Eros' Flüstern verändert alles - Manuel Sandrino - E-Book

Eros' Flüstern verändert alles E-Book

Manuel Sandrino

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Beschreibung

Jonathan Josh Julius (Josh) ist der Sohn eines amerikanischen Senators. Während sein konservativer Vater ein Gesetz durchbringen will, das auf überholte moralische Werte baut und die Freiheit vieler extrem beschneiden soll, erwacht in Josh der Rebell. Jeder kennt die Wildsau auf dem Rasen als Captain J.J. Als sein Team die Meisterschaft gewinnt, läuft die Mannschaft nur in Helmen und Jockstraps eine Ehrenrunde. Joshs nackter Hintern kommt in die Zeitung. Zur Strafe für sein unschickliches Verhalten muss Josh ein Medientraining absolvieren und Frondienst leisten. Dabei kommt er in Kontakt mit den Gegnern des Senators, die in Josh ihre Geheimwaffe sehen. 'Liebe mich! Verzehre dich nach mir! Finde mich!', flüstert Eros, der erste der Titanen und Engel der Liebe in Joshs Träumen. 'Als unschuldiger Frühling werde ich dich verzaubern und in Verzweiflung stürzen. Als Sommer bringe ich dein Blut in Wallung und als Herbst zwinge ich dich alles aufzugeben, damit du mich im Winter endlich erkennen kannst.' Eros' Flüstern verändert alles. Als Joshs Herbst seinen Zenit erreicht, plant der Rebell zusammen mit seinen Verbündeten der Kampagne seines Vaters den Todesstoß zu versetzen. Niemand ahnt, was er damit in Bewegung setzt, bis es zu spät ist.

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Manuel Sandrino

Eros’ Flüstern verändert alles

Von Manuel Sandrino bisher erschienen:

 

„Selbstverständlich schwul“ 2. Überarbeitete Auflage

ISBN print 9783863615246

„Apollon und Mercury – Wahre Träume leben“

ISBN print: 9783863613792

„Apollon und Mercury – Einer muss sterben“

ISBN print: 9783863613853

„Nackte Geheimnisse“

ISBN print: 9783863614829

„Was der Wind nicht verwehen kann“

ISBN print 9783863615451

 

Alle auch als E-book

 

 

Himmelstürmer Verlag, part of Production House, Hamburg

www.himmelstuermer.de

E-Mail:[email protected]

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage

 

© Manuel Sandrino; Originalausgabe, August 2016 Eros’ Flüstern verändert alles

© Himmelstürmer Verlag

Coverfotos: shutterstock.

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

Nach einer Idee von Manuel Sandrino

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

 

ISBN print 978-3-86361-585-7

ISBN e-pub 978-3-86361-586-4

ISBN pdf 978-3-86361-587-1

 

 

Wer der Liebe Bedingungen auferlegt,

hat das Wesen der Liebe noch nicht erfahren.

Grenzenlos, uferlos und unendlich ist die Liebe.

Liebe ist, was sie ist: ein Wunder, dass sich jedem anders offenbart.

Vorwort

Eros ist der älteste der Götter, sagen die Eingeweihten; er bewahrt den Schlüssel zu allen Wesen.

Heute nennt man Eros schlicht und einfach Liebe. Die Liebe ist das Herz oder die Seele. So ist die Liebe der Anfang aller Götter, und sie ist der Schlüssel zu allen Geheimnissen des Lebens. Als der Puls des Lebens, ist die Liebe der Energiestrom, der sich unaufhörlich durch die Schöpfung bewegt, um alles zu beleben und zu erneuern. Ohne Liebe existiert nichts, ohne Liebe gibt es keine Energie und keine Kraft. Man sagt nicht vergeblich, die Liebe sei die stärkste Macht im Universum.

 

Josh, der Held in diesem Buch, vernimmt Eros’ Flüstern erstmals als Kind. So beginnt seine Suche nach der Liebe. Eros offenbart sich ihm fortan nicht nur in seinen Träumen als der Engel der Liebe, sondern auch als unkörperliche Eigenschaften im täglichen Leben. So begegnet Josh vielen Aspekten der Liebe, wie: der Erotik und dem Sex; seinem eigenen Mut oder seiner Feigheit; seinen Pflichten und Vorurteilen; wie seiner Neugier und seinem Tatendrang Neues zu entdecken. So etwas wie richtige oder falsche Liebe gibt es nicht. Es existieren nur unterschiedlich Auffassungen, wie man Liebe empfängt oder sie weitergibt. Nur die Liebe vermag Liebe zu erkennen!

Das Leben ist viel zu kurz und viel zu kostbar, um es ohne Liebe zu leben. Wer der Liebe Bedingungen auferlegt, hat das wahre Wesen der Liebe einfach noch nicht realisiert. Liebe ist für jeden etwas anderes.

Wem die Liebe [Eros] schon einmal zugeflüstert hat, der weiß aus tiefstem Herzen, dass es nichts Wichtigeres gibt, als diesem Flüstern zu folgen. Koste es was es wolle!

 

Manuel Sandrino

Seelen Striptease

„Jonathan Josh Julius, erzähl mir, warum dich dein Vater zu dieser Strafe verdonnert hat?“

„Nein!“, widerspreche ich und grinse schief. „Nicht, wenn Sie mit der Kamera vor meinem Gesicht herumwedeln!“

„Mein Junge, das ist aber der Sinn und der Zweck der Sache. Der Senator will, dass du zu erkennen lernst, was dein Handlungen für Folgen mit sich ziehen. Er hat die Medienagentur beauftragt, dich im Umgang mit der Presse zu schulen. Du kannst nicht jeden angreifen, der dich fotografiert.“

„Oder ihm die Nase zertrümmern?“, frage ich und lange an den dicken Verband, der mein eigenes Gesicht ziert. Meine Nase ist doppelt gebrochen und die Watten Rollen und die Stäbe, die sie richten sollen, verleihen meinem Gesicht einen gefährlichen Ausdruck. Zum Glück sind die violetten Schwellungen so gut wie abgeklungen und nur noch ein paar gelbe Flecken verraten, was ich selbst für Prügel einstecken musste.

„Die Ursache zu kennen, kann Heilung bringen!“

„Mister Whitehurst“, stöhne ich und schiele zum dunkelhaarig leicht gelockten Typen im Nadelstreifenanzug, der mir seine Handkamera direkt ins Gesicht hält, „das war nicht meine erste Schlägerei und bestimmt auch nicht meine Letzte.“

„Warum so aggressiv?“, fährt der Medienfachmann fort.

„Bin ich doch gar nicht!“, protestiere ich.

„Dein Vater will, dass ich dich für künftige Konfrontationen mit den Medien wappne. Das wird mir aber nur gelingen, wenn zu dem stehst, was du bist.“

„Was ich bin? Und was soll das sein?“

„Dass du mehr bist, als nur der Sohn eines Senators“, bleibt der junge Medienmensch vage.

„Filmen Sie das jetzt echt?“ Gelangweilt rolle ich mit meinen Augen und fahre mir danach mit der rechten Hand durch meine dunkelblonden Haare, um meinen perfekten Seitenscheitel damit zu ruinieren. Ich will nicht wie das brave Söhnchen erscheinen, das vor einer Stunde hier im Medienzentrum abgeliefert wurde. Jeder, der diesen Film je sehen wird, soll in mir den Rebellen und die Wildsau erkennen, die ich in Wahrheit bin. „Mister Whitehurst, mein Vater wird sich diesen Film doch später anschauen? Glauben Sie mir, dann gibt es echt Stunk!“

„Der Senator wird keinen unserer Filme zu sehen bekommen. Jonathan Josh Julius, das verspreche ich dir. Hier!“, schiebt mir Mister Whitehurst mit seiner linken Hand einen Wisch zu. „Ich habe das Dokument für dich vorbereitet. Da du volljährig bist, reicht deine Unterschrift.“

„Was ist das?“ Ich schnappe die drei zusammengehefteten Papiere und beginne zu lesen. Auf zwei Seiten wird auf das Medientraining eingegangen und was mich die kommenden Wochen hier beim Praktikum erwarten wird. Auf der letzten Seite versichern mir das Medienzentrum und mein privater Coach, hier hat Oliver Whitehurst seinen Namen von Hand ergänzt, dass alles, was im Training besprochen, aufgezeichnet oder gefilmt wird, nach den drei Monaten in meinen Besitz übergeht oder in gegenseitigem Einvernehmen vernichtet wird.

„Hm!“, brumme ich, lange nach dem Füllfederhalter und setze ein Kreuz aufs Dokument. Als ich mir ein Klappmesser aus der Hosentasche fische, um mir damit in den Finger zu schneiden, lässt Mister Whitehurst endlich die Kamera sinken und packt nach meiner Hand.

