Narziss II - Zehn Jahre danach - Andy Claus - E-Book

Narziss II - Zehn Jahre danach E-Book

Andy Claus

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Beschreibung

Auch in der Fortsetzung von 'Narziss - Verbrannte Erde' geht es spannend weiter: Nicolas von Sydow ist inzwischen 42 Jahre alt. Er hat die letzten zehn Jahre an der Seite eines Drogenbosses in Italien verbracht. Ein Leben, das seinen narzisstischen Charakter nicht zum Besseren geformt hat. Er ist zur Zeitbombe geworden, in seiner Emotionslosigkeit gefährlicher als jemals zuvor. Wieder einmal muss er fliehen und kommt so zurück nach Deutschland, wo er sich ein Leben nach seinen Vorstellungen aufbaut. Dabei opfert er wie gewöhnlich seine Mitmenschen dem ihm eigenen Egoismus, benutzt sie als Mittel zum Zweck, um seine Ziele zu erreichen. Seine Vorgehensweise hat sich nicht geändert, noch immer ist er ein Meister darin, andere zu manipulieren und für seinen Vorteil zu benutzen. Aber Nico trifft auch auf Menschen aus seiner Vergangenheit und begreift zu spät, dass diese für ihn nicht mehr manipulierbar sind. Und schließlich gibt es da noch den vierundzwanzigjährigen Florian, ein attraktives Model, den er einfach nicht in den Griff bekommt. Den widerspenstigen Florian zu zähmen, weckt Nicos Ehrgeiz und am Ende steht die Frage, wer nun wen beherrscht und warum.

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Andy Claus

Narziss IIZehn Jahre danach

Roman

Von Andy Claus erschienen unter anderem noch:

Stalker – Du gehörst mir ISBN 978-3-940818-15-7

Benji – der Fremdenlegionär ISBN 978-3-934825-90-1

Eric – Aus dem Leben eines Miststücks ISBN 978-3-934825-82-6

Albtraumprinzen ISBN 978-3-86361-287-0

Der 38. Sommer ISBN 978-3-86361-346-4

Narziss – verbrannte Erde ISBN 978-3-86361-415-7

und mehr

Alle Bücher auch als E-books

 

 

 

Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,

Himmelstürmer is part of Production House GmbH

 

www.himmelstuermer.de

E-mail: [email protected]

Originalausgabe, Mai 2015

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage.

 

Coverfoto: http://www.fotolia.de

 

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

 

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

ISBN print 978-3-86361-443-0

ISBN epub 978-3-86361-444-7

ISBN pdf: 978-3-86361-445-4

 

Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.

Kapitel 1 - Zehn Jahre danach

Kapitel 1

Zehn Jahre danach

Nico öffnete die Augen und sofort war das Gefühl des Ausgebranntseins da. Ohne Lust und nur widerwillig setzte er sich müde auf, sein erster Blick fiel aus dem Fenster auf die Adria. Sanfte, dunkelblau schimmernde Wellen, in der Sonne leuchtende, weiße Yachten und ein Touch von Urlaub. Aber letzteres hatte er sich schon lange abgeschminkt. Was er hier tat, hatte nichts mit Erholung und Ruhe zu tun.

Zehn Jahre war er nun hier in Italien, als Partner eines albanischen Drogenbosses kannte er endlich keine Geldprobleme mehr und lebte sozusagen im Paradies. Das sah allerdings nur von außen so aus, in Wirklichkeit fraß dieses Leben an ihm. Er stand ständig mit dem Rücken zur Wand, hatte sich damit arrangiert, Fatos Laufbursche und teilweise Vollstrecker von Repressalien zu sein. Nicht, dass ihm die Machtausübung auf Schwächere gegen den Strich gegangen wäre. Im Gegenteil, er genoss es, seine Autorität zu demonstrieren, die auf dem Respekt und der Angst vor seinem Freund basierte. Aber die Jahre hatten seine Einstellung verändert. Zwar war er sich immer noch selbst der Nächste, aber dieses Leben nutzte seine Kräfte ab. Es fiel ihm jeden Tag schwerer, zum eigenen Vorteil gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Immer öfter kam die Frage auf, ob er wirklich so seine restliche Zeit verbringen wollte. Er war jetzt zweiundvierzig Jahre alt und wenn er an Fatos dachte, schob sich sofort wieder ein leidenschaftlicher Fluchtgedanke in den Vordergrund. Allerdings war das in dem Milieu nicht so einfach.

Bisher schaffte er es stets, sich selbst zu versichern, dass das Geld und der Status den Einsatz wert waren, aber mit den Jahren verlor er mehr und mehr die Motivation. Nicht zuletzt, weil seine Beziehung zu Fatos sich auf einer Ebene eingependelt hatte, auf der er psychologische und manchmal knallhart körperliche Opfer bringen musste – und das lag ihm gar nicht.

Fatos war schwerfällig, aber er ließ keinen Widerspruch zu. Seine Durchsetzungsmöglichkeiten erwiesen sich dabei als ebenso grob wie effektiv, was Nico nach vielen Kämpfen letztendlich hasserfüllt duldete, aber niemals akzeptierte. Deswegen trat etwas ein, das er in seinem Leben vorher noch nie auf sich genommen hatte. Es gab Dinge, bei denen er sich unterordnen und zurückstecken musste. Er tat es, weil die Konsequenz daraus auch Vorteile für ihn waren. Er füllte eigene Konten mit dem Geld, welches für ihn abfiel und ließ seine Wut auf Fatos an Menschen aus, die sich nicht wehrten.

Nico stand auf, nackt wie er war ging er an das große Fenster und schaute hinaus. Scheißsonne – sie blendete ihn und sein Gemüt. Er fühlte sich noch immer fremd in dem italienischen Ort Roca Vecchia auf der Halbinsel Salento, die im Südosten des Landes lag. Nur ungefähr 90 Meilen trennte das Meer sie von Albanien, von wo aus sie Cannabis importierten und dabei immer auf den Hut vor Entdeckung sein mussten. Fatos schmierte zwar die richtigen Stellen, aber dennoch war nicht auszuschließen, dass sie erwischt wurden. Auch wenn der Verkauf der Droge größtenteils nicht behindert wurde, bestand immer die Gefahr, dass ein Exempel statuiert werden musste, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Die Verstrickung italienischer Mafiabosse und albanischer Politiker durfte nicht allzu offensichtlich werden und so gab es von Zeit zu Zeit immer mal wieder Beschlagnahmungen und Verhaftungen.

Nico schaute auf das Bett, das trotz seiner Größe in dem riesigen, sonnendurchfluteten Raum klein wirkte und ging Richtung Bad. Wenigstens gab es inzwischen getrennte Schlafzimmer. Er grinste bitter. Fatos kam dennoch zu ihm, wann immer es ihm in den Kram passte. Das zu ertragen wurde für Nico von Mal zu Mal schwieriger, aber noch sah er diesen Nutzen für sich und machte mit. Beim Sex genau wie bei anderen Dingen. Zumindest im Bett waren Fatos Wünsche in den letzten Jahren weniger geworden, er umgab sich gern mit jungen Italienern, die wöchentlich wechselten. Im Übrigen verließ er sich jedoch mehr und mehr auf Nico.

