Nachhaltigkeitsmarketing - Guido Grunwald - E-Book

Nachhaltigkeitsmarketing E-Book

Guido Grunwald

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Beschreibung

Wie können sozial-ökologische Produkte, die einen Beitrag zur Lösung der Nachhaltigkeitsprobleme leisten, erfolgreich vermarktet werden? Wie können Sicherheit und Umweltverträglichkeit von Produkten verbessert werden?​ Dieses Grundlagenwerk zeigt, wie sich Nachhaltigkeitsmarketing konkret gestalten lässt: Es liefert Lösungen, wie sich Nachhaltigkeitsprinzipien in die Gestaltung von Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik einfügen lassen. Es zeigt, wie sich Strategien und Produkte entwickeln lassen, die sich am Nachhaltigkeitsprinzip orientieren. Und es liefert eine Vielzahl an Antworten, Lösungsansätzen und Ideen zur Neuausrichtung der eigenen Marketingarbeit. ​So können Unternehmen einen relevanten Beitrag zur Lösung der sozial-ökologischen Problemen leisten, die mit ihren Produkten einhergehen, und dadurch einen Kundenmehrwert generieren.​

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[7]Inhaltsverzeichnis

Hinweis zum UrheberrechtImpressumVorwort1 Grundlagen des Nachhaltigkeitsmarketings 1.1 Konzept der Nachhaltigkeit 1.2 Entwicklung zum Nachhaltigkeitsmarketing 1.3 Charakterisierung des Nachhaltigkeitsmarketings 1.4 Ziele des Nachhaltigkeitsmarketings 1.5 Rahmenbedingungen des Nachhaltigkeitsmarketings 1.6 Stakeholder als Bezugsgruppen des Nachhaltigkeitsmarketings 1.7 Informationsgrundlagen2 Theoretische Erklärungsansätze2.1 Systematisierung der Ansätze2.2 Ausgewählte Ansätze der Makro-Ebene2.2.1 Ansätze der Neuen Institutionenökonomik2.2.2 Leitbilder2.3 Ausgewählte Ansätze der Meso-Ebene2.3.1 Stakeholder- und Ressourcentheorien 2.3.2 Equity-Theorie2.3.3 Service-Dominant Logic 2.4 Ausgewählte Ansätze der Mikro-Ebene2.4.1 Individuelle Entscheidungsprozesse von Nachfragern2.4.2 Informationsökonomische Ansätze2.4.3 Cue-Utilization-Theorie2.4.4 Rational-Choice-Theorie2.4.5 Prinzipal-Agent-Theorie2.4.6 Wertemodell 2.4.7 Theorie des geplanten Verhaltens2.4.8 Modell des nachhaltigen Konsumbewusstseins2.4.9 Theorie der kognitiven Dissonanz2.4.10 Prospect-Theorie2.4.11 Mental Accounting2.4.12 Nudging 2.4.13 Theorie der sozialen Identität2.5 Folgerungen3 Strategien des Nachhaltigkeitsmarketings3.1 Analyse der strategischen Ausgangssituation3.1.1 Externe Nachhaltigkeitsanalyse3.1.1.1 Analyse der Makroumwelt3.1.1.2 Analyse der Mikroumwelt3.1.2 Interne Nachhaltigkeitsanalyse 3.2 Grundlegende strategische Optionen3.3 Stakeholderbezogene Strategien3.3.1 Überblick3.3.2 Mitarbeiterbezogene Strategien3.3.2.1 Konzept des Sustainable Human Resource Management3.3.2.2 Konzept des Sustainable Behavioral Branding 3.3.2.3 Konzept des Sustainable Employer Branding 3.3.3 Lieferantenbezogene Strategien3.3.4 Wettbewerberbezogene Strategien3.3.5 Handelsbezogene Strategien3.3.6 Kundenbezogene Strategien4 Instrumente des Nachhaltigkeitsmarketings 4.1 Systematisierung4.2 Produktpolitik4.2.1 Überblick4.2.2 Ausgewählte Gestaltungsoptionen4.2.2.1 Sachliche Dimension4.2.2.2 Zeitliche Dimension4.2.2.3 Programmbezogene Dimension4.3 Preispolitik4.3.1 Überblick4.3.2 Ausgewählte Gestaltungsoptionen4.3.2.1 Kostenorientierte Preisfestlegung4.3.2.2 Marktorientierte Preisfestlegung4.4 Distributionspolitik4.4.1 Überblick4.4.2 Ausgewählte Gestaltungsoptionen4.4.2.1 Akquisitorische Distribution4.4.2.2 Absatzlogistik4.5 Kommunikationspolitik4.5.1 Überblick4.5.2 Ausgewählte Gestaltungsoptionen4.5.2.1 Interne Nachhaltigkeitskommunikation 4.5.2.2 Interaktive Nachhaltigkeitskommunikation4.5.2.3 Externe Nachhaltigkeitskommunikation 5 Controlling des Nachhaltigkeitsmarketings5.1 Strategisches und taktisch-operatives Controlling5.2 Balanced Scorecard5.3 Methoden zur Informationsgewinnung5.4 NachhaltigkeitsberichterstattungLiteraturStichwortverzeichnisDie Autoren
[1]

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Dafür vielen Dank!

Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH

[4]Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch nur die männliche Form des Substantivs verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

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ISBN 978-3-7910-4925-0

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ISBN 978-3-7910-4926-7

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ePDF:

ISBN 978-3-7910-4927-4

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Guido Grunwald/Jürgen Schwill

Nachhaltigkeitsmarketing

1. Auflage, Mai 2022

© 2022 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

www.schaeffer-poeschel.de

[email protected]

Bildnachweis (Cover): © Creative Bringer, AdobeStock

Produktmanagement: Dr. Frank Baumgärtner

Lektorat: Elke Renz, Stutensee

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart

Ein Unternehmen der Haufe Group SE

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[5]Vorwort

Für Unternehmen besteht aufgrund veränderter Rahmenbedingungen, gekennzeichnet durch Globalisierung, Klimawandel, die Verknappung natürlicher Ressourcen, die Geltung neuer bzw. modifizierter Rechtsnormen, verbesserte Informations- und Kommunikationstechnologie und Markttransparenz sowie Einstellungs- und Verhaltensänderungen bei Verbrauchern und Öffentlichkeit, verstärkt die Notwendigkeit, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Angewandt auf das Management von Unternehmen impliziert das Nachhaltigkeitsprinzip, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt neben sozialen und wirtschaftlichen, aber auch ethischen Gesichtspunkten in den unternehmerischen Zielen, Strategien und Instrumenten zu berücksichtigen. Die ganzheitliche Verankerung des Nachhaltigkeitsprinzips in der marktorientierten Unternehmensführung – verstanden als Nachhaltigkeitsmarketing – soll dazu beitragen, über eine dauerhafte Befriedigung der Bedürfnisse aktueller und potenzieller Kunden, unter Ausnutzung von Wettbewerbsvorteilen und Innovativität und bei gleichzeitiger Sicherung der gesellschaftlichen Legitimität die angestrebten Unternehmensziele effizienter zu erreichen.

Voraussetzung für die Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips im Marketing ist die Ergänzung und Weiterentwicklung des klassischen marktorientierten Marketing-Ansatzes um ein vernetztes Denken in den genannten Dimensionen der Nachhaltigkeit unter expliziter Berücksichtigung relevanter interner und externer Anspruchsgruppen (Stakeholder). Nachhaltigkeitsmarketing geht dabei weit über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinaus. Im Fokus steht die Veränderung des Nachfragerverhaltens in Richtung einer stärkeren Berücksichtigung der Folgen des eigenen Konsums auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft, dem ein hohes Potenzial zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung zugesprochen wird. Doch nicht nur am Ende der Wertschöpfungskette entscheiden Nachfrager durch ihr Verhalten über Kauf und Nichtkauf bzw. Nutzung nachhaltiger Produkte, Kaufmengen, Nutzungsart, -intensität und Verwertung, ob und in welchem Umfang Beiträge für eine nachhaltige Entwicklung entstehen. Auch auf vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette werden Entscheidungen über das Kauf- bzw. Nutzungs- und Nachkauf- bzw. Verwendungsverhalten zur Prämisse für andere Akteure und nehmen damit Einfluss auf die Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette insgesamt. Insofern sind vom Nachhaltigkeitsmarketing neben der Nachfrageseite auch Akteure auf der Angebotsseite sowie die rechtlich-politischen, gesellschaftlichen, technologischen und ökologischen Rahmenbedingungen mit den jeweils relevanten Stakeholdern in den Blick zu nehmen, die wiederum auf das Verhalten von Nachfragern als fokussierter Zielgruppe Einfluss nehmen können.

Während die klassische Marketingarbeit häufig assoziiert wird mit der einseitigen Stimulierung von Bedürfnissen, die weit über tatsächlich bestehende Bedürfnisse hinausgehen, durch attraktiv bepreiste und stark beworbene Angebote, ohne dabei auf die soziale oder [6]ökologische Verträglichkeit zu achten, soll das Nachhaltigkeitsmarketing hier eine grundlegend neue Rolle einnehmen und diese Neuorientierung durch entsprechende Handlungen glaubwürdig nach außen vermitteln. Dabei ist es auf Informationen hinsichtlich der das Verhalten von Nachfragern und anderer Stakeholder bestimmenden Einflussfaktoren angewiesen, die von der Marktforschung erhoben und analysiert werden. Verallgemeinerbare Erkenntnisse hierzu fließen in Modelle, etwa zur Erklärung des nachhaltigen Nachfragerverhaltens, ein, die wiederum die theoretische Grundlage bilden zur Ableitung von Gestaltungsoptionen für das Nachhaltigkeitsmarketing.

In diesem Fachbuch werden diese theoretischen Grundlagen, die sich daraus ableitenden Gestaltungsoptionen zur Verankerung des Nachhaltigkeitsprinzips im Rahmen von Marketingstrategien und -instrumenten sowie Ansätze zur Umsetzung des Nachhaltigkeitsmarketings anhand von Beispielen praxisnah vermittelt. Dabei liegt der Fokus zum einen auf der ganzheitlichen Strategieausrichtung, bei der unter Berücksichtigung relevanter interner und externer Anspruchsgruppen nachhaltige stakeholderspezifische Aktionsmöglichkeiten diskutiert werden. Zum anderen liegt der Schwerpunkt auf der Diskussion zentraler Gestaltungsoptionen in sämtlichen Teilgebieten des Marketing-Mix; vorgestellt werden dort konkrete praxisorientierte Handlungsempfehlungen für die strategische wie taktisch-operative Ausrichtung der nachhaltigen Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik.

Da sich für einen Anbieter nicht nur die konventionellen, sondern auch die nachhaltigkeitsbezogenen Maßnahmen lohnen müssen und hiermit konkrete Ziele verfolgt werden, kommt dem Controlling des Nachhaltigkeitsmarketings eine hohe praktische Bedeutung zu. Daher werden auch Ansätze des Controllings von Strategien und Instrumenten des Nachhaltigkeitsmarketings vorgestellt.

Dieses Fachbuch wendet sich an Praktiker sowie Studierende der Betriebswirtschaftslehre und angrenzender Disziplinen im Bachelor- wie im Masterstudium an Hochschulen, Universitäten und Akademien, die einen verwertbaren Überblick über die Herausforderungen und Lösungsansätze des Nachhaltigkeitsmarketings zur Gewinnung neuer Impulse, zur Reflexion und Neuausrichtung ihrer eigenen Marketingarbeit benötigen.

Sehr herzlich danken möchten wir Herrn Dr. Frank Baumgärtner, Frau Claudia Dreiseitel und Frau Elke Renz vom Schäffer-Poeschel Verlag für die stets engagierte Begleitung und insgesamt konstruktive Zusammenarbeit.

