Mystic Highlands: Sammelband der knisternden Highland-Fantasy - Raywen White - E-Book
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Mystic Highlands: Sammelband der knisternden Highland-Fantasy E-Book

Raywen White

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Beschreibung

»Sexy und geheimnisvoll.« »Zum Dahinschmelzen.« »Ich konnte nicht aufhören zu lesen.« (Leserstimmen auf Thalia und Amazon)   Zwischen Elfenmythen, Feenhügeln und Druidenzaubern finden drei starke Frauen nicht nur die Liebe, sondern lüften auch gefährliche Geheimnisse. Dieser Sammelband enthält gleich drei atemraubend romantische Storys inmitten der sagenhaften Landschaft Schottlands.   Mystic Highlands: Die Geschichte von Rona & Sean  (Band 1: Druidenblut, Band 2: Druidenliebe) Rona Drummond wagt eine Reise nach Schottland, um mehr über ihre Ahnen zu erfahren. Doch nicht nur die wunderschöne, wilde Landschaft ist eine Augenweide, wie Rona am Flughafen in Inverness herausfindet. Vor ihr steht Sean, ein athletischer, tätowierter Schotte, der sie auf ihre Ausflüge quer durch die Highlands begleiten wird. Dabei kommen die beiden auf die Spur eines dunklen Familiengeheimnisses, das Ronas bisheriges Leben und auch ihre aufkeimenden Gefühle für Sean in ein ganz anderes Licht rückt. Plötzlich wird sie hineingesogen in eine Welt aus Elfen, Magie und Druiden …  Mystic Highlands: Die Geschichte von Kathrine & Logan   (Band 3: Mythenbaum, Band 4: Mythenschwert)   Seltsame Vorfälle und mysteriöse Blackouts lassen die Mathematikstudentin Kathrine langsam an ihrem Verstand zweifeln. Als dann ein attraktiver, jedoch nicht sehr vertrauenerweckender Typ namens Logan an ihrer Universität in Edinburgh auftaucht und behauptet ein Druide zu sein, gerät ihr Leben vollkommen aus den Fugen. Er zeigt ihr, dass hinter den magischen Mythen der wilden Highlands viel mehr steckt als nur Geschichten …  Mystic Highlands: Die Geschichte von Ciarda & Darach  (Band 5: Feenhügel, Band 6: Feenkampf) Die bildhübsche und taffe Highland-Kriegerin Ciarda verbirgt in ihrem Innern ein Geheimnis. Als Druidin hegt sie Gefühle für einen Mann, der eigentlich ihr Feind sein sollte. Denn Darach gehört zum magischen Elfenstamm der Síodhach, gegen den sie ihr Leben lang gekämpft hat. Aber die Welt hat sich verändert und plötzlich soll Ciarda Seite an Seite mit eben dem Mann kämpfen, der ihr Herz bei jeder Begegnung vollkommen durcheinanderbringt …  //Diese Gesamtausgabe umfasst alle sechs Bände der erfolgreichen Highland-Serie »Mystic Highlands«. Die Buchreihe ist abgeschlossen.// 

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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2020 Text © Raywen White, 2017, 2018, 2019, 2020 Lektorat: Diana Steigerwald Coverbild: shutterstock.com / © Maksim Toome / © Christine Krahl / © Oleh Phoenix / © Pavel K / © Just dance / © lenaer /© popcorner / © Boiko Olha Covergestaltung der Einzelbände: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60601-0www.carlsen.de

Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

 

Raywen White

Mystic Highlands 1: Druidenblut

**Von Feenhügeln und anderen Wundern** Als Rona Drummond auf einen versteckten Brief ihres Cousins stößt, beschließt die Studentin eine Reise nach Schottland zu wagen, um mehr über ihre ursprüngliche Heimat und ihre Ahnen zu erfahren. Schon lange hat sie das wilde Hochland und die weiten Wiesen vermisst. Doch mit was für einer Augenweide Rona tatsächlich konfrontiert wird, findet sie erst am Flughafen in Inverness heraus. Vor ihr steht Sean, ein athletischer, tätowierter Schotte, der einfach nur zum Umfallen gut aussieht. Und genau der ist es, der Rona auf ihre Ausflüge quer durch Schottland begleitet. Dabei sorgen merkwürdige Ereignisse dafür, dass sie einem dunklen Familiengeheimnis näher kommen, das nicht nur Ronas bisheriges Leben, sondern auch ihre aufkeimenden Gefühle für Sean in ein ganz anderes Licht stellt …

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Vita

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© privat

Raywen White lebt gemeinsam mit ihrem Mann im Raum Frankfurt am Main. Erst 2014 entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Schreiben und erzählt nun Geschichten, in denen Liebe und Magie der Fantasie keine Grenzen setzen. Jedoch haben in ihrem Leben Bücher schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Es gibt nichts Schöneres, als in eine Geschichte einzutauchen und den Alltag vergessen zu können. Dieses Gefühl möchte sie auch ihren Lesern ermöglichen.

1

Nachdenklich betrachtete Rona den an sie adressierten Brief in ihren Händen. Sie hatte ihn ungeöffnet in einer Schublade entdeckt, auf der Suche nach einem Flaschenöffner. Laut Poststempel wurde der Brief bereits vor vier Monaten in Schottland abgeschickt und dennoch hatten ihre Eltern ihn ihr bisher nicht ausgehändigt.

Langsam drehte sie ihn um. Unter ihren Fingerspitzen spürte sie die raue Struktur des groben Papiers, während sie über den Absender strich. Sean Drummond. Drummond war ihr eigener Nachname, aber sie kannte keinen Sean. Ihre Eltern waren mit ihr nach New York gezogen, da war sie gerade einmal sechs Jahre alt gewesen. Eigentlich kannte sie überhaupt keinen ihrer schottischen Verwandten oder erinnerte sich an diese. Doch dafür konnte sie sich noch immer an den majestätischen Anblick der Steilklippen in der Nähe ihres Hauses erinnern. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie den Duft des Meersalzes, durchzogen vom Geruch frischer Tannennadeln, wahrnehmen und das Rauschen der Wellen hören, die an die Küste brandeten.

Fünfzehn Jahre war dies nun her und dennoch vermisste sie das wilde Hochland, die weiten Wiesen, auf denen Rinderherden grasten, und den freien Blick über das Land. Wenn sie jetzt einen Blick aus dem Fenster warf, sah sie nur die für Brooklyn Heights typischen roten Backsteingebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Nervös nahm sie einen Kugelschreiber, der halb verborgen unter den Unterlagen zur Vorbereitung für die Universität lag, und riss damit den Umschlagrücken auf. Als sie den Brief herauszog, segelte ein weißer Zettel heraus. Er landete auf ihrem Rucksack, den sie beim Betreten ihres Zimmers achtlos in die Nähe des Schreibtisches geworfen hatte. Neugierig nahm sie das unscheinbare Blatt hoch und staunte nicht schlecht, als sie das Flugticket für einen Hin- und Rückflug von New York nach Inverness in Schottland mit Zwischenstopp in Amsterdam in den Händen hielt. Ungläubig starrte sie auf das Papier, das besagte, dass ihr lange gehegter Traum bereits nächste Woche in Erfüllung gehen konnte.

Ihr Herz pochte wie verrückt.

Seit sie während der Ferien in dem kleinen Café die Straße runter jobbte, sparte sie jeden Cent, den sie verdiente, um einmal nach Schottland fliegen oder sogar ein ganzes Semester dort verbringen zu können. Doch warum schickte ihr jemand ein Flugticket?

Schnell griff sie nach dem Brief und begann zu lesen.

Liebe Rona,

wahrscheinlich erinnerst du dich nicht mehr an mich, denn es sind viele Jahre vergangen, seit wir uns das letzte Mal sahen. Meine Mutter ist die Cousine deines Vaters und somit bin ich dein Großcousin. Ich würde dich gerne wiedersehen und lade dich deshalb ein, mich in Schottland zu besuchen, damit ich dir das Land deiner Ahnen zeigen kann.

Liebe Grüße Sean

Dieser Brief warf mehr Fragen auf, als er beantwortete. Es wäre schön gewesen, wenn dem kurzen Text wenigstens eine Telefonnummer beigelegen hätte, dann hätte sie Sean direkt ihre Fragen stellen können. Doch auch auf der Rückseite des Briefes stand nichts.

Sie las ihn noch zwei Mal durch, wurde dadurch allerdings auch nicht schlauer. Nachdenklich kaute sie auf dem Kuli herum, während sie versuchte sich daran zu erinnern, ob es jemals einen Sean in ihrem Leben gegeben oder ob ihn ihre Eltern irgendwann einmal erwähnt hatten. Kurz blitzte das Bild eines rothaarigen, schlaksigen Jungen auf.

»Schatz, komm Essen«, trällerte ihre Mutter von unten und riss Rona aus ihren Grübeleien. Wenn jemand ihre Fragen beantworten konnte, dann ihre Eltern. Sie schlüpfte in ihre Schlappen und polterte die alte Holztreppe hinunter, die bei jeder zweiten Stufe ein protestierendes Knarzen von sich gab. Unten angekommen hüpfte sie über Whisky, den Perser ihrer Mutter, der die dumme Angewohnheit hatte, immer genau im Weg herumzuliegen.

Der Geruch von geschmolzenem Käse stieg ihr in die Nase und ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Heute war Mittwoch – Auflauftag.

