Möwenzorn - Stina Jensen - E-Book

Möwenzorn E-Book

Stina Jensen

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Beschreibung

Abitreffen auf Sylt – für Levke Sönkamp keine leichte Reise, denn mit der Nordseeinsel verbindet sie unangenehme Erinnerungen. Doch das Zusammentreffen mit alten Klassenkameraden und ihrer Jugendliebe Leon könnte alte Wunden heilen.
Das erste Drama erwartet sie schon bei ihrer Ankunft. Der Wirt des Szenelokals, in dem das Wiedersehen gefeiert werden sollte, ist ermordet worden. Levke sucht nicht nur nach einem Ersatzlokal, sondern auch nach dem Täter. Dabei stößt sie auf zahlreiche Ungereimtheiten. Was verbirgt die Witwe des Opfers? Und was dessen bester Freund – zufällig Beamter der örtlichen Polizei?
Mitten in ihre Ermittlungen platzt Leon, dessen Anwesenheit bei Levke nicht gerade für einen klaren Kopf sorgt. Chefinspektor Jordi Barceló, der Levke von Mallorca aus beratend zur Seite steht, sorgt sich um ihre Sicherheit.
Am Tag des Jahrgangstreffens spitzen sich die Ereignisse zu ...

Privatermittlerin mit stolperndem Herzen
Nach einer persönlichen Tragödie ist Levke Sönkamp auf Mallorca gestrandet. Seither wird sie regelmäßig Zeugin von Verbrechen. Das gefällt weder ihr noch Chefinspektor Jordi Barceló. Dennoch schafft es eine merkwürdige Anziehung zwischen ihnen. Hat das Schicksal die beiden zusammengeführt? Eines steht jedenfalls fest: Mit jedem neuen Fall werden sie ein besseres Team.
Spannung und Gefühl vor bedrückender Küstenkulisse.

Mehr von Keller & Jensen:
Möwentrauer – Levke-Sönkamp 1
Möwenschuld – Levke-Sönkamp 2
Jeder Teil der Reihe ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

Thriller:
Vater Mutter Kind
Hirngespenster
Klirrende Stille

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INHALT

Keller & Jensen

Das Buch

Sonntag

Benning

Montag

Levke

Gutmann

Levke

Gutmann

Levke

Dienstag

Jordi

Levke

Rosario

Levke

Rosario

Gutmann

Levke

Jordi

Levke

Gutmann

Levke

Mittwoch

Jordi

Levke

Jordi

Rosario

Gutmann

Levke

Jordi

Levke

Rosario

Levke

Gutmann

Donnerstag

Jordi

Levke

Jordi

Freitag

Levke

Rosario

Levke

Gutmann

Levke

Jordi

Levke

Samstag

Jordi

Gutmann

Rosario

Levke

Jordi

Levke

Jordi

Levke

Jordi

Rosario

Jordi

Levke

Jordi

Sonntag

Levke

Jordi

Levke

Gutmann

Jordi

Levke

Nachwort

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Wunsch-eBook

Leseprobe zu INSELrot | Prolog

Leseprobe Möwenschuld

Hinter dem Autorennamen Keller & Jensen verbirgt sich die aus Hessen stammende Autorin Ivonne Keller. Ihr besonderes Interesse beim Schreiben gilt Menschen in psychischen Extremsituationen. Ihre Kurzkrimis sind in zahlreichen Anthologien deutscher Verlage zu finden.

Unter dem Pseudonym Stina Jensen verfasst sie romantische Insel-, Gipfel- und Winterromane, in denen neben der Liebe auch Familiengeheimnisse und persönliche Krisen Thema sind.

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DAS BUCH

Stell dir vor, du hast ein Klassentreffen auf Sylt.

Willst dich von deiner besten Seite zeigen.

Doch dann begegnet dir auf der Feier ein Mörder.

Abitreffen auf Sylt – für Levke Sönkamp keine leichte Reise, denn mit der Nordseeinsel verbindet sie unangenehme Erinnerungen. Doch das Zusammentreffen mit alten Schulkameraden und ihrer Jugendliebe Leon könnte alte Wunden heilen.

Das erste Drama erwartet sie schon bei ihrer Ankunft. Der Wirt des Szenelokals, in dem das Wiedersehen gefeiert werden sollte, ist ermordet worden.

Levke sucht nicht nur nach einem Ersatzlokal, sondern auch nach dem Täter. Dabei stößt sie auf zahlreiche Ungereimtheiten. Was verbirgt die Witwe des Opfers? Und was dessen bester Freund – zufällig Beamter der örtlichen Polizei?

Mitten in ihre Ermittlungen platzt Leon, dessen Anwesenheit bei Levke nicht gerade für einen klaren Kopf sorgt.

Chefinspektor Jordi Barceló, der Levke von Mallorca aus beratend zur Seite steht, sorgt sich um ihre Sicherheit …

SONNTAG

BENNING

Dirk Benning ruderte bei seinem Fall nach hinten mit den Armen, ein stechender Schmerz fuhr ihm in die rechte Wade. Er versuchte, sich abzufangen, doch es gelang nicht; der Aufprall seines Hinterkopfs auf dem Steinboden nahm ihm die Luft.

»Dann verreck doch, du Arschloch!«, hörte er sie noch rufen, schon fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.