So musste dieser zum Beispiel heute nach Albanien übersetzen. Ihr Marihuana-Dorf in der Nähe von Lazarat, dem Zentrum des Cannabisanbaus, machte Schwierigkeiten wegen des Preises. Nico würde wie immer Fatos Interessen vertreten müssen und hatte an diesem Tag absolut keinen Bock dazu.

Er ließ das warme Wasser über seinen immer noch durchtrainierten Körper prasseln und widmete sich wie immer ausgiebig dem Trimmen seiner Körperhaare. In all den Jahren hatte er sich nicht davon abbringen lassen, sich auf gewohnte Weise zu pflegen, auch wenn Fatos ihn deswegen mit einer Frau verglich und sich darüber lustig machte. Auch ein Punkt, den Nico von Anfang an hasste. Schon damals, vor zehn Jahren, als sie sich kennenlernten, war das so. Aber da er alle Brücken hinter sich abbrach, musste er bleiben und hatte so gesehen noch Glück, dass Fatos sich auf ihn festlegte. Dabei war der andere nie sein Typ gewesen. Untersetzt, geschmacklos gekleidet, primitiv und niveaulos in seinem Denken und insgesamt irgendwie schmierig … das genaue Gegenteil von Nico selbst. Deshalb hatte er schnell begonnen, sich vor dem Albaner und seinen Berührungen zu ekeln. Dennoch schlief er mit ihm, was nicht verhinderte, dass es bis zum heutigen Tag immer wieder zu Machtkämpfen zwischen ihnen kam. Dieses ständige Unterordnen verwandelte Nico zwar in eine emotionale Zeitbombe und der Zünder aus Jähzorn tickte gleich unter der Oberfläche, aber er hatte im Vergleich zu früher gelernt, zumindest nach außen hin eiskalt zu bleiben und niemals die Kontrolle zu verlieren. Er musste es lernen, wenn er überleben wollte.

Fatos, der versteckt schwul lebende Sohn eines albanischen Kleinstadtbürgermeisters, war sich der Wichtigkeit von eigenen Gnaden voll bewusst und wollte sie berücksichtigt wissen. Er schreckte auch vor Gewalt nicht zurück, um seine Profilneurose zu bedienen, welche er in erster Linie aufgrund seiner geringen Körpergröße und des in Albanien verpönten Schwulseins entwickelt hatte. In Bezug auf Nico manifestierte sie sich von Anfang an in Handgreiflichkeiten und Beleidigungen.

Das für diesen so wichtige Gefühl, alles im Griff zu haben, kannte er schon lange nicht mehr. Damals in Deutschland konnte er mit den Menschen seiner Umgebung spielen, dort war er derjenige, um den sich alles drehte. Wenn er daran dachte, überkam ihn ein wohliges Gefühl. Auch wenn seine Intrige innerhalb der Familie L‘Arronge schiefgegangen war, in seinem Heimatland hatte er zumindest die Kontrolle über sein Leben gehabt – allerdings blieb er dabei arm wie eine Kirchenmaus. Jetzt waren seine Konten gut gefüllt, aber er musste sich zwangsweise nach Fatos richten. Auch wenn ihm das eine Menge Vorteile brachte, zog er die Wand aus Ablehnung in seinem Inneren immer höher. Er hatte Angst vor dem Tag, an dem es mit ihm durchging und er sich nicht mehr verstellen konnte. Denn auch, wenn er mittlerweile wusste, wie er bei Fatos am besten und vor allem unverletzt durchkam – es blieb ein ständiger Kampf mit sich selbst, sich daran zu halten. In den letzten fünf Jahren ihres Zusammenlebens war die Kurve von Fatos Aggressivität abgeflacht, weil Nico immer besser darin wurde, sich dem Anschein nach unterzuordnen. Er ließ den Freund in dem Glauben, in ihm einen loyalen Begleiter im privaten Leben und Komplizen in allen Belangen des Drogenhandels zu haben. Dessen ungeachtet schmiedete er Pläne, wie er rauskommen konnte, bisher jedoch eignete sich keiner zur Umsetzung.

Nico stand umgeben vom Dampf der Dusche vor dem Spiegel und wischte letzteren mit der Hand frei. Dabei starrte er sich an. Sein bildschönes Gesicht hatte seinen vordergründig unschuldigen Zauber verloren. An seine Stelle war etwas anderes getreten – er konnte es nicht benennen. Er sah noch immer gut aus, aber die zehn Jahre an Fatos Seite hatten die oberflächliche Schönheit und seinen fesselnden Charme gefressen wie ein Wolf das Ziegenjunge.

Schon seine verschiedenfarbigen Augen, braun und blau, wirkten nicht mehr wie früher geheimnisvoll und interessant, jetzt war sein Blick von Rücksichtslosigkeit und Hinterlist erfüllt. Noch immer gab er sich stolz, von sich selbst eingenommen und selbstbewusst, aber inzwischen sah man ihm gleichzeitig auch seine unberechenbare Gefährlichkeit an. Und genauso fühlte er sich auch. Ein explosiver Behälter aus Zorn und Missgunst, der ohne menschliche Rücksichten Fatos Willen durchsetzte.

In dem Zusammenhang musste er zwangsläufig auch etwas über das Älterwerden lernen. Damals dachte er noch, er könne dem Veränderungsprozess mit Operationen entgegenwirken. Erst zu spät erkannte er, dass Falten nichts mit dem Gesichtsausdruck zu tun hatten, der die zurückliegenden Jahre widerspiegelte. Sein Leben ließ sich nicht verleugnen, es hatte sich in sein Gesicht geschnitten. Auch wenn er es sich leisten konnte, durch OPs für Faltenlosigkeit zu sorgen, seinen Charakter verbarg er auf diese Weise nicht.

Es war nicht wirklich Wehmut, mit der er an diesem Morgen an seine damalige Zeit in Köln dachte. Im Gegenteil, inzwischen fand er, zu jener Zeit war er ein Amateur im Umgang mit anderen Menschen gewesen. Viel zu rücksichtsvoll und in manchen Angelegenheiten dumm wie Brot. Dinge wie mit Benji und Sarah L’Arronge würde er heute ganz anders angehen. Er hatte in seinem Spiel mit ihnen alles verloren, weil er einfach zu weich und unbeherrscht gewesen war. Dann gab es noch die Zeit mit dem jungen Albaner Jeton, der ihm hörig gewesen war und dessen er sich dessen ungeachtet nicht wirklich bedient hatte. Er hätte viel mehr aus ihm herausholen können. Bedingungslos treue Menschen waren Gold wert, man konnte sie lange ausnutzen, sie würden immer wieder Entschuldigungen finden, von denen man selbst wusste, dass es sie eigentlich nicht gab. Aber damals hatte er Jeton einfach aufgegeben, um mit Fatos neu anzufangen, dessen Ruf ihn beeindruckte. Und er zahlte einen hohen Preis dafür. Natürlich gestand Nico sich wie immer nicht ein, eine Fehlentscheidung getroffen zu haben. Er erklärte seine heutige Situation damit, dass er nicht anders handeln konnte. Dessen ungeachtet wünschte er sich die Zeit zurück, als sich andere Menschen nach ihm richteten, weil er sie virtuos durch die Klippen des klaren Denkens in seine eigene Welt führte. Irgendwann würde es wieder so sein, das schwor er sich jeden Tag.