»Hey, nicht so schnell, Schatz«, rief ihr Vater ihr entgegen, als sie auf ihn zustürmte. Er war offenbar gerade erst von der Arbeit heimgekommen und tauschte seine schwarzen Schuhe gegen bequeme Pantoffeln. Sein Jackett hing bereits an der Garderobe.

»Holst du bitte noch den Apfelsaft aus dem Kühlschrank«, bat sie die sanfte Stimme ihrer Mutter, sobald sie die Küche betrat.

Schnell befolgte sie die Anweisung, stellte den Saft auf den Tisch und setzte sich schließlich neben ihren Vater, der sich bereits eine große Portion auf den Teller geschaufelt hatte. Ihre Mutter nahm ebenfalls Platz und sprach leise ein Tischgebet.

Normalerweise erkundigte sich Rona bei ihrem Vater, wie sein Tag im Büro gewesen war, doch heute hatte sie eine ganz andere Frage, die ihr keine Ruhe ließ: »Wer ist Sean?«

Klirrend landete die Gabel ihrer Mutter auf dem Teller. Ihren Vater hörte sie neben sich tief einatmen. »Du hast also den Brief gefunden?«

Mit klopfendem Herzen wandte sie sich ihm zu und sah ihn herausfordernd an. »Ja.«

»Du willst wahrscheinlich wissen, warum wir ihn dir vorenthalten haben?«, fragte ihr Vater ruhig.

»Allerdings.« Nachdrücklich nickte Rona und knirschte empört mit den Zähnen. Bisher hatte sie gehofft, dass sie sich getäuscht hatte und ihre Eltern den Brief einfach nur vergessen hatten. Er hätte runtergefallen und erst beim Putzen wieder aufgetaucht sein können. Er hätte fälschlicherweise bei den Nachbarn im Briefkasten gelandet sein können. Doch so wie es aussah, hatten ihre Eltern nie vorgehabt, ihr diesen Brief zu geben. Sie spürte einen schmerzlichen Stich.

Ihr Vater warf ihrer Mutter einen fragenden Blick zu, doch die schüttelte nur ängstlich den Kopf und presste missmutig ihre Lippen aufeinander.

Rona bekam ein ganz flaues Gefühl im Magen. »Was ist los?« Was wollten ihre Eltern ihr nicht erzählen?

Einen Moment folgte sie der stummen Diskussion zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter, dann begann sie ungeduldig mit dem Finger auf den Tisch zu klopfen.

Ihr Vater seufzte. »Seans Mutter und ich haben uns zerstritten und den Kontakt abgebrochen.«

Das hörte sich jetzt nicht ansatzweise gefährlich an oder wie ein Grund, Seans Kontaktversuch zu ignorieren. »Mehr nicht?«

»Es gibt Dinge, die musst du nicht wissen.«

Also gab es doch mehr, aber ihr Vater wollte nicht, dass sie davon erfuhr. Für ihn schien das Thema damit beendet zu sein, denn er widmete sich bereits seinem Auflauf. Wer weiß, wie viele Briefe von Sean und seiner Mutter schon ungeöffnet im Müll gelandet waren.

»Ich bin kein Kind mehr.« Auch wenn ihre Eltern offensichtlich immer noch dieser Meinung waren und sie oft behandelten wie eine Zehnjährige. Für Eltern war das normal und daher versuchte Rona nachsichtig zu sein, solange sie noch mit ihnen unter einem Dach wohnte. In wenigen Monaten würde sich das jedoch ändern und sie würde in eines der vielen Studentenwohnheime auf dem Campus ziehen.

»Was stand in dem Brief?« Ihr Vater ging über ihre letzte Bemerkung einfach hinweg.

Erbost und enttäuscht antwortete Rona ihm nur widerwillig. »Nicht viel. Nur dass wir verwandt sind und er mich nach Schottland einlädt.« Das Flugticket verschwieg sie vorsorglich.

Ihre Mutter sprang auf und stemmte die Hände auf den Tisch. »Nein!«

Rona zuckte zusammen. Sie kannte diesen unmissverständlichen Nein-darüber-wird-nicht-mehr-diskutiert-Ton zur Genüge, auch wenn sie ihn schon lange nicht mehr zu hören bekommen hatte. Doch wie immer löste dieser Ton nur Trotz in ihr aus. Auch sie stand auf. »Ich bin volljährig, du kannst mir das nicht verbieten!«

»Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, befolgst du auch meine Regeln!«, erwiderte ihre Mutter streng.

»Prima, dann flieg ich halt hin, sobald ich ausgezogen bin!« Dass dies sehr bald der Fall sein würde, ignorierte Ronas Mutter schon seit Wochen. Auch jetzt. Ihre grünen Augen funkelten wütend und die Sommersprossen verschwanden in dem vor Zorn geröteten Gesicht. »Dann wirst du niemals ausziehen!«

Rona wusste, dass sie in diesem Moment ihrer Mutter, deren rote Haarfarbe und hohe Wangenknochen sie geerbt hatte, ähnlichsah – sie war nämlich genauso wütend. Doch bevor sie ihrem Temperament freien Lauf lassen konnte, mischte sich ihr Vater ein. »Was ist mit deinem Studium?«

Seine dunkle Stimme hatte schon immer einen beruhigenden Einfluss auf sie gehabt. Vielleicht lag es daran, dass er ihr als Kind immer Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen hatte. Also versuchte sie rational an die Sache heranzugehen, denn ein eskalierter Streit würde sie bestimmt nicht nach Schottland bringen. Sie wandte sich an ihren Vater in der Hoffnung, ihn auf ihre Seite zu ziehen, wie es ihr schon öfter gelungen war, wenn sie ihren Kopf hatte durchsetzen wollen. »Das fängt erst in drei Monaten an.«

»Du musst dich vorbereiten«, entgegnete er.

»Mein Stundenplan ist fertig und ich habe alles erledigt, was ich erledigen konnte. Das ist der ideale Zeitpunkt, um nach Schottland zu fliegen.« Sie setzte ihren flehenden Blick auf, der ihr in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen immer geholfen hatte. »Bitte.«

Sie warf einen vorsichtigen Blick zu ihrer Mutter, doch die hatte ihre Arme missmutig vor der Brust verschränkt.

»Du weißt, dass ich immer davon geträumt habe, einmal nach Schottland zu reisen«, fuhr Rona fort. »Wenn es nach mir ginge, ein ganzes Jahr.« Jedes Jahr versuchte sie ihre Eltern dazu zu überreden, den gemeinsamen Sommerurlaub in den Highlands zu verbringen, doch stattdessen fuhren sie immer an weiße Sandstrände und verbrachten ihre Zeit faulenzend am Pool unter Palmen. Zugegeben, es waren wundervolle Tage gewesen, an die sie sich gerne zurückerinnerte, doch ihr Herz sehnte sich nach den kargen Klippen und Steinstränden entlang der rauen Nordsee. »Ich könnte sogar noch ein Jahr später auf die Uni gehen.« Diese Idee war ihr spontan in den Sinn gekommen – augenblicklich wurde ihr jedoch klar, dass sie sie nicht laut hätte aussprechen dürfen.

Ihre Mutter presste die Lippen fest aufeinander, bis diese nur noch eine weiße Linie waren. Ihr Blick wanderte verzweifelt zu ihrem Mann und Ronas Augen folgten ihm.

Ihr Vater starrte stur geradeaus. »Es ist zu gefährlich.«

Gut, dieses Argument hatte ihr Vater auch schon vorgebracht, als sie letztes Jahr mit Freundinnen allein nach Mexiko gefahren war. Dasselbe Argument war ebenfalls aufgetaucht, als sie ihren Eltern mitgeteilt hatte, dass sie für ihren Master die Universität wechseln und daher in ein Studentenwohnheim ziehen wollte. Ihre Eltern gehörten einfach zu der übervorsichtigen Sorte, die sich immer Sorgen um ihren Nachwuchs machten.

»Du weißt, ich kann auf mich aufpassen.« Sie hatte ihren Vater bisher jedes Mal beruhigen können. Hatte einen Selbstverteidigungskurs belegt und immer Pfefferspray dabei. Außerdem stellte sie ihre Vorhaben normalerweise so harmlos wie möglich dar. Es gab Dinge, die auch Eltern besser nicht erfuhren, unter anderem, dass sie vor einigen Wochen nicht bei ihrer Freundin, sondern bei einem wildfremden Kerl übernachtet hatte. Wahrscheinlich dachten ihre Eltern auch noch, dass sie Jungfrau sei und noch nie einen Tropfen Alkohol angerührt hatte.

»Wir wissen nichts über Sean. Als wir Schottland verlassen haben, war er gerade einmal zwölf«, erwiderte ihr Vater.

Ungläubig sah sie ihn an. Hatte er jetzt allen Ernstes Angst davor, dass ihr Großcousin sie nur nach Schottland eingeladen hatte, um ihr etwas anzutun? Oder befürchtete er, dass Sean einen schlechten Einfluss auf sie haben könnte? Ersteres konnte sie kaum glauben und Letzteres würde ihr noch zur Genüge auf dem Campus begegnen. Gut, ihr Vater hatte Recht, sie kannte ihren Cousin nicht und wusste daher nicht, was für ein Typ er war, doch ihr Erspartes würde locker für ein Hotel reichen, sollte er sich als Arsch entpuppen. Aber das sagte sie nicht laut.