Er lag da wie ein gefällter Baum.

Sein Kopf dröhnte entsetzlich. Er schmeckte Blut. Und das Herz schlug ihm in der Brust, als hätte er einen Marathon hingelegt.

Er versuchte, sich vom Boden abzustemmen, aber der Schmerz in seinem Bein hinderte ihn daran. Erschöpft sank er zurück auf die Fliesen.

Sie würde sich gleich besinnen und ihn aus seiner misslichen Lage befreien. So dumm konnte sie nicht sein, ihr musste doch klar sein, was das sonst für einen Ärger geben würde.

Offenbar war er mit seinen Drohungen zu weit gegangen. Dabei hätte er sie doch gar nicht wahrgemacht. Er hatte ihr nur ein wenig Angst machen wollen.

Plötzlich kam es ihm hoch. Ohne Vorwarnung. Er wandte den Kopf und übergab sich auf die Fliesen, ihm wurde schwarz vor Augen.

Als er wieder zu sich kam, war ihm, als hätte jemand nach ihm gerufen. Er wollte antworten, doch seine Zunge lag wie ein Fremdkörper in seinem Mund. Träumte er das alles nur?

Der Schmerz in seiner Wade sprach dagegen.

Das Messer. Es musste das Messer sein. Das lange japanische Teil, mit dem er Orangen und Zitronen schnitt, die er für Frischgepressten oder Cocktails verwendete. Er hatte es selbst in die Spülmaschine gesteckt. War er auf der Klinge gelandet?

Verdammt.

Die Angst fraß sich in seine Eingeweide. Wieder versuchte er, sich aufzurappeln, doch der rasende Schmerz und der Schwindel im Kopf machten es ihm unmöglich. Sein Handy. Wo war es denn? In der Hosentasche? Nein.

Verfluchter Mist. Es lag auf der Arbeitsplatte.

Er besaß nicht mal die Kraft, die Augen offen zu halten.

Was, wenn das hier das Ende war? Würde er gleich am Ausgang eines Tunnels ein weißes Licht sehen? Er hatte gedacht, dass er einmal alt werden würde. Dass er eines Tages den Lebensabend mit Heike genießen würde, die seit Jahren darauf drängte, den Laden aufzugeben. Natürlich hatte er keine Eile damit gehabt, dafür hing er viel zu sehr an der Windrose. Außerdem war er ja immer davon ausgegangen, dass er steinalt werden würde und er bis zu seinem Ruhestand noch ewig Zeit hätte. Er war kerngesund, knackige fünfundsechzig erst.

Und jetzt das.

Ihm schwanden erneut die Sinne.

Als er abermals zu sich kam, hörte er Schritte neben sich. Es kostete ihn alles, die Lider zu öffnen.

Kein Zweifel, er träumte.

»Hilf mir, Verräterin«, hauchte er dennoch.

Flatternd senkten sich seine Lider, er lauschte ihren Schritten, ihrem Keuchen.

Mixte sie sich etwa einen Drink?

Jetzt kitzelte ihr Atem an seinem Ohr. Da war etwas an seinen Lippen. Wollte sie ihm einen Finger in den Mund schieben? Nein, es war härter. Wurde gewaltsam zwischen seine Zähne geschoben. Was zur Hölle?

Ein Geräusch wie Sprühsahne. Brennend scharfe Flüssigkeit in seinem Mund. Er wollte ausspucken, doch im Reflex atmete er ein.

MONTAG

LEVKE

Sie fischte das Kaugummi aus dem Mund und ließ es in den Aschenbecher des Mietwagens fallen. Seit ihrer Abfahrt in Hamburg hatte sie nun schon auf diesem Ding herumgekaut. Hauptsächlich, um sich wach zu halten, sie hatte in ihrem alten Zimmer im Haus ihrer Eltern aus Aufregung vor den bevorstehenden Tagen nicht besonders gut geschlafen. Sie setzte den Blinker und folgte den Hinweisschildern Richtung Autozug, reihte sich in die Schlange der wartenden PKW ein.

Zum Glück hatte sie auch ohne Navi gut hergefunden. Ihr Handyakku hatte sich unterwegs verabschiedet, und somit war der Routenplaner ebenfalls ausgefallen. Es musste am USB-Anschluss des Mietwagens liegen, da war kein Saft drauf. Das sollte sie reklamieren.

Immerhin hatte sie noch Sandras Nachricht lesen können, dass sie sich direkt zu deren Mediations-Praxisräumen begeben sollte, wo sie die nächsten Tage übernachten würde, und nicht, wie zuerst geplant, zu Sandra nach Hause. Die musste überraschend mit ihrer Mutter zum Arzt. Den Schlüssel zur Praxis würde Levke von den Vermietern bekommen.

Es nieselte leicht. Vor ihr im Wagen tollten auf der Rückbank zwei blonde Mädchen herum. Hatte sie nicht gestern Abend erst mit Nadja darüber gesprochen, dass die Welt aus nichts anderem als Kindern zu bestehen schien, die sie an ihre beiden erinnerten? Ihre Schwester hatte geantwortet, das sei ganz normal. Schwangeren käme es so vor, als gäbe es mit einem Mal nur noch andere werdende Mütter auf der Straße. Oder wenn man sich einen Volvo kaufte, wie sie letztens, begegnete einem diese Marke scheinbar an jeder Ampel.