„Mister Julius, tun Sie das nicht!“

„Ist es nicht üblich, seine Seele mit Blut zu verkaufen?“, fahre ich ihn an, sacke das Klappmesser aber wieder ein. „Zudem können Sie beim Du bleiben. Mein Vater ist Mister Julius. Ich bin John oder Josh.“ Im besorgten Blick von Oliver Whitehurst erkenne ich, dass er sich wirklich um mein Wohlergehen sorgt. Die Pupillen in seinen dunkelbraunen Augen haben sich für einen Moment extrem geweitet. Natürlich hätte ich mich niemals selbst geschnitten – ich bin ja kein Ritzer. Schulterzuckend setze ich meinen vollen Namen hinter das vorhin lässig gesetzte Kreuz und schiebe dem Medienmenschen den Pakt wieder hin. „Ich will eine Kopie davon!“

Während der Coach das kleine Fotostudio damit verlässt, und leider seine Handkamera dazu gleich mitnimmt, sehe ich mich um. Hinter mir gibt es einen Styling Tisch mit einem wuchtigen Spiegel um den bestimmt dreißig Birnen brennen. Entschlossen, den braven Senatorensohn hier niemals zu zeigen, bestäube ich mir mit dem Wasser aus einer blauen Flasche meine Haare und wuschle sie danach so arg, dass sie mir in alle Richtungen vom Kopf abstehen. Zum Glück kann ich mir hier im Studio meine Hände waschen, denn das Gel, mit dem ich mich zuvor frisieren musste, klebt jetzt an meinen Fingern. Rebellisch lockere ich mir die Krawatte und setze mich zurück auf den von Spots beleuchteten Stuhl. Soll ich diesem Coach wirklich die Wahrheit erzählen? Noch niemals zuvor habe ich jemandem erzählt, warum ich wirklich hier gelandet bin.

Mit dem kopierten Vertragsdoppel kehrt der Medienmensch zurück und kann ein Lacher nicht unterdrücken. „Was ist dir denn passiert?“

„Mir hat ein Paparazzo die Nase eingeschlagen“, spiele ich den Coolen und lange an den Verband in meinem Gesicht, der einer Damenbinde extrem ähnelt.

„Was hast du mit deinen Haaren angestellt?“, kichert Mister Whitehurst. Der Mitte oder vielleicht Ende Zwanzigjährige ist mir sofort sympathisch. Beim Vorstellungsgespräch letzte Woche erfuhr ich, dass seine Mutter aus Venezuela kommt, woher er seinen coolen Latino Look habe. Er sieht echt gut aus, wenn seine Nase auch eine Spur zu dick ist. Zusammen mit seinem leichten Schmollmund wirkt er jetzt wie ein etwas älterer Kumpel, und nicht mehr wie der kalte Langweiler von eben noch.

„Falls Sie wirklich meinen Seelen Striptease dokumentieren wollen, dann will ich dabei wenigstens authentisch aussehen.“

„Deshalb hast du dir die Haare mit dem Festiger senkrecht hochfrisiert?“

Ertappt fasse ich nach oben. Ein kurzer Blick zurück in den Spiegel lässt mich lauthals loslachen. Da hockt ein dunkelblonder Kobold mit Haaren, die wie verdrehte Zweige aussehen. „So oder gar nicht!“, verschränke ich demonstrativ meine Arme vor der Brust.

„Wie du willst. John oder Josh?“

„Meine Eltern nennen mich John, deshalb lieber Josh!“

„Ich bin Oliver. Die nächsten drei Monate werden wir uns täglich sehen und uns besser kennenlernen. Verzichten wir auf die Förmlichkeiten?“ Weil ich nicke, reicht mir der Coach seine Hand, damit ich einschlagen kann. Als er meine Hand länger hält, als das üblich ist, blicke ich ihm erstaunt in seine Augen.

Er lächelt.

„Ähm, ja, gut! Wo soll ich anfangen?“

„Beim Anfang! Josh, rede einfach drauf los!“

„Ich kann dir wirklich vertrauen?“

Erst als Oliver frech zwinkert, fasse ich Mut.

„Ich kann mich noch gut an die äußeren Umstände erinnern, die alles in Gang brachten; an jenes Ereignis, das mich erstmals in den Abgrund geschupst hat. Ja, ohne die Albträume, die damals ihren Anfang nahmen, wäre ich heute nicht der, der ich bin. Sie formten mich zum Rebellen, zum Jäger und zur romantischen Wildsau, die ich geworden bin.“

„Du siehst dich als romantische Wildsau?“

„Oliver, wirst du mir jetzt ständig dazwischen quatschen?“

„Sorry, nein! Lass mich die Kamera auf dem Ständer fixieren, dann setzte ich mich hin und höre dir einfach zu.“

Aus dem Chaos geboren

„Mein Vater lebte damals schon seit zwei Jahren wieder in Amerika, um sich dort der Wahl zum Gouverneur des Bundesstaates Virginia zu stellen. Ich blieb mit meiner Mutter in der Schweiz zurück. Als Paps damals abflog, glaubte ich fest daran, ich würde ihn nie wieder sehen. Um es noch schlimmer zu machen, bestieg auch Mama immer öfters das Flugzeug und kam dann für Wochen nicht mehr heim. Vom neunten bis zu meinem elften Lebensjahr sah ich meine Eltern fortan nur noch an Festtagen oder wenn Mama mal wieder für die Ferien zu mir nach Bern zurückkehrte. Alleine in der Schweiz abgeschoben und ins Gefängnis gesteckt, musste ich mich selbst neu erfinden.“

„Du warst im Jugendknast?“, unterbricht mich Oliver.

„Ja!“ Dann winke ich ab. „Nein! Im Internat! Meine Eltern verklickerten mir bei jeder Gelegenheit, das sei alles dazu da, um mir eine hervorragende Ausbildung und Erziehung zuteilwerden zu lassen. Sie nannten es ihr Geschenk an mich. Ich hätte viel lieber ein neues Fahrrad bekommen oder noch besser, endlich richtige Shoulder Pads und ein Helm, der mir passt.“

Oliver lacht, hält aber diesmal seine Klappe.

„Schon damals spielte ich leidenschaftlich gerne American Football. Ich war immer megagut darin. Die anderen Jungs, im internationalen Internat für reiche Schnösel, nannten mich bald die Wildsau auf dem Rasen. Jene zwei Jahre, in denen mein Vater nicht mehr der amerikanische Botschafter in Bern war, sondern in Virginia um seinen neuen Posten kämpfte, gehörten bis dahin zur schönsten Zeit meines jungen Lebens. Keiner redete mir mehr ständig ein, ich müsse dies oder jenes tun; oder mich so oder so verhalten, um ein echter Mann und ein Vorbild für andere abzugeben. Meine Eltern wollten mich nicht mehr! So einfach war das. Darum begann ich, mir meine eigene Familie zu basteln. Mir gefiel es in der Schweiz immer besser. Meine neue Familie wurden meine Kumpels, die Berge, die Seen und mein privater Sportlehrer, der auch mein Bodyguard war.“

Als ich danach schweige, fragt Oliver: „War es das schon?“

„Ich habe noch nicht einmal angefangen!“ Lässig hocke ich mich in den Stuhl vor der Kamera. Weil es unter all den Spots immer heißer geworden ist, ziehe ich mir mein Jackett aus, öffne die obersten drei Knöpfe meines Hemdes und lockere meine Krawatte. „Was?“, schnauze ich, als Oliver mich interessiert dabei beobachtet. „Ich werde mich nicht ausziehen!“

„Fühle dich wie zuhause!“

„Sicher nicht!“, kläffe ich. „Da müsste ich mich neu kämmen und meine Krawatte straffen“, winke ich ab. „Nee! Ich will mich auf keinen Fall, wie zuhause fühlen.“

„Kannst du deine Erzählung etwas würzen?“

„Ich spiele kein Theater!“, protestiere ich.

„Erzähle deine Geschichte so, dass ich einsteigen kann. Benutze Dialoge und sprich deine eigenen Gedanken laut aus.“

„Du willst es aber genau wissen.“

„Josh, kennst du dich selbst, wirst du stark. Bist du stark, werden dich die Paparazzi in Zukunft nicht mehr angreifen.“

„Der wollte mir an die Wäsche! Verdammter Perverser!“

„Erzähl, wie es dazu kam. Wir haben Zeit. Entspanne …“

Bevor Oliver seinen Satz beenden kann, habe ich mir schon meine Turnschuhe von den Füssen gekickt. Jetzt barfuß – denn ich trage nur beim Training Socken – fühle ich mich entspannter. Abermals bemerke ich Olivers Blicke, die nicht nur meinen Ausschnitt, sondern auch meine Füße abchecken. „Was dagegen?“ Als er seinen Kopf schüttelt, bin ich entschlossen, meine Geschichte zu würzen:

„Schatz!“, rufe ich.

Oliver zuckt zusammen.

„So nennt mich meine Mutter!“, erkläre ich und grinse schäbig. „Also!“ Ich hole tief Luft und erzähle weiter:

„Meine Mutter wuschelte mir beim neuesten Besuch in Bern meine dunkelblonden Haare. Danach forderte sie mich auf, all meine Koffer zu packen, denn wir würden heimfliegen.

Heim?, fragte ich. Mama, ich bin doch schon zuhause. Ich war damals elf Jahre alt und verstand nicht, was vor sich ging.

Jonny, beruhigte mich meine Mutter, dein Papa ist jetzt ein noch wichtigerer Mann geworden. Wir müssen an seiner Seite stehen, wenn er den Wahlsieg öffentlich in Washington feiert. Ich versuche die Stimme meiner Mutter nachzuahmen, was Oliver immer öfters lachen lässt. Meine Würze kommt an!

„Ich verstand überhaupt nichts mehr“, fahre ich fort:

„Natürlich lernte ich im Internat, dass ich kein Schweizer, sondern ein Amerikaner bin, und dass mein Papa und meine Mama superwichtige Leute wären. Mir war das egal. Sie waren eh nie da. All meine Sachen wurden in riesige Koffer gepackt und von uniformierten Angestellten abgeholt. Noch immer hoffte ich, ich würde nur in Ferien fahren, doch meine Mutter erklärte mir, dass ich die Schweiz für immer verlassen werde. Mein bisheriges Internatsleben endete mit Vaters Wahlsieg zum Gouverneur von Virginia. Auf einen Schlag verlor ich all meine vielen Freunde. Auch ahnte ich, dass ich niemals wieder Schwyzerdütsch schwatzen würde. Weil ich im Flug von Zürich nach Washington nonstop entweder weinte oder schmollte, wurde ich in der ersten Klasse von den Flugbegleiterinnen mit Leckereien und Spielsachen getröstet.“

Oliver folgt gespannt meinem unfreiwilligen Interview.

