Narziss - verbrannte Erde - Andy Claus - E-Book

Narziss - verbrannte Erde E-Book

Andy Claus

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Beschreibung

Nicolas von Sydow ist 32 Jahre alt. Mit sieben Geschwistern in einem sozialen Brennpunkt Hamburgs aufgewachsen, hat er nur zwei Ziele - sein eigenes Wohlergehen und Geld. Um diese Ziele zu erreichen, geht er schon lange stur seinen Weg und wurde schon oft narzisstisch oder sogar soziopathisch genannt. Für ihn selbst steht jedoch fest, er hat lediglich einen unbeugsamen Charakter und weiß, was er will und wie er es bekommt. Mit seiner überdurchschnittlichen Attraktivität und Intelligenz, der Fähigkeit zur Beeinflussung von Menschen, ein wenig krimineller Energie und absoluter Gleichgültigkeit den Gefühlen anderer gegenüber kam er bisher einigermaßen durch. Jetzt jedoch ist seine wirklich ersehnte, große Chance gekommen, denn Benjamin L'Arronge verliebt sich in ihn. Benji ist der Sohn eines reichen Industriellen, erst 22 und völlig arglos, was das Zwischenmenschliche angeht. Ein ideales Opfer auf Nicos Weg zu bequemem Reichtum und Prestige und er hat nicht vor, diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen.

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Narziss – verbrannte Erde

Roman von

Andy Claus

 

Von Andy Claus erschienen unter anderem noch:

Stalker – Du gehörst mir ISBN 978-3-940818-15-7

Ben – der Fremdenlegionär ISBN 978-3-934825-90-1

Eric – Aus dem Leben eines Miststücks ISBN 978-3-934825-82-6

Albtraumprinzen ISBN 978-3-86361-287-0

Der 38. Sommer ISBN 978-3-86361-346-4

und mehr

Alle Bücher auch als E-books

 

Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,

Himmelstürmer is part of Production House GmbH

 

www.himmelstuermer.de

E-mail: [email protected]

Originalausgabe, Oktober 2014

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage.

Coverfoto: http://www.fotolia.de

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

ISBN print 978-3-86361-415-7

ISBN epub 978-3-86361-416-4

ISBN pdf: 978-3-86361-417-1

 

Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.

Die Strafe des Lügners ist nicht,dass ihm niemand mehr glaubt,sondern dass er selbst niemandem mehr glauben kann.

Attraktivität ist ein Talent

Es war ein Samstagabend, wie man ihn in einer sommerlichen Großstadt kennt. Köln leuchtete aus sich selbst heraus - Laternen, Fenster und Windlichter strahlten unter einem dunkelblauen Samthimmel, Tische und Stühle wirkten wie aus unzähligen Gaststätten auf die Straßen und Plätze gespült. Ein sanfter, warmer Wind trieb Stimmen und verschiedene Düfte vor sich her, umschmeichelte die Menschen, die ihr Wochenende genossen, aßen, tranken und lachten.

Einer hatte jedoch keinen Blick für diese sommerliche Leichtigkeit. Nicolas von Sydow lief über die Gehwege der südlichen Altstadt, schaute weder rechts noch links. Der 32jährige war auf der Jagd und steuerte auf eine weitere Schwulenkneipe zu. Bisher war er niemandem begegnet, der einen zweiten Blick wert gewesen wäre, deshalb nagte zu diesem Zeitpunkt der Frust bereits an ihm.

Er war jetzt einen knappen Monat in Köln und wusste eigentlich, wo er Gespielen für seine Nächte fand. Heute allerdings schien ihm das gewohnte Glück tatsächlich abhanden gekommen zu sein, interessante Gleichgesinnte liefen ihm einfach nicht über den Weg. So kam er dann bei der vierten Kneipe an diesem Abend an. Er bahnte sich einen Weg durch die Raucher vor der Tür der Gaststätte, wie überall schien dort mehr los zu sein als drinnen. Er ging trotzdem hinein, setzte sich an die Theke und bestellte ein Wasser. Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, aber die Männer, die er kurz taxierte, passten alle nicht in sein Beuteschema. Hieß das, er musste heute Nacht allein bleiben und womöglich auch noch in seinem eigenen, schäbigen Apartment in Chorweiler übernachten?

Als er aufstand und in Richtung der Waschräume ging, folgte ihm so mancher Blick. Keiner der Männer interessierte ihn, deshalb übersah er sie schlicht. Später, während des Händewaschens, schaute er in den Spiegel. Das Neonlicht fiel kalt von der Decke und irgendetwas zwang ihn zur genaueren Betrachtung seines schmalen Gesichtes. Es gab einiges, was ihn dort immer mehr störte. Natürlich, er sah noch verteufelt gut aus und seine unterschiedlichen Augenfarben, links braun, rechts stahlblau und das ohne Kontaktlinsen, machten ihn zusätzlich interessant. Auch seine neue Frisur mit ausrasierten Seiten und dem dunkelbraunen, vollen Haaren oberhalb gefiel ihm. Dabei hatte er lange gezögert, seine einstmals schulterlange Mähne abschneiden zu lassen, musste das aber bisher nicht bereuen.

Trotzdem … er studierte jeden Zentimeter und erkannte im unvorteilhaften Licht die feinen Linien auf der Stirn und an den Augen. Um den Mund begann sich sein Sarkasmus einzugraben, um irgendwann für alle sichtbar zu werden. Das würde sein Leben erschweren. Ein Dreitagebart sollte zumindest bei Letzterem übergangsweise Abhilfe schaffen, trotzdem musste er den Anfängen unbedingt trotzen, wenn er sein Gesicht nicht irgendwann vollständig mit Haaren abdecken wollte. Nur wie? Es sah zurzeit nicht so aus, als könne er sich ein Minilifting leisten. Aber er musste sich beeilen, verdammt noch mal! Aussehen und sexuelle Anziehung hielten nicht ewig und eigentlich verschwendete er schon viel zu viel Zeit mit unnützen, kleinen Gaunereien oder in betrügerischen Beziehungen. Sie halfen ihm zwar beim Überleben und einer seiner Freunde finanzierte ihm den Führerschein, aber das waren Almosen. An das große Geld war er durch diese Männer nicht herangekommen. So hatte er bisher mit kleinkriminellen Jobs lediglich für ein paar lumpige Euro Knast riskiert und sein außergewöhnliches Potential an Loser vergeudet. Das war sein Fazit, welches ihn jetzt plötzlich richtig sauer machte. Warum war er in diese zehnköpfige Assi - Familie hineingeboren worden? Dadurch hatte er nie die Möglichkeit bekommen, die richtigen Leute kennenzulernen. Es war nicht seine Schuld, dass man die Grenzen zur sogenannten guten Gesellschaft nicht so einfach durchbrach! Und hier in diesem Schuppen fand er mit Sicherheit auch keine Kerle, die es wert waren, auch nur den kleinen Finger zu rühren!

Wütend trat er den Papierkorb weg und die zerknüllten, feuchten Tücher flogen durch den Waschraum. Er stieg darüber hinweg und ging zurück in die Gaststätte, wo sich nicht viel verändert hatte. Lediglich Nicos Gedanken waren aggressiver geworden und am liebsten hätte er jedem im Raum in die Eier getreten. Was für überflüssigen Wichser!

