Möwentrauer - Stina Jensen - E-Book

Möwentrauer E-Book

Stina Jensen

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Beschreibung

Levke Sönkamp will nur noch sterben. Und zwar auf Mallorca, dem Ort, an dem sie zuletzt glücklich war. Eine kleine Rundreise über die Mittelmeerinsel soll ihr den Abschied versüßen. Dabei trifft sie in Valldemossa auf die neunzehnjährige Insa. Das Mädchen erinnert Levke an sich selbst, als noch alles gut war in ihrem Leben. Doch kurz darauf ist die junge Frau tot. Levke glaubt nicht wie Chefinspektor Jordi Barceló an einen Selbstmord, denn zu viel Ungereimtes gibt ihr Rätsel auf: Wohin hat sich der Freund des Mädchens so schnell verabschiedet? Warum lügt der angereiste Bruder? Und was hat der mallorquinische Chefinspektor zu verbergen? Gemeinsam mit Journalist Rafael macht Levke sich auf die Suche nach den Hintergründen von Insas Tod und gerät dabei unversehens selbst in Lebensgefahr. Doch nun ist sterben das Letzte, was sie will …

Bei diesem Kriminalroman handelt es sich um eine Neuauflage des Romans »Playa de Palma – abgrundtief« der Autorin Stina Jensen.

Privatermittlerin mit stolperndem Herzen
Nach einer persönlichen Tragödie ist Levke Sönkamp auf Mallorca gestrandet. Seither wird sie regelmäßig Zeugin von Verbrechen. Das gefällt weder ihr noch Chefinspektor Jordi Barceló. Dennoch schafft es eine merkwürdige Anziehung zwischen ihnen. Hat das Schicksal die beiden zusammengeführt? Eines steht jedenfalls fest: Mit jedem neuen Fall werden sie ein besseres Team.
Spannung und Gefühl vor bedrückender Küstenkulisse.

Mehr von Keller & Jensen:
Möwentrauer – Levke-Sönkamp 1
Möwenschuld – Levke-Sönkamp 2
Jeder Teil der Reihe ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

Thriller:
Vater Mutter Kind
Hirngespenster
Klirrende Stille

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INHALT

Neuauflage

Keller & Jensen

Das Buch

Gründonnerstag

Levke

Karfreitag

Levke

Jordi

Levke

Rafael

Levke

Er

Jordi

Levke

Er

Levke

Jordi

Levke

Rafael

Levke

Jordi

Levke

Jordi

Levke

Ostersamstag

Levke

Jordi

Levke

Jordi

Rafael

Levke

Jordi

Levke

Florian

Levke

Rafael

Levke

Jordi

Levke

Er

Levke

Jordi

Levke

Er

Levke

Florian

Levke

Er

Rafael

Levke

Jordi

Ostersonntag

Levke

Magazin Mallorquín

Jordi

Nachwort

Weitere Krimis von Keller & Jensen

Kostenloses eBook

Leseprobe Möwenschuld

NEUAUFLAGE

Bei diesem Kriminalroman handelt es sich um eine umfänglich überarbeitete Neuauflage des Romans »Playa de Palma – abgrundtief« der Autorin Stina Jensen.

Sollten Sie dieses eBook versehentlich doppelt erworben haben, wenden Sie sich bitte unter [email protected] an die Autorin.

Hinter dem Autorennamen Keller & Jensen verbirgt sich die aus Hessen stammende Autorin Ivonne Keller. Ihr besonderes Interesse beim Schreiben gilt Menschen in psychischen Extremsituationen. Ihre Kurzkrimis sind in zahlreichen Anthologien deutscher Verlage zu finden.

Unter dem Pseudonym Stina Jensen verfasst sie romantische Insel-, Gipfel- und Winterromane, in denen neben der Liebe auch Familiengeheimnisse und persönliche Krisen Thema sind.

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DAS BUCH

Stell dir vor, du hast alles verloren.

Willst deinem Leben ein Ende setzen.

Doch dann kommt dir der Tod dazwischen.