„Am Dulles Airport wurden meine Mutter und ich von uniformierten Soldaten empfangen. Zum ersten Mal durfte ich in einem dieser extrem langen schwarzen Autos mit Fähnchen an der Kühlerhaube fahren. Über die Aufregung vergaß ich meinen Kummer. Wir wurden in ein riesiges Haus in der Nähe des Dupont Circles inmitten von Washington D.C. gebracht.

Schatz, schau! Meine Mutter zeigte mir, als wir beide ausgestiegen waren, das hohe zweistöckige Backsteinhaus mit den Erkern. Hier wirst du fortan wohnen. Dunkelrot und braun wirkte das Haus mit den hohen Fenstern und dem breiten Eingang zwischen den beiden Türmchen wie ein Schloss. Oma und Opa wohnten auch schon hier, erklärte mir meine Mutter. Jonny, erinnerst du dich noch daran? Als du fünf warst, hast du deine Ferien hier verbracht.

Kopfschüttelnd gaffte ich das im Kolonialstil errichtete Haus an. Ich konnte mich nicht daran erinnern, je zuvor hier gewesen zu sein. So zog ich um.

Jonny, pack aus! In drei Tagen wird dein Vater offiziell sein neues Amt antreten. Als neuer Gouverneur muss er seine glückliche Familie an seiner Seite haben. Meine Mutter war immer eine hervorragende Lügnerin. Naja, sie war eine echte Politikerin.

Warum? Papa will mich doch gar nicht mehr haben! Ich provozierte meine Mutter oft – selbst schon damals.

Unser Hausbutler Mister Farragut erklärte mir danach, dass ich jetzt Teil einer heilen Welt geworden sei. Der Butler tat das mit einem schiefen Grinsen, sah sich um, ob er belauscht wurde, und fuhr danach sachlich mit seinen Erklärungen fort. Meines Vaters Wahlkampagne Real Facts habe viel Staub aufgewirbelt. Real Facts stehe für alles, was ein gutbürgerlicher Amerikaner als moralisch richtig und schicklich ansehe. Es gelte, die überlieferten Werte der Familie zu bewahren und unbedingt zu schützen.

Musst ich darum meine Kindheit alleine in der Schweiz verbringen?, kommentierte ich, bis Mister Farragut abermals sein Butlerlächeln aufsetzte. Mein Vater vertrete Werte, die viele Bürger des Landes als überholt, ja sogar als sehr gefährlich ansähen. Mein Vater symbolisiere eine konservative Macht, die eine Rückkehr zu Anstand und Ehre anstrebe, und das auf Kosten aller Freidenker. Niemand könne zurzeit abschätzen, was er damit wirklich plane und wie weit er gehen würde.

Mein Vater ist gefährlich? Zweifelnd runzelte ich die Stirn.

Mister Farragut schwieg darüber. Er legte mir einen meiner Anzüge raus. Danach brachte er meine leeren Koffer ins Erdgeschoss, um sie in einem der Lagerräume zu versorgen.

Oliver unterbricht mich: „Josh, willst du über deinen Vater und seine Kampagne Real Facts reden?“

„Nein!“ Ich winke ab und fahre mit meinem Bericht fort:

„Dann kam das Wochenende, dass alles auf den Kopf stellte. In Washington wurde Vaters Wahl mit einer großen Feier zelebriert. Ich durfte – zum ersten Mal – sehr lange aufbleiben. Als alle auf den Wahlsieg anstießen, reichte mir ein Typ aus Vaters Wahlkomitee ein Glass Champagner. Weder meine Mutter, noch mein Vater ahnten, dass er mir das falsche Glas ausgehändigt hatte. Den prickelnden Apfelsaft bekam jemand anders ab. Lange machte ich dieses Glass Alkohol als Auslöser für meinen ersten Albtraum, wie auch für meine spätere Suche verantwortlich. Noch Jahre danach versuchte ich mir einzureden, dass es einfach Zeit geworden sei, in eine Welt gestoßen zu werden, von der ich damals nicht einmal ahnte, dass sie existiert. Seither wäre ich oft froh gewesen, ich hatte statt des Champagners wirklich den Apfelsaft getrunken. Doch ist eine Tür in eine andere Dimension des Bewusstseins erst einmal geöffnet worden, lässt sie sich nicht mehr schließen – da half auch nachträgliche Abstinenz und Selbstmitleid nichts mehr.“

„Josh, was genau meinst du mit einer anderen Dimension? Deine neue Heimat?“

„Nein!“, gebe ich schroff zurück.

„Ein neues Denken oder ein neues Fühlen?“, bohrt der Medienmensch weiter.

„Das kam erst später. Jetzt lass mich doch einfach erzählen, wie alles begann. Es blieb ja nicht dort hängen!“ Weil kein Kommentar folgt, fahre ich fort:

„Mit dem falschen Apfelsaft kam es zu meiner ersten Begegnung mit meinem Schicksal. In jener beschwipsten Nacht erwachte ich in einer Horrorvision aus tiefschwarzer Unendlichkeit. Egal wohin ich sah, es gab einfach nichts, als dieses Schwarz. Dieses finstere Nichts nannte mich Bruder.“

„Josh, die Finsternis sprach zu dir?“, quatsch mir Oliver schon wieder dazwischen.

„Yep! Etwas – oder jemand? – zog mich plötzlich unendlich ins bodenlose Verderben! Ich stürzte. Ich schrie um mein Leben. Auch der Abgrund rief nach mir. Auch er nannte mich Bruder. Soll ich weiter erzählen?“

Als Oliver nickt, räuspere ich mich:

Er gehört zu mir!, befahl nach Ewigkeiten eine weibliche Stimme und packte nach meinem Herz, um es für sich zu beanspruchen. Bruder, wir beide sind eins!, rollte ihre Stimme durch das Nichts in den Abgrund, um mich aus den Klauen meiner beiden dunklen Brüder zu befreien. Eine zweite Frau lachte und der Klang davon explodierte als Sterne und Sonnen. Bruder, nimm sie dir! Zeuge mit ihr Götter und bevölkere meine Welten mit Wesen!, forderte die weibliche Stimme, die aus einer Galaxie zu mir sprach. Doch vergiss niemals, wir fünf sind der Anfang und das Ende von Allem. Unsere Schwester ist das Gefäß, aus dem mit deinem Samen, das Wunder seinen Anfang nehmen wird. Bruder, begatte unsere Schwester und bevölkere mit deinem Nachwuchs meine Welten.“

Weil Oliver sich Notizen auf einem Block macht, aber nichts darauf antwortet, zwinkere ich ihm zu: „Das ist doch verrückt! Nicht wahr?“

„Josh, ich höre dir nur zu“, enthält er sich jeder persönlicher Meinung. Weil ich ihn schweigend ansehe, fragt er schließlich: „Hat der Traum etwas mit deinen Aggressionsproblemen zu tun?“

„He? Mann, ich habe keine Aggressionsprobleme! Ich habe mich nur gewehrt!“ Weil der Coach daraufhin nur ins Leere hinter mir blickt, winke ich ab. „Na gut! Oliver, du willst es ja unbedingt wissen.“ Ich bringe mich vor der Kamera wieder in Position. „So höre!“, fahre ich fort.

„Schweißgebadet und schreiend erwachte ich am Morgen nach der Feier in meinem neuen Kinderbett im Elternhaus. Den ganzen Tag zitterte ich am ganzen Leib, dass meine Eltern sich schon überlegten, mich zu einem Psychiater zu schicken. Stattdessen verschrieb mir mein neuer Kinderarzt Pillen, die ich fortan vor dem Schlafengehen einwerfen sollte. Ich schluckte keine Einzige davon, wenn ich auch immer schön brav so tat als ob. Ich wusste damals noch nicht viel, doch so viel schon: ich war weder verrückt noch musste ich beruhigt werden. Was ich erlebte, war einfach überwältigend, bodenlos und für meinen Kinderverstand schlicht nicht fassbar. Trotzdem war ich entschlossen, diese Albträume zu erforschen und meine sogenannten Geschwister zur Rede zu stellen.“

„Du hattest keine Angst?“

„Und wie! Doch meine Neugier war mächtiger, als meine Furcht vor dem Unbekannten. Ähnliche Träume schlichen sich nach jener ersten Nacht regelmäßig in mein Bewusstsein. Ich wurde darin zum Jäger und gleichzeitig zum Gejagten. Ich kämpfte gegen das Nichts im finsteren All; und ich wehrte mich gegen die Schwerkraft in der Fülle. Seltsam? Allerdings! Oft dehnte ich mich so gewaltig, dass ich zitternd erwachte und danach kaum glauben konnte, bloß ein winziger Menschenjunge zu sein. Endlos floh ich durch die ewige Dunkelheit, nur um in immer neuen Galaxien dem gleichen Feind gegenüberzutreten. Ich sah Sterne entstehen, und wie aus gigantischen Wolken sich Planeten verdichteten. Wo immer ich in all den Träumen auch war, da waren auch sie. Sie waren meine gesichtslosen Brüder und Schwestern. Fliehend suchte ich Schutz. Oft taumelte ich durch die Finsternis in der Hoffnung, Licht zu finden. Aber das Portal durchs Chaos zurück in meine wahre Heimat war verschlossen. Meine Brüder verhöhnten mich, dennoch boten sie mir die Mitregentschaft über die Schöpfung an.“

„Josh, kennst du die Genesis?“, fragt der Medienmensch.