Er ging zurück an die Bar, sein Mineralwasser schmeckte inzwischen schal und er beschloss, sich vom Acker zu machen. Er hatte gerade bezahlt, als ein junger Kerl hereinkam und sich gegenüber an die Theke setzte. Er schien etwas jung für Nicos Geschmack, er hatte bisher die Erfahrung gemacht, dass der Sex schlechter wurde, je jünger die Männer waren. Zu viel Gefühl, zu wenig Routine. Er hatte keine Lust, den Lehrmeister zu spielen, wollte lediglich auf seine Kosten kommen. Bei dem mangelnden Angebot am heutigen Abend käme der Junge jedoch durchaus in Frage, zumindest besaß er einen durchtrainierten Körper, soweit die Kleidung eine Beurteilung zuließ. Das Gesicht unter den braunen Haaren war gefällig, aber nichtssagend, niemand, an den er sich lange erinnern würde, aber darauf war Nico auch nicht aus.

Er suchte den Augenkontakt und es dauerte nicht lange, bis sein Gegenüber darauf einging. Eine kurze, seitliche Kopfbewegung Nicos und der andere nahm sein Glas und kam herüber.

„Hi! Bist du zum ersten Mal hier?“

Er sprach mit einem Akzent, den Nico nicht gleich zuordnen konnte. Aber wozu auch? Der Bengel würde vielleicht ganz unterhaltsam sein, deswegen wollte er sich trotzdem keine Konversation aufdrängen lassen. Darum kam er sofort zur Sache.

„Ich bin auf der Suche nach einem One-night-stand, war heute Abend schon in vier Läden! Aber bei dem Angebot fällt mir eher der Schwanz ab! Was ist, hast du Lust?“

„Bei mir fällt dir nicht der Schwanz ab?“

„Würde ich dann fragen?“

„Keine Ahnung! Ich weiß ja nicht, wie nötig du es hast!“

Nico schwoll der Kamm.

„Pass auf, was du sagst, Schätzchen. Du bist der Einzige, der hier und jetzt in Frage kommt, aber wenn du nicht willst, ist es auch gut! Das wäre dann dein Pech!“

„War das jetzt so etwas wie ein Kompliment?“

„Sieh es, wie du willst! Aber beeil dich mit deiner Entscheidung!“

„Okay, reicht die Zeit wenigstens, mir deinen Namen zu sagen? Ich bin Jeton Camaj.“

„Nico!“

„Ich komme aus Lushnja in Albanien.“

„Ich nicht!“, antwortete Nico desinteressiert und bestellte sich doch noch ein Wasser.

„Wieso trinkt du etwas, mit dem andere Leute sich waschen?“

„Es reicht doch, wenn du Bier säufst!“

Nico trank niemals Alkohol, weil er es hasste, die Kontrolle zu verlieren. Er fand es aber stets amüsant, anderen dabei zuzusehen, wie sie mit jedem Glas mehr ihr Benehmen änderten und meist wusste er deren Zustand dann auch auszunutzen. Das musste er Jeton aber nicht auf die Nase binden. Stattdessen fragte er:

„Wie alt bist du eigentlich?“

„Dreiundzwanzig! Und du?“

„Zweiunddreißig.“

„Normalerweise werde ich von Leuten über dreißig bezahlt.“

Nico schlug sich vor die Stirn.

„Na klar, du bist Stricher! Hätte ich mir auch denken können! Aber vergiss es, von mir kriegst du keinen Cent.“

„Will ich auch gar nicht! Die meisten in deinem Alter sehen nicht so geil aus … naja, die meisten jüngeren auch nicht!“

„Dann kannst du ja froh sein, dass du nicht mich bezahlen musst!“

Kurz schweiften Nicos Gedanken in eine Zeit ab, als er selbst versucht hatte, mit Sex Geld zu machen. Damals schien das ein einfacher Weg zu sein, er wollte als Edelcallboy Geld scheffeln. Allerdings kam er nicht an die wirklich großzügigen Kunden ran. Er verdiente nicht viel, wurde dafür jedoch gedemütigt und ausgenutzt. Den letzten Freier schlug er aus purem Hass hinter dem Bahnhof mit einem Stein nieder und hatte das Glück, dass seine Notwehrgeschichte bei Gericht geglaubt wurde. Jedenfalls ließ er dieses Gewerbe schon nach wenigen Wochen hinter sich, es musste andere Möglichkeiten geben. Seither suchte er mehr oder weniger erfolglos nach diesen Gelegenheiten, schnell an viel Geld zu kommen.

Fünf Minuten später machten sie sich auf den Weg zu Jetons Wohnung. Nicos erster Eindruck war, dass der andere ganz gut verdienen musste, denn er lebte weder in einer WG noch wie er selbst in einem heruntergekommenen Apartmenthaus. Er bewohnte eine manierlich eingerichtete Zweizimmerwohnung, die auch noch nahe der Altstadt lag. Nicos erster Gedanke war, dass es Jeton nicht zustand, mehr zu haben als er selbst.

„Willst du was trinken? Wasser?“

„Ja.“

Nico setzte sich auf einen der billigen, anscheinend aber ziemlich neuen Sessel.

„Sag mal, wie kommst du zu so ’ner Wohnung? Hast du einen großzügigen Stammfreier?“, rief er dann Richtung Küche.

„Ich habe einige ganz gute Freier!“

Jeton stellte ein Glas und die Flasche Mineralwasser vor Nico auf den Couchtisch.

„Wie bist du denn da rangekommen? Also ich …“

Gerade konnte er noch stoppen und fuhr fort:

„… kann mir nicht vorstellen, dass jemand so viel springen lässt! Jungs wie dich findet man doch an jeder Ecke!“

„Sehr freundlich, danke. Gut, dass die Männer anders denken, ich möchte nämlich nicht auf die Straße, um Kunden zu suchen!“

Jeton war also auch noch Callboy, musste sich nicht mit Laufkundschaft rumschlagen - etwas, das Nico nie geschafft hatte. Er wollte sich mit diesem Thema nicht mehr beschäftigen, sonst war es mit Lust und Laune ganz vorbei.

„Ich bin nicht zum Plaudern hier, komm schon her!“

Jeton kam herüber und Nico stand auf. Ihr Kuss stellte von Anfang an klar, wer das Sagen hatte und Nico ließ zudem keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Sache nichts mit Zärtlichkeit zu tun haben würde. Gereizt rissen sie sich abwechselnd gegenseitig und selbst die Kleidung vom Leib. Nicos Bewegungen waren dabei geschmeidig, aber voller Kraft, mit der er Jeton schließlich hinter einen der Sessel lenkte. Grob griff er nach seinem Nacken und drückte ihn bäuchlings über die Lehne.

„Hey …“, kam Jetons nur schwacher Protest.

„Was? Ich denke, du willst es!“

Jeton schwieg und ließ geschehen, dass sein rechtes Bein ebenfalls hoch über die Lehne gezogen wurde. Dabei spürte er Nico schon direkt hinter sich stehen. Der spuckte in die Hand, befeuchtete seine bereits vollständige Erektion und drang schon Sekunden später ohne weitere Vorbereitung in ihn ein. Obwohl dieses Eindringen verhältnismäßig sanft war, nahm es nun schnell einen beinahe maschinellen Rhythmus an. Jeton stöhnte und krallte sich ins Polster, während Nico immer wieder vorwärts stieß. Dabei atmete er mit geschlossenen Augen und mahlendem Kiefer geräuschvoll und gleichmäßig.

Schon nach ein paar Minuten war es vorbei, ohne dass Jeton etwas davon hatte. Dessen halbgarer Ständer verflüchtigte sich ganz, als Nico den Akt mit den Worten abschloss:

„So, damit hab ich jetzt ein paar Euro gespart!“

Er zog sich zurück und Jeton rappelte sich entgeistert auf. Nackt setzten sie sich wieder hin, Nico nippte an seinem Wasser, während Jeton am Bier trank.