Nico zog sich an, aber er konnte seine Gedanken an diesem Morgen nicht ruhigstellen. Was wäre, wenn er ungeachtet der Konsequenzen einfach abhaute? Alles hinter sich ließ und Fatos niemals wiedersehen musste? Wieder grinste er bitter. Seine Gedanken waren unrealistisch und er wusste es. Wie sollte er aus der Reichweite seines Freundes herauskommen? Abgesehen davon, dass man Fatos nicht ungestraft verließ, wusste Nico inzwischen einfach zu viel. Der andere machte Geschäfte mit der italienischen Mafia, die ihm einen stetigen Gewinn aus dem Cannabisanbau sicherte und sie war es auch, die ihm im Hintergrund stehend seine Macht verlieh. Fatos allein wäre niemals derart respektiert worden. Aber so, mit diesem unübersichtlichen Verbund aus krimineller Energie im Rücken war er jemand. Jemand, der den Tod bringen konnte, wenn man ihm nicht zu Willen war. Und er war rachsüchtig.

Nico hatte sich zwangsläufig den Gepflogenheiten der beiden Länder und des Geschäftes angepasst. Es galt nicht mehr, sein Schwulsein und kleine Intrigen auszuleben, sondern eine offenkundige Männlichkeit inklusive dieser rabiaten Weise, sich durchzusetzen. So gesehen hatte sich sein Horizont heftig erweitert, sein früheres Leben kam ihm aus dieser Perspektive armselig vor.

Er hatte es sehr schnell unterlassen, sein schwules Selbstbewusstsein zu offenbaren oder auf Gleichberechtigung zu pochen. Das war hier nicht zu erreichen und er schnitt sich damit nur ins eigene Fleisch. Seine Beziehung mit Fatos war zwar ein offenes Geheimnis, aber niemand, weder die Hanfbauern in Albanien noch das direkte Umfeld hier in Italien wagten es, diese Tatsache vor ihnen auch nur zu erwähnen. Niemand verspottete einen Schwulen, wenn dieser Mann die Fäden in der Hand hielt und seine rücksichtslose Vorgehensweise bekannt war.

In Albanien, wo Homosexualität absolut nicht geduldet wurde, machte Nico diese Überlegenheit sogar Spaß. Immer noch empfand er es als verdiente Rache, den dominanten Männern und Wächtern der Familie dort zu zeigen, wo es lang geht. Er konnte nicht vergessen, wie sie ihn seinerzeit behandelten, ihn und seinen damaligen Freund Jeton. Allein eine Flucht hatte ihr Leben retten können und sie mussten nur fliehen, weil man ihr Schwulsein aufgedeckt hatte.

Nico bemühte die Espressomaschine und nahm die volle Tasse mit hinaus auf die Terrasse. Hier empfing ihn Meeresrauschen und Möwengeschrei. Das Panorama war atemberaubend, die Luft mild mit einem salzigen Aroma und nichts schien diese Idylle jemals stören zu können. Nico jedoch konnte die paradiesische Umgebung auch heute nicht verinnerlichen, war weder glücklich noch zufrieden. Er setzte sich auf einen der Polsterstühle und schaute in die Ferne. Er wusste, gleich dort drüben lag das Land, das seit einem Jahrzehnt sein Leben bestimmte - Albanien. Gerade heute hätte er sich dem gern verweigert. Allerdings hieße das, sich mit Fatos anzulegen.

Sein Blick wanderte zurück auf den großen, schneeweißen Bungalow, in dessen getönten Fenstern sich die Sonne widerspiegelte. Dabei erinnerte er sich automatisch an die schmutzige Hamburger Sozialwohnung, in der er mit sieben Geschwistern aufgewachsen war. Es gelang ihm in seinen ersten Jahren selten, die Aufmerksamkeit seiner dem Alkohol sehr zugetanen Eltern für sich zu gewinnen, immer war er lediglich eines der acht Kinder und erst später, als er seinen verhängnisvollen Neigungen zu Manipulation und Egoismus freien Lauf ließ, beachtete man ihn. Er spielte innerhalb der Familie jeden gegen jeden aus und wurde schon früh ein Meister darin. Bald schon wusste er genau, was er zu tun hatte, um die gewünschten Reaktionen zu erzeugen. Kaum erwachsen, brach er mit seiner Familie, nicht aber mit der Art, mit Menschen umzugehen. Diese absolute Gleichgültigkeit den Gefühlen anderer gegenüber war seine Natur, ein schlechtes Gewissen deswegen kannte er nicht. Der eigene Nutzen zählte und nach seiner festen Überzeugung stand es ihm einfach zu, alle anderen zu benutzen, um seine Ziele zu erreichen. Auf diese Weise bekam er immer, was er wollte und machte sich immer dann aus dem Staub, wenn selbst dem Arglosesten klar geworden war, wie er tickte. Nach ihm die Sintflut, das war sein Motto.

Seinen heftigsten Misserfolg erlebte er innerhalb der schwerreichen Kölner Pharmazeuten-Familie L‘Arronge. Dabei hatte alles so gut begonnen, er konnte seine Pläne einen nach dem anderen realisieren und fand so den gewünschten Zugang in die Unternehmerfamilie. Aber dann war plötzlich alles aus dem Ruder gelaufen. Benji, der Sohn des Hauses, dem er Liebe vorgaukelte, kam ihm zu früh auf seine wahren Beweggründe. Nico ließ ihn zwangsläufig fallen und schaffte es, das Ruder noch einmal herumzureißen, nahm sich Benjis Schwester Sarah vor. Auch ihr spielte er die große Liebe vor, während er gleichzeitig den Vater erpresste. Eine Weile ging es gut, aber dann verlor er die Nerven und seine Chancen waren endgültig vertan. In einem Tobsuchtsanfall verprügelte er Sarah, die ihm dauerhaften Zugang in die High-Society ermöglichen sollte und verlor dabei völlig die Kontrolle über sich. In der Annahme, die Frau getötet zu haben, gelang ihm durch seinen damaligen Freund Jeton die Flucht nach Albanien. Bis heute wusste er nicht, ob Sarah an seinen Misshandlungen gestorben war.

Dabei hatte er sich im Vorfeld so viel Mühe gegeben, alles einzufädeln. Schon der Umstand, nach der Schlappe mit Benji eine Liebesbeziehung mit einer Frau einzugehen, kostete ihn eine Menge Überwindung und Vorarbeit. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt, wollte unbedingt zu dieser geachteten und einflussreichen Familie gehören. Er hatte Bruder und Schwester umgarnt, bei beiden war er aus verschiedenen Gründen gescheitert.[1] Wieder einmal hatte er die asozialen Kreise, denen er entstammte, nicht hinter sich lassen können. Er war damals so blöd gewesen!

Er nahm sich zusammen. Seine Gedanken sprangen zum weiteren Tagesablauf, obwohl er lieber in den großen Pool gesprungen wäre, um sich dort zu verausgaben. Bald galten seine Gedanken nur noch dem, was heute zu erledigen war.

