Apollon und Mercury - Einer muss sterben - Manuel Sandrino - E-Book

Apollon und Mercury - Einer muss sterben E-Book

Manuel Sandrino

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Beschreibung

Fortsetzung von 'Wahre Träume leben' Apollon findet in Los Angeles heraus, wer und was er wirklich sein könnte. Als ihn Dionysos verführt und ihm die Schicksalsgöttinnen prophezeien: 'Einer muss sterben, so ist es immer!', kriegt er Panik. Als dann sein Cousin vom Mordanschlag auf seinen Geschäftspartner in Miami hört, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Mercurys Freund fällt nach dem Attentat ins Koma. Für den Draufgänger bricht eine Welt zusammen. Plötzlich ergeben die Ratschläge seines Mentors und all die Prüfungen in seinen bizarren Träumen Sinn. In Miami treffen Apollon und Mercury erstmals aufeinander und verlieben sich. Doch für Liebesglück bleibt kaum Zeit. Die Umweltkatastrophen mehren sich. Überall lauert Verrat. Traum und Wirklichkeit überlagen sich immer mehr. Nur wenn die Jungs ihr mythologisches Schicksal annehmen, haben sie eine Chance zu überleben. Sie müssen in die Unterwelt, um Helios zu finden und Mercurys Freund aus dem Koma zu wecken. Jetzt geht es um Leben und Tod: Einer muss sterben, so ist es immer ...

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Apollon und Mercury - Einer muss sterben

von Manuel Sandrino

Von Manuel Sandrino bisher erschienen:

„Selbstverständlich schwul!“ ISBN print: 978-3-940818-01-0

Apollon und Mercury – Wahre Träume leben“ ISBN print: 978-3-86361-379-20

Auch als E-book

Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,

Himmelstürmer is part of Production House GmbH

www.himmelstuermer.de

E-mail: [email protected]

Originalausgabe, März 2014

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage.

Coverfoto: shutterstock.

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

Printed in Dänemark

ISBN print 978-3-86361-385-3

ISBN epub 978-3-86361-386-0

Vorwort

Was sind Götter? Manche belächeln die Uralten aus anderen Kulturen, andere schieben sie in eine Sagen- und Märchenwelt ab und wieder andere werfen sich angstvoll vor ihnen in den Staub. Unerreichbar, fremd, furchteinflößend und grausam sind die Götter; herrlich, machtvoll und erhaben. Was aber, wenn die Götter gar nicht so anders, als wir selbst sind?

Joseph Campbell, ein berühmter Mythenforscher sagte einmal in einem Interview über Mythos und moderne Welt: „Die Leute sagen, dass wir alle nach einem Sinn des Lebens suchen. Ich glaube nicht, dass es das ist, was wir wirklich suchen. Ich glaube, was wir suchen, ist eine Erfahrung des Lebendigseins, so dass unsere Lebenserfahrungen auf der rein physischen Ebene in unserem Innersten nachschwingen und wir die Lust, lebendig zu sein, tatsächlich empfinden.“ (Aus dem Buch Die Kraft der Mythen).

Apollon und Mercury, zwei Teenager der Gegenwart, werden von alten Göttern besucht, von ihnen trainiert und auf eine Reise geschickt, die ihre Lust auf Leben und ihre Erfahrung des Lebendigseins ganz neu definiert. Im Angesicht des Todes begreifen die Jungs die wahre Lust am Leben. Nur indem Apollon und Mercury begreifen, dass sie selbst Götter sind; dass sie die Götter ihres eigenen Universums sein müssen und dennoch nichts weiter, als Menschen unter Menschen sind, bekommen sie eine reale Chance, ihr Abenteuer zu überleben.

Apollon: Was ist normal?

Was mache ich hier? Warum passieren mir nur immer so seltsame Dinge?

Ich verstecke mich in Martins Wohnung, weil mir vorhin im Vorgarten eine Verrückte an die Wäsche wollte. Die Frau konnte einfach ihre Finger nicht bei sich lassen, als sie mich anquatschte und so tat, als ob sie sich hier in Los Angeles verfahren hätte und mich nach dem Weg fragte. Diese Melpomene, wie sie sich mir vorstellte, ist vermutlich eine Rock- oder Punk Queen, die gleich irgendwo einen Auftritt haben wird. Zumindest schlussfolgere ich das nach ihrem Aussehen. Sie hatte gefärbtes Haar, das Deckhaar platinblond und das darunter schwarz, passend zu ihren ebenfalls schwarz-weißen Klamotten. Alles an Mel war sowohl Licht als auch Dunkelheit. Ich war mir, während ich ihr den Weg zeigte, nie ganz sicher, ob sie mich vernaschen oder abstechen will. Würde ich auf Frauen stehen, hätte es mir vielleicht gefallen von einer Endzwanzigjährigen Frau so angehimmelt zu werden, doch ich stehe nun mal nicht aufs andere Geschlecht.

Hier in Los Angeles ist so einiges sehr seltsam. Wildfremde Frauen wollen mich auf offener Straße singen hören und die Typen in der Disco auf dem Tresen tanzen sehen. Erstes wollte ich nie, zweites tat ich nur, weil ich abgefüllt wurde. Schon klar! Welcher Depp schluckt schon offerierte Cokes mit viel zu viel Eis, damit man den Alkohol darin nicht mehr herausschmeckt? Ja, ich tat so einiges, wofür ich mich schäme.

Seit etwas mehr als zwei Wochen bin ich inzwischen hier. Ich blicke auf meinen Wildleder Lendenschurz, der so kurz ist, dass nur gerade das allernötigste darunter verborgen bleibt. Hätte mich dieses Weib vorhin im Vorgarten auch angegrabscht, hätte ich mehr getragen? Ich bin kein Feigling! Trotzdem verstecke ich mich – wie mutig!

Draußen scheint die Sonne. Es ist wahnsinnig heiß! Viel heißer, als es eigentlich sein dürfte! Keine Wolke ist am Himmel. Das ideale Wetter, sich draußen aufzuhalten; immerhin sind das hier meine Sommerferien! Mir ist bewusst, dass ich mich nirgends verstecken kann. Das Schicksal kennt mich – persönlich! – und lässt niemals zu, dass ich einfach nur ein Teenager bin, der ganz normal sein Leben führen und hier in West-Hollywood ein paar Wochen Urlaub machen will.

Genervt schüttle ich meine Haare und streife sie mir danach aus dem Gesicht. Ich sollte zum Frisör, meine Locken kitzeln auf meinen Schultern. Lustlos lasse ich mich auf den bequemen Sessel im Wohnzimmer plumpsen und starre die leere Couch an, auf der sonst Martin liegt, wenn er TV schaut. Martin ist im Büro.

Es ist später Morgen.

Ich schleiche – obwohl mich hier drinnen eh niemand sehen kann – zum nächsten Fenster und spähe hinaus. Niemand zu sehen. Ob ich doch wieder in die Sonne raus sollte? Aber was mache ich, sollte dieser Vamp zurückkommen – oder noch schlimmer – die drei Schicksalsgöttinnen? Vorsichtig hebe ich meinen Kopf. Augenblicklich zucke ich zusammen, weil ein Singvogel sich auf einer der Palmen niederlässt und mich direkt fokussiert.

„VERSCHWINDE!“, brülle ich ihn durchs geschlossene Fenster an. Der freche Vogel hüpft einfach auf einen anderen Palmwedel und zwitschert sein Liedchen. Was für ein Hohlkopf – was für ein freier Hohlkopf!

Von Mel fehlt jede Spur. Trotzdem wage ich es nicht, die Tür aufzuschließen. Von männerfressenden Frauen habe ich vorerst genug! Ich zieh mir den Lendenschutz aus und schleudere ihn auf Martins Couch. Als ich hier ankam, war ein solcher Aufzug ganz und gar nicht normal für mich. Noch vor wenigen Tagen hätte ich mich niemals nur in einem Lendenschurz auf die Straße gewagt – heute schon! Jetzt würde ich sogar nackt raus, wäre ich mir sicher, die Verrückte würde nicht zurückkehren. Nacktsein war, bevor ich meinen Nudisten Cousin traf, nie meine Sache. Das änderte sich ziemlich rasch. Mein Stolz und meine jugendliche Eitelkeit spielten mir einen Streich; ich ließ mich schon am zweiten Tag hier in Amerika auf eine Wette mit Martin ein. Um ehrlich zu sein, ich wollte verlieren, da ich glaubte, meine Wettschuld sei Krafttraining bei einem Bodybuilder. Weit gefehlt! Vor zwei Wochen wusste ich einfach noch nicht, wie berechnend mein lieber Cousin sein kann. Er trickste mich aus. Als Wettschuld brummte er mir sieben Prüfungen auf, von denen ich inzwischen über die Hälfte – mehr schlecht, als recht – bewältigt habe. Bestanden? Keine Ahnung! Erst holte mich Martin einfach aus der Reserve. Ich musste mehr von meinem Körper zeigen, als ich bisher gewohnt war. Als ich dann auch noch die letzten Hüllen fallen lassen musste, zog ich nicht nur meine Shorts und Shirts aus, sondern entledigte mich auch alten Denkmustern und Gewohnheiten. Erst vermutete ich, Martin wolle mich zum Nudisten machen, damit ich bei ihm in der Firma mitarbeite, denn mein Cousin leitet die NAWA, was für Nudist at Work Agency steht. Das war aber nur eines seiner Ziele!