»Ich kann ja erst mal mit ihm in Kontakt treten und ihn kennenlernen«, murrte sie und tat so, als würde sie in diesem Punkt nachgeben.

Ihr Vater nickte. »Vielleicht kannst du dann nächstes Jahr nach Schottland fliegen«, versuchte er sie aufzuheitern, doch Rona hatte das Gefühl, dass er seinen Vorschlag überhaupt nicht ernst meinte.

Ein Blick in das wütende Gesicht ihrer Mutter verstärkte diesen Verdacht. Verkrampft lächelte Rona und begann enttäuscht ihren bereits kalten Auflauf zu essen, während sie im Kopf Pläne schmiedete.

2

Die Empfangshalle des Flughafens von Inverness war ein langgezogenes, weißes Gebäude, durch dessen Fensterfront die Sonne hereinschien. Rona blinzelte müde und hatte das Gefühl, dieser Tag würde nie enden. Als sie heute Morgen in New York in die Maschine gestiegen war, war es noch dunkel gewesen. Sie war erschöpft nach den zehn Stunden Flug, in denen sie kaum ein Auge zugemacht hatte, und dem Umstieg in Amsterdam. Sie wollte nur noch schlafen. Glücklicherweise war Inverness ein kleiner Flughafen und sie kam schnell durch die Abfertigung, da sie einen schottischen Pass besaß. Während sie am Gepäckband auf ihren Hartschalenkoffer wartete, sah sie sich immer wieder suchend nach jemandem um, der sie abholte.

Noch am selben Abend, als sie sich dazu entschlossen hatte, Seans Angebot gegen den Wunsch ihrer Eltern anzunehmen, hatte sie ihm geschrieben. Auch wenn sie vorgehabt hatte, selbst dann zu fliegen, wenn er überhaupt nicht auf ihren Brief reagiert hätte, so war sie doch erleichtert gewesen, als eine Nachricht von ihm auf ihrem Handy angekommen war, kurz bevor sie zum Flughafen aufgebrochen war.

Werde da sein.

Auf die Frage, wie sie ihn erkennen würde, hatte er leider nicht geantwortet. Seit sie das Flugzeug betreten hatte, war sie das reinste Nervenbündel. Plötzlich erschien ihr alles doch wie eine Schnapsidee. Ihre Eltern würden sie umbringen, wenn sie wüssten, dass sie keineswegs übers Wochenende mit einer Freundin den Campus ansehen wollte, wie sie ihnen weisgemacht hatte, sondern auf schottischem Boden stand.

O Gott, sie war tatsächlich in Schottland!

Ihr Koffer, mit dem Muster der schottischen Flagge, fuhr an ihr vorbei und sie ergriff ihn schnell. Während sie ihn zum Ausgang hinter sich herzog, tippte sie eine weitere Textnachricht an Sean.

Bin da, wo bist du?

Die Türen gingen automatisch auf und sie eilte hindurch, um endlich richtige Highlandluft atmen zu können. Tief sog sie den Geruch nach Tannenwald und Moor ein und konnte sogar das Meersalz von der nahen Küste in der Luft wahrnehmen. Es war, als würde plötzlich ganz viel Druck, der vorher auf ihr gelastet hatte, abfallen.

»Ich bin direkt hinter dir«, erklang plötzlich eine dunkle Stimme und ihr blieb für einen Moment das Herz stehen. Ein erstickter Schrei entwich ihrer Kehle und sie musste um Luft ringen.

»Hab ich dich erschreckt?«

»Ich hab einen halben Herzinfarkt bekommen«, fauchte sie und spürte die Hitze auf ihren Wangen.

Sean trat in ihr Blickfeld und musterte sie besorgt. »Alles in Ordnung?«

Bei seinem Anblick blieb ihr gleich noch einmal die Luft weg. Sean hatte dasselbe rotblonde Haar wie ihr Vater in seiner Jugend und dasselbe energische Kinn mit dem Grübchen, das ihr Vater ihr glücklicherweise nicht vererbt hatte. Doch damit hörten die Familienähnlichkeiten schon auf. Seans Augen waren rostbraun und glänzten wie Kupfer statt in einem satten Grün wie bei ihrem Vater. Sean war gut einen Meter neunzig groß und überragte sie damit um einen ganzen Kopf. Seine athletische Gestalt steckte in einem engen roten T-Shirt und weiten Jeans, die tief auf seinen Hüften saßen. Verschiedene Tribal-Tattoos rankten sich um seine Arme. Himmel, sah der heiß aus.

»Alles in Ordnung?«, wiederholte er und sie spürte, wie ihre Wangen noch mehr glühten.

»Ähm, ja. Ja, ich bin nur … etwas erschöpft von dem Flug«, stotterte sie und kam sich in diesem Moment vollkommen dämlich vor, als wäre sie auf den Mund gefallen, was normalerweise gar nicht ihrer Art entsprach.

»Kein Problem, ich dachte mir schon, dass du erst einmal ins Bett willst.« Er sagte das mit einem solch sinnlichen und zweideutigen Ton, dass ihr Unterleib sich sehnsüchtig zusammenzog.

»Ja«, konnte sie nur krächzen und räusperte sich, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden. Wenn ihre Eltern sie nicht dafür umbringen würden, dass sie einfach nach Schottland geflogen war, würden sie es spätestens dann tun, wenn sie etwas mit Sean anfangen sollte, da war sie sich sicher. Worüber dachte sie da eigentlich nach? Es könnte sein, dass er verheiratet war, Kinder hatte oder was wusste sie schon. Jemand, der so aussah wie er, war sicherlich kein Single. Außerdem waren sie verwandt, wenn auch nur entfernt.

»Komm.« Er nahm ihr den Koffer ab und ging voraus zu einem schwarzen Geländewagen, der hinten geschlossen war. Nachdem er ihr Gepäck im Kofferraum verstaut hatte, öffnete er die Beifahrertür und lächelte sie an. Zögerlich stieg Rona ein und versuchte weiterhin ihr aufgeregt schlagendes Herz zu beruhigen.

Es war seltsam, auf der falschen Seite im Auto zu sitzen. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe. Die Tür auf seiner Seite wurde zugeschlagen und er startete den Motor.

»Warum hast du erst jetzt mit mir Kontakt aufgenommen?« Neugierig musterte sie ihn von der Seite und versuchte aus den Ornamenten auf seinen Armen schlau zu werden. Sie konnte eine stilisierte Distel etwas oberhalb des Ellenbogens erkennen.

»Das habe ich nicht. Seit fünfzehn Jahren lade ich dich nun schon ein, die Sommerferien bei uns zu verbringen. Seit deine Eltern mit dir nach New York gezogen sind. Meine Mutterhat auch immer wieder bei deinen Eltern nachgefragt, ob ihr gemeinsam den Sommer bei uns verbringen wollt. Ehrlich gesagt war ich überrascht, dass du dieses Mal zugesagt hast. Und dann so kurzfristig.«

Sie löste ihren Blick von den Tribals und starrte ihn ungläubig an.

»Deine Eltern haben es dir nie erzählt«, stellte er nach einem kurzen Blick in ihr Gesicht fest, bevor er sich wieder ganz auf die Straße konzentrierte.

»Nein.« Sie ließ sich traurig in den Sitz fallen und nahm erst jetzt die von der Abendsonne beschienene Landschaft wahr, durch die sie fuhren. Doch der Anblick, nach dem sie sich schon sehnte, seit sie denken konnte, berührte sie nur am Rande. Die Enttäuschung darüber, dass ihre Eltern sie vermutlich die ganze Zeit belogen hatten, trübte ihre Stimmung. Es stellte sich nur die Frage: Warum? »Sie haben mir ehrlich gesagt gar nichts erzählt. Bis ich deinen Brief letzte Woche gefunden hatte, wusste ich nicht einmal, dass ich noch Familie in Schottland habe.«

Eine Weile schwieg Sean. Sie bemerkte, wie sich seine Finger immer fester um das Lenkrad schlossen, bis seine Knöchel weiß wurden. »Und jetzt haben sie dir alles erzählt und dich einfach hergeschickt?« Der ungläubige Tonfall in seiner Stimme ließ ihr nicht wirklich Spielraum für eine Lüge.

»Das kann man so nicht sagen«, erwiderte sie ausweichend.

Sean lenkte den Wagen an den Straßenrand, während er kräftig auf die Bremse trat, sodass der Schotter unter den Reifen knirschte. Nervös befeuchtete sich Rona die Lippen.

Sean wandte sich ihr zu und sah sie finster an. »Das heißt, du bist einfach in den Flieger gestiegen, ohne zu wissen, was dich hier erwartet?«

Schuldbewusst starrte sie auf die Armatur aus schwarzem Plastik vor sich. »Naja, ich bin davon ausgegangen, dass du mich nicht vergewaltigen oder umbringen wirst.«

Fluchend schlug Sean gegen das Lenkrad und schnaufte. »Nein, natürlich nicht. Du gehörst zur Familie. Verdammt, du bist mir damals als Kind überall hinterhergekrabbelt. Ich hab auf dich aufgepasst. Du warst wie eine kleine Schwester. Keiner versteht, warum Ian und Jodee mit dir damals nach New York gezogen sind und plötzlich keinen Kontakt mehr haben wollten. Ich hab es nie verstanden!«

Einen Moment verweilte ihr Gehirn bei der deprimierenden Tatsache, dass er in ihr nur eine kleine Schwester sah, doch dann widmete sie sich dem weit wichtigeren Thema. »Mein Vater sagt, er hätte sich mit deiner Mutter gestritten.«

Sean zuckte mit den Schultern. »Ich kann mich an keinen Streit erinnern. Es hat auch nie jemand etwas von einem Streit erzählt.«

Müde lehnte sie den Kopf gegen das Seitenfenster, sie hatte nicht das Gefühl, dass sie so weiterkamen.