Vielleicht hatte Nadja recht. Dass hier diese beiden jetzt für die nächste Viertelstunde vor ihrer Nase herumturnen würden, kam ihr dennoch wie ein schlechtes Omen vor.

Sie folgte den Anweisungen des Bahnpersonals, lenkte den Wagen holpernd auf die obere Etage des roten Zugs und zog schließlich die Handbremse, schnallte sich ab und ließ die Schultern kreisen. Die beiden Mädchen vor ihr im Auto streckten ihr die Zungen heraus. Levke tat es ihnen gleich. Ihre Psychologin wäre stolz auf sie.

Das Abfahrtsignal ertönte. Scheppernd setzte sich der Zug in Bewegung in Richtung Damm übers Wattenmeer. Eine Woche Sylt. Zuerst ein paar Entspannungstage und Unternehmungen mit Sandra, die sich ihretwegen freigenommen hatte, und am Samstag dann das Treffen ihres Abijahrgangs. Neununddreißig Leute hatten sich angemeldet, etwa ein Drittel aller Ehemaligen. Erstaunlich viele, wenn man bedachte, dass die meisten von ihnen in alle Windrichtungen verstreut lebten. Abgesehen davon hatten sie ja in Hamburg Abi gemacht und nicht auf Sylt. Aber da sie damals hierher ihre Abschlussfahrt unternommen hatten – sie waren in einem Zeltlager namens »Vogelkoje« untergekommen – war der Gedanke gar nicht so abwegig. Außerdem war Sandra inzwischen auf der Insel zu Hause, und da man eine Organisatorin vor Ort brauchte, war die Sache damit entschieden. Der Zufall wollte es, dass Sandra einen Kneipenwirt kannte, dessen Restaurant für eine geschlossene Gesellschaft ihrer Größe wie geschaffen war.

Levke war bis zum Schluss unentschlossen gewesen, ob sie überhaupt kommen würde. Die Abschlussfahrt vor mittlerweile vierzehn Jahren war ihr nämlich nicht in besonders guter Erinnerung.

Ein Flatsch Möwenschiss landete auf der Windschutzscheibe. Der Klecks setzte sich in Bewegung und rutschte im Zeitlupentempo abwärts. Sie setzte den Scheibenwischer in Gang und bereute es im selben Augenblick. Schnell betätigte sie die Wischanlage, doch damit machte sie alles nur schlimmer. Ein grauer, undurchsichtiger Film bedeckte die Scheibe und verhinderte die Sicht nach draußen.

Fluchend fischte Levke eine Packung Papiertaschentücher aus ihrer Handtasche und öffnete die Fahrertür. Eigentlich war das Aussteigen während der Fahrt strikt untersagt, aber sie musste immerhin etwas sehen, wenn es gleich wieder vom Zug hinunterging. Ihr fuhr der Wind unter die Jacke; der Geruch nach Watt traf sie ebenso unerwartet. Sie stellte sich breitbeinig hin, damit sie auf dem ruckelnden Zug nicht ins Stolpern geriet, dann spreizte sie die Scheibenwischer vom Glas ab und reinigte notdürftig die Wischblätter, spuckte ein paarmal auf den Zellstoff. Mit weiteren Tüchern befreite sie die Scheibe halbwegs vom grauen Film und formte das zerfledderte Papier zu einem Ball.

Sie sah zu den Kindern, die aus der Heckscheibe zu ihr herüberschauten. Eben zog das eine Mädchen das andere an den Haaren. Trotz des Fahrtwindes hörte Levke das schrille Schreien. Das wutverzerrte Gesicht des Vaters schwang nach hinten, die Mutter brüllte eine Verwarnung.

Levke stakste die paar Schritte zu dem Fahrzeug und beugte sich zu der halb heruntergelassenen Scheibe.

»Sie sollten froh sein, dass sie einander haben!«, rief sie gegen den Wind an. »Das Leben – Ihr Leben! – kann von einer Sekunde auf die andere vorbei sein!«

Ohne ein Wort ließ der Vater das Seitenfenster nach oben. Sein Gesichtsausdruck sagte alles. Es war nicht das erste Mal, dass man sie für durchgeknallt hielt.

Als sie wieder im Auto saß, streifte sie die Feuchtigkeit von der Jacke und wartete ab, bis der Nieselregen die Scheibe vollständig benetzt hatte, dann betätigte sie erneut die Scheibenwischanlage. Endlich gehörte das Desaster auf der Windschutzscheibe der Vergangenheit an.

Wenn das mit den Erinnerungen in ihrem Kopf doch auch nur so simpel wäre.

Der erste Ort auf der Insel, den sie durchfuhren, war Morsum. Spätestens jetzt wäre der Moment gewesen, wo sich der Horizont hätte auftun sollen und ein breiter Streifen Sonnenlicht sie auf Sylt hätte begrüßen können. Aber da war nichts als Tristesse. Die Landschaft war halb im Nebel versunken. Ein paar Pferde grasten auf einer Wiese.

Sie ruckelten durch Keitum, bis es in Westerland vom Zug ging. Zu ihrer Überraschung winkten ihr die Kinder aus dem voranfahrenden Auto zum Abschied zu.

Sie winkte zurück.