Martin hat ganz anderes mit mir vor, als nur ein gesundes Verhältnis zu meinem Körper zu entwickeln. Seine sieben Prüfungen entpuppen sich als etwas vollkommen anderes. Käme es dem Wahnsinn nicht so nahe, ich würde nur darüber lachen. Martin hat sich in den Kopf gesetzt, mich meines Namens bewusst zu machen, ja mehr noch, in die Fußstapfen meines Namensgebers zu treten. Leider hat das nichts mit eitlem Gerede oder so einer Machomasche zu tun, sondern mit Mythologie.

Mein Name ist Apollon.

Meinem Opa, der kürzlich plötzlich starb, verdanke ich es, dass ich nach dem antiken Sonnengott benannt wurde. Ja, mein Opa war mehr, als nur ein Fan der Griechischen Götter, Opa war regelrecht von ihnen besessen. Inzwischen ahne ich, dass dies sehr wörtlich zu verstehen ist! Natürlich bin ich kein Gott und werde es auch niemals werden oder sein, dennoch schlummern in mir Talente, die den Tod herausfordern werden. Dies prophezeite mir Opa nur wenige Stunden vor seinem überraschenden Tod. Wären seither nicht so extrem seltsame Dinge passiert, ich würde einfach – wie jeder andere normale Teenager auch – darüber Witze reißen und es auf sich beruhen lassen.

Als ich mich gegen den aufgezwungenen Nudismus zu Anfang meiner Prüfungen noch wehrte, meinte Martin nur trocken: „Hast du den alten Knaben je in Kleidung gesehen?“ Er sprach von Apollon. Natürlich habe ich noch nie eine Statue vom echten Apollon gesehen, bei der er mehr als ein Schultertuch oder einen weit offenen Mantel trägt – falls überhaupt. Apollon gibt es einfach nur nackt! Jetzt tigere auch ich splitternackt durchs Wohnzimmer und spiele wirklich mit dem Gedanken, mich so draußen in die Sonne zu legen. Ja, Dinge und auch Einstellungen verändern sich: prüde sind jetzt die anderen! Ich lasse es trotzdem bleiben: in Kalifornien ist ein Nackter ein öffentliches Ärgernis und vollkommene Hüllenlosigkeit sogar strafbar.

Ich hatte noch niemals Sex, doch ich träume davon, seit ich zehn bin. Hier in meinen Ferien beginne ich meine Sexualität zu entdecken. Ich lerne meinen eigenen Körper kennen; wirklich mehr ist noch nicht passiert. Klar möchte ich endlich dazugehören und das Jungfrauen Dasein hinter mir lassen, doch irgendwie warte ich auf den Richtigen. Vielleicht bin ich romantisch, vielleicht auch nur verklemmt oder noch immer viel naiver, als ich hoffe. Martin gefällt mir. Ja, mein exhibitionistischer Nudisten Cousin ist so selbstverständlich schwul und ungezwungen, dass ich mich in seiner Gegenwart täglich wohler fühle. Der verrückte, neunundzwanzigjährige Bodybuilder ist so was wie mein bester Freund geworden, mein Wahl-Bruder und Verbündeter. Habe ich mich in Martin verliebt? Nein! Bestimmt nicht!

Ich liebe einen Jüngling, den ich bisher nur aus meinen Träumen kenne. Er ist kleiner als ich – ok, ich bin einsneunzig groß, da sind die meisten kleiner! Mein Traumtyp hat Augen, so klar und blau wie kalte Bergseen, seine Haare sind dunkel und ziemlich struppig. Irgendwie wirkt er klassisch, denn sein Gesicht ist vollkommen symmetrisch, was ihm diese zeitlose Schönheit verleiht. Er dürfte mindestens zwei, drei Jahre älter als ich sein, im Traum hat er noch immer Pickel im Gesicht. Dieser Jüngling hat Muskeln wie mein Cousin, wahrscheinlich ist auch mein Traumfreund Bodybuilder. Seinen Namen kenne ich nicht, noch weiß ich, wo er lebt – falls er überhaupt lebt? Sehe ich einen anderen Jungen, vergleiche ich ihn automatisch mit diesem Traumtypen. Vielleicht ist es auch nur eine Ausrede, mich nicht auf Sex einzulassen?

Seit Opas Tod haben sich meine Fantasien mit ihm geändert. Der Jüngling ruft mich in Träumen um Hilfe. Apollon, hilf mir!, fleht er mich an. Immer steht er blutverschmiert im Bug eines Schiffes und weint aus Verzweiflung. Ich habe keine Ahnung, ob das Ereignis schon passierte, erst passieren wird oder einfach symbolisch zu verstehen ist. Sicher ist nur: Er kennt meinen Namen. Auch das ist extrem unheimlich!

Ich habe keine Angst. Ich bin kein Feigling! Ein Feigling würde nicht in einer Disco strippen – abgefüllt oder nicht. Ein Feigling würde auch niemals an einer Geburtstagsfeier mit über fünfhundert Gästen splitternackt als Ehrengast auftreten und sogar noch singen. Ob ich am letzten Samstag in Beverly Hills wirklich gesungen habe, weiß ich nicht mit Sicherheit. Meine Musen behaupten es, doch Frauen, die von sich selbst behaupten, Musen aus der Mythologie zu sein, kann ich nicht so ganz ernst nehmen.

Mein Leben hier in Los Angeles könnte so schön sein – irritierend und fremd, doch spannend – wäre da nicht diese andere Seite, die sich immer stärker in den Vordergrund meines Lebens drängt: diese mythologische, fantastische und sehr gefährliche Seite. Nein, ein Feigling bin ich nicht! Dennoch zittere ich schon wieder, wenn ich auch nur daran denke.

Wie ich bin, hocke ich mich wieder auf die Couch und drücke auf der Fernsteuerung des TV herum. Auf mehr als der Hälfte der Sender, durch die ich im Eiltempo surfe, werden Sonderberichte über die weltweiten Klimakatastrophen gezeigt. Seit April regnet es in weiten Teilen Europas und Nordamerikas nicht mehr. Die Dürre beginnt immer verheerendere Folgen mit sich zu bringen. Nordafrika ersäuft in nicht enden wollendem Regen und Asien wird von Stürmen verwüstet. Die Nachrichten bringen täglich neue Katastrophenmeldungen und die Forscher der ganzen Welt rätseln über dieses Phänomen. Es gibt unzählige Erklärungen, Schuldige werden gefunden – dann wieder entlastet – Theorien werden entwickelt und verworfen, doch eigentlich hat keiner eine Ahnung, was wirklich gerade weltweit passiert. Ich leider schon!

Bei bunten Bildern stoppe ich und lange nach meinem Abenteuerbuch, das vor mir auf dem Glastisch liegt. Darin schreibe ich alles auf, was mir so passiert oder wovon ich träume. Die Aufzeichnung einer Gay-Parade irgendwo in Australien dient mir als Hintergrundablenkung, während ich versuche, meine Erlebnisse von heute morgen gedanklich zu ordnen. Nachdem eine Gruppe von Drag Queens mit Sturmfrisuren auf dem Bildschirm vorbeihuschte, schalte ich grinsend um. Die Typen haben sich die Stürme Südost Asiens auf den Kopf gesetzt. Ich will schon erneut umschalten, da auch der nächste Sender Drag Queens zeigt; diesmal eine Gruppe alternder Männer in roten Fummeln und weißen Spitzenhemdchen sowie ulkigen Hüten. Da sie in einer Geheimsprache singen, bleibe ich einen Moment länger auf dem Sender. Ob das Rot die neue Hitzewelle symbolisieren soll, ihre Wut oder der Strafe Gottes, wie ich aus einzelnen Worten heraushöre, eine Farbe geben. Da die Typen steinalt sind, wird ihr Rot wahrscheinlich nicht für Lust und Lebensenergie stehen. Ich schaue genauer hin. Einer von ihnen, offensichtlich ihr Anführer, hebt seine Hände und fleht irgendeine Gottheit in Lateinisch um Rettung an. Da ich immer wieder in meinem Abenteuerbuch blättere und frühere Abschnitte überfliege, realisiere ich erst jetzt, als ich die Roten nochmals genauer ansehe, dass es sich nicht um eine weitere Gruppe stolzer Drag Queens handelt, sondern um katholische Priester. Ich schalte den Fernseher aus. Ich halte nichts von Bitten und Flehen oder auf den Knien eine Demuts-Show für andere zu inszenieren.

Ehrlich, würde ich nicht zwischendurch lesen, was ich hier schon alles erlebt habe, ich könnte es selbst nicht glauben. Meine Begegnung mit dieser Melpomene muss ich noch aufschreiben. Dazu lege ich meine Füße auf den niedrigen Glastisch und beobachte meine Zehen, während ich Seite um Seite fülle. Martin meint, ich sehe sehr gut aus, was diese Musen-Frauen an Bobs Party ebenfalls bestätigten, wie auch die meisten Gays, denen ich bisher hier in West-Hollywood begegnet bin. Aber welcher achtzehnjährige Typ, der sich so gut wie nackt bewegt, wird nicht angehimmelt, verehrt und auf ein Podest gestellt? Schmiere dem eitlen Jüngling Honig ums Maul und er zieht sich wieder aus! Ja, so schätzen mich viele ein.

Nach einer Weile lese ich, was ich über Melpomene geschrieben habe. Diese Frau war einfach nervig, irgendwie schräg drauf, aber hauptsächlich nervig. Mit großem Respekt blättere ich zur nächsten leeren Seite vor. Ich muss mein anderes Erlebnis von heute morgen ebenfalls aufschreiben, solange die Erinnerung daran noch so frisch ist. Flammendes Inferno betitle ich die leere Seite.