Levke Sönkamp will nur noch sterben. Und zwar auf Mallorca, dem Ort, an dem sie zuletzt glücklich war. Eine kleine Rundreise über die Mittelmeerinsel soll ihr den Abschied versüßen. Dabei trifft sie in Valldemossa auf die neunzehnjährige Insa. Das Mädchen erinnert Levke an sich selbst, als noch alles gut war in ihrem Leben. Doch kurz darauf ist die junge Frau tot. Levke glaubt nicht wie Chefinspektor Jordi Barceló an einen Selbstmord, denn zu viel Ungereimtes gibt ihr Rätsel auf: Wohin hat sich der Freund des Mädchens so schnell verabschiedet? Warum lügt der angereiste Bruder? Und was hat der mallorquinische Chefinspektor zu verbergen?

Gemeinsam mit Journalist Rafael macht Levke sich auf die Suche nach den Hintergründen von Insas Tod und gerät dabei unversehens selbst in Lebensgefahr. Doch nun ist sterben das Letzte, was sie will …

GRÜNDONNERSTAG

LEVKE

Als sie die Tür hinter sich schloss, ertönte eine leise Klingel. Levke hatte den Vorraum genauso in Erinnerung: Dezente Beleuchtung, opulenter Blumenschmuck auf einer halbhohen Säule in der Mitte. Dahinter ein Durchgang. Sie erspähte glänzende Särge. Schwarz, braun, weiß. Einer der Deckel war aufgeklappt. Wie damals. Natürlich nichts darin als weißer Satin.

Eben trat eine Frau aus einer Seitentür. Sie musterte Levke freundlich. »Was kann ich für Sie tun?«

Levke hatte sich seit ein paar Tagen die Haare nicht gewaschen, die ihr jetzt strähnig ins Gesicht fielen; das Blond hatte vorhin im Spiegel schon fast braun gewirkt und ließ auch ihre dunkle Augenfarbe matter erscheinen. Sie war sich selbst fremd. Genauso wie ihr Geruch. Die Körperpflege war unwichtig, wenn sie zu Hause den ganzen Tag am Fenster saß und hinausstarrte. Das Duschen hatte sie auf heute Abend verschoben, damit sie morgen niemanden im Flugzeug belästigte. Jetzt bedauerte sie, es nicht schon getan zu haben. Aber vielleicht war es gut, dann erkannte die Frau sie nicht, die sie damals auch beraten hatte – zumindest schien es Levke so. Sandra, ihre beste Freundin seit Kindertagen, war dabei gewesen und hatte fast das komplette Gespräch übernommen. Die Erinnerung war ziemlich verwaschen.

»Ich wollte …« Levke zögerte. »Ich würde gern für meinen Vater ... Er ist leider erkrankt. Sie wissen schon.« Papa, verzeih, mir fiel nichts Besseres ein.

»Sie möchten alle Vorbereitungen treffen, damit Sie sich später ganz Ihrer Trauer widmen können?« Die Dame sah Levke mitfühlend an. »Das ist sehr vorausschauend von Ihnen.«

Levke nickte. »Es fällt mir nicht leicht«, hauchte sie. Und das tat es wirklich nicht.

»Normalerweise wird die Bestattungsvorsorge von den Menschen selbst vorgenommen und dann eine Vorauszahlung geleistet, sodass sich die Angehörigen damit nicht in ihrer Trauer beschäftigen müssen. Ihr Vater …?« Sie sah Levke fragend an.

Diese hob die Schultern. »Er kann leider nicht selbst kommen.«

»Wie ist denn sein Name?« Die Frau zog ein Klemmbrett hinter einem seitlichen Tresen hervor, darauf lag ein ausgedrucktes Formular.

»Ludger Sönkamp.« Scheiße, das ist doch bescheuert, was mache ich hier eigentlich?

»Könnte Ihr Vater denn den Vorsorgevertrag noch unterschreiben und die Vorauszahlung leisten? Oder haben Sie Vollmachten? Die Vormundschaft?«

»Ich … habe alles.« Sie würde das Ganze wohl anders aufziehen müssen. »Das mit dem Vertrag können wir nachholen.« Sie sah nach hinten zu dem Ausstellungsraum. »Ich würde gern erst einmal nach den Särgen sehen.«

Die Frau legte die Kladde beiseite und machte eine einladende Handbewegung. »Dann zeige ich Ihnen mal unsere verschiedenen Ausführungen.«

Levke folgte ihr zögernd zu einem dunkelbraun gebeizten Modell. Es war mit weißem Satin ausgeschlagen, am Rand bedeckte eine dunkelblau und weiß gemusterte Bordüre die Befestigung. Ja, das Modell erkannte sie wieder. Sie strich mit der Hand über den Stoff. Weich. Dasselbe hatte sie damals auch gedacht.