 

*

 

Fatos lieferte seinem Dorf den Hanfsamen und letztendlich bezahlte er dreihundert Euro je Kilo der Ernte, was sich auf dem europäischen Markt schnell versechsfachte. Die Bergbauern hatten das große Los gezogen, ansonsten arm und ohne Verdienstmöglichkeit nutzten sie die Chance, etwas anzubauen, das wirklich Geld brachte. Im Moment jedoch glaubten sie, den Preis erhöhen zu können und dem musste Nico in Fatos Auftrag einen Riegel vorschieben.

Nico hatte geplant, mit dem Speedboot nach Durres überzusetzen und von der Hafenstadt aus in die Berge zu fahren. Er führte einige Telefonate, um die Maßnahme vorzubereiten und rief zum Schluss Fatos an. Sein Freund hielt sich zurzeit in Neapel auf, musste dort einige Dinge erledigen, über die er mit Nico nicht gesprochen hatte. Der ging allerdings davon aus, dass er sich dort wie häufig mit Geschäftspartnern traf und abends Jungs abschleppte. Vielleicht brachte er auch wieder einen von ihnen mit nach Hause und Nico hatte erst einmal Ruhe vor nächtlichen Störungen. Dazu passte allerdings nicht, dass Fatos während des Gesprächs nervös wirkte.

„Was ist los? Hast du Schwierigkeiten?“, fragte Nico. Er sprach inzwischen beinahe perfekt albanisch.

„Nein, nichts, das ich nicht lösen könnte. Ich komme heute Nachmittag zurück und hoffe, bis dahin hast du das Problem drüben erledigt. Ich zahle nicht mehr als bisher, mach ihnen das klar!“

„Okay!“

Nico legte auf und zog sich an, sein Outfit war das eines Geschäftsmannes. Zum Schluss lud er seine Handfeuerwaffe, sicherte sie und schob sie unter dem Jackett am Rücken in den Hosenbund. Er hatte noch nie jemanden erschießen müssen. Bisher reichte es, wenn es aussah, als habe er gegebenenfalls keine Skrupel, abzudrücken. Dann steckte er den Schlagring ein, der als Überzeugungshilfe allerdings schon oft geholfen hatte. Er hegte keine Zweifel, dass er sein Vorhaben auch heute wieder erfolgreich abschließen konnte. Seine Frustration würde seine Überzeugungskraft den Bauern gegenüber verstärken.

Plötzlich eilig lief er zu seinem schwarzen BMW SUV und fuhr den knappen Kilometer zum Anlegeplatz des Bootes, wo er bereits von zwei anderen Männern erwartet wurde. Sie waren für ihn das, was er für Fatos war – Handlanger. Er bellte einige Fragen und Kommandos, dann befanden sie sich auch schon auf dem Weg nach Albanien.

Die Adria lag ruhig unter ihnen, nur das Boot wühlte flüchtig das Wasser auf, wenn es auf die Oberfläche klatschte. Nico war jetzt ganz auf seinen Auftrag konzentriert. Seinen Blick starr über das glitzernde Meer gerichtet überlegte er sich seine Schritte, falls die Verantwortlichen des Dorfes weiterhin unnachgiebig waren.

Nach knapp zwei Stunden kam die albanische Hafenstadt Durres in Sicht. Nach dem Anlegen erwartete sie der übliche Fahrer, ohne Verzögerung stiegen sie in den Jeep und waren nun zu viert auf dem Weg in die Berge. Die holprige Fahrt über schlechte Straßen dauerte noch einmal zwei Stunden.

Das Dorf war durch bewaffnete Patrouillen gesichert, aber als man Nico erkannte, konnte er passieren. Er ließ sich ohne Umwege zum Haus des Dorfvorstehers bringen. Gleichwohl hatte die Kunde von seinem Eintreffen diesen schon vorher erreicht. Der Mann in Kleidung der Bergbauern stand vor dem Haus und schaute ihnen abwartend entgegen. Die Begrüßung wurde von vielen Augenpaaren aus allen Richtungen beobachtet, das ganze Dorf wusste, worum es ging und was auf dem Spiel stand. Die Situation war unüberschaubar, deshalb war Nicos erster Weg der ins Innere des Hauses.

Dort erwartete sie die ganze Familie - Töchter, Söhne, Großeltern, Brüder und Onkel des Vorstehers. Alle betrachteten ihn schweigend, während er sich setzte und Tee serviert bekam. Die Situation erinnerte Nico an eine Szene im Elternhaus seines früheren Freundes Jeton, der ihn nach Albanien gebracht hatte. Seine anfänglich gespielte Freundlichkeit verflog, wusste er doch genau, was sie über ihn und seine Beziehung mit Fatos dachten. Wut stieg in ihm hoch, er beendete das allgemein gehaltene Blabla und kam sofort zum Punkt. Sein Gegenüber ließ sich darauf ein und wiederholte sein Anliegen, tat dabei so, als säße er am längeren Hebel. Aber Nico blockte von Anfang an und machte klar, dass es nicht weiter schwierig sein würde, ein anderes Dorf zu finden, das die Geschäfte gern übernahm. Der Ankaufspreis für die besondere Ernte würde jedenfalls nicht erhöhen. Im Gegenteil, wenn man darauf bestand, würde er sinken. Der Disput dahingehend war lautstark, aber kurz, bis der Sprecher des Dorfes einknickte. Sie würden weiterhin zum üblichen Preis verkaufen, bekamen von Nico jedoch die Zusage für eine Aufstockung ihrer Waffen. Manchmal gab es halbherzige Kleinkriege mit den Behörden und dafür mussten sie gewappnet sein. Nico wusste, dass er Waffen und Munition bedenkenlos zusagen konnte, denn die Verteidigung der Ernte lag auch in Fatos Interesse.

Er bedauerte ein wenig, dass alles eher friedlich und ohne Komplikationen über die Bühne gegangen war, er war darauf eingestellt, härter durchgreifen zu müssen. Aber das Ganze hatte auch etwas Gutes. Er würde noch vor Mitternacht zurück in Roca Vecchia sein und konnte sein Bad im Pool nachholen.

 

*

 

Sie machten Zwischenstopp in der albanischen Hauptstadt Tirana, um bei MacDonalds einen schnellen Imbiss einzunehmen. Normalerweise vermied Nico inzwischen Fastfood und ging nur in Restaurants essen, die mehr zu bieten hatten. Aber heute ging es nicht anders, er hatte den ganzen Tag über noch nichts gegessen und wollte schnellstmöglich zurück nach Italien.