Alles begann, als mir die drei Moiren aus der griechischen Mythologie in einem Wachtraum oder einer außerkörperlichen Erfahrung, oder was weiß ich, wie man eine Begegnung mit antiken Gottheiten beschreiben soll, in Martins Vorgarten besuchten. Das war vor nicht mal einer Stunde. Wahrscheinlich döste ich im Schatten einer der Palmen und träumte alles nur. Doch die Erinnerung daran ist realer, als alles, was ich bisher in meinem Leben durchgemacht habe.

Klotho, Lachesis und Atropos zwangen mich, meinem Schicksal ins Auge zu blicken. Mein Leben sei mit den Umweltkatastrophen, die seit April weltweit für Schlagzeilen sorgen, aufs engste verknüpft. Ich müsste die Ursache kennen, um die Wirkung zu bekämpfen. Mir zeigte Klotho, die Weberin des Schicksals, den mythologischen Grund für all das. Ja, die Schicksalsgöttin brachte mich zur Ursache all dieser Katastrophen in die Vergangenheit, um alles hautnah und mit eigenen Augen zu bezeugen. Es war ein Albtraum! Leider haben es meine Träume so an sich, dass sie sich verwirklichen oder zumindest die Gestalten aus meinen Träumen mir auch im täglichen Leben begegnen – vielleicht ja auch eines Tages mein Traumtyp?

Wie auch immer! Ich stand als eine Art Geist auf dem Sonnenwagen des Helios, dem echten, griechischen Sonnengott. Sein Sohn Phaethon überredete den Vater, das Gefährt lenken zu dürfen. Der Vater verbot es, doch der Teenager schupste Papi beiseite und ergriff die Zügel. Augenblicklich erschienen vier Feuerhengste und das antike Gefährt erhob sich in den Himmel. Das spielte sich in Bern ab. Natürlich verlor Phaethon fast augenblicklich, als der Wagen zu brennen begann und wir bald knietief in Lava standen, die Kontrolle über das Göttergefährt und donnerte mit dem fliegenden Wagen in die Eiger Nordwand der Schweizer Alpen. Ich war nur ein Geist, ein stiller Zeuge dieses Ereignisses, dennoch bilde ich mir ein, noch immer die Hitze und das Inferno um mich herum toben und alles verzerren zu spüren. Es war der schlimmste Albtraum, denn ich jemals hatte.

Helios’ Sohn stürzte mit dem Sonnenwagen in den Tod aus Flammen, Lava und Blitzen. Ich stand unsichtbar und körperlos an seiner Seite. Ich war hilflos, verzweifelt und ich schrie ohne Pause. Helios eilte herbei, um seinen Sohn zu retten. Aber der Vater war vom Schmerz und seinen Schuldgefühlen, dem Sohn den Zutritt auf den Sonnenwagen gewährt zu haben, so übermannt, dass er sich einer Göttin auslieferte, die für ihn mit dem Tod einen Tauschhandel einging: Helios’ Leben gegen das seines Sohnes. Abermals zittere ich am ganzen Leib und kalte Schweißausbrüche lassen meine Haut glänzen.

Im April gab es tatsächlich unerklärliche Blitze über Bern und kurz danach über der Eiger Nordwand. Just seit jenen Blitzen spielt das Weltklima verrückt. War Klothos Rückführung wirklich nur ein Albtraum? Schön wäre es!

Schlimm genug von den Schicksalsgöttinnen persönlich besucht zu werden, doch es kommt noch schlimmer: das alles dient meiner Ausbildung. Ich soll die nächste Personifikation oder Inkarnation – oder was weiß ich? – vom antiken Apollon werden. Da Helios verschollen ist, kann nur ein Sonnengott den Sonnenwagen zurück in seine Bahnen lenken. Apollon als ein Gott des Lichts und der Sonne, könnte den alten Knaben kurzfristig ersetzen. Die Moiren, wie auch mein Cousin und mein verstorbener Opa, glauben tatsächlich, in mir schlummert das Potential, ein Sonnengott zu werden. Natürlich nicht in dieser Realität! Als ob das ein Trost sein soll?

Falls ich mein Training überlebe, muss ich den verschollenen Sonnenwagen finden und zurück in seine Bahnen lenken, um das kosmische Gleichgewicht wieder herzustellen. Das sagte mir so noch keiner, doch ich bin nicht dumm. Nur ist das alles so total verrückt, dass ich es abermals von mir schiebe. Alleine schon ernsthaft darüber nachzudenken, öffnet dem Wahnsinn Tür und Tor.

„Ich bin kein Gott – und ich will es auch nicht werden! Niemals!“, brumme ich laut vor mich hin. Aber wer hört schon auf das Bitten und Flehen – egal ob von alternden Typen in roten Fummeln, von Drag Queens auf der Straße oder von einem Teenager, der sich in einer Wohnung versteckt?

Nach über einer Stunde lese ich, was ich in mein Abenteuerbuch geschrieben habe nochmals durch. Das flammende Inferno war so schlimm, dass ich froh sein kann, wenn ich ab jetzt nicht nachts aus neuen Albträumen hochzuschrecken muss oder gar beim Entzünden eines Zündholzes in Ohnmacht falle.

Meine Blicke wandern dabei meine Schienbeine hoch zu meinen Schenkeln. Durch das jahrelange Schwimmtraining habe ich die Figur eines Schwimmers, sehr schmale Hüften, kräftige Waden und einen dreieckigen Torso mit beeindruckenden Armmuskeln. Verstohlen streichle ich mir über meinen Sixpack und über meinen neuen Haarschnitt, den mir Martin aufzwang.

Ich will raus! Kein normaler Teenager hockt in Los Angeles bei solchem Wetter in einer Bude. Nackt spaziere ich durch Martins Wohnung ins Badezimmer, um zu duschen. Das lauwarme Wasser tut so gut!

Wasser liebe ich!

Feuer hasse ich!

Mercury: Ich bin ein alt-griechischer Götterlehrling

„Meine ätherischen Fluten sind das Bindemittel zwischen den Welten. Ich bin die Vermittlerin zwischen dem Unsichtbaren und dem Sichtbaren, zwischen dem Geist und der Materie. Ich bin das Innen und das Außen des Universums. Mein Licht trennt die Welten und verbindet sie. Ich bin Eos, die täglich neue Hoffnung. Ich bin die Morgenröte.“

„Bitte, Eos, kannst du nicht einfach so etwas wie Guten Morgen oder Hi sagen?“ Mir ist bewusst, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit schlafe und dies alles nur träume – leider träume ich den gleichen Traum, seit ich hier in Miami Beach bin, jede Nacht!

„Meine Zeit ist so eng bemessen, da verkünde ich meine Botschaft lieber sofort.“

„Ich bin kein Intelligenzallergiker! Ich kann mir die Worte merken, du musst sie nicht jeden Morgen wiederholen. Zudem habe ich sie mir längst in meine Forschernotizen notiert.“

„Junger Mercury, hast du Neuigkeiten von Helios?“

„Nein! Ich arbeite aber daran! Bitte sage das auch deiner singenden Schwester, Selene. Falls möglich, würde ich gerne mal wieder ohne Ohrenstöpsel eine Nacht durchschlafen. Die alte Mondgöttin wird wirklich langsam zum Albtraum.“

„Versprochen!“, lächelt die Morgenröte. „Ich küsse ihn von dir.“

„Wer ist dein Neffe?“, will ich von Eos wissen.

„Helios’ Sohn, du Dummkopf“, lacht die griechische Göttin und verpufft, als die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont schießen.

Jetzt weiß ich natürlich genauso viel wie zuvor.

Damit erwache ich aus dem Göttertraum und rekle mich in der Sonne. Es ist Montagmorgen. Zum Glück ist dieser Helios verschwunden. Nicht auszudenken, wenn der auch noch jeden Tag bei mir vorbeischauen würde! Leider haben die antiken Götter die Angewohnheit, mich Tag und Nacht aufzusuchen und um allerlei Gefallen zu bitten!

Ich strecke mich auf dem exquisiten Liegestuhl auf Simons überdachtem Balkon. Seit bald zwei Wochen bin ich nun hier in Miami Beach und arbeite für Simon bei der NAWA. Ja, dieser Schuppen für Nudisten ist echt ein cooler Laden mit coolen Typen. Leider arbeiten wir in der Zentrale selbst nicht nackt, sondern vermitteln nur Nackte für alles Mögliche wie: Gartenarbeiten, als Kellner bei ausgefallenen Partys, für Modeschauen, als Aktmodelle für Künstler und so weiter. Ich selbst habe auch schon in einem ausgefallenen Outfitladen, dem Man’s Priority, nackt als Verkäufer und Model gearbeitet. Heute sollte ich da nochmals hin, um meinen Lohn der letzten zwei Tage abzuholen. Gestern stand ich dort einem fiesen Schriftsteller Model. Doch der Typ fesselte und knebelte mich und führte mich als Sklave seiner Schreibklasse im Keller des Ladens vor. Niemand fesselt Markku Leo Niko Moor und kommt dabei ungeschoren davon! Ich pisste dem Typ bei seiner späteren Lesung im Laden, als ich auf einer Säule stehend seine Romanfigur mimen musste, auf den Kopf. Jetzt hasst mich dieser Lucius Gallus! Gestern ging es mir deswegen ganz und gar nicht gut. Doch Simon tröstete mich – ja, er war richtig stolz auf mich! Dieser Lucius Gallus sei auch ihm total unsympathisch. Simon lobte mich, dass ich es Gallus endlich mal in gleicher Münze heimgezahlt hätte, wie er sonst andere behandelt.