Lingen/Ems und Brandenburg an der Havel, im Januar 2022

Guido Grunwald und Jürgen Schwill

[11]1Grundlagen des Nachhaltigkeitsmarketings

1.1Konzept der Nachhaltigkeit

Hintergründe

Das Konzept der Nachhaltigkeit hat sich als Leitbild in der Diskussion um politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungsprozesse sowie als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung längst etabliert. Diese Diskussion gewinnt an Bedeutung aufgrund der weltweit existierenden

ökologischen (z. B. Klimawandel, Wassermangel, Artensterben),gesellschaftlichen (z. B. Armut, Bildungsdefizite, Bevölkerungswachstum) undökonomischen (z. B. Ressourcenmangel, ungleiche Verteilung des Welt-Bruttoinlandsprodukts (BIP), Krisen)

Problembereiche (vgl. Hentze/Thies 2012, S. 83; Michelsen/Fischer 2019, S. 3 f.; Klingenfeld 2020, S. 5 ff.).

Aufgrund dieser globalen negativen Entwicklungen scheint das Konzept der Nachhaltigkeit einen Lösungsansatz darzustellen, um den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auf ganzheitlicher Basis entgegenwirken zu können. Das Konzept der Nachhaltigkeit bzw. der nachhaltigen Entwicklung ist jedoch nicht neu. Der Ursprung des Nachhaltigkeitsgedankens liegt im 18. Jahrhundert und findet sich in der Forstwirtschaft. Bereits 1713 forderte der Freiberger Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz, nur so viel Wald abzuholzen, wie der Wald auf natürliche Weise wieder regenerieren kann (vgl. von Carlowitz 1713). Dieses ressourcenökonomische Prinzip gilt auch heute noch in der deutschen Forstwirtschaft (vgl. von Hauff/Jörg 2017, S. 4).

Club of Rome

Als Meilenstein der wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsdebatte gilt die 1972 veröffentlichte Studie »Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit« (Meadows et al. 1972). In dieser Studie wird eindringlich auf die mit dem exponentiellen Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung einhergehenden dramatischen Konsequenzen im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch, die Umweltverschmutzung und die globale Klimaerwärmung hingewiesen (vgl. Balderjahn 2021, S. 13 f.).

Brundtland-Kommission

Weitere Intensität erhielt der Nachhaltigkeitsdiskurs durch den Bericht der so genannten Brundtland-Kommission im Jahre 1987 – benannt nach der Vorsitzenden der UN Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (WCED – World Commission on Environment and Development) Gro Harlem Brundtland.

[12]Definition nachhaltige Entwicklung

Dieser Bericht trug zur wesentlichen Verbreitung des Begriffs »Nachhaltige Entwicklung« (»Sustainable Development«) bei; dort findet sich folgende Definition: »Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs« (WCED 1987, Chapter 2, No. 1). Gemäß dieser Auffassung erfolgt ein Paradigmenwechsel von der bis dahin dominierenden ökozentrischen Orientierung hin zu einem anthropogenen Konzept (vgl. Langer 2011, S. 9). Dieses Konzept folgt dem Prinzip der Generationengerechtigkeit und impliziert die Forderung, dass es zukünftigen Generationen nicht schlechter gehen soll als der derzeitigen Generation (vgl. Hansen/Schrader 2001, S. 21 f.; Balderjahn 2021, S. 14).

Konferenz in Rio 1992

In den Folgejahren haben auf internationaler politischer Ebene diverse Konferenzen stattgefunden, die zur Verbreitung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung beigetragen haben. Ein wichtiger Meilenstein war die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahre 1992, auf der sich 178 Staaten zu dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung verpflichteten. Besondere Beachtung erhielt die Agenda 21, ein Aktionsprogramm, das Politik- und Handlungsbereiche anspricht sowie Ziele und Maßnahmen definiert, um die nachhaltige Entwicklung nicht nur in den Industrieländern, sondern auch in den Entwicklungsländern zu fördern (vgl. Kanning 2013, S. 23).

Konstitutive Elemente

Basierend auf der Brundtland-Definition kristallisieren sich folgende konstitutive Elemente einer nachhaltigen Entwicklung heraus (vgl. Kanning 2013, S. 26):

Bedürfnisorientierung: Für die Gestaltung nachhaltiger Entwicklungsprozesse ist es erforderlich, sich mit den menschlichen Bedürfnissen auseinanderzusetzen.Intergenerative Gerechtigkeit: Die Auseinandersetzung mit den menschlichen Bedürfnissen hat sich nicht nur auf die gegenwärtige Generation, sondern vor allem auch auf die zukünftigen Generationen zu beziehen.Intragenerative Gerechtigkeit: Diese Wertprämisse betrifft die Gerechtigkeit innerhalb jeder Generation und fordert einen Wohlstandsausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.Integrativer Aspekt: Mit diesem Aspekt verbindet sich die Forderung, ökonomische, ökologische und soziale Entwicklungen als gleichberechtigte Zieldimensionen zu betrachten.

Drei Dimensionen

Insbesondere die im Rahmen des integrativen Aspekts angesprochene Dreidimensionalität nachhaltiger Entwicklung hat sich seit Mitte der 1990er Jahre international durchgesetzt (vgl. hierzu Balderjahn 2021, S. 25 ff.; von Hauff/Jörg 2017, S. 8 ff.):

Ökologische Dimension der Nachhaltigkeit: Diese Dimension ergibt sich aus dem Prinzip der Rationalität und begründet sich daraus, dass ökologische Systeme die natürliche Lebensgrundlage aller menschlichen Handlungen sind. Das übergeordnete Ziel muss daher darin bestehen, ökologische Systeme zu erhalten. Untergeordnete Ziele betreffen die Schonung von Ressourcen, die Verringerung von Luft-, Wasser- und Bodenbelastungen, den Klimaschutz sowie das Bewahren von Biodi[13]versität und Artenvielfalt. In dem Zusammenhang wird als Messgröße des Ressourcenverbrauchs häufig der ökologische Fußabdruck (ecological footprint) genannt. Er gibt an, »welche Mengen an natürlichen Ressourcen ein Mensch, ein Unternehmen, ein Land oder die gesamte Menschheit innerhalb eines Jahres zur Deckung des Bedarfs verbraucht (z. B. Nahrung, Energie, Infrastruktur). Dabei werden auch die von der Umwelt aufzunehmenden Abfall- und Schadstoffemissionsmengen erfasst« (Balderjahn 2021, S. 26).Soziale Dimension der Nachhaltigkeit: Diese Dimension orientiert sich an den grundlegenden Sozialnormen Gerechtigkeit, Sicherheit und Frieden; sie spiegelt damit die Auffassung der Enquete-Kommission »Schutz des Menschen und der Umwelt« wider (vgl. Enquete-Kommission 1998, S. 23). Als übergeordnetes, gesellschaftlich wie wirtschaftlich relevantes Ziel gilt die Erhaltung des sozialen Kapitals (vgl. Hutter 2012, S. 27). Das soziale Kapital umfasst Ressourcen, »die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen« (Bourdieu 1983, S. 190 f.) und sich durch ihre menschlichen Beziehungen und sozialen Netzwerke ausdrücken. Hierunter lassen sich Zielsetzungen subsumieren wie vor allem Bekämpfung von Armut, Ausbeutung und Unterdrückung, Verbesserung von Bildung bzw. Ausbildung, Schutz und Förderung der menschlichen Gesundheit, Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten oder Vermeidung von Diskriminierung.Ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit: Bei dieser Dimension geht es nicht nur um Sicherstellung der unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit. Sie umfasst auch den ökonomischen Nutzen für die Gesellschaft und konkretisiert sich in Zielsetzungen wie etwa Erhaltung eines möglichst guten Versorgungsniveaus bzw. Schaffung eines angemessenen Lebensstandards, Vollbeschäftigung und soziale Sicherung.

Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit

Die skizzierten Dimensionen repräsentieren das so genannte »Drei-Säulen-Modell« der Nachhaltigkeit. Dieses Modell postuliert die gleichberechtigte Verfolgung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Dimension und der damit verbundenen Zielsetzungen (vgl. Kanning 2013, S. 26). Es spiegelt den sog. Triple-Bottom-Line-Ansatz wider (vgl. Elkington 1997), der explizit auf die mehrdimensionale Zielsetzung abstellt und die gleichzeitige und gleichberechtigte Erfüllung der drei Dimensionen als Erfolgsmaßstab definiert.

Die Kritik an diesem Modell konzentriert sich zum einen auf das Nebeneinanderstehen der drei Säulen (s. Abbildung 1-1). Der Begriff der Nachhaltigkeit versteht sich demzufolge als Dach über einer Säulenreihe, bei der es eher zu einer Partialoptimierung kommt, es aber an einer Integration der drei Säulen mangelt (vgl. Ott/Döring 2008, S. 38; von Hauff/Jörg 2017, S. 14).

Zum anderen sind auch die dimensionsspezifischen Zielsetzungen häufig nicht zielkonform, so dass eine »Säulenbalance« kaum hergestellt werden kann (vgl. Kanning 2013, S. 26).

[14]

Abb. 1-1: Drei-Säulen-Modell (Quelle: vgl. Corsten/Roth 2012, S. 2)

Integrativer Ansatz

Zur Umsetzung der Nachhaltigkeit bedarf es jedoch vielmehr eines integrativen Ansatzes, der die unterschiedlichen Dimensionen vernetzt und ihre untereinander bestehenden interdependenten Beziehungen und Wirkungen berücksichtigt. Hierzu wurde das »Integrierende Nachhaltigkeitsdreieck« entwickelt (vgl. von Hauff/Kleine 2005). Es berücksichtigt die Anforderungen nach Integration der einzelnen Dimensionen, wobei die Überschneidungen nicht kontinuierlich, sondern graduell abgestuft verlaufen. Die Innenflächen des Nachhaltigkeitsdreiecks spiegeln das jeweilige Zusammenwirken der Nachhaltigkeitsdimensionen wider (vgl. Abbildung 1-2).

Abb. 1-2: Das Integrierende Nachhaltigkeitsdreieck (Quelle: vgl. von Hauff/Kleine 2005, S. 14; von Hauff 2014, S. 170)

[15]Die Pfeile markieren die unterschiedlichen Zuordnungen bzw. graduellen Abstufungen. In der starken Zuordnung wird ein Handlungsfeld oder ein Thema von einer Dimension bestimmt, in der schwachen Zuordnung jeweils durch andere Dimensionen. Dazwischen finden sich die teilweisen Zuordnungen, bei denen Handlungsfelder oder Themen durch mehrere Dimensionen zu vergleichbar großen Teilen beeinflusst werden. So hat bspw. ein Handlungsfeld links unten im Nachhaltigkeitsdreieck eine starke ökologische Dimension (z. B. Biodiversität), deren Stärke in Pfeilrichtung kontinuierlich abnimmt und nun stärker von der ökonomischen Dimension geprägt wird. Im mittleren, ökologisch-ökonomischen Handlungsfeld etwa steht der Cluster »Ökoeffizienz«, d. h. durch einen effizienten Ressourceneinsatz können ökologische und ökonomische Ziele harmonisch umgesetzt werden. Im Gegensatz dazu spielen aber soziale Ziele wie etwa die Berücksichtigung von Arbeitnehmeransprüchen eher keine Rolle (vgl. von Hauff/Kleine 2005, S. 13 ff.; Pufé 2012, S. 36 f.).

