Nackte Geheimnisse - Manuel Sandrino - E-Book

Nackte Geheimnisse E-Book

Manuel Sandrino

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Beschreibung

Bux' Leben und sein Tod sind fest mit zwei ungewöhnlichen Menschen verbunden. Er hätte von ihren Namen auf Probleme schließen können. Dionysos lernt er über einen Internet-Chat kennen. 'Reiß dir die Masken vom Gesicht, zerfetze deine Hüllen und zerschmettere deine Hemmungen!' Logisch, gefällt das Bux, denn er ist jung und naiv. Seth kennt er ausschließlich aus seinen Träumen und verliebt sich in diese Traumgestalt. Als sein bester Freund ihn überredet, mit ihm zum World Naked Bike Ride nach London zu reisen, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Bux zieht sich seine Badehose und sein Kapuzenshirt auf der Fahrradtour, bei der sonst jeder nackt ist, nie aus. Dann begegnet er Seth wahrhaftig im Hyde Park, was ihn im kommenden Jahr dazu veranlasst, ein Praktikum im Hotel, in dem Seth als Koch arbeitet, anzunehmen. Doch Seth ignoriert ihn vollkommen. Der Hotelchef, in dem Bux Dionysos vermutet, rät ihm, er solle sich interessanter machen. Bald wird Bux von jedem manipuliert und stolpert von einem Missverständnis ins nächste. Es wird immer peinlicher, bis die Falle zuschnappt. Ausgerechnet der verklemmte Bux soll zum Werbeträger eines erstmals ganztägig stattfindenden Nudistentages werden. Je tiefer Bux in die neue Welt eintaucht, desto unheimlicher wird sie. Er schafft sich, als er einem Angeber die Nase blutig schlägt, einen gefährlichen Feind. Kurz darauf prügeln ihn vier Punks fast zu Tode. Bux überlebt nur, indem er eine Entscheidung trifft, die alles, woran er bisher glaubte, in Frage stellt. Er muss weit über sich selbst hinauswachsen, denn der Nudistentag steht vor der Tür, wie auch die Punks, die noch nicht mit ihm fertig sind.

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Manuel Sandrino

Nackte Geheimnisse

 

 

Von Manuel Sandrino bisher erschienen:

 

•„Selbstverständlich schwul!“ Nur noch als E-book lieferbar

 

•„Apollon und Mercury – Wahre Träume leben“ ISBN print: 9783863613792

•„Apollon und Mercury – Einer muss sterben“ ISBN print: 9783863613853Beide auch als E-book

 

 

Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,

Himmelstürmer is part of Production House GmbH

 

www.himmelstuermer.de

E-mail: [email protected], August 2015

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage.

 

Coverfoto: istockphoto, shutterstock.

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg.

www.olafwelling.de

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

ISBN print 978-3-86361-482-9ISBN epub 978-3-86361-483-6

ISBN pdf: 978-3-86361-484-3

 

Für alle Abenteurer, die dem hörbaren Lebensstrom lauschen und mutig auf seinen Lichtwellen surfen.

Vorwort

Falls dieses geheime Tagebuch jemals gefunden wird, dann nur, weil ich wahrscheinlich tot bin, entführt wurde oder sonst irgendwie verschwunden bin. Wer immer diese Seiten in die Hände bekommt, sei gewarnt: einige meiner Tagebucheinträge sind definitiv nichts für prüde Gemüter oder verklemmte Normalos. Zu schockieren, war nie meine Absicht, doch das echte Leben nimmt keine Rücksicht auf fixe Denk- oder Verhaltensmuster.

Wer immer meine nackten Geheimnisse erfahren will, dem rate ich: Sei der genießerische Beobachter oder der scharfe Kritiker, der aus der sicheren Distanz alles be- und verurteilt. Sei der Wolf, der sich hungrig auf die Beute stürzt. Sei der verborgene Voyeur, der nie wegsieht. Sei alles, was du nur heimlich beim Lesen eines geheimen Tagebuches sein kannst!

 

Warum ein geheimes Tagebuch? Ich lernte von meinem Mentor, dass man echte Geheimnisse verschleiern muss, genauso wie die Personen, die damit zu tun haben, weshalb ich keine Person in meinem geheimen Tagebuch beim richtigen Namen nenne. Das hat nichts mit Lüge, sondern mit Schutz zu tun. Jeder sieht das Leben – auch das eigene – nur durch seine eigenen Augen; urteilt über andere nur aus der eigenen Perspektive; oder beschreibt die Ereignisse so, wie sie einem selbst passieren. Man kann nur das sehen, was man selbst sehen kann. Man kann nur das hören, was man hören will; und ja, jedem erscheint die Welt in anderer Verkleidung.

Wahrheit? Wahrheit ist für jeden etwas anderes! Wer mir nicht glaubt, sollte mal eine Zeitung oder religiöse Schriften lesen oder sich mit Politikern unterhalten. Jeder sieht nur das, was er selbst sehen kann oder was er will, dass andere sehen sollen.

 

Wie alles begann: Kurz vor dem Übergang zu meiner Volljährigkeit verlor ich meine Zukunftsperspektiven. Ich hatte absolut keinen Schimmer, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Darin war ich bestimmt nicht anders, als Hunderttausend andere auch. Vielleicht ahnte ich, dass das Schicksal beschloss, aus meinen Lebensfäden einen ganz neuen Teppich zu weben? Sicher ist, dass ich durch die Chats mit dem unheimlichsten Typen, den ich kenne, zum ersten Mal mein Schicksal akzeptierte, es in die eigenen Hände nahm und all die Fäden aus dem Teppich zupfte, die da nicht mehr hingehörten; es waren viele!

 

„Reiß dir die Masken vom Gesicht, zerfetze deine Hüllen und zerschmettere deine Hemmungen!“

Logisch, gefielen mir solche Ratschläge!

Logisch, war ich süchtig nach mehr!

Logisch, wollte ich alles sofort in die Tat umsetzen, auch wenn ich absolut keine Ahnung hatte, was damit gemeint sein könnte. Hätte ich es auch nur geahnt, ich hätte den Chat mit diesem Verrückten sofort beendet und mein eigenes Profil auf der Internetplattform gelöscht. Aber ich war von einer unstillbaren Neugier getrieben. So tat ich nichts dergleichen; ganz im Gegenteil!

Ich stieg auf ein verlockendes Angebot ein und betrat damit den teuflischsten Himmel, den ein sterbliches Unschuldslamm betreten kann.

Mein Leben und mein Tod – oder umgekehrt – sind fest mit zwei ungewöhnlichen Typen verbunden. Ich hätte von ihren Namen auf Probleme schließen müssen.

Vielleicht lud ich die Typen unbewusst in mein Leben ein?

Vielleicht hörten sie meine Verzweiflung?

Vielleicht war es einfach Zeit, dass ich erwachte?

War der erste der beiden Typen ein Verführer, verliebte ich mich in den zweiten bis über beide Ohren. Damit änderte sich fast augenblicklich alles und nichts war danach mehr so, wie es sein sollte. Traue niemandem vollkommen, egal, wie moosgrün, stahlblau oder golden seine Augen sind; sei sofort auf der Hut, wenn dir jemand schmeichelt; und glaube nichts, was du nicht selbst aus tiefstem Herzen als richtig und wahr empfindest. Ich hielt mich nicht daran.

 

Ach so: Mein Name ist Martin Holmström, doch alle nennen mich einfach Bux. Das kommt daher, weil ich als Kind ein Rotzlöffel war und ständig in Schwierigkeiten geraten bin, genau wie dieser schwule Zeichentrickfilmhase Bugs Bunny. Mein bester Freund, den ich Curly nenne, verglich mich schon im Sandkasten mit dem Langohr mit der großen Klappe.

Doch der großmäulige Bux verwandelte sich mit dem Eintritt in die Pubertät in einen gehemmten Feigling. Warum?

Ich realisierte, dass ich schwul bin. Dummerweise erwachte aus dieser Erkenntnis kein Held in mir. Ich wurde verletzlich und angreifbar. Den Sprung über die Klippe gesellschaftlicher Vorurteile schaffte ich nicht und das, obwohl heute – zumindest direkt, so von Angesicht zu Angesicht – mich deswegen keiner mehr verurteilt hat. Doch Theorie ist eben nicht die tägliche Praxis – schon gar nicht an Schwulen oder hinter ihrem Rücken!

 

Im Oktober vor meinem achtzehnten Geburtstag lernte ich über einen Internet-Chat den Mann kennen, der mir alles eingebrockt hat, was folgte. Das liegt ziemlich genau eineinhalb Jahre zurück. Er nannte sich Dionysos, nach dem griechischen Gott der Ekstase, des Rausches und der Wiedergeburt. Da mich mein Opa oft als einen Dionysos beschimpfte, war meine Neugier sofort geweckt. Selbst nach Wochen regem Austausch kannte ich weder Dionysos‘ Alter, noch wusste ich, wie er aussah, noch wo er lebte. Wir chatteten nur nachts und nur in Englisch über eine Internetplattform. Er sprach niemals über sich; es ging in allen Chats ausschließlich um meine Wünsche, meine Probleme und meine Träume.

„Junge“, ermutigte er mich immer wieder, „umarme das Leben und erfreue dich am Lebendigsein! Es gleicht einem Rausch. Genieße diese Verzückung! Reite auf ihrer Hitze und tanze zu ihrem Vergnügen. Vergiss dein Ego! Vergiss deine Vorurteile und deine Hemmungen! Junge, sei was du bist und das ganz und gar!“

Als ich Dionysos daraufhin stolz schrieb, dass ich mich hemmungslos betrunken hätte, um mich frei und lebendig zu fühlen, war er stocksauer. Dionysos drohte mir, falls ich diesem Kinderkram nicht augenblicklich abschwöre, er seine Zeit nicht weiter mit mir verschwenden würde. Lebensfreude und das wahre Lebendigsein erwachse aus dem Herzen und komme niemals aus einer Flasche, einem Qualm oder einer Pille.