***

Einen Moment betrachtete Sean das junge Mädchen nachdenklich. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, dass sie tatsächlich auftauchen würde. Eigentlich hatte er den Brief aus reiner Gewohnheit abgeschickt, wie er es seit Jahren tat. Früher hatte er ihr immer geschrieben, was er erlebt hatte. Doch nachdem monatelang keine Antwort gekommen war, hatte er irgendwann damit aufgehört.

Er sah immer noch das kleine, nervige Mädchen vor sich, das ihm überall hin gefolgt war. Sei es in die hohen Baumwipfel der mächtigen Eichen oder auf die Steilhänge entlang der Küste. Ihre roten Locken waren immer windzerzaust gewesen und ihre Pausbäckchen voller Sommersprossen.

Er streckte seine Hand aus, um ihr eine dieser Locken hinters Ohr zu streichen, doch schnell zog er sie wieder zurück, als er bemerkte, was er da tat.

Seit sie und ihre Eltern ausgewandert waren, war viel passiert und er hatte erwachsen werden müssen. Auch Rona war erwachsen geworden. Jetzt war nichts mehr von den braunen Punkten auf ihren schmalen Wangen zu sehen. Nur ihre Augen waren noch wie damals, hellblau wie der wolkenlose Himmel, mit einem dunklen Ring außen. Ihre Lider sanken langsam darüber und ihr Atem wurde flacher.

Seufzend lenkte Sean den Wagen wieder auf die Straße. »Entschuldige, ich habe vergessen, dass du einen langen Flug hinter dir hast.«

Sie gab einen murrenden Laut von sich und er lächelte. Er trat das Gaspedal durch und fuhr die Küstenstraße nach Norden zu dem Gutshaus, das seiner Familie bereits seit drei Generationen gehörte. Als der Wagen stand, versuchte er sie zu wecken, doch sie schlug nach seiner Hand, als wäre sie eine lästige Fliege, die sie verscheuchen wollte. Also stieg er aus, öffnete die Beifahrertür und nahm sie in die Arme, um sie vorsichtig ins Haus zu tragen.

Bereits vor der Türschwelle kam ihm seine Mutter aufgeregt entgegengeeilt. »Ist was passiert?«

Lächelnd schüttelte er den Kopf. »Nein. Mach dir keine Sorgen, sie schläft nur. Alles gut. Der Flug hat sie erschöpft.«

Sofort wich die Anspannung aus ihren Schultern. »Hat sie etwas erzählt?«, fragte sie leise und hoffnungsvoll. Schon seit Jahren bedrückte es seine Mutter, dass Ian, der mit ihr aufgewachsen war, einfach ohne ein Wort das Land verlassen hatte und seitdem jeden Kontakt mied.

»Nicht viel. Sie erinnert sich jedenfalls nicht mehr an uns und Ian und Jodee haben ihr auch nichts von uns erzählt. Kein einziges Wort. Angeblich hättest du dich mit Ian gestritten.« Sean stieg vorsichtig die alte Holztreppe nach oben, wo für Rona das Gästezimmer hergerichtet war, und hörte seine Mutter hinter sich seufzen. »Hat sie etwa Recht?« Am oberen Absatz blieb er stehen, damit seine Mutter an ihm vorbeikam, um die Tür zu öffnen.

»Wir haben uns ständig gezankt, schon seit wir klein waren. Doch das ist kein Grund, einfach der Familie den Rücken zu kehren. Wir haben eine wichtige Verpflichtung.«

Eine Verpflichtung, die schwer auf Seans Schultern lastete und sein ganzes Leben bestimmte. »Offensichtlich ist sie überhaupt nicht auf das alles vorbereitet worden. Aber wenn sie die Fähigkeiten einer Wächterin hat, dann müssen wir das wissen. Wir sind mittlerweile zu wenige, um den Síodhach Einhalt zu gebieten.« Weder bei seinen drei älteren Halbgeschwistern noch bei deren Kindern hatte sich ihr Erbe gezeigt. Immer weniger von ihnen wurden in jeder Generation geboren.

Er trat in das kleine Gästezimmer, das vom Schein der untergehenden Sonne rot erleuchtet wurde, und legte Rona vorsichtig auf dem schmalen Bett ab. Erneut gab sie einen Ton von sich, der eine Mischung aus Schnurren und Murren war und ihn zum Lächeln brachte. Zärtlich strich er ihr eine dunkelrote Locke aus dem Gesicht.

Seine Mutter trat neben ihn. »Sie ist eine Schönheit geworden.«

»Findest du?«, fragte er sie zweifelnd und bekam direkt einen Klaps auf dem Arm.

»Als ob dir Schwerenöter das noch nicht aufgefallen wäre. Du lässt doch sonst nichts anbrennen«, sagte sie.

Sean verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hab irgendwie das Gefühl, du versuchst mich mal wieder zu verkuppeln. Mit meiner Cousine!«

»Sie ist deine Großcousine. Außerdem wart ihr früher unzertrennlich.«

»Ihr habt mich gezwungen, auf sie aufzupassen. Sie war eine fürchterliche Nervensäge, hing an mir wie eine Klette«, verteidigte sich Sean.

Seine Mutter lachte und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Das hast du damals zwar immer behauptet, aber sobald ihr länger als vierundzwanzig Stunden getrennt wart, wurdest du unerträglich.«

3

Vor dem Fenster lag eine sonnenverbrannte Graslandschaft, die sich bis zu einem kleinen Tannenwäldchen in der Ferne erstreckte. Dass sie wirklich in Schottland war, kam ihr immer noch wie ein Traum vor. Nur schwer konnte sie sich von dem Anblick lösen und ihre Aufmerksamkeit auf das Zimmer richten, in dem sie kurz zuvor erwacht war. Kleine Röschen zierten die Tapete und Häkeldeckchen lagen auf den Möbeln. Sie hoffte nur, dass die Frau, die eindeutig diesen Raum eingerichtet hatte, ihr die Jeans ausgezogen hatte und nicht Sean. Leise öffnete sie die Tür und trat in den leeren Flur.

»Guten Morgen«, erklang Seans tiefe Stimme von der Treppe und ließ sie erneut vor Schreck einen leisen Schrei ausstoßen. Spätestens jetzt war Rona hellwach.

»Du bist ganz schön schreckhaft«, feixte er.

Erbost schaute sie ihn an. Sie hatte ihn wirklich nicht bemerkt. »Ich glaube, das machst du mit Absicht«, warf sie ihm vor.

»Ich wollte dich gerade fragen, ob du Lust hast, mit uns zu frühstücken, oder ob du noch länger im Bett bleiben möchtest.«

Seine raue Stimme klang in ihren Ohren abermals wie ein Angebot, doch nach dem Gespräch im Auto war sie sich sicher, dass sie hier etwas hineininterpretierte. Er hatte einfach nur eine dieser Stimmen, bei denen sich innerlich alles in einem zusammenzog. Bestimmt war sie nicht die einzige Frau, die darauf so reagierte. »Frühstück klingt gut«, seufzte sie und rieb sich müde die Augen.

»Das Badezimmer ist da hinten.« Sean zeigte auf die linke der fünf Türen, die vom Flur abzweigten. »Ich habe dir frische Handtücher bereitgelegt. Komm runter, wenn du fertig bist. Meine Mutter kann es kaum erwarten, dich kennenzulernen.« Er verdrehte genervt die Augen, ehe er die Holztreppe wieder hinunterlief.

Als Rona nach einer schnellen Dusche die Treppenstufen ebenfalls hinabstieg, hörte sie leises Murmeln und folgte dem Geräusch. Eine offene Tür führte in ein geräumiges Wohnzimmer mit Kamin und vielen Bücherregalen. Überall entdeckte sie Spuren der schottischen Vergangenheit: Wappen, Schwerter, alte Urkunden. Sie konnte sich kaum sattsehen, doch der Geruch von warmen Brötchen ließ ihren Magen vernehmlich brummen und trieb sie weiter in Richtung der angelehnten Tür, aus der nun Geschirrgeklapper zu hören war.

Zögerlich trat sie durch die Tür in eine weiße Landhausküche, die überraschenderweise eine größere Variante der Küche bei ihr zu Hause war. Ein riesiger Tisch, an dem locker zwölf Leute Platz hatten, dominierte den Raum, war jedoch nicht gedeckt. Auch sonst war die Küche leer.

Eine Bewegung in ihrem Augenwinkel lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Flügeltüren, die nach draußen zur Terrasse geöffnet waren.

Nervös trat sie hinaus und blieb abrupt stehen. Der Anblick war atemberaubend. Nur knapp zweihundert Meter entfernt ging der Rasen in einen schwarzen Steinstrand über, aus dem vereinzelt graues Gestein ragte, das sich in einiger Entfernung zu einer großen Klippe auftürmte. Sie hörte das Meer rauschen, als würde es sie rufen.