Vier Leitprinzipien bei der Umsetzung

Beim Transfer des gesellschaftlichen Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung auf den Wirtschaftssektor sind Unternehmen und Konsumenten die Hauptakteure. Die Umsetzung der Nachhaltigkeit kann durch folgende vier Leitprinzipien getragen werden (vgl. hierzu Balderjahn 2021, S. 19 ff.; Osranek 2017, S. 96):

Verantwortungsprinzip: Dieses Prinzip repräsentiert das ethisch-moralische Element nachhaltigen Wirtschaftens. Soziale Regeln, Normen und Werte determinieren das Handeln der Akteure; sie alle tragen Verantwortung für den Erhalt und die Sicherung der Lebensgrundlagen der Menschen. Als handlungsleitende »Goldene Regel« kann das »Prinzip Verantwortung« nach Jonas gelten: »Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden« (Jonas 1979, S. 36). In unternehmerischer Hinsicht kann das Verantwortungsprinzip eine ethische Unternehmensführung begründen und damit eine marktorientierte strategische und operative Steuerung des Unternehmens unter Beachtung der Erwartungen relevanter Stakeholder und unter Berücksichtigung ethischer Werte und Normen mit dem Ziel der nachhaltigen Sicherung des Unternehmens im ökonomischen, ökologischen und sozialen Sinne (Triple-Win-Situation) initiieren (vgl. Schwill/Brandt 2013, S. 1108).Kreislaufprinzip: Dieses Schlüsselprinzip ökologischen Wirtschaftens zielt auf die Beeinflussung von Stoffströmen ab und berücksichtigt die natürlichen Kreisläufe, aber auch produktions- und produktbezogene Kreisläufe sowie relevante Verwertungsnetze bzw. Wertschöpfungsketten.Kooperationsprinzip: Nachhaltige Entwicklung erfordert eine Zusammenarbeit aller an Wertschöpfungsprozessen oder Stoffkreisläufen beteiligten, betroffenen oder interessierten Stakeholder (z. B. Lieferanten, Produzenten, Handel, Konsumenten, aber auch Politik und Gesellschaft). Konkret sind soziale und ökologische Mindeststandards zu definieren, die das Handeln aller Akteure begleiten und alle Phasen der Wertschöpfungskette bzw. eines Produktlebenszyklus einschließen sollten (»Von-der-Wiege-bis-zur-Bahre«-Prinzip).[16]Stakeholder-Prinzip: Aufgrund weltwirtschaftlicher Verflechtungen und umweltoffener Systeme wenden sich neben den klassischen Stakeholder-Gruppen wie Eigentümer, Beschäftigte, Lieferanten oder Kunden zunehmend auch weitere Akteure wie Bürgerinitiativen, Umweltschutzorganisationen oder Medien an Unternehmen, um ihre Ansprüche geltend zu machen. Zudem agieren Unternehmen in einem zunehmend sensibleren und kritischeren gesellschaftlichen Umfeld. Wirtschaftliches Handeln unterliegt dabei nicht nur ökonomischen Zwängen, sondern zunehmend auch gesellschaftlichem Legitimationsdruck (z. B. im Hinblick auf die ökologische oder soziale Problematik transnationaler Beschaffungsketten). Diese sozioökonomischen Entwicklungen erfordern eine stärkere Integration relevanter Akteure (z. B. durch Umsetzung eines Stakeholder-Dialogs), um zukünftige Herausforderungen meistern und unternehmerisches Handeln absichern zu können (vgl. Grunwald/Schwill 2017a, S. 44 f. und S. 220 ff.).

Bei der Umsetzung bzw. Berücksichtigung der skizzierten Leitprinzipien sind zwar die Unternehmen und Konsumenten als Hauptakteure besonders herausgefordert. Unterstützt werden sie dabei auch von politischer Seite, die im Kontext der nachhaltigen Entwicklung übergeordnete Zielvorgaben formuliert und Strategien definiert hat. So hat etwa Deutschland 2016/2017 unter Berücksichtigung der 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen seine Nachhaltigkeitsstrategie an die Agenda 2030 angepasst. Gerade auch die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass ein Umsetzungsplan zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung mehr denn je erforderlich ist, um vor allem auch diejenigen Menschen in Regionen oder auch Kontinenten zu schützen bzw. denjenigen zu helfen, die von Armut, Hunger oder Umweltzerstörung besonders betroffen sind (vgl. Rat für Nachhaltige Entwicklung 2022). Nicht zuletzt drängt auch die Europäische Union im Rahmen ihres European Green Deal darauf, sich den aktuellen klima- und umweltbezogenen Herausforderungen zu stellen; sie hat sich vor allem dazu verpflichtet, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Um dieses Ziel verwirklichen zu können, ist ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel in Europa erforderlich, »der kosteneffizient, gerecht und sozial ausgewogen vollzogen werden muss« (Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union 2021; Hervorhebungen im Original; vgl. auch Europäische Kommission 2021).

1.2Entwicklung zum Nachhaltigkeitsmarketing

Marketing hat sich im Laufe seiner historischen Entwicklung und unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontextbedingungen zwangsläufig gewandelt (vgl. Hansen/Bode 1995, zum Folgenden auch Grunwald/Schwill 2019, S. 1 ff.). Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Verkauf von Produkten im Mittelpunkt absatzwirtschaftlicher Bemühungen stand, zählten zu Beginn der 1920er Jahre auch Maßnahmen der Werbung dazu.

Marketing-Mix: die vier P’s

Erst nach der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg erhielt das Marketing in den 1950er und 1960er Jahren neue Impulse durch die Entwicklung des Marketing-Mix [17]und einer Klassifizierung der Marketingaktivitäten in Marketinginstrumente – die sogenannten vier P’s (vgl. McCarthy 1960):

Product: ProduktpolitikPrice: PreispolitikPromotion: KommunikationspolitikPlace: Distributions- oder Vertriebspolitik

Marketingimplementierung

Dieses instrumentale Verständnis des Marketings ist bis heute dominant. Allerdings hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Unternehmenserfolg nicht nur von der Ausgestaltung der Marketinginstrumente abhängt, sondern es auch darauf ankommt, dass unternehmensintern geeignete Rahmenbedingungen vorliegen (z. B. Marketing-Zuständigkeiten bzw. -Verantwortlichkeiten, qualifiziertes Personal). Damit gewannen die Aspekte der Marketingimplementierung zunehmend an Bedeutung.

Marktorientierte Unternehmensführung

Mit der dynamischen Entwicklung von Märkten und der steigenden Wettbewerbsintensität, hervorgerufen durch die zunehmende Internationalisierung und Digitalisierung, stiegen auch die Anforderungen an Unternehmen, sich am Markt erfolgreich zu behaupten. Infolgedessen bildete sich frühzeitig das Verständnis des Marketings als marktorientierte Unternehmensführung heraus (vgl. Meffert 1980, Hansen/Stauss 1983). Diese Sichtweise erfuhr jedoch erst in den 1990er Jahren eine stärkere Akzeptanz.

Relationship Marketing

Parallel zum Anspruch, das gesamte Unternehmen auf das »Denken vom Markt her« auszurichten, rückte die Kundenbeziehung verstärkt in den Marketingfokus. Getragen wird diese Perspektive von dem Verständnis, dass Unternehmen letztlich nur dann erfolgreich sein können, wenn sie die Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen der Kunden berücksichtigen und durch kundenadäquate Angebote Nachfrager gewinnen und langfristig halten können.

Ganzheitliches Beziehungsmarketing

Dieses Relationship Marketing, das vorwiegend auf Kundenbeziehungen abstellt (vgl. z. B. Berry 1983; Bruhn 2016a), wird jedoch zunehmend von dem Bewusstsein abgelöst, nicht nur die Kunden, sondern weitere Anspruchsgruppen (Stakeholder) als Beziehungspartner des Marketings zu definieren. Auch andere Anspruchsgruppen und ihr Verhalten entscheiden über den langfristigen Erfolg des Unternehmens, so dass ein ganzheitlich ausgerichtetes Beziehungsmarketing, das die Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen sowohl der externen als auch der internen Anspruchsgruppen berücksichtigt, zunehmend legitim erscheint (vgl. Grunwald/Schwill 2017a).

Konsum- und Marketingkritik

Wenn auch die notwendige »Öffnung« des Marketings gerade im Zuge aktueller gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen zu fordern ist, gab es bereits schon vor Jahrzehnten erste Hinweise auf einen Perspektivenwechsel des Marketings. Dieser wurde ausgelöst durch die sich vor allem Anfang der 1960er Jahre mehrende Kritik am unternehmerischen Marketing (vgl. Behrens, T. 2005, S. 30 ff.). Mit der in den Vereinigten Staaten [18]von Amerika aufkommenden »Consumerism«-Bewegung häuften sich kapitalismus- und unternehmenskritische Äußerungen, die durch sozialkritische Publikationen wie etwa »Die geheimen Verführer« von Vance Packard (vgl. Packard 1958) oder »Gesellschaft im Überfluss« von John Kenneth Galbraith (vgl. Galbraith 1959) genährt wurden (vgl. Hansen/Bode 1999, S. 124). Auch in der deutschen absatzwirtschaftlichen Konsumerismusdiskussion hat sich ein dem Marketing vorgehaltenes »Sündenregister« verbreitet, das u. a. folgende kritische Tatbestände beinhaltete (vgl. Hansen/Stauss 1982, S. 8 f.; Fischer-Winkelmann/Rock 1982, S. 530 ff.; Hansen 1992b, S. 833; Hansen 1995a, S. 32):

Verhinderung von Markttransparenz durch Produkt- und Markenhypertrophie,Schädigungen und Gefährdungen vor allem durch Lieferung gefährlicher, unsicherer und ungesunder Produkte,Umsetzung von geplanter bzw. künstlicher Veralterung der Produkte (Obsoleszenzstrategien),Förderung von Verschwendung durch Werbung, Produktion »überflüssiger« Güter und aufwändige Verpackung, damit insgesamt Beitrag zur ökologischen Krise,Propagierung des »Mehr-Haben-Wollens« und damit Erziehung zum Konsummaterialismus,mangelhafte Übernahme von sozialen Folgelasten.

Die Auseinandersetzung mit der Konsumkritik gesellschaftlicher Gruppen löste ein Hinterfragen des traditionellen Marketingkonzeptes aus. Die einseitige Ausrichtung auf »das Denken und Handeln aller Unternehmensbereiche an den Bedürfnissen und Wünschen der Abnehmer« (Hansen/Bode 1999, S. 102) erschien überholt; vielmehr wurde die Einbeziehung der gesellschaftlichen Perspektive und damit eine Weiterentwicklung des Marketings gefordert (ausführlich dazu Hansen/Bode 1999, S. 117 ff.).

Die Entwicklungsrichtungen alternativer Marketingkonzepte konzentrierten sich zum einen auf die Ausweitung und zum anderen auf die Vertiefung des Marketings (zur Charakterisierung und zur Kritik vgl. Hansen/Bode 1999, S. 137 ff.).

Erweiterungs- und Vertiefungsansätze

Im Rahmen der Ausweitung (Broadening) des Marketings wird das Betätigungsfeld des Marketings auf nicht-kommerzielle Organisationen (Non-Profit-Marketing) oder zur Erreichung aktueller sozialer Ziele (Social Marketing) (vgl. Kotler/Zaltman 1971) und auf den Objektbereich des Wertaustauschprozesses bzw. aller sozialen Interaktionen (Generic Marketing) erweitert (vgl. Kotler/Levy 1969).

