie die Studenten der Virginia University die Bewohner des Bezirks nannten. Am Spielfeldrand zur Untätigkeit verdammt, unterstützte sie ihre Mannschaft verbal.

Isabelles Mannschaft, die Harrys Geschicklichkeit kannte, machte sich geduckt zur Abwehr bereit, doch Harry war nicht nur kräftig, sie war auch gerissen. Sie schmetterte den Ball dahin, wo niemand stand.

»Spiel aus«, rief die Schiedsrichterin beim Spielstand von 21 zu 18.

»Ein Arm wie eine Rakete.« Cynthia Cooper klopfte Harry auf den Rücken.

Isabelle, deren Krücken an der Tribüne lehnten, rief Harry zu: »Zu gut, Mary Minor. Sie sind einfach zu gut.«

Harry schlang sich ein Handtuch um den Hals und trat zu der Trainerin der gegnerischen Mannschaft. Coop von der Bezirkspolizei kam dazu.

»Isabelle, sie brauchen dich. Die Basketballmannschaft auch.« Cynthia setzte sich neben sie.

»Noch vier Wochen. Es tut ja nicht richtig weh, die Schwellung ist schnell zurückgegangen. Aber ich will das nicht noch mal durchmachen, deshalb tu ich, was Dr. Buxton gesagt hat. Die meiste Angst hab ich, wenn ich mit den Krücken übers Eis zum Auto muss.«

»Morgen soll’s regnen.« Harry wischte sich mit dem weißen Handtuch das Gesicht ab. »Dann schmilzt der Schnee ein bisschen. Das ist gut. Er schmilzt aber nicht ganz weg, und am Abend ist alles noch mehr vereist. Das ist weniger gut.«

»Dann geht mir wenigstens die Arbeit nicht aus.« Cynthia grinste. »Ich muss schließlich was tun für mein Geld. Die meisten Leute verhalten sich bei Blechschäden ganz vernünftig. Manche drehen durch.«

»Sie kriegen bestimmt ‘ne Menge zu sehen.« Isabelle konnte sich nicht vorstellen, Polizeibeamtin zu sein. Sie wollte als Profi-Basketballerin Karriere machen.

»Hauptsächlich Autounfälle, Saufereien, ein paar Diebstähle und« – sie lächelte diabolisch – »gelegentlich ein Mord.«

»Ich frag mich, ob ich jemanden umbringen könnte.«

»Isabelle, du würdest staunen, wozu du fähig wärst, wenn dein Leben davon abhinge.« Cynthia fuhr sich mit den Fingern durch die blonden Haare.

»Sicher. Aus Notwehr, aber ich lese in der Zeitung von Serienmördern oder von Leuten, die einfach mit ‘nem Gewehr in einen Laden an der Ecke gehen und alle, die gerade drin sind, über den Haufen schießen.«

»Ich habe ab und zu im Postamt ein paar kaltblütige Gedanken«, sagte Harry kichernd.

»Ach Harry, Sie könnten niemanden umbringen – außer natürlich in Notwehr«, sagte Isabelle.

»Ich hab nicht viel über dieses Thema nachgedacht. Und wie siehst du das, Coop? Du bist hier der Profi.«

»Die meisten Mörder haben ein Motiv. Eifersucht, vererbtes Geld. Das Übliche. Doch hin und wieder kommt einer daher, der einen glauben lässt, dass manche Menschen bereits böse geboren werden. Meiner Ansicht nach gestattet unser System, dass sie damit durchkommen.«

»Wollen wir jetzt über die Aufhebung der Bürgerrechte diskutieren?«, fragte Harry.

»Nein, weil ich unter die Dusche muss. Hab heute Abend ‘ne Verabredung.«

Harry und Isabelle horchten auf. »Womit?«

»Mit wem«, verbesserte Harry Isabelle.

»Mit Harrys Ex.«

»Echt?« Isabelle beugte sich vor.

»Nimm ihn. Er gehört dir.« Harry machte eine lässige Bewegung mit der rechten Hand.

»Ach komm, stell dich nicht so an. Er liebt dich und das weißt du.« Coop lachte Harry aus, dann wurde ihre Stimme lebhaft. »Ich hab’s. Gib’s zu, du hättest BoomBoom Craycroft umbringen können, als die beiden eine Affäre hatten.«

»Ähem, ja«, erwiderte Harry trocken. »Die Affäre, die meine Ehe beendete. Aber eigentlich stimmt das nicht ganz. Ehen enden auf vielerlei Art. Das war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Hätte ich BoomBoom umbringen können? Nein. Sie konnte nicht aus ihrer Haut. Ihn hätte ich umbringen können.«

»Und, warum haben Sie’s nicht getan?«, wollte Isabelle wissen, die noch nie verliebt gewesen war.