Erst gegen ein Uhr in der Nacht kam er vor dem Bungalow an. Er war hell erleuchtet, Musik dudelte und Fatos Geländewagen stand vor der Tür. Ein Umstand, der Nico nicht unbedingt begeisterte. Es sah nicht aus, als ob der andere bereits schlief und er hoffte, er ließ ihn zumindest in Ruhe seine Bahnen schwimmen. Er ging ins Haus und fand das geräumige Wohnzimmer leer. Er rief nach Fatos, erhielt jedoch keine Antwort und so drehte er die Musik ab. Er hasste albanische Folklore. Schon im großen Wohnraum zog er Krawatte und Hemd aus, legte Waffe, Handy und Brieftasche ab und lief Richtung der großen, gläsernen Schiebetür hinaus zum Pool. Schon vom weitem sah er das von innen angestrahlte, einladend blau schimmernde Wasser und beschleunigte seinen Schritt noch etwas. Doch dann war es, als würde er gegen eine Mauer prallen. Abrupt blieb er stehen. Vor ihm im Pool dümpelte ein Körper mit dem Rücken nach oben, das Wasser um ihn herum war dunkel gefärbt. Auf den ersten Blick erkannte Nico, wer der Tote war. Der aufwändige, farbenfrohe Bademantel, der um den Körper trieb, sagte ihm, dass es Fatos erwischt hatte. Wie es aussah, waren dessen Schwierigkeiten doch größer gewesen! Sein nächster Gedanke war, dass die Mörder vielleicht noch im Haus waren, deshalb sprintete er in einem plötzlichen Adrenalinschub um den Pool und sprang dort in die Büsche. Er duckte sich und sein Blick suchte Fenster und Umgebung des Hauses ab. Es war keine Bewegung zu erkennen und er beruhigte sich ein wenig, bekam das Beben seines Körpers unter Kontrolle.

Nach einer Weile erhob er sich vorsichtig, ging zum Pool zurück. Eine leichte Brise kräuselte die Oberfläche des Wassers und verwandelte den Lichtschein aus der Tiefe in Geister, die sich tanzend über die Leiche erhoben. Plötzlich musste Nico grinsen. Er lief am Rand entlang, bis er auf Höhe des toten Ex stand, nahm den Alu-Stab für die Reinigung und stieß ihn an. Der Körper tauchte kurz unter und schaukelte.

„Da hast du wohl bei den falschen Leuten deine große Schnauze aufgerissen! Wen wolltest du bescheißen, he?“, murmelte er dabei immer noch lächelnd. Es gab keinen Zweifel, er spürte eine tiefe Befriedigung, so als habe sich jemand anderer für ihn die Hände schmutzig gemacht und an Fatos gerächt.

„Ich habe dir immer gesagt, es wird dir nochmal leidtun. Hast du daran gedacht, als es so weit war? Hast du mich gespürt und begriffen, dass die Strafe immer folgt, auch wenn Jahre vergehen? Ich musste nicht einmal etwas machen, in meinen Gedanken bist du schon so oft gestorben, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es geschieht. Meine Wünsche haben gereicht, um dich zu zerstören!“

In diesen Momenten war es tatsächlich so, dass Nico ein Gefühl der Allmacht beschlich. Er glaubte, dass diejenigen, die für Fatos Tod verantwortlich waren, auf irgendeinem geistigen Weg seine Wunschträume empfangen und umgesetzt hatten. Seine Gedankengänge waren beinahe poetisch, während er am Beckenrand hockte und die Leiche immer wieder zu sich heranzog und wieder wegstieß. Dieses Ereignis stellte die Zeiger seiner Ego-Uhr auf null, sein Selbstwertgefühl stieg augenblicklich an. Alles, was er über die Jahre ausgehalten hatte, löste sich auf, er musste sich nicht mehr für seine Gefügigkeit schämen. Jetzt war alles gesühnt und er genoss das Gefühl der Genugtuung. Von einer Minute auf die andere hatte er sein Leben zurück, er konnte endlich von hier verschwinden. Dann sollte er allerdings packen, denn wenn die Cops kamen, musste er weg sein.

Während er sich aufrichtete, machte die Leiche ein glucksendes Geräusch.

„Nicht mal tot kannst du dich benehmen, du Schwein!“, kommentierte Nico und begann zu lachen. Es war ein befreites, aber auch ein zynisches Gelächter und dann vernahm er das Klicken hinter sich. Er hatte das Entsichern einer Waffe oft genug gehört, um es zu erkennen und schaute sich erst gar nicht um. Er spurtete los, nahm den gleichen Weg wie vorhin. Er schlug einen Zickzackkurs Richtung Büsche ein, als er den ersten Schuss hörte, dem sofort ein weiterer folgte. Die verbleibende Distanz überbrückte er in einer Art Kopfsprung, blieb unten und robbte im natürlichen Schutz der dichten Sträucher vom Haus weg. Sein SUV stand vor dem Gebäude, er konnte ihn nicht erreichen. Also musste er Richtung Strand entkommen und mit dem Speedboot endgültig fliehen.

Er hörte italienische Wortfetzen hinter sich, die Stimme kam näher und er setzte alles auf eine Karte. Er sprang auf die Füße und hastete los. Zuerst schlugen ihm noch dünne Äste ins Gesicht und gegen seinen nackten Oberkörper, dann befand er sich auf freier Fläche und lief auf die Dünen zu. Wieder ein Schuss, die Kugel schlug direkt neben ihm im Sand ein. Nico schwitzte wegen der Anstrengung, aber auch vor Angst. Keuchend erklomm er gebückt die Düne und war sich klar darüber, dass er sich auf dem Präsentierteller befand. Er hoffte auf die Dunkelheit, aber sein Verfolger war bereits zu nah. Ein weiterer Schuss und er spürte einen Schlag an der Schulter, der ihn herumriss. Er fiel und rollte auf der dem Meer zugewandten Seite die Düne herunter. Als er wieder auf die Füße kam, setzte schlagartig der Schmerz in der Schulter ein und nahm ihm fast den Atem. Sein rechter Arm wurde taub und einen Augenblick lang kämpfte er mit einer Ohnmacht, doch er taumelte weiter. Er tauchte in die völlige Dunkelheit, die über dem Meer herrschte und dann im klebrigen Sand des Strandes weiter Richtung Bootsanlegeplatz. Die Brandung wusch seine Fußabdrücke sofort wieder weg. Jede Sekunde rechnete er mit weiteren Schüssen, aber es blieb ruhig, auch die Stimme seines Verfolgers hörte er nicht mehr. Vielleicht machte der sich ja auch gar nicht die Mühe, ihn weiter zu jagen, weil er seinen Auftrag mit Fatos bereits erledigt hatte.

Später wusste Nico nicht, wie er die Strecke von einem knappen Kilometer hinter sich gebracht hatte. Er blutete stark und fröstelte trotz der lauen Sommernacht, fiel mehr ins Boot, als dass er einstieg. Er startete den Motor und steuerte auf die offene See hinaus. Erschöpft setzte er das Steuer auf die Koordinaten von Durres fest und ließ sich auf die Bank sinken. Mit seinem noch brauchbaren Arm öffnete er die Kiste hinter der Bank und zog dort eine Rettungsdecke heraus. Er legte sich die Folie um den Körper und schon nach kurzer Erwärmung wurden seine Schmerzen noch schlimmer. Dennoch fielen ihm immer wieder die Augen zu. Er versuchte, sich wachzuhalten, aber mit der Zeit sackte er länger weg. Wenn er zwischendurch hochschreckte, versuchte er sich zu orientieren, was ihm immer weniger gelang. Der Blutverlust wurde allmählich kritisch.

Er befürchtete, nicht früh genug wach zu sein, um das Boot in den Hafen von Durres zu lenken, aber er schaffte es. Mit letzter Kraft kroch er im Morgengrauen auf den hölzernen Pier und blieb dort liegen.