Links lag eine Tankstelle, da konnte sie gleich noch volltanken. Wenn sie danach in ihrer Unterkunft eintraf, würde sie als Allererstes das Handy an den Strom anschließen und Sandra mitteilen, dass sie angekommen war. Sobald ihre Freundin dann vom Arztbesuch mit ihrer Mutter zurückkehren würde und hoffentlich auch der Nieselregen nachgelassen hatte, konnten sie vielleicht einen Spaziergang irgendwo am Strand unternehmen.

Blieb zu hoffen, dass sie ohne Navi nach Kampen fand. Vor Ort würde sie sich nach der Adresse von Sandras Praxisräumen durchfragen, den Straßennamen hatte sie sich glücklicherweise gemerkt. Die Praxis für Mediation und Paarberatung hatte ihre Freundin im Souterrain eines Privathauses gemietet, das unweit von ihrem lag. Der Vermieter war gleichzeitig der Kneipenwirt, bei dem sie das Jahrgangstreffen feiern würden. Ein Bekannter von Sandras Familie.

Eigentlich hätte Levke auch in Sandras Wohnhaus unterkommen können, es war groß genug, doch wahrscheinlich hatte ihre Freundin sie aus Rücksichtnahme ausquartiert, weil sie und ihr Freund frisch verlobt waren und sie ihr den Anblick ihrer jungen Liebe ersparen wollte. Sandra war in solchen Dingen sehr sensibel. Zu sensibel vielleicht. Aber das musste sie als Mediatorin schließlich auch sein. Wenn sie sich nach Levkes Liebesleben erkundigte, ging sie allerdings nicht ganz so feinfühlig vor.

Schmunzelnd bog sie vom Bahnhof in Richtung der Tankstelle ab, entriegelte kurz darauf den Tankdeckel.

Ein Mann an der gegenüberliegenden Zapfsäule zwinkerte ihr zu. Sie drehte sich weg. Dachte wieder an Sandra und deren Ermutigungen, sich auf eine neue Liebe einzulassen. Für diese neue Liebe hatte ihre Freundin Levkes Ex-Freund Leon genauso im Visier wie Jordi Barceló, seines Zeichens Chefinspektor der Kriminalpolizei in Palma, den sie an Ostern kennengelernt hatte. Levke seufzte. Hoffentlich fing Sandra nicht gleich wieder mit ihren Fragen nach den beiden an.

Der Tank war voll, sie schüttelte kurz am Griff, dann steckte sie den Hahn zurück in die Halterung und schloss den Tankdeckel, fischte das Portemonnaie aus ihrem Beutel.

An der Kasse stand dieser Typ vor ihr, doch er wandte sich nicht mehr nach ihr um. Kurz kam ihr der Gedanke, dass es vielleicht Leon sein könnte, den sie nur nicht erkannt hatte, und sie riskierte einen zweiten Blick. Aber nein, er war es nicht. Leon wollte außerdem erst am Freitag auf der Insel eintreffen.

An der Wand hinter der Kasse war ein Fernsehbildschirm angebracht, auf dem Sylter News eingeblendet wurden. Ein beleuchtetes Dünenrestaurant war zu sehen, drumherum flatterte Absperrband der Polizei. Die Bildeinstellung wechselte zu einem Rettungswagen, dessen Blaulicht die nächtliche Umgebung erhellte. Der Ton war stummgeschaltet, aber am unteren Bildschirmrand verlief eine Headline: Bekannter Sylter Gastwirt Sonntagnacht tot aufgefunden, die Polizei geht von einem Gewaltverbrechen aus.

Schon sprang das Bild zu einer Sprecherin um, deren Worte nicht zu hören waren.

Levke war an der Reihe und nannte die Nummer ihrer Zapfsäule.

GUTMANN

Meine liebe Elfriede.

Was hier los ist! Dirk ist tot. Heike hat ihn in seinem Laden gefunden. In seinem Bein hat ein Messer gesteckt. Und er ist obendrein erstickt.

Du kannst dir sicher vorstellen, wie mich diese Neuigkeiten mitnehmen.

Natürlich hat sie mir das nicht persönlich verraten. Aber mit dem neuen Hörgerät höre ich sehr gut. Sie steht da drüben die meiste Zeit auf der Veranda und unterhält sich mit Moni, die sich heute anscheinend freigenommen hat. Die beiden heulen und trinken Champagner. Dazu gibt es Käsestangen. Heike hat ja genug von dem Zeug im Haus. So setzen sie die mit Dirk gepflegte Tradition fort, halten ihm damit die Ehre, meinte Moni. Dabei war Dirk bei diesen Traditionen doch selten dabei, der war ja immer in seinem Laden.

Rasmussen war natürlich auch schon hier. Zwei Kollegen haben ihn begleitet, die waren aber in Zivil, eine hat gesagt, sie käme aus Flensburg vom LKA. Sie haben Heike befragt. Ob Dirk Feinde gehabt hätte, wollten sie wissen, oder ob ihr jemand einfallen würde, der aktuell mit ihm in Streit lag.

Heike ist niemand eingefallen. Dirk wäre überall äußerst beliebt gewesen.

Stimmt, er war ein feiner Kerl. Trug das Herz am rechten Fleck. Der Einzige, der immer gegrüßt hat, was, Elfriede? Und gab ja in all den Jahren keinen Ärger mit ihm. Könnt ich mir auch nicht erklären, wer den nicht mochte.