„Meine Mutter war Fan von der antiken Band!“

Oliver lacht. „Ich spreche vom Kapitel über die Schöpfung in der Bibel!“

„Mann, bist du einer dieser christlichen Besserwisser?“ Ich schüttle meinen Kopf. „Nein, danke!“

„Deine Träume klingen wie aus den Anfängen der Zeit.“

Ich verziehe mein Gesicht zur Grimasse, was mit der Damenbinde im Gesicht nur bedingt möglich ist. „Nichts da!“, widerspreche ich dem Coach. „Ich war damals noch ein Kind.“

„Hörten die Träume auf, als du älter wurdest?“

„Nein! Jetzt texte mich nicht ständig zu!“ Ich räuspere mich, gaffe in die Kamera und erzähle weiter:

„Oft wachte ich schweißgebadet aus solchen Träumen auf, knipste sofort alle Lichter in meinen drei Kinderzimmern an und spähte in die Schatten, um zu checken, ob meine Brüder noch immer darin wohnend mich wieder holen kommen. In anderen Nächten suchte ich Trost im Sternengewand meiner Schwester, fand aber in keiner ihrer Galaxien Trost. Meine andere Schwester, die aufdringliche! – hetzte mich über die Milchstraße und selbst in meines Bruders schwarzen Löchern fand ich kein Versteck vor ihr. So focht ich Kriege aus und zeugte Kinder ohne Ende mit meiner besitzergreifenden Schwester.“

„Wie alt warst du, als diese sexuellen Träume anfingen?“, fragt Oliver und unterbricht mich abermals.

„Sagt ich doch schon!“, schnaube ich genervt. „Ich war elf!“

„Bist du nicht ein Einzelkind?“, will Oliver Details.

„Yep, bin ich! Weder wusste ich, was meine Albträume bedeuten sollten, noch warum mich meine Traumgeschwister niemals in Ruhe ließen.“

„Träumst du noch immer“, Oliver überlegt sich ein Wort, „in galaktischen Dimensionen?“

„Logo! Doch etwas veränderte sich, als er auftauchte.“

„Er?“, grinst Oliver etwas zu zweideutig.

Ich räuspere mich, damit der Unterbrecher schweigt:

„Eines Nachts vernahm ich ein Flüstern. Es war keine menschliche Stimme, sondern eine Tonfolge, die sich ihren Weg durchs Chaos hindurch tief hinein ins Nichts und weiter durch die Fülle ausdehnte, bis sie sich in der Vielfalt verlor. Kapiert? Doch das Flüstern sammelte sich abermals, um sich schließlich in meinem Herz einzunisten. Ab dann veränderten sich die nächtlichen Horror- und Abenteuertrips. Wohl nervte mich weiter meine aufdringliche Schwester, und meine Brüder kämpften gegen mich, doch fortan versteckte ich mich nicht mehr, sondern ich begann mit der Suche. Mich plagten Zweifel, wenn auch die Hoffnung hinter jeder Ecke lauerte und mich köderte, nur um mich abermals zum Narren zu halten. Ich hatte keine Ahnung, was ich verloren hatte, noch wonach ich so verzweifelt überall zwischen den Sternen suchte. Doch diese Suche wurde die nächsten Jahre zum Zwang.“

„Du warst sehr frühreif!“

„Oliver, es war die Hölle!“, stöhne ich theatralisch. „So verstrich meine Kindheit. Ich wurde ein Teenager. Bis ich fünfzehn war, erforschte ich Welten um Welten. Tausend Mal schleuderte mich immer wieder ein neuer Ur-Knall – es gab tatsächlich mehr als nur einen! – in gerade erst geborene Galaxien. Ich wich explodierenden Sonnen aus und tauchte durch wirbelnde Spiralnebel. Angst hatte ich schon lange keine mehr. Ich war inzwischen im All zuhause. In all den unzähligen Träumen erkannte ich kein einziges Mal eines der Gesichter meiner Geschwister. Meine beiden Brüder und meine beiden Schwestern verbargen ihr Antlitz vor mir – falls sie überhaupt jemals wirklich Gestalt annahmen. Meist fühlte ich sie nur als Kräfte, pure Energien oder als Zustände. Dennoch waren sie wirklich und sehr real. Ich nannte sie: das Nichts; die Schwerkraft, die alles, selbst Galaxien in den Abgrund zerrte; die Materie; und die Fülle, die sich in der Vielfalt des Weltalls mit all den Milliarden von Sternen, Planeten und Nebel ausdrückte. Ich war der Fünfte von ihnen. Meinen eigenen Namen kannte ich nicht, doch ich bezeichnete mich selbst als der Wanderer oder der Sucher.“

„Josh, hast du dich jemals mit Mythologie beschäftigt?“

„Nein!“, gebe ich zu. „Oliver, das waren nur Träume, nichts weiter. Niemals erzählte ich jemandem von meinen unheimlichen Traum-Geschwistern. Ich wollte nicht noch mehr Pillen verschrieben bekommen. Ich kannte weder ihre Namen, noch warum wir fünf um die Vorherrschaft über die Schöpfung stritten. Oh ja, es waren Kriege, und es waren Sexträume. Letztere machten mir am meisten zu schaffen. Die Alte hatte nichts anderes im Sinn, als mit mir immer neue Wesen zu zeugen. Oft, viele Nächte in Folge, zeichneten meine Laken die Spuren solcher Träume. Ich hasste meine Schwester.“

„Hat sich das mit deiner ersten Freundin nicht geändert?“, fragt Oliver und vermeidet es dabei, mich direkt anzusehen.

„Ich hatte noch nie eine Freundin“, nuschle ich. „Lach nicht!“, befehle ich.

„Du bist jetzt achtzehn. Sehnst du dich nicht nach …“

„Willst du meine Geschichte hören oder mich löchern? Jetzt sei endlich still!“ Genervt verdrehe ich meine Augen:

„Mein Vater klopfte mir oft morgens nach einem solchen Kopulationstraum schmunzelnd auf die Schultern und ließ danach vom Personal mein Bettzeug wechseln. Mir war es zu tiefst peinlich, dass jeder von meiner jugendliche Potenz wusste und sie natürlich bei jeder Gelegenheit thematisierte. Ich unternahm alles, um solche Träume zu unterbinden. Nichts half! Kurz gesagt, meine Jugend in Washington war, bis ich sechzehn wurde, ein einziges peinliches Fiasko.“

„Was änderte sich danach?“, fokussiert mich Oliver wieder. „Tauchte doch die erste große Liebe auf?“

Verlegen lache ich. „Schon vergessen, als ich sechzehn wurde, sind wir beide uns zum ersten Mal über den Weg gelaufen.“

„Ich erinnere mich!“ Oliver nickt ertappt. „Ich besuchte mit Pascal Chapuis zusammen dein Endspiel an der Highschool.“

Ich lache, dann schüttle ich meinen Kopf mit den komischen Stacheln, die mir noch immer als Äste verdreht abstehen. „Genau! Doch das kam erst später. Erst passierte etwas, was wirklich schockierend war.“

Weil der Mediencoach sofort gebannt lauscht, grinse ich:

„Kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag tauchte erstmals ein Gesicht in diesem nächtlichen Mega-Wahnsinn auf. Es war das Gesicht eines Jünglings, der mich durch einen glitzernden Sternenneben einer geraden geborenen Galaxie hindurch anlächelte. In all den Jahren gesichtslosem Kampf, unpersönlichem Sex und nicht enden wollender Spaziergänge über die Milchstraße, erkannte ich in ihm Hoffnung. Sein Gesicht war jugendlich und seine blonden Haare glichen Sonnenstrahlen.

Wer bist du?, fragte ich, den lärmenden Wahnsinn der Schöpfung übertönend, den Fremden. Echt! Im All ist es nicht still! Ich wollte in seiner lichten Erscheinung Antworten finden. War auch er ein Bruder von mir? Oder gehörte er zu den Wesen, die ich durch meine Verbindung mit der alles-an-sich-bindenden-Schwester gezeugt hatte?

Ich bin der Anfang aller Dinge!, flüsterte seine Stimme.

Warum habe ich dich bisher nie gesehen?, wunderte ich mich, denn in all den Äonen, die ich in verschiedenen Quadranten des Universums zugebracht hatte; in all den Welten und Galaxien, die ich durchquert hatte, bin ich ihm niemals begegnet.

Du hast nie mit deinem Herzen nachgeschaut. Ich bin der Himmlische, der Allmächtige. Ich bin in deinen Tränen. Ich lebe in deinen Freuden und deinen Ängsten. Liebe mich, denn alles liebt. Sowohl die Dämonen des Abgrunds, wie auch die Götter des Äthers; alles liebt, weil ich liebe. Seine Stimme klang wie die Musik, der ich schon einmal gefolgt war.

Wer bist du?, wiederholte ich meine Frage.

Die alten Griechen nannten mich Eros, die Römer Amor und heute kennen mich alle als die Liebe!, antwortete mir der Jüngling. Sein Gesicht löste sich in Lichtwellen auf, die sich auf den Weg machten, gerade neu geschöpfte Welten mit seiner Gegenwart zu durchströmen.

Bist du echt die Liebe?, fragte ich ihn.“

Danach fokussiere ich den Medienmenschen. „Oliver, wer fragt sich ernsthaft, wer die Liebe sein könnte? Seither wusste ich aber, wonach ich suchte.“

„Nach einem blonden Jüngling?“

„Nach Eros!“, schnaube ich genervt.