„Aber alle frönen diesem Kinderkram!“, meckerte ich.

Falls ich wie andere sein wolle, dann würde ich niemals die Tiefen meines Wesens ausloten. Flaschengeister wären Gefangene ihrer Flaschen,

das sollte ich niemals vergessen.

„Junge, erkenne dich selbst, und du wirst die Welt der Götter erkennen“, schrieb mir der Typ mit dem mythologischen Spitznamen. „Wie ein Magnet ziehen wir sie an und werden selbst von den Göttern angezogen. Wir lassen den Himmel weinen und die Erde jubeln; und wie kostbare Edelsteine tragen wir in unserem Herzen die Tränen aller Wesen, um sie in Lächeln zu wandeln. Gott stirbt in uns; in uns steht er wieder auf.“

Dionysos war es auch, der mir zu diesem geheimen Tagebuch riet. Ich solle alles aufschreiben, denn viel zu schnell würden wir vergessen, was uns das Leben schenkt. Unentwegt provozierte mich der ungewöhnliche Mann, über mich selbst hinaus zu wachsen, meine Grenzen und die gesellschaftlichen Konventionen zu erkennen, um sie mutig zu überschreiten. Ich solle meine geistigen Flügel entfalten und mutig und abenteuerlustig das Leben mit all seinen Überraschungen akzeptieren und leben.

Aber Dionysos war ein Mann voller Widersprüche. So philosophisch und klug er schrieb, so seltsam erschienen mir andere seiner Macken. Immer forderte er mich auf, mich auszuziehen, während wir per Computer kommunizierten, was ich aber niemals tat – ich bin ja nicht verrückt!

 

Aus dem anderen Typen, der mein Leben auf den Kopf stellte, wurde ich genauso wenig schlau. Zur gleichen Zeit, wie ich mit Dionysos chattete, träumte ich Nacht-ein-Nacht-aus von ihm und traf ihn in immer neuen Versionen des gleichen Traums. Auch mit diesem Typen sprach ich ausschließlich Englisch, er mit stark schottischem Akzent. Der Ort unserer nächtlichen Begegnungen waren diverse Reisebüros. Warum ich mich mit ihm immer über mein Schicksal unterhielt, entzieht sich meiner Kenntnis. Er verwob es mit Los Angeles, obwohl ich in London landete.

Der Teenager nannte sich Seth, was bestimmt ein Spitzname oder eine Abkürzung war. Seine Haare waren rot oder manchmal rotblond; seine Haut oft weiß, doch ebenso oft sonnengebräunt; mal zählte ich siebzehn Sommersprossen über seiner Nase und seinen Wangen, ein andermal unzählige oder aber kaum welche, wenn seine Hautfarbe dunkler wurde. In seinen moosgrünen Augen ertrank ich in schottischen Hochlandseen, denn ein geheimnisvolles Glitzern sog mich regelrecht in ihre Tiefen. Trotz seiner Jugend strahlte Seth Macht und Weisheit aus. Sein Körper war muskulös, aber so geschmeidig wie der eines Schakals. Ich verliebte mich unsterblich in diese Traumfigur.

Erst fallen die Hüllen

Heute ist der siebte Februar und ich muss eine sehr wichtige Entscheidung treffen. Ich ahne, dass sich danach alles abermals vollkommen verändern wird. Ich ahne, dass ich wieder nach London muss! Will ich das wirklich? Es ist seit meiner ersten Begegnung mit Dionysos und Seth viel Zeit vergangen. Auf meinem Bett herumlungernd, stöbere ich durch die Seiten meines geheimen Tagebuches. Ich muss mir Klarheit verschaffen, wozu ich alles von Anfang an nochmals durchlese. Bin ich danach noch immer überzeugt, konfrontiere ich die beiden Typen, denen ich alles verdanke.

So begann es vor bald eineinhalb Jahren:

Donnerstag: 20. Dezember

„Junge, Geschenke tauchen plötzlich und in Verkleidung auf“, schrieb mir Dionysos bei einem unserer Internet Chats. „Zögere nicht, sie zu akzeptieren. Packe sie aus! Nur hüllenlos offenbart sich dir die Welt. Hüllenlos musst du ihr begegnen.“ Wie prophetisch seine Worte waren, verstand ich erst viel später.

Dionysos kündigte mir an, mich in die Mysterien des Lebens einzuweihen; teils in Träumen, teils durch alltägliche Erfahrungen. Ich solle mir alles in mein geheimes Tagebuch notieren. Die erste Prüfung würde morgen, mit der Nacht auf meinen achtzehnten Geburtstag, seinen Anfang nehmen.

Ich hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte und natürlich glaubte ich diesem Internet Freak kein Wort! Vielleicht ahnte er es? Vielleicht prüfte er mich? Vielleicht war er mir auch einfach überdrüssig geworden? Seine Ankündigung mit der Traumeinweihung war das Letzte, was ich von ihm hörte. Dionysos löschte sein Internetprofil und verschwand aus meinem Leben. So glaubte ich. Was war ich naiv!

Freitag: 21. Dezember

In der kommenden Nacht auf meinen achtzehnten Geburtstag hatte ich meinen ersten Traum, der anders war, als alle meine bisherigen. Er begann als belangloser Albtraum. Erst kapierte ich es nicht, denn ich stand, wie schon etliche Male zuvor, in einem Reisebüro, doch diesmal schien es sich in Los Angeles zu befinden, dem Ort, der für mich offensichtlich wichtig ist.

Seth saß hinter einem wuchtigen Pult und trug eine verspiegelte Sonnenbrille und eine Art Tunika oder einen Chiton, was ziemlich schräg aussah, ihm aber hervorragend stand, nicht zuletzt deswegen, weil das weiße Tuch nur an den Schultern durch Spangen zusammengehalten wurde, seitlich aber interessante Einblicke bot. Seth war barfuß, als er um sein Pult herumkam, um mir beide Hände zur Begrüßung zu schütteln.

„Holmström, bist du bereit?“

Mir fiel auf, wie seine roten Locken vom Wind eines Deckenventilators zerzaust wurden. Wie meist im Traum war ich mir meines eigenen Körpers kaum bewusst.

„Hüllenlos offenbart sich dir die Welt“, leckte sich der junge Schotten seine Lippen. „Hüllenlos musst du ihr begegnen. Holmström, du hast es kapiert!“

Ich hatte nur Augen für seinen Griechen-Look.

Seth langte nach meiner rechten Hand und führte mich an neun Pulten vorbei, hinter denen neun Frauen saßen, die entweder in Prospekten blätterten oder sich Notizen auf Schriftrollen machten. Drei von ihnen fielen mir speziell auf, denn sie folgten mit ihren Blicken jeder meiner Bewegungen. Die exotischste der drei hatte ihr schwarzes Haar mit einem feuerroten Seidenband hochgebunden. Auch wenn ich nicht auf Frauen stehe, verzauberte mich ihr Wesen sofort. Sie musste ein Model sein, denn keine Reisebüroangestellte trägt derart hohe High Heels und definitiv kein blutrotes Abendkleid.

„Darling, falls du die heutige Nacht überlebst, sehen wir uns wieder!“, flötet sie mir mit portugiesischem Akzent zu und nickte zu ihrer Kollegin, die bestimmt schon achtzig war.

„Er ist stark. Er ist potent. Sein Licht leuchtet hell!“ Die uralte Diva klatschte in ihre Hände und drehte sich auf ihrem Bürostuhl einmal um die eigene Achse. Ein Saphir funkelte zwischen Brillanten an einem königlichen Halsband. Ihr weißes, kunstvoll frisiertes Haar verlieh ihr etwas zeitlos Majestätisches.

Noch immer schenkte ich meiner eigenen Erscheinung keinerlei Beachtung.

Die dritte Frau trug ein altmodisches Kleid, wie es zur Zeit der Prohibition in Amerika in Mode war, mit Federkragen, dazu bestimmt eine Million Perlen auf langen Schnüren aufgefädelt. „Bewährst du dich, werde ich dich küssen!“, säuselte sie.

„Kaliope“, zeigte Seth auf die Brasilianerin. „Klio“, wiederholte er die Geste bei der Diva „und Thalia“, bei der Perlenfrau.

Ich verneigte mich, da mir ein ordinäres Händeschütteln einfach undenkbar erschien. Kaum senkte sich mein Haupt, dass ich erst meinen Bauch sehen konnte, dann … Meine Knie sackten unter mir weg. Gefällt kauerte ich auf meinen Fersen, um mich mit beiden Händen krampfhaft zu bedecken. Angstschweiß verklebte meine Sicht auf die neue Realität.

„Junge!“, schwebte die uralte Diva um ihr Pult. „Falls du der bist, der du sein könntest, müsste ich mich vor dir niederwerfen!“

Noch kümmerlicher verbarg ich meine Nacktheit, bis Klio statuenhaft und unsterblich sich vor mir auftürmte: „Steh auf!“, befahl sie. „Oder entferne dich aus meinem Umfeld!“

Eingeschüchtert hastete ich auf meine Füße, achtete aber geschickt darauf, meinen potenten Stolz weiter zu verbergen.

„Darling“, zwitscherte die Brasilianerin, „lass dein Licht leuchten und dein Körper sein Tempel sein.“

„Hier“, reichte mir Seth einen Lappen in der Größe eines Taschentuchs, den ich mir rasch um die Hüften band.