Als sie nach Hause kam, blinkte der Anrufbeantworter. Wie immer dachte sie: Max!

So ein Schwachsinn.

Sie schlängelte sich an dem leeren Meerschweinchenkäfig, den gepackten Kartons und dem Schränkchen mit dem blinkenden Gerät vorbei ins Schlafzimmer und legte sich aufs Bett, fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht.

Dieser kleine Ausflug zur Bestatterin hatte ihr schon alles abverlangt. Wie sollte sie bloß den Rest schaffen? In ihrem körperlichen Zustand eine Reise nach Mallorca anzutreten, war eigentlich Wahnsinn. Aber etwas anderes kam nicht in Frage.

Max hatte immer gesagt, dass er keine dickköpfigere Frau kannte als sie. Und wenigstens damit sollte er recht behalten.

KARFREITAG

LEVKE

Ihr Flug ging morgens um vier Uhr dreißig. Das Flugzeug war bis auf den letzten Platz besetzt. Ein Trupp junger Männer war schon angeheitert eingestiegen, in der Wartehalle hatte eine Flasche Jägermeister die Runde gemacht. Wenigstens hatten die Kerle während des Flugs geschlafen. Jetzt, bei der Landung, wurden sie munter. Einer rülpste und reckte sich. Ein anderer machte ein Geräusch, als wollte er Schleim ausspucken. Levke schüttelte sich.

Es war Karfreitag, und bei der Flugbuchung vor vier Wochen hatte sie sich bei den wenigen verbleibenden Plätzen in den Fliegern schon gedacht, dass es über Ostern auf Mallorca voll werden könnte. Hoffentlich nicht nur von solchen Typen. Obwohl, es konnte ihr egal sein. Sie würde nur einen Tag dort verbringen.

Als das Flugzeug gelandet war und die Anschnallzeichen erloschen, zog Levke ihren Rucksack unter dem Vordersitz hervor und schulterte ihn, reihte sich in die Schlange der aussteigenden Passagiere ein. Die Stewardess wünschte ihr einen angenehmen Aufenthalt.

Levke folgte dem Strom der Mitreisenden in Richtung Gepäckausgabe. Sie hatte lediglich ihr Beautycase aufgegeben, weil ein paar Dinge darin waren, die man ihr im Handgepäck aussortiert hätte. Hoffentlich musste sie nicht allzu lange darauf warten. Bei den Rollbändern befand sich auch die Autovermietung, bei der sie den Schlüssel zu ihrem Mietwagen entgegennehmen würde. Ein FIAT 500. Sie hätte immer gern so einen gehabt, allerdings war dieser Traum einem Familienauto gewichen, das dann nicht besonders alt geworden war, und seither war sie nicht motorisiert. Was nicht weiter störte, in Frankfurt brauchte man kein Auto.

Hoffentlich klappte es einigermaßen mit der Verständigung. Sie hatte schon so lange kein Spanisch gesprochen – früher hingegen ziemlich gut, sie mochte die Sprache und hatte an der Uni mehrere Kurse belegt. Aber für die paar Brocken, die sie heute von sich geben musste, sollte es genügen.

Eine halbe Stunde später saß sie schon in dem kleinen Auto. Der Wagen fuhr sich schnittig – das Lenkrad ging so leicht, dass sie es mit einem Finger hätte bewegen können. Der Weg vom Flughafen führte zu einer von Palmen gesäumten Autobahnauffahrt. Es war sieben Uhr dreißig, die Luft noch frisch. Die Temperaturanzeige zeigte elf Grad.

Levke lauschte der Ansagestimme des Navis. Der Wagen selbst verfügte über keines, sie hatte die Navigationsfunktion ihres Handys aufgerufen und die Adresse des Hotels in Playa de Palma eingegeben, das Gerät dann auf der schmalen Konsole vor dem Tacho drapiert. Das Hotel hieß Tres Pinos. Drei Pinien. Im selben Haus war sie vor fast vierzehn Jahren mit Sandra abgestiegen. Frisch gebackene Abiturientinnen in Feierlaune. Levke hätte natürlich auch die Finca in der Nähe von Sóller buchen können, das wäre noch passender gewesen – aber strategisch nicht klug, da sie ja abends noch in dieses bei deutschen Urlaubern beliebte Lokal Deutsches Haus wollte, und das lag nun mal am Balneario, keinen Kilometer vom Hotel entfernt. Anschließend wollte sie noch an den Strand und vielleicht sogar eine Runde tanzen.