„Josh, lass uns für heute Schluss machen! Treffen wir uns morgen um die gleiche Zeit?“

„Bleibt mir etwas anderes übrig?“

Pflicht und Anstand

Oliver erwartet mich am nächsten Morgen bereits vor dem Eingang ins Medienzentrum. Wie schon gestern trägt er einen Anzug, doch heute ein farbiges Hemd und keine Krawatte dazu. Leider konnte ich unseren Butler nicht überreden, mich in Jeans und einem Tank Top losziehen zu lassen. So muss ich mir im Styling Raum erst wieder die grässlich brave Frisur ruinieren, meine Turnschuhe loswerden und mir mein Hemd aufknöpfen.

Oliver installiert die Kamera und richtet Scheinwerfer aus.

Ohne Umschweife setze ich meine Erzählung fort:

„Jonathan Josh Julius! Weil mich mein Vater mit meinem vollen Namen ansprach – was er nur tat, wenn er meine ganze Aufmerksamkeit forderte oder mich hypnotisieren wollte – zuckte ich ertappt zusammen. Doch es folgte nur die bestimmt schon zehnte Ermahnung, seit wir das Weiße Haus betreten hatten: Richte deine Krawatte und schlurfe nicht wie ein Cowboy durch die Flure. Schulter zurück und lächeln! Junge, wir treffen gleich den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und nicht einer deiner Football-Kumpels!

Ja, ja!, murrte ich vor mich hin, straffte aber widerwillig meine Haltung. Wie meist bei einem von Vaters Auftritten trug ich entweder einen Maßanzug oder einen Smoking, meist in einem dunklen Blau, Grau oder Schwarz. Einzig meine Krawatten oder Fliegen durften manchmal farbig sein. Ich hatte es durchgesetzt, an jenem Tag eine rosarote Krawatte zu tragen, was mein Vater geschmacklos fand, und meine Mutter mit einem Lächeln zollte. Mein Vater wollte, dass ich mir eine blaue oder graue Krawatte umbinde, wie sich das für einen Mann gehöre, doch Mutter ließ mich gewähren. Ich sei jetzt sechzehn Jahre alt, da dürfe man gegen Konventionen rebellieren. Zudem stünde mir rosarot sehr gut zu Gesicht. Damit war das Thema abgehackt.

Das war nicht meine erste Begegnung mit dem Präsidenten, und bei Vaters Position bestimmt auch nicht die Letzte. Der Präsident erinnerte sich beim letzten Treffen sogar an meinen Spitznamen – doch vielleicht hatte ihn ihm auch einer seiner Berater zugeflüstert.

Plötzlich schob sich der Arm meiner Mutter in meine Armbeuge. Das tat sie immer, bevor der Vorhang sich öffnete und wir die Bühne betraten oder vor den Präsidenten gerufen wurden. Vater legte sehr großen Wert darauf, dass wir als glückliche Familie in der Öffentlichkeit auftraten. Wir sollten seine Real Facts mit all ihren engstirnigen und konservativen Ansichten nicht nur vertreten, sondern vorleben.

Jonny, Schatz, ermahnte mich meine Mutter, sprich den Präsidenten nur an, wenn er das Wort an dich richtet.

Ja, ja!Ich weiß!“

Oliver lacht, weil ich meine Mutter gut imitieren kann.

„Schiebe nicht wieder deine Hände in deine Hosentaschen, wie beim letzten Mal! Halte dich zurück über Football zu reden! John, niemand interessiert sich dafür!, mahnte mich mein Vater.

Aber der Präsident sprach mich das letzte Mal auf mein letztes Spiel an. Ich hatte nur …“

An den Mediencoach gewandt: „Oliver, du musst wissen, ich widersprach meinem Vater nur selten – niemals in der Öffentlichkeit. Doch wenn es um Football ging, kitzelte schon immer mein innerer Rebell an meinem Urteilsvermögen.“

„Dafür machst du all deine Skandale verantwortlich?“

„He! Ich war immer das unschuldige Opfer!“, verteidige ich mich. „Zurück zu meiner Begegnung mit dem Präsidenten:

John, halt dich zurück!, befahl mir Vater. In seinem anthrazitfarbigen Maßanzug sah er einmal mehr wie der perfekte moralisch korrekte Senator aus. Ja, inzwischen war er nicht mehr Gouverneur, sondern Senator geworden. Mein Vater sah wirklich gut aus – was ihm bestimmt zu den vielen weiblichen Stimmen verhalf! Das Einzige, das nicht ganz ins Bild passte, war sein perfekt getrimmter Dreitagebart. Der verlieh ihm etwas Draufgängerisches, Mutiges oder gar Jugendliches. Seine dunkelbraunen Haare waren kurz geschnitten und seitlich gescheitelt, was ihn trotz des Dreitagebartes konservativ aussehen ließ. Mein Vater war groß wie auch meine Mutter. Ich selbst war mit sechzehn noch nicht ausgewachsen. Durchs langjährige Footballtraining – sowohl in der Schweiz als auch hier in den Staaten – hatte ich ganz ansehnliche Muskeln aufgebaut.“

Um das Oliver zu demonstrieren, schiebe ich meine Hemdsärmel zurück und präsentiere der Kamera meine Oberarmmuskeln. „Genau wie mein Vater, habe auch ich dieses Raubtierlächeln, was durch unsere etwas verlängerten Reißzähne, die beim Lachen deutlich erkennbar werden, geerbt. Ich habe mir ein extra schiefes Grinsen antrainiert, bei dem ich meinen rechten Mundwinkel hochziehe, damit der rechte Reißzahn über meine Unterlippe ragt. Die Mädels fliegen total drauf. So sehe ich gefährlich und süß aus.“

„Süß?“, fragt Oliver.

„Auf süß bin ich nicht stolz. Doch warum es leugnen, wenn es stimmt?“

Weil Oliver plötzlich rot wird, tue ich so, als ob mein Nasenverband verrutscht sei, und beschäftige mich damit. Als mein Coach mich wieder fokussiert, erkläre ich weiter: „Als ich fünfzehn war, wurde mein Vater zum Senator von Virginia gewählt. Jetzt gehörte er zu den hundert Senatoren der Vereinigten Staaten von Amerika und zur Top-Elite. Parallel zu seiner Karriere, stieg aber auch meine eigene Popularität in der Schule. Als Sohn eines Senators wurde ich oft bevorzugt behandelt, musste mich aber auch besser benehmen, da immer alle Blicke auf mich gerichtet waren.“

„Genau deshalb bist du hier!“, erinnert mich Oliver an die Strafe und mein Medientraining.

„Daran brauchst du mich nicht zu erinnern!“, verdrehe ich meine Augen. „Wir leben im Kolonialstil Haus meiner Großeltern, die wegen der Wärme ihr neues Domizil nach Südflorida verlegt haben. Sorry, das habe ich ja schon erzählt!“

„Kein Problem!“, winkt Oliver ab.

„Dann weiter: Meine Mutter streichelte mir mit ihrer rechten Hand ein letztes Mal durch meine dunkelblonden Haare, um eine wilde Strähne zurück in die Frisur zu bringen. Wir waren noch immer im Weißen Haus und erwarten gleich den Präsidenten zu treffen.

Jonny, wir kommen als Nächste dran! Mein Vater sah sich nach mir um. Als ob ich das nicht selbst erkannt hätte? Die Warteschlange vor uns war verschwunden. Ein weiterer Senator schüttelte gerade dem Präsidenten die Hand, danach sollten wir vorrücken. Ich schielte zu meiner Mutter, die noch immer bei mir untergehakt war. Bestimmt erhielt mein Vater viele Stimmen durch meine Mutter. Sie war immer schon eine wirklich schöne Frau mit sehr langem blonden Haar, das sie für offizielle Anlässe meist zu aufwendigen Frisuren hochgestreckt trug – aber nicht für jene Begegnung mit dem Präsidenten. Es wallte ihr übers kirschblütenfarbige Kleid mit dem rosa Schleier. Sicher war die Farbwahl ihrer Garderobe der Grund, warum ich meine rosarote Krawatte anbehalten durfte. Mutter schmückte sich mit Diamantohrringen und einem Brillanten Collier. Sowohl meine Mutter wie auch mein Vater sahen für Mitte vierzig noch immer sehr jung aus.

Wenn ich auch nicht mehr so hellblond war, wie als Kind, so hatte ich dennoch eindeutig die Haarfarbe meiner Mutter geerbt. Seit ich in den Staaten lebte, trug ich meine Haare hinten und seitlich kurz geschnitten, oben aber lang und zur rechten Seite frisiert. Vorne stellte ich sie mir immer mit Gel frech auf. Viele meinten, ich sehe ganz gut aus – doch bei all den Schmeichlern, die uns überall umgaben, glaubte ich das nie.“

„Du siehst wirklich gut aus“, bestätigt Oliver.

„Alter Schmeichler!“ Dennoch fahre ich mir mit meinen Händen durch meine Haare und schwelle meine Brust:

„Ein letzter Kontrollblick meines Vaters ermahnte mich Haltung zu bewahren und später meine Klappe zu halten, was ich beides zu beherzigen versuchte. Schon schüttelte der Präsident die Hand meines Vaters und laberte irgendwelche Höflichkeiten ohne Inhalt. Für meine Mutter hatte er Komplimente für ihr Outfit und mich sprach er abermals mit meinem Spitznamen an: Captain J.J., morgen geht es für deine Highschool um den Aufstieg. Holt sich dein Team den Sieg?

Bevor ich begeistert über des Präsidenten Interesse von meinem Team und dem Spiel erzählen konnte, räusperte sich mein Vater, und ich antwortete in wenigen Worten: Wir sind echt gut geworden! Falls wir morgen gewinnen sollten, steigen wir auf!