Klio, Kaliope und Thalia zwinkerten sich gegenseitig zu, was Seths Zeichen war, mich aus dem Reisebüro in einen wartenden Kleinbus zu führen. Die Hitze Südkaliforniens buk die Welt und Smog vernebelte meine Sicht. Im Bus warteten vier weitere Kandidaten. Ein jeder von ihnen war männlich und nackt, wie ich zuvor, nur dass es den vieren nichts auszumachen schien. Verklemmt hockte ich mich zwischen sie. Keiner sprach.

Seth setzte sich hinters Steuer und die teuflischste Sight Seeing Tour durch Los Angeles nahm ihren Anfang. Er ignorierte jede Ampel und jagte mit uns Richtung Norden zu den Santa Monica Hills. Ich klammerte mich am Sitz fest und überprüfte ständig meinen Sicherheitsgurt. Falls du die heutige Nacht überlebst, küsse ich dich! Endlich parkte Seth den Wagen am Strand und fünf Überlebende torkelten ihm über einen Pfad der Küste entlang hinterher. Vor einer Höhle sprach er: „Einzeln werdet ihr den Tempel betreten. Nur wer den Weg in den Hain findet, wandelt weiter auf dem Pfad der Götter. Wer stirbt, vergisst.“

Einzeln tippte er uns an der Schulter an; einzeln betraten wir die Höhle. Ich war der Letzte. Stumm forderte Seth den Waschlappen zurück. Potent, wenn auch nicht stolz darauf, drehte ich mich von Seth ab, um mein Verderben in der Höhle zu fokussieren.

Meine sichtbare Erektion geißelte mich mehr, als jedes Monster, das sich auf mich stürzen könnte. Mir war egal, wenn ich morgen in meinem Bett erwachen und mich an nichts der Peinlichkeiten erinnern könnte. Insgeheim hoffte ich zu versagen. Ich sehnte das Vergessen herbei. Doch statt Dunkelheit züngelte das Licht eines neuen Tages und verdrängte immer heller werdend jeden Schatten, jeden Schutz im Kuppeldach, das sich als Höhleninneres offenbarte. Knöcheltief versank ich bei jedem Schritt im Sand. Es gab keine Verstecke. Weder mutig, noch stolz, sondern gebückt und ängstlich, schlich ich an der Wand entlang. Nur fort aus dem Zentrum mit diesem Licht! Ein Riss in der Wand, nur ein paar Schritte von mir entfernt, nutzte ich als Versteck. Kaum im Spalt, plumpste ich einfach durch ihn hindurch in eine andere Welt.

Moosbewachsen wand sich eine Steintreppe durch einen Wald den Berg hoch. Die erste Stufe begann genau an dem Ort meines Auftauchens. Wo meine Füße gerade noch durch heißen Sand in dieser Kuppelhöhle schlichen, fühlte ich jetzt das weiche Moos, Blätter und kühle Erde unter meinen Sohlen. Aus Efeu bastelte ich mir einen Kranz und band ihn mir um die Hüften. Etwas bedeckt, pfiff ich ein Liedchen und begann mit dem Aufstieg durch diesen Wald.

 

Vieles, was ich während dieser ersten Einweihungsnacht träumte, war skurril und beängstigend. Ich kannte weder eine Klio, noch eine Kaliope oder eine Thalia. Was, wenn mir der Vamp mit den Perlenketten in einem nächsten Traum auflauert? Immerhin will sie mich küssen, jetzt da ich überlebte. Da ich mich noch an jedes peinliche Detail erinnern kann, muss ich den Test bestanden haben. Der Traum ergab keinen Sinn, dennoch ahnte ich, dass der Aufstieg in jenem Wald der Anfang einer gefährlichen Reise war: die ersten Schritte in ein neues Leben.

Ich tappe in die erste Falle

Dienstag: 14. Mai

Einige Monate nach meinem achtzehnten Geburtstag und dem Albtraum mich splitternackt in einem Reisebüro zu befinden, rief mich Curly, mein bester Freund, ganz aufgeregt an: „Bux fliegst du mit mir nach London zum diesjährigen World Naked Bike Ride? Ich muss da hin!“

„Aber sonst tickst du noch richtig?“

Mein bester Freund klärte mich über Sinn und Zweck der Aktion auf und wurde immer enthusiastischer.

„Ich werde niemals nackt auf einem Fahrrad durch Londons Innenstadt kurven, um mich von Zehntausend Voyeuren und Schaulustigen angaffen zu lassen. Hast du sie noch alle?“ Curly wusste nichts von meinem Initiationstraum. Traum ist Traum; Realität ist Realität! Das glaubte ich damals noch.

„Alter, du kannst auch ne Unterhose oder sogar ne Badehose anbehalten. Die Veranstalter sind tolerant: So nackt, wie du dich getraust!, lautet das Motto. Ich fliege! Komm mit!“

 

Logisch habe ich mich für Tage gewunden und tausend Ausreden erfunden. Doch Curly wollte nach London, er wollte es unbedingt und ich, als sein bester und ältester Freund, sollte ihn begleiten. Um mich zu tarnen, färbte ich kurzfristig meine hellblonden Haare. Ich wollte nicht erkannt werden, sollten jemals Fotos von meiner Teilnahme am World Naked Bike Ride im Internet auftauchen. Mein Frisör versicherte mir, das Braun mit kastanienroten Strähnchen würde sich wieder rauswaschen.

Warum ich mich überreden ließ, schrieb ich meinem Albtraum zu. Vielleicht glaubte ich, in London eine Antwort auf meine erste Prüfung in die Mysterien des Lebens zu finden? Vielleicht hoffte ich, diesen Wald in England – gar in London – zu finden? Vielleicht war ich auch nur neugierig?

Samstag: 22. Juni

Einen Monat später flogen Curly und ich für das Wochenende nach London. Die Stadt küsste und streichelte mich, wie einen Liebhaber; ich erlag ihrem Charme. Ich vermute, das hat etwas mit unterbewussten Erinnerungen an frühere Leben zu tun; doch sicher bin ich mir da auch nicht. Für die beiden Übernachtungen fanden wir eine Herberge irgendwo in SOHO.

Curly hatte für uns Skibrillen, Baseball Käppis und Lederhandschuhe eingepackt, sozusagen als Partner-Look.

„Wozu die Skibrille?“

„Alter, so bleiben wir anonym, wenn uns gleich Tausende fotografieren werden.“

Ich zog mir die Skibrille an und setzte mir das Käppi auf. Meine gefärbten Haare schauten darunter hervor, was ganz cool wirkte. Curly mit seinen krausen Naturlocken wirkte wie ein Clown; die Skibrille rundete das Bild ab. Als Curly in unserem Hotelzimmer aus seinem Hemd schlüpfte, schluckte ich leer. Während er strippte, zog ich über mein dunkelblaues Tank Top noch ein giftgrünes Kapuzenshirt. Dann rutschte seine Jeans auf seine Zehen und der Flitzer gaffte sich im Spiegel neben mir stehend an. „Und?“, boxte er mich. „Traust du dich auch?“

Ich schüttelte stumm meinen Kopf.

Schultern zuckend befreite sich Curly von seiner Boxershorts, schnappte sich die Lederhandschuhe und zog sie sich an. Das wirkte echt sexy. „Jetzt du! Nur für mich?“

Ich konnte schon immer stur sein. Aber es war nicht nur das, ich war einfach ein Feigling. Als eine männliche Jungfrau war ich leicht erregbar und total verklemmt. Trotz Curly‘s Drängen, zog ich mir nicht mehr als meine Jeans aus und präsentierte meine neue Badehose.

Ich sah meinen Hetero-Kumpel oft im Sport nackt, doch jetzt war es anders. Sein jungenhafter, haarloser Körper mit dem zurechtgestutzten Busch, löste Panikattacken in mir aus.

„Bux, hast du ne Latte?“

Meine Badehose verbarg leider nichts.

„Stehst du auf mich? Willst du mich ficken?“ Erst als er schallend loslachte, weil ich immer röter und das Ding in meiner Hose immer härter wurde, entspannte ich mich etwas.

„Nackt wirst du mich heute nicht sehen!“, versprach ich.

 

Ich war nicht der einzige Teilnehmer, der eine Bade- oder eine Unterhose während der Flitzer-Radtour durch Londons Innenstadt trug – doch ich war der einzige mit meinem Kapuzenshirt über einem Tank Top. Alle anderen waren oben-ohne. Die meisten hatten sich ihre nackten Oberkörper mit Slogans gegen die Ölindustrie und die Abhängigkeit von Autos aufgesprayt. Doch da gab es auch echte Paradiesvögel, die vollkommen gold oder silbern bemalt waren und dazu noch auffallende Perücken oder Hüte trugen oder wahre Body Painting Kunstwerke.

Curly verzichtete bald auf alle mitgebrachten Partner-Look-Sachen und fuhr die ganze Strecke nur in den Lederhandschuhen. Er genoss seinen Exhibitionismus. Jedes Mal, wenn sich unserer Blicke in all den nackten Radfahrer trafen, lachte er, schnitt eine Grimasse oder winkte mir mit seinem Pimmel.

Am Piccadilly Circus schienen die Ampeln extra lange auf Rot zu stehen, damit die wartenden Touristen Zeit fanden, Souvenir Fotos zu schießen. Dort sprach mich ein junger Engländer mit zerzausten Haaren an. Pimlico, wie ich ihn fortan nannte, blieb ab da die ganze Strecke an meiner Seite. Er war Nudist; er verbarg sein Gesicht nicht durch eine ulkige Skibrille wie ich.