Das Leben in Miami Beach ist ein Traum – abgesehen von Gallus! NAWA bedeutet für mich inzwischen nicht nur Nudist at Work Agency, sondern auch: Normaler Alltag Wäre Anders! Oder Niemals Alleine Was Aushecken! Ja, hier in Süd-Florida habe ich Freunde. Zuhause in Basel habe ich kaum welche. Hier ist das ganz anders. Nicht nur Simon ist mir total ans Herz gewachsen, sondern auch die anderen Mitarbeiter der NAWA-Filiale hier in Florida. Hier verstehen mich die Typen; hier stört es auch niemand, dass ich unter Priapismus leide – so ein Phänomen, das eine Dauererektion mit sich bringt. Die Ärzte finden keine körperliche Ursache dafür, was wohl beruhigend sein soll, doch das Problem nicht minder unangenehm macht. In Basel schämte ich mich deswegen ständig. Ich verließ niemals das Haus ohne nicht mindestens drei enganliegende Unterhosen zu tragen. Anders hier. Simon bemerkte mein Dauerproblem natürlich schon, als wir uns in Basel das erste Mal begegnet sind. Ja, Simon lernte ich kennen, weil ich einer Spur gefolgt bin. Genau genommen träumte ich in der Nacht davor von Hermes, dem griechischen Götterboten. Er befahl mir, meinen Arsch nach Miami Beach zu schaffen, wo er mich zu seinem Nachfolger ausbilden möchte. Cool! Ja, ich bin so was, wie ein Gott-im-Training. Als ich dann an der Uni ein Inserat fand, bei dem ein Mitarbeiter für chaotische Prozesse und Messeorganisation gesucht wurde, meldete ich mich. Als sich die Ansprechperson bei meinem Interview dann als ein Geschäftsmann aus Miami Beach outete, flirtete ich schamlos mit diesem Simon, bis er mich, statt in Basel für sich arbeiten zu lassen, mit nach Miami nahm. So landete ich hier in Florida. Simon liegt jetzt nackt auf der Liege neben mir.

Ehrlich, ich glaube nicht an die alten Götter, doch sie verfolgen mich, sie besuchen mich. Nervig ist eigentlich nur die Mondgöttin Selene, die mich nachts heimsucht und zwingt, ihren vermissten Bruder Helios, den Sonnengott, zu suchen. Als ob ich im Ferienparadies Miami Beach nichts wichtigeres zu tun hätte, als kauzige Götter zu finden?

Sex! Ja, ich will Sex erleben und das möglichst täglich! Simon ist so was wie mein Sexlehrer geworden. Von ihm habe ich schon sehr viel gelernt. Simon leitet die NAWA-Filiale an der Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika, doch Simon war bis gestern alles andere als ein Nudist. Er gehörte zur verklemmtesten Sorte Amerikaner, die man sich nur vorstellen kann. Aber mein Einfluss und meine Nudisten-Aktionen scheinen endlich auf ihn abgefärbt zu haben. Während ich meine Klamotten einfach nicht anbehalten konnte, tummelte sich Simon – selbst in der neuen Bruthitze – immer im grauen Anzug. Bisher war immer nur ich nackt und nur ich wurde verwöhnt. Simon spielte immer gerne mit meinem Priapos! Ja, Simon hatte sich in dem Moment in mich verliebt, als er mich in Basel das erste Mal sah. Gestern bestand ich darauf, Simon endlich auch Mal nackt zu sehen und daraus resultierte, dass wir zum ersten Mal richtigen Sex zusammen hatten.

Ich sehe zu Simon rüber. Er döst auf einem zweiten Liegestuhl ein paar Meter von mir entfernt. Da er nackt ist, seine eigene Decke muss er nachts auf den Boden gestrampelt haben, ist Simon wirklich ein anderer Mensch geworden. Ich erinnere mich noch gut, wie ich bei unserer ersten Begegnung in Basel überzeugt war, in Simon einen alten Mann vor mir zu haben, mindestens fünfzig oder so. Jetzt, mit seiner neuen Stachelfrisur, der gesunden Bräune und seinem entspannten Lächeln verliebe ich mich gerade noch mehr in den Endzwanzigjährigen.

Werde ich Andrey untreu? Zählt meine Zweitage-Beziehung mit Andrey überhaupt noch? Andrey! Er lud mich zu sich ins Berner Oberland ein, genaugenommen nach Grindelwald, genau zu der Stelle, wo im April dieses UFO in die Eiger Nordwand krachte und seither das Wetter verrückt spielt. Sofort lange ich nach dem Anhänger um meinen Hals. An einem speckigen Lederband hängt ein siebenzackiger Sonnenanhänger aus purem Gold und daneben, ebenfalls aus Gold, Hermes’ Helm. Das Sonnensymbol schenkte mir Andrey, nach dem ich es aus einem antiken Karren im Heuschober geklaut hatte und der Hermes’ Helm war Simons Geburtstagsgeschenk, nachdem ich einen Abend lang als Nacktkellner an meiner eigenen Überraschungsparty serviert habe. Natürlich wusste ich nicht, dass Simon eine Geburtstagsparty für mich organisiert hatte und die Gäste alle Mitarbeiter der NAWA-Zentrale waren. Wie auch? Ich hatte ja gar nicht Geburtstag! Ich schummelte, als ich mich bei Simon in Basel vorstellte und behauptete, schon sehr bald achtzehn zu werden, weil ich den Job unbedingt wollte und dazu volljährig sein musste. Simon feierte vor wenigen Tagen meine Notlüge. Da ich schon seit zwei Jahren wie zwanzig aussehe, glaubte es auch jeder sofort. Aber ich bin ja auch nur ein par Wochen jünger!

Manchmal plagt mich mein schlechtes Gewissen wegen dieser anderen Lüge: Meine Eltern ahnen nicht, wo ihr Sohn sich gerade rumtreibt. Weil ich am letzten Schultag mit der Polizei Ärger bekam, bestraften mich meine Eltern mit Hausarrest, und ich durfte nicht mit ihnen und meinen jüngeren Geschwister in den Urlaub zur Costa Brava. Statt in Basel Trübsal zu blasen, vergnüge ich mich nun im Paradies.

Wer hat schon Bock bei dieser Hitze einen vollen Monat alleine in Basel zu versauern? Zudem, wer wird schon von einem antiken Gott aufgefordert nach Miami Beach zu kommen? Noch zwei Wochen, dann kommt meine Familie aus ihrem Urlaub in Spanien zurück. Oma und Opa glauben tatsächlich, ich gehe einem Ferienjob in Zürich nach. Bald werde ich meinen Koffer packen müssen, um mein altes Leben als ganz normaler Schüler in Basel wieder aufzunehmen. Ich kann es mir überhaupt nicht mehr vorstellen. Bevor mir meine Gedanken den herrlichen Morgen verderben, schließe ich abermals die Augen, um noch etwas zu dösen.

„Die materielle Welt ist lediglich eine Verlängerung des Bewusstseins mit einer Kruste der Festigkeit, die durchbrochen werden muss. Schon vergessen?“

Erstaunt drehe ich mich der bekannten Stimme zu. Auf einem dritten Liegestuhl auf dem Balkon, sitzt der alternde Hermes mit seinen ausgeblichenen Haaren und der ledernen Haut. Wie immer trägt er keine Kleidung. Ob das bei den antiken Göttern einfach üblich ist? Ist meine eigene Vorliebe für Nacktheit einfach ein Zeichen, dass ich wirklich zum alt-griechischen Götterlehrling geworden bin?

„Ich habe es versucht, aber …“

„Die Zeit drängt! Fällt es dir nicht auf, dass es täglich heißer wird, die Sonnenstürme zunehmen und ich rasend schnell altere?“

Einen Blick auf den uralten Mann, der neben dem schlafenden Simon unseren Balkon, der kleinste von dreien, besucht, ist in der Tat erschreckend. Hermes besuchte mich in dieser Nacht schon einmal, tut aber gerade so, als ob es nicht so wäre.

„Wenigstens hast du bereits angefangen zu kapieren, dass du deine Grenzen beschützen musst.“

„Dieser Lucius Gallus …“

„Mit ihm hast du dir einen erbitterten Feind gemacht. Der Mann ist jähzornig und sehr gefährlich! Doch davon reden wir später, falls es mir nochmals möglich sein sollte, dich ein weiteres Mal in deiner Realität zu besuchen. Phil und Mat sind kein Umgang für dich.“

„Warum?“, will ich von Hermes wissen.

„Du musst dringend den jungen Apollon finden. Vergeude nicht weiter deine Zeit mit den Spielen des Dionysos.“

„He!“, widerspreche ich. „Uralter, ich dachte echt, der blonde Phil wäre vielleicht der neue Apollon.“ Ich lernte Phil und Mat im Man’s Priority kennen, als ich dort als nackter Verkäufer gearbeitet und die Ware vorgeführt habe. Vor allem der blondgelockte Phil gefiel mir. „Phil sah doch echt wie ein junger Apollon aus?“ Doch als ich Phil und Mat gestern bei sich zu Hause besuchte, weil sie mich zu einer Underwear Party eingeladen hatten, verlor ich mein Interesse an ihnen. Dieser Phil könnte eine Gay Parade anführen, doch definitiv keinen Sonnenwagen lenken. Nein, Phil ist nicht der junge Apollon, den ich auch noch finden muss.