Der Präsident lächelte, schüttelte mir die Hand, und wie schon bei allen vor uns, wurde auch dieser Handschlag fotografisch dokumentiert. Das war es! Das war der ganze Empfang.“

„Das Foto erschien am nächsten Tag in der Zeitung“, erinnert sich Oliver.

„Ja, ja!“, winke ich ab. „Wäre es nur das gewesen!“, grinse ich plötzlich schäbig und fahre fort:

„Während des anschließenden Mittagessens saß ich schön brav am runden Tisch zusammen mit meinen Eltern, zwei Botschaftern, die mit ihren Frauen und jeweils einer Tochter anwesend waren und mit einem kauzigen Gouverneur. Natürlich wurde die Tischordnung so arrangiert, dass ich zwischen die beiden Töchter, genau gegenüber meinem Vater, platziert wurde. Diese Art der Verkupplungsversuche musste ich, seit ich vierzehn geworden war, bei absolut jedem öffentlichen Auftritt erdulden. Meine Mutter machte mich immer und überall mit jedem Mädchen bekannt, von dem sie dachte, es wäre eine gute Partie für mich. Als ob das nicht schon nervig genug wäre, lud sie ständig Politiker und Prominente zu uns nach Hause ein – natürlich nur solche mit Töchtern in meinem Alter!

John, du bist der Captain des Football Teams deiner Highschool?, fragte schon bei der Vorspeise die Schwarzhaarige zu meiner Linken.“

Mein nachgeäfftes Süßholz-Raspeln-Getuschel amüsiert Oliver wieder und er lacht schallend auf.

„Ich soll doch meine Story würzen“, verteidige ich mich.

„Du machst das wirklich gut“, lobt mich Oliver.

Von seinen Schmeicheleien angestachelt, piepst schon meine Stimme, als ich die andere Göre am Tisch nachahme:

„Ich bin Cheerleaderin!, lenkte sofort das Cowgirl, eine Brünette aus Texas, ein und bequatschte mich ohne Punkt und Komma über die Vorzüge, eine Cheerleaderin zu sein. Echt, was interessiert mich denn so was?

Die Schwarzhaarige knurrte und versuchte mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit zurück auf sich zu lenken. Auch wenn ich ständig über Football schwatzte, so machte es mir mit den Mädchen irgendwie keinen Spaß. Die redeten mir nur nach dem Mund oder sagten das, was sie glaubten, ich wolle es hören. Weiber! Trotzdem blähte ich stolz meine Brust, wenn selbst die Schwarzhaarige darüber Bescheid wusste, dass mein Team morgen Nachmittag nur ein Sieg zurücklag, um der neue Champion zu werden. Wahrscheinlich hatte ihr meine Mutter diese Information zugesteckt, um mich zu ködern. Trotzdem berichtete ich, wie ich als Captain J.J. seit einem Jahr das Team mittrainierte. Ich langweilte die beiden Mädchen damit bestimmt zu Tode. Beide hingen aber trotzdem an meinen Lippen oder schmolzen dahin, wenn ich mein Raubtiergrinsen aufsetzte. Für mich war das alles nur eine eintrainierte Farce, um meine Eltern zu befriedigen. Kicherten die Girls, ließen mich Mutter und Vater in Ruhe. Murrten die Girls, konnte ich sicher sein, dass Mutter mir zum Dessert schon eine nächste Braut zuschob. Ich mochte Mädchen, wenn ich auch noch nie etwas mit einer hatte.“

„Josh, du bist achtzehn. Du hattest noch nie etwas mit einem Mädchen?“, hakt Oliver sofort nach.

„Warum fragst du das schon wieder?“, brumme ich. „Mann, jetzt lass mich endlich in Ruhe die Story beenden. Ich verliere ständig den Faden!“ Ich winke ab und erzähle weiter:

„Als Captain J.J., wie mich in der Highschool alle nannten, gehörte es einfach dazu, dass mich Cheerleaderinnen belagerten. Ich spielte ganz überzeugend den Hahn im Korb. Wie meine Eltern ihre Rollen als Politiker innehatten und perfekt beherrschten, so tat ich das als Sohn des berüchtigten Senators Julius oder als stolzer Sohn von Frau Professor Julius, die an der Uni Politwissenschaften lehrte. Ich mimte das brave Söhnchen reicher und berühmter Eltern und rebellierte immer nur gerade so viel, dass ich als Teenager glaubwürdig blieb. Dieses Affentheater, zusammen mit meinen teuren Anzügen und dem konservativen Geplapper, gehörte einfach mit zum Familienimage der Julius’ und dem Slogan meines Vaters: Real Facts! Einzig im Football war ich frei. Einzig dort konnte ich sein, wer ich sein wollte: ein Raufbold, ein Raubtier und jemand, der auf all diesen ganzen Presse- und Promi-Rummel verzichten konnte.

Darf ich dich zum Spiel begleiten?, fragte Jane, die brünette Cheerleaderin aus Texas.

Ich habe keine Zeit für Begleiterinnen! Ich hob sofort abwehrend meine Hände, bis mich mein Vater böse ansah, und meiner Mutters Stirn sich wie die Alpentäler furchte. Beobachtet, belauscht und überwacht, nickte ich schließlich resigniert und versprach den Mädels: Ok, doch es ist ein sehr wichtiges Spiel.

Du bist ihr Captain, flötete mir die Schwarzhaarige ins Ohr. Du bist der wichtigste Mann! Ich werde dir von der Tribüne aus zujubeln. Spontan rückte sie näher und drückte mir einen Schmatzer auf die Wange. Überrumpelt und wütend darüber einmal mehr in die Ecke gedrängt worden zu sein, knirschte ich mit meinen Zähnen, doch nur solange, bis mich Vater abermals mit Blicken peitschte und ich schön brav wieder lächelte.

Als Oliver wieder laut loslacht, tue ich es auch. „Mann, als Sohn zweier Lügner, lernt man, wie es geht!“

„Deine Eltern sind für dich Lügner?“, hakt Oliver nach.

„Wenn sie über Real Fact referieren, dann ja. Zuhause nur selten. Meine Mutter ist wirklich voll in Ordnung, und mein Vater ist eben mein Vater.“

„Lass uns für heute Schluss machen. Ich habe gleich einen Termin. Stört es dich, wenn du heute Nachmittag freihast? Erzähl es nur nicht deinen Eltern!“

„Die sind eh auf Kreuzfahrt in der Karibik!“

Oliver schaltet die Kamera ab und löscht die Spots.

Captain J.J.

Ich habe mir die ganze Nacht überlegt, wie viel ich Oliver wirklich erzählen soll. Er scheint ein sehr netter Kerl zu sein. Irgendwie vertraue ich ihm. Es tut gut, ihm meine Geschichte zu erzählen, zumal er für die künftigen Ereignisse ja voll mitverantwortlich ist. Wissen meine Eltern, dass Oliver es war, der mich dazu angestachelt hat, zu tun, was meine Weichen für immer neu stellte? Bestimmt nicht! Hätten sie eine Ahnung davon, wäre er der Allerletzte, den mein Vater als mein Mediencoach zugelassen hätte.

Im Studio ist schon alles installiert. Weil der Butler sehr früh das Haus verlassen hatte, und ich unkontrolliert blieb, trage ich heute nur ne abgeschnittene Jeans und ein Tank Top in der Hitze des Hochsommers. Oliver checkt meinen trainierten Torso, den das seitlich geschlitzte Tank Top kaum verbirgt. Er setzt sich etwas verdreht ans Pult, um mir bei meiner heutigen Schilderung zu lauschen.

Ohne Umschweife steige ich direkt ein:

„Endlich Football! Endlich keiner, der mir sagte, was ich zu tun oder zu lassen hatte – außer meinen Trainern und dem Coach. Auf dem Spielfeld war es jedem egal, wie ich dreinschaute. Auf dem Rasen scherte es niemand, ob meine Frisur saß oder mein Outfit sauber war, hier zählte nur mein Einsatz. Hier war ich das Raubtier, das ich sein wollte: der Löwe, der rumbrüllte, die Wildsau, die vorpreschte oder der Bulle, der sie alle umhaute. Auf dem Spielfeld konnte ich meine Zähne fletschen, konnte sabbern und fluchen. So trugen wir Jungs beim Warmlaufen kaum mehr als Shorts oder Jockstraps. So früh morgens hatten wir nie Zuschauer auf der Tribüne. Erst als wir danach Spielzüge übten und ins harte Training übergingen, schnürten wir uns die Shoulder Pads, stülpten die Ellbogen- und Knieschoner über und schoben uns den Tiefschutz in die Jockstraps. Wir alle waren echte Kerle! Zudem störte es bisher keinen von uns, wenn die Mädchen kreischten, wenn wir unsere nackten Ärsche beim Training oder bei der Ehrenrunde nach einem Sieg zeigten. Auf Trikotoberteil verzichtete fast jeder, den es war ein ganz besonders heißer Tag. Den Helm zu tragen, war schon Tortur genug. Meinen Kumpels machte die Hitze nicht so zu schaffen wie mir. Sie alle waren seit frühester Kindheit daran gewöhnt. Nicht so ich! In Bern in den Alpen konnte es im Sommer schon heiß werden, doch niemals so tropisch feucht wie in Washington.“

„Erklärt das deinen heutigen Aufzug?“ Oliver checkt mich ab. „Es betreten selten Leute barfuß und in derart luftigen Klamotten unser Medienzentrum.“

„Muss ich künftig wieder einen Anzug tragen?“, frage ich.