Bei der Vertiefung (Deepening) des Marketings werden – im Gegensatz zur Dimension der Ausweitung – Veränderungen in den Zielausrichtungen des Marketings vorgenommen, wie sie im Human Concept (Dawson 1969) und im verbraucherzentrierten Marketing zu finden sind. Beim Human Concept wird gefordert, die monistische Zielorientierung der Gewinnerwirtschaftung durch ein pluralistisches Zielsystem, das gesellschaftliche Nutzenarten berücksichtigt, zu ersetzen. Das verbraucherzentrierte Marketing hingegen greift explizit [19]die Probleme und Wünsche der Verbraucher auf und erweitert die Perspektive auch auf die Zufriedenheit nach dem Kauf. Zudem fordert es eine verstärkte Berücksichtigung von Verbraucherinteressen etwa bei der Schaffung von verbesserten Artikulationsmöglichkeiten (z. B. im Falle von Beschwerden) oder Partizipationsmöglichkeiten (z. B. bei der Beteiligung an Produktentwicklungsprozessen).

Die in der Marketingwissenschaft ausgearbeiteten Erweiterungs- und Vertiefungsansätze haben sich weitgehend durchgesetzt bzw. werden in weiteren Konzepten ausdifferenziert. Von Interesse sind in diesem Zusammenhang vor allem die – teilweise schon Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre diskutierten – Ansätze des Makro-Marketings und des gesellschaftsorientierten Marketings sowie der Marketingethik und des ökologischen Marketings (vgl. hierzu Hansen/Bode 1999, S. 373 ff.; Balderjahn 2004, S. 37 ff.).

Makro-Marketing

Während sich das klassische kommerzielle Marketing auf ökonomische Ziel- und Entscheidungskriterien (Mikro-Kriterien) konzentriert, werden im Makro-Marketing auch gesellschaftliche und ökologische Kriterien (Makro-Kriterien) berücksichtigt. Insofern fließen gesellschafts- und wirtschaftspolitische Zielsetzungen und Anforderungen (Makro-Perspektive) in die marktorientierte Unternehmensführung bzw. ins Marketing (Mikro-Perspektive) mit ein. Mit der »gesellschaftlichen Öffnung« finden zudem Forderungen und Erwartungen gesellschaftlicher Anspruchsgruppen (Stakeholder-Perspektive) Eingang in unternehmerische Zielsysteme und Entscheidungsfindungsprozesse. Werden die gesellschaftlichen Ziele erfüllt, legitimiert sich die Existenz des Unternehmens im gesellschaftlichen Umfeld und sichert sich damit langfristig ab.

Gesellschaftsorientiertes Marketing

Das Konzept des gesellschaftsorientierten bzw. gesellschaftsbezogenen Marketings (Societal Marketing) setzt an der Schnittstelle von Marketing und Gesellschaft an und versteht sich als integrativer Ansatz, bei dem die gesellschaftliche Dimension im strategischen Marketing verankert wird (vgl. Hansen/Bode 1999, S. 390 ff.; Wiedmann 1984, S. 4 ff.). Als Leitidee gilt eine erheblich erweiterte Umweltorientierung, die im Rahmen der ganzheitlichen Ausrichtung die Einbeziehung unterschiedlicher Akteure (z. B. Verbraucher, Arbeitnehmer, Lieferanten oder die Gesellschaft im Ganzen) und ihrer Interessen betrifft, aber auch die langfristigen Folgen von Managemententscheidungen in Bezug auf die Gesellschaft zu berücksichtigen hat. Diese Leitidee wird weiterhin präzisiert durch das Prinzip der sozialen Verantwortung, das ein sozialverantwortliches Unternehmensverhalten ausdrücklich fordert. Demzufolge soll im Marketing weniger das kurzfristige Gewinndenken, sondern ein strategisches Denken und Handeln dominieren, das problematisches Anbieterverhalten, wie etwa die Herstellung umweltschädlicher Produkte, die Umsetzung von Obsoleszenzstrategien oder das Praktizieren irreführender Werbung, anprangert und den Verzicht derartiger Praktiken fordert.

Marketingethik

Während das gesellschaftsorientierte Marketing verantwortungsbewusstes Marketinghandeln bereits explizit beansprucht, befasst sich die Marketingethik »mit moralischen Werten (dem Wünschbaren) und Normen (den Aufforderungen) für die Praxis des verant[20]wortlichen Marketinghandelns« (Hansen/Bode 1999, S. 396; ausführlich zum Konzept der Marketingethik vgl. Hansen 2012a).

EXKURS

Zur Abgrenzung von Moral und Ethik

Die Begriffe Moral und Ethik werden häufig gleichbedeutend verwendet (vgl. Pauer-Studer 2020, S. 14). Wenngleich beide Begriffe innerlich verbunden sind durch ihr gemeinsames Erkenntnisobjekt, nämlich ein bestimmtes »Gut-sein-sollen«, so sind doch Unterschiede festzuhalten. Moral betrifft die deskriptiv-empirische und Ethik die reflexiv-theoretische Ebene (vgl. Knischek 2019, S. 76).

Moral kann definiert werden als »eine Menge von Normen, also Prinzipien, Regeln und Tugenden, die das Verhalten von Menschen und deren Einstellungen zu anderen und zur Umwelt leiten« (Pauer-Studer 2020, S. 14) und »stellt den normativen Grundrahmen für das Verhalten des Menschen dar« (Göbel 2017, S. 26). Ethik dagegen reflektiert darüber, warum es sinnvoll ist, sich an bestimmte Normen zu halten oder sie nicht einzuhalten und »bedeutet die philosophische Reflexion über das, was aus moralischen Gründen richtig oder falsch ist« (Pauer-Studer 2020, S. 14).

Beispiel: In der (fiktiven) Volkswirtschaft X werden Haushaltsabfälle aufgrund eines nicht existierenden kommunalen Entsorgungssystems in der unmittelbaren Umgebung entsorgt, was also legitim ist. Die Frage, ob diese Verhaltensweise aus wissenschaftlicher Sicht moralisch richtig oder falsch ist, ist von der Ethik zu beantworten. Der Ethik obliegt somit die zentrale Aufgabe, den moralischen Wert von Normen zu hinterfragen, ihn kritisch zu bewerten und ihn in Relation zu übergeordneten Normen bzw. Verhaltensprinzipien zu bringen. Diese Reflexion führt zu einer Bestätigung oder Verwerfung bestimmter moralischer Ge- oder Verbote (vgl. Knischek 2019, S. 76).

Marketingethik als Bereichsethik ist eingebettet in die Unternehmensethik. Die Unternehmensethik hat sich bereits Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre entwickelt, als aufgrund zunehmender unerwünschter externer Effekte unternehmerischer Tätigkeit die Debatte um die soziale Verantwortung von Unternehmen intensiver geführt wurde (vgl. Hansen 1992a, S. 660).

Gerade im Marketing, das partielle Missstände (z. B. Vermarktung umweltschädlicher Produkte) oder auch bestimmte marketingbedingte Systemerscheinungen (z. B. Konsummaterialismus) mit zu verantworten hat, spielt die Anwendung des »Prinzips Verantwortung« (Jonas 1979) eine zentrale Rolle. Verantwortung repräsentiert den Identitätskern der Marketingethik und betrifft die Verantwortung des Menschen

für sich selbst (individualethische Verantwortung),für seine soziale Mitwelt (personalethische Verantwortung) undfür seine natürliche Umwelt (umweltethische oder ökologische Verantwortung)

(vgl. Hansen 1995a, S. 32 f.; Hansen/Bode 1999, S. 400).

[21]Verantwortungsbegriff

Dabei bedeutet die Übernahme bzw. das Tragen der Verantwortung, »… ein Handeln (Tun oder Unterlassen) zu vertreten, für die Folgen sowie die Beweggründe, die zu diesem Handeln geführt haben, vor sich selbst und anderen einzustehen« (Hansen 1988, S. 713).

Wenngleich unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf den Begriff »Verantwortung« existieren, so besteht Einigkeit dahingehend, Verantwortung als mehrstelligen, zuschreibungsgebundenen Relationsbegriff zu verstehen (vgl. Verfürth 2016, S. 51). Zur Aufdeckung der Verantwortungszurechnung bzw. -zuschreibung können folgende Fragestellungen dienen (vgl. Hansen/Bode 1999, S. 404; Maring 2001, S. 13 f.; Schaper 2017, S. 26):

Wer trägt Verantwortung? (Verantwortungssubjekt, z. B. Person, Unternehmen)Für was wird Verantwortung übernommen? (Verantwortungsobjekte wie z. B. Handlungen, Handlungsfolgen, Unterlassungen, Zustände oder Aufgaben)Wem gegenüber wird Verantwortung übernommen? (Adressaten der Verantwortung wie z. B. Kunden, Lieferanten, Gesellschaft)Vor wem muss Verantwortung übernommen werden? (Instanz der Verantwortung, z. B. Gerichte, Öffentlichkeit, Vernunft oder Gewissen)Aus welchem Grund ist Verantwortung zu übernehmen? (Verantwortungsmaßstab wie z. B. Normen, Werte, Pflichten)In welchem Rahmen ist Verantwortung zu übernehmen? (Verantwortungsrahmen wie z. B. im Rahmen eines Verantwortungs- oder Handlungsbereichs)

Prospektive vs. retrospektive Verantwortung

Wenn sich auch einzelne Fragenraster zur Spezifizierung von Verantwortungstypen inhaltlich teilweise überschneiden oder sogar ausschließen, so tragen sie doch zur Klärung einer Verantwortlichkeit bei. Einem Akteur kann jedoch nur dann auch Verantwortung zugeschrieben werden, wenn er zwischen Handlungsalternativen auswählen konnte und er auch freiwillig und bewusst gehandelt hat. Diese Verantwortung ist in prospektiver und retrospektiver Hinsicht zu differenzieren. Die prospektive Verantwortung umfasst eine normative Verantwortung, die sich aufgrund rechtlicher, politischer, beruflicher oder sonstiger Verpflichtungen ergeben kann (Aufgaben- oder Zuständigkeitsverantwortung). Sie impliziert demzufolge auch (potenzielle, nicht intendierte) Handlungsfolgen, für die ein Akteur aufgrund seiner Rollenverpflichtung oder angesichts seines ihm zuzuschreibenden Wissens eine Teil- oder Mitverantwortung trägt. Dagegen beschreibt die retrospektive Verantwortung Kausalzusammenhänge und umfasst Handlungsergebnisse oder mittelbare Handlungsfolgen (Zurechnungs- oder Rechenschaftsverantwortung) (vgl. Verführt 2016, S. 53 und S. 61).

Steigende Bedeutung unternehmerischer Verantwortung

Die verstärkte Auseinandersetzung mit Verantwortung erscheint nicht nur im Kontext der Marketingethik von Bedeutung, sondern begründet sich generell in einer wachsenden Bedeutung einer verantwortungsvollen Unternehmensführung. Folgende Gründe können hierfür aufgeführt werden (vgl. Kreipl 2020, S. 6 und die dort zitierte Literatur):

[22]• Stakeholder nehmen unternehmerische Angebote und Verhaltensweisen zunehmend kritisch wahr und artikulieren Erwartungen und Ansprüche, auf die Unternehmen reagieren müssen.Die Thematik unternehmerischer Verantwortung wird von einer kritischen Medienöffentlichkeit aufgegriffen und verbreitet.Traditionelle und moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (insbes. Social Media,Kap. 4.5.2) sorgen für eine beschleunigte Verbreitung von (kritischen) Informationen, die aktuell und global verfügbar sind.In der Nachhaltigkeitsdebatte spielt die intergenerative Gerechtigkeitsforderung eine große Rolle, die die Verpflichtung der aktuellen Generation impliziert, die Bedürfnisse zukünftiger Generationen zu erfüllen.Die Globalisierungserscheinungen führen zu weltweiten Wertschöpfungsverflechtungen, wodurch »globale Nähe« geschaffen wird, aber auch neue Abhängigkeiten entstehen.Im öffentlichen Raum geführte Diskussionen bieten für Unternehmen Impulse für neue oder veränderte Produkt- bzw. Leistungsangebote.