 

Einige Stunden später, am Ziel am Wellington Arch, Ecke Hyde Park, trudelten immer mehr der nackten Radler ein. Sie kamen aus verschiedenen Richtungen und drängten sich in den Hyde Park. Wenige zogen ihre Klamotten wieder an, die Meisten blieben nackt und ließen sich fotografieren; wie auch Curly und Pimlico. Immer wieder zog der eine oder der andere mich mit sich zu einer neuen Fotografengruppe, um sich mit fremden Girls, Chinesen oder alten Typen im Arm ablichten zu lassen.

Zum Glück blieb mein Penis schlaff. Entweder hatte ich mich an den Anblick all der nackten Jungs und Männern gewöhnt oder es kam daher, dass mindestens genauso viele nackte Frauen unterwegs waren; ihre Gegenwart raubte dieser Veranstaltung für mich jeden sexuellen Reiz. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass dies ein Treffen von Nudisten war. Hier trafen sich Nackte jeden Alters, jeder Hautfarbe und beiderlei Geschlecht. Es gab viele hässliche, fette, dünne, große und kleine Menschen, gut aussehende wie auch auffallend viele Teenager und Studenten, die immer in Gruppen zusammen blieben. Es gab buntbemalte Exoten, genauso wie Verklemmte, die ihre Badehosen niemals auszogen. Niemand scherte sich darum. Jeder zelebrierte sich selbst und das, wie er wollte.

Pimlico nahm mir meine Skibrille und das Käppi ab, um beides selbst einmal aufzusetzen. Als er danach mit Curly bebrillt posierte, lachten wir wie die Kindsköpfe. Nur weil es ein wirklich heißer Tag war, zog ich mein Kapuzenshirt im Hyde Park aus. In meinem Tank Top und der Badehose trug ich viel mehr als die meisten und nicht weniger als am Strand.

 

Dann tauchte ER auf: ER war etwas kleiner als ich – gut, ich war schon damals groß! Seine Haut war leicht gebräunt und vollkommen haarlos. Seine Figur glich der eines Tänzers oder eines Läufers. ER war muskulös, aber geschmeidig wie ein Schakal. Seine Hüften erschienen schmal, doch das konnte auch nur so aussehen, weil er ziemlich breite Schwimmerschultern hatte. ER war kompromisslos nackt, bis auf eine verspiegelte Sonnenbrille, die auf seiner Stirn dazu diente, seine lockigen, hellroten Haare nach hinten zu zwingen. ER war mit Abstand der schönste Mann, dem ich jemals begegnet war.

Augenblicklich verliebte ich mich in die siebzehn Sommersprossen über seiner Nase und seinen Wangen. Als die Sonne in seine moosgrünen Augen schien, verwandelten sie sich in schottische Hochlandseen mit glitzernder Oberfläche.

Dann realisierte ich es – und das war das Verrückteste – ich kannte ihn. ER war der Junge aus meinen Reisebüro-Träumen. ER beriet mich nächtelang über meine Traumdestination Los Angeles. ER war mein Traummann. ER war meine heimliche Liebe. ER war die Quelle all meiner Sexfantasien. ER war der halsbrecherische Busfahrer – ER war Seth!

Jetzt, da ich ihn lebendig vor mir hatte, war ich sicher, ihn noch niemals zuvor im Wachzustand gesehen zu haben. Einen so schönen Mann hätte ich niemals übersehen, nicht mal, wenn er dick in Winterbekleidung gehüllt gewesen wäre. Augenblicklich passierte das, was ich bis jetzt glücklicherweise verhindern konnte: meine Badehose dehnte sich viel zu arg.

Je näher ER kam, desto unwirklicher erschien mir alles außer ihm. Mich überrollte sein Zauber. Der Trubel um mich herum verschwand. Erst verstummten die Menschen, dann der Autolärm im Hintergrund, dann das Vogelgezwitscher im Park und schließlich das Rascheln des Windes in den Baumkronen. Die Welt hielt den Atem an. Die Menschen wurden undeutlich, degradiert zu Statisten, die jetzt, genauso wie die Bäume, einfach nur noch rumstanden. Alles stand still.

Nur noch ER bewegte sich auf meiner persönlichen Bühne. Ich sah nur noch ihn. Ich hörte nur noch ihn. Selbst schweigend, flüsterte sein Atem mir Liebkosungen zu und sein Herzschlag wurde zum neuen Rhythmus in meinem Leben. Als ein einzelner Sonnenstrahl seinen Torso küsste, schimmerte er wie eine Goldrüstung. Ein Glücksgefühl, wie ich es noch nie erfahren hatte, lullte mich ein. Seine Präsenz inspirierte mich, entflammte mich und tötete mich.

„Junge, kannst du dich seitlich so posieren, dass deine Erektion sich härter im Gegenlicht abzeichnet?“

Ich hörte die Männerstimme, kapierte aber nicht.

„Seth!“, rief dieselbe Stimme. „Dieser geile Bock ist reif!“

Ich beobachtete, wie der schönste Mann der Welt auf mich zu kam, lächelte und damit das Licht der Sonne in den Schatten stellte. Er berührte mich. Die Glut seiner linken Hand brannte sich tief ins Fleisch meiner Hüften, als er mich fordernd an sich zog. War ich erst verzaubert, unterlag ich jetzt seinem Bann.

„Perfekt!“, lobte abermals die Männerstimme.

Ich sah zu Seth und chantete seinen Namen einem Hymnus gleich, während seine Hand tiefer rutschte. Nichts war mehr wichtig, bis auf sein Verlangen, mich zu besitzen. Längst taumelte ich in himmlischem Entzücken und frohlockte wie eine dämliche Jungfrau. Ich lauschte Himmelschören und fernem Donnern. Ich glaubte, Schmetterlinge zu sehen, die zu Hunderten herbeieilten, um mit ihren bunten Körpern eine Krone auf Seths Haupt zu bilden. Ich ignorierte Curly‘s Lachen genauso wie die weiteren Anweisungen der Männerstimme:

„Weihe das Früchtchen ein!“

Ich sah in seine Augen und ertrank im Ozean neuer Hoffnungen. Er zwinkerte mir zu und ich öffnete sabbernd meinen Mund. Wie hellrosa seine Lippen, wie weiß seine Zähne waren!

„Jetzt!“, befahl der Fotograf.

Seths rechte Hand packte nach der Beute, die sich ergab.

Er will mich? Er liebt mich! Er begehrt mich? Tausend Gebete hauchte ich zu tausend Göttern: Nimm mich! Nimm mich! Als mir Seth meine Badehose runterriss, dass sie mir bis zu den Zehen rutschte, japste ich tausend stumme Dankesgebete. Ich vergaß, wo ich war oder was Seth gerade mit mir machte. Linkisch kratzte ich seine Brust. Seine Haut war sanft und seine Muskeln hart. Ich gab jeden Widerstand auf, ließ die Zugbrücke herunter und verbrannte die Wehranlagen. Meine innere Burg wurde erobert, zerfiel zu Staub. Irgendwann hörte ich das Quietschen der Himmelspforten, die sich endlich für mich öffneten, um ihren verlorenen Sohn heim zu locken.

Ich explodierte.

Seths Hand verschwand. Er schüttelte sie und etwas spritzte davon in den Rasen ab. Er grinste, boxte mir in die Rippen, brannte mir sein Zeichen mit einem Kuss auf meine rechte Wange und verschwand ohne ein einziges Wort im Hyde Park.

 

„Alter?“, schüttelte mich Curly an den Schultern und sah, vor mir stehend, zu mir hoch. „Hast du gerade abgespritzt?“

„WAS?“, gaffte ich meinen Schulfreund schockiert an. Mit Seths Verschwinden, tauchte leider die reale Welt wieder auf.

„Ist das Schweiß?“, zeigte Curly nach unten.

Es knallte. Das Schloss der Himmelstore rastete wieder ein und die nackte Realität erschlug mich. Augenblicklich verwandelten sich die bewegungslosen Statisten zurück in schaulustige Voyeure, Fotografen und lachende Zeugen.

„Das war echt geil!“, lobte die Männerstimme, die ich vorhin wahrgenommen hatte. „Junge! Junge! Was für ne Show!“

Als Curly weiter auf meine Erektion starrte, realisierte ich langsam, was wirklich passiert war. Traumatisiert zog ich mir ungeschickt die Badehose wieder hoch und verbog mich, um den noch immer gezückten Kameras, die schamlos alles dokumentierten – als ob es ihr Recht sei – auszuweichen.

„Ich bin Wilton“, legte der Mann, seine Hände von hinten auf meine Schultern. „Darf ich dich zu einem Drink einladen?“

Nur langsam taumelte ich aus dem Delirium meines Sexrausches wieder in die Wirklichkeit zurück. Wilton dürfte so Mitte Dreißig sein, ein typischer Engländer in dunkelblauem Nadelstreifenanzug, Kurzhaarfrisur und steifem Benehmen. Er sah gut aus. Ich wollte sein Angebot schon ausschlagen und flüchten, als er sagte: „Seth ist schon ein verdammt scharfes Teil, doch du!“, gaffte mir der Anzugstyp auf meine klebrige Badehose, „Junge, du bist saftig!“

Ich klammerte mich augenblicklich an diesen Strohhalm Hoffnung. Dieser Geschäftsmann kannte Seth!