Ein Räuspern holte sie aus ihrer ehrfürchtigen Erstarrung. Erst jetzt nahm sie die rotblonde Frau wahr, die strahlend auf sie zukam und sie in eine feste Umarmung zog. »Es ist so schön, dich zu sehen, Rona.«

Ronas Blick fiel über die Schulter der Frau auf Sean, der lässig an einem gedeckten Tisch saß und sie beobachtete. Seine Augen waren unergründlich und sie fühlte sich plötzlich unwohl unter seinem prüfenden Blick. Schnell wandte sie sich ab. »Ähm, ebenfalls.«

Die Frau griff Rona bei den Oberarmen und schob sie etwas von sich. Enttäuscht musterte sie sie. »Du erinnerst dich nicht mehr an mich?«

Rona schüttelte den Kopf, unfähig zu sprechen.

»Ich bin Seans Mutter. Deine Tante Eileen.« Die letzten Wörter stieß sie in einem Ton hervor, als könnte der Ronas Erinnerungen wieder wachrufen. Doch Rona erinnerte sich nicht an die Frau oder den Namen.

»Ma, du bringst sie in Verlegenheit«, drang Seans amüsierte Stimme zu ihnen.

»Oh, verzeih mir.« Eileen ließ sie los und dirigierte sie direkt neben Sean auf eine schmale Bank, die er fast vollständig einnahm. Ihre Oberschenkel rieben aneinander und erzeugten ein warmes, kribbelndes Gefühl. Sie versuchte, soweit es ging, von ihm abzurücken, doch das erzeugte nur noch mehr Reibung.

Ihre Schultern berührten sich und ihre Brust streifte seinen Arm, als sie sich etwas vorbeugte, um sich ein Roggenbrötchen aus dem Korb zu nehmen. »Entschuldige«, murmelte sie hastig. Sie hätte auch aufstehen und sich direkt an den leeren Platz auf der anderen Tischseite setzen können, doch sie wollte Eileen gegenüber nicht unhöflich sein. Sean schien jedoch nichts mitbekommen zu haben, sondern gab nur ein vages »Hmm?« von sich, während er in sein Brötchen biss.

»Erzähl mal, was machst du so?«, begann Eileen.

»Ich studiere Architektur«, erwiderte Rona verlegen. Sie bestrich ihr Brötchen dick mit Butter und nahm sich dann etwas von der Marmelade, während sie versuchte, Sean so wenig wie möglich zu berühren und gleichzeitig die verhörähnlichen Fragen seiner Mutter zu beantworten.

»Hast du einen Freund?«, fuhr die fort.

Sean bewegte sich unruhig neben ihr und seine Mutter lächelte sie aufmunternd an. »Ich bin nur neugierig.«

»Nein. Ich hatte. Aber Chris ist letztes Jahr auf ein College an die Westküste gegangen.« Ihre Beziehung hatte die Entfernung nicht einmal drei Wochen überstanden, zumal der Mistkerl sich gleich in der ersten Woche eine der Cheerleaderinnen hatte angeln müssen. Dumm nur, wenn man vergisst, den Laptop und Skype auszuschalten. Sie ärgerte sich immer noch darüber, dass sie ihre Zeit an diesen Idioten verschwendet hatte.

Das Frühstück und die Unterhaltung mit ihrer Großtante waren, bis auf diese Frage, sehr angenehm. Eileen erzählte Geschichten von früher, als Ronas Vater noch ein Junge gewesen war, wie sich ihre Eltern kennengelernt hatten oder und was Rona doch für ein süßes Kind gewesen war. Wie sie immer mit Sean zusammen gespielt hatte.

»Erinnerst du dich daran?«, fragte Eileen.

Doch Rona musste bedauernd den Kopf schütteln. Sean trug außer ein paar Seufzern, wenn Eileen eine Anekdote aus seinem Leben zum Besten gab, leider nichts zu der Unterhaltung bei. Rona war sich dennoch seiner Gegenwart die ganze Zeit über bewusst.

»Ihr seid ein so hübsches Paar«, meinte Eileen plötzlich und Rona verschluckte sich an dem Bissen, den sie gerade im Mund hatte. Sean klopfte ihr kräftig zwischen die Schulterblätter. Was jedoch nicht wirklich hilfreich war, denn so war er ihr nur noch näher.

»Ma«, sagte Sean tadelnd und mit einem genervten Unterton, während sie noch um Luft rang. Er neigte sich zu ihr hin und sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Wange. »Du musst aufpassen. Ich befürchte, sie versucht bereits uns zu verkuppeln, seit du auf der Welt bist.«

»Ich wünsche ihr viel Glück dabei.« Eigentlich hatte das sarkastisch klingen sollen, doch es klang, als wäre sie begeistert von dem Gedanken, und Sean sah sie etwas verwirrt an. Schnell widmete sie sich den Resten ihres Brötchens und hoffte, dass ihre Wangen nicht die Farbe einer Tomate angenommen hatten.

Das restliche Frühstück verlief schweigend. Rona war froh, als Eileen den Tisch abzuräumen begann. Sean stand sofort auf, nahm ihr das Geschirr ab und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Das können auch wir machen. Ruh dich aus«, sagte er.

Verwundert blickte Rona Eileen hinterher und bemerkte, dass diese humpelte. »Ist sie verletzt?«

»Nichts Ernstes«, erwiderte er ausweichend und trug die Sachen in die Küche.

Rona nahm die Gläser und Tassen und stellte sie auf der Arbeitsfläche ab. Sie lehnte sich mit dem Rücken an und beobachtete, wie Sean zügig die restlichen Lebensmittel in den Kühlschrank räumte.

»Wohnst du mit deiner Mutter allein hier?«, fragte sie ihn neugierig.

Er schloss den Kühlschrank, kam zu ihr herüber und blieb direkt vor ihr stehen. Sein unergründlicher Blick war auf sie gerichtet. »Stört dich das?«

Sie schüttelte den Kopf und er öffnete grinsend den Geschirrspüler, der sich direkt neben ihrem Oberschenkel befand. »Ich habe ein kleines Apartment in Aberdeen, aber da hätten wir uns das Bett teilen müssen.« Er zwinkerte ihr zu.

»Deiner Mutter hätte das sicher gefallen«, meinte Rona.

Er lachte und nahm ihr den Teller ab, den sie ihm reichte. »Aye.«

»Wie lange bleibst du hier?« Sie hatte irrsinnigerweise die Vorstellung gehabt, dass er den gesamten Sommer mit ihr gemeinsam verbringen würde. Zumindest war sie nach seinem Brief davon ausgegangen. Wobei, eigentlich war sie von gar nichts ausgegangen. Sie hatte mal wieder, ohne nachzudenken, einfach gehandelt. Typisch für sie.

Sean richtete sich auf und schloss die Maschine, die sofort schnurrend ihre Arbeit aufnahm. »Solange du hier bist.«

»Hast du keinen Job?«, platzte es aus ihr raus und sie biss sich auf die Zunge.

Sean wirkte etwas gekränkt und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Tribals schienen sich zu bewegen, in einem erkannte sie einen Wolf, der gerade zum Sprung ansetzte. Sein ärmelloses, schwarzes T-Shirt gewährte ihr dieses Mal noch mehr Einblicke, doch noch immer nicht genug, denn die schwarzen Linien verschwanden unter dem Stoff. »Ich schreibe gerade an meiner Doktorarbeit in Geschichte, über Druidenkulte in Schottland.«

Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Er war einfach perfekt.

»Jetzt hör auf, mich so schockiert anzugaffen.« Verlegen strich er sich mit der Hand durch die Haare, wandte sich ab und ging wieder hinaus auf die Terrasse. »Ich kann damit sehr wohl meinen Lebensunterhalt verdienen. Außerdem helfe ich in den Sommerferien immer meiner Mutter mit den Feriengästen.«

»Entschuldige, so hatte ich das nicht gemeint. Ich war nur überrascht«, beeilte sie sich zu sagen und folgte ihm. Die Sonne brannte vom Himmel, doch es war nicht die drückende Hitze von New York, die ihr sofort den Schweiß aus jeder Pore trieb. Eine kühle Brise vom Meer strich über ihre Haut und sie ließ sich wohlig seufzend in einen der drei Liegestühle fallen, die halb im Schatten standen.

Sean setzte sich auf den Stuhl neben ihr und sah sie ernst an. »Willst du deine Eltern anrufen, dass du gut angekommen bist?«

Frustriert atmete sie aus. »Eigentlich sollte ich, aber …«

»Du hast keine Lust auf den Ärger«, vollendete er ihren Satz.