„Höre auf zu denken und beginne endlich, auf dein Herz zu hören. Du bist noch weit davon entfernt, mein Erbe anzutreten. Sehr weit!“

Hermes’ Tadel verletzt mich und ich starre trotzig an ihm vorbei auf die Morgensonne. Geht von ihr wirklich eine derart tödliche Gefahr aus? Redet mir das mein imaginärer Greis nicht einfach ein?

„Imaginärer Greis?“, lacht Hermes wegen meiner Gedanken, die er scheinbar genauso leicht wie meine gesprochenen Worte hören kann. „Die materielle Welt …“

„Ja, ja!“, stöhne ich, „… ist lediglich eine Verlängerung des Bewusstseins. Schon klar: Du bist real! Du bist ein Teil meines Bewusstseins!“, brumme ich vor mich hin. „Dennoch wird mich jeder für verrückt halten, wenn ich von dir erzähle oder von dem, was du in mir siehst.“

„Falls es dir so wichtig ist, was andere über dich denken, dann spiele weiter im Sandkasten deiner Unzulänglichkeiten. Ich dachte, du bist reifer?“

„Ich bin volljährig!“

„Ich kenne dein kleines Geheimnis. Erspar mir also deine Lügen.“

„Bist du deshalb gekommen?“

„Die Macht der Herme ist stark in dir.“

„Alter, du klingst wie Meister Yoda aus Star Wars“, winke ich ab. Als Hermes nur mit der Schulter zuckt, schiele ich auf meinen Priapismus. „Herme, das ist dieses Grenzstein-Dings-Da?“

„Ein sichtbares Symbol einer meiner Mächte“, nickt Hermes.

„Was soll das bringen? Wird der da!“, zeige ich auf das Übel, „mir den Weg zu dir in die andere Realität zeigen?“ In der Antike wurden die Herme, die Grenzsteine mit Hermes’ Gesicht und seinem erigierten Penis dargestellt. Mein Priapismus soll eine verkappte Macht von Hermes sein? Wer’s glaubt! Laut sage ich: „Falls ich dich vorhin richtig verstanden habe, bist du in der anderen Realität noch immer jung und mächtig.“

Der uralte Mann lacht. „Gut aufgepasst! Als die gegenwärtige Personifikation von Hermes altere ich, wie jeder andere Mensch auch, doch als der ewige Hermes bin ich, was ich bin: Hermes!“

„Und dieser ewige Hermes soll ich werden?“

„Du bleist du, doch du könntest Hermes-Macht und Hermes-Bewusstsein in dir verwirklichen.“

„Cool!“

„Als künftiger Götterbote wirst du Grenzen überwinden müssen. Grenzen zu erkennen, ist ein erster Schritt dazu. Würdest du es zulassen, du könntest dir die Flügelsandalen längst binden, um frei und bewusst durch die Welten der Träume, der Fantasie, der Mythologie, der Gedanken und der Gefühle zu reisen – und ja, du könntest mich auf dem Olymp besuchen, was mir die Reise zu dir ersparen würde. Du könntest längst Herr der drei Welten sein.“

„Ich kann jetzt mit dir reden!“, widerspreche ich. „Und das, obwohl ich wahrscheinlich gerade auf dieser Liege penne oder einfach nur so fantasiere.“ Den Olymp besuchen? Wie cool ist das denn! Ich räuspere mich: „Als ich im Man’s Priority arbeitete, erfasste ich sofort die Probleme und Wünsche der Kunden: Fredy, Chris, Sam und Bill …“

„Wärst du wirklich so aufmerksam und erwacht, wie du behauptest, hätte dich Lucius Gallus niemals fesseln und misshandeln können. Ebenfalls wärst du nicht auf Phils und Mats Verführungskünste hereingefallen. Geistig erwacht zu sein bedeutet: Es immer zu sein.“

„Ich bin erst siebzehn!“, zucke ich mit meinen Schultern.

„Ah! Jetzt ist der Volljährige plötzlich doch noch ein minderjähriges Muttersöhnchen?“

Als ich Hermes zur Antwort meine Zunge rausstrecke, grinst er nur.

„Junge, du bist frech, gerissen und mutig. Das gefällt mir an dir. Deshalb werde ich dir schon sehr bald einen weiteren Zugang zu meiner Macht übergeben.“

„Macht?“, springe ich von der Liege in dieser Zwischenwelt, die der realen so sehr ähnelt, und glotze den abdankenden Hermes mit riesigen Augen an. „Welche Macht?“

„Den Caduceus!“

„Deinen Zauberstab?“ Ich muss mich beherrschen, nicht nach etwas zu grabschen, was Hermes nicht bei sich trägt.

„Zauberstab?“, lacht Hermes. „Jungchen, du bist kein Zauberer und ich bin nicht aus Hogwarts. Der Caduceus ist ein Symbol für dein geistiges Erwachen. Zwei Schlangen winden sich um einen geflügelten Stab. Die Schlangen stehen für das Männliche und das Weibliche, das sich erhebt, um zusammen eine Einheit darzustellen. Das bedeutet inneres Gleichgewicht und spirituelle Befreiung, ein Zustand, der das Bewusstsein über der Dualität darstellt.“

„Gut und Böse, Sonne und Mond, Tag und Nacht, Mann und Frau und so was in der Art?“, gebe ich mich als aufmerksamer Schüler und versuche meine Gier nach dem Zauberstab zu unterdrücken.

Hermes nickt nur kurz und fährt fort: „Die Schlange, die auf dem Boden kriecht, steht für das Erdgebundene und das Physische. Doch die erhobenen Schlangen, die sich um den Stab winden, stehen im Tantrischen System für die ätherischen Kräfte im Menschen, die zusammengerollt am Fuße der Wirbelsäule ruhend aufsteigen können, um die Chakren oder Energiezentren in deinem Körper zu erwecken.“

„Ist das so?“, gähne ich demonstrativ.

Hermes lässt sich nicht durch meine Frechheiten beirren und fährt mit seinen Belehrungen fort: „Der Caduceus wurde durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder neu gedeutet, besser verstanden oder missinterpretiert. Einige sahen darin wirklich so etwas wie einen Zauberstab, andere einfach nur ein Zeichen für Handel, das Zepter für Macht oder das Symbol für Heilung. Die Flügel am Kopf des Stabes stehen für dein geistiges Selbst, das seine Flügel entfaltet und …“

„Alter, sag bloß, jetzt werde ich zum Engel?“, scherze ich. „Nein, Danke!“

„Gestern hattest du keine Hemmungen, dir riesige Flügel aufmalen zu lassen!“

Erneut strecke ich Hermes meine Zunge raus.

„Dein Body Painting war der richtige Weg. Du bist dabei, dir deine Mächte bildlich vorzustellen. Die Malerei hat dich qualifiziert.“

„Echt jetzt?“ Ich ließ mir von einem Frisör auf meinen nackten Hintern den Hermes’ Helm aufmalen, mit Flügeln über den Hüften und meinen Priapos hatte der Frisör golden bemalt, damit er als zweites Machtsymbol für Hermes dient – den Caduceus. Das Body Painting sollte meine Alternative zu einer Unterhose für die Underwear Party sein.

„Du hast dein Ziel damit formuliert. Jetzt mache dich auf den Weg und finde deinen eigenen Caduceus in deiner eigenen Realität!“

„Okey Dokey!“ Innerlich juble ich über die Neuigkeit. Ich kriege Göttermächte! HURRA! Laut und trocken sage ich: „Noch eine Frage, alter Mann: ist die kombinierte Macht der Schlange und des Adlers der Drache?“

Hermes sagt nichts, doch inzwischen kann ich ziemlich gut in seiner Mimik lesen; er bejaht es, breit grinsend.

„Cool! Mann, ich werde heute einem Drachen begegnen?“

„Selbst wenn dich der Caduceus als neuer Träger auswählt, denke immer daran, ein Symbol hat nicht mehr Macht, als die, die du ihm verleihst.“

„Tatsächlich KEIN Zauberstab?“, rümpfe ich enttäuscht meine Nase. Hermes’ Kopfschütteln deute ich trotzdem als ein klares JA.

„Du schwebst in Lebensgefahr“, sagt der Uralte so sachlich, dass es mir eiskalt über den Rücken läuft. „Lucius Gallus’ Hass auf dich hast du dir selbst eingebrockt. Sei auf der Hut!“

„Der Vollidiot will mich töten?“ Da Hermes nur stumm nickt, ist mir sofort bewusst, dass er weder scherzt noch untertreibt. „Wirklich?“

„Sein verletzter Stolz, als du ihn öffentlich angepinkelt hast, verwandelte seinen schlummernden Jähzorn in blanken Hass.“

„Wirklich?“, wiederhole ich wie ein Schwachsinniger und zittere dabei. „Kannst du mir nicht helfen?“

„Drei Musen werden auf dich aufpassen.“

„Echt jetzt? Weiber?“

„Aber zuerst musst du deinen Caduceus finden! Nochmals: ein Symbol hat nur die Macht, die du ihm verleihst!“

„Ja, ja, mein Caduceus wird kein Zauberstab sein“, brumme ich genervt und zittere noch immer wegen der Aussicht, dass dieser Gallus mein Leben ganz schön bitter machen wird. „Wie werde ich …?“

Dort, wo Hermes gerade noch saß, zwitschert jetzt ein Spatz auf dem leeren Liegestuhl, sieht mich verwundert an und fliegt davon.