„Geht das bei dir immer so schnell?“

„Wir sind noch nicht fertig, keine Angst!“

„Ich hab keine Angst, aber auch keinen Bock mehr!“

„Warum?“

„Du hast es drauf, mir alles zu versauen!“

„Nur, weil ich beim ersten Stich etwas zu schnell fertig war? Ich mach das immer so, dann kann ich es das nächste Mal langsam kommen lassen!“

Nico grinste.

„Nicht nur deswegen. Aber denkst du, so was wäre witzig … ich meine, die Sache mit dem Geld sparen? Und auch sonst sagst du irgendwie immer das Falsche!“

„Sei nicht so empfindlich!“

„Ich bin nicht empfindlich, du bist gehässig!“

„Soll ich gehen?“

Nico erhob sich.

„Nein, schon gut. Setz dich wieder!“

„Dann quatsch nicht! Wo ist dein Schlafzimmer?“

Nico blieb zwei Tage bei Jeton. Er war froh, dass er nicht in sein ungemütliches Apartment musste, was er natürlich für sich behielt. Er ließ sich von Jeton bedienen und dieser hatte dabei noch das Gefühl, er müsse sich bei Nico dafür bedanken. Trotzdem genoss er es irgendwie. Sie aßen Pizza, schliefen aus und kamen auch wach kaum aus dem Bett. Das Ganze war für Nico ein nettes Intermezzo, während sich bei Jeton unaufhaltsam Gefühle für seinen schönen Bettgefährten einschlichen.

Jeton hatte gerade die Bettwäsche neu bezogen, weil Nico fand, sie hätten zu sehr rumgesaut. Danach zog er den jungen Albaner mit der gleichen Begründung unter die Dusche. Hinterher aßen sie Chinesisches vom Bringdienst und legten sich wieder hin. Müde waren sie nicht, zum Sex reichte es noch nicht wieder, also begannen sie zu reden. Dabei wurde es diesmal etwas persönlicher als bisher.

„Wie lange machst du das eigentlich schon … Sex gegen Geld?“

„Ungefähr acht Monate. Ich studiere und habe keinen Bock auf Aushilfsjobs, ich kann es mir nicht leisten, wenn mich etwas vom Studium ablenkt! Zwei, drei Männer in der Woche und es reicht zum Leben.“

„Du studierst?“ Nico war wirklich überrascht.

„Ja, ist das so unglaublich?“

„Ich wäre jedenfalls von allein nicht drauf gekommen!“

„Ich möchte Arzt werden und dann in mein Land zurückgehen. Ich will helfen, damit sich dort auch die Armen medizinische Hilfe leisten können.“

„Du meinst, du studierst, könntest irgendwann ein Schweinegeld verdienen und willst das nicht, um irgendwelchen Schmarotzern für ein paar Cents dein Wissen in den Arsch zu schieben?“

„Albanien ist ein kleines Land, kleiner als Belgien und wir haben nur knapp drei Millionen Einwohner. Bei uns gibt’s sehr viel Armut, vor allem die Bauern sterben an Krankheiten, die mit ein paar Pillen kein Problem wären und …“

„Wow, wow, wow …“ Nico hob abwehrend die Hände. „Das reicht! Mehr muss ich nicht wissen!“

Nico war an Informationen über Jetons soziale Gesinnung nebst der Struktur seines Landes nicht im Mindesten interessiert. Er war nur auf das momentane Leben des Albaners neugierig.

„Sorry, ich wollte dich nicht langweilen!“

„Dann ist ja gut!“

Ein paar Minuten lagen sie schweigend nebeneinander auf dem Rücken und starrten beide gedankenverloren an die Zimmerdecke.

„Wo hast du denn die Kerle gefunden, die dich so freigiebig am kacken halten?“

„Verdammt Nico … du gehst mir auf die Nerven! Warum redest du so?“

„Meine Güte, ein vornehmer Stricher! So einem begegnet man auch nicht alle Tage!“

„Kennst du dich in dem Milieu aus?“

Nico fühlte sich ertappt.

„Boah, beantworte mir lieber meine Frage, dann kann ich gehen, ehe ich ausflippe!“

„Du willst also wissen, wo man reiche Freier findet?“

„Nein, ich will … naja, Kontakte in diese Kreise. Vielleicht ’nen Freund mit Geld …“

Nico sah kein Problem darin, Jeton von diesem Plan zu erzählen.

„Dann musst du erst deine Sprache ändern!“

„Hä? Soll ich Französisch lernen oder was?“

„Tu nicht so blöd, du weißt, was ich meine. Wer assi labert, lernt auch nur Assis kennen.“

Nico stellte sich dumm.

„Ach so … und wenn ich chinesisch spreche, lerne ich auch nur Chinesen kennen!“

„Nein, aber die anderen verstehen dich halt nicht, wenn du ihre Sprache nicht sprichst!“

Das machte Sinn.

„Aber was nützt eine tolle Ausdrucksweise, wenn man solchen Leuten erst gar nicht begegnet?“

„Da könnte ich dir helfen!“

„Ich will keine Freier kennenlernen!“

„Das hab ich verstanden. Ich kenne jemanden von der Uni, das würde vielleicht passen.“

Für Jeton fühlte sich dieses Angebot falsch an, eigentlich wollte er Nico nicht an einen anderen vermitteln. Andererseits glaubte er nicht, ihn bei sich halten zu können, deswegen war es immer noch besser, ihn als Freund oder sogar Vertrauten zu gewinnen.

„Echt jetzt? Keine Verarsche?“

„Klar!“

„Und was ist das für einer?“

„Er hat reiche Eltern, genügt dir diese Info denn nicht? Für Geld scheinst du doch alles zu tun!“

Diese Bemerkung empfand Nico als positiv.

„Stimmt, ich mag Geld!“, er grinste breit. „Ich würde mich dafür zwar nicht demütigen lassen, aber ansonsten hast du recht. Ich will reich sein, denn nur dann kann man sein Leben genießen!“

„Arbeitest du?“

„Nein, Hartz 4 … zeig mir den Job, bei dem ich nicht viel tun muss, aber gut verdiene und ich mach ihn!“

„Und es würde dir nichts ausmachen, dass dir einer alles bezahlt?“

„Wieso denn? Er bekommt schließlich auch was dafür. Mich! So kann ich kriegen, was mir zusteht!“

Jeton schüttelte unmerklich den Kopf. Er konnte Nicos Denkweise nicht wirklich nachvollziehen. Er stammte aus einem Arzthaushalt und schon sein Vater arbeitete nicht, um seinen Wohlstand zu mehren, sondern engagierte sich für Sozialschwache. Der junge Albaner kam nach Deutschland, weil die Ausbildungsmöglichkeiten in seinem Land nicht die besten waren. Aber er würde zurückgehen und wusste genau, wie es dann weitergehen sollte.

„Also, was ist? Wann kann ich den Typen kennenlernen? Ist er denn schwul? Ich hoffe, er ist nicht hässlich!“

*

Benjamin L'Arronge war 22 Jahre alt. Er studierte wie Jeton Medizin und sie liefen sich schon das eine oder andere Mal über den Weg. Er hütete das Geheimnis seines Schwulseins überall, vor seinen Eltern und auch in der Uni gab er sich alle Mühe, es nicht offensichtlich werden zu lassen. Irgendwo hoffte er wohl selbst noch auf eine Änderung seiner Vorlieben, hatte aus diesem Grund bisher auch jeden möglichen sexuellen Kontakt mit Männern vermieden. Zu Frauen zog ihn allerdings in dieser Beziehung auch nichts und so blieb er bis dato lieber allein.