»Ja, und darauf, dass sie mich zurückholen.«

Sean legte sich ebenfalls hin und starrte in den wolkenlosen Himmel. »Wir müssen ja nicht hier sein, falls sie kommen. Ich hatte mir überlegt, mit dir eine kleine Rundreise durch Schottland zu unternehmen.«

Sie richtete sich auf und sah ihn fassungslos an. »Das würdest du für mich tun?« Es war ihr Lebenstraum. »Können wir zum Edinburgh Castle? Und zur Isle of Skye? Und nach Stonehenge?« Sie war total aufgedreht und zählte einfach alles auf, was ihr einfiel, ohne auch nur einmal Luft zu holen. Sean lag auf der Liege und schaute entgeistert zu ihr auf. Wahrscheinlich hielt er sie jetzt für völlig durchgeknallt. Dann wurde ihr klar, was das wahrscheinlich kosten würde und dass sie dafür quer durchs ganze Land fahren mussten. »Ich will dich natürlich nicht von deiner Arbeit abhalten.«

Er winkte ab. »Das ist kein Problem, für meine Doktorarbeit müsste ich zu Recherchezwecken sowieso einige alte Kultstätten aufsuchen. Das heißt, wenn es dich nicht stört, dass wir ein paar alte Steinkreise besuchen und diese ganzen anderen mythischen Orte aufsuchen oder in modrigen Bibliotheken unsere Zeit verbringen.«

»Das klingt wunderbar«, sagte sie verzückt und Sean begann zu lachen. »Warte. Das ist aber doch viel zu teuer.«

»Du vergisst die Gastfreundschaft der Schotten. Außerdem nehmen wir die Campingausrüstung mit. Ihr Amis steht doch auf Roadtrips.« Er zwinkerte ihr zu.

»Ich bin Schottin!«, rief sie, nur um im nächsten Moment aufgeregt aufzuspringen und ihm um den Hals zu fallen. »Danke, danke, danke.«

Sein warmer Arm legte sich um ihren Rücken und sofort rückte Rona von ihm ab. »Äh … entschuldige bitte.«

Er lächelte. »Ich habe nichts dagegen, wenn mir ein hübsches Mädchen um den Hals fällt.« Ihre Wangen brannten noch mehr, doch er schien sich gar nicht bewusst zu sein, was seine Worte bei ihr auslösten.

Er zog ein Handy aus der Hosentasche und hielt es ihr vor die Nase. »Ruf trotzdem deine Eltern an. Ich möchte nicht, dass das Ganze die Familie noch mehr entzweit. Vielleicht erlauben sie es dir ja auch, jetzt wo du schon mal hier bist.«

Zögerlich nahm sie das Telefon und starrte eine Weile auf das schwarze Display. Dann reichte sie es ihm wieder. »Das hat noch Zeit. Sie erwarten mich erst in ein paar Tagen zurück.«

Entschieden schüttelte er den Kopf. »Das wird sie nur noch wütender machen.«

Er hatte Recht, das wusste sie und sie betrachtete das Handy in ihrer Hand. Begeistert würden sie so oder so nicht sein.

»Mach schon, Frechdachs«, forderte Sean sie auf.

In ihrem Kopf erklang ein fernes Echo, wie aus einer anderen Zeit. »Frechdachs?!«, fragte sie empört.

»Früher hat dich das nie gestört.« Sein Gesicht wurde wieder ernst. »Du kannst dich wirklich nicht erinnern?«

»Nein«, grollte sie und widmet sich dem Telefon in ihrer Hand. »Du musst es noch entsperren«, sagte sie und hielt es ihm erneut hin.

Er nahm ihr das Handy ab, wischte kurz mit dem Daumen über die Oberfläche und gab es ihr zurück.

Rona wollte ihre Eltern immer noch nicht anrufen. Vor Dienstagmittag würden sie sie nicht vermissen und es war gerade einmal Sonntagmorgen. »Ist das nicht viel zu teuer?«

»Mach dir darüber mal keine Sorgen«, winkte er ab. »Jetzt hör auf, dich weiter herauszureden und ruf endlich an.« Seine Augen wurden hart und seine ganze Körperhaltung unnachgiebig.

Für einen kurzen Moment war sie verunsichert und betrachtete Sean misstrauisch.

Er seufzte und strich sich durch die rotblonden Haare. »Bitte, Frechdachs. Ich möchte wirklich nicht, dass das Verhältnis zu deinen Eltern noch schlechter wird. Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir alle wieder zusammenbringen können.« Ein Lächeln ließ seine kantigen Gesichtszüge weich werden.

Auch sie musste lächeln, denn der Gedanke, ihren Vater mit Eileen zu versöhnen, war verführerisch. Sie würde dann öfter nach Schottland kommen können. Das nächste Mal vielleicht sogar mit ihren Eltern, die ihr zeigen konnten, wo sie aufgewachsen war.

Nervös ging sie in Richtung Meer, als sie die Nummer von zu Hause wählte. Es dauerte einen Moment, ehe das Freizeichen erklang. Der Grund unter ihren Füßen veränderte sich, aus weicher, federnder Erde wurde unnachgiebiger Stein, der bei jedem Schritt knirschte.

Es knackte in der Leitung.

»Drummond, Hallo?«, meldete sich ihre Mutter mit einem unbeschwerten Tonfall. Rona schluckte nervös, brachte allerdings keinen Ton heraus. »Hallo?«, fragte ihre Mutter abermals.

»Mom, ich bin's.«

»Ist was passiert, Schatz?«, fragte ihre Mutter besorgt. »Warum rufst du von einer fremden Nummer aus an?«

»Alles gut«, beruhigte Rona sie sofort. »Ich … ähm … weißt du …« Wie erklärt man seiner Mutter am besten, dass man etwas getan hat, von dem sie absolut nicht begeistert sein wird? »Ich bin in Schottland«, stieß sie schnell hervor.

Eine ganze Weile war es still am anderen Ende der Leitung, dann ertönte ein lauter Schrei. »Du bist WAS?!«

Rona hielt das Telefon schnell von ihrem Ohr weg. Selbst auf die Entfernung hörte sie ihre Mutter brüllen, auch wenn sie nicht verstand, was sie genau sagte. Aber sie konnte es sich vorstellen.

Erst als es wieder ruhig am anderen Ende der Leitung wurde, hielt sie das Handy vorsichtig an ihr Ohr. Nichts war zu hören. »Mom, bist du noch da?«

»Rona Fearchara Drummond. Du kommst sofort nach Hause!«

O Gott, jetzt wurde sie schon bei ihrem zweiten Vornamen genannt, ein alter gälischer Name, den bereits ihre Urgroßmutter getragen hatte. Rona verzog schmerzhaft das Gesicht und rieb sich mit der Hand darüber. »Nein«, sagte sie entschlossen.

»Du machst gefälligst, was ich sage, junge Dame!«

»Ich bin erwachsen, Mom. Kapier das doch endlich!«, fauchte Rona, der langsam der Geduldsfaden riss.

»Ich will doch nur das Beste für dich!« Ihre Mutter klang verzweifelt.

Rona warf einen Blick über die Schulter zu Sean. Er stand wartend auf der Terrasse und beobachtete sie mit vor der Brust verschränkten Armen. Sein Haar wurde vom Küstenwind zerzaust. Hinter ihm erhob sich das große Gutshaus, das sich harmonisch in das Idyll aus Apfelbäumen und bunten Blumenbeeten einfügte. In Rona machte sich eine tiefe Sehnsucht breit, die sie schon immer verspürt hatte, wenn sie an Schottland dachte. Hier gehörte sie her und hier wollte sie bleiben. Wenn sie sich mit ihrer Mutter stritt, endete das jedoch nie gut, also schluckte sie ihren Zorn hinunter.

»Ich verstehe einfach nicht, was ihr gegen Eileen und Sean habt. Sie sind beide sehr nett. Ich hätte dich ehrlich gesagt gar nicht angerufen, wenn Sean mich nicht dazu genötigt hätte.«

Einen Moment war es still und sie hörte wie ihr Vater leise im Hintergrund sprach. Dann drang Geraschel an ihr Ohr. »Ist er da?«, erklang die ruhige Stimme ihres Vaters.

»Nein.« Erneut betrachtete sie Sean. Er stand nach wie vor an derselben Stelle und beobachtete sie. Sie hätte ihn rufen können, doch das wollte sie nicht, stattdessen wanderte sie den Strand entlang und entfernte sich weiter von ihm. »Sag mir doch einfach, was los ist, Dad.«

»So was kann man nicht am Telefon klären«, meinte er ruhig, während sie ein verdächtiges Schluchzen im Hintergrund hörte. Das Geräusch ließ ihren Magen zu einem festen Klumpen zusammenschrumpfen. »Wir wollten nie, dass du es erfährst.«

»Dass ich was erfahre?«, fragte Rona verdattert.

»Wir lieben dich, Schatz. Warte einfach bei deiner Tante im Haus. Dort bist du in Sicherheit.« Ein Piepen zeigte ihr an, dass ihr Vater aufgelegt hatte.

Was zum Teufel sollte das bitte bedeuten? Ungläubig starrte sie das Mobiltelefon an. Das ergab alles keinen Sinn. Sie hatte gedacht, es ginge um einen Streit zwischen ihrem Vater und Eileen. Jetzt wollte er, dass sie bei ihr blieb. Damit sie in Sicherheit war. Vor was oder wem? Verwundert sah sie zurück zu dem jungen Mann, der ihr lächelnd zuwinkte. Ging es vielleicht um Sean? Verhalten winkte sie zurück und er kam sofort zu ihr gelaufen.

Besorgt musterte er sie. »Alles in Ordnung?«

»Ich weiß nicht. Ich verstehe es nicht.« Rona rieb sich über die Stirn, hinter der es verdächtig anfing zu pochen. Tief sog sie die salzige Meeresluft ein und fühlte sich sofort entspannter.

»Was verstehst du nicht?«, hakte Sean nach.

»Sie kommen her und wollen, dass ich solange hier warte«, antwortete sie enttäuscht.