„Seth arbeitet für mich als Koch in meinem Hotel hier in London. Soll ich ihn dir vorstellen?“

„Hier!“, streckte mir Pimlico seine Visitenkarte entgegen, bevor ich mit Wilton losziehen konnte. „Falls wir uns später verpassen sollten.“

Reale Träume und imaginäre Wirklichkeit

Da es im Pub, in das mich Wilton mitnahm, viele Nackte gab, scherte mich mein Aufzug nicht wirklich; ich hatte mich tatsächlich daran gewöhnt, nicht mehr als eine Badehose und ein Tank Top in der Öffentlichkeit zu tragen. Wilton entpuppte sich als interessanter Gesprächspartner. Immer mehr glich Wilton jenem Dionysos, der kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag sein Internetprofil gelöscht hatte. Da mich Wilton ausnahmslos Junge nannte, obwohl ich mich ihm als Martin Holmström und ebenso als Bux aus Basel vorgestellt hatte, verhärtete sich mein Verdacht. Wilton wich all meinen Fragen, ob wir uns aus einem Internetchat kennen würden, aus.

„Ich hätte schwören können, dass du …“

Was denn Realität sei, fragte mich Wilton, als ich zum wohl fünften Mal versuchte, mir darüber Klarheit zu verschaffen, ob er nicht doch noch eine geheime Identität besitzen würde. Da ich seit der Begegnung mit meinem Traummann nicht mehr sicher war, was ich noch glauben sollte, zuckte ich nur mit der Schulter. „Realität? Keine Ahnung!“

„Junge, alles, was dich zu einem besseren Menschen macht, ist real“, blickte mir Wilton in meine Augen. „Alles, was dich über dich selbst hinauswachsen lässt, ist real. Alles, was dein Herz für die Wunder deines wahren Wesens öffnet, ist real; vollkommen egal, ob es sich dabei um ein Buch, einen Film, einen Traum, das zufällige Flüstern auf der Straße oder ein Erlebnis in deinem Wachzustand handelt. Nutze alles, was das Leben dir zu bieten hat, um über dich selbst hinauszuwachsen. Das, mein Junge, bist du dir selbst schuldig!“

„Du bist es doch!“, boxte ich Wilton kumpelhaft in die Seite, doch er winkte nur ab.

„Junge, lerne aus deiner Vergangenheit, doch halte dich nicht an ihr fest. Du kannst nur das als wahr und wahrhaftig erkennen, was dein Bewusstsein zulässt.“

Nach weit über zwei Stunden verabschiedeten wir uns. Ich war so froh, Dionysos wieder getroffen zu haben, selbst wenn Wilton es auch bis zuletzt abstritt.

Das Geschenk, das ich niemals sein wollte

Samstag: 21. Dezember

Seit jenem 22. Juni im Hyde Park ist viel Zeit vergangen. Meine Haare sind wieder so hellblond wie eh und je, was mir die Illusion schenkt, jener peinliche Zwischenfall würde sich auch bald restlos aus meinem Leben rausgewaschen haben. Leider träumte ich nie mehr von Seth. Ich befürchtete, da ich ihn jetzt im realen Leben kannte, sollte ich ihn künftig dort treffen und nicht in Reisebüros irgendwelcher Traumwelten.

Heute ist mein neunzehnter Geburtstag. Genau vor einem Jahr hatte ich meinen Initiationstraum in Los Angeles gehabt. Ob auch diese Nacht speziell sein sollte? Wie sehr mir Dionysos mit seinen verrückten Ideen fehlt, wurde mir bewusst, als ich mich in mein Bett legte und die Zimmerdeckte anstarrte, bis ich einschlief und sofort in einer anderen Welt wieder erwachte:

 

„Happy Birthday, Martin!“, winkte mir der Lover meines Vermieters zu. Offensichtlich bewohnte ich in diesem Traum in der Altstadt eine Mansardenwohnung. Als mir auch der Hausbesitzer zum Geburtstag gratuliert hatte, boxte mir sein Lover in die Seite. „Bist du nervös?“

Ich schien gerade geduscht zu haben und durch den Lärm von Möbelrücken auf die Dachterrasse gelockt worden zu sein. Ich trug nur einen Bademantel. Die verglaste Dachterrasse war jetzt schon schwül eingeheizt. Der Hausbesitzer verließ uns.

„Bux, ich hätte mir längst Mut angetrunken“, verriet mir der vielleicht dreißigjährige Lover des Älteren. „Aber bei deinem Aussehen, ist es etwas anderes!“

Was mein Aussehen damit zu tun haben sollte nicht nervös zu sein, verstand ich nicht. Ich fand nie, dass ich gut aussehen könnte. Bis vor wenigen Monaten plagten mich Pickel, dazu kam, dass ich während meiner Pubertät eine schlaksige Bohnenstange war. Ich sah mich selbst noch immer als peinliche Figur, trotz regelmäßigem Bodybuilding Training.

„Hätte ich deine Figur, ich würde es vielleicht auch wagen.“

„Was denn?“, inhalierte ich seine Komplimente.

„Die Show und die Geschichte mit den Wünschen! Dionysos versteht es, ausgefallene Partys zu organisieren.“

„Hoffe ich doch!“, tat ich so, als ob auch ich eingeweiht sei.

 

Am frühen Nachmittag begann die Party. Als erster Gast traf mein Bodybuilder Trainer ein, ein Typ mit Oberarmen, so dick wie mein Oberschenkel. Sein Mund wirkte zu groß, wie auch seine Ohren, die leicht abstanden, doch sie verliehen ihm etwas sehr sympathisches. Ich nannte ihn nur Coach. Sein rechter Oberarm wurde von diversen Tattoos geziert, doch da gab es auch noch einen Marienkäfer auf seiner linken Pobacke und einen Delfin über seinem Penis, sozusagen als Schamhaarersatz. Diese Tierbilder passten überhaupt nicht zum bulligen Muskelmann. Weil mir Coach beim Training assistierte, duschten wir auch gelegentlich zusammen.

„Bux, ich wusste immer, dass du mutiger als andere bist!“

„Ja, ja! Klar doch!“, spottete ich. Ich war ein Feigling.

„Du wirst es wirklich tun?“

„Eine Idee von Dionysos?“, spielte ich mit.

„Hier!“, langte Coach in seine Trainingshose und reichte mir ein zerknittertes Stück Papier mit der Party-Einladung.

Neugierig begann ich zu lesen: Erkenne dich selbst, und du wirst die Welt der Götter erkennen. Deine Wünsche öffnen dir die Tür; doch nur der Mutige erfüllt sie sich. Offenbare Freude; vertreibe Angst; springe über deinen Schatten, um im Licht deiner Erleuchtung zu stehen. Das ist das Geheimnis. Das ist das Mysterium des Dionysos!

„Sehr poetisch!“ Meine Augenbrauen schnellten in die Höhen, denn das dicke Ende folgte: Martin Holmström träumt davon, sich selbst zu entdecken. Sein Geburtstag dient ihm als Visionssuche. Jeder Hinweis könnte ihm helfen, das Mysterium des Dionysos zu realisieren. Seine geheimsten Wünsche könnten auch deine eigenen sein. Blicke deshalb in dein Herz und schöpfe aus dem Vollen.

„He?“, grunzte ich. Martin ist ein Träumer. Hilf ihm! Lass deine Fantasie spielen. Martin wird an seinem Geburtstag geheime Wünsche erfüllen. Ich schluckte leer. „Coach, du hast aber nicht wirklich geheime Wünsche an Dionysos abgeschickt?“

„Bux, aus dir wird mal etwas ganz Besonderes“, nickte er.

 

Skater trug ein bauchfreies T-Shirt. Meist hing seine XXXL-Hose so tief im Schritt, dass seine Unterhose darunter vollkommen rausschaute – falls er überhaupt eine anhatte! Wir hatten einen geheimen Handschlag, eine geheime Umarmung und sogar eine geheime Art zusammen zu pissen. Wir kannten uns schon lange! Seltsamerweise hatten wir nie mit Sexspielchen experimentiert. Er hatte struppiges Haar und einen stetig lachenden Mund.

„Hier“, reichte mir Skater ein Geschenk, einen runden Button auf dem Novize stand. „Alter, was gaffst du so verwundert? Du bist noch kein Eingeweihter!“

Als ich mir den Button am offenen Hemd über meinem Tank Top befestigen wollte, klopfte mir Skater auf meine Hände: „Alter, doch nicht dahin!“ Er öffnete die Sicherheitsnadel des Ansteckknopfes, fasste nach dem Hosenstall meiner Jeans und schob seine Finger zwischen die Knöpfe. Das tat er so gezielt, dass er nicht nur meinen Hosenstall damit öffnete, sondern auch gleich noch mit seinen Fingern die Knöpfchen meiner Boxershorts überlistete und so meinen Penis berührte, während er seelenruhig den Button montierte.

 

Immer neue – fremde – Gäste trafen ein, die ich im Traum aber alle zu kennen schien. So auch Fokus und Abschlussballkönig.

Fokus war Hobbyfotograf. Weil er die letzten Jahre immer und alles mit seinen Objektiven fokussierte, nannte ich ihn bald nur noch Fokus. Er schwärmte für Aktaufnahmen und gabelte die letzten Jahre viele Weiber auf, die sich von ihm nackt fotografieren ließen. Ich wusste von ihm, dass er jedes Interesse an der Fotografie verloren hatte. Er steckte in einer Krise. Wie viele mit einer kreativen Blockade, war auch er auf der Suche nach einer Muse. Fokus war ein unauffälliger Typ mit Haaren, die wie das Fell einer Kanalratte aussahen.

Abschlussballkönig trug, wie immer, ein weißes Hemd zu einer dunklen Hose, dazu eine Seidenkrawatte und eine Schärpe um den Hosenbund in der gleichen Farbe wie seine ärmellose Weste. Weil er immer aussah, als ob er gleich auf einen amerikanischen Abschlussball aufbrechen müsste, nannte ich ihn auch so. Er schwärmte für den europäischen Film. In all seinen Lieblingsfilmen war mindestens einer der Schauspieler längere Zeit nackt zu sehen. Abschlussballkönig hatte viele Theorien darüber, die er mir nach den Kinobesuchen stundenlang intellektuell erklärte. In Wahrheit fand er es einfach geil, wenn Nackte in Szenen auftauchten, in der alle anderen voll bekleidet blieben.