„Nicht während des Interviews. Danach schon!“

„Oliver, du musst wissen: Dass ich so schnell zum Captain ernannt wurde, hatte ich bestimmt Vaters Einfluss zu verdanken. Dass ich Captain blieb, nur meinem eigenen Einsatz. Ich stürzte mich immer mitten ins härteste Getümmel und gab niemals auf! Mein Raubtiergrinsen war immer echt: In mir lauern wirklich eine Kampfsau und eine Bestie, die alles und jeden besiegen können.“

Weil Oliver mir stumm nickend beipflichtet, fahre ich fort:

„Nach einer Dusche in der Garderobe war der große Moment endlich da. Meine Jungs verwandelten sich durch das einheitliche Trikot, die engen weißen Footballhosen, die vorne ohne den Tiefschutz echt durchsichtig waren und unsere roten Helme zum eingeschworenen Team. Eine letzte Ansprache von mir, und wir stürmten mit Gebrüll aufs Spielfeld.

Captain J.J.!, jubelten die Cheerleader und vollführten ihre akrobatischen Kapriolen. In der Schweiz aufgewachsen, musste ich mich lange an diese Art der Heldenverehrung gewöhnen. Mich erinnert es noch heute oft an ein Relikt aus einer Zeit der eindeutigen Rollenverteilung. Die Männer kämpften gegen die Mammuts und Säbelzahntiger, während die Frauen hübsch aussehend die Lagerfeuer schürten und mit ihren Kochlöffeln die Beute mit Saucen beträufelten.

Captain J.J., boxte mir Georg in die Rippen, was ich wegen meinen extrembreiten Shoulder Pads aber nicht spürte, Diana und Loraine tanzen heute nur für dich!

Ah! Cool! Ich schob meine rechte Oberlippe hoch und vollzog mit meiner Hüfte vulgäres Balzverhalten, was Georg zum Lachen und die Cheerleader zum Kreischen brachte. Um ehrlich zu sein, mir war egal, wie mich die anderen sahen, solange sie in mir den Hengst und die Wildsau erkannten.

Kaum hatte das Spiel begonnen, hatte ich all meine Rollen abgelegt, genauso wie meine Ängste, meine Albträume und all die Zwänge des Elternhauses. Wie immer, wenn ich Football spielte, kollabierte die Welt um mich herum. Ich preschte vor; immer und immer wieder, bis sich der Sieg klar abzeichnete. Die Zeit verflog. Nichts war mehr wichtig, bis auf den Ball. Ich war nur noch ein Spieler, ein Kämpfer und bald ein Sieger.

SIEG!, brüllten meine Kumpels und die Cheerleader umkreisten uns mit ihrem seltsamen Rumturnen und ihren ewiggleichen Schlachtrufen. Mein Team hievte mich auf ihre Schultern und trug mich unter den Anfeuerungen unserer Fans ins Zentrum des Spielfeldes, wo sich unsere Gegner in einer Reihe entlang der Mittellinie aufgestellt hatten, um uns händeschüttelnd zum Sieg zu gratulieren. Die meisten knurrten und fluchten. Hätten wir nicht so viel Zuschauer gehabt, wären wir bestimmt prügelnd übereinander hergefallen. Unser Team hatte den langjährigen Champion endlich an den Hörnern gepackt, die Bullen vom Thron gestoßen und in den Staub geworfen. Rituale hin oder her, ich klatschte jede einzelne Hand der gedemütigten Verlierer ab und setzte mein Raubtiergrinsen auf.

Als der ganze Rummel sich nur langsam legte, war es Zeit für die Fotos. Unser Team bezog Stellung im Zentrum und wurde von Fotografen umschwärmt. Ich trug die Trophäe – den goldenen Football. Da entdeckte ich die beiden Girls vom Vorabend, wie sie tatsächlich in High Heels aufs Spielfeld auf mich zu tänzelten. Ich hatte die beiden total vergessen. Irgendwann erreichten sie mich und küssten mein schweißnasses Gesicht und versuchten dabei, nicht angewidert ihre Nasen zu rümpfen.

Ehrenrunde!, zog mich Georg von den beiden fort.

EHRENRUNDE!, brüllte ich so laut ich konnte und lief zu unseren Bänken am Spielrand voraus. Die Girls blieben, wo sie waren. Ich hatte sie längst wieder ignoriert. Ich schälte mich aus der engen Footballhose und meinem Trikot. Helfer reichten mir Badetücher und Wasserflaschen. Ich kippte mir zwei der Flaschen über den Kopf und fühlte mich in der Tropenhitze endlich wieder abgekühlt genug für das Team-Ritual. Nur noch in Jockstraps, die durch unsere Tiefschutze arg ausgebeult waren, mit den Shoulder Pads und in unseren Sportschuhen, wie auch den Helmen wieder aufgesetzt, liefen wir wie echte Machos die Ehrenrunde um den Platz und grölten wie Paviane beim Balzritual – falls Affen das tun? Unsere nackten Ärsche zu zeigen gehörte zum Spaß, hatte aber keinerlei tiefere Bedeutung.

Natürlich wurden wir fotografiert. Nur weil wir uns alle für den Blödsinn hingaben, sah es jeder als den Unfug sechzehnjähriger Jungs an, in denen das Testosteron hochspritzte. Die Cheerleader tanzten dazu vor der Tribüne, und wir Jungs drehten johlend unsere Ehrenrunde. Danach hatte kaum einer Lust, sich sofort wieder anzuziehen. Es war einfach zu heiß dazu.

Captain J.J. Julius?

Ich drehte mich der männlichen Stimme zu. Ein Typ Anfang Zwanzig mit Latinogesichtszügen, einem Schmollmund und einer etwas zu dicken Nase winkte mich zu sich.“

„He!“, protestiert Oliver und unterbricht meinen Bericht. „Meine Nase ist genau richtig!“

„Ja, ja!“ Ich winke ab. „Soll ich weiter erzählen oder referieren wir über deine Nase?“

Als Oliver sich lachend im Stuhl zurücklehnt, fokussiere ich wieder die Kamera und rede weiter:

„Der Typ trug einen Anzug und Krawatte. Sein Presseausweis verriet mir, dass er für die Medienagentur arbeitete, die meinen Vater in der Vergangenheit oft beraten hatte. Ungeniert musterte er meinen Aufzug.“

„Habe ich nicht!“, verteidigt sich Oliver schon wieder.

„Hast du doch! Und du tuest es auch jetzt! Aber egal. Jetzt unterbrich mich nicht ständig!“ Ich erzähle weiter:

„Für mehr ist es heute zu heiß!“, wischte er meine Ausrede zur Seite, noch bevor ich sie selbst aussprechen konnte. Daher nickte ich nur und setzte mein Raubtiergrinsen auf.

Ich bin Oliver Whitehurst“, stellte er sich mir vor. Ich arbeite für eine Lokalagentur. Mein Fotograf und ich haben das Spiel interessiert verfolgt. Dir ist schon bewusst, dass dein Team ohne dich niemals gewonnen hätte?

Ähm, nun …

Es ist so!, flirtete der Typ mit den dunklen Locken mit mir.“

Weil ich Oliver etwas zu gut imitiere, wird er knallrot im Gesicht, unterbricht mich aber diesmal nicht. Warum ich, seine Stimme weiter nachmachend, fortfahre:

„Pascal!, brüllte Oliver plötzlich. Ein französisch aussehender schlanker Typ in Olivers Alter löste sich von meinen Kumpels, die ihm einzeln posierten. Das ist Pascal. Unser Fotograf!

Was geht ab? Pascal streckte mir seine linke Hand zu und hielt mit seiner rechten ein Minolta Kamera mit Teleobjektiv fest. Captain J.J., du warst wie Ares in der Schlacht. Wo immer du im Spiel aufgetaucht bist, haben sich die Chancen gewendet.

Ja, ja!, grinste ich Pascal an.

Darf ich? Der Fotograf zeigte mit seiner Minolta auf mich und schob sich danach seine Haare aus dem Gesicht.

Lieber nicht! Ich schüttelte meinen Kopf. Ich zieh mir nur schnell meine Hose über.

Nein! Oliver hielt mich an der Schulter zurück. Du siehst so verschwitzt wie ein echter Sieger aus. Bilder von dir im Trikot haben wir genug. Stimmt doch?, wechselte Oliver Blicke mit Pascal.

Allerdings!, pflichtete der Fotograf bei. Von deinen Kumpels scheute sich keiner.“

„Wir haben dich nicht verführt!“, meldet sich Oliver wieder und unterbricht abermals meine Comedy.

„Habt ihr sehr wohl!“, beharre ich. „Jetzt lass mich den Hergang so schildern, wie ich ihn erlebt habe. Verstanden?“

„Josh, es ist dein Bericht!“

Ich räuspere mich und denke mich zurück aufs Spielfeld und zur Auseinandersetzung mit Oliver und seinem Fotografen:

Hab ich gesehen!, drehte ich mich nach meinem Team um. Keiner der Jungs hatte sich wieder angezogen, und das, obwohl sie von Fans und Cheerleadern umringt waren. Uns kennt jeder als die nackten Ärsche!, verriet ich und zuckte mit der Schulter. Was soll es! Wo soll ich mich hinstellen?

Hier! Oliver reichte mir den goldigen Football. Setze dir deinen Helm auf und stelle dich dort neben die Tribüne. Kannst du dabei das Spielfeld fokussieren und dich mit deinen Händen am Geländer der Absperrung aufstützen? Kaum in Position begann Pascal mit dem Knipsen, während immer mehr meiner Kumpels einen Ring um uns bildeten.