Im Deutschen Haus hatte sie Max kennengelernt.

Levke sah durch die Windschutzscheibe an den wolkenlosen Himmel. Bestimmt stieg die Temperatur heute schon über zwanzig Grad. Damals, als sie ihn traf, war es Sommer, entsprechend heiß und brechend voll, laut und ein bisschen primitiv. Das Urlaubsziel, den Ballermann, hatte Sandra ausgesucht. Eine Last-Minute-Reise. Sie hatten sich sonnen wollen, feiern, shoppen in Palma. Dass Levke einen Typen kennenlernen und sich unsterblich verknallen würde, damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. Max genauso wenig.

Er hatte damals bereits studiert und diesen Kurztrip mit seinem Freund und Kommilitonen Johann angetreten, der »mal wieder richtig ficken« wollte, und das hatte er dann wohl auch getan. Max auch, aber Levke würde das, was sie miteinander geteilt hatten, anders nennen. Johann liebte die derbe Sprache. Heute noch. Sie sahen sich selten, jetzt schon ein paar Wochen nicht mehr – ohnehin gab es ja kaum noch jemanden, der mit ihr sprach, weil sie alle verstummt waren. Zuletzt, kurz vor Weihnachten musste es gewesen sein, war Johann »spontan« vorbeigekommen, um nach ihr zu sehen, hatte im Flur die Kartons betrachtet und gesagt, das alles sei »schon eine verfickte Scheiße«. Ganz ihre Meinung.

Levke setzte den Blinker und nahm die Abfahrt, die das Navi vorgab. Die Computerstimme beherrschte keine spanische Aussprache. »Am kommenden Kreisverkehr biegen Sie an der zweiten Ausfahrt in die Carrer Marbella ab«, sagte die Stimme und betonte das doppelte L nicht wie ein J und rollte auch nicht das R. Es klang wie Carer Ma Bella. Sie und Max hätten darüber gelacht.

Die breite Straße wurde alsbald von Hotels gesäumt, dazwischen fand sich auch eine Comisaría de Policía neben einer Feuerwehrstation. Zur Verkehrsberuhigung hatte man hier alle paar hundert Meter Schwellen installiert.

Sie ergatterte schließlich einen Parkplatz wenige Meter vom Tres Pinos entfernt und betrat kurz darauf mit ihrem geschulterten Rucksack und dem Beautycase die Hotelhalle, sah sich um. Es war noch nicht viel los, die meisten Gäste schliefen vermutlich noch, es war erst kurz vor acht. Die Marmorhalle hatte sich kaum verändert. Ein paar Sitzgruppen aus Sesseln und schmalen Sofas waren wie Punkte in der Lobby verteilt; ein Sekretär mit Computer, eine Prospektwand.

Es war wie ein Flashback. Als wäre sie wieder das junge Ding mit dem Kopf voller Zukunftspläne. Kurz bevor sie und Sandra damals abgeflogen waren, hatte Levke einen Ausbildungsvertrag in Hamburg unterschrieben, wo sie ursprünglich herkam. Raumausstatterin wollte sie werden. Ihre Eltern besaßen eine Tischlerei, Levke hatte als Kind viel Zeit in der Werkstatt bei ihrem Vater und dessen Mitarbeitern verbracht, hatte gezimmert und gebaut. Später war Magnus, ihr jüngerer Bruder, dazugekommen.

Manchmal hatte sie ihren Vater bei den Auslieferungen der Möbel begleitet, ging ihm beim Aufbau zur Hand. Früh entwickelte sie ein Gefühl dafür, wie das Beste aus einem Raum herauszuholen war. Eine Tischlerlehre hätte sie nicht machen wollen, schon gar nicht bei ihren Eltern, aber Raumausstatterin war ihr Traum. Danach hatte sie Innenarchitektur studiert – allerdings in München, bei Max, nach drei Jahren Fernbeziehung. Anschließend hatte sie sich selbstständig gemacht, um sich die Arbeit frei einteilen zu können. Doch seit einem Jahr lag alles brach. Sie war einfach nicht dazu in der Lage gewesen, sich mit Menschen über so unwichtige Dinge wie das Farbkonzept ihres Wohnzimmers zu unterhalten.