 

Wenn ich heute, knappe zwei Monate später, diesen ersten Auszug vom Eintreffen meiner Gäste zu meiner Einweihungs-Geburtstagsparty nochmals durchlese, erstaunt es mich, wie detailliert ich mich an die Vorgeschichten meiner Gäste erinnern konnte. Keinem einzigen von ihnen war ich schon jemals zuvor begegnet. In meinem Leben kannte ich keinen von ihnen. Auch würde ich im realen Leben niemals nach dem Training mit einem Coach zusammen duschen. Ich duschte selbst nach dem Bodybuilding Training immer erst Zuhause. Mich nackt zu zeigen, war für mich absolut undenkbar. Ebenso würde ich mich niemals von einem Freund so ungeniert begrabschen lassen, wie das Skater bei mir tat. Sollte mir das alles eine Warnung sein, nicht auf dieses innere Drängen zu hören, das mich schon seit Stunden plagt?

Ich lese weiter in meinem geheimen Tagebuch und was damals im Traum passierte:

 

Als meine Geburtstagsparty in Schwung kam, rief mich ein über zwei Meter langer, dünner Typ mit platinblondgefärbten Haaren: „Pickelgesicht, hast du ein Bier?“ Der Typ trug eine schwarze Lederjacke, doch nichts darunter, dazu eine hautenge Jeans, Springerstiefel und schwarze Lederhandschuhe mit abgeschnittenen Fingerkuppen. Seinen echten Namen kannte ich so wenig, wie den aller anderen, doch jeder nannte ihn nur Long, was wahrscheinlich auf seine Körpergröße zurückzuführen war.

Ich führte Long zur Bar und langte nach der einzig übriggebliebenen Bierflasche in einem der Wassereimer, der bis oben mit Eiswürfeln gefüllt war. Während ich die Flasche an einem Handtuch abtrocknete, packte sich Long den Kübel Eiswasser und leerte mir den ganzen Inhalt über meinen Kopf.

„Mann, spinnst du, oder was?“, schimpfte ich prustend.

„Schlappschwanz!“, beschimpfte er mich. „Sieht so voll geil aus!“ Dabei starrte Long auf mein weißes Tank Top, das jetzt nass auf meiner Brust klebte und durchsichtig geworden war.

Am liebsten hätte ich Long den Inhalt eines weiteren Kübels in seine mit Mascara geschminkten Augen geschüttet, doch dazu hätte ich erst die diversen Weinflaschen rausnehmen müssen. Bis dahin wäre Long längst geflüchtet. Weil sich das nasse Zeug unangenehm anfühlte, zog ich mir Hemd und Tank Top aus, um beides vor dem Kamin zu trocknen – noch etwas, das ich im realen Leben niemals tun würde! Im Traum schien es mir vernünftig, mich auf einer Party oben-ohne zu bewegen.

„Bux, deine Jeans ist auch nass!“, hoffte Long auf mehr.

„Die trocknet, wo sie ist!“

„Nacktheit ist ein Geschenk!“, brachte sich Coach ins Gespräch ein. „Bux, beschenke uns!“

 

In meinem Schlafzimmer schälte ich mich aus der nassen Jeans und der Boxershorts darunter und grabschte nackt im Kleiderschrank nach Ersatz. Als ich hinter mir Schritte hörte, blickte ich mich um. Da stand ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Anders als bei meinen anderen Partygästen, erinnerte ich mich an keine gemeinsame Vergangenheit mit ihm. Der Fremde war etwas untersetzt, etwas zu dick, mit lockigen Haaren, einem gestutzten Vollbart und Klamotten, die gut zu einem Penner gepasst hätten.

„Ich bin gleich wieder oben!“, hoffte ich den Fremden zu verscheuchen.

„Junge, lass dir Zeit!“ Damit überschritt er die Schwelle in mein Schlafzimmer.

War dieser Typ Dionysos? Er hatte mich in den Chats immer Junge genannt. Blind Dates sind und bleiben Überraschungen! Einerseits freute ich mich über Dionysos Erscheinen, andererseits war ich enttäuscht, denn Wilton hätte mir als Dionysos besser gefallen.

„Mögen sich von deinen eigenen Wünschen die erfüllen, die dich weiter bringen. Die geheimen Wünsche deiner Gäste werden dir den Weg in die Zukunft ebnen. Nichts passiert zufällig. Vergiss das nie!“

Nervös und mir meiner Nacktheit bewusst geworden, kramte ich im Schrank, um nach etwas passendem zu suchen.

„Scheu?“, gaffte mir der Dicke auf meinen Hintern. „Nacktheit ist tatsächlich ein Geschenk! Geschenke muss du nicht nur annehmen können, sondern du solltest auch jederzeit bereit sein, dich selbst anderen zu schenken.“

Der Typ, der mich während jedes Chats aufgefordert hatte, mich auszuziehen, kam erstmals voll auf seine Kosten. Unsicher blieb ich wie ich war, drehte ihm aber weiter meinen Rücken zu. Der Fantasiename Dionysos passte gut zum kauzigen Typen, wie das Glas Rotwein in seiner linken Hand. Sein Äußeres war mir sofort so gleichgültig wie bei all unseren Chats; ich schätzte ihn wegen seiner Aussagen und Provokationen, der Mann dahinter, interessierte mich nie wirklich.

„Das Mysterium des Dionysos beinhaltet die Einweihung. Es wird Zeit für eine zweite.“

Verblüfft drehte ich mich um. Für den Moment hatte ich vergessen, dass ich noch immer nackt war.

„Novize, jede Einweihung verlangt das Loslassen von Altem. Betrete, befreit von allen Hüllen, das Unbekannte.“

Der Novizen-Button lag an meiner abgelegten Hose am Boden. Augenblicklich wurde mir mein Aufzug bewusst. Ich wirbelte herum, schnappte mir aus dem Schrank das erstbeste, was in Griffnähe lag: eine rote Baseball Cap, bedeckte mich damit, um Dionysos wieder zu fokussieren. Die Angst schärfte ihre Krallen. Doch wollte ich mich ihr stellen? „Wie mache ich das?“

„In dem du dich dem Unbekannten stellst“, labten sich Dionysos’ Blicke an meinem Aufzug. „Junge, wir alle tragen Masken. Wir alle schmücken uns mit Ansichten, Meinungen und Vorurteilen. Du kannst sie nicht bekämpfen, doch du kannst lernen, dich von ihnen zu befreien.“

„Wie?“ Jeder meiner Herzschläge prügelte gegen meine Brust, warnte mich und versuchte mir Vernunft einzuhämmern. Traue diesem Typen nicht! Er verführt dich! Dionysos tat nicht einmal so, als ob er meine Nacktheit einfach hinnehmen würde, um sie galant zu ignorieren, was mich schockierte, mir aber gleichzeitig schmeichelte. Ich hing längst in seinem Netz und klebrige Fäden fesselten mich zur Unbeweglichkeit.

„Ist Nacktheit wirklich ein Geschenk?“, würgte ich heraus. Die neuen Fesseln verdammten oder erlösten mich zum unschuldigen Opfer seiner Begierden. Ausgeliefert genoss ich seine Blicke. Als ich fühlte, wie mein Penis unter der Kappe anschwoll, schluckte ich leer, wendete mich aber nicht ab. „Dionysos ist doch auch der Gott des Theaters und des Schauspiels?“, überspielte ich meine Verlegenheit. „Gehören Verkleidungen und Masken mit zu seinen Mysterien?“ Meine Stimme klang wie die eines Zehnjährigen, während mein Körper immer deutlicher seine Reife demonstrieren wollte.

Der Mann, der sich spaßeshalber selbst nach einem griechischen Gott nannte, sah mich herausfordernd an. „Alles beginnt mit der Läuterung deines Herzens. Junge, unerfüllte Wünsche verkrusten sich. Sie werden zu Panzern. Anfänglich bemerkst du diese Verhärtungen nicht, selbst wenn sie steinhart deine Potenz verraten. Steh zu deinen Wünschen oder lass dich von deinen Hemmungen versklaven. Jede Rolle, die du nicht selbst erwählst, bindet dich; du wirst zur Rolle und verlierst so deine Identität. Masken, Rollen oder Ängste verhindern deine Entfaltung. Sie werden zum Anker, der dich im Hafen festhält. Junge, du bist der Kapitän. Du bestimmst, wohin auf dem kosmischen Ozean du reisen möchtest.“

„Ich will mich entfalten. Ich will nicht in einem Hafen festhängen. Wie löse ich den Anker?“ Leider hob und senkte sich ein anderer Anker in der Brandung meiner entfesselten Lust.

Dionysos blickte auf das Käppi, das ich noch immer festkrallte. „In dem du deine Wünsche umarmst.“

„Wie?“ Ich kannte die Antwort.