Rasmussen fiel aber schon jemand ein. Er nannte diesen jungen Lieferanten, der hier auch häufig Zeug abliefert, für Heikes persönlichen Gebrauch. Und da ist auch ihr eingefallen, dass Dirk mit dem im Knatsch lag, weil der in die Kaffeesäcke letztens weniger Gewicht reingemacht hätte als angegeben. Um Rabatte auszugleichen, die Dirk mit ihm vereinbart hätte.

Dass sie so über den Mann reden, findet die Dunkle mit den Mandelaugen, du weißt schon, diese Rosario, ganz schlimm. Sobald der Name des Burschen fällt, bricht sie in Tränen aus. Auf der Terrasse ist sie natürlich nicht dabei, aber ich sehe, wie sie durch den Garten geistert. Heute Morgen hat sie beide Garnituren Bettfedern aus dem Fenster gelegt, dabei werden die von Dirk doch gar nicht mehr gebraucht. Die Dinger hängen jedenfalls noch immer im Nieselregen. Da wird Heike sich beim Zubettgehen freuen.

Nachdem seine Kollegen abgezogen sind, ist Rasmussen trotzdem geblieben. Er will Heike in ihrer schwersten Stunde zusammen mit seiner Moni zur Seite stehen. Weil Lars ja nicht da ist. Der ist doch mit seiner Brasilianerin in den Flitterwochen am Amazonas. Das Baby haben er und seine Frau wohl solange bei ihren Eltern in Sao Paolo gelassen.

Wie findest du das? Na ja, wir kennen Lars. Zieht am liebsten sein Ding durch. Denkt nicht dran, dass was mit dem Baby sein könnte oder mit den Eltern in Deutschland.

Bei mir haben Rasmussens Kollegen natürlich auch geklingelt. Ich hab schnell das Hörgerät ausgeschaltet, sodass ich bei jedem dritten Wort nachfragen musste. Sie wollten wissen, ob mir irgendetwas aufgefallen wäre in den letzten Tagen und Wochen.

Na ja, schon. Aber ich hab den Rand gehalten. Dann hab ich auf die Rosenhecken zwischen den Grundstücken gezeigt und gefragt, was die glauben, wie ich hier von meinem schönen Garten aus was mitkriegen soll. Und ich wollt auch gar nix mitkriegen, hab ich denen gesagt; mit den Schickimickis hatte ich noch nie was am Hut.

Du doch auch nicht. Und so wollen wir es weiterhin halten, was, Elfriede?

LEVKE

Als sie zuletzt auf Sylt gewesen war, hatte sie weder für die Landschaft noch für die Ortschaften einen Blick übrig gehabt. Als Schülerin interessierte man sich nicht für solche Dinge. Doch als sie nun im Zentrum von Kampen an der Kreuzung nach rechts abbog, pfiff sie leise durch die Zähne. »Nicht schlecht«, murmelte sie beim Anblick der Designerläden und Juweliere, die die Hauptstraße säumten. Alles war piekfein gepflegt. Das waren hier wohl die Hamptons von Sylt. Riesige, reetgedeckte Häuser auf ebenso großzügigen Grundstücken sprachen genauso von Reichtum wie die in den Einfahrten geparkten Porsche und Range Rover. Hier ein Anwesen zu erben, wie es Sandra passiert war, kam einem Sechser im Lotto gleich. Ihr Vater hatte damals die Erbschaftssteuer übernommen, wenn Levke sich recht erinnerte.

Sie fragte sich bei Fußgängern nach der Straße durch, in der Sandras Praxis lag, dann suchte sie nach der Hausnummer. Das zweistöckige, reetgedeckte Privathaus von Heike und Dirk Benning stand auf einem gepflegten Eckgrundstück inmitten hoher Bäume. In dieser Seitenstraße wirkten die Gebäude nicht ganz so protzig. Es gab sogar auch mal das ein oder andere in die Jahre gekommene Bauwerk, wie das Häuschen auf dem Nachbargrundstück der Bennings, dem ein neuer Anstrich gutgetan hätte.

Die Außenfassade des Hauses von Sandras Vermietern hingegen war strahlend weiß getüncht, die Fensterrahmen und -läden sowie die doppelflügelige Eingangstür erstrahlten in einem satten Blau. Eine hüfthohe Mauer aus Naturstein umrundete das Gelände, darauf wuchs eine kunstvoll geschnittene Hecke, die den Blick auf weitere Details des Grundstücks verbarg. Vom Gartentor aus war mehr zu sehen, sie erspähte eine überdachte Terrasse, von der Stimmen zu ihr herüberschallten. Der Eingang zu der Einliegerwohnung, in der sich Sandras Praxis befand, lag zwischen Haustür und Veranda. Der Kiesweg zweigte dorthin ab, es ging ein paar Stufen nach unten. Bevor sie sich dahin begab, musste sie aber an den Schlüssel gelangen.

Es gab eine Klingel ohne Namen am Gartentor. Vorsichtig senkte sie den Finger auf den Klingelknopf, und als sich nichts tat, ein zweites Mal.