 

*

 

Es war die Zeit, zu der Fischer täglich aufs Meer hinausfuhren. Sie fanden Nico, vertäuten das Boot und brachten ihn in eine Klinik. Dort erwachte er in der Notaufnahme. Seine Wunde war versorgt worden und er stand mit dem Bett auf einem Flur, auf dem jede Menge Menschen scheinbar ziellos umherliefen. Die Klangkulisse erinnerte ihn an die einer Bahnhofskneipe und er fuhr erschrocken hoch. Die Erinnerung kam in Schlaglichtern zurück. Sein Blick fiel auf eine große, schmucklose Wanduhr. Ungefähr drei Stunden waren seit seiner Ankunft vergangen, es bestand die Chance, dass der Mord an Fatos noch nicht entdeckt wurde. Der Bungalow lag weit draußen und normalerweise kam niemand uneingeladen vorbei. Er musste telefonieren!

Zuerst versuchte er, die Aufmerksamkeit einer der Personen im weißen Kittel auf sich zu lenken. Als das nicht funktionierte, sprach er einfach irgendwelche Menschen an, die an ihm vorbeihuschten. Sein dringender Wunsch nach einem Telefon wurde nicht erfüllt. Also versuchte er schwerfällig, aus dem Bett zu kommen, was ihm einen Schwindelanfall einbrachte.

„Das würde ich nicht tun. Bleib liegen!“

Die Stimme kam Nico bekannt vor, er wandte den Kopf und erkannte Jeton. Sein Ex-Freund Jeton Camaj aus Lushnja in Albanien, den er seit zehn Jahren nicht gesehen hatte und von dessen Leben nach ihrer Trennung er absolut nichts wusste. Es sah aus, als sei er hier in der Klinik tätig.

„Jeton? Kannst du mir mal dein Handy geben? Ich muss sofort telefonieren!“

Jeton hob eine Augenbraue, griff dann in seine Hemdtasche und reichte Nico das Gewünschte. Dieser nahm es wortlos entgegen und tippte eine Nummer ein. Während er das Handy ans Ohr hielt, warf er Jeton einen Blick zu, der ihn aus seiner Nähe vertreiben sollte. Er blieb jedoch neben dem Bett stehen.

„Ist privat!“, verschärfte Nico mit einer seitlichen Kopfbewegung.

Ein ungläubiges Grinsen huschte über Jetons Gesicht und er schüttelte den Kopf, dann verschwand er im gegenüberliegenden Zimmer. Nico seinerseits gab einem der beiden italienischen Helfer die Anweisung, persönliche Dinge aus dem Bungalow zu holen, wenn das noch möglich war. Dann informierte er in einem zweiten Anruf den albanischen Fahrer und beorderte ihn nach Erledigung des Auftrags zu sich ans Krankenbett. Etwas beruhigter ließ er sich danach wieder in die Kissen sinken.

Wo blieb Jeton? Jetzt konnte er doch wiederkommen!

 

*

 

Am gestrigen Tag hatte Nico Jeton nicht mehr gesehen, auch keinen anderen Arzt. Eine Schwester holte in Vertretung das Smartphone ab. Irgendwann während der Nacht wurde er in ein Zimmer geschoben, wo er mit fünf anderen Patienten lag und wegen des Geräuschpegels nicht schlafen konnte. Einer von ihnen starb zwei Stunden nachdem Nico hereingebracht wurde und so konnte er endlich schlafen, was er sehr begrüßte. Allerdings nur vier Stunden, dann ging die Betriebsamkeit wieder los.

Nico war genervt. Er fühlte sich besser, als es ihm eigentlich ging und hatte eigentlich nur den Wunsch, hier rauszukommen. Aber wohin? Er musste warten, bis die Anrufe fruchteten und er seine Sachen bekam. Leider stand noch nicht fest, ob es funktionierte, sie zu holen. Deshalb wurde er langsam nervös, als er bis Mittag nichts von seinen Helfern hörte. Er war es nicht gewöhnt, tatenlos abzuwarten. Allerdings konnte er nichts anderes tun, denn sein Kreislauf sackte jedes Mal weg, wenn er versuchte, aufzustehen.

Gegen 13 Uhr tauchte dann endlich sein albanischer Mitarbeiter auf. Er hatte einen Koffer dabei, den er kurz vorher von den beiden Italienern übernommen hatte und Nico atmete bereits auf, als er ihn damit zur Tür hereinkommen sah. Er schaute die Sachen durch und war beruhigt. Es kam weniger auf die Kleidung an, in erster Linie ging es um seine Bankunterlagen und Bargeld. Als die beiden italienischen Gehilfen am Bungalow ankamen, trieb Fatos Leiche noch im Pool und sie konnten ohne Störung alles zusammensuchen, was Nico benötigte. Jetzt gab dieser ein Bündel Geld als Bezahlung ab und ließ keinen Zweifel daran, dass der Albaner nun überflüssig war. Der hatte seine Schuldigkeit getan und verließ bald darauf die Klinik. Nico nahm sich vor, dies auch zu tun, sobald er sich einigermaßen stabil fühlte.

Erst Nachmittags kam dann endlich Jeton ins Zimmer, diesmal trug er keinen Kittel. Nico schaute ihm entgegen und machte automatisch einige Feststellungen. Sein Ex musste inzwischen 29 Jahre alt sein. Er sah jedoch deutlich älter aus, dafür sorgten seine ernsten Gesichtszüge und die melancholischen Augen.

„Ich hatte angenommen, du kommst früher, um nach mir zu sehen!“, empfing er Jeton leicht vorwurfsvoll.

„Warum? Du bist nicht mein Patient und ich habe reichlich zu tun, auch ohne dass ich mich um Kranke kümmere, die mich nichts angehen!“

Während Jeton sich einen Stuhl ans Bett zog, schwiegen sie erneut.

Dann begann Jeton auf Deutsch:

„Du hast Glück gehabt … wieder mal. Es ist ein glatter Schulterdurchschuss, ohne dass wichtige Organe in Mitleidenschaft gezogen wurden.“

„Ich denke, du bist nicht mein Arzt?“

„Es hat mich interessiert, ich habe nachgesehen! Was ist eigentlich passiert?“

Jeton schaute in Nicos Gesicht, dann riss er sich los und sah Richtung Fenster. Seine Kieferknochen mahlten dabei angespannt.

„Sie haben Fatos kalt gemacht! Als ich nach Hause kam, dümpelte er mit dem Gesicht nach unten im Pool. Der Killer war noch im Haus und ich hab es gerade noch geschafft, wegzukommen.“

Für Nico war die deutsche Sprache inzwischen so ungewohnt, dass er nach manchen Worten suchen musste und sogar einen leichten Akzent hatte.

„Wer hat ihn getötet?“

„Ich nehme an, das Kartell!“

„Drogenkartell? Die italienische Mafia? Gomorrha?“

„Nenn es, wie du willst. Auf der Balkanroute verdienen viele mit. Keine Ahnung, was Fatos gemacht hat und ich will es auch nicht wissen. Wahrscheinlich hat es mit Kohle zu tun und damit, dass er mehr behalten wollte, als ihm zustand. Ist aber auch egal! Ich bin ihn los, das zählt.“

„Du scheinst nicht gerade traurig zu sein!“

„Er war ein rücksichtsloses Arschloch und dazu noch hässlich.“

„Mein Mitleid hält sich in Grenzen, wie du dir denken kannst!“

„Du kommst mir nach zehn Jahren jetzt doch nicht mit Eifersucht und Vorwürfen!“

Nicos zweifarbige Augen funkelten, seine inzwischen ohnehin harte Miene wurde noch härter. Jeton spürte einen scharfen Schmerz in seinem Inneren, dabei hatte er angenommen, er sei seit Jahren drüber weg. Er hätte noch viel zu sagen gehabt, ließ es jedoch sein und wechselte das Thema.