Als ursächlich für die steigende Bedeutung der unternehmerischen Verantwortung können zusammenfassend normative, strategisch-ökonomische und pragmatische Motive herangezogen werden.

Normative Motive können aus einer Denkhaltung einer Person (z. B. eines Managers) oder einer dem individuellen Verhalten zugrundeliegenden Gesinnung (Gesinnungsethik) entstehen, mit der das Unternehmen geführt wird. Aus strategisch-ökonomischer Sicht kann die Wahrnehmung von Verantwortung begründet werden durch die sich damit ergebenden Chancen, nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen anzubieten und Wettbewerbsvorteile durch »gutes Unternehmertum« aufzubauen. Nicht zuletzt können sich pragmatische Handlungsmotive ergeben als Reaktion auf ein wachsendes Verantwortungsbewusstsein oder auf Druck von Externen (Pressure Groups) (vgl. Kreipl 2020, S. 6 ff.).

Konkrete Ansatzpunkte für das verantwortungsvolle Handeln lassen sich aus den strategischen Ansätzen der Marketingethik ableiten (vgl. hierzu und zum Folgenden Hansen/Bode 1999, S. 407 ff.). Sie bilden den Rahmen für moralisches Marketinghandeln und betreffen die Makro-, Meso- und Mikro-Ebene.

Makro-, Meso- und Mikro-Ebene

Die Makro-Ebene schafft den überbetrieblichen Rahmen und umfasst (formelle und informelle) Regeln zur Steuerung des moralischen Verhaltens (Ordnungsethik bzw. Wirtschaftsethik im engeren Sinne). Die Meso-Ebene betrachtet die wechselseitigen Beziehungen zwischen Unternehmen bzw. Organisationen und fokussiert sich auf die Frage, welchen [23]moralischen Wertvorstellungen Unternehmen folgen sollten (Unternehmensethik). Die Mikro-Ebene konzentriert sich auf die personale Dimension und befasst sich mit den ethischen Ansprüchen an Individuen bzw. mit ihrem Verhalten im Rahmen ihrer Beziehungen und Interaktionen innerhalb und außerhalb des Unternehmensumfeldes (Individualethik) (vgl. Schüz 2017, S. 18).

Wichtige Ansatzpunkte zur Steuerung des moralischen Verhaltens auf der Makro-Ebene finden sich u. a. in überstaatlichen Regelungen (z. B. UN Global Compact), in nationalen Regelungen (z. B. Deutscher Nachhaltigkeitskodex, DNK), in branchenübergreifenden Initiativen (z. B. Business Social Compliance Initiative, BSCI) oder in branchenspezifischen Verhaltenskodizes (z. B. Electronic Industry Citizenship Coalition, EICC).

Auf der Meso-Ebene wird dem Gewinnprinzip und seiner Legitimität eine besondere Bedeutung beigemessen (vgl. hierzu und zum Folgenden Hansen/Bode 1999, S. 408 ff.). Vor allem in ethischer Hinsicht stellt sich im Rahmen strategischer Überlegungen die Frage nach dem Stellenwert der Gewinnmaximierungsbestrebungen im Gegensatz zu sozialökologischen Zielausrichtungen von Unternehmen. Da sich Gewinn als ökonomisches Ziel und sozial-ökologische Ziele prinzipiell konfliktär und auch kompatibel zueinander verhalten können, ergeben sich ethisch-betriebliche Herausforderungen in der Bearbeitung ethischer Dilemmasituationen, wenn die Erreichung von Gewinnzielen in konfliktärer Beziehung zu sozialen und/oder ökologischen Zielsetzungen steht und somit moralisch unverträglich ist. Im Umgang mit ethischen Dilemmata werden je nach theoretischer Konzeption unterschiedliche Standpunkte und Ansatzpunkte vertreten; verbreitet sind Ansätze, die Ethik zum einen als unternehmerischen Erfolgsfaktor im Sinne einer langfristigen Akzeptanzsicherung und zum anderen als situationales Korrektiv unternehmerischen Gewinnstrebens sehen. In einer weitergehenden Position wird sogar gefordert, dass strategische Unternehmensentscheidungen grundsätzlich ethischen Wertorientierungen zu folgen haben und somit Legitimität und Verantwortbarkeit gegenüber allen potenziellen Betroffenen Vorrang vor unternehmerischem Gewinnstreben einzuräumen ist (vgl. Ulrich 1997, S. 427).

Neben der Gestaltung institutioneller Handlungsbedingungen auf der Meso-Ebene liegen Gestaltungsansätze auf der Mikro-Ebene in der Entwicklung der Moral von Unternehmensmitgliedern, zumal letztlich nur Menschen moralisch entscheiden bzw. ethisch reflektieren und dementsprechend ethisch-fundiert handeln können (vgl. Hansen/Bode 1999, S. 408). Insofern stellt die Marketingethik Anforderungen an eine zu entwickelnde ethische Kompetenz, in diesem Zusammenhang insbesondere bei Führungskräften und Mitarbeitern im Marketing (vgl. Kap. 3.3.2).

Ökologisches Marketing

Die Marketingethik zeigt insbesondere aufgrund ihrer Zuständigkeit auch für ökologische Verantwortlichkeiten enge Berührungspunkte zum ökologischen Marketing auf. Ökologi[24]sches Marketing (Green Marketing) oder auch ökologieorientiertes Marketing hat sich in der Bundesrepublik Deutschland in den 1980er und 1990er Jahren als eigenständiger Ansatz auch auf breiterer Basis durchgesetzt (vgl. hierzu Hansen 1992b, S. 832 ff.; Hansen/Bode 1999, S. 416 ff.). Die Notwendigkeit ökologischen Handelns resultierte aus den schon zur damaligen Zeit drängender werdenden Problemen der Umweltbelastung und -zerstörung. Dem Marketing wurde dabei die Rolle des ökologischen Problemverursachers zugeschrieben (vgl. Raffée 1979).

Während ökologisches Marketing (Öko-Marketing) durch unterschiedliche zeitliche und inhaltliche Entwicklungslinien gekennzeichnet werden kann (vgl. ausführlich dazu Tiebler 1997, S. 9 ff.), haben im wissenschaftlichen Diskurs Ansätze Interesse geweckt, die ökologisches Marketing als einen funktionalen Teilbereich des ökologischen Wirtschaftens (vgl. Hansen 1992b) und als Aufgabe eines marktorientierten Umweltmanagements (vgl. Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 273 ff.) sehen. Als Teil eines umfassenden Umweltmanagements von marktorientierten Unternehmen ist ökologisches Marketing verantwortlich für alle Phasen des Produktlebenszyklus bzw. Wertschöpfungsprozesses (»von der Wiege bis zur Bahre«) und ist bestrebt, zur Verringerung bzw. Vermeidung umweltschädlicher Belastungen (Ziel der ökologischen Effizienz) beizutragen – und dies unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Erfordernisse (Ziel der ökonomischen Effizienz) und betrieblicher Rahmenbedingungen, die über gesetzliche und soziale Normenansprüche hinausgehen (Ziel der gesellschaftlichen Akzeptanz) (vgl. Balderjahn/Hansen 2001, Sp. 1214 ff.). Umweltschutz erhält damit den Rang eines Unternehmensleitbildes. Daraus leitet sich die Forderung ab, sämtliche betriebliche (Marketing-)Aktivitäten auf ihre Umweltverträglichkeit hin zu analysieren und zu bewerten. Das ökologische Marketing erfährt somit eine ganzheitliche Ausrichtung, wenn es nicht nur ökologisch relevante Teilkonzepte thematisiert (z. B. Entsorgungskonzepte), sondern sich im gesellschaftlichen Umfeld insgesamt als »guter Bürger« präsentiert und gesellschaftliche Verantwortung übernimmt (Corporate Citizenship) – zum Nutzen der Gesellschaft und des Unternehmens (vgl. Balderjahn 2021, S. 91).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in den einzelnen skizzierten Marketingströmungen bzw. -konzepten Perspektiven eingenommen wurden, die sich in einem ganzheitlich ausgerichteten Nachhaltigkeitsmarketing wiederfinden (vgl. Abbildung 1-3). Durch die Übernahme dieser Perspektiven stellt Nachhaltigkeitsmarketing insofern ein integratives Konzept dar, das gesellschafts- und wirtschaftspolitische, soziale und ökologische sowie ethische Anforderungen in wirtschaftliche Überlegungen bewusst einbezieht, um insgesamt anspruchsgruppengerechte Problemlösungen (Produkte und/oder Dienstleistungen) anbieten zu können.

[25]

Abb. 1-3: Nachhaltigkeitsmarketing als integratives Konzept unterschiedlicher Marketingströmungen (Quelle: eigene Darstellung)

1.3Charakterisierung des Nachhaltigkeitsmarketings

Ganzheitliches Konzept

Nachhaltigkeitsmarketing ist die ganzheitliche Ausrichtung der marktorientierten Unternehmensführung an dem normativen Leitbild der nachhaltigen Entwicklung. Letztere beinhaltet, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt neben sozialen, ethischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Nachhaltigkeitsmarketing soll dazu beitragen, über eine dauerhafte Befriedigung der Bedürfnisse aktueller und potenzieller Kunden, unter Ausnutzung von Wettbewerbsvorteilen und Innovativität und bei gleichzeitiger Sicherung der gesellschaftlichen Legitimität die angestrebten Unternehmensziele effizienter zu erreichen.

In der wissenschaftlichen Diskussion und auch in der Unternehmenspraxis existieren nun eine Vielzahl an Begriffsauffassungen, die im Kontext der Nachhaltigkeit bzw. des Nachhaltigkeitsmarketings formuliert werden. Zunächst sollen einige differenzierende Aspekte aufgeführt werden, die Nachhaltigkeitsmarketing von verwandten Konzepten unterscheiden und den Begriff Nachhaltigkeitsmarketing terminologisch schärfen sollen.

Abgrenzung zu Öko-Marketing

Nachhaltigkeitsmarketing ist nicht gleichzusetzen mit Umwelt(schutz)marketing oder ökologischem Marketing (vgl. dazu Kenning 2014, S. 10 f.). Wenngleich beim Begriff Nachhaltigkeitsmarketing häufig noch ein überwiegend ökologisches Verständnis dominiert, orientiert sich Nachhaltigkeitsmarketing am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, was [26]keine Priorisierung des Umweltschutzes als Unternehmensleitbild erlaubt. Die explizite Forderung im Öko-Marketing, Umweltbelastungen zu vermeiden oder zu verringern, ist eher defensiv ausgerichtet und korrespondiert nicht mit einem Nachhaltigkeitsmarketing, das in seiner offensiven Strategieorientierung gerade auch ein proaktives Vorgehen verlangt (vgl. Grunwald/Schwill 2017d, S. 1369). Der zentrale Unterschied zwischen Öko-Marketing und Nachhaltigkeitsmarketing besteht vor allem darin, dass Nachhaltigkeitsmarketing neben ökologischen gleichberechtigt auch ökonomische und soziale Zieldimensionen verfolgt.

Abgrenzung zu CSR

Nachhaltigkeitsmarketing ist weiterhin auch nicht zu verwechseln mit dem Ansatz des Corporate Social Responsibility (CSR). CSR bedeutet »die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft« (Europäische Kommission 2011, S. 7). CSR bezieht sich demzufolge primär auf soziale und ökologische Dimensionen, der wirtschaftliche Erfolg wird eher als Folge und nicht als Bestandteil der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung gesehen. Die im Nachhaltigkeitsmarketing im Regelfall geforderte Gleichrangigkeit der drei Zieldimensionen wird im CSR-Konzept nicht explizit vertreten (vgl. Hansen/Schrader 2005, S. 376).