»Keine Ahnung.«

»Weil du keine Mörderin bist«, antwortete Coop für Harry. »Jeder Mensch auf Erden hat Zeiten, wo er dermaßen provoziert wird, dass er jemanden töten könnte, aber neunundneunzig Prozent von uns tun es nicht. Ich möchte schwören, dass es Menschen gibt, die von ihren Genen her zu Gewalt und Mord neigen. Und es ist mir schnurzpiepegal, wenn ich mich mit dieser Meinung unbeliebt mache.«

»Wieso sitzen wir hier und reden über meine verflossene Ehe?«

»Weil ich heute Abend mit Fair die Runde mache.«

Fair Haristeen hatte Cynthia Cooper eingeladen ihn zu begleiten, als sie Interesse an seiner Arbeit bekundet hatte.

»Ich wusste gar nicht, dass Sie sich für Pferde interessieren.« Isabelle stand auf und Harry reichte ihr die Krücken.

»Ich mag Pferde, aber eigentlich interessiert es mich, ein paar Gestüte von der anderen Seite zu sehen. Die Stallarbeiter kennen zu lernen. Vielleicht brauch ich mal ihre Hilfe. Und ich möchte mehr über Therapien wissen.«

»Vieles, was später bei Menschen angewendet wird, wird zuvor in der Tierheilkunde getestet.«

»Wie die Operation an meinem Knie.« Isabelle schwang ihr Bein über die unterste Tribüne und trat auf den Holzboden. »Ich möchte wissen, wie viele Hunde, Katzen und Pferde vor mir einen Kreuzbandriss hatten.« Sie hielt kurz inne. »Harry, tut mir Leid, wenn ich Sie in Verlegenheit gebracht habe mit der Frage, wann Ihre Ehe in die Brüche ging.«

»Komm, ich trag dir deine Tasche.« Harry hob die beängstigend große Tasche auf und warf sie sich über die Schulter. »In Crozet wissen alle alles über jeden – oder sie glauben es zu wissen. Er hat sich rumgetrieben und ich hatte es satt. Und mit einem Tierarzt verheiratet sein, ist wie mit einem Arzt verheiratet sein. Man kann sich eigentlich nie was vornehmen. Immer kommt ein Notfall dazwischen, und manchmal gibt es Tage, an denen man sich kaum sieht. Und ich hab zu jung geheiratet.«

Beide sahen gebannt hin, als BoomBoom Craycroft die Tür zur Turnhalle aufstieß. »Wenn man vom Teufel spricht.«

»Hi, Mädels.« Die üppige, gut aussehende Frau winkte ihnen zu.

»Was machst du denn hier?«, fragte Harry, da BoomBoom auf der Highschool immer die Turnstunden geschwänzt hatte. Ihre einzige körperliche Betätigung, abgesehen vom Nächstliegenden, war Golfen.

»Ich hab eure Autos draußen gesehen und dachte, ich verpass vielleicht was.«

»Hast du auch. Wir haben sie aus dem Feld geschlagen und uns dann darüber unterhalten, ob wir zu Mord fähig sind«, sagte Harry mit Leichenbittermiene.

»Ach. Ja, und außerdem bin ich vorbeigekommen, weil ich Sheriff Shaw in Market Shifletts Laden gesehen habe. Coop, er weiß, dass Sie was vorhaben, aber könnten Sie heute Abend arbeiten? Bobby Yount hat Grippe, und der Sheriff meint, dass heute Nacht viel los sein wird. Sie möchten ihn bitte in seinem Wagen anrufen.«

»Verdammt. Na gut. Danke, Boom.« Cynthia wandte sich an Harry und Isabelle. »Da geht sie hin, meine Verabredung mit Fair.« Sie wusste, dass dies BoomBooms rasende Neugierde anstacheln würde.

Mit weit aufgerissenen Augen rückte BoomBoom dicht an Coop heran in der Hoffnung, sie unauffällig von den zwei anderen Frauen fortzuziehen und Pikantes zu erfahren über das, was ganz nach einer Romanze oder zumindest einer ernsthaften Verabredung aussah.

Harry hintertrieb dies, indem sie sagte: »Mensch Boom, vielleicht solltest du einspringen.«

»Gott, kannst du fies sein. Richtig fies.« BoomBoom machte auf dem Absatz eines teuren, in Aspen gekauften Winterstiefels kehrt und stürmte hinaus.

Isabelle klappte bei den Mätzchen der Erwachsenen die Kinnlade runter.

»Schmetterball.« Coop klopfte Harry auf den Rücken.