„Mann!“, stöhne ich vor mich hin. „Uralter, ich habe noch so viele Fragen an dich!“ Doch Hermes taucht nicht mehr auf.

Die Sonne brennt schon kurz nach Sonnenaufgang so heiß, dass ich wahrscheinlich gleich erwachen werde. In meiner Traumgestalt lehne ich mich übers Geländer im siebenundzwanzigsten Stock von Simons Luxusappartement und blicke in die Ferne. Irgendwo da draußen im Ozean liegt Haiti – die Insel des Helios. Doch der antike Sonnengott ist nicht mehr dort. Er ist verschollen. Meine bisherige Suche nach dem jungen Apollon hat auch nichts gebracht. Ich blicke jedem blondgelockten Jüngling nach, doch vom echten Apollon fehlt noch immer jede Spur. Finde ich nicht bald den echten Apollon, werden die Sonnenstürme meine Welt verbrennen und alles Leben auslöschen. Dass dies nicht nur meiner Fantasie entspringt, kann ich täglich den Sondersendungen im TV entnehmen. Weltweit spinnt das Wetter. Dürreperioden in der Karibik und dem alten Europa sowie Flutkatastrophen, Hurrikans und Tornados in Asien und Südamerika. Alles ist aus dem Gleichgewicht! Nichts ist, wie es eigentlich sein sollte!

Damals, während meinem Weekend-Trip nach Grindelwald, belauschte ich den echten Apollon und den jetzt uralten Hermes in jenem Kreis aus sechs Monolithen. Auch damals war ich als mein Traum-Ich unterwegs. Was ich belauschte, war nicht so berauschend: nicht nur ich bin ein Grünschnabel, sondern auch der künftige Apollon, den ich finden muss. Ob sich der junge Apollon seine drei Göttermächte schon verdient hat, und wichtiger, ob er damit schon etwas bewirken kann? Ich schaffe es ja nicht mal, Freund von Feind zu unterscheiden.

Ob die drei Weiber, die mir Hermes schicken will, meine Kindermädchen sein werden? Mann! Ist das öde!

Mercury: Caduceus

„Bist du schon lange wach?“, lächelt mir Simon zu, der sich zu mir hinüberdreht.

„Ähm!“, stammle ich und sehe mich sicherheitshalber nochmals rasch nach Hermes um, doch der Götterbote ist längst verschwunden – oder war nie wirklich hier. „Ich bin noch total weggebeamt“, antworte ich Simon.

Dass er nicht sofort nach seiner Decke schnappt, um damit seine Nacktheit zu bedecken, ist ein weiterer Beweis, dass sich Simon wirklich verändert hat.

„Es ist so wunderschön hier!“, versuche ich mein hastiges Umsehen nach dem verschwundenen Gott zu erklären.

„Mercury, ich schlief noch niemals zuvor auf einem meiner Balkone“, gesteht mir Simon. „Dabei ist es so herrlich den Ozean zu hören und die Winde hier oben auf der nackten Haut zu spüren. Hast du die vielen Vögel gehört, die schon vor Sonnenaufgang zu zwitschern begonnen haben?“

Nur langsam komme ich wieder ganz in dieser Wirklichkeit an. Als Simon nach seinen Begeisterungsausbrüchen einfach so schweigend zu mir hinüber sieht, kommt mir eine Idee: „Alter, traust du dich, mich heute an den Haulover Beach zu begleiten?“

Simon sieht an sich runter, schmunzelt bei seinem Anblick und nickt dann. „Wenn du dich nicht schämst, dich mit mir dort zu zeigen?“

„Alter!“, setze ich mich auf meinem Liegestuhl auf und stelle meine Füße auf den warmen Boden. „So nackt, rasiert und gebräunt, siehst du gigantisch geil aus.“

„Danke!“, leuchten Simons Augen sofort verliebt auf. „Ich war noch niemals zuvor am Nudisten Beach. Eigentlich eine Schande bei meinem Beruf!“

„Meine Worte, Bro! Dann fahren wir heute hin?“ Als Simon heftig nickt, atme ich erleichtert aus und bin sofort ganz zappelig.

„Jetzt zu fahren macht aber überhaupt keinen Sinn, denn so früh an einem Montagmorgen wird kein Mensch dort sein.“

„Aber ich will raus!“ Ich muss Hermes’ Caduceus finden!

„Heute kein Training im Fitnessraum?“

„Keine Lust! Alter, ich will mit dir zusammen ein Abenteuer erleben!“

„Ich kann heute auch erst am späteren Nachmittag ins Büro. Wären die Everglades nach deinem Geschmack?“, fragt mich Simon.

„Total logisch! Voll der Mega-Groove! Alter, muss ich heute nicht auch arbeiten?“

„Du hast doch gerade zwei Tage im Man’s Priority gearbeitet!“

„Schon, aber das war ja privat“, versuche ich nicht zu verlegen zu blicken.

„Ich habe es mit Constantin geregelt. Ich gebe dir heute frei. Also: Von Down Town sind es nur etwa fünfzig Meilen dorthin. In ein bis zwei Stunden könnten wir bereits in der Wildnis der Everglades sein.“

„Geil!“ Ich speede ins Badezimmer, um zu duschen. Doch bevor ich den Wasserhahn aufdrehe, laufe ich zurück, um Simon an seinen Händen von seiner Liege zu ziehen und gleich mit mir unter die Brause zu schleppen.

„Seltsam, aber wir benehmen uns schon wie ein altes Ehepaar!“, nuschelt Simon, während er mir den Rücken einseift und an meinem Ohr knappert.

Ich schweige, denn das Wort Ehe fühlt sich gerade sehr einengend an, wo ich doch einfach nur seine Berührungen genießen will.

Keine dreißig Minuten später sitze ich neben Simon in seinem Sportflitzer, um aus der Tiefgarage zu fahren. Obwohl es noch nicht mal acht in der Früh ist, brennt die Sonne schon extrem heiß. Da Simon stöhnt und das Dach des Cabriolets hochfahren will, um die Klimaanlage anzuschalten, muss diese Hitzewelle auch für den Süden Floridas außergewöhnlich sein.

Schon kurz nach neun Uhr ist bereits weit und breit kein Haus mehr zusehen und die Landschaft verändert sich drastisch, kaum dass Miami mit seinen Wolkenkratzern hinter uns zurück bleibt. Simon erzählt mir alles, was er über die Everglades weiß und was mich dort so alles erwartet, wenn wir Glück haben. Vor allem auf die Alligatoren, die Pumas und Seekühe freue ich mich. Je tiefer wir in den grünen Dschungel vorstoßen, desto seltsamer werden die Straßenschilder. Panther Crossing! Alligator Crossing! und wegen sonstigen Crossings wird ständig zum langsam Fahren geraten. Please no Swimming!, warnen viele Schilder, sobald Wasser sichtbar wird. Als ob jemand in diesem Python verseuchten Gewässer schwimmen will? Tigerpythons gibt es hier inzwischen hunderttausende. Leider fressen diese Riesenschlangen die süßen Waschbären, die Pumas und ihr Hunger macht nicht mal vor Alligatoren halt. Viele andere Tierarten sind deshalb hier bereits fast ausgestorben.

Einmal sehe ich einen riesigen Alligatoren unseren Weg kreuzen und rosa Flamingos aufscheuchen. Bei einem der Touristenplätze lädt mich Simon auf eine Propellerboot-Tour ein, aber außer unzählige Pelikane, Kraniche, Ibisse und sogar Störche, sehe ich kaum andere Tiere – leider keine Seekühe. Aber beim Lärm dieser Propeller ist das auch kein Wunder. Wir tragen Kopfhörer. Ich male mir aus, dass dies nur deshalb so ist, damit man die Schreie der anderen Passagiere nicht hört, wenn plötzlich ein Tigerpython aus dem Wasser schnellt, um sich ein leckeres Mensch-Fresschen vom Boot zu schnappen, um es in die Tiefe zu verzerren. Natürlich passiert nichts dergleichen. Als ich später den Bootskapitän danach frage, schüttelt er nur lachend seinen Kopf und erklärt mir, dass es mit den Pythons gar nicht so schlimm sei.

Ich glaube ihm kein Wort! Ich erfahre auch, dass das Wasser in den Everglades gerade mal zwischen fünfzehn bis dreißig Zentimeter tief sei und sich nur sehr langsam bewege, denn eigentlich wären die Everglades nichts weiter als ein extrem verzweigter Fluss, der träge seinen Weg zum Ozean sucht.

Zurück an Land und wieder im Auto durch die ewig gleichförmige grüne Hölle unterwegs, hält Simon bei einem Holzsteg auf hohen Stelzen, der vom Weg ab tiefer ins Sumpfgebiet hineinführt. So früh morgens sind, bis auf ein paar wenige Touristen mit Jetlag, keine anderen Menschen unterwegs. Ich spähe aus sicherer Höhe vom Steg in den Dschungel und den Sumpf und hoffe irgendwo einen Kampf zwischen Python und Krokodil oder den eines Jägers mit einem Alligatoren zu beobachten. Doch absolut nichts Dramatisches passiert.