In dem Zusammenhang wird insbesondere auch auf die Freiwilligkeit der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung im CSR-Konzept verwiesen. Im Gegensatz dazu wird im Konzept der unternehmerischen Nachhaltigkeit vielmehr eine Steuerung von ökologischen, sozialen und ökonomischen Wirkungen angestrebt, um zum einen eine nachhaltige Geschäfts- bzw. Unternehmensentwicklung zu erreichen und zum anderen einen positiven Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft zu liefern (vgl. Schaltegger 2015, S. 202).

Auch in der zeitlichen Perspektive sind Unterschiede erkennbar. Das im Nachhaltigkeitsmarketing konstitutive Element der intergenerativen Gerechtigkeit und damit der ausdrückliche Einbezug einer generationenübergreifenden Perspektive ist im CSR-Konzept nicht erkennbar. CSR fokussiert sich eher auf die Interessen heutiger Gesellschaften.

Nicht zuletzt besteht ein weiterer Unterschied im kontextuellen Bereich. Nachhaltigkeitsmarketing als ganzheitliches Führungskonzept beabsichtigt, unter Berücksichtigung ökologischer und sozialer Anforderungen wirtschaftliche Ziele zu erreichen. So soll bspw. über ein Angebot nachhaltiger Produkte der ökonomische Erfolg verbessert werden. Demzufolge befindet sich Nachhaltigkeitsmarketing im Kontext der betrieblichen Mittelentstehung. Im Gegensatz dazu ist CSR eher in den Kontext der Mittelverwendung zu verorten, da primär der Frage nachgegangen wird, wie die im Unternehmen entstandenen Gewinne zu verwenden sind.

Obwohl gerade die beiden Konzepte – Nachhaltigkeit und CSR – in der wissenschaftlichen Diskussion kontrovers diskutiert werden, ist ein zunehmendes Verschwimmen der [27]Konzepte zu konstatieren, insbesondere dann, wenn Weiterentwicklungen vorgestellt werden, die eine konzeptionelle Nähe zum Nachhaltigkeitsmarketing aufweisen. Beispielsweise sei hier auf das CSR-Reifegradmodell von Schneider verwiesen (vgl. Schneider 2015). Dort wird Unternehmen in der Version von »CSR 3.0« eine proaktive Rolle als politischer Gestalter zugeschrieben, bei der sie auf der Basis von »CSR 2.0« ihre antizipative wirtschafts-, gesellschafts- und umweltpolitische Gestaltungsfunktion in Anspruch nehmen und nachhaltige Veränderungen der (staatlichen) Rahmenbedingungen beeinflussen bzw. mitgestalten können (vgl. Schneider 2012, S. 37).

Abgrenzung zu Wachstumsverzicht

Nachhaltigkeitsmarketing bedeutet nicht Wachstumsverzicht. Insbesondere im ökologischen Kontext und spätestens seit der Veröffentlichung des Berichts an den Club of Rome zu den »Grenzen des Wachstums« (vgl. Meadows et al. 1972) ist Wachstum auch negativ konnotiert. Die zum Teil recht massive Kritik bezog sich im Wesentlichen auf die negativen Begleiterscheinungen des quantitativen Wachstums, wie etwa die Verschärfung der Knappheit natürlicher Ressourcen oder die Belastung globaler Ökosysteme. Auch neuere Ergebnisse der internationalen Umweltsystemforschung unterstreichen die planetarischen Grenzen des Ökosystems Erde (vgl. z. B. Rockström et al. 2009). Ansatzpunkte zur Senkung des globalen Gesamtressourcenverbrauchs werden neben der Umsetzung technischer Effizienzstrategien vor allem in der Suffizienzorientierung als der effektivsten Form der Ressourceneffizienz gesehen (vgl. Schneidewind 2012, S. 69). Im Kern fordern Suffizienzstrategien eine quantitative Verringerung der Nachfrage (»weniger Konsum«) oder die Nachfrage nach weniger umweltschädlichen Leistungsangeboten (»anderer Konsum«) (vgl. Fischer/Grießhammer 2013, S. 9).

Die primäre Verortung der Suffizienzdiskussion im ökologischen Bereich verdeutlicht den Unterschied zum Nachhaltigkeitsmarketing, das auch soziale und ökonomische Aspekte thematisiert und im Rahmen des integrativen Ansatzes einen Ausgleich der drei Dimensionen anstrebt. Auch fordert Nachhaltigkeitsmarketing nicht Nicht-Wachstum. Vielmehr ist die Aufnahme qualitativer Wachstumsziele in das Zielsystem des Nachhaltigkeitsmarketings explizit einzufordern, wenn mit deren Verfolgung sozial-ökologische Problemlagen gelöst, Kundenbedürfnisse befriedigt und auch betriebswirtschaftliche Vorteile erzielt werden können.

Abgrenzung zu nachhaltigem Marketing

Nachhaltigkeitsmarketing ist zudem vom nachhaltigen Marketing abzugrenzen (vgl. Belz/Bilharz 2005, S. 6; Belz/Peattie 2012, S. 28). Das Adjektiv »nachhaltig« assoziiert eher eine »nachhaltige« Wirkung der eingesetzten Marketingmaßnahmen und verweist explizit nicht auf die Notwendigkeit der Einbeziehung ökologischer und sozialer Problemstellungen in wirtschaftliche Entscheidungen. Auch verbindet sich mit dem Begriff ›nachhaltig‹ vorwiegend ein Marketing, das auf die Kontinuität der Maßnahmen und Dauerhaftigkeit von Geschäftsbeziehungen abzielt. Nachhaltigkeitsmarketing jedoch versteht sich als Ansatz, für den der wirtschaftliche Erfolg allein nicht ausschlaggebend ist, sondern auch die Umsetzung ökologischer und sozialer Ansprüche.

[28]Abgrenzung zu ›Marketing für Nachhaltigkeit‹

Weiterhin ist Nachhaltigkeitsmarketing auch vom Marketing für Nachhaltigkeit zu unterscheiden (vgl. dazu Belz/Bilharz 2005, S. 6 f.). Marketing für Nachhaltigkeit korrespondiert mit dem Konzept des Social Marketing, das im Wesentlichen darauf abzielt, durch die Vermittlung ökologischer und sozialer Ideen gesellschaftlich erwünschte Einstellungen und Verhaltensweisen zu erreichen. Wenn auch im Nachhaltigkeitsmarketing eine Sensibilisierung und Aufklärung der Bevölkerung hinsichtlich ökologischer und sozialer Problemlagen sinnvoll ist und Handlungsoptionen zur Lösung derartiger Probleme aufgezeigt werden sollen, so geht Nachhaltigkeitsmarketing über die eher kommunikative Vermittlungsfunktion hinaus und ist bestrebt, über ein sozial-ökologisches Leistungsangebot wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen.

Nicht zuletzt erscheint es erforderlich, Nachhaltigkeitsmarketing vom (marktorientierten) Nachhaltigkeitsmanagement zu unterscheiden (vgl. dazu Belz/Bilharz 2005, S. 7). Da Nachhaltigkeitsmanagement alle Funktionsbereiche eines Unternehmens umfasst (z. B. Beschaffung, Produktion, Absatz oder Logistik), stellt Nachhaltigkeitsmarketing einen impliziten Teilbereich des Nachhaltigkeitsmanagements dar. Ein umfassendes Nachhaltigkeitsmanagement erscheint nicht nur notwendig, sondern ist geradezu unerlässlich, um ein ganzheitlich und langfristig ausgerichtetes und vor allem auch glaubwürdiges Nachhaltigkeitsmarketing im Unternehmen zu etablieren. Eine kooperative, an »einem Strang ziehende« Zusammenarbeit aller unternehmerischen Funktionsbereiche ist deshalb unbedingt erforderlich.

Nach dem Herausstellen einzelner Unterschiede des Begriffs Nachhaltigkeitsmarketing zu anderen, im Kontext verwandten Begriffen bzw. Konzepten stellt sich nun die Frage, wie Nachhaltigkeitsmarketing letztlich definiert werden kann. Bevor eine eigene Definition vorgestellt wird, werden in Tabelle 1-1 einige ausgewählte Definitionen des Begriffs Sustainable Marketing bzw. Nachhaltigkeitsmarketing zusammengefasst.

JahrAutor/enDefinition1999FullerSustainable Marketing is »the process of planning, implementing, and controlling the development, pricing, promotion, and distribution of products in a manner that satisfies the following three criteria: (1) customer needs are met, (2) organizational goals are attained, and (3) the process is compatible with ecosystems« (Fuller 1999, S. 4).2002Kirchgeorg»Nachhaltigkeits-Marketing integriert die gesellschaftspolitische bzw. soziale, die moralische bzw. ethische und die unternehmerische bzw. marktliche Perspektive in einem Managementkonzept. Nachhaltigkeits-Marketing erfasst demnach konzeptionelle Überlegungen aus dem Makro-, dem Societal und dem Öko-Marketing« (Kirchgeorg 2002, S. 6).2003Belz»Im Nachhaltigkeits-Marketing geht es darum, die individuellen Kundenbedürfnisse auf eine Art und Weise zu befriedigen, dass ökologische Belastungen möglichst vermieden und soziale Anliegen so weit wie möglich berücksichtigt werden« (Belz 2003, S. 353).[29]2004Balderjahn»Nachhaltigkeits-Marketing integriert die gesellschaftspolitische bzw. soziale, die moralische bzw. ethische und die unternehmerische bzw. marktliche Perspektive in einem Managementkonzept. (…) (Es) verfolgt neben ökologischen und ökonomischen Zielen auch soziale Ziele (…). Nachhaltiges Marketing erfordert, dass alle Aktivitäten des Unternehmens hinsichtlich ihrer ökonomischen (ökonomische Effizienz), ökologischen (ökologische Effizienz) und sozialen Konsequenzen (soziale Effektivität) geprüft werden« (Balderjahn 2004, S. 40 f.).2009Belz und Peattie« (…) sustainable marketing represents an evolution of marketing that blends the mainstream economic and technological perspectives with the emerging concepts of relationship marketing and the social, ethical, environmental and intergenerational perspective of the sustainable development agenda« (Belz/Peattie 2009, S. 18).2010Schrader und Diehl«Während traditionelles Marketing auf die Kunden zugeschnitten ist, haben in unserem Verständnis des Nachhaltigkeitsmarketing unterschiedliche interne und externe Anspruchsgruppen eine große Bedeutung. Damit geht es nicht mehr nur darum, bei der Befriedigung von Kundenbedürfnissen ökologische und soziale Anforderungen als Nebenbedingungen zu beachten (…), sondern diese als eigene Ziele des Nachhaltigkeitsmarketing zu verfolgen« (Schrader/Diehl 2010, S. 17 f.).2011Gordon, Carrigan & Hastings»(…) sustainable marketing can be developed through the use of green marketing, social marketing and critical marketing« (Gordon et al. 2011, S. 156).2013Kupp»Unter Nachhaltigkeitsmarketing versteht man allgemein die Planung, Koordination, Durchsetzung und Kontrolle aller markt- und nichtmarktbezogenen Transaktionsaktivitäten zur Vermeidung und/oder Verringerung ökologischer und sozialer Probleme, um über eine dauerhafte Befriedigung der Bedürfnisse aktueller und potenzieller Kundinnen und Kunden, unter Ausnutzung von Wettbewerbsvorteilen und bei Sicherung der gesellschaftlichen Legitimität die angestrebten Unternehmensziele zu erreichen« (Kupp 2013, S. 323).2018Lunde»Sustainable marketing is the strategic creation, communication, delivery, and exchange of offerings that produce value through consumption behaviors, business practices, and the marketplace, while lowering harm to the environment and ethically and equitably increasing the quality of life (QOL) and well-being of consumers and global stakeholders, presently and for future generations« (Lunde 2018, S. 94; Hervorhebung im Original).[30]2021Balderjahn»Nachhaltiges Marketing-Management (Sustainability Marketing) soll definiert werden als eine Konzeption zur umwelt- und sozialorientierten Führung einer Unternehmung, die alle betrieblichen Marketingentscheidungen auf die Anforderungen des Marktes, d. h. auf die Wünsche und Forderungen der Kunden (Kundenorientierung) und auf die Bedingungen des Wettbewerbs (Wettbewerbsorientierung), unter Beachtung einschlägiger ökologischer und sozialer Standards ausrichtet« (Balderjahn 2021, S. 158; Hervorhebung im Original).