»Das hatten wir ja schon geahnt.« Auch er ließ den Kopf sinken.

»Was mich aber wundert: sie wollen, dass ich solange bei Tante Eileen bleibe, weil ich bei ihr in Sicherheit bin«, sagte Rona.

Sean erstarrte und sah sie durchdringend an. »Ich dachte, es ging um einen Streit zwischen deinem Vater und meiner Mutter, weswegen du nicht herkommen darfst?«

»Das dachte ich auch.« Sie zuckte mit den Schultern. »Das ist es ja, was ich nicht verstehe.«

Seans Kiefernmuskeln arbeiteten und er sah bedrückt auf die raue See hinaus.

Anscheinend wussten alle etwas, das sie nicht wusste. »Was ist?«

»Mein Vater starb, ein Jahr bevor ihr nach Amerika ausgewandert seid. Er und Ian waren beste Freunde. Dein Vater war danach anders.« Sean wandte sich ab und schlenderte gedankenverloren den Strand entlang. Sein ganzer Körper war angespannt und seine Schritte steif.

Sie verstand nicht, was der Tod von Seans Vater mit dieser Sache zu tun hatte. Verwirrt lief sie Sean nach und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Es tut mir leid. Ich wollte dich jetzt nicht an diesen Verlust erinnern.«

Er blieb stehen und verstrubbelte ihr langes Haar, das sie nur mühsam in einem Zopf gebändigt hatte. »Das ist schon lange her«, sagte er betrübt.

Sie wollte ihn gern fragen, was passiert war. Warum der Tod seines Vaters der Grund sein könnte, dass ihr Vater nicht wollte, dass sie nach Schottland kam. Das ergab keinen Sinn. Die Frage brannte ihr ein Loch in die Zunge, doch sie wollte nicht weiter in der Wunde bohren. Deutlich erkannte sie Seans Schmerz, auch wenn er versuchte diesen zu verbergen.

»Wir können morgen direkt nach Aberdeen fahren und bei mir übernachten. Ich werde dann unseren Ausflug vorbereiten«, meinte Sean plötzlich und sah sie erwartungsvoll an.

»Ich dachte, du hast nur ein Bett?«, erwiderte sie.

»Eine Nacht auf dem Fußboden wird mich schon nicht umbringen«, sagte er mit einem schiefen Grinsen. »Außerdem, vielleicht hast du ja Erbarmen mit mir und gibst mir die Hälfte des Bettes ab.« Er zwinkerte ihr zu und sie spürte sofort ein Flattern im Magen.

Verlegen lachte sie und spürte die verdächtige Hitze auf ihren Wangen. Sie schluckte und sah auf den steinigen Grund zu ihren Füßen. »Das gehört sich nicht«, murmelte sie.

Seine Finger legten sich unter ihr Kinn und hoben ihr Gesicht, sodass sie gezwungen war, ihn anzusehen. Seine Berührung löste ein leichtes Kribbeln aus und ihr Herz geriet aus dem Takt. Seine rostbraunen Augen weilten für einen Moment nachdenklich auf ihren Lippen. Ob er auch dieses merkwürdige Knistern in der Luft wahrnahm?

»Hab dich nicht so. Wir haben früher oft zusammen in einem Bett geschlafen«, meinte Sean plötzlich und ließ sie los. »Ich hoffe, du schnarchst nicht mehr so laut wie damals.«

Anscheinend nicht. Frustriert wollte sie ihm einen spielerischen Boxhieb auf die Brust geben, doch er fing ihre Faust ab.

»Du hast dich glücklicherweise gar nicht verändert, Frechdachs«, meinte er erfreut und lächelte wieder, auch wenn der Schmerz noch nicht ganz aus seinen Augen verschwunden war.

Sie verstand zwar immer noch nicht, was ihre Eltern gegen ihren Aufenthalt in Schottland hatten, doch vielleicht würde sie dies noch herauszufinden. Und solange konnte sie das tun, wovon sie schon immer geträumt hatte. »Wenn du mir Craigievar Castle und Sunhoney zeigst, dann bekommst du ein Drittel des Bettes.«

4

Es war bereits weit nach Mitternacht, als Sean seiner Mutter half, die Küche für das morgendliche Frühstück der Feriengäste vorzubereiten. Rona schlief friedlich im Gästezimmer und er musste lächeln bei dem Gedanken daran, wie sie sich geweigert hatte, zuzugeben, dass sie müde war. Keine Sekunde hatte sie verpassen wollen. Es war, als hätte sie Angst, sie würde am nächsten Morgen aufwachen und alles wäre nur ein Traum. Am Ende war sie dann aber auf dem Liegestuhl im Garten eingeschlafen und er hatte sie abermals ins Bett tragen dürfen.

Eine Tasse zersprang neben ihm auf den Fliesen und seine Mutter stieß einen Fluch aus.

»Lass mich das machen.« Er bückte sich, um die Scherben aufzusammeln.

»Ich kann das selbst«, gab sie verärgert von sich und schob mit einem Besen alle Splitter aus seiner Reichweite.

Sean entsorgte die großen Stücke, die er bereits in der Hand hielt, und lehnte sich dann an die Arbeitsplatte. »Wie geht es deinem Bein?«

»Ich sagte, ich kann das selbst.«

Seine Mutter war ein Paradebeispiel für schottische Sturheit und er schnaubte nur. »Das weiß ich. Aber du hast mich halt zu einem hilfsbereiten Mann erzogen. Also lass mich dir helfen.«

Sie lächelte, während sie die Reste der Tasse zusammenkehrte und dann in den Mülleimer neben ihm warf. »Ich weiß.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und musste sich dafür auf Zehnspitzen stellen.

Er kam ihr etwas entgegen. »Ich lasse dich jetzt eigentlich nur ungern allein, du kannst dich so nicht verteidigen.« Dass er außerdem befürchtete, sie könnte überfordert sein mit den neuen Feriengästen, die Morgen angekommen würden, erwähnte er lieber nicht. Er würde sie nur wütend machen.

»Dein Bruder wird mir helfen. Außerdem ist das Gutshaus durch einen Bann geschützt, mir wird nichts passieren«, winkte sie ab und ging auf die Terrasse, um auch dort die Tische einzudecken.

Nachdenklich folgte er ihr mit dem Tablett, auf dem das Geschirr stand. Ihre Worte erinnerten ihn an das, was Rona gesagt hatte. »Hast du nie in Erwägung gezogen, dass Ian vielleicht einfach nur sein einziges Kind nicht in diesem Krieg verlieren will?«

Seine Mutter erstarrte. »Ich will dich genauso wenig verlieren, wie er Rona verlieren will. Ich habe bereits meinen Mann in diesem Krieg verloren. Wie kommst du jetzt darauf?« Sie sah von ihrer Arbeit auf und betrachtete ihn fragend. Für sie war der Gedanke, sich ängstlich vor der Pflicht zu drücken, genauso abwegig wie für ihn. Ihre Aufgabe lag ihnen im Blut.

»Ian und Jodee haben darauf bestanden, dass Rona hier auf sie wartet, weil sie hier in Sicherheit wäre. Das Gut ist bereits seit Jahrhunderten ein sicherer Ort«, antwortete er.

»Du hast mit ihnen gesprochen?«, fragte seine Mutter hoffnungsvoll.

»Nein. Aber Rona. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen um sie machen.« Er setzte sich auf einen der Stühle, lehnte sich zurück und beobachtete den klaren Sternenhimmel. Es war schon lange her, dass er die Schönheit des Nachthimmels wahrgenommen hatte. Rona war jedoch vollkommen fasziniert davon gewesen, denn in New York konnte man die Milchstraße nicht erkennen, die sich nun wie ein glitzerndes Band über den Himmel zog. »Als Ian und Jodee ausgewandert sind, war Vater noch nicht lange tot.«

Seine Mutter ließ sich seufzend neben ihm auf einen Stuhl fallen. »Sein Tod hat uns alle schwer getroffen. Ian besonders. Er hat sich Vorwürfe gemacht. Aber deswegen zu gehen … nein.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er uns deswegen im Stich gelassen hat. Ian hatte deinem Vater versprochen, für uns da zu sein, wenn ihm etwas passiert.« Sie blickte auf ihre Hände hinab, die sie unruhig knetete. »Aber du hast recht, es könnte sein, dass er Angst hat, auch Rona könnte den Síodhach zum Opfer fallen. Doch wenn keiner mehr da ist, der gegen diese Monster kämpft, werden wir am Ende alle verlieren.«

***

Erneut wachte Rona erst zur Mittagszeit auf und ärgerte sich, dass die Zeitverschiebung ihr offensichtlich Probleme bereitete. Doch sogleich fiel ihr ein, dass sie mit Sean nach Aberdeen fahren würde und er ihr versprochen hatte, in Elgin am Nachmittag eine Pause einzulegen, damit sie ein paar Sehenswürdigkeiten, wie die Elgin Cathedralbesichtigen konnte.

Aufgeregt schlug sie die Decke zurück, zog sich schnell an und begnügte sich mit einer Katzenwäsche im Bad, bevor sie mit dem Schalenkoffer die schmale Treppe hinunter polterte.

»Hättest du etwas gesagt, hätte ich dir geholfen«, meinte Sean, der gerade hinzukam, als sie fast unten angekommen war.

»Ich kann das selbst«, gab Rona zurück.