Nichts rührte sich, doch die Stimmen von der Terrasse waren weiterhin zu hören. Sie drückte die Klinke des Tors, und zu ihrer Überraschung war es nicht verschlossen. Rumpelnd zog sie den Koffer hinter sich her über den Kies, klingelte diesmal an der Haustür, die sich einen Spalt öffnete. Eine sehr junge Frau, Anfang zwanzig vielleicht, spähte hinaus. Die mandelförmigen, dunklen Augen waren verquollen. Das Mädchen strich sich das pechschwarze Haar hinter die Ohren. »Was wollen Sie? Wir reden nicht mit die Presse.«

Levke hielt verdutzt inne. »Ich … mein Name ist Levke, ich soll hier ein paar Tage in den Praxisräumen meiner Freundin Sandra Neumeier unterkommen.« Sie zeigte mit dem Daumen hinter sich in die Richtung, in der der Eingang der Souterrainwohnung lag. »Sie ist gerade mit ihrer Mutter beim Arzt, ich sollte bei Ihnen nach dem Schlüssel fragen.«

»Ach so. Entschuldigung.« Das Mädchen öffnete die Tür und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Señora Heike hat mir gesagt, aber ich habe vergessen. Moment. Ich gebe Sie der Schlüssel.«

Sie verschwand für eine Sekunde aus Levkes Blickfeld und hielt ihr das gewünschte Objekt kurz darauf entgegen. Ihr Blick ging zu Levkes Koffer. »Brauchen Sie Hilfe?«

»Aber nein, das geht schon.«

Schon schloss sich die Tür wieder.

In der Souterrainwohnung umfing Levke augenblicklich der Duft nach ätherischen Ölen. Neben der Garderobe hing eine Art Vogelhäuschen, aus dem es zu zwitschern begann, als sie ihre Jacke aufhängte. Der frisch geölte Holzboden erstrahlte in einem warmen Honigton, die Wände waren in Pastellfarben angelegt. Dunkel gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografien mit Sylter Motiven bildeten einen hübschen Kontrast.

Levke hatte Sandra bei der Inneneinrichtung dieser Räumlichkeiten via Videocall beraten, genauso wie sie es bei dem alten Haus ihres Großvaters getan hatte. Immerhin hatte Levke Innenarchitektur studiert, und die Zusammenarbeit mit ihrer Freundin hatte sie motiviert, ihre Dienstleistung auch auf Mallorca anzubieten. So hatte sie in den letzten Monaten sogar zwei Aufträge für die Ausstattung von Fincas ergattert. Auf diese Weise konnte sie das Leben der anderen nach deren Wünschen gestalten, wenn schon ihr eigenes grau blieb.

Neben dem Garderobenständer lag der Eingang zur Teeküche, in der sie auch mal Nudeln kochen könnte, falls ihr danach sei, hatte Sandra gesagt. Gegenüber lag ein Duschbad. Am Ende des kurzen Flurs lag der Praxisraum mit Schreibtisch, zierlicher Sitzecke und dem jetzt ausgezogenen Schlafsofa. Das Bettzeug war glattgestrichen wie in einem Hotel. Auch hier setzte sich das Inselthema fort, hinter dem Bett bildete eine Schwarz-Weiß-Fototapete mit Strandmotiv einen auflockernden Kontrast.

Levke hielt nach einer Steckdose Ausschau und stöpselte endlich das Handy ein.

Es dauerte einen Augenblick, ehe es zu plingen begann. Sandra hatte ihr eine Sprachnachricht hinterlassen.

Levke hockte sich in einen der Sessel und stellte den Ton auf Lautsprecher.

Fassungslos lauschte sie Sandras Nachricht, dachte sofort an die Sylt-News von der Tankstelle und verstand erst in diesem Moment, dass der Kneipenwirt, bei dem ihr Jahrgangstreffen hatte stattfinden sollen, derjenige war, der in seinem Dünenrestaurant tot aufgefunden worden war – und in dessen Haus sie jetzt wohnte! Nun erklärten sich die verweinten Augen der jungen Frau an der Haustür. Der Mann war ja ihr Chef.

Jedenfalls hatte Sandra ihr eine Warnung aufgesprochen, sie solle bei ihrer Ankunft bei Bennings sehr behutsam vorgehen. Dafür war es nun leider zu spät.

Levke textete ihr eilig zurück.

Alles klar. Mein Akku war leer, ausgerechnet, tut mir wahnsinnig leid. Bin jetzt in der Praxis. Warte hier auf dich. Kuss

Sie zog die Füße auf den Sessel und umarmte ihre Knie.

Durch den Lichtschacht der Souterrainfenster drangen gedämpfte Stimmen von der Terrasse zu ihr herein. Levke wollte nicht pietätlos sein, sie stand auf und wechselte in die Teeküche, schaltete die Nespressomaschine ein. Ein Kaffee würde jetzt guttun. Sie wartete ab, bis der Ristretto eingelaufen war, dann setzte sie sich an das runde Tischchen und leerte die Tasse in einem Zug, schüttelte sich wegen des bitteren Geschmacks.

Jemand lief auf der Wiese zwischen Haus und Terrasse hin und her. Sie hörte die Stimme der jungen Frau, die ihr geöffnet hatte, durchs gekippte Fenster. Levke liebte das so viel melodischer klingende Spanisch von Lateinamerikanern und lauschte unwillkürlich.