So leise wie möglich schleiche ich tiefer und tiefer an Sumpfzypressen, Mangroven, Mahagoni-, Gumba-Limbo-Bäumen oder Königspalmen vorbei. Teilweise ist vom Wasser unter mir nichts zu sehen, nur sich langsam bewegende Gräser. Simon lenkt meine Aufmerksamkeit kurz in die Ferne auf ein paar Pelikane, die in Staffel fliegen. Leider sprechen sie nicht im Chor, wie damals in meinem Traum.

„Da!“, zeige ich ein paar Meter vor uns ins Wasser. „Da schlängelt sich etwas!“ Aber bis auf die typischen Bewegungen, sehen wir nichts weiter von einer Schlange oder einem dieser Pythons. Endlich erblicke ich ein paar Schildkröten auf einem halbverfaulten Baumstumpf in der Morgensonne pennen, sowie ein paar Fische, die nach Mücken schnappen.

Nach zwanzig Minuten auf dem Steg wird mir langweilig und ich klettere aufs Geländer, um ein paar Schritte dort oben zu balancieren, bis Simon vor Schreck beinahe einen Herzanfall kriegt und ich wieder auf die Planken zurückspringe. Ständig beißen mich unzählige der hundert Milliarden Moskitos hier. Die Landschaft wird kein bisschen interessanter, egal, wie lange wir hier rumgurken. Was ich schon vom Propellerboot gesehen habe, wiederholt sich in jede Richtung bis zum Horizont. Everglades, die ewige Langeweile mit unzähligen Stacheln, Zähnen und sich windender, unsichtbarer Leiber.

„Ganz nett hier, aber ich glaube, ich hab’s gesehen!“

Simon widerspricht nicht.

Da es immer heißer wird, ist mir total nach baden. Aber ich weiß, was unter dem Gras im bracken, stinkenden Sumpf auf sein Frühstück wartet! Simon fährt auf einer schmalen Straße zurück Richtung Norden, um mir eine der Alligatoren Farmen zu zeigen. Wenigstens hier gibt es Alligatoren zu sehen, wenn sich auch nicht einer von ihnen bewegt. Die liegen nur mit weit aufgerissenen Rachen im Sand und pennen.

„Ich muss mal!“

Ein Hinterwäldler, der mit einer Axt ein Schwein in Häppchen für die Alligatoren zerteilt, zeigt auf ein Häuschen an der Außenwand unweit des Geheges mit den Jungtieren. Simon unterhält sich noch mit dem Schweinemörder und ich sehe mir die dösenden Dickhäuter nochmals genauer aus der Nähe an.

Etwa zwanzig Schritte von mir entfernt, steckt ein etwa dreißig Zentimeter langer und besenstieldicker Stecken im Boden. An einer Schnur daran angebunden, versucht eine Maus zu flüchten. Eine Falle? Ich schleiche mich näher und ducke mich hinter einem dieser Schlachterbänke, um die Maus zu beobachten. Doch das Tier scheint schlauer als sein Fänger zu sein. Flink beißt die kleine Maus den Strick um seinen Hinterlauf durch und entwischt schon bald in die Wildnis. Etwas enttäuscht, will ich mich schon abwenden, als hinter mir eine Schlange unter ein paar Brettern hervorkriecht.

Ich erstarre vor Schreck.

Bloß nicht bewegen!

Mein Herzschlag pocht mir hart in der Schläfe und Schweißperlen rinnen mir übers Gesicht. Es ist kein Python, noch irgendeine der Schlangen, die ich hier auf Schildern der Farm als einheimische Spezies abgebildet sah. Die Schlange, die jetzt genau auf mich zukommt, ist pechschwarz. Werde ich jetzt gleich gefressen?

Ein weiteres Rascheln zu meiner linken.

Eine zweite, vollkommen identische Schlange taucht auf. Auch sie nähert sich mir zielbewusst. Ob ich um Hilfe rufen sollte? Simon und der Schweinemörder blicken nicht in meine Richtung.

Die beiden Schlangen kommen immer näher.

Ich wollte ein Spektakel, doch ich wollte es überleben!

Als die schwarzen Schlangen, jede von ihnen gut und gerne eineinhalb- bis zwei Meter lang und sicherlich armdick, meine Turnschuhe fast erreicht haben, wechseln sie die Richtung und ziehen rechts und links an mir vorbei, um sich am Stock zu treffen.

Ich atme erleichtert aus, obwohl die Gefahr längst nicht vorbei ist. Dennoch grinse ich. Wer trifft schon zwei Schlangen beim morgendlichen Schlängeln an, die gleich den Tagesklatsch auszutauschen werden.

Ob das normal ist?

Ich atme sehr flach und versuche mich nicht zu bewegen. Plötzlich fällt der Schrecken vollkommen von mir ab und ich werde zum interessierten Forscher. Denn was ich jetzt zu sehen bekomme, ist noch seltsamer. Die beiden Schlangen umwinden den Stab, um ihn mit ihren dicken Leibern zu umarmen oder zu erwürgen. Dann strecken sie ihre Hälse – falls Schlangen so etwas wie Hälse haben – der Morgensonne entgegen und züngeln. So bleiben sie für einen Augenblick, verharren, dann entrollen sie sich wieder und setzen ihr Spazierschlängeln fort, bis sie im Sumpf hinter dem Alligatorengehege verschwinden.

Ich will mich schon umdrehen, um rasch zu flüchten, als ein kleiner Raubvogel, wahrscheinlich eine Art Zwergadler oder ein heimischer Falke, auf der Spitze des Stabes landet und wild mit seinen Flügeln schlagen muss, um sein Gleichgewicht auf dem abgerundeten oberen Ende zu halten. Als es ihm endlich kurz gelingt, fokussiert mich der Raubvogel.

Ob er mich mit der Maus verwechselt, die seine Beute hätte sein sollen? Ich muss ihm entweder zu schwer sein oder Mensch stand schon gestern auf seiner Speisekarte, denn der Raubvogel verliert sein Interesse an mir. Wie auch immer! Der Falke stößt sich ab, um mit wenigen Flügelschlägen und einem Schrei in den Himmel aufzusteigen.

„Mercury!“, ruft mich Simon, dem scheinbar der Gesprächsstoff mit dem Schweinemörder ausgegangen ist.

Als ich meinen Namen höre, begreife ich endlich, was hier passiert ist. Ich packe den dicken Stock, ziehe ihn mit einem kräftigen Ruck aus dem Boden und schiebe ihn mir vorne in meine Latzhose. Weder Simon noch dem Saumörder erzähle ich, was ich gerade erlebt und geklaut habe.

Ich darf vom blutigen Schweinefleisch den Alligatoren zuwerfen, was aber nur halb so spannend ist, wie es klingt. Es stinkt vergammelt und die Echsen bleiben ziemlich träge. So hungrig dürften sie nicht sein! Wie dressierte Hunde schnappen sie, ohne sich dabei viel zu bewegen nach den Happen und verfallen danach sofort wieder in ihre Touristenposen, um fotografiert zu werden.

Um Simon nicht in Angst und Schrecken zu versetzen, erspare ich es ihm, mein Erlebnis hinter der Scheune zu erzählen. Bei einem gemütlichen Candle Light Dinner wird es dramatischer klingen, als hier im Schweinegestank, unzähliger Fliegen und Milliarden von Moskitos.

Wir reisen endlich ab.

„Was hast du denn da für einen stinkenden Stock?“, zeigt Simon auf meinen Caduceus, der jetzt zu meinen Füßen im Wagen liegt.

„Gefunden! Ein Andenken?“

„Ich hätte dir einen Alligatorenzahn schenken können.“

„Ne, der Stock ist besser!“

„Echt?“, rümpft Simon seine Nase und schwenkt endlich, nach weiteren Meilen durch den Sumpf und nochmals zehntausend neuer Moskitostichen, zurück auf den Highway Richtung Miami.

Einmal Everglades – nie mehr wieder Everglades!

Mercury: Der Drache

Auch der Haulover Beach erweist sich als nicht halb so interessant wie in meinen Vorstellungen und Träumen. Klar, liegen da nackte Menschen im schneeweißen Kristallsand, und natürlich tun Simon und ich das Gleiche im Gay-Bereich, doch das tun Tausend andere auch, was dem Ort alle Romantik raubt. Rein optisch ist es einfach ein weiterer Strand mit Palmen im Hintergrund und dem herrlichen Ozean vor uns. Solche Menschenansammlungen haben mir noch nie entsprochen. Ich bin definitiv mehr der einsame Wanderer oder Abenteurer an verlassenen Stränden.

Als Simon irgendwann auf seinem Badetuch einschläft, spaziere ich den Strand auf und ab und finde wirklich das Life Guard Häuschen, wo ich Hermes damals im Traum begegnet bin. Ich scharre rundherum mit meinen Füßen im Sand und hoffe, vielleicht eine der grünen oder der blauen Scherben seines Mandalas zu finden. Aber dem ist nicht so.

Irgendwann kann ich diese vielen nackten Leiber einfach nicht mehr ertragen und suche etwas Wildnis im Wäldchen hinter mir. Als ich dazu die dicke Kordel mit einem Schritt überquere und dem schmalen Pfad durchs Gras zu den Palmen und Büschen finde, fehlt nur noch der bettelnde, Armbanduhren klauende Waschbär, um mir endgültig zu beweisen, dass meine Träume und Visionen mehr sind, als nur Hirngespinste.

Ich war wirklich schon einmal im Traum hier!