4

Ein Wetterwechsel, wie er in den Bergen so häufig ist, bescherte an den folgenden Tagen Temperaturen um die dreizehn Grad. Das Geräusch von strömendem, tropfendem und platschendem Wasser drang den Menschen in die Ohren; Rinnsale liefen über Staatsstraßen, schmale Bäche kreuzten die niedrig gelegenen Weiden und ergossen sich in kleine Flüsse; Ströme und Flüsse waren angestiegen und stiegen weiter.

Die Schluchten hielten den Schnee in ihren Spalten auf der Nordseite fest, große Flächen mit frischem Schnee ohne Spuren, weil Tiere die tiefen Verwehungen mieden. Türkisblaue Eiszapfen hingen kaskadenartig über den Felsnasen auf der Nordseite.

Da sie in Kürze einen neuerlichen arktischen Luftstrom befürchteten, schrubbten und füllten die Farmer Wassertröge, breiteten die Vorstadtgärtner noch eine Schicht Mulch über die Frühlingsblumenzwiebeln, wuschen die Autohändler ihre Bestände.

Harry, eine Frühaufsteherin, erledigte rasch ihre Farmarbeit, saß auf einem Pferd und trieb die anderen beiden, indem sie mal hinter, mal neben ihnen ritt, kletterte dann die Leiter hoch, um die Dachrinnen von Stall und Haus zu reinigen.

Mrs. Murphy jagte auf dem Heuboden Mäuse, sorgsam darauf bedacht, Simon, das schlafende Opossum, die schlummernde Kletternatter oder die in der Kuppel dösende riesige Eule nicht zu stören. Die Beute war mager, weil die Eule sich alles schnappte, weswegen Simon Körner aus der Sattelkammer fraß. Allerdings konnte weder Murphy noch die Eule die Mäuse ausrotten, die in den Mauern zwischen der Sattelkammer und den Boxen lebten. Die Mäuse saßen in ihrem gemütlichen Heim und sangen, nur um die Katze zu quälen.

Pewter, die sich nicht gern die Pfoten nass machte, rekelte sich, auf dem Rücken liegend, auf dem Sofa im Haus. Tucker blieb Harry, die sie als ihre Menschenmutter betrachtete, auf den Fersen, was bedeutete, dass sie sich den Bauch schmutzig gemacht hatte, weil auch sie sich bemüßigt fühlte, Großes zu leisten. Sie las die kleinen heruntergefallenen Zweige und Äste auf und brachte sie in den Geräteschuppen. So klein die Corgihündin auch war, sie konnte das Vierfache ihres Gewichtes schleppen.

Sie packte das dicke Ende eines Astes, stemmte die Hinterbeine fest in den Boden, zerrte das schwere Ding ein bisschen hoch und legte dann den Rückwärtsgang ein. Ihre mühevolle Arbeit brachte Harry jedes Mal zum Lachen.

Gegen elf an diesem Samstag war Harry bereit, in die Stadt zu fahren. Die Fuchsjagd war abgesagt worden, weil die Gespanne und Wohnwagen im Schlamm stecken bleiben würden. Das Parken war an regnerischen oder matschigen Tagen immer ein Problem.

»Tucker, wir müssen dich in der Waschbox sauber machen. So kommst du mir nicht ins Auto.«

»Ich kann auf einer Stelle sitzen bleiben. Ich rühr mich auch nicht vom Fleck.« Sie ließ die Ohren hängen, weil sie von einem Bad jeglicher Art, Fasson oder Form, nicht begeistert war. Andererseits liebte sie es, sich in eine Pfütze zu setzen, in einen Bach zu springen. Aber Seife in Verbindung mit Wasser, das beleidigte ihr Hundezartgefühl.

»Komm.«

»Warum wäschst du nicht auch Mrs. Murphy die Pfoten?« Ein übermütig gehässiger Ton schlich sich in Tuckers Stimme, als sie in den Stall lief.

»Das hab ich gehört, du Dummbeutel.« Murphy lugte über die Seite des Heubodens.

»Was gefangen?«, rief Harry ihrer geliebten Katze zu.

»Nein«, brummte sie zurück.

»Bist nicht mehr die Schnellste, wie?« Tucker wollte ihre Freundin in Harnisch bringen. Was ihr auch gelang.

»Ich könnte dich jederzeit plattmachen, Dickerchen. Schwanzloses Wunder. Blöder Hund.«

»Haha!« Tucker vermied es, nach oben zu gucken, was die geschmeidige, leicht egoistische Katze noch mehr in Rage brachte.

»Na schön. Wenn du nicht aufstehen willst, nehm ich dich an die Kandare«, warnte Harry den kleinen Hund.

Sie drehte das warme Wasser auf und richtete den Schlauch auf Tuckers Bauch, dessen schöne weiße Färbung nun wieder zum Vorschein kam.

Möchten Sie gerne weiterlesen? Dann laden Sie jetzt das E-Book.