Tab. 1-1: Ausgewählte Definitionen des Begriffs »Sustainable Marketing« bzw. »Nachhaltigkeitsmarketing« (Quelle: Kenning 2014, S. 17, mit eigenen Abänderungen und Erweiterungen)

Definition Nachhaltigkeitsmarketing

Unter Nachhaltigkeitsmarketing soll die Analyse, Planung, Realisierung und Kontrolle aller markt- und nichtmarktbezogenen Aktivitäten zur Vermeidung und/oder Reduzierung ökologischer und sozialer Probleme verstanden werden, um über die Schaffung eines nachhaltigen Nutzens für potenzielle und aktuelle Zielgruppen unter Ausnutzung von Wettbewerbsvorteilen und bei Sicherung der gesellschaftlichen Legitimität die angestrebten Unternehmensziele zu erreichen (vgl. auch Kupp 2013, S. 323; Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 273). Nachhaltigkeitsmarketing stellt insofern eine Konzeption dar, die sich markt-, umwelt- und gesellschaftsbezogenen Anforderungen verpflichtet fühlt und ein proaktiv marktorientiertes, ökologisch verantwortliches, sozial verträgliches und damit auch ethisch reflektiertes Handeln impliziert (vgl. Balderjahn 2004, S. 48 f.).

Merkmale

Folgende Ansprüche hat ein derartig charakterisiertes Nachhaltigkeitsmarketing zu erfüllen (vgl. hierzu auch Balderjahn 2004, S. 49; Kupp 2013, S. 324). Nachhaltigkeitsmarketing ist

mehrdimensional auszurichten, da neben ökonomischen Zielen auch ökologische und soziale Ziele verfolgt werden;funktionsübergreifend anzulegen, da Nachhaltigkeit als Querschnittsfunktion sämtliche unternehmerischen Funktionsbereiche betrifft;unternehmensprozessübergreifend zu planen, da sich sämtliche Aktivitäten an Wertschöpfungsketten und -kreisläufen sowie Produktlebenszyklen zu orientieren haben;stakeholderbezogen auszurichten, d. h. es sind unterschiedliche Anspruchsgruppen zu integrieren; ggf. ist mit relevanten Stakeholdern zu kooperieren;dialogorientiert zu organisieren, da mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen divergierende Ansprüche einhergehen und nur im interaktiven Austausch konsensuale Entscheidungen getroffen werden können;verantwortungsbewusst anzulegen, um ein antizipatives und ethisch fundiertes Handeln gewährleisten zu können;interdisziplinär auszugestalten, um den Schnittstellencharakter der Nachhaltigkeit sicherstellen zu können;langfristig anzulegen, da ökonomische, ökologische und/oder soziale Aspekte häufig erst perspektivisch erfolgswirksam werden.

[31]Die Kernaufgabe des Nachhaltigkeitsmarketings besteht darin, durch innovative Strategien und marketingpolitische Maßnahmen die ökologischen, sozialen und ökonomischen Vorteile zu verbinden und Synergiepotenziale auszuschöpfen (vgl. Kirchgeorg 2002, S. 7).

1.4Ziele des Nachhaltigkeitsmarketings

SDGs als Orientierungsrahmen

Nachhaltigkeitsmarketing hat sich am übergeordneten normativen Leitbild der nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Daher ist es nur konsequent, zunächst die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) als Kernstück der Agenda 2030 der Vereinten Nationen zu betrachten (s. Tabelle 1-2). Als grundlegender normativer Orientierungsrahmen bieten die übergeordneten SDGs Anhaltspunkte für die Formulierung der Ziele für das Nachhaltigkeitsmarketing.

SDGsErläuterungArmut in jeder Form und überall beenden.Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern.Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern.Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern.Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen.[32]Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten.Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern.Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern.Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen.Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten verringern.Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen.Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen.[33]Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen.Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen.Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung stoppen und umkehren und den Biodiversitätsverlust stoppen.Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen.Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung wiederbeleben.

Tab. 1-2: Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Quelle: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (Hrsg.) 2017, S. 8 f.)

Festzustellen ist, dass sich die 17 SDGs auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Umwelt, Soziales, Wirtschaft – beziehen. Diese Dimensionen bilden die Zielbereiche des Nachhaltigkeitsmarketings (vgl. dazu Balderjahn 2004, S. 59 ff.; Balderjahn 2021, S. 92 ff.).

Zielbereiche

Der ökologische Zielbereich umfasst Ziele, die auf den betrieblichen Umweltschutz gerichtet sind. Der soziale Zielbereich bezieht sich auf die Sozialverträglichkeit des betrieblichen bzw. marketingspezifischen Handelns. Der ökonomische Zielbereich konzentriert sich auf die Erhaltung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. In der Tabelle 1-3 werden die den einzelnen Zielbereichen zuzuordnenden Zielinhalte exemplarisch zusammengefasst.

[34]Zielbereich (Zielfokus)Zielinhalte (Beispiele)Ökologischer Zielbereich (Umweltverträglichkeit) Klimaschutz (z. B. Begrenzung der CO2-Emissionen) Ressourcenschutz (z. B. Substitution nicht regenerativer Ressourcen durch regenerative Ressourcen) Emissionsbegrenzung (z. B. Abluft, Abwasser, Abwärme) Abfallminderung (z. B. Verringerung der Materialintensität)Sozialer Zielbereich (Sozialverträglichkeit) Achtung der Menschenrechte Einhaltung internationaler Arbeitsstandards Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter faire Entlohnung der Mitarbeiter faire Geschäftspraktiken (z. B. gegenüber Lieferanten) Diversity Dialog mit AnspruchsgruppenÖkonomischer Zielbereich (Wettbewerbsfähigkeit) grundsätzlich: Erhaltung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit qualitatives Wachstum (z. B. durch innovative nachhaltige Produkt- bzw. Leistungsangebote) Absatz- und Umsatzsteigerung (z. B. in Bezug auf nachhaltige Produkte) Kosteneinsparung (z. B. durch ressourceneffiziente Produkt- und Verpackungsgestaltung) Reputationssteigerung (z. B. durch Erhöhung des Markenwertes) Steigerung der Innovationsqualität (z. B. durch Einbeziehung von Kunden in Produktentwicklungsprozesse)

Tab. 1-3: Zielbereiche und Zielinhalte des Nachhaltigkeitsmarketings (Quelle: vgl. Balderjahn 2004, S. 59 ff.; Balderjahn 2021, S. 92 ff.)

Die einzelnen Zielbereiche sind jeweils auch unter Effizienz- und Effektivitätsgesichtspunkten zu betrachten (vgl. dazu Balderjahn 2004, S. 12 ff.). Nachhaltigkeitsmarketing zielt ab auf die

ökologische Effizienz; sie umfasst den Ressourcenverbrauch, die Emissionen und die Risikopotenziale in Bezug auf eine Produktions- bzw. Leistungseinheit;soziale Effektivität; sie stellt ein Maß für die Sozialverträglichkeit unternehmerischen Handelns dar und erfasst die Gestaltung der Beziehungen zu Stakeholdern;ökonomische Effizienz; sie umfasst zum einen die Umsetzung gesellschaftlicher und ökologischer Anforderungen in unternehmerisches Handeln und zum anderen die Möglichkeiten von Unternehmen, Arbeitsplätze, angemessenen Wohlstand und menschenwürdige Lebensverhältnisse zu schaffen.

Zielbeziehungen

Aufgrund der multidimensionalen Zielstellungen sind die Zielbeziehungen zu untersuchen, um dem Anspruch eines möglichst komplementären Zusammenwirkens gerecht werden zu können. Gemäß dem normativen Anspruch besteht im Nachhaltigkeitsmarke[35]ting stets die Herausforderung, Zielverträglichkeiten zu schaffen. Dass dies grundsätzlich möglich ist, sollen folgende Beispiele belegen (vgl. Balderjahn 2021, S. 94 f.):

Durch reduzierten Ressourcenverbrauch in Form eines geringeren Energie- und Materialeinsatzes (ökologisches Ziel) können Kosten gesenkt werden (ökonomisches Ziel).Durch eine humane Arbeitsplatzgestaltung (soziales Ziel) kann die Motivation der Mitarbeiter und damit auch die Arbeitsproduktivität (ökonomisches Ziel) erhöht werden.Mit dem Angebot nachhaltiger Produkte (ökologisches Ziel) kann die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen (soziales Ziel) gestärkt werden.

Abbildung 1-4 stellt die Zielbereiche des Nachhaltigkeitsmarketings unter Berücksichtigung der Zielfokusse und des Zielanspruchs grafisch dar.

Abb. 1-4: Zielbereiche des Nachhaltigkeitsmarketings (Quelle: in Anlehnung an Balderjahn 2004, S. 60; Balderjahn 2021, S. 93)

Zielprioritäten

Allerdings sind Zielkonflikte gerade zwischen ökonomischen Zielen auf der einen Seite und ökologischen und sozialen Zielen auf der anderen Seite generell nicht auszuschließen. Im Falle von Zielunverträglichkeiten sind dann Entscheidungen zu treffen, welchem Ziel Priorität einzuräumen ist. Im Regelfall ist in privatwirtschaftlich agierenden Unternehmen von der Dominanz der ökonomischen Zielsetzung (Profit) auszugehen, die ökologischen (Planet) und sozialen Ziele (People) spielen eher eine untergeordnete Rolle (vgl. Zentes 2018, S. 395). Unstrittig ist, dass Unternehmen langfristig Gewinne erwirtschaften müssen, sofern sie die Unternehmensexistenz erhalten wollen. Die zentrale Frage ist nur, ob Gewinnerzielung als Zielstellung definiert werden soll oder ob Gewinnerzielung letztlich das Ergebnis unternehmerischen Handelns sein soll. Dieser Denkweise folgt das in Abbildung 1-5 illustrierte »Saarbrücker PPP-Modell«, das eine kausale Abhängigkeit des [36]Gewinns von der ökologischen und der sozialen Orientierung ausdrückt (vgl. Scholz/Zentes 2015, S. 171 f.; Zentes 2018, S. 395 f.).

Abb. 1-5: Das Saarbrücker PPP-Modell (Quelle: Scholz/Zentes 2015, S. 172)

Dieser Modellansatz setzt insofern neue Prioritäten, da an erster Stelle der Fokus auf der sozialen und ökologischen Orientierung liegt und der Gewinn als »logische« Konsequenz dargestellt wird – Gewinne werden also nicht erst dann »verteilt« (z. B. zur Finanzierung sozialer oder ökologischer Zwecke), wenn sie erzielt worden sind (vgl. Zentes 2018, S. 396). »Danach führt erst ein konsequentes Ausrichten auf ›People‹ und ›Planet‹ zum langfristigen Gewinn von allen« (Scholz/Zentes 2015, S. 173).