Benjamin wusste, seine Eltern würden die Homosexualität ihres einzigen Sohnes nicht akzeptieren können. Der 51jährige Pharma-Unternehmer Adam und seine 49jährige Frau Evelyn L'Arronge hatten genaue Vorstellungen über die Zukunft ihrer Kinder. Auch Benjis 25jährige Schwester Sarah beschritt einen vorgezeichneten Lebensweg, sie bestand bereits das erste Staatsexamen ihres Pharmaziestudiums. Ein Versagen des Nachwuchses wie auch allzu offensichtliche sexuelle Kapriolen waren einfach nicht eingeplant. Man wusste schließlich, was man seiner Stellung schuldete und die Kinder wurden dementsprechend geprägt.

Ansonsten jedoch war Benji kein Kind von Traurigkeit und gern gesehen, beim Feiern hatte er die Nase vorn und solange er gute Leistungen brachte, blieb die Unterstützung der Eltern großzügig.

*

Heute nun war wieder eine Studentenfete geplant, in der WG zweier Kommilitonen trafen sie sich, wobei jeder seinen flüssigen Beitrag leistete. Man kannte und mochte sich, weshalb von Anfang an eine ausgelassene Stimmung herrschte. Die fünf Studenten zogen über Professoren nebst ihrer Eigenarten her und wussten auch die eine oder andere Anekdote über die Anatomie zu erzählen, bevor sie nur noch albern durcheinander plapperten.

Jeton hatte sich mit Absicht etwas verspätet, es war eigentlich nicht üblich, ohne Absprache Fremde mitzubringen. Da jedoch alle von seinem Schwulsein wussten, war es nicht weiter schwierig, Nico als seinen Freund einzuschleusen. Der junge Albaner hatte sich Mühe gegeben, dem anderen ein paar Benimmregeln mit auf den Weg zu geben und Nico hörte genau zu. Er war bereit, sich komplett zu verstellen, wenn er dadurch einen Fuß in die Tür zur sogenannten besseren Gesellschaft bekam. Zunächst hatte er jedoch nicht das Gefühl, dass es dort anders zuging, als er es kannte. Die Feierlaune war ansteckend und er kam gut an.

„Und welcher ist es nun?“, flüsterte er Nico irgendwann zu.

„Der mit den braunen Haaren … Benji! Aber denk dran, er hat noch niemals zugegeben, dass er schwul ist. Ich bin mir trotzdem so gut wie sicher.“

Nico grinste, vom Aussehen her war dieser Benji genau sein Fall. Er hatte ein männlich markantes, aber hübsches Gesicht, braune, fröhliche Augen und strahlende Zähne. Benji lachte gern, das hatte Nico sofort bemerkt. Während er versuchte, seine Aufmerksamkeit nicht allzu offensichtlich werden zu lassen, überlegte er angestrengt, wie er ihn von den andern trennen konnte, um die Bekanntschaft zu vertiefen. Das Problem erledigte sich dann von allein, als dem munteren Völkchen die Getränke ausgingen. Jemand musste zur Tankstelle fahren, um Nachschub zu holen.

„Ich geb einen aus, aber fahren kann ich nicht mehr!“, sagte Benji und schaute in die Runde. Natürlich hatten alle etwas getrunken. Alle, außer Nico.

„Ich kann zur Tanke fahren, ich habe nur kein Auto hier!“, bot er deshalb an.

„Super, dann fahren wir schnell zusammen, mein Wagen steht vor der Tür. Das heißt, wenn Jeton nichts dagegen hat! Du kannst auch gerne mitfahren!“

Jeton schüttelte nur den Kopf und sie machten sich auf den Weg. Obwohl Nico normalerweise nicht auf den Mund gefallen war, fand er jetzt, als sie nebeneinander im Wagen saßen, kein unverfängliches Thema. Er wollte es sich nicht versauen und Jeton hatte ihn, was seine Umgangsformen anging, doch etwas verunsichert. Zum Glück begann Benji irgendwann:

„Bist du fest mit Jeton zusammen?“

„Nein, wir sind nur Freunde. Ich bin gerade erst nach Köln gezogen und kenne niemanden, deshalb hat er mich einfach mal mitgenommen.“

„Ach so ... das erklärt einiges.“

„Was erklärt das?“

„Na, dass ich dich noch nie auf dem Campus gesehen habe. Du wärst mir sicher aufgefallen.“

Nico hatte einen lockeren Spruch auf der Zunge, aber er verkniff ihn sich.

„Ich wäre dir aufgefallen? Wieso?“

„Weil du … ja okay, du siehst einfach besonders gut aus! Das fällt auf und sag jetzt nicht, das ich dir da was Neues erzähle.“

Er lachte.

„Dir fallen gut aussehende Männer auf? Bist du auch schwul?“

„Nein … nein!“, beeilte sich Benji, zu antworten, dann mussten sie aussteigen.

Bepackt mit jeder Menge Nachschub für die durstige Runde machten sie sich kurze Zeit später wieder auf den Weg zurück. Mit Entzücken hatte Nico beobachtet, dass Benji mit einer goldenen Kreditkarte bezahlte, was ihn noch einmal in seiner Absicht bestärkte.

Später auf der Rücktour hielt er es dann für keinen Fehler, an ihr vorheriges Thema anzuknüpfen. Schließlich musste er sich nicht völlig an das Versteckspiel der anderen halten und das offene Geheimnis über Benjis Schwulsein hüten. Er wollte ihm schnell näherkommen und das funktionierte am besten, wenn er sich anders verhielt als die Übrigen, wollte sich in dieser Beziehung ausnahmsweise nicht nur auf sein Aussehen verlassen.

„Nebenbei bemerkt, ich gehe nicht mehr zur Uni, ich bin schon achtundzwanzig. Ich arbeite als Immobilienmakler!“

Es war sicher nicht verkehrt, vier Jahre von seinem wirklichen Alter abzuziehen.

„Und wo hast du Jeton dann kennengelernt?“

„In der Szene … Schwulenszene … sind wir uns zufällig über den Weg gelaufen!“

„Und es ist nichts zwischen euch passiert?“, entfuhr es Benji.

„Nein, warum?“

„Weil ich mir das kaum vorstellen kann!“

Nico fuhr rechts ran und drehte den Schlüssel im Zündschloss des relativ neuen, nachtschwarzen Chevrolet Tahoe. Der Motor des getunten Geländewagens erstarb. Dann wandte er sich Benji zu.

„Du bist nicht schwul?“

„Nein, sag ich doch!“, entgegnete dieser trotzig, wirkte aber unsicher.

„Und wieso kannst du dir dann nicht vorstellen, dass zwischen Jeton und mir nichts gelaufen ist?“

„Naja, weil …“

Benji brach ab und sie schauten sich im diffusen Licht der Straßenlaternen in die Augen.

„Weil?“, hakte Nico nach.

„Weil du so verdammt gut aussiehst. Ich kann mir eben einfach nicht vorstellen, dass einer, der auf Männer steht, dich abweisen kann!“

Der richtige, vielleicht einzige Moment war gekommen, das sagte Nico sein Bauchgefühl. Er entschied im Bruchteil einer Sekunde, alles auf eine Karte zu setzen und legte seine Hand auf Benjis Schulter. Dieser zuckte zusammen, wich jedoch nicht aus. Zeit für Schritt zwei. Nico strich mit der Rückseite seiner Finger sanft über Benjis linke Wange.