Captain J.J., jetzt streck schon deinen Arsch etwas provokativer in die Kamera!, motivierte mich Georg und demonstrierte es mir, was lautes Grölen auslöste. Angestachelt von meinen Kumpels, dem Adrenalin, das nach dem Sport noch immer durch meine Adern raste und den aufmunternden Blicken von Oliver, stellte ich mich kecker hin, schob den Gesichtsschutz meines Helms hoch und drehte mich so, damit ich Oliver direkt fokussieren konnte. Als ich meinen Arsch dem Fotografen provokativ hinstreckte, prustete ich vor Lachen. Leute, so bin ich nicht drauf! Obwohl ich die Aufmerksamkeit genossen hatte, zog ich mich zurück.

Danke für die Fotos!, rief mir Oliver nach, und Pascal hob fett grinsend seine Augenbrauen. Offensichtlich hatten die beiden das im Kasten, was sie wollten.“

„Das hatten wir wirklich!“, bemerkt mein Medientrainer.

„Darf ich zu Ende erzählen?“, schüttle ich genervt wegen der erneuten Unterbrechung meinen Kopf:

„Captain J.J., flüsterte mir eine weibliche Stimme ins Ohr und ihre Hand fuhr über meine Backen. Ich will mit dir …

Was! Sicher nicht!, schlug ich erschrocken auf ihre Hand, entschuldigte mich für meine Grobheit und stapfte Richtung Garderobe davon. Das Mädchen, die Brünette vom Empfang, ließ ich einfach stehen. Ich wollte nur noch duschen und danach mit meinen Kumpels unseren Sieg feiern.“

„Ich erinnere mich gut an jenen Tag!“ Grinsend nickt mir Oliver vom Pult aus zu. Pascal und ich haben die ganze Nacht die Fotos gesichtet und am Bericht für die Zeitung gearbeitet.“

„Soll ich dir mal sagen, was du mit deinem Foto wirklich angerichtet hast?“ Ich lehne mich auf meinem Stuhl unter den Spots vor und warte auf eine Reaktion meines Mediencoachs.

Naked Facts

„Wir haben noch Zeit! Josh, bitte erzähl mir, was danach passierte!“

„Als ich am nächsten Morgen zuhause am Frühstückstisch saß und mir unser Butler Mister Farragut ein Omelett reichte, legte er mir auch gleich die Tageszeitung so aufgeschlagen daneben, dass ich augenblicklich errötete.

NAKED FACTS zierte in Großbuchstaben der Titel ein Foto von mir. Das Foto zeigte mich in nichts als einer Jockstraps nackt am Geländer vor dem Spielfeld stehend. Mein Arsch wirkte extrem prall und war zu sehr in Pose gesetzt, als das ich es als einen Schnappschuss hätte abtun können. Pascal war es gelungen genau in dem Moment zu knipsen, als ich mein Kreuz durchdrückte, frech zurückschaute und meinen Arsch so nach hinten streckte, als ob ich ein Pornostar sei.

Darüber stand: Captain J.J. Julius und danach, nochmals direkt im Bild der Slogan Naked Facts. Mir war sofort bewusst, dass mein Vater ausrasten würde, wenn er das Foto zu sehen bekam. Warb er doch in seinem Wahlkampf zum Senator mit Real Facts. Neben dem Arschbild gab es noch ein weiteres, auf dem ich abermals zu sehen war, wie mich mein Team auf ihren Schultern zum Siegespodest trug, sowie einen Artikel zum Spiel. Ich war mir jedoch sicher, mein Vater würde dafür kein Auge mehr haben, wenn er meinen Arsch in der Tageszeitung erst gesehen hätte. Die Presse hatte meine Dummheit ausgenutzt, um Senator Julius die Arschkarte zu zeigen.

Hastig verschlang ich mein Omelett, grabschte mir die Tageszeitung und flüchtete damit aus dem Haus. Mir war klar, dass ich mich meinem Vater früher oder später stellen musste. Dennoch spazierte ich via Dupont Circle fast bis zum Weißen Haus und wieder zurück. Mutig kehrte ich nach drei Stunden Spaziergang etwas beruhigt in unser Haus zurück. Noch nie kam mir dieses riesige Backsteinhaus so dominant vor. Die dunklen Ziegel und die robusten Fenster und Türrahmen wirkten plötzlich noch konservativer und gutbürgerlicher, als sonst. Ich hatte diese Werte verraten. Anstatt den guten Sohn zu spielen, streckte ich der Welt meinen blanken Hintern hin. Plötzlich musste ich schmunzeln, doch nur solange, bis ich einen Schatten im oberen Stockwerk in Vaters Büro bemerkte.

Kaum im Haus empfing mich meine Mutter. Ihr sonst hübsches Gesicht glich der Fratze einer Harpyie aus der griechischen Mythologie. Ihr Mund wirkte wie der Hauer eines Adlers, bereit mir die Leber bei lebendigem Leibe aus dem Körper zu reißen. John, wie konntest du Vater das antun?, fauchte sie.

Mutter, wir drehten nur unsere Ehrenrunde, wie nach jedem Spiel, dabei hat uns ein Fotograf …, verteidigte ich mich.

So präsentierst du dich der Öffentlichkeit? Meine Mutter langte nach der Zeitung und deutete auf das Bild. Obwohl mir das Foto recht gut gefiel – ja, ich war richtig stolz auf meine prallen Backen und mein freches Raubtiergrinsen – errötete ich jetzt bis zum Haarschopf, dass meine Mutter mich so abgebildet in der Washington Post sah.

Jonathan Josh Julius, folge mir! Dein Vater wartet oben in seinem Arbeitszimmer auf dich!

Ich schlüpfte nur rasch aus meinen Turnschuhen und schlurfte barfuß hinter Mutter den langen Flur nach, über die gewundene Treppe im Zentrum des Erdgeschosses hinauf, um oben ins private Reich der Julius-Familie zu gelangen. Gerne hätte ich mich in meine Zimmer verdrücken, doch Mutter steuerte die Gegenrichtung an: die Büros meiner Eltern. Vaters Gesichtsausdruck glich grauem Marmor. Verängstigt nahm ich Haltung an und bemerkte erst, als ich es tat, dass ich unbeabsichtigt eine ähnliche Pose wie auf dem Zeitungsbild eingenommen hatte. Augenblicklich entspannte ich mich wieder, doch nur, bis mein Vater mich mit einem Blick musterte, denn ich noch nie an ihm gesehen hatte: Verachtung!

Vater, das war nicht beabsichtigt!, haspelte ich eine Entschuldigung. Unser Team läuft immer in Jockstraps eine Ehrenrunde nach einem Sieg. Das bedeutet nichts.

Nichts?, donnerte Vaters Stimme. Heute mag dein Bild die Lachnummer in der Tageszeitung sein!

Schockiert darüber erbleichte ich.

Doch schon morgen wird es hundertfach kopiert von meinen politischen Gegnern als direkter Angriff auf meine Kampagne benutzt werden. John, ist dir denn nicht klar, was du alles zunichte machst?

Aber, Vater, ich wollte doch niemals …

Schweig!

Ich zuckte ab der Aggression zusammen.

Mister Jonathan Josh Julius, haben ich oder deine Mutter dich solches gelehrt? Wütend streckte mir mein Vater das Bild entgegen und tippte auf meinen nackten Arsch. Du präsentierst dich wie eine billige Hure. War ich gestern noch stolz auf meinen Sohn, der dem Präsidenten der Vereinigten Staaten die Hand schüttelte; auf den Captain, der seine Mannschaft zum Sieg verhalf; bin ich heute nur noch schwer von dir enttäuscht.

Vater, murmelte ich und mein Hals kratzte, mein Team ist der neue Champion und …

Abmarsch in deine Zimmer! Deine Sommerferien mit uns auf den Bahamas sind gestrichen!

Was? Aber …, wiedersprach ich.

Raus hier, bevor ich vergesse, wer ich bin, oder wer du sein könntest!

Blitzschnell drehte ich mich um und flüchtete in meine Zimmer, um mich auf mein Bett zu legen. Vaters Predigt war heute kurz, aber nur, weil er sich kaum beherrschen konnte. Weder musste ich die Familienregeln aufsagen, noch den Wahlspruch der Familie Julius herunterleiern, um mich an die überlieferten Familienwerte unserer ach-so-ruhmreichen Vergangenheit zu erinnern. Bestimmt würde das noch folgen. Eine Kopie des Fotos aus der Tageszeitung hatte ich mir auf dem Spaziergang schon ausgeschnitten und in einen billigen Wechselrahmen getan. Vater kochte vor Wut, doch kaum sah ich mir das Bild von mir nochmals an, ging mir das voll am Arsch vorbei. Kam ich von hinten echt so geil rüber?“

„Ja, das tust du!“, unterbricht mich Oliver.

„Echt?“

Als der Mediencoach schweigt, erzähle ich weiter:

„Nach längerer Betrachtung versteckte ich den Wechselrahmen mit meinem Bild unter der Kommode, zog mich bis auf meine Jockstraps aus und stellte mich vor den Spiegel. Mir war bisher nie bewusst gewesen, wie muskulös mein Rücken, meine Oberarme und Waden geworden waren. Doch das Beste war wirklich mein Knackarsch. Zufrieden und stolz auf meinen trainierten Quarterback-Körper ließ ich mich rücklings aufs Bett fallen. Auf die Bahamareise mit meinen Eltern hatte ich eh keinen Bock. Mutters Verkupplungsversuche vom Vorjahr waren mir noch gut in Erinnerung. Mich kotzte das alles an. Je länger, je mehr. Meine Eltern versuchten, mich bei jeder Gelegenheit mit irgendwelchen Tussis zu verkuppeln. Als ob wir noch immer im Mittelalter lebten, als politische Allianzen durch Heirat gesichert werden mussten.