Wenn auch diesem Kausalmodell in seinem Denkansatz gefolgt werden kann und es auch wünschenswert wäre, über die soziale und ökologische Oientierung Gewinne »einzufahren«, so dürfte es in der Unternehmenspraxis schwierig sein, diesem Ansatz – zumindest generell – Folge zu leisten. Realistischer erscheint ein »flexibler Ansatz«, der je nach analysierten Rahmenbedingungen und Analyse der Marktgegebenheiten auch Möglichkeiten offenlässt, andere Zielpriorisierungen zuzulassen. Diese Flexibilität sollte auch einem Konzept des Nachhaltigkeitsmarketings zugestanden werden.

1.5Rahmenbedingungen des Nachhaltigkeitsmarketings

PESTEL-Analyse

Die Rahmenbedingungen für nachhaltigkeitsorientiertes Verhalten der Akteure lassen sich in Anlehnung an die Systematik der PESTEL-Analyse (vgl. hierzu Grunwald/Schwill 2019, S. 20 f.) in politische (political), ökonomische (economical), sozio-kulturelle (social), technologische (technological), ökologische (ecological) und rechtliche (legal) Faktoren unterscheiden. Hierbei handelt es sich um externe, nicht oder (langfristig) nur schwer beeinflussbare Faktoren, die den Rahmen für nachhaltiges Verhalten der Akteure im Markt insgesamt, also für Anbieter wie Nachfrager, prägen (vgl. Balderjahn 2021, S. 198 f.).

[37]STEEPLE-Analyse

Aufgrund der Bedeutung der Ethik im Nachhaltigkeitskontext soll der PESTEL-Ansatz um den ethischen Faktorbereich erweitert werden und Eingang finden in der nun zu betrachtenden STEEPLE-Analyse (vgl. Johnson et al. 2018, S. 64). Abbildung 1-6 stellt die Faktoren im Überblick dar.

Abb. 1-6: STEEPLE-Analyse (Quelle: eigene Darstellung)

Die das Nachhaltigkeitsmarketing beeinflussenden Faktoren können wie folgt skizziert werden:

Als sozio-kulturelle Faktoren können etwa Wertvorstellungen, Normen, Institutionen, das Bildungsniveau und Einflüsse gesellschaftlicher Gruppierungen verhaltenssteuernd wirken.Bei den technologischen Faktoren gehen Impulse auf das nachhaltige Verhalten der Akteure bspw. von Innovationen in den Bereichen Digitalisierung, regenerative Antriebskonzepte und Energiespeicherung aus.Bei den ökonomischen Faktoren spielen etwa die wirtschaftliche Entwicklung (Konjunktur), die Einkommensentwicklung und -verteilung, die Wohlstands- bzw. Vermögensverteilung und die Lohnkosten eine Rolle für das Ausmaß und die Art des nachhaltigen Verhaltens der Akteure.Als ökologische Faktoren stellen z. B. der Klimawandel, Emissionen, die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen und der Standort (Klima, Topografie, Größe) mögliche Rahmenbedingungen für individuelles Handeln im Kontext der Nachhaltigkeit dar.Zu den politischen Faktoren zählen im Kontext von Nachhaltigkeit sowohl auf internationaler wie auch auf nationaler Ebene insbesondere die politischen Leitbilder, Ziele [38]und Indikatoren, die den Weg einer Nachhaltigkeitspolitik festlegen und eine Evaluation bzw. ein Monitoring ermöglichen. Darüber hinaus sind die Politikkonzepte und -strategien als langfristige Handlungspläne zur Erreichung der gesetzten Nachhaltigkeitsziele bedeutsam einschließlich etwaiger Subventionen bzw. finanzieller Förderprogramme für nachhaltige Projekte. Schließlich dienen Governance-Konzepte dazu, Regierungshandeln an Nachhaltigkeitsprinzipien auszurichten und anzupassen (vgl. Umweltbundesamt 2019).Weiterhin wirken rechtliche Faktoren auf das Verhalten der Akteure ein wie etwa Normen aus den Bereichen des Umwelt- und Steuerrechts sowie internationale Standards wie EMAS (Eco-Management and Audit Scheme), ISO 26000 (Leitlinie zu CSR), GRI (Global Reporting Initiative zur Nachhaltigkeitsberichterstattung) und UN Global Compact (vgl. Kurz/Wild 2015, S. 326).Schließlich beeinflussen ethische Faktoren das nachhaltige Verhalten der Akteure. Werte wie Vertrauen, Integrität, Fairness, Ehrlichkeit, Vertragstreue oder Verantwortung (vgl. Wieland 2004, S. 23) determinieren die individuellen sowie kollektiven Verhaltensweisen; sie stellen »… fundamentale Auffassungen vom Wünschenswerten …« (Göbel 2016, S. 150) dar und finden ihren Ausdruck in Code of Ethics oder anderen Normen und Verhaltensstandards.

Diese Rahmenfaktoren zeigen bereits auf, dass sich Nachhaltigkeitsmarketing auch mit unterschiedlichen Bezugsgruppen auseinanderzusetzen hat, nicht nur, um das eigene unternehmerische Verhalten dahingehend abstimmen zu können, sondern um im Rahmen eines kritischen Diskurses auch Einfluss auf die zukünftige Ausgestaltung der Rahmenfaktoren nehmen zu können. Im folgenden Kapitel werden diese Bezugsgruppen vorgestellt.

1.6Stakeholder als Bezugsgruppen des Nachhaltigkeitsmarketings

Stakeholder-Begriff

Die Sicht eines wie hier ganzheitlich verstandenen Nachhaltigkeitsmarketings, das insbesondere ein Handeln über alle Wertschöpfungsstufen hinweg reflektieren muss, impliziert das Handeln von Unternehmen in einem komplexen Beziehungssystem (vgl. hierzu und zum Folgenden auch Grunwald/Schwill 2017a, S. 43 ff.). In diesem Beziehungssystem agieren Akteure, d. h. einzelne Personen oder Personengruppen, die unterschiedliche Interessen verfolgen und unterschiedliche Ansprüche an Unternehmen stellen können. Für derartige Interessen- oder Anspruchsgruppen hat sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur der Begriff Stakeholder etabliert. Wesentlich geprägt wurde dieser Begriff von Freeman, der Stakeholder definiert als »any group or individual who can affect or is affected by the achievement of the organization’s objectives« (Freeman 1984, S. 46). Im deutschsprachigen Raum weit verbreitet ist die Definition nach DIN ISO 26000. Ein Stakeholder oder eine Anspruchsgruppe bzw. ein Anspruchsträger ist eine »Einzelperson oder [39]Gruppe, die Interessen an einer Entscheidung oder Aktivität einer Organisation hat« (Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) 2011, S. 26).

Interne vs. externe Stakeholder

Ein Unternehmen unterhält nun eine Vielzahl an Beziehungen zu einzelnen Personen oder Gruppen. Das interne Beziehungsumfeld umfasst sämtliche im Unternehmen tätigen Personen. Hierzu zählen die Eigentümer, das Management sowie die Mitarbeiter mit ihren unterschiedlichen Aufgaben- und Verantwortungsbereichen. Sie werden als interne Stakeholder bezeichnet. Alle anderen Anspruchsgruppen, die nicht dem direkten Umfeld zuzurechnen sind und von außen ihren Einfluss ausüben, werden als externe Stakeholder zusammengefasst. Hierunter kann eine Vielzahl an Personen, Organisationen oder Interessengruppierungen subsumiert werden (s. Abbildung 1-7).

Abb. 1-7: Potenzielle interne und externe Stakeholder (Quelle: Grunwald/Schwill 2017a, S. 44; vgl. auch Grunwald/Schwill 2017b, S. 933 f. und Hügens/Zelewski 2006, S. 372)

Ganzheitliche Stakeholder-Orientierung

Die Berücksichtigung sämtlicher relevanter Stakeholder-Interessen entspricht einem hier zugrunde gelegten ganzheitlichen Verständnis des Nachhaltigkeitsmarketings. Zwar sind die Mitarbeiter als eine Zielgruppe der internen Stakeholder-Gruppe und die Kunden als ein Segment der externen Stakeholder von besonderer Bedeutung. Mitarbeiter tragen entscheidend zur Wertschöpfung bei; sie schaffen Werte in Form von Produkten und [40]Dienstleistungen. Mit dem Verkauf dieser materiellen und immateriellen Werte an Kunden generiert das Unternehmen wiederum Einnahmen, die für die Erhaltung der unternehmerischen Existenz letztendlich notwendig sind. Die Fokussierung auf diese primären Zielgruppen des Nachhaltigkeitsmarketings erweist sich als problematisch, da zum einen vom Unternehmenshandeln auch Individuen und Gruppen betroffen sind, die in keiner direkten Beziehung zum Unternehmen stehen (wie z. B. Verbraucher- oder Umweltschutzorganisationen) oder auch nicht stehen können (wie vor allem zukünftige Generationen). Zum anderen können sich auch vermeintlich »kleine« Stakeholder untereinander austauschen und »große Koalitionen« bilden, um anschließend verstärkt Einfluss auf das nachhaltigkeitsorientierte Unternehmensgeschehen zu nehmen. Insofern erscheint es legitim, eine ganzheitliche Stakeholder-Orientierung zu fordern. Diese Forderung lässt sich vor allem durch folgende sozioökonomische Entwicklungen begründen (vgl. hierzu auch Ungericht 2012, S. 279):

Im Zuge weltwirtschaftlicher Verflechtungen und umweltoffener Systeme wenden sich neben den klassischen Stakeholder-Gruppen wie Eigentümer, Beschäftigte, Lieferanten oder Kunden zunehmend auch weitere Akteure wie Bürgerinitiativen, Umweltschutzorganisationen oder Medien mit ihren Ansprüchen an Unternehmen.Unternehmen agieren in einem zunehmend sensibleren und kritischeren gesellschaftlichen Umfeld. Wirtschaftliches Handeln unterliegt dabei nicht nur ökonomischen Zwängen, sondern zunehmend auch gesellschaftlichem Legitimationsdruck (z. B. im Hinblick auf die ökologische oder soziale Problematik transnationaler Beschaffungsketten).Durch die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien können sich negative Erscheinungsformen (internationaler) Geschäftstätigkeit in kürzester Zeit verbreiten und entsprechende Kommunikationseffekte bewirken (z. B. Imageschäden). Dies erfordert eine verstärkte mediale Sensitivität von Unternehmen auf der einen Seite und gezielte kommunikationspolitische Maßnahmen auf der anderen Seite (z. B. durch eine aktive Krisenkommunikation) (vgl. auch Grunwald/Schwill 2020).Mit der verstärkten Auslagerung von Wertschöpfungsaktivitäten (Outsourcing) und im Rahmen der ganzheitlichen, wertkettenübergreifenden Perspektive erweitert sich das Beziehungssystem um zusätzliche Beziehungspartner (z. B. Subkontraktoren). Diese Beziehungen sind aufzubauen und zu pflegen.Der Trend zu einer »offenen Organisation« erfordert nicht nur eine intensivere Beschäftigung mit vermeintlich »kleinen« Anspruchsgruppen (z. B. Fridays-for-Future-Bewegung; Menschenrechtsorganisationen in Bezug auf Arbeitsbedingungen von im Ausland produzierenden Unternehmen), sondern auch eine stärkere Integration einzelner »größerer« Bezugsgruppen (z. B. durch Einbindung von Kunden in die Produktentwicklung im Rahmen der generellen Öffnung von Innovationsprozessen) (vgl. Schwill 2010a, S. 24 ff.).Versteht sich »Marketing als eine generelle Theorie der Austauschprozesse