„Ich weiß, was du meinst, mir geht es im Moment genauso. Sag nur ein Wort, ich würde dich nämlich auch nicht abweisen!“

Langsam verringerte er den Abstand, ohne den Augenkontakt abbrechen zu lassen. Er spürte Benjis Nervosität körperlich und glaubte beinahe schon an einen ersten Kuss, als der Jüngere seine Hand gegen seine Brust drückte und ihn zurückschob.

„Da hast du Pech! Ich meine, ich würde dir ja gern den Gefallen tun, aber wie gesagt, ich bin nicht schwul und das wäre dann doch eine etwas zu große Gefälligkeit!“

Die Magie des Augenblicks war auf der Stelle verflogen, gereizt startete Nico den bulligen Geländewagen und es kostete ihn eine Menge Kraft, seine Wut zu unterdrücken. Später lief er hinter Benji die ausgetretenen Stufen zur Studenten-WG hinauf. Sein Blick fiel auf die Rückseite von ihm, diese schlanke, sportliche Silhouette im halbdunklen Hausflur, und er schwor sich, dass er ihn kriegen würde.

Während des restlichen Abends sah es jedoch nicht danach aus. Benji wich Nicos Blick aus und war irgendwann so betrunken, dass er auf der Luftmatratze eines der Gastgeber schlafen ging.

*

Am nächsten Morgen fiel Benji der Weg zur Uni nicht leicht, er hatte einen ausgewachsenen Kater und wäre am liebsten liegengeblieben. So bequem war die Matratze allerdings nicht, das, und der Spott seiner Kommilitonen trieb ihn auf die Beine und aus dem Haus. Er hätte es gerne verdrängt, aber er schaffte es nicht, die Momente mit Nico aus seinen Gedanken zu bekommen. Dabei war es weniger das, was Nico versucht hatte, das ihm zu schaffen machte. Schlimmer war, dass er sich nur zu gut daran erinnerte, wie kurz er davor stand, auf das Angebot des anderen einzugehen.

Schon als Nico mit Jeton zur Party kam, traf es Benji wie ein Blitz. Zum ersten Mal hatte er sich nicht unter Kontrolle und bekam beinahe einen vollständigen Ständer, weil er nicht aufhören konnte, sich Nico in seinen Armen vorzustellen. Da nützte es auch nichts, dass er sich in verschiedene Gespräche warf, als sei dies die letzte Chance im Leben, sich mit seinen Freunden zu unterhalten. Er lachte zu laut, redete zu viel und trank zu hastig und das alles nur, um sich abzulenken.

Als sich dann die Möglichkeit ergab, allein mit Nico zur Tankstelle zu fahren, geriet er kurz in Panik. Deshalb hatte er Jeton mitnehmen wollen. Er war nicht sicher, wozu er sich hinreißen lassen würde, wenn er mit Nico allein war. Auch dieses Gefühl war völlig neu für ihn. Zudem glaubte er, Nico nichts vormachen zu können, was sein verstecktes Schwulsein anging. Es kam ihm vor, als könne dieser ihm bis auf den Grund seiner Seele schauen. Als dann während der Fahrt auch noch das Gespräch darauf kam, war es völlig vorbei mit der Benji sonst eigenen, fröhlichen Selbstsicherheit. Aber später dann, gerade noch rechtzeitig, gewannen Erziehung, Befangenheit und ein diffuses Schuldbewusstsein doch noch die Oberhand. Obwohl er in Versuchung geriet, für Nico alle Mauern einzureißen, entschied er sich letztendlich dagegen und es kam ihm vor, als mache er dies tatsächlich nur aus Gewohnheit und nicht, weil er es wirklich wollte.

Zuerst konnte er den Ausführungen des Professors nicht wirklich folgen, sein Kater und das Kopfkino raubten ihm auch den kleinsten Anflug von Konzentration. Er war erst eine ganze Weile später soweit, sich auf die Vorlesung einzulassen. Aber auch dann hatte er Nico immer wieder vor Augen.

Am Abend war er ganz gegen seine Gewohnheiten früh daheim, legte sich dort auf das Bett und war gezwungen, sich etwas intensiver mit der bisherigen Verdrängung seiner Sehnsüchte zu beschäftigen. Er konnte sich jetzt nicht mehr dumm stellen oder sogar auf eine Änderung hoffen, seine Reaktion auf Nico hatte ihm eindeutig bewiesen, dass er schwul war. Aber er musste diese Erkenntnis ja nicht in die Welt rausschreien, er wollte sie nur für sich selbst akzeptieren. Und Nico ganz unverbindlich wiedersehen!

*

„Jedenfalls fress ich ’nen Besen, wenn der Kerl nicht schwul ist!“, sagte Nico gerade zu Jeton. Es war der gleiche Tag, sie wachten erst gegen Mittag auf, frühstückten im Bett und hatten auch schon den ersten Quickie hinter sich. Es ließ sich nicht leugnen, dass sie inzwischen sexuell harmonierten.

„Das sag ich doch! Außer ihm wissen das wahrscheinlich alle!“, antwortete Jeton leicht genervt. Seit Nico wach war, kam er immer wieder auf das Thema Benji zurück.

„Was genau macht denn sein Vater?“

„Irgendwas mit Pharmazie. Kennst du den Namen L'Arronge denn nicht?“

„Nein, aber das lässt sich ja ändern!“

Er nahm Jetons Smartphone und ging ins Internet.

„Wieso hast du eigentlich nicht selbst so ein Ding?“

„Ist mir geklaut worden und ich bin noch nicht dazu gekommen, mir ein Neues zu besorgen.“

Nicht zum ersten Mal kamen bei Jeton Zweifel an Nicos Wahrheitsliebe auf, sogar ihm gegenüber. Aber wieso gab dieser nicht einfach zu, dass er sich das nicht leisten konnte? Schließlich weihte er ihn auch in seine Pläne mit Benji ein. Aber er schwieg dazu.

„Wow, die müssen ja Kohle ohne Ende haben!“

Nico war über einige Webseiten gesurft und hatte dabei den Eindruck bekommen, dass mehr zu holen war, als bisher angenommen.

„Ja, aber die Kohle hat nicht der Sohn, sondern seine Eltern!“

Nico legte das Phone weg und lehnte sich wohlig in der Couch zurück, wo er neben Jeton saß.

„Immerhin hat er die goldene Visacard und fährt einen nagelneuen Chevrolet Geländewagen! Da lässt sich schon was mit anfangen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass er auch noch super aussieht.“

„Ich kenne dich noch nicht gut, aber eins weiß ich schon. Du würdest es auch mit einem missgebildeten Schimpansen treiben, wenns was einbringt!“

Nicos Augen wurden zu Schießscharten, er holte aus und ohrfeigte Jeton.

Dann hielt er ihm seinen rechten Zeigefinger vor die Nase und presste gefährlich leise hervor:

„Denk nicht, nur weil ich dich ficke, kannst du mich beleidigen!“

Jeton sprang wütend auf.

„Ach nein? Aber ich kann dir die Tour vermasseln, wenn ich will! Und jetzt raus, verpiss dich!“

Nico stand auf, machte einen Schritt auf Jeton zu und schlug ihn erneut.

„Wag es ja nicht!“, brüllte er den jungen Albaner dabei an und erst, als dieser mit über dem Kopf verschränkten Armen und angezogenen Knien zusammengekrümmt auf dem Boden lag, suchte er seine Sachen zusammen, zog sich an, trat dem Flurschränkchen im Vorbeigehen ein Bein weg und verließ fluchend die Wohnung.

*

Als der 22jährige Benji am nächsten Nachmittag die Uni verließ und auf seinen Wagen zuging, blieb ihm beinahe das Herz stehen. Er erkannte Nico, der sich lässig an die Kühlerhaube des Chevys lehnte und ihm entgegen sah. Seine Gedanken überschlugen sich, in der Hauptsache wollte er in die Uni zurückrennen, als habe er etwas vergessen. Aber es zog ihn Schritt für Schritt weiter auf Nico zu. Je näher er kam, desto besser sah er das feine Lächeln in dessen Gesicht. Jetzt stieß er sich vom Auto ab und kam ihm ein paar Schritte entgegen. Dann standen sie endlich voreinander und Benjis Unbefangenheit verabschiedete sich endgültig.

„Du hier?“, brachte er gerade noch hervor.

Nicos Lächeln hatte sich weiterentwickelt, strahlend begrüßte er Benji, wobei dieser ihm wie hypnotisiert ins Gesicht starrte und wieder einmal staunte. Dieser Mann dort vor ihm war makellos, einfach perfekt. Wie konnte jemand so aussehen, ohne Filmstar zu sein? Eine Sekunde später fragte er sich, woher eine solche Frage kam, ohne dass er noch den Kindergarten besuchte und erwiderte die Begrüßung, indem er sein Gesicht mit einem Lächeln überforderte.

„Hi!“

„Ich war zufällig in der Nähe und mir ist dein Wagen aufgefallen. Ich habe fünf Minuten gewartet und da kamst du auch schon. Wir könnten zusammen etwas essen gehen, ich lade dich ein“, begann Nico.

Die Wahrheit war, dass er bereits vor vier Stunden ankam. Er wusste, welche Uni Benji besuchte und was für einen Wagen er fuhr, deshalb hatte er alle Parkmöglichkeiten abgesucht und war fündig geworden. Er hätte locker auch noch einmal vier Stunden gewartet, wenn ihn das seinem Ziel nähergebracht hätte.

„Ehm, ja, warum nicht. Ich rufe schnell zuhause an, damit sie wegen des Abendessens Bescheid wissen!“

Er zückte sein Smartphone und erledigte das Angekündigte, dann fragte er:

„Wo steht denn dein Auto?“

„Wir können mit deinem fahren. Meins hole ich später ab!“

„Musst du denn nicht arbeiten?“

„Ich bin Immobilienmakler, vergessen? Da kann ich mir die Termine einteilen, wie ich will!“

„Ach so, ja!“

Im Wagen überfiel sie das große Schweigen wie eine übelgelaunte Jungfrau. Es ließ sie beide nervös verstummen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Benji suchte nahezu verzweifelt nach einem harmlosen Thema, während Nico genau darauf wartete, um sich die neue Chance nicht wieder zu verderben.

„Lass uns ins ‚Butterfly‘ gehen, das ist cool!“

Von Jeton wusste Nico, dass das Restaurant zurzeit bei wohlhabenen Leuten angesagt war.

„Gern! Sehr gute Küche!“

Das hörte sich an, als sei Benji schon einmal dort gewesen, was Nicos Plan durchkreuzte.

„Ich würde mit dir lieber in einen Laden gehen, wo du noch niemals warst. Gibt es einen, wo du schon immer mal hin wolltest?“

„Das ‚Exchange‘ in Lindenthal, kennst du das? Ist allerdings teurer.“

Nico schenkte Benji einen beleidigten Seitenblick.

„Kümmere dich nicht um meine Finanzen, ja?“

Er hatte jedoch das Gefühl, als würde Benji sich nicht wirklich Gedanken um die Bezahlbarkeit eines Essens dort machen.

„Ich meinte nur, weil du mich eingeladen hast. Ich will dich ja nicht ausnehmen. Sorry!“

Nico grinste in sich hinein, dann hatten sie bereits den Weg nach Lindenthal eingeschlagen.

Beim Essen im luxuriösen Ambiente sprachen sie über allgemeine Dinge, erfuhren einiges voneinander, wobei Nico sein Lügengebäude ausbaute. Er hatte sich einen völlig neuen, vom Erfolg verwöhnten Lebenslauf ausgedacht, beginnend mit seinem Job als Immobilienmakler. Er improvisierte, flocht immer neue kleine Dinge ein, die allem einen zusätzlichen, authentischen Touch verliehen. Beinahe begann er, selbst daran zu glauben und auch Benji hatte keinen Grund, die Worte anzuzweifeln. Im Gegenzug erzählte er von sich und seinem Leben als Sohn aus reichem Hause.

Es gab eine Menge Probleme, die zu Nicos Leben gehörten, von denen er nichts wusste.

Nach dem Essen saßen sie noch eine Weile bei einem Wein zusammen, aber allmählich wurde Nico unruhig. Er wollte die Zeche prellen, ihren schnellen Abgang hinter sich bringen und zwar ohne, dass Benji etwas von seinem Vorhaben mitbekam. Deshalb tat er jetzt so, als würde die lange Wartezeit ihn nerven.

„Wenn die nicht kommen, trag ich ihnen das Geld eben hinterher!“, sagte er, stand auf und ging in den vorderen, von Benji nicht einzusehenden Teil des Restaurants. Dort hielt er sich einen Moment lang auf, kam dann zurück und sagte selbstbewusst:

„Okay, erledigt! Wir können gehen!“

Benji folgte ihm aus dem Gastraum hinaus durch den kurzen Flur, von wo es zu den Waschräumen abging und die Treppe hinunter ins Freie. Sie stiegen in den Chevy und fuhren davon. Innerlich atmete Nico auf und ging zum nächsten versteckten Vorstoß über.

„Und was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend?“

Es war erst kurz nach 20 Uhr und er wollte Benji noch nicht gehenlassen. Gleichzeitig hatte er aber auch keine Lust, wieder in einem Lokal rumzuhängen. Dort gelang es seiner Begleitung zu gut, ihn auf Distanz zu halten.

„Keine Ahnung!“

„Wie wär‘s, wenn du mir mal zeigst, wo du wohnst?“

Der Schreck fuhr Benji in die Glieder. Natürlich wäre das nicht das erste Mal, dass er einen Freund mitbrachte, allein seine Empfindungen machten es plötzlich schwierig. Irgendwie kam es ihm vor, als könne ihm jeder sein sexuelles Verlangen in Bezug auf Nico ansehen. Deshalb hatte er auch nicht die geringste Ahnung, wie er ihn seinen Eltern vorstellen sollte. Und wenigstens das erwarteten sie bei Hausgästen. Ohne drüber nachzudenken, antwortete er deshalb:

„Wir könnten auch zu dir fahren und noch was trinken.“

Damit kam wiederum Nico in Verlegenheit. Aber es bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten, dieses Problem aus dem Stehgreif zu lösen.

„Du weißt ja, ich bin erst kurz in Köln. Ich wohne im Maritim Hotel, solange ich noch keine anständige Wohnung gefunden habe. Bisher hab ich mir nur welche angeguckt, wo man rausgehen muss, wenn die Sonne rein will. Winzig klein, aber teuer wie eine Große, fast noch schlimmer als in Hamburg. Im Hotel auf dem Zimmer rumsitzen ist langweilig. Hast du was zu verbergen, oder warum können wir nicht zu dir fahren?“

Benji schüttelte den Kopf und gab eine alberne Antwort, woraufhin sie redeten und lachten, während sie bereits ganz automatisch den Nachhauseweg Richtung Marienburg eingeschlagen hatten. Auf der Fahrt rief ihn ein Freund an, er drückte ihn weg und machte dann schnell ein Foto von Nico. Letzterer hatte es bemerkt und in die Kamera gelächelt, ging aber weiter nicht darauf ein. Es war ein gutes Zeichen, wenn Benji ein Bild von ihm haben wollte.

Die Lust zum Herumalbern kam Benji abhanden, als sie sich seinem Elternhaus näherten. Er ließ das große Schmiedeeisentür mit einer Fernbedienung auffahren, fuhr dann langsam den Kiesweg durch den gepflegten Vorgartenpark hoch und sein Herz klopfte noch etwas schneller als durch Nico sowieso schon.

Dieser hatte schon einiges erwartet und vorausgesetzt, aber nun musste er aufpassen, dass ihm die Kinnlade nicht herunterfiel.

„Wow, hier wohnen aber auch keine armen Leute!“

„Nein, es ist die Villa meiner Eltern!“, antwortete Benji und Nico glaubte, einen gewissen Stolz herauszuhören.

„Im Moment sehe ich nur Grünzeug!“

Das änderte sich im nächsten Augenblick, als der Wagen eine sanfte Biegung nahm und sich nun frontal auf die Jugendstilvilla zubewegte. Der Blickfang war ein sechseckiger Turm mit schmalen Fenstern und einem Kuppeldach, der genau mittig des umfangreichen Gebäudes in die Höhe ragte. Die Villa war blendend weiß, nur die Verzierungen um die unzähligen, dreiteiligen Fenster herum wurden dunkelgrau gestrichen. Nico sah zwei Etagen über dem Erdgeschoss und ein ausgebautes, mit großen Fenstern und schwarzen Schindeln ausgestattetes Dach. Spiegelgleich gab es rechts und links der Etagen vier halbrunde Balkone mit fein gearbeitetem, weißen Geländer. Unter dem Turm schützte ein Dach den Eingang, welches von zwei Säulen gehalten wurde und zu dem eine ausgedehnte Treppe hinaufführte. Unten an das breite Steingeländer anschließend lagen auf Sockeln zwei schlafende Löwen aus Bronze.

„Ach du Scheiße!“

Nico wäre geplatzt, wenn er das nicht gesagt hätte und Benji schaute ihn von der Seite her an.

„Was ist los?“

„Was los ist? Wer wohnt denn so? Das ist ja unfassbar! Was ist dein Vater? Der Kaiser von China?“

Benji glaubte, er müsse sich wegen des offensichtlichen Reichtums entschuldigen, er hatte das bei seinen Kommilitonen schon das eine oder andere Mal erlebt.

„Wir haben das Haus erst vor sieben Jahren gekauft, vorher gehörte es einer Kölner Kaufmannsfamilie. Mein Vater ist Pharmazeut, vielleicht sagt dir der Namen L'Arronge etwas? Das ist mein Nachname und auch der Name des Unternehmens! L’Arronge-Pharma.“

„Nie gehört, ist mir auch egal.“

Nico versuchte, seine begeisterte Erregung nicht allzu offensichtlich werden zu lassen und tat, als hätte er keine Ahnung. Benji parkte den Geländewagen auf dem großen, ovalen Kiesplatz vor der Villa neben einem BMW 6er Coupé ein.

„Das ist das Auto meiner Mutter!“

„Und mit was reist dein Vater? Mit ner Boing?“

„Er fährt ausschließlich Mercedes.“

„Klar, was sonst“, kommentierte Nico und grinste, was Benji wieder falsch interpretierte.

„Früher fuhren sie beide kleinere Autos und das Haus vor dem hier war auch nicht so protzig. Das hat sich so ergeben.“

„Entschuldigst du dich gerade? Wieso? Es macht sicher Spaß, in einem Märchenschloss zu wohnen.“

Sie waren ausgestiegen und gingen auf die Freitreppe aus sehr hellem Carrara-Marmor zu. Ihre Gedanken hätten dabei nicht unterschiedlicher sein können. Benji hatte Angst vor der Begegnung mit seiner Mutter, glaubte immer noch, sie könne ihm sein Verlangen an der Nasenspitze ansehen und Nico versprach sich noch einmal selbst, sich im Rhein zu ersäufen, sollte er die beginnende Beziehung durch irgendeine Dummheit verbocken.

Benji schloss auf und sie traten in die Empfangshalle. Die Wände waren weiß gestrichen und teilweise getäfelt. Täfelung und Möbel bestanden aus Mahagoniholz, genau wie die Treppen, die auf beiden Seiten der Halle hochführten.

„Komm mit, ich stell dich vor!“, sagte Benji und lief zu einem offenen Türbogen, schaute in das sich anschließende Zimmer hinein. Aber Nico rührte sich nicht, er hatte nicht wirklich Lust, hier jemandem zu begegnen. Genau in diesen Momenten wurde ihm nämlich klar, dass er nicht wirklich Ahnung hatte, wie er sich benehmen sollte. Der erste Eindruck zählte, das war immer und überall so. Innerlich verfluchte er sich, dass er darauf gedrängt hatte, heute schon herzukommen.

„Hallo, Mutter, ich bin da. Ich habe einen Freund dabei, wir gehen nach oben!“

Benji schaute sich in der Annahme um, Nico stände direkt hinter ihm und entdeckte ihn neben der Treppe. Etwas irritiert wechselte er noch einige Worte mit seiner Mutter, dann ging er zurück. Sie waren schon auf den ersten Stufen, als Evelyn L'Arronge auftauchte. Sie war eine hochgewachsene, streng wirkende Frau, dunkelhaarig und elegant gekleidet. Nur Benji bemerkte, dass sie den Gast mit einem kurzen, prüfenden Blick musterte. Eigentlich hätte Nico spätestens jetzt zu ihr gehen sollen, um sie zu begrüßen, aber wie es aussah, dachte er gar nicht daran und ließ auch diese Chance ungenutzt verstreichen. Er nickte ihr lediglich zu.

*

Jeton hatte viel geweint. Während er seine blutige Nase, das blaue Auge und diverse Hämatome versorgte und er ihre gemeinsame Unordnung aufräumte, ließen die Tränen oft seine Sicht verschwimmen. Er musste einen Termin absagen, so zerschlagen konnte er sich seinem generösen Kunden nicht präsentieren.

Er wunderte sich über sich selbst, aber nachdem die Wut verflogen war, wünschte er sich Nico zurück. Bedrückt stellte er ein weiteres Mal fest, dass er sich gefühlsmäßig tiefer verstrickt hatte, als das gut für ihn war. Er fand viele Entschuldigungen für den anderen, sagte sich, dass er ihn zukünftig tatsächlich weder beleidigen noch ihm drohen sollte. Es war verständlich, dass Nico heftig reagierte, wenn man ihn mit einem behinderten Affen verglich und dann auch noch ankündigte, seinen Lebenstraum zu zerstören.

Aber er würde wohl keine Chance bekommen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Wahrscheinlich würde er Nico nie mehr wiedersehen, denn er wusste weder, wo er wohnte, noch hatte er eine Telefonnummer. So blieb ihm nur eins - er wünschte sich, dass Nico von sich aus zurückkam und entschuldigte. Er würde ihm verzeihen, eigentlich hatte er das schon. Dann konnten sie einfach da weitermachen, wo sie vor dem Gewaltausbruch waren, mit Jeton als Sexpartner und Vertrautem, denn dabei war der Wunsch Vater des Gedankens.

Der sich anschließende Liebeskummer war echt und tat weh.

*

Am gestrigen Abend war nichts mehr gelaufen, Nico verabschiedete sich schon nach einer halben Stunde. Nachdem Benji ihn freundschaftlich darauf hingewiesen hatte, dass er seine Mutter hätte begrüßen müssen, spürte er eine unterschwellige Wut in sich. Zurechtweisungen waren nichts, das Nico sich normalerweise gefallen ließ. Außerdem befand er es als unfair, wie Benji lebte – unter dem Dach auf mindestens 170 Quadratmetern, ausgestattet mit modernen, teuren Möbeln und allem nur erdenklichen, technischen Schnickschnack. Nur mit Mühe schaffte er es, keinen Streit mit Benji zu beginnen.

Bevor er ging, hatte ihn Benji noch nach seiner Handynummer gefragt und Nico erklärte prompt, er kenne seine neue Nummer noch nicht auswendig, sie sei in seinem Smartphone gespeichert, das er aber leider im Hotel vergessen habe. Aber er war angezählt und befürchtete, dass die Schlagfertigkeit sich bald verabschiedete und endgültig seinem Unmut Platz machte. Deshalb verließ er das Haus fast fluchtartig und suchte sich den nächsten Bus.

Als er am Morgen danach in seinem armseligen Apartment aufwachte und sein Blick auf die wenigen, verschlissenen Möbel, die vergilbten Tapeten und dreckigen Türen fiel, gab er der gestern unterdrückten Wut nach. Er wischte das schmutzige Geschirr von mehreren Tagen vom Tisch, das Klirren ging in seinen Flüchen unter. Er würde es allen zeigen, bald wohnte auch er im Luxus, denn das hier war erbärmlich und seiner nicht würdig. Aber wie er es sich ausgerechnet hatte, ging das nicht! Er musste besser auf diese wohlhabenden Menschen vorbereitet sein, sie durften in ihm nicht auf den ersten Blick erkennen, in welchem Umkreis er aufgewachsen war. Und es gab nur einen, der ihm dabei helfen konnte.

*

Benji spürte, dass etwas nicht stimmte. Nico hatte angespannt gewirkt, bevor er ging. Sie redeten kein Wort miteinander, während er ihn zur Haustür brachte und er lehnte auch ab, heimgebracht zu werden. Als er gegangen war, hörte Benji die Stimme seiner Mutter.

„Kommst du mal bitte, Benjamin?“

Evelyn L'Arronge rief aus dem Salon nach ihm und er kam der Aufforderung sofort nach.

„Möchtest du auch ein Glas Wein?“

„Gern!“

Sie tauschten einige Belanglosigkeiten aus, dann kam sie zur Sache.

„Wer war der junge Mann? Ich glaube, du hast ihn zum ersten Mal mitgebracht?“

„Ja, wir haben uns erst vor ein paar Tagen bei Maik kennengelernt.“

„Er ist Student?“

„Nein, Nico ist Immobilienmakler, er ist gerade erst nach Köln gezogen!“

„Nico?“

„Nicolas von Sydow. Warum fragst du? Stimmt etwas nicht?“

„Doch, es ist alles in Ordnung. Ich habe mich nur gewundert, dass der junge Mann mir scheinbar aus dem Weg gegangen ist. Entweder das, oder er hat eine schlechte Erziehung genossen!“

„Ich nehme an, er wollte einfach nicht stören! Und als du auf den Flur kamst, waren wir ja schon fast oben“, entgegnete Benji.

Als er später im Bett lag, schaute er auf seinem Smartphone das Foto an, das er im Auto von Nico gemacht hatte. Er strich mit den Fingerspitzen sanft darüber, seine Gedanken machten sich selbständig und seine Hand fand den Weg in seine Shorts. Später galt auch sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen Nico und er hoffte, dass sie sich bald wiedersehen würden.

Allerdings sollte sich diese Hoffnung erst einmal nicht erfüllen.

*

Jeton war gerade aus der Uni zurück, als es an seiner Haustür klingelte. Er hatte keinen Kundentermin, deshalb wollte er eigentlich nicht öffnen, tat es dann aber trotzdem.

„Du?“

„Ja ich, kein Freier! Wie siehst du denn aus? Bist du die Treppe runtergefallen?“

Nico sah ihn an, grinste und lief ohne anzuhalten an ihm vorbei ins Wohnzimmer. Als Jeton hinter ihm an der Tür erschien, fügte er an:

„Ich könnte ’nen Kaffee brauchen!“

Jeton ging in die Küche und startete die Kaffeemaschine. Obwohl es sein größter Wunsch war, dass Nico zurückkam und er selbst von sich aus über den Vorfall hinwegsehen wollte, war er jetzt enttäuscht. Er hatte wenigstens ein paar entschuldigende Worte erwartet. Andererseits, wenn er ihn darauf ansprach, würde er vielleicht wieder gehen und das war schlimmer für ihn. Er hatte seinen Schmerz nicht vergessen, während er glaubte, Nico nie wiederzusehen.

„Dein Kaffee!“

Er stellte das Tablett vor Nico auf den Tisch und setzte sich ihm gegenüber hin.

„Ich brauche deine Hilfe!“, begann Nico.

Jeton fiel dazu nichts ein, deshalb schwieg er und schaute sein Gegenüber nur an. Statt einer Unterhaltung zu führen, wäre er lieber mit ihm im Schlafzimmer verschwunden, er sehnte sich nach seinen Berührungen. Nico sah in seinem Schweigen etwas anderes.

„Was ist? Willst du mir etwas sagen? Dann los, bring‘s hinter dich!“

„Ich hab dir nichts zu sagen!“

„Nicht? Dann ist ja gut!“

„Und bei was soll ich dir helfen?“

„Du tust doch immer so vornehm, vielleicht kannst du mir da was beibringen …“

In Folge erzählte er ihm, was bisher mit Benji gelaufen war.

„Tja, wie heißt es hier bei euch? Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck“, antwortete Jeton, als Nico geendet hatte.

„Ja toll, da geht dir einer ab, was?“

„Ich hab dir gesagt, dass man bei solchen Leuten nicht einfach reinplatzen kann.“

„Mensch, wenn du nur blöd rumquatschen willst, kann ich auch wieder abhauen!“

In den folgenden drei Stunden versuchte Jeton, Nico einige Benimmregeln zu vermitteln, wobei sie sich zu nah kamen, im Bett landeten und danach weitermachten, bis Nico genug hatte.

„… und du darfst niemals laut werden, wenn du dich ärgerst, schluck es einfach runter! Das Wichtigste überhaupt ist, immer über allem zu stehen. Naja, es muss zumindest aussehen, als könne einem nichts etwas anhaben.“

„Ach? Dann darf ich wohl auch nicht zuschlagen oder was?“ Nico grinste genervt. „Es reicht jetzt, ich hab die Schnauze voll von dem ganzen Kram. Die Reichen scheinen nur dafür zu leben, alles was sie wollen, nicht zu tun und sich ständig zu verstellen. Ich werde nichts unterdrücken, wenn ich endlich viel Geld habe!“

„Zumindest tun sie nichts von den anrüchigen Sachen öffentlich. Du wolltest den Lehrgang!“

„Ja, und jetzt nicht mehr … vielleicht morgen wieder. Dabei fällt mir ein, ich brauch noch ein Smartphone. Und Visitenkarten … eigentlich auch ein Auto. Wenigstens für ein paar Tage!“

„Was? Tickst du noch ganz richtig? Wo soll ich das denn alles hernehmen?“

„Meine Güte, dann nimmst du zwei Wochen lang ein paar Freier mehr, dann klappt das schon.“

Jeton blieb aufgrund von Nicos Dreistigkeit der Mund offen.