Levke holte Luft und trat an die Rezeption. Der Rezeptionist fragte sie auf Spanisch, wie er ihr helfen könnte. Sie sagte ihren Namen und dass sie ein Zimmer reserviert hätte. Klappte ganz gut.

Er überprüfte ihre Buchung an seinem Computer. »Sie bleiben nur eine Nacht?«

»Ja.«

Er lächelte freundlich. »Machen Sie eine Rundreise?«

Sie blinzelte. »So in etwa.«

Er schaute abwartend, dann fuhr er fort: »Das Zimmer ist erst ab fünfzehn Uhr frei. Wenn Sie mögen, können Sie Ihr Gepäck in unserer Aufbewahrung abstellen. Und wenn Sie heute auch schon etwas frühstücken möchten, dürfen Sie das selbstverständlich tun. Es kostet zwölf Euro extra.«

Sie schüttelte den Kopf, deutete auf ihren Rucksack und das Beautycase. »Ich habe nur das und nehme beides mit, ich fahre gleich mit dem Mietwagen weiter.«

Schade, dass sie noch nicht aufs Zimmer konnte. Vor siebzehn Uhr war sie von ihrem Ausflug vermutlich nicht zurück, mit allem, was sie vorhatte. Sie hatte sich vorgestellt, gleich nach ihrer Ankunft auf den Balkon zu treten und aufs Meer zu schauen. Um zu überprüfen, ob es noch so aussah wie damals. Aber gut. Kein Drama.

Ihr fiel etwas ein. Sie öffnete das Beautycase und kramte die Packung Teelichter heraus. »Könnten Sie die hier für mich aufbewahren? Nicht, dass sie im Auto schmelzen, wenn sie länger in der Sonne stehen.«

Der Rezeptionist nahm die Großpackung entgegen. »Die dürfen Sie aber nicht auf dem Zimmer …«

»Keine Angst«, sagte Levke schnell, »die sind für heute Abend am Strand.«

Es war gelogen, aber warum sollte sie sich in Diskussionen verstricken? Später konnte ihr ohnehin niemand mehr etwas vorwerfen.

Sie nahm ihr Gepäck und hob die Hand. »Hasta luego.«

JORDI

»Bist du auch wirklich sicher, dass ihr beide zurechtkommt?«

Jordis Ex-Frau sah von ihm zu Mateo, der die Augen verdrehte. »Mama, ich bin vierzehn, er muss mir keinen Brei kochen und mich zu bestimmten Zeiten füttern.« Mit diesen Worten wandte sein Sohn sich ab und trollte sich ohne Abschiedsgruß ins Wohnzimmer.

Nieves bekam wieder diesen harten Zug um den Mund, der die feinen Fältchen an ihren Lippen verstärkte. Man sah ihr an, dass sie viel rauchte, und man roch es – das Parfum, das sie großzügig verwendete, übertünchte das auch nicht. Wie so oft fragte Jordi sich, was er mal an ihr geliebt hatte.

»Also gut«, sagte sie und übergab ihm die obligatorische To-do-Liste, die sie immer schrieb, wenn Mateo ein Wochenende bei ihm verbrachte. Darauf standen solche Dinge wie Englischvokabeln lernen und Mathematik üben – dafür war Jordi zuständig. Auch wenn sie ganz genau wusste, dass er nur Stress mit Mateo bekam, wenn er diese Themen ansprach. Aber das war ihr vermutlich gerade recht, er sollte eben nicht nur, wie sie gern sagte, »den Sonnenscheinpapa mimen, sondern auch mal den bitteren Alltag zu spüren bekommen.« Dabei war das lächerlich, von Sonnenschein konnte überhaupt keine Rede sein.

Mateo hatte nicht viel für ihn übrig. Seit sein Sohn kein Kind mehr war, brachte er es nur allzu deutlich zum Ausdruck, wie sehr er die Tatsache hasste, dass sein Vater bei der Polizei arbeitete. Und dass er sich von ihm »überwacht« fühlte. Tatsächlich schickte Jordi ab und zu einen Kollegen vor Mateos Schule vorbei. Aber das würde er natürlich nie zugeben.