„Lote neugierig und abenteuerlustig deine Tiefen aus!“

Dann tat ich etwas, das ich im Wachzustand niemals tun würde: ich ließ meine Hände sinken, doch das rote Cap blieb durch meine Erektion an Ort und Stelle. Zum Glück überspielte ich meine Verlegenheit nicht wie ein Volldepp mit pfeifen! Wir hatten oft über Burlesque gechattet. Ein Burlesque Künstler ist ein Artist, der Nacktheit als fixen Bestandteil in seine Shows einplant. Tat ich jetzt genau das? Nervös gürtete ich mich für den Auftritt. Ein breiter Ledergurt musste dazu herhalten. Abermals mit meinem Rücken zu ihm, straffte ich meine Haltung. Meine Hände ölten. Mein Herzschlag galoppierte. Mein Mund staubte, während mein Penis springflutartig das neue Ufer überschwemmen wollte. Ich packte nach dem roten Sichtschutz und setzte mir das Käppi verkehrt herum auf den Kopf und schob meine beiden Daumen oben in den Gurt. Mein Übermut peitschte mich auf die Bühne. Die Fäden waren verschwunden, das Netz fort; es gab keinen trügerischen Schutz mehr. Torkelnd schwankte ich über einen bodenlosen Abgrund auf dem dünnen Seil meiner unerfüllten Wünsche. Je härter meine Erektion wurde, desto mehr bot sie mir Halt, wurde zur Stange, die mich ausbalancierte. Ich drehte mich um. Meine Scham öffnete hungrig ihren Rachen, um mich zu verschlingen, leckte sich aber die Lippen, als sie Dionysos‘ Bewunderung registrierte und schmatzte ab da nur noch zufrieden.

„Endlich erwacht das Schlafende!“

Mein eiskalter Schweiß verdampfte.

„Handle und experimentiere!“

Meine Prüderie erlag meiner Lust, bevor sich mein Wesen schizophren spalten konnte.

Der dicke Mann stellte sein volles Weinglas auf einen Schaft. „Drogen sind keine Hilfe; Scham, Moral und Prüderie sind die Droge der Feiglinge. Lege sie ebenfalls ab!“

„Ist das eine Einweihung?“, krächzte ich.

„Solange du nicht begreifst, dass dir nichts zustoßen kann; dass dich niemand ausnutzen; dass dir niemand schaden kann, solange du es nicht selbst zulässt, hast du das Mysterium des Lebens nicht erfasst. Nur was sich in Übereinstimmung mit deinem eigenen Bewusstseinszustand befindet, ist im Einklang mit dir selbst und umkreist dich wie Monde und Planeten in sicheren Bahnen; alles andere sind herumirrende Kometen, die deine Welt zerstören können.“

Ich löste den Gurt um meine Hüften und ließ ihn zu Boden sinken, dann zog ich mir das Käppi vom Kopf. Ich brauchte keine Verkleidungen mehr.

„Junge, mit jeder Einweihung öffnet sich eine Tür. Doch hindurchschreiten, um die neue Welt zu entdecken, das mein Junge, das musst du selber tun. Viele verharren ein Leben lang vor der offenen Tür und blicken sehnsüchtig auf die Möglichkeiten, die ihnen zu Füßen liegen. Du, nur du alleine, kannst den Schritt über die Schwelle tun. Ich kann dir die Tür zeigen und sie für dich öffnen. Der Rest liegt alleine bei dir.“

Seine Worte ließen Holz bersten, Türen wurden aus den Angeln gehoben und Schlösser verrosteten und gaben meinem Druck nach; dann barsten Mauern und die noch anständigen Spießer meiner guten Stube flohen totenbleich. Meine innere Burg fiel in sich zusammen. Plötzlich konnte ich in die Ferne sehen. Mein innerer Blick richtete sich auf saftige und blühende Möglichkeiten bis zu den schäumenden Wellen des Ozeans der unbegrenzten Freiheit. Mächtig und berauschend erhob sich etwas Uraltes in mir, bäumte meinen Körper und entlud sich milchig auf den Fußboden.

Dionysos hob seinen rechten Daumen, drehte sich um und verließ meine Wohnung.

Augenblicklich war mir klar, dies war nur der Anfang. Was sollte ich jetzt tun? Oben saßen meine Freunde und vermissten mich bestimmt schon. Mein Mut verließ mich augenblicklich, als ich kurz darüber nachdachte, mich oben nackt zu zeigen. Ich langte nach der erstbesten Hose und zog sie mir über. Auf der Schwelle meines Schlafzimmers verharrte ich und blicke durch die Tür nach draußen. War ich bereit, meine innere Einweihung zu einer sicht- und erfahrbaren Realität zu machen?

„Bux, wo bleibst du?“, rief Skater nach mir.

Eine neue Eruption entlud sich in meinem Kopf und ihr glühendes Magma suchte sich ihre Wege durch meine Synapsen. Trunken und berauscht grabschte ich unter dem Kleiderschrank nach einer Schachtel. Ihren Inhalt hatte ich einst mit einem zwanzig Zentimeter breiten, feuerroten Seidenband eingesperrt. Ein Nikolauskostüm. Ich trug es als Zwölfjähriger auf einem Schulfest, das so richtig in die Hose ging. Wie hatte ich mich damals geschämt, als die Hose plötzlich während der Vorstellung so tief gerutscht war, dass meine Unterhose darunter für jeden sichtbar geworden war. Das Oberteil passte nicht mehr und die Hose nur noch, weil sie extrem weit geschnitten war und ich noch immer schmale Hüften hatte. Ohne Wams und in der viel zu kurzen Hose würde mich keiner als einen Nikolaus, sondern als einen Stripper wahrnehmen. Müsste ich meine Peinlichkeit von damals wiederholen, um mich von ihr zu befreien? Ich hatte etwas anderes vor.

 

Skater erblickte mich als erster, als ich mich endlich wieder auf der Dachterrasse zeigte. Er pfiff anerkennend durch seine Finger, dass sofort alle seinen Blicken folgten.

„Leute, war für eine Bescherung!“, leckte sich Snob, ein weiterer Gast, der eingetroffen sein musste, als ich unten in meiner Wohnung von Dionysos getestet wurde. Snob war, wie mein Spitzname für ihn schon sagt, ein eitler Pfau, der sein Rad immer sofort schlug, wenn andere in der Nähe waren – also fast immer. Er nutzte jede Gelegenheit, andere in Verlegenheit zu bringen. So auch jetzt. Er stellte sich hinter mich, um mich mit seinen Händen zu umfangen. Seine linke Hand wanderte über meinen Torso, während seine rechte keck mit dem breiten, feuerroten Seidenband spielte, mit dem ich mir meinen Penis umwickelt und an meinen linken Schenkel gefesselt hatte – statt die Nikolaushose zu tragen.

„Was für ein Busch!“, rief Long aus. „Pickelgesicht, ich hätte dir ne Heckenschere schenken sollen! Ist der Busch so dicht, damit dein Stummelschwänzchen darin verborgen bleibt?“

„Sehen wir mal nach!“, grabschte Snob tiefer. Da ich mich nicht wehrte und uns alle erwartungsvoll angafften, versuche er das Band zu lösen – vergeblich!

Abschlussballkönig, dem gefiel, dass ich mich beinahe nackt unter all den Angezogenen bewegte, umrundete mich und notierte sich irgendetwas in ein Notizbuch, das er sich aus seiner Weste gezaubert hatte. „Bux verarscht uns heute!“

Ich erwachte, als er mir auf meinen Arsch klatschte.

 

Schockiert und erregter, als ich jemals zuvor war, versuchte ich damals, am Tag danach, abermals in den Traum zurück zu gleiten – vergeblich! Als ich es aufgab, notierte ich mir alle Details in mein geheimes Tagebuch. Verwirrend fand ich, dass ich im Traum Dinge tat, die ich im realen Leben niemals tun würde. Dinge, die so verrückt und anders waren, dass ich sie mir nicht einmal vorstellen konnte – doch offensichtlich konnte ich davon träumen!

Die Vorstellung mich derart schamlos unter Freunden zu bewegen, mich ihnen nur mit einem roten Geschenkband umwickelt zu präsentieren, ja mich ihnen sogar selbst zum erotischen Geschenk zu machen, holte meine Scham zurück. Ich errichtete sofort wieder neue Mauern, hob tiefe Schutzgräben aus und verrammelte die neuen Tore mit wuchtigen Schlössern.

Was passiert mit mir? Warum feiere ich mit Fremden, die ich nicht kenne, meinen Geburtstag an einem Ort, der mir fremd ist? Doch auch mich selbst erkannte ich nicht wieder. Welches Monster lauert in meinen tiefsten Kerkern? Was wartet darauf, befreit und auf die Welt losgelassen zu werden?

 

Natürlich suchte ich seither überall in Basels Altstadt nach dem Haus mit der verglasten Dachterrasse, doch ich fand es nie. Im Traum war alles so real, dass es einfach eine Entsprechung in der Wirklichkeit geben musste. Ich suchte am falschen Ort!

Ein Angebot, das ich nicht ausschlagen kann

Freitag: 7. Februar

Und hier sitze ich nun in der Gegenwart! Heute, mehr als ein halbes Jahr nach dem Weekend in London, ist ein verregneter Februartag. Mein neunzehnter Geburtstag ist gekommen und verstrich. Bis auf den aufwühlenden Traum, ist sonst nichts weiter passiert. Ihn, wie auch den Zwischenfall im Hyde Park, notierte ich mir in mein geheimes Tagebuch. Ich tat das nicht, weil ich stolz darauf bin, sondern um mich immer wieder daran zu erinnern, wie manipulativ Menschen sind.

Seit Tagen quält mich ein Drang, Wilton anzurufen. Warum zieht es mich zu einem Kerl, der mich im Hyde Park derart vorgeführt hatte? Bin ich pervers? Warum will ich Seth, der es nicht mal für nötig empfand, sich mir nach seiner Tat anständig vorzustellen? Sowohl Wilton, wie auch Seth haben einen sehr gefährlichen Einfluss auf mich. Ist es die Gefahr, die mich wie Sirenengesang anzieht?