„Und jetzt hast du genug Geld, um neu anzufangen?“

„Natürlich! Wozu sollte der Scheiß der vergangenen zehn Jahre denn sonst gut gewesen sein? Ich habe genug Kohle für ein schönes, bequemes Leben und bin wieder frei. Ich kann endlich hier weg!“

„Also hast du endlich das, was du immer wolltest?“

Sie schauten sich kurz in den Augen.

„Beinahe … Geld habe ich jetzt, als nächstes werde ich mir ein neues Leben aufbauen! Und zwar eins, in dem mir keiner mehr an der Karren pissen kann!“

„Wo?“

„Das weiß ich noch nicht. Fest steht, dass ich weder hier noch in Italien bleibe.“

Wieder breitete sich Schweigen über ihnen aus, ihre Blicke trafen sich erneut. Ein weiterer schweigsamer Moment verging, bis Jeton auswich, indem er aufstand.

„Ich muss dann mal wieder!“

„Warum hast du es denn so eilig? Du hast doch Feierabend, oder nicht?“

„Genau … und ich will nicht auch noch meine Freizeit hier verbringen!“

„Wieso arbeitest du eigentlich hier? Wolltest du dir nicht in Lushnja eine Praxis einrichten, um den Armen zu helfen oder so?“

Es war nicht zu überhören, dass Nicos Tonfall eher geringschätzig war.

„Das wollte ich allerdings. Nachdem du weg warst, habe ich in Deutschland fertig studiert, aber da du mich hier unmöglich gemacht hast, ging der Versuch einer eigenen Praxis gründlich in die Hose. Ich muss dir nicht erklären, wieso. Oder doch?“

„Was soll das denn? Kann ich dafür, dass du schwul bist?“

„Nein, aber du warst es, der mich vor meiner Familie geoutet hat. Mein Vater musste es ab da offiziell zur Kenntnis nehmen, sonst hätte er sein Gesicht verloren. Daraufhin hat es sich rumgesprochen und es blieb nur eine Klinik in der Stadt. Ich arbeite seit sechs Jahren hier.“

„Und? Hast du einen Freund?“

„Du weißt doch, wie das hier läuft! Ich habe eine Menge Freunde, aber nichts Festes. So, ich muss dann wirklich …“

Jeton machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen. Nico überging es ein weiteres Mal.

„Kannst du den Koffer mit zu dir nehmen?“

„Was? Wieso?“

„Da ist alles drin, was ich brauche, auch Geld. Das ist hier nicht sicher. Du musst es nur in deiner Wohnung deponieren, bis ich rauskomme. Ich hole es dann ab und du bist mich wieder los!“

„Und wer sagt dir, dass ich nicht mit dem Geld durchbrenne?“

„Damit kommst du nicht weit, es ist zu wenig. Außerdem … du würdest mich nicht bescheißen. Das ist nicht deine Art! Nimm aber vorher ein paar Klamotten raus, ich hatte nicht viel an, als ich herkam.“

Er lächelte und Jeton hatte den dringenden Wunsch, ihn ins Gesicht zu schlagen. Nico kam mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie früher daher und er reagierte genauso dämlich, als gäbe es keine andere Möglichkeit. Beinahe automatisch ging er auf den Koffer zu, öffnete ihn und nahm die Kleidung heraus, die Nico haben wollte. Dann tauschten sie ihre Handynummern, er verließ endgültig das Krankenzimmer und nahm den Koffer mit.

Nico lächelte ihm hinterher. Es war kaum zu glauben, Jeton tat noch immer, was er ihm sagte. Schade, dass er aus diesem Teil der Welt verschwinden würde, er hätte ihn zumindest in der Anfangszeit seines neuen Lebens gut gebrauchen können.

 

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Jeton floh nahezu aus der Klinik und hastete zu seinem Auto. Er stellte Nicos Gepäck ab, schloss auf und begann anschließend, wild fluchend auf den Koffer einzutreten. Dabei hätte ein Beobachter den Eindruck bekommen können, dass er eine lebende Person namens Nico attackierte. Als der Wutausbruch genauso schnell abflaute, wie er begann, schaute Jeton sich verschämt um und stellte erleichtert fest, dass niemand in der Nähe war. Er warf den Koffer auf die Rückbank und fuhr heim. Dort angekommen kam er jedoch immer noch nicht zur Ruhe. Er spürte das altbekannte Kribbeln, an das er sich nur allzu gut erinnern konnte. Die gleiche glühende Leidenschaft, der gleiche hilflose Zorn.

Wie war das nach all der Zeit möglich?

Nico hatte sich verändert. Es war nicht mehr wie früher, als ein Blick in sein schönes Gesicht alle Zweifel an seiner Aufrichtigkeit wegwischte. Inzwischen sah auch Jeton ihm seine Arglist und Kaltschnäuzigkeit auf den ersten Blick an. Dessen Gefühle konnten also nicht daran liegen, dass er vom Aussehen geblendet war. Von seiner Gleichgültigkeit mal ganz abgesehen war auch Nicos Laufbahn nicht dazu geeignet, ihn zum Partner haben zu wollen. Jeton hatte den Weg seines ehemaligen Freundes sporadisch verfolgt, wusste über vieles Bescheid, was im Leben des anderen passiert war. Schon deshalb war Jeton wegen seiner neuerlichen Reaktion auf die ehemalige, große Liebe fassungslos.

Als Nico ihn damals von einem Moment auf den anderen ohne Erklärung oder Abschied verließ, glaubte er zunächst, sein Leben habe jeden Sinn verloren. Aber er riss sich zusammen, flog zurück nach Deutschland und nahm sein Studium wieder auf. Er verarbeitete ihre Beziehung lange und schmerzhaft, aber nach zwei Jahren glaubte er, es geschafft zu haben. Er machte sich selbst auch keine Vorwürfe mehr, aus Dummheit immer wieder auf Nico hereingefallen zu sein. Er hatte ihn eben geliebt und es lag allein an Nicos narzisstischer Persönlichkeitsstörung, dass es so laufen musste, wie es gelaufen war. Über die Jahre war der Schmerz gewichen und kam auch nicht mehr zurück, wenn er über Dritte etwas von Nico hörte. Und nun das.

Auf der einen Seite wusste er genau, wen er vor sich hatte und dass ein näherer Kontakt ihm nichts als neuerlichen Schmerz einbringen würde. Andererseits begehrte er ihn, konnte sich dem trotz seiner vielen, schlechten Erfahrungen nicht entziehen. Nico musste sich weder verstellen noch heucheln, Jeton wollte ihn genauso und das entzündete seinen Selbsthass erneut. Er wich dem aus, indem er sich abends auf einer der üblichen, versteckten Partys mit einigen schwulen Männern traf und Sex hatte. Aber er war nicht wirklich bei der Sache.