»Ich schau mal, ob wir zu den Schulaufgaben kommen«, sagte er zu Nieves. »Du weißt, wir haben eigentlich was anderes vor.«

Er wollte mit Mateo in die Berge zum Wandern. Sein Sohn würde es vielleicht jetzt noch nicht gutheißen, aber Jordi war guter Hoffnung, dass sie sich durch die gemeinsame Zeit in der Natur näherkommen würden. Womöglich würden sie darüber reden, warum Jordi eine Laufbahn bei der Polizei eingeschlagen hatte. Und eventuell konnte er Mateo verständlich machen, dass Jordis Sorge bezüglich einiger seiner Freunde wirklich nichts mit seinem Job, sondern mit seinem ganz persönlichen und väterlichen Interesse zu tun hatte.

Nieves sah ihn prüfend an. »Ein Zwischenfall – und ich hole ihn ab. Du kannst ihn nicht allein lassen, das weißt du.«

»Ja, ich weiß. Ich habe sicher keine Lust, noch mal die Wohnung sanieren zu lassen.«

Sie ignorierte seinen Einwand. »Ruf mich morgen früh an, hörst du? Wenn wieder irgendwas ist, dann werde ich dafür sorgen, dass …«

Jordi atmete tief durch und schob sie aus der Tür. »Nieves, ist gut, ich weiß Bescheid. Morgen früh geb ich dir ein Update aus den Bergen. Und Sonntagabend sind wir wohlbehalten zurück, du wirst sehen.«

Als sie draußen war, lehnte er sich gegen die verschlossene Tür und fuhr sich mit beiden Händen über den kahlen Schädel, der einen krassen Kontrast zu seinen markanten Augenbrauen und dem dunklen Vollbart bildete. Als ihm mit zwanzig die ersten Haare ausfielen, hatte er das gehasst. Aber seine damalige Freundin hatte oft gesagt, wie gut ihm das stünde und dass seine grünen Augen noch besser zur Geltung kämen. Irgendwann hatte er dann seinen Frieden mit der Glatze gemacht.

Jordi lauschte den Schritten seiner Ex-Frau im Treppenhaus, dann wandte er sich ab und folgte seinem Sohn ins Wohnzimmer, wo dieser es sich schon auf dem Sofa bequem gemacht und den Fernseher eingeschaltet hatte. Die Balkontür stand noch offen vom Lüften. Jordi ging hinüber und schloss sie wieder.

Zum Glück hatte Mateo inzwischen auch ein Wörtchen dabei mitzureden, ob sie beide sich sahen oder nicht. Außerdem brauchte Nieves Jordi – auch, wenn sie es nicht zugab. Wenn er nicht wäre, könnte sie keine drei Tage mit ihrer Schwester in Portopetro verbringen. In Wahrheit war sie froh über diese Auszeit von Mateo, aber sie tat immer, als halte sie es keine Sekunde ohne ihn aus.

»Wir brechen gleich auf«, sagte Jordi. »Ich mache uns Frühstück und dann geht es los.«

»Ich hab schon gefrühstückt.«

»Was denn?«

»Mama hat mir zwei Tostadas gemacht. Damit ich auf der Strecke von Inca hierher nicht verhungere.«

Jordi verdrehte die Augen. »Gut, dann werde ich eben allein frühstücken.«

»Machst du doch sonst auch nicht.«

Fing sein Sohn schon an, ihn zu provozieren oder war das noch ein normaler Dialog?

»Stimmt, aber ich will nicht bereits zum Frühstück irgendwo einkehren.«

»Ich komme jedenfalls nicht mit auf deinen Ausflug. Das hab ich Mama schon gesagt. Wird nicht passieren. Ich bin keine fünf und spiele draußen, während du mit den Männern am Grill rumstehst und auf dicke Hose machst.«

Jordi seufzte leise. Als Mateo klein war, waren sie an manchen Feiertagen in die Berge gefahren und hatten auf den Grillplätzen dort den Tag verbracht. Sein Sohn hatte das geliebt. Und er ebenso. Aber dicke Hose – sicher nicht. Die meisten Leute hörten eben gern Geschichten aus seinem Polizeialltag. Es hatte nun mal nicht jeder mit der Mordkommission zu tun, und es war interessanter, Dinge aus erster Hand, statt aus der Zeitung zu erfahren.