Er lachte leise. »Anscheinend liegt das in der Familie.« Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, doch er nahm ihr den Koffer ab. »Den bringe ich schon mal ins Auto. Meine Mutter hat dir auf der Terrasse Frühstück vorbereitet.« Er grinste sie über die Schulter hinweg an. »Oder sollte ich besser Mittagessen sagen?«

»In New York ist es jetzt gerade mal sieben Uhr morgens«, verteidigte sie sich und tapste in die Küche.

Ihre Tante stand am Herd und rührte in einem großen Topf. Als sie Rona bemerkte, drehte sie sich zu ihr um und lächelte warm. »Gut geschlafen, meine Liebe?«

»Ja, nur etwas zu lang«, murmelte Rona.

»Das macht doch nichts«, lachte Eileen. »Du gewöhnst dich schon noch um. Draußen steht dein Essen.«

»Danke. Das riecht aber köstlich.« Rona warf einen Blick in den Topf und erkannte Gemüse und Fleisch.

Eileen winkte verlegen ab. »Das ist nur ein einfacher Eintopf, der macht nicht so viel Arbeit.«

Lächelnd trat Rona auf die Terrasse und ließ den Blick über die windgepeitschte See schweifen. Graue, dunkle Wolken zogen in rasantem Tempo über sie hinweg und gaben der Landschaft ein düsteres, wildes Aussehen. Es war einfach fantastisch und sie schloss kurz die Augen, um die salzige Meeresluft tief in ihre Lungen zu saugen. Sie vernahm das Grollen, wenn die Wellen sich an den Felsen der Küste brachen, und hörte danach die hochspritzende Gischt.

»Alles in Ordnung?«, fragte Eileen.

Sofort drehte sich Rona lachend zu ihr um. »Es ist einfach so überwältigend. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich hier bin.«

Eileen lächelte. »Es freut mich, dass es dir bei uns gefällt.« Sie setzte sich an den Tisch und Rona nahm auf einem der Stühle Platz. Der Tisch war wie am Vortag liebevoll gedeckt. Sie schnappte sich eines der Brötchen, als sich auch Sean zu ihnen gesellte.

Er gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange. »Kann ich noch irgendwas erledigen, bevor wir gleich aufbrechen?«

Sie schüttelte nur den Kopf und legte ihr Bein hoch.

Abermals fragte sich Rona, warum ihre Eltern ihr verboten hatten, hierherzukommen. Der Gedanke, dass sie ihr die ganze Zeit einen Teil ihrer Familie und Vergangenheit vorenthalten hatten, versetzte ihr einen Stich. Sie war enttäuscht, aber auch wütend.

Sean setzte sich auf die Bank und streckte die Arme nach beiden Seiten aus, um sie auf der Lehne abzulegen. Ronas Blick wurde von den schwarzen Linien auf seinen Armen regelrecht angezogen, sie wirkten modern und alt zugleich. Bei jeder Bewegung von Seans Muskeln schienen sie zum Leben zu erwachen. Seine Augen taxierten sie und sie schaute schnell weg. Stattdessen beeilte sie sich, das Brötchen zu essen, damit sie bald losfahren konnten.

»Du musst nicht schlingen, wir haben Zeit. Selbst wenn deine Eltern den erstbesten Flug nach Inverness genommen haben – was ich nicht glaube –, werden sie frühestens in zwei Stunden hier sein.«

Irgendwie beruhigten diese Worte Rona nicht. Ganz im Gegenteil, sie fühlte sich schuldig. Dabei waren es doch ihre Eltern, die ihr etwas verheimlicht hatten. Die Erfüllung ihres lange gehegten Traums, durch Schottland zu reisen, lag direkt vor ihr. Also ignorierte sie das mulmige Gefühl. »Es tut mir wirklich leid, dass mein Besuch euch so viele Umstände bereitet.«

Eileen legte ihr beruhigend die Hand auf den Oberschenkel. »Ich freue mich einfach, dass du da bist. Außerdem kann ich so endlich mit Ian und Jodee reden und ich hoffe, dass wir diese Sache endgültig aus der Welt schaffen können.«

Das hoffte Rona auch. Sehr sogar. Sie dachte an die vielen ungelesenen Nachrichten ihrer Eltern auf ihrem Handy, seit sie mit ihnen telefoniert hatte. Jetzt lag es ganz unten in ihrem Koffer und war ausgeschaltet. Sie hatte auch gar nicht vor, es während des Urlaubs noch einmal anzuschalten.

Kurze Zeit später saß sie im Geländewagen von Sean und fühlte sich rastlos. Unruhig rutschte sie auf dem Sitz hin und her.

»Bist du etwa aufgeregt?«, zog Sean sie auf.

»Ein bisschen«, gab sie zu.

Sean lächelte und lenkte den Wagen sicher die schmale Straße entlang, die sich zwischen Felsen und grünen Feldern schlängelte. Rona konnte ihren Blick kaum von der majestätischen Landschaft wenden.

Während der Fahrt sprachen sie kaum ein Wort miteinander, doch das störte Rona nicht, denn so konnte sie einfach nur den Anblick der Burgruinen, des Meeres und der grünen Berge genießen.

»Hast du viele Freunde in New York?«, fragte Sean sie unvermittelt und riss sie aus ihren Träumereien.

»Ein paar.« Doch ihr war jetzt schon klar, dass sich das nach den Sommerferien und mit ihrem Wechsel auf die andere Universität ändern würde. Mit wie vielen hatte sie nach der Highschool ausgemacht, weiterhin in Kontakt zu bleiben, und hatte es wirklich getan? Keinem einzigen. Jeder hatte seinen eigenen Weg eingeschlagen, und so hatten sie sich immer weiter voneinander entfernt. Ihr Leben würde erneut einem anderen Pfad folgen und sich für immer verändern. Zu gleichen Teilen erfüllte sie freudige Erwartung und nervöse Angst.

»Was sagen sie dazu, dass du einfach deine Sachen gepackt hast und nach Schottland geflogen bist?«, erkundigte sich Sean.

Rona verzog das Gesicht. »Ich habe es nur meiner Freundin gesagt, die mich bei meinen Eltern decken sollte, und die hat mich ehrlich gesagt für verrückt erklärt.« Sie warf Sean einen Seitenblick zu und erkannte, wie er schmunzelte.

»Und bist du verrückt?«, fragte er.

In seiner dunklen Stimme lag eine Herausforderung, der sie nicht wiederstehen konnte. »Vielleicht ein bisschen«, sagte sie und er begann zu lachen. Sie redeten noch eine ganze Weile über die Uni, nervige Professoren und den Spagat zwischen Lernen und Spaß. Es war angenehm, sich mit ihm zu unterhalten. Gemeinsam zu lachen. Sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart.

Kaum hatte Sean die Abfahrt nach Elgin genommen, knurrte ihr Magen laut.

»Ich hab dir gesagt, du hättest dir noch ein Brötchen schmieren sollen. Die gute schottische Luft macht hungrig«, gluckste Sean.

Sie verdrehte die Augen und musterte die Häuser, an denen sie vorbeifuhren. Es war seltsam, nach der ganzen unberührten Landschaft durch eine Stadt zu fahren.

Doch sie wurde schon bald entschädigt, als sie die zwei markanten Türme der Kathedrale vor sich auftauchen sah. Sean parkte den Wagen in einiger Entfernung und sie gingen den Rest zu Fuß. Je näher sie der alten Ruine kamen, die bereits im dreizehnten Jahrhundert erbaut worden war, desto mehr wurde Rona bewusst, wie groß das Gebäude in Wirklichkeit war. Die Bilder im Internet wurden dem Ganzen nicht ansatzweise gerecht. Die Fläche, auf der die Ruine der alten Kathedrale stand, war riesig. Mit offenem Mund mischte sie sich unter die Touristen und schritt über das plattgetretene Gras. Alle Details sog sie wie ein Schwamm in sich auf. Sean war vollkommen vergessen.

Sie bewunderte die Kunst der damaligen Architekten und versuchte sich vorzustellen, wie die Kathedrale früher ausgesehen haben mochte. Wie die Menschen in der Vergangenheit dieses Monument erschaffen hatten. Auf einem der Steine waren die Reste einer roten Rune zu erkennen. Sie kam ihr vage bekannt vor, und als sie einen Blick zu Sean warf, der einige Meter von ihr entfernt stand, wusste sie auch, woher. Dasselbe Muster war in das Kunstwerk auf einem seiner Arme verwoben.

»Wissen Sie, was das für eine Rune ist?«, fragte sie höflich einen Mann, der direkt neben ihr stand und ein kleines Büchlein über die Kathedrale in der Hand hielt.

»Welche Rune?«, fragte er verdattert.

Sie wollte ihm gerade das Symbol zeigen, doch als sie auf die Stelle sah, war dort nichts mehr zu sehen. Verwirrt sah sie zu dem Mann. »Ähm … ich …«

Er schüttelte den Kopf und sah sie an, als ob sie verrückt geworden wäre, bevor er weiterging.

Irritiert ging sie zu der eingefallenen Wand. Sie fuhr mit der Hand über den rauen Stein, doch da war nicht einmal ein Pigment roter Farbe zu erkennen. Aber es war doch eben noch da gewesen? Genau an dieser Stelle. Offensichtlich hatte sie sich das nur eingebildet und der Jetlag machte ihr noch zu schaffen.