 

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Nico blieb noch eine Woche in der Klinik, dann stand die Entlassung an. Jeton hatte sich nicht mehr sehen lassen und auf seine vielen Versuche, ihn telefonisch zu erreichen, kam als Antwort nur eine einzige SMS. Darin stand die Adresse und dass er am Entlassungstag zur Kofferübergabe vorbeikommen sollte.

Er machte sich keine Gedanken deswegen, denn bereits seit ihrem Wiedersehen war ihm klar, dass Jeton ihn immer noch nicht zurückweisen konnte und mehr musste er nicht wissen. Dass sein Ex wegblieb, hieß nur, dass er sich den Anschein geben wollte, unabhängig zu sein, vielleicht wollte er es sich auch selbst beweisen. Das machte es allerdings nicht echter.

Heute war es so weit, die Wunde verheilte gut und er konnte gehen. Gleich am Morgen schrieb er eine SMS an Jeton, woraufhin dieser ihm eine Uhrzeit am Abend nannte. Die Zeit bis dahin verwendete er darauf, sich eine Bleibe zu suchen. Er nahm sich eine Suite in einem Spa- und Wellnesshotel und genoss es, dass die Zeiten, als er sich eine billige Absteige suchen musste, definitiv vorbei waren. Die Stunden bis zum Abend verbrachte er in der Sauna, ließ sich massieren, schwamm im Pool und aß nach der Krankenhauskost endlich einmal wieder à la carte. Er fühlte sich noch nicht ganz fit, aber die Aktivitäten halfen, die gut heilende Verletzung inklusive der Tage im Bett zu handhaben. Zur verabredeten Zeit ließ er sich die sieben Kilometer zu Jetons Adresse in der Innenstadt fahren. Sein Ex öffnete, hatte den Koffer bereits im Flur neben der Haustür stehen. Er schob ihn mit dem Fuß hinaus. Dann begann er direkt, die Tür wortlos wieder zuzuschieben, während Nico nach seinem Eigentum griff. Nur kurz war letzterer irritiert, hatte er doch eigentlich eine feste Vorstellung davon, wie der Abend ablaufen sollte.

 

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Jeton hatte Herzklopfen, das seinen Höhepunkt fand, als Nico vor der Türe stand. Er hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, sein emotionaler Zustand glich dem eines verliebten Teenies und das konnte er sich einfach nicht verzeihen. Nicht nach all dem, was geschehen war. Er hatte einen festen Plan, wie er verfahren wollte. Dazu gehörte, dass er so wenig wie möglich mit Nico reden und ihn erst recht nicht in seine Wohnung lassen wollte. Er öffnete und schob das Gepäckstück hinaus. Aber als er sich sofort wieder zurückziehen wollte, streckte Nico den Arm aus, noch während er nach dem Koffer griff und hinderte Jeton so daran, die Tür einfach wieder zu schließen.

„Hey, willst du mich hier einfach so abfertigen? Warum? Es gibt einiges, was wir besprechen könnten!“

„Aber nichts, was wir besprechen müssten! Du hast deine Sachen, darüber hinaus gibt es nichts mehr an Gemeinsamkeiten zwischen uns. Bedanken musst du dich übrigens auch nicht, ich weiß ja, dass das eins der Dinge ist, vor denen du dich gerne drückst!“

„Ach komm, Jeton! Diese Bitterkeit steht dir nicht. Können wir Vergangenes nicht vergangen sein lassen? Oder hast du Angst vor dir selbst?“

„Nein, natürlich nicht!“

Jetons Antwort kam zu schnell und zu heftig.

Nico grinste innerlich. „Na, dann kannst du mich doch rein lassen.“

„Ich muss gleich weg, ich hab keine Zeit für ein Plauderstündchen.“

Er drückte etwas fester gegen die Tür, aber Nico hielt dagegen.

„Komm schon, auf einen Raki!“

„Ich habe keinen Alkohol im Haus!“

„Kaffee?“

„Verdammt Nico! Lass mich in Ruhe, ja?“

„Ach, Jeton! Denkst du, ich weiß nicht, was los ist? Du hast deine Ruhe schon nicht mehr, seit du mich wiedergesehen hast.“

„Das hättest du wohl gern. Du gehst mir am …“

Die Tür war zum Stillstand gekommen und Nico richtete sich auf. Er lächelte und auch wenn dieses Lächeln seine harten Züge kaum weicher machte, war Jeton elektrisiert. Kurz vergaß er, was er sagen wollte. Fast panisch suchte er nach der Vollendung des Satzes.

„… Arsch vorbei!“

Nico legte den Kopf schief, sein Lächeln wurde breiter und es fiel Jeton immer schwerer, sich dem zu entziehen.

„Wen willst du eigentlich überzeugen? Mich oder dich selbst?“

Nervös wandte Jeton den Blick ab und gab sich weiter ärgerlich.

„Ich weiß nicht, was du dir einbildest! Die Zeiten, als du die Leute nur anschauen musstest, um sie wehrlos zu machen, sind vorbei. Oder hast du keinen Spiegel?“

Nico schaltete im Bruchteil einer Sekunde um. Mit einem kräftigen Tritt beförderte er den Koffer zurück in die Diele, warf sich dann gegen Jeton und war in der Wohnung. Mit dem Fuß stieß er die Haustür ins Schloss. Er drückte Jeton mit den Schultern an die Wand und es entbrannte ein kurzer Kampf. Es war Jeton, der Nico mit der Faust ins Gesicht schlug. Kurzzeitig erstarrte dieser und sein Ex floh Richtung seines Wohnzimmers. Er warf die Tür zu und schloss ab.

„Verpiss dich endlich!“

Nico wischte sich das Blut ab, das aus seiner Nase tropfte. Seine Wut nahm überhand, aber im Gegensatz zu früher konnte er sie kontrollieren. Er wurde eiskalt, während er auf die Wohnzimmertür zuging. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie einzutreten, aber er hatte gelernt. Er klopfte nur zart an.

„Jeton, begreifst du denn nicht, was Sache ist? Ich bin froh, dich wiedergetroffen zu haben! Ich habe mehr als einmal bereut, dass ich dich für dieses Arschloch verlassen habe.“

Seine Stimme klang aufrichtig und beinahe liebenswürdig. Als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort:

„Es tut mir leid, dass ich gegen deinen Willen reingekommen bin. Du hast mich beleidigt und ich war sauer… pass auf, ich gehe jetzt raus und warte noch ein wenig. Vielleicht überlegst du es dir ja doch noch!“

Jeton stand wie angewurzelt vor der Tür. Er hatte fest damit gerechnet, dass Nico sich Zugang verschaffen würde und war nun überrascht. Das Adrenalin ließ ihn noch immer zittern, während er den Geräuschen jenseits der Tür lauschte. Das Schloss der Haustür klickte, aber er traute sich nicht, sofort nachzuschauen, ob Nico wirklich gegangen war. Er war verwirrt. Es sah Nico überhaupt nicht ähnlich, dass er in dieser Situation nicht ausrastete. Sollte letztendlich die harte Schule, durch die der andere gegangen war, es tatsächlich geschafft haben, ihn zu ändern?