»Ich hatte nicht vor, Grillplätze anzufahren, ich wollte mit dir zum Essen in Restaurants.«

»Hast du etwa daran gedacht, zu reservieren?« Mateo sah ihn amüsiert an.

»Natürlich.« Noch eine Lüge. Er hatte nicht daran gedacht. Warum vergaß er das immer wieder? Dabei war an den Feiertagen meist alles voll belegt. Vielleicht sollte er doch ein paar Würste einpacken.

Mateo winkte kopfschüttelnd ab. »Kannst du wieder absagen. Ich komme nicht mit.«

Sein Sohn klickte sich durch das Programm des Streamingdienstes, den Jordi seinetwegen abonniert hatte. War er etwa nur hier, um in Ruhe fernzusehen?

In ihm regte sich Wut. Warum machte Mateo es ihm so schwer? Was war so schlimm daran, mit seinem Vater ein Männer-Wochenende in den Bergen zu verbringen? Er hatte sich extra freigenommen. In seiner Fantasie hatten sie abends ein Lagerfeuer gemacht und gemeinsam das neue Zelt aufgebaut, das er vor ein paar Wochen gekauft hatte.

Als sein Diensthandy in der Küche piepte, wandte er sich von Mateo ab und durchquerte den Flur, griff nach dem Gerät auf dem Küchentisch und las Gonzos Nachricht. Comisario Rubén Gonzales war sein Vorgesetzter und Freund.

Ruf mich an. Es ist dringend.

Jordi ließ die Schultern sinken und setzte sich. Warum hatte er das Ding nicht einfach ausgeschaltet? Er kratzte sich den Bart. Na gut. Es ließ sich wohl nicht vermeiden.

»Was gibt’s?«, fragte er, nachdem Gonzo sich gemeldet hatte.

»Ich weiß, ich hab dir was anderes versprochen, aber du musst als leitender Inspektor den Bereitschaftsdienst übernehmen. Antonio hat sich eben gemeldet, sein Kind kommt.«

»Sein Kind kommt doch erst in drei Wochen!« Jordi schloss die Augen. »Das muss jemand anderes übernehmen. Mein Kind ist auch gekommen, ich muss mich um ihn kümmern, wir wollten in die Berge.«

»Du wolltest dahin«, widersprach eine Stimme hinter ihm. Mateo ging an ihm vorbei an den Kühlschrank und nahm sich einen Joghurt heraus.

Gonzo sagte: »Ich weiß, aber es hilft alles nichts, wir sind unterbesetzt, du bist der einzige Inspektor, der mir bleibt. Ich kann es nicht ändern. Du kannst ja etwas anderes mit Mateo machen; nicht gerade in die Berge, welcher Vierzehnjährige will das schon? Es ist ja nur Bereitschaft.«

Jordi schob den Unterkiefer vor. Er wusste, was das hieß. Manchmal ein Rund-um-die-Uhr-Dienst. Nieves würde ihm den Hals umdrehen.

Mateo nahm sich einen Löffel aus der Schublade, begann seelenruhig den Joghurt zu essen und sah ihn abwartend an. Als hoffte er, dass Jordi wieder nicht Wort hielt, wie so oft. Aber da hatte sein Sohn sich zu früh gefreut. Tatsächlich konnte er mit Mateo auch etwas in der Nähe unternehmen. Wahrscheinlich wäre ihr Ausflug ohnehin nicht zu dem Vergnügen geworden, das er sich erhofft hatte. Vielleicht war Gonzos Anruf ein Wink des Schicksals.

»Also gut«, sagte er. »Aber verschon mich. Ich komme nicht wegen jedem Scheiß.«

»Ich weiß, versprochen«, antwortete Gonzo. »Nur, wenn es Tote gibt.«

LEVKE

Die Route, die sie auf der Insel abfahren wollte, hatte sie schon zu Hause geplant. Sie würde zunächst nach Valldemossa fahren – das dortige Museum La cartuja öffnete um zehn Uhr. Es befand sich in einem alten Kloster und zeigte eine Ausstellung über die Zeit, die Frédéric Chopin und die Schriftstellerin George Sand dort gemeinsam verbracht hatten.

Max und sie hatten die Kartause damals, als sie sich kennenlernten, auch besucht. Auf ihrer Hochzeitsreise waren sie dann ein zweites Mal da gewesen. Wenn der Verkehr es zuließ, wäre Levke schon etwas früher vor Ort und könnte sich noch ein bisschen in dem hübschen Örtchen umschauen. Dann in die Ausstellung und in der dortigen Bibliothek nach dem suchen, weshalb sie überhaupt dorthin fuhr.