Das Mädchen weinte. »Es ist so ungerecht! Er hat nichts damit zu schaffen! Keiner Fliege könnte er ein Haar krümmen! Señor Dirk war wie ein Vater für ihn, auch wenn sie ihre Differenzen hatten. Wegen ein paar Gramm Kaffee bringt man doch niemanden um!«

In diesem Moment vernahm Levke den Schlüssel in der Eingangstür. »Levke?«, erklang Sandras leise Stimme. Das Zwitschern im Flur ertönte.

Schon streckte ihre Freundin den Kopf zur Teeküche herein, ihr Gesicht sah ebenso verweint aus wie das der Südamerikanerin. Sie schlüpfte aus Schuhen und Jacke, dann schlossen sie einander in die Arme.

»Es tut mir so furchtbar leid«, flüsterte Levke. »Wie geht es dir?«

Sandra löste sich von ihr, zusammen setzten sie sich.

»Ich stehe total unter Schock. Du musst dir vorstellen, ich hab von dieser schrecklichen Sache erst erfahren, als ich Mama zum Arzt bringen wollte. Da saßen sie und Thies wie vom Blitz getroffen in ihrer Küche und brachten kein Wort heraus.«

Sandras Mutter Imke und deren Freund wohnten direkt neben Sandra. Als sie im Frühjahr mit ihrer Mutter hierherkam, um das Haus ihres Großvaters zu renovieren, hatten Imke und Thies, die einander aus Kindheitstagen kannten, sich neu entdeckt. Genauso wie Sandra sich in Thies’ Sohn Ole verliebt hatte. Ein bisschen schräg fand Levke diese Familienkonstellation schon. Doch man konnte sich eben nicht aussuchen, in wen man sich verguckte.

»Hätte Mama nicht solche Schmerzen gehabt, hätten wir den Arzttermin natürlich abgesagt«, fuhr Sandra fort, »aber dieses Bauchweh mit Fieber und Übelkeit hat mir keine Ruhe gelassen. Du kannst dir vorstellen, dass wir wegen Dirks Todesnachricht die meiste Zeit heulend im Wartezimmer saßen.« Sie schüttelte den Kopf. »Was für ein Drama.«

»Wie geht es denn deiner Mom?«

Sandra verzog unglücklich den Mund. »Es ist anscheinend eine akute Gallenblasenentzündung, jedenfalls deutet alles darauf hin, auch wenn das Ergebnis des Bluttests noch aussteht. Jetzt bekommt sie erst mal ein Antibiotikum, aber wenn das nicht schnellstens anschlägt, muss sie ins Krankenhaus. Wenn alle Stricke reißen, hilft nur die OP.«

»O je.«

»Ja, sie tut mir total leid. Sie hasst Krankenhäuser. Es gibt nur ein einziges, in dem sie sich gut aufgehoben fühlen würde, und das ist in Hamburg. Du weißt, wie das ist mit alten Leuten. Dickköpfig ohne Ende. Hoffen wir mal, dass es nicht dazu kommt.« Sandra fuhr sich mit beiden Händen durchs schulterlange dunkle Haar. »Ich weiß gar nicht, wie ich mich jetzt verhalten soll wegen Dirk. Meinst du, ich sollte mal klingeln und kondolieren? Eben habe ich das Dienstmädchen draußen auf der Wiese gesehen, aber sie hat gerade telefoniert, da wollte ich sie nicht unterbrechen.«

»Ich glaube, deine Vermieterin hat Besuch. Zumindest hab ich Stimmen gehört. Vielleicht wartest du noch einen Moment. Ist ja alles noch sehr frisch.« Levke erinnerte sich gut, wie es sich angefühlt hatte, als jeder ihr unbedingt so schnell wie möglich sein Beileid aussprechen wollte. Die Worthülsen waren gar nicht zu ihr vorgedrungen. »Da sind ja sicher auch polizeiliche Ermittlungen im Gange. Eins nach dem anderen.«

»Du hast recht.« Sandra stand auf und schaltete die Kaffeemaschine wieder ein. »Erst mal brauch ich Koffein.« Mit dem Kinn deutete sie auf Levkes leere Tasse. »Auch noch einen?«

»Danke, mein Herz schlägt schon schnell genug.«

Sandra sah sie mitleidig an. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie leid mir das tut, dass das alles ausgerechnet jetzt passieren muss. Ich hätte uns das gern erspart. Wer macht so was?« Sie zupfte ein zerfleddertes Papiertaschentuch aus ihrer Hosentasche und schnäuzte sich die Nase. »Ich hab schon so viel geheult, inzwischen fühle ich mich wie sediert«, sagte sie matt. Der Espresso lief durch, sie nahm die Tasse und setzte sich wieder zu ihr. »Willst du vielleicht lieber erst mal zu Ole und mir? Du könntest zumindest bis Freitag in Lillys Zimmer unterkommen.«

Lilly war Oles Tochter; sie lebte bei ihrer Mutter auf dem Festland und war jedes zweite Wochenende auf Sylt. In einem Kleinmädchenzimmer wollte Levke auf keinen Fall schlafen. Hier gab es ja den Extraeingang, sie hätte wahrscheinlich gar keine Berührungspunkte mit den Geschehnissen im Haus.