Ich war exakt an diesem Strand und das Tage, bevor ich zum ersten Mal in meinem Leben in Florida gewesen bin. Jetzt können die schlauen Leute lange behaupten, Träume seien nur Erinnerungen oder eine Verarbeitung bereits Erlebtem. Ich weiß es jetzt besser. Ich habe es mir bewiesen! Sicher ist jetzt: wenn ich Seelenreisen kann, dann hat auch Hermes seine Berechtigung und mein stinkender Stock ist auch definitiv mehr, als nur Teil einer schlechten Mausefalle.

Später, als ich wieder neben Simon auf seinem breiten Badetuch kniend Sand durch meine Hände über seinen Bauch rieseln lasse, lächelt er mich glücklich und ziemlich verliebt an.

„Hast du was Interessantes entdeckt?“, will er wissen. Er stützt sich dabei mit seinen Ellbogen im Sand ab und blickt zu mir hoch.

Ich schüttle meinen Kopf, dann lege ich mich einfach auf ihn und küsse ihn auf den Mund. Ja, ich habe mich tatsächlich etwas in diesen verrückten Amerikaner verliebt.

„Dir ist schon bewusst, dass es für andere aussehen könnte, als ob wir hier Sex hätten?“

„Und wenn schon?“, frage ich Simon frech grinsend. Sofort wird immer härter spürbar, wie sehr Simon meine Nähe und Worte schätzt.

„Wenn du jedem hier am Strand deine Hormonlanze zeigst, indem du so selbstsicher am Strand auf und ab schreitest, schützt dich deine Jugend. Doch Sex an einem amerikanischen Strand wird nicht toleriert“, belehrt mich Simon. Seine Theorie wird inzwischen jedoch praktisch sehr hart widerlegt.

„Okay!“, zwinkere ich ihm verschworen zu. Da mir die etlichen Voyeure in der Gegend nicht entgehen, die uns alle ziemlich offen anstarren und auf eine Show hoffen, drehe ich mich blitzschnell von Simon ab und springe zurück auf meine Füße. Mich haben sie alle eh schon seit einer Stunde mit Adlerblicken verfolgt und jedes Wippen registriert. Doch als sich jetzt alle Blicke auf Simons Erektion fokussieren, wird der schlagartig knallrot und dreht sich auf seinen Bauch. Schadenfroh kicke ich sanft gegen seine Hüften. „Los! Zeig ihn schon! Unser Publikum will auch deinen sehen!“

Dann tut Simon etwas, was mich wirklich überzeugt, dass er nicht mehr der graue, zugeknöpfte Mann ist, denn ich vor zwei Wochen kennen gelernt habe. Simon steht auf, sein Kopf ist jetzt noch röter geworden, doch er stellt sich neben mich und lässt sich von den schaulustigen Männern auf ihren Badetüchern genauso abchecken, wie sie es mit mir schon taten. Dann dreht sich mir Simon zu, schnappt sich mit seinen beiden Händen mein Gesicht und küsst mich vor allen Zuschauern sehr leidenschaftlich auf den Mund. Dann bückt er sich, um mit seiner linken Hand nach seinem Badetuch und der Tasche mit seinen anderen Utensilien zu fassen, während er mit seiner rechten, als er wieder steht, nach meinem Priapos greift und mich daran führend durch die Männer zu den Dünen führt.

Als ich in Simons Augen blicke, erkenne ich darin nur Stolz. Es schwellt seine Brust und er schreitet in breitem Gang durch die Schaulustigen. Seine Hand packt dabei fest zu. Ich folge ihm, wie ein Hündchen an der Leine. Unweigerlich muss ich grinsen. Simon hat sich wirklich verändert! Erst als wir die Dünen durchquert haben und im schmalen Wäldchen, das den Parkplatz vom Strand trennt, ankommen, sieht mich Simon direkt an und fragt:

„War das nach deinem Geschmack?“

„Allerdings!“, boxe ich dem neuen, selbstbewussten Simon kumpelhaft in die Schultern. „Alter, du kommst ja voll aus dir raus! Bro, das war unglaublich! Jetzt kaufe ich dir zum ersten Mal ab, dass du die NAWA leiten kannst!“

„Ich habe dich beobachtet, wie du zuvor durch all die Menschen spaziert bist. Jeder der Männer hat dich abgecheckt, jeder schmachtete dir nach, doch keiner durfte dich berühren.“

Ich schweige. Simon hat mit mir angegeben, aber das stört mich nicht. Ich habe einen coolen Freund, nur das zählt.

Im Wäldchen schlüpft Simon in seine Bermuda Shorts und fordert mich auf, es ihm gleich zu tun, denn das Nudistengebiet endet vor dem Parkplatz. Da ich meine Latzhose im Wagen gelassen habe, reicht mir Simon meine eigene Bermuda Shorts, die er aus seiner Tasche kramt.

„Ich muss ins Büro. Soll ich dich im Man’s Priority absetzen?“

„Perfekt! Ja, gerne! Ich muss noch meinen Lohn abholen!“

„Ich ließ das Geld schon von Constantin auf eines unserer Firmenkonten überweisen.“

„Aha!“

„Mercury, löse doch heute den Gutschein, den du von Tyler und Casper zum Geburtstag bekommen hast, dort ein. Mikey rief mich vorhin an, als du am Strand herumstolziert bist. Er will dich später dort treffen. Leider werde ich heute Abend nicht vor neun oder gar später aus dem Office kommen.“

 

Eine halbe Stunde später stehe ich vor der Glasfront mit dem Eingang ins Man’s Priority und Simon rauscht ins Büro ab. Bis auf meine Bermuda Shorts und Flip-Flops ließ ich alles andere bei Simon im Wagen zurück. Meinen Caduceus schloss ich ins Handschuhfach ein. Es ist erst kurz nach vier Uhr nachmittags und extrem heiß. Ich hätte am Strand baden sollen, statt auf dem sandigen Laufsteg die Typen verrückt zu machen. Tiefer in der Sackgasse entdecke ich einen Brunnen, der durch eine Palmengruppe beinahe vollständig verdeckt wird. Es ist ein rundes, gekacheltes Becken, das von zwei Messingkranichen, aus dessen Schnäbeln Wasser plätschert, gespeißt wird. Das Becken dürfte einen halben Meter tief sein und vielleicht zwei Meter im Durchmesser haben. Wie ein Kind setze ich mich einfach ins Wasser und lasse mir dann vom Wasser aus den Kranichköpfen den Kopf waschen.

„Hier bade ich auch gerne!“

Überrascht sehe ich mich um und wische mir das Wasser aus dem Gesicht. Auf einer Bank unter der dichtesten Palmengruppe sitzt ein uralter Mann in Shorts, offenem Hemd und Sandalen. Er ist dünn und seine ausgebleichten Haare müssen mal schwarz gewesen sein, doch jetzt sind sie fast ausschließlich Weiß.

„Hallo!“, begrüße ich ihn. „Es ist wirklich erfrischend!“

„Besuchst du die Veranstaltung im Rahmen der Ancient Days?“

Die habe ich total vergessen. „Vielleicht!“

„Glaubst du an die antiken Götter?“, fragt mich der alte Mann.

„Eigentlich nicht!“

„Eigentlich?“, doppelt er nach. Da ich nur unverständlich grunze, lacht der alte Mann und antwortet für mich: „Da stimme ich dir zu. Es gibt keine Überwesen, die mit Wunderwaffen und Magie die Geschicke der Menschen leiten.“

„Nicht?“, stütze ich mich mit den Ellbogen am Beckenrand ab und will hören, was der alte Mann zu sagen hat.

„Es gibt Mächte und spirituelle Gesetze. Doch das sind keine Gestalten mit langen Bärten oder Frauen in blauen, wallenden Gewändern.“

„Ja, ich weiß!“

„Für viele sind solche Gestalten archetypische Vorbilder!“

Meine Neugier ist sofort geweckt. Ähnliches erzählte mir schon Hermes.

„Diese Vorstellung von Gottheiten könnte man auch als Ideale oder als Talente bezeichnen, die sich jeder aneignen könnte, wenn er den Mut aufbringt, sie zu finden und zu verwirklichen.“

„Halten Sie nachher im Man’s Priority einen Vortrag?“, will ich vom alten Mann wissen.

„Nein, ich sitze nur hier im Schatten dieser Palmen und beobachte die jungen Leute. Hier passiert in letzter Zeit so einiges. Gestern muss ein frecher Junge einem eingebildeten Schreiberling auf den Kopf gepisst haben, während der im Rahmen der Ancient Days eine Vorlesung gehalten hat. Den ganzen Abend sprach hier niemand von etwas anderem.“

Ich schlucke leer. „Echt?“, spiele ich den Unschuldigen und versuche auch so dreinzublicken.

„Sei einfach vorsichtig, welchen Drachen du zum Leben erweckst!“

„Klar! Ja!“ Ich erwecke Drachen zu Leben?

 

„Mercury! Alter, willst du baden oder shoppen?“ Abgelenkt drehe ich mich der Stimme zu. Mikey steht am Eingang zum Laden und fuchtelt mit seinen Armen.

Als ich mich dem alten Mann wieder zuwende, um mich zu verabschieden, sehe ich nur noch seinen Rücken. Er geht gebückt davon und wirkt aus der Distanz noch viel älter. Dann dreht er sich doch noch um, winkt mir lächelnd zu und verschwindet zwischen den Palmen.

„Was machst du hier?“, beobachtet mich Mikey, wie ich aus dem Bassin klettere.

„Ist das nicht offensichtlich?“

„Schon!“, rümpft Mikey seine Nase, „doch in einem Brunnen mitten in Miami?“