Anschließend wollte sie weiter nach Sóller und mit der einspurigen historischen Straßenbahn fahren. Hoffentlich waren die Waggons seit ihrem letzten Besuch nicht ausgetauscht worden, sodass sie die richtige Sitzbank finden konnte. Danach würde sie über die Küstenstraße zurück in Richtung Palma fahren, in dem malerischen Ort Estellencs aussteigen, nach unten zum Ufer laufen und schauen, ob noch etwas zu sehen war. Vermutlich nicht, aber sie wollte sichergehen. Sie schätzte, dass sie gegen siebzehn Uhr von ihrer Tour wieder zurück sein würde und aufs Hotelzimmer könnte.

Nachdem sie den Autobahnring um Palma verlassen hatte, folgte sie der Beschilderung über die ausgebaute Schnellstraße nach Valldemossa. Sie würde einen Schlenker über den Ort Esporles machen, dessen Durchfahrtsstraße so hübsch war. Max und sie hatten dort auch einmal haltgemacht und etwas getrunken – hinterlassen hatten sie dort allerdings nichts.

Levke nahm ihr Handy von der Konsole, schaltete die Navigationsfunktion aus und legte das Gerät neben sich auf den Beifahrersitz – die Strecke bewältigte sie ab jetzt auch ohne. Ihr Weg führte sie an Olivenplantagen vorbei; zwischen den Bäumen grasten Schafe und vereinzelte Lämmer, die das saftige Grün genossen, das mit den steigenden Temperaturen im Sommer gelb und braun werden würde.

Levke hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, was sie landschaftlich erwarten würde, und war überrascht, dass der Anblick der blühenden Hügel sie für einen Moment von ihren Plänen ablenkte und sie sogar darüber nachdenken ließ, ob sie irgendwo anhalten und ein Foto machen sollte. Wofür, bitte?

Die Landschaft wurde hügeliger. Warnschilder am Straßenrand wiesen auf Steinschlag und Wanderer hin, sie traf jedoch hauptsächlich auf Gruppen von Radfahrern, die sich die noch leichten Anhöhen hinaufarbeiteten – später würde es knackiger werden. Warum man sich dem aussetzte, hatte sie noch nie verstanden. Sie bekam von körperlicher Anstrengung immer einen roten Kopf, schwitzte aber kaum. Als ob ein Ventil sich nicht öffnete.

Wieder dachte sie an die Bibliothek in der Kartause. Hoffentlich übermannten sie nicht ihre Emotionen. Es wäre besser, sich mehr zu wappnen, innerlich kalt zu machen – darin war sie eigentlich inzwischen geübt. Aber allein durch die veränderte Luft und die Wärme schien ihr Schutzschild Risse zu erhalten. Nicht gut. Wenn sie sich irgendwo hinhockte und in Tränen ausbrach, war keinem geholfen, ihr am allerwenigsten.

Endlich kam der Ort Esporles in Sicht. Sie ging vom Gas und fuhr gemächlich in den kleinen Ort ein. Heute war er noch hübscher als sonst. Alles war festlich geschmückt. Bunte Wimpel-Girlanden überspannten die von Platanen gesäumte Straße, auf den Fensterbänken der Häuser standen Blumenkästen mit blühenden Geranien. Der Verkehr wurde umgeleitet, es ging in eine Seitengasse. Weiter vorn bewegte sich eine Menschengruppe – sicher hundert Personen – über die Fahrbahn auf einen Platz zu. Sie hörte Glockengeläut.

Levke hatte davon gehört, dass es in der Semana Santa, der Osterwoche, in Spanien Prozessionen durch die Straßen gab, in denen Jesusplastiken am Kreuz durch die Orte getragen wurden. Wenn sie sich recht erinnerte, symbolisierte das Ganze den Leidensweg Christi. Alles üppig mit Blumen geschmückt und von Gesang begleitet. Heute war Karfreitag. War sie nun mitten in eine solche Prozession geraten?

Langsam rollte sie auf die Menschenmenge zu, hielt hinter weiteren Fahrzeugen, die ebenfalls abwarteten, und stellte den Motor aus.

---ENDE DER LESEPROBE---