Sandra nickte verstehend, auch wenn Levke noch gar nichts gesagt hatte. »Ich hab mir schon gedacht, dass Lillys Zimmer keine gute Idee wäre, daher hab ich dich ja hier untergebracht.« Nun legte sie lauschend den Kopf schräg. »Ich glaube, Bjarne Rasmussen und seine Frau Moni sind bei ihr. Sie sind enge Freunde der Familie.« Erleichterung huschte über ihr Gesicht. »Rasmussen ist Polizist, der weiß genau, wie man sich in so einer Situation verhält, Gott sei Dank.«

Levke nickte.

Sandra stützte das Kinn auf die Hände. »Wir müssen uns was wegen dem Jahrgangstreffen überlegen. Das fällt ja jetzt ins Wasser. Bis sich jemand findet, der den Laden übernimmt, kann es dauern. Lars lebt ja jetzt in Brasilien.« Levke fiel wieder ein, dass der Sohn der Bennings Sandras Kindheitsschwarm gewesen war, da sprach Sandra schon weiter. »Ich wüsste nicht, wer so kurzfristig in der Lage und kompetent genug wäre, die Geschäfte zu übernehmen. Heike bestimmt nicht. Dirks Angestellte genauso wenig. Bis Samstag finden wir jedenfalls niemals eine Ersatzlocation. Und jetzt noch die Sache mit Mama, ich weiß nicht, wie ich das hinbekommen soll. Mal sehen, was Leon meint. Der wird sich freuen.«

Sandra und Leon hatten sich die Orga geteilt. Während sie sich vor Ort um alles kümmerte, hatte er die Adressen der Ehemaligen recherchiert und sie angeschrieben.

So sehr Levke sich in den vergangenen Wochen auch vor diesem Jahrgangstreffen gefürchtet und sich mit der Fragestellung herumgeschlagen hatte, ob sie ihren früheren Mitschülern – vor allem Leon – wirklich unter die Augen treten wollte, so sehr hatte sie sich schließlich dazu durchgerungen. Nun war sie hier. Und jetzt sollte das Wiedersehen abgeblasen werden? »Es gibt doch zig Lokale auf Sylt, da wird sich ja wohl eines finden«, sagte sie.

»Für fast vierzig Leute?« Sandra lachte ein freudloses Lachen. »Wir sind hier auf der beliebtesten deutschen Ferieninsel, es ist immer noch Saison, selbst zu zweit bekommst du ohne Reservierung an einem Samstagabend keinen Tisch. Wir haben diesen Termin für die geschlossene Gesellschaft schon vor Monaten mit Dirk festgemacht.«

»Vielleicht gibt es irgendeinen Garten, den man mieten könnte. In einer Schrebergartenanlage vielleicht?«

»Ich wüsste nicht, dass es hier so was gibt. Schon gar nicht zum Feiern.«

»Ein altes Bauernhaus? Eine leerstehende Scheune?«

»Auch nicht.« Sandra trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Oder warte. Jetzt, wo du Scheune sagst. Man könnte in der Seemöwe fragen, die haben sowas. Ich meine, dass sie die sogar hin und wieder vermieten. Einen Versuch wäre es wert.« Plötzlich legte sie den Kopf in die Hände. »Nein, es geht doch nicht.«

»Warum nicht?«

»Heike fände es bestimmt nicht so toll, wenn ich bei Dirks größtem Konkurrenten anklopfe.« Sandras Kinn zitterte. »Ganz ehrlich, ich kann im Moment gar nicht so weit denken.« Sie kramte ein frisches Tempo aus der Handtasche und schnäuzte sich abermals. Dann tätschelte sie Levkes Hand. »Ich hatte solche Sorge, dass ich dich hier im Tal der Tränen vorfinde. Dachte, dass das alles vielleicht was in dir triggert. Gott sei Dank bist du inzwischen stabil. Damit hatte ich gar nicht gerechnet.«

Levke eigentlich auch nicht. Allerdings hatte etwas anderes sie getriggert. Dieser Mord an sich … Die Worte der Südamerikanerin, die der Meinung war, der Falsche werde verdächtigt … Seither kribbelte ihr Körper, als wären alle Gliedmaßen eingeschlafen gewesen und erwachten jetzt zum Leben. Seltsam. Dabei scheute sie doch den Tod. Aus diesem Grund hielt sie ja auch Abstand zu Jordi Barceló. Als Chefinspektor der Mordkommission in Palma hatte er dauernd mit der Aufklärung von Kapitalverbrechen zu tun. Zweimal war sie ihm bei seinen Ermittlungen sogar schon zur Seite gesprungen, weil es sich verrückterweise so ergeben hatte. Diese »Zusammenarbeit« hatte ihr gutgetan, sie hatte sie von ihrer Trauer um Max und die Mädchen abgelenkt, aber gleichzeitig hatte es sie auch ziemlich mitgenommen.

»Ich könnte mich um diese Scheune kümmern«, bot sie an. »Wie heißt der Laden noch mal?«

»Seemöwe. Das Restaurant ist in Keitum. Ich glaube, die Inhaber heißen Hinrichsen. Du könntest mal dort vorbeifahren, wenn dir das wirklich nichts ausmacht. Oder soll ich Leon fragen, ob er anrufen könnte?

---ENDE DER LESEPROBE---