Abermals suche ich nach Wiltons Telefonnummer. Sie ist leicht zu finden, da ich die Stelle in meinem geheimen Tagebuch schon oft aufgeschlagen habe. Insgeheim warte ich seit letztem Sommer, jenem 22. Juni in London, auf einen Anruf von Wilton. Natürlich kam er nie! Selbst brachte ich den Mut nie auf, ihn anzurufen. Es klingt lächerlich, doch ich hatte – und ich habe – Angst, Wilton könnte wirklich nur ein interessanter Geschäftsmann sein, der mich angebaggert hatte und nicht mein geheimnisvoller Dionysos. Inzwischen bin ich mir sicher, ich habe Dionysos in meinem Traum so entstellt, um ihn als den Dämon abzustempeln, zu dem ihn viele machten: einen Säufer, Verführer und Lüstling. Ich hoffe so sehr, dass Wilton doch mein geheimnisvoller Mentor sein könnte. Leider schaltete Dionysos sein Profil im Internetforum nie mehr hoch.

Wie oft hatte ich schon den Hörer in der Hand gehabt, um Wilton anzurufen? Genauso oft, wie ich unverrichteter Dinge mein Mobile Phone wieder weglegte. Seth ist nur so real, wie mein Glaube, dass mein Mentor Wilton und nicht dieser dicke Mann mit dem Bart ist. Das ist dumm und nichts weiter als eine Ausrede, dennoch rede ich mir ein, dass Seth nur so real wie Dionysos ist; ist einer von beiden Einbildung, muss es der andere auch sein. Curly lachte mich deswegen oft aus, denn er beschwor dann jedes Mal, dass es den Rotschopf wirklich gab und er mir WIRKLICH vor all den Gaffern einen runtergeholt hatte. Er sei dabei gewesen. Es war Realität!

Mein Herz hämmert, als ich die Vorwahl von London eintippe. Gleich platzt mein Traum oder alles fügt sich zusammen. Unverrichteter Dinge lege auf. Wütend über mein Selbst, starre ich aus dem Fenster. Ist mir ein realer Traum wichtiger als eine imaginäre Wirklichkeit? Entschlossen wähle ich abermals Wiltons Nummer, doch bevor es in London klingelt, lege ich auf.

Seth! Tausend Mal hatte ich mir meine Reisebüroträume durchgelesen. Der Mann meiner Träume und das reale Abbild in London sehen identisch aus. Ob sie noch mehr Gemeinsamkeiten aufweisen? Leider blieben all meine Reisebüro-Träume beim Flirten und Seths Auskünften über Los Angeles. Seth bediente mich niemals nackter als damals, als er mich im Bus zum Strand brachte und diesen griechischen Fummel anhatte. Es gab niemals Sex; selbst meine erotischen Träume sind prüde.

Meinen Eintrag des peinlichen Erlebnisses im Hyde Park kenne ich Zeile für Zeile auswendig und in meiner Fantasie habe ich ihn wieder und wieder erlebt. Süchtig danach überfliege ich die Seiten in meinem geheimen Tagebuch aufs Neue.

Komischerweise denke ich dabei an Pimlico. Erschreckt lasse ich mein geheimes Tagebuch sinken. Skaters aus dem Initiationstraum ist kein Unbekannter. Ich traf Skater! Ich kenne ihn. Skater ist Pimlico, dieser verrückte Nudist, der mich an der roten Ampel am Piccadilly Circus angesprochen und ab dann nicht mehr von meiner Seite gewichen war. Noch eine Traumfigur, die im realen Leben existiert! Ist das überhaupt möglich? Niemand träumt von Menschen, die er noch nicht kennt.

Ich werde Wilton anrufen! Was kann ich verlieren? Kurzerhand wähle ich die Nummer zum dritten Mal und werde von einem Concierge namens Eldon verbunden.

„Saftboy? Bist du es wirklich?“, fragt Wilton, kaum dass er meine Stimme erkennt.

Es ist egal, dass wir über ein halbes Jahr nichts voneinander gehört haben; die innere Verbindung steht, als ob Wilton und ich uns erst gestern in jenem Pub nahe des Hyde Parks gesprochen hätten. Eines ergibt das andere und noch bevor ich nach zwei Stunden auflege, macht mir mein englischer Bekannter ein Angebot, das ich nicht ausschlagen kann: Ein halbjähriges Praktikum als Gastronomiekaufmann in seinem Hotel. Ich ahnte, dass dieser Tag mein Schicksal neu ordnen wird. Jetzt ist mir klar, warum ich solange zögerte, Wilton anzurufen, und erst nochmals meine bisherigen Tagebucheintragungen lesen musste.

 

Curly lacht sich kaputt, als ich ihm später in der Stadt davon erzähle. „Dieser Wilton, der seinen Freund auf dich hetzte, damit du öffentlich abspritzt?“, bohrt Curly immer wieder – und das nur, um mich immer und immer wieder aufs neue erröten zu sehen. „Bux, diese Gelegenheit musst du ergreifen. Wann?“

„Von Anfang März bis Ende August.“

„Mann, dann wohne ich bei dir im Hotel, wenn ich im Juni zum nächsten World Naked Bike Ride anreise.“

 

Zuhause lese ich abermals meine Eintragungen in meinem geheimen Tagebuch durch. Noch hoffe ich, dass mich all das Verrückte darin zur Vernunft bringen wird. Ich ahne, dass ich einen gewaltigen Fehler begehe, wenn ich mich auf Wilton und Seth einlasse. Was ich bisher mit den beiden erlebte, sollte mir genügend Warnung und Abschreckung sein, doch auf keinen Fall süße Verführung!

Montag: 17. Februar

Meine Eltern unterstützen meine Entscheidung, in London eine Praktikumsstelle anzunehmen, so signiere ich den Pakt, der in Form eines Vertrags per E-Mail eingetroffen ist. Kaum besiegelt, passiert es: ich träume wieder von der Party:

 

Abermals befinde ich mich auf der eingeheizten Dachterrasse.

„Bux, zu deinem feuerroten Geschenkband-Outfit würde ein neckisches Tattoo passen!“ Coach erhebt sich aus einer Strandliege neben Buchsbüschen und bietet mir den freigewordenen Platz an: „Lege dich auf den Bauch!“, befiehlt er, eilt zum Getränkeausschank, holt sich dort einen wasserfesten, schwarzen Filzschreiber, der für die Beschriftung der Wasserbecher vorgesehen ist, und kehrt zurück. Sehen kann ich auf dem Bauch liegend nichts, doch ich fühle den Stift und versuche mir aus den Konturen auf meiner rechten Arschbacke ein Bild zu formen. Coach zeichnet mir einen identischen Maikäfer, wie er selbst einen an der gleichen Stelle träg auf. Wie süß!

„Jetzt ich!“, verdrängt ein neuer Gast Coach. Diesen Akzent erkenne ich sofort. Niemand, außer meine heimliche Liebe spricht mit schottischem Akzent. Augenblicklich fühle ich mich billig, unwürdig und hässlich.

„Stört es?“ Da er meine Antwort nicht abwartet, sondern schon beginnt, die Knöpfe seiner Hose zu öffnen, starre ich ihn in meiner verdrehten Haltung hungrig an. Nur noch in einer schlotterigen Seidenunterhose setzt er sich auf meinen Hintern.

„Reite Pickelgesicht zu!“, grölt Long, der nur noch seine enge Hose, die Springstiefel und seine Handschuhe trägt.

Seth platziert meine Füße rechts und links neben die Liege und schiebt mir noch ein Kissen unter die Hüften. War mein nackter Arsch zuvor nur Blickfang, reizt er jetzt zu vulgären Kommentaren. „Gefällt dir das?“, tätschelt er meinen Hintern.

Als alle lachen, stimme ich ein. Besser ich lache mit, als mich auslachen zu lassen. Seth schiebt sich dicht an mich ran, dass ich seine Erektion spüren kann.

„Jetzt fick diese Klemmschwester!“, spornt Long an und stellt sich breitbeinig vor uns. „Pickelgesicht ist überfällig!“

Während der junge Schotte mit dem Filzschreiber Ranken auf meine Hüften zeichnet, checkt seine linke Hand ungeniert meine Intimzone ab. Ich fühle mich augenblicklich wie der Korken einer Champagnerflasche, die geschüttelt wurde. Leider scheitern Seths Versuche, mir die rote Schlinge abzustreifen.

Fokus umrundet uns, wie ein Jäger seine Beute.

„Holmström, ich muss die Position wechseln!“ Der Künstler setzt sich vor mein Gesicht. Da der Liegestuhl dafür zu kurz ist, bettet Seth meinen Kopf auf seinen Schoss.

Ich rieche Limetten, Eukalyptus und eine salzige Sommerbrise über dem Ozean – wahrscheinlich ein Eau de Toilette, eine Seife oder Seths Lusttropfen. Während mit dem Filzschreiber weitere Linien meine Hüften zieren, küsse ich ganz heimlich Seths Hoden, die aus der Unterhose herausschauen.

Erobernd seine Lippen leckend, kniet sich der schönste Mann, den ich kenne, sofort wieder hinter mich. Fleischig fühle ich etwas Hartes. Seth tut so, als ob er sich besser hinhocken müsste, doch in Wirklichkeit zielt er nur jedes Mal aufs Neue. Panisch drücke ich meinen Kopf tief auf die Liege und erstarre. Irgendwann gibt er es leider auf, küsst meine Schultern und setzt sich seitlich neben mich auf die Pritsche. Die Spitze seines Penis glänzt ölig und ragt hart aus seiner Boxershorts. Dass Fokus mit seinem Teleobjektiv immer näher rückt, ignoriert Seth genauso, wie die direkten